Venezia Am Strand der Insel, wo Venedigs Tote Auf stillem Friedhof beieinander ruhen, Gelandet war ich jüngst im leichten Boote. Dort, wo ich seit dem Frühling oft gesessen, Nun blinkten weiß im Reife des Novembers Zu Häupten mir die mächt'gen Grabcypressen. Ringsum, gemeißelt auf die Marmorplatten, Entgegen schauten mir die Züge derer, Die drunter sich im Staub gebettet hatten. Und denkend an Venedigs große Tage Späht' ich, ob nicht ein Stein der Loredani, Pisani, Barbarigo Namen trage. Vergebens! Die Geschlechter sind verschollen, Die Kön'ge einst besiegt; ihr Ruhm lebt einzig Noch in verstaubter Pergamente Rollen. So sinnend neben einem Leichensteine Lehnt' ich, indessen an den höchsten Alpen Der Tag erlosch mit letztem blassen Scheine. Da kam der Sohn des Gondoliers gesprungen: »Schnell! Schwer wird sonst die Heimfahrt. Tiefer Nebel Hält schon im Süden Stadt und Meer umschlungen.« Er zog mich in die Gondel mit der Rechten, Und zu den Rudern griffen Sohn und Vater, Daß sie zurück mich nach Venedig brächten. Still war das Meer; doch graue Nebel wallten In langem Zuge rings heran und legten Auf die Lagune sich in schweren Falten. Die beiden thaten kräft'ge Ruderschläge; Lang fuhren wir; allein nicht Stadt noch Ufer Erschien; das Bot glitt langsam hin und träge. Da vor uns ferne her erschollen Stimmen; Gesang, im Nachthauch flutend, drang ans Ohr mir, Und Lichter sah ich durch das Dunkel glimmen. Und uns entgegen aus dem Nebelflore Schwamm eine Barke; tief verhüllte Männer, In Händen Fackeln, sangen drin im Chore. Inmitten war als wie zur Totenfeier Ein Katafalk erbaut, und auf ihm ruhte Ein hohes Weib, umwallt von schwarzem Schleier. Wohl kannt' ich sie, die, blitzend von Juwelen, In Prachtgewanden ich auf manchem Bilde Gesehen in des Dogenschlosses Sälen. Ein matter Schimmer spielte um das bleiche Gesicht der Toten, ihr zu Füßen lagen Die Banner drei besiegter Königreiche. An meiner Seite sank aufs Knie der Knabe; Doch ernst die Hände faltend, sprach mein Schiffer: »Venezia ist's; sie führen sie zu Grabe.«