Fünfter Teil Die Brüder 1. I. »Ich danke sehr – nein wirklich, bemühen Sie sich nicht«, sagte ich, während ich mich auf die Bank vor dem Pächterhause niederließ. »Ich fühle nicht das geringste Bedürfnis, etwas zu mir zu nehmen. Möchte mit Ihrer Erlaubnis nur ein wenig ausruhen und eine Zigarre rauchen. Kann ich Ihnen vielleicht auch – –?« Ich hielt ihm die offene Tasche hin. »Muß nun meinerseits danken. Ich rauche nicht.« »Sie rauchen nicht? Das nimmt mich wunder. Ein Landwirt ohne Pfeife und Tabak ist fast so selten, wie einer ohne Weib und Kind.« Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, als sich auch schon das Gesicht des großen, breitschultrigen Mannes, der in einer abgenützten Lodenjoppe und hohen, die Spuren der Ackerscholle tragenden Stiefeln vor mir stand, schmerzlich verzog und helle Tränen aus seinen blauen, sanftmütigen Augen quollen. »Mein Gott,« sagte ich bestürzt, »hab' ich da vielleicht an etwas gerührt – –« »Ja«, erwiderte er, sein Taschentuch hervorziehend. »Aber es tut nichts. Und wie hätten Sie wissen sollen, daß gerade ich es bin, der sein junges Weib verloren hat. Denn von dem Fall selbst haben Sie bei Ihrem er sten Aufenthalt in dieser Gegend gewiß gehört.« Nun dämmerte es in mir auf. Ja, ich hatte von einer Pächtersfrau gehört, die einen plötzlichen Tod gefunden. Aber einige Jahre waren seither vergangen und meine Erinnerungen nicht mehr zuverlässig. »Ich entsinne mich allerdings«, sagte ich. »Es waren, glaub' ich, seltsame Umstände dabei –« »Ja, sehr seltsame Umstände.« »Ihre Frau ist – erschossen worden«, fuhr ich zögernd fort. »Ja, von meinem Bruder. Eigentlich war es ein Zufall – aber sie ist an meiner Statt gestorben.« »Das ist in der Tat merkwürdig. Wenn ich nicht fürchten müßte, daß es Sie zu sehr angreift, so würde ich Sie bitten, mir näheres –« »Das will ich gern. Sie haben ja Verständnis für Unglückliche, und ich bin der Fügung dankbar, daß Sie von der Jagd ab und hierher geraten sind. Verwundern Sie sich nicht. Ich bin ja kein ganz ungebildeter Mensch, kein Bauer, wenn Sie mich auch hinter dem Pfluge angetroffen haben. Ich habe immer gern gelesen – und auch in letzter Zeit daran gedacht, wohl oder übel aufzuschreiben, was ich Ihnen jetzt mitteilen soll. Aber ich müßte weit zurückgreifen, müßte Ihnen zeigen, wie mein Bruder seit jeher das Unglück meines Lebens gewesen ist – und das dürfte Sie vielleicht ermüden.« »Gewiß nicht.« »Nun, dann will ich das Gespann nach Hause schicken, es ist morgen auch ein Tag.« Er rief den halbwüchsigen Burschen an, der bei den Zugtieren stand und nunmehr die Pflugschar hob. Während die stattlichen Rinder langsam auf dem feuchten Sturzacker herumgelenkt wurden, ließ sich der Pächter neben mir nieder und blickte in Gedanken nach einem fernen Höhenzuge, der über dunklen, aus dem Waldtal aufragenden Fichtenwipfeln zum Vorschein kam. Die Sonne glänzte noch hoch im wolkenlosen Blau des Herbsthimmels. Schimmernde Gespinste der Wanderarachne schwebten in der klaren Luft, die hin und wieder von fern verhallenden Schüssen durchzittert wurde. Sonst kein Laut. Endlich nahm der Mann das Wort. 2. II. »Unser Vater war ein angesehener Bürger, der in der kleinen Stadt Krumau im Böhmerwalde einen ausgebreiteten, altbewährten Handel mit Honig und Wachs betrieb. Außer einem stattlichen Hause mit einer sogenannten Lebküchlerei besaß er vor der Stadt zwei große Gärten mit Bienenständen und im Umkreise dieser Anlagen eine ergiebige Feldwirtschaft. Als stiller, zurückgezogener Mann hatte er sich erst spät verheiratet und zwar mit einem Mädchen, das gleichfalls nicht mehr sehr jung, aber von ganz außerordentlicher Schönheit war. Sie stammte aus einer Familie, die, obgleich seit Menschengedenken in Krumau ansässig, ihren Ursprung von einem italienischen Einwanderer herleitete. Schon der Name Fossatti ließ das erkennen, und in der späten Enkeltochter war die fremde Rasse wieder mit voller Deutlichkeit zum Durchbruch gekommen. Nicht bloß im Äußeren, das ganz den südlichen Typus aufwies, sondern auch im Temperament und Charakter. Es konnte kaum eine lebhaftere, reizbarere und heftigere Frau geben, als meine Mutter, und sie hat ihrem sanften, zur Ruhe und Bequemlichkeit neigenden Gatten das Leben oft recht schwer gemacht. Auch an Grund zur Eifersucht mochte es anfänglich nicht gefehlt haben. Denn unser Laden vertrat in der Kleinstadt gewissermaßen die Stelle einer Konditorei, der auch männliche Besucher nicht fern blieben; gewiß weit mehr durch die reizvolle Erscheinung der dunkeläugigen Frau angezogen, die den Verkauf leitete, als von den ziemlich derben Süßigkeiten, die mit einem allerdings sehr schmackhaften Met geboten wurden. Das soll keine Anklage sein. Ich bin vielmehr überzeugt, daß meine Mutter die angelobte Treue unverbrüchlich bewahrt hat. Vielleicht nicht ganz ohne Kampf mit ihrem heißen Blute, aber geschützt durch eine andere große Leidenschaft, die sie im Herzen trug und welche ihr sehr bald Sinn und Verständnis für alles übrige benahm. Sie hatte rasch nacheinander drei Kindern das Leben geschenkt. Das erste, ein Mädchen, starb bald nach der Geburt; das zweite war ich – das dritte mein Bruder, der bei der Taufe den Namen Franz Xaver erhielt. Zu diesem Knaben, der, als er das Licht der Welt erblickte, schon ihre Züge trug, faßte unsere Mutter eine an Raserei grenzende Liebe. Sie erdrückte ihn fast mit ihrer Zärtlichkeit, verhätschelte und verzog ihn in jeder Weise, von nun ab eigentlich nur mehr für ihren Xaver lebend. Dieser aber hatte auch ihr heftiges Naturell ererbt, das bei ihm als äußerste kindliche Bosheit zutage trat. Schon in der allerersten Zeit unseres gemeinsamen Aufwachsens hatte ich darunter schwer zu leiden. Kaum, daß er seinen Willen nur einigermaßen frei betätigen konnte, entriß er mir alles, was mein war: jedes Spielzeug, jedes Naschwerk – ja selbst die mir zugemessene Nahrung, obgleich er die seine stets reichlicher und auch, wenn möglich, schmackhafter erhielt. Dabei behandelte er mich als Sklaven. Ich sollte ihm auf den Wink gehorchen, und wenn das nicht sofort geschah, schlug er in sinnloser Wut mit geballten Fäusten auf mich los. In angeborener Gutmütigkeit ließ ich es mir meistens gefallen; auch widerstrebte es mir, meine weit überlegene körperliche Kraft dem zartgebauten, schmächtigen Bruder gegenüber zur Geltung zu bringen. Das aber reizte ihn nur noch mehr. Er überbot sich in seinen Angriffen, und wenn ich ihn dann, zur Abwehr getrieben, mit einer gelinden Tätlichkeit in die Schranken wies, begann er augenblicklich zu heulen und lief zur Mutter mit der Anklage, ich hätte ihn mißhandelt, was mir ihrerseits heftige Schelte und oft genug auch Schläge eintrug. Dann jubelte er schadenfroh. Infolgedessen wurde ich begreiflicherweise immer duldsamer; er aber verachtete mich darob und verspottete meine Furchtsamkeit, wie er mich später auch stets einen Feigling nannte, wenn ich an seinen schlimmen Knabenstreichen nicht teilnehmen wollte. Ließ ich mich manchmal doch dazu herbei, so schob er, wenn wir ertappt wurden, die Schuld der Anstiftung auf mich, und so hatte ich zuletzt stets das Bad auszugießen. Als ich anfing, die Schule zu besuchen, trachtete er, mich durch allerlei Schabernack im Lernen und bei meinen schriftlichen Arbeiten zu stören; sein größtes Vergnügen war, meine Hefte und Bücher zu besudeln oder zu zerreißen. Trotzdem machte ich, da ich fleißig und aufmerksam war, gute Fortschritte, um die er mich, da er sich endlich selbst der Schule bequemen mußte, beneidete. Und dieser Neid steigerte sich allmählich zum Haß. Denn obgleich es ihm keineswegs an Fähigkeiten gebrach, war er doch ein abgesagter Feind alles Lernens. Er blieb vollständig zurück. Auch über sein sonstiges Verhalten hatten die Lehrer stets zu klagen, während ich – leider muß ich es aussprechen – zum Verdruß meiner Mutter die besten Zeugnisse mit nach Hause brachte. Sie aber hatte für meine Erfolge nur düstere Blicke und ärgerliches Schweigen. Auch mein Vater, der jedem Anlaß zu häuslichem Unfrieden ängstlich aus dem Wege ging, wagte es nicht, mich zu loben, und so kam es, da ich, um drohenden Zerwürfnissen vorzubeugen, mein Licht selbst unter dem Scheffel barg. Ich stellte mich allmählich träg, leichtsinnig und unwissend, blieb also auch schließlich in der Klasse weit zurück. Das aber gab ihm plötzlich den Ansporn, mich in seiner zu überflügeln, was ihm jetzt leicht genug gelang – zur großen Freude der Mutter, die mich nunmehr weniger lieblos behandelte, während er, hochmütig und stolz auf seine Siege, mich bei jeder Gelegenheit einen Dummkopf und Faulpelz nannte. Das waren die ersten Güsse des bitteren Trankes, mit dem mir mein Bruder den Kelch des Lebens füllte ... 3. III. Xaver galt also jetzt als der Begabtere, und vielleicht war er es auch, denn an Fähigkeiten fehlte es ihm, wie gesagt, nicht. Er sollte daher, den ehrgeizigen Plänen unserer Mutter gemäß, einer höheren Laufbahn zugeführt werden: er sollte ›studieren‹. Und so faßte man anfänglich das Gymnasium für ihn ins Auge. Dagegen aber sträubte er sich entschieden. Er wollte kein Bücherwurm, kein Kanzleihocker werden – viel lieber Techniker, Ingenieur oder Baumeister. Dieser Wunsch hing mit einer Familientradition zusammen, nach der ein Luigi Fossatti zu Padua ein berühmter Architekt gewesen sein sollte. Diesem nun wollte es Xaver seinerzeit gleichtun. Die Mutter, die keinen anderen Willen kannte, als den seinen, ging sofort lebhaft auf dieses Vorhaben ein, der Vater stimmte wie immer bei, und so sollte Xaver fürs erste die Realschule in Budweis besuchen. Obgleich unser Vater dort einige angesehene Geschäftsfreunde hatte, ja sogar ein näherer Verwandter von uns in dieser Stadt lebte, wollte doch die Mutter ihren Liebling um keinen Preis fremder Fürsorge anvertrauen; sie zog mit ihm nach Budweis, während ich bei dem Vater zurückblieb, um von ihm in das Geschäft eingeführt zu werden, das ich dereinst übernehmen sollte. Begreiflicherweise hatte ich die beiden nicht mit allzu schwerem Herzen ziehen gesehen, und ich glaube, daß auch der Vater meine Empfindungen teilte. Denn obgleich er seine Frau sehr liebte, vor Xaver schien er, gleich mir, eine Art Furcht zu haben. Jedenfalls war ihm das stille, unbehelligte Leben, das wir nun begannen, nicht unwillkommen, und da er keinen Grund mehr hatte, seine Zuneigung zu verbergen, so ließ er mir eine sanfte, gleichmäßige Zärtlichkeit zuteil werden, die mir unendlich wohl tat. Auch die Tätigkeit, der ich mich jetzt hingeben mußte, sagte mir zu. Freilich nicht so ganz die im eigentlichen Geschäft, desto mehr aber jene, welche mit unserer ausgebreiteten Landwirtschaft zusammenhing. Schon früher war es meine liebste Erholung gewesen, mit den Knechten und Mägden auf die Felder hinauszuziehen, zu ackern und zu säen und bei der Ernte Sichel oder Sense zu schwingen. Nun konnte ich gleich mit der Wintersaat beginnen, und wenn auch bald der Winter selbst hereinbrach, so boten mir doch die langen Abende Muße zum Lesen. In unserem Hause gab es einen großen Schrank voll alter Bücher, die niemand ansah. Ich selbst hatte zwar öfter darin gekramt, aber nur Bände hervorgeholt, die Kupfer oder Holzschnitte enthielten. Nun musterte ich alle durch, und wenn mir auch die meisten unverständlich erschienen, so fand sich doch einiges, das mich anzog und fesselte. Außerdem trug ich meine Spargroschen in die einzige Leihbibliothek des Städtchens, die von einem alten Tabakkrämer so nebenher geführt wurde. Da gab es denn, was mich entzückte: Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten. Aber ich stieß auch auf anderes, das in mir, wenn es mir auch nicht gleich behagen wollte, den Sinn für Besseres und einen gewissen Bildungstrieb erweckte. Ich bestimmte meinen Vater, eine damals weitverbreitete belletristische Monatsschrift zu halten, die auch gemeinverständliche wissenschaftliche Abhandlungen brachte. So war ich denn reichlich versorgt und kannte auch im Sommer kein schöneres Vergnügen, als nach getaner Arbeit oder an Sonntagen in einem unserer weitläufigen Gärten zu sitzen, ein Buch in der Hand. Das Glück dieses ruhigen Daseins wurde stellenweise unterbrochen durch das Eintreffen der Mutter und des Bruders. Außer den mehrwöchentlichen Ferien geschah dies regelmäßig zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten. Xaver benahm sich während seiner Anwesenheit derart, daß ich diesen festtäglichen Zeitpunkten stets mit dem größten Bangen entgegensah. Er fühlte sich jetzt ganz als ›Student‹ und ließ mir die verletzendste Geringschätzung zuteil werden. Besonders in Gegenwart anderer. Er nannte mich dann immer nur den ›jungen Lebküchler‹, und vor gleichaltrigen Mädchen, wenn wir mit solchen zusammen trafen, wurde er nicht müde, mich zu hänseln und in jeder Weise herabzusetzen. Frühreif, wie er war, ging er schon damals dem anderen Geschlechte nach; die Dienstmädchen im Hause wußten davon zu erzählen. Dennoch war er der allgemeine Liebling – und ich selbst konnte ihm eine gewisse Zuneigung nicht versagen. Seine jugendliche Schönheit, sein lebhaftes, wenn auch oft freches Wesen hatten etwas unwiderstehlich Anziehendes. Und er war ja doch mein Bruder! Wenn ich ihn auch begreiflicherweise nicht liebte – die Empfindung, daß uns eine Mutter geboren, wirkte in meinem Innern fort, und wenn er mir je zuweilen ein gutes Wort, einen freundlichen Blick gönnte, war ich fast bereit, alles zu vergeben und zu vergessen. Aber da ereignete sich etwas, das dieses Grundgefühl brüderlicher Zuneigung für immer in mir austilgte. Es war zu Ostern – und er mit der Mutter für drei Tage nach Krumau gekommen. Infolge einer Ausbesserung, die in unserer Wohnung vorgenommen werden mußte, schliefen wir in einer Stube. Sonst war es nicht der Fall gewesen, da er stets ein Zimmer für sich allein verlangte. In einem länglichen, ziemlich schmalen Raume standen unsere Betten; jedes an einer Seitenwand. Auf den Nachttischen hatten wir beide ein großes, mit Wasser gefülltes Glas stehen. Als wir uns zur Ruhe begaben, beliebte es ihm, wieder Unfug zu treiben. Er ergriff sein Glas und schüttete Wasser nach meinem Bette hinüber. Dieses Spiel wiederholte er in kurzen Zwischenpausen, so daß ich mich schon stark durchnäßt fühlte. Ich bat ihn jetzt, doch endlich aufzuhören. Statt dessen goß er das noch halbvolle Glas über mich aus. Darauf erwiderte ich mit einem ärgerlichen Ausruf den Guß, aber nur in geringem Maße. Niemals könnte ich den Ausdruck satanischer Wut vergessen, in der sich sein schönes Antlitz verzerrte. Und schon hatte er sein Glas mit solcher Gewalt nach mir hingeschleudert, daß es hart über meinem Kopf an der Wand zersplitterte. Wäre ich nicht instinktartig unter die Decke geschlüpft, er würde mich schwer verletzt – vielleicht getötet haben. Was ein anderer an meiner Stelle getan haben würde, weiß ich nicht. Mir selbst versagte jeder Laut; ich war wie erstarrt über diese Handlung, die mir den ganzen Abgrund seiner Herzlosigkeit aufdeckte. Er aber blies befriedigt das Licht aus, drehte sich gegen die Wand und schlief ein ... 4. IV. Die Fortschritte, die Xaver in der Realschule machte, waren nur gering. Im ersten Jahre schien er zwar ein fleißiger Schüler zu sein und hatte ein ganz hübsches Zeugnis aufzuweisen. Im zweiten aber ließ er nach – und im dritten versagte er ganz, so daß eine Wiederholung der Klasse in Aussicht stand. Als nun die Ferien zu Ende gingen, erklärte er, er wolle nicht weiter lernen, sondern Soldat werden. Die Lust dazu erwachte in ihm durch den Umstand, daß ein Infanterie-Bataillon nach Krumau in Station gekommen war. Das bunte militärische Treiben, das er täglich vor Augen hatte, das schmucke Äußere der Offiziere und das Ansehen, in dem sie standen, verlockten ihn um so mehr, als der Major und einige Offiziere, die unseren Laden besuchten, an der Erscheinung des lebhaften jungen Menschen – er war eben siebzehn Jahre alt geworden – Gefallen fanden und ihn gewissermaßen aufforderten, als Kadett einzutreten. Obgleich ihm unsere Mutter, wie gesagt, alles zu Willen tat, so widersetzte sie sich doch sehr heftig diesem Vorhaben. Denn wie hätte sie es übers Herz bringen können, ihren Liebling den Fährlichkeiten des Soldatenstandes preiszugeben, auch bebte sie schon vor dem bloßen Gedanken einer möglichen Trennung zurück. Da er aber mit leidenschaftlicher Hartnäckigkeit darauf bestand, und der Major wiederholt den Fürsprecher machte, so willigte sie endlich ein, halbwegs durch die Zusicherung getröstet, daß Xaver vorderhand in Krumau bleibe und höchstens nach Budweis, wo sich der Regimentsstab befand, versetzt werden könne. Der Vater wurde nicht lange gefragt; man nahm seine Zustimmung vorweg. So zeigte sich denn Xaver bald zur Augenweide aller jungen Mädchen in der funkelnden weißen Uniform mit rosenroten Aufschlägen, welcher Anblick auch die Mutter mit der unwillkommenen Berufswahl auszusöhnen schien. Aber auch ich setzte jetzt die Erfüllung eines langegehegten Wunsches durch. Ich durfte einen landwirtschaftlichen Kurs in dem benachbarten Städtchen Hohenfurt durchmachen. Dort stand ich unter der Obhut eines alten kinderlosen Ehepaares, das mich in jeder Hinsicht knapp hielt. Da es mir bloß ums Lernen zu tun war, gab ich mich ganz zufrieden; auch war mir ja überall wohler als daheim ... Als ich nach Ablauf eines Jahres zurückkehrte, traf ich Xaver nicht mehr an. Das Regiment war plötzlich wider alles Vermuten nach Innsbruck versetzt worden. Der Abschied, den die Mutter von ihm genommen, mußte ein herzzerreißender gewesen sein. Noch jetzt fand ich sie in trostloser Verzweiflung, nur an den Entfernten denkend, der ihrer Sehnsucht und Besorgnis nicht oft genug Nachricht geben konnte. Er aber ließ sie immer lange warten, schrieb kurz und flüchtig – meistens nur dann, wenn er Geld brauchte, das ihm natürlich sofort gesendet wurde. So vergingen zwei Jahre, und der Feldzug von 1859 bereitete sich vor. Da kam eines Tages von Xaver die Mitteilung, er sei Offizier geworden. Die Freude der Mutter war unbeschreiblich, und der Vater konnte nicht rasch genug die zur Equipierung nötige Summe abschicken. Bald darauf traf eine Photographie ein, die den jungen Leutnant darstellte. Dieses Konterfei wurde als Heiligtum betrachtet. Die Mutter wollte es gar nicht aus den Händen lassen. Es stand, sorgfältig eingerahmt, tagsüber vor ihr auf dem Tische, des Nachts an ihrem Bette. Jedermann mußte kommen und es bewundern. Aber dieser Jubel dauerte nicht lange, denn der Krieg begann, und Xaver war nach Italien abgezogen. Und nun kamen die von mütterlicher Angst durchtobten Tage und Nächte, die um so qualvoller waren, als Xaver gar keine Nachricht gab – vielleicht nicht geben konnte. So war man auf die zugänglichen Tagesblätter angewiesen, deren Berichte vom Kriegsschauplatze mit Zittern gelesen wurden. Endlich brachten sie die Kunde, daß der Feldzug zu Ende und der Friede geschlossen sei. Und nun schrieb auch Xaver, daß er bei Magenta und Solferino glücklich durchgekommen, Oberleutnant geworden sei und demnächst mit Urlaub zu Hause eintreffen werde. Alles Leid war jetzt vergessen und die Mutter konnte in ihrem Freudentaumel die Stunde des Wiedersehens kaum erwarten. Ich aber – so unnatürlich traurig war ich vom Schicksal gestellt – sah der Ankunft des Bruders mit doppeltem Bangen entgegen ... Ich hatte nämlich eine erste Herzensneigung zu der Tochter eines Kaufmanns gefaßt. Das Mädchen war zu Linz in einem Kloster erzogen worden und befand sich erst seit einem halben Jahre wieder dauernd im elterlichen Hause. Eine anmutige Blondine mit braunen Augen, die fröhlich in die Welt hineinblickten. Sie schien meine Empfindungen zu teilen; auch ihren Eltern, die mit uns näher bekannt waren, konnte eine eheliche Verbindung nicht unwillkommen sein. Wir galten also im Städtchen gewissermaßen als Verlobte, obgleich eine bestimmte Erklärung noch nicht erfolgt war. Und nun sollte mein Bruder kommen! Ich hatte sofort die Überzeugung, daß er mir das Mädchen entfremden – daß er es zu sich hinüberziehen werde. So geschah es. Kaum war er da, so hatte auch Hedwig kein Auge mehr für mich: es war, als hätte sie nur darauf gewartet, sich ihm in die Arme zu werfen. Ich brauche nicht erst zu sagen, daß sich zwischen den beiden ein Liebesverhältnis entspann, das ich insofern begünstigte, als ich mich mit dem bitteren Gefühl, gegen Xaver nicht aufkommen zu können, schweigend zurückgezogen hatte; auch schien den Eltern, die ziemlich wohlhabend waren, der glänzende Offizier als Eidam erwünschter zu sein, als der – Bauer, wie er mich jetzt nannte. Xaver hatte einen achtwöchentlichen Urlaub, der ihm auf sein Ansuchen um vierzehn Tage verlängert wurde. Endlich rückte die Zeit des Abschiedes heran. Da trat er eines Tages – ich war gerade von unseren Feldern nach Hause gekommen – in mein Zimmer. ›Nun,‹ sagte er ohne jede Einleitung, ›wann wirst du denn die Hedwig heiraten?‹ ›Ich?‹ erwiderte ich erstaunt. ›Ja, du. Du bist doch mit ihr verlobt.‹ ›Das war ich nie. Und wenn ich es auch gewesen wäre, so bist ja jetzt du –‹ ›Nun ja, ich hab' sie gern. Aber heiraten werd' ich sie nicht.‹ ›Warum denn nicht?‹ ›Ach was! Als Offizier – und so ein Mädel! Der Alte könnte zwar die Kaution hergeben. Aber es fällt mir nicht ein, so früh ins Joch zu kriechen.‹ ›Nun, das ist deine Sache‹, sagte ich und wollte das Gespräch abbrechen. ›Allerdings ist es meine Sache‹, fuhr er aufbrausend fort. ›Aber die Hedwig kann nicht so allein bleiben. Sie muß heiraten – und das bald.‹ Nun war mir alles klar. Er hatte Hedwig verführt – und ich sollte die Folgen auf mich nehmen! Die Ungeheuerlichkeit dieser Zumutung traf mich wie ein Keulenschlag vor die Stirn. Ich fand kein Wort der Erwiderung. Endlich hatte ich mich soweit gefaßt, daß ich sagen konnte: ›Darauf geb' ich gar keine Antwort.‹ ›Brauchst auch keine zu geben. Triff nur deine Anstalten, Hedwig ist ganz einverstanden.‹ Jetzt hatte ich auch die Erklärung für das rätselhafte Benehmen des Mädchens, das in letzter Zeit, gewiß auf seine Veranlassung, jede Gelegenheit benützt hatte, sich mir mit einschmeichelnder Freundlichkeit wieder zu nähern. Ein Abgrund tat sich vor mir auf Elender! wollte ich ausrufen – aber ich bezwang mich. Denn ich wußte: mit Heftigkeit war ihm gegenüber nichts auszurichten. Ich sagte daher, indem ich mich von ihm abwandte, mit möglichster Ruhe: ›Du begreifst, daß von dem allen zwischen uns nicht mehr die Rede sein kann.‹ ›Oho!‹ schrie er: ›Sträube dich nicht, es nützt dir nichts. Ich habe bereits die Sache mit unserer Mutter durchgesprochen. Du wirst Hedwig heiraten – und damit basta!‹ Er verließ das Zimmer, die Tür hinter sich zuwerfend. Als ich allein war, sank mir der Mut. Ich erkannte, daß sich da ein Netz über mich zusammengezogen hatte, dem ich nur durch einen Gewaltstreich entrinnen konnte. Welche verzweifelten Kämpfe standen mir jetzt bevor! Je länger ich darüber nachdachte, desto wehrloser fühlte ich mich .... Da geschah es, daß wir in der Nacht durch Feuerlärm geweckt wurden. Es brannte im oberen Stadtteil, wo sich das Haus des Kaufmanns befand. Dort war auch das Feuer ausgebrochen; im Magazin eingelagerter Spiritus hatte sich entzündet. So wurde das Gebäude von unten hinauf ergriffen und die Inwohner befanden sich in der entsetzlichsten Lage. Dennoch gelang es, sie zu retten. Hedwig aber, die aus ihrem Zimmer über eine schmale, bereits glimmende Holztreppe flüchten wollte, verlor, von der Glut umqualmt, die Besinnung, stürzte und erlitt schwere Brandwunden, denen sie schon am nächsten Morgen erlag. ›Schad' um das Mädel‹, sagte Xaver zu mir. ›Aber sei froh! Du brauchst sie jetzt nicht mehr zu heiraten.‹ 5. V. Rücksichtsloser Egoismus war der Grundzug seines Wesens. Aber er verband damit Eigenschaften, die nicht nur anderen, sondern auch ihm selbst verderblich wurden. Er war im höchsten Grade leichtsinnig, und sein Hang zu ausschweifendem Wohlleben kannte keine Grenzen. Budapest, wo jetzt sein Regiment lag, bot ihm alle Gelegenheit, sich die Zügel schießen zu lassen. Es war unglaublich, welche Summen er dort im Laufe zweier Jahre verausgabte. Nun waren wir allerdings wohlhabend, jedoch nur in schlicht bürgerlichem Sinne. Ein Sohn, der verschwenderisch in den Tag hineinlebte, mußte die Familie zugrunde richten. Das Gesicht unseres Vaters, der zu kränkeln begonnen hatte, wurde immer sorgenvoller – schließlich erklärte er, sich zu weiteren Leistungen nicht mehr herbeilassen zu können. Da berief sich die Mutter auf das Vermögen, das sie mitgebracht. Mein sie vergaß, wie geringfügig dieses gewesen, und daß es, wenn sie es mit Hinweis auf Xaver in Anschlag brachte, längst verausgabt war. Zudem kam noch, daß sich im Laufe der Zeit und ihrer Wandlungen ein allmählicher Niedergang unserer Verhältnisse bemerkbar gemacht hatte. Vor allem im Handelsgeschäft, das einst unter unseren Vorfahren den Wohlstand des Hauses begründet hatte. Der Begehr nach Wachs und Honig wurde immer geringer; auch unser Laden war inzwischen wirklich durch den eines Zuckerbäckers in den Schatten gestellt worden, daher sich unser Vater entschloß, das wenig einträgliche Gewerbe einem Mieter abzutreten. Wir waren also jetzt hauptsächlich auf unsere Liegenschaften angewiesen, die sich allerdings noch sehr ergiebig zu erweisen schienen. Als aber der Vater plötzlich starb, da zeigte sich, daß er, was ich bereits geahnt, schon längst gezwungen war, Geld auszunehmen, so zwar, daß er damit unseren ganzen Besitzstand schwer belastet – oder eigentlich überlastet hatte. Diesen durch pünktliche Verzinsung aufrecht zu erhalten, war jetzt im Einverständnisse mit unseren im allgemeinen nachsichtigen Gläubigern meine Aufgabe, an die ich mit redlichem Eifer ging, indem ich fürs erste alle Ausgaben auf das Notwendigste einschränkte. Mein Bruder, der, wie er mitteilte, diensteshalber bei dem Leichenbegängnisse nicht erscheinen konnte, erkundigte sich gleichwohl sofort nach seinem Erbteil. Der gerichtliche Bescheid, den er erhielt, tat ihm kund, daß er nicht das Geringste zu erwarten habe. Dennoch änderte er seine Lebensweise nicht, und da er kein Geld bekam, machte er Schulden, deren Zahlung er auf mich und die Mutter anweisen ließ. Um ihn nicht ins Verderben zu stürzen, geschah das Möglichste. Aber es nützte nichts. Eines Tages schrieb er, er habe gespielt – und ihm anvertraute Regimentsgelder verspielt. Wenn er nicht binnen achtundvierzig Stunden fünfhundert Gulden erhalte, sei er verloren – und es bleibe ihm nichts übrig, als sich zu erschießen. Das Geld hätte also sofort abgesendet werden müssen. Aber woher es nehmen? Zu erborgen war es in so kurzer Zeit nicht. Man kannte in der ganzen Stadt unsere Verhältnisse und war überall rückhältig und schwierig geworden. Die Mutter wußte jedoch, daß bei mir eine größere Summe in Bereitschaft lag. Es war der Zinsenbetrag für einen übelwollenden Gläubiger, der unserem Vater auf zwei große, für uns sehr wertvolle Grundstücke ein bedeutendes Darlehen gegeben hatte. Ich wußte: des Mannes Sinn stand nach den Grundstücken; erhielt er die Zinsen nicht am bestimmten Tage, so kündigte er das Kapital und verlangte die Feilbietung. Ich weigerte mich daher, das Depot anzugreifen. ›Willst du deinen Bruder morden?‹ rief die Mutter aus. ›Und auch mich? Denn das wisse nur: ich folge ihm nach!‹ Konnte ich anders? Ich sandte an Xaver die verlangte Summe. Was aber tat der Unselige? Er setzte sich damit noch in zwölfter Stunde an den Spieltisch – und verlor alles. So verfiel er seinem Schicksal. Er erschoß sich zwar nicht – aber er wurde kassiert und zu zweijähriger Festungshaft in Komorn verurteilt. Als die Mutter davon Kunde erhielt, fiel sie, wie ein gefällter Stamm, der Länge nach zu Boden. Der Schlag hatte sie gerührt. Sie erholte sich zwar wieder, aber sie blieb gelähmt. – Noch größeres Leid stand ihr bevor. Denn in ihrer allverzeihenden Liebe hatte sie sich früher, als man geglaubt hätte, mit den Ereignissen ausgesöhnt. Lebte doch Xaver! Was lag daran, daß er seine Charge verloren, daß er nunmehr vor der Welt entehrt dastand? Wenn er nur in zwei Jahren in ihre Arme zurückkehrte! Diese Erwartung, diese Zuversicht sprach aus ihrem schönen, jetzt schon durchfurchten Antlitz, leuchtete aus ihren dunklen Augen, wenn sie tagsüber regungslos im Lehnstuhle saß. Obgeich sie nie davon sprach, wußte ich doch, daß sie die Monde, Wochen, Tage und Stunden zählte. Wie vernichtend mußte es für sie gewesen sein, als sie endlich erfuhr, was ihr so lange wie möglich verschwiegen wurde! Xaver war mit einem anderen Sträfling, einem ehemaligen Geniehauptmann, der sich große Unterschleife hatte zuschulden kommen lassen, in einer stürmischen Spätherbstnacht aus der Festung entwichen. Trotz aller Bemühungen konnte man ihrer, da die Entweichung erst am nächsten Tage bemerkt wurde, nicht mehr habhaft werden. Es mußte den Flüchtlingen, so nahm man an, gelungen sein, in die Türkei zu entkommen. Ein furchtbares, markerschütterndes Stöhnen drang aus der Brust der unglückseligen Frau. Dann aber verstummte sie. Auch in den nächsten Tagen kam kein Laut über ihre Lippen, sie verschmähte Trank und Speise – bis sie endlich nach und nach das Dasein wieder aufnahm, in der erwachenden, nie sich erfüllenden Hoffnung, doch noch etwas von Xaver zu vernehmen. Ich, ihr erstgeborener Sohn, dessen Anblick, das fühlte ich, ihre Qualen verdoppelte, konnte ermessen, was in ihr vorging. So duldete sie noch drei Jahre. Dann fand man sie eines Morgens entseelt in ihrem Bette.« 6. VI. Der Pächter tat einen tiefen Atemzug und schwieg. Nach einer Weile fuhr er fort: »Schon während des letzten Lebensjahres der Mutter hatte ich unser Hauswesen nur mit äußerster Anstrengung aufrecht erhalten können. Die beiden bedeutenden Grundstücke waren natürlich schon damals unter den Hammer gekommen. Da nun schon der Anfang gemacht war, so folgten nach und nach auch die anderen Gläubiger dem Beispiel, unbekümmert darum, daß sie doch ihre Zinsen regelmäßig erhielten. So blieb uns zuletzt nichts als das Haus mit dem vermieteten Geschäft – und einige nicht sehr ergiebige Felder, aus denen ich zur Not unseren Lebensunterhalt herausschlug. Aber auch das war eigentlich unser Eigentum nicht mehr; ein wohlhabender Bäcker konnte jeden Tag davon Besitz ergreifen. Es erwies sich als gutmütiger Mann, und solange die Mutter lebte, verzichtete er darauf. Jetzt aber machte er seine Ansprüche geltend, indem er zu mir sagte: ›Seht, Herr Petzold, was nützt Euch der Rest, da ja doch alles andere verloren ist. Ihr verblutet Euch nur daran. Aber ich will Euch in anderer Weise unter die Arme greifen. Ein Bruder von mir, das wißt Ihr, ist Gutsinspektor auf einer Herrschaft in Mähren. Dort will man einen kleinen, aber recht ergiebigen Hof, seiner stark exponierten Lage wegen, verpachten. Doch nicht an den Nächstbesten, man sucht einen vertrauenswürdigen Mann. Als solchen kenne ich Euch – zudem seid Ihr ein ganz tüchtiger Ökonom, wenn Ihr auch unter fatalen Verhältnissen nicht habt aufkommen können. Reist also hin und seht Euch den Hof an. Gefällt er Euch, und glaubt Ihr, dort wirtschaften zu können, so will ich Euch gegen mäßige Verzinsung so viel vorstrecken, als Ihr braucht, um die ersten Anschaffungen zu machen und für ein paar Jahre hinaus mit dem Pachtschilling gedeckt zu sein.‹ Freudigen Herzens nahm ich das Anerbieten an. Wäre die Mutter nicht gewesen, für die mir zu sorgen oblag, ich würde mich schon längst nach einer Stelle umgesehen haben – und hätte ich mich irgendwo als Schaffer verdingen müssen. Nun aber war mir die unverhoffte Gelegenheit geboten, ein neues Heim zu gründen – und zwar nicht für mich allein. Das hing so zusammen. Unser Laden hatte im Laufe der Jahre wiederholt die Mieter gewechselt. Zuletzt war eine Frau an die Reihe gekommen, die Witwe eines Lebküchlers aus Hohenfurt, der dort mit seinem Geschäft zugrunde gegangen war; die Frau aber wollte sich mit Hilfe eines bewährten Altgesellen, der die Ware auf den Jahrmärkten vertreiben sollte, in Krumau wieder aufbringen. Sie hatte auch ein junges Mädchen mitgebracht. Ein zartes, schlankes Geschöpf mit mattbraunen Haaren, das als Verkäuferin hinter dem Ladentische saß und dabei mit Nähen von Weißzeug beschäftigt war, denn es kamen nicht allzu viele Kunden. In ihrem feinen blassen Gesichtchen lag eine stille Traurigkeit, die mich eigentümlich anzog, so daß ich, so oft ich vorüberkam, in den Laden spähte, um sie zu sehen. Zuweilen trat ich auch unter irgend einem Vorwand hinein, um ein paar Worte mit ihr zu wechseln und den sanften Klang ihrer Stimme zu vernehmen. Als dies wieder einmal geschah, fand ich das Mädchen wie gewöhnlich allein und bemerkte, daß die Lider ihrer großen hellgrauen Augen feucht und gerötet waren. ›Sie haben ja geweint‹, sagte ich. Statt aller Antwort brach sie in ein krampfhaftes Schluchzen aus. ›Mein Gott, was haben Sie denn?‹ ›Ich muß fort‹, erwiderte sie tonlos. ›Fort? Weshalb denn?‹ ›Die Frau will mich nicht länger behalten, weil ich nicht genug verkaufe. Kann ich dafür, daß die Leute so wenig Lebkuchen essen und keinen Met trinken wollen?‹ ›Gewiß nicht ... Aber sind Sie denn so gerne hier, daß Sie – –‹ ›Gerne? O nein! Die Frau hat mich immer schlecht behandelt. Sie gibt mir auch keinen Lohn, nur das bißchen Lebensunterhalt. Selbst von dem, was ich mir da mit Nähen verdiene, muß ich ihr die Hälfte ablassen. Aber ich bin doch irgendwo zu Hause. Und nun soll ich fort – und weiß nicht wohin.‹ ›Haben Sie denn niemanden – –‹ ›Nein. Ich bin eine Waise und stehe ganz allein.‹ Sie blickte vor sich hin wie ins Leere, in ihrer ganzen Erscheinung ein Bild verzweifelter Hilflosigkeit, die mir das Herz zerschnitt. ›Sie sind aus Hohenfurt – nicht wahr?‹ ›Ja. Aber dorthin zurück gehe ich nicht mehr – eher in den Tod!‹ Ihre Miene drückte eine solche Seelenangst, solches Entsetzen aus, daß mir jede weitere Frage auf den Lippen erstarb. Aber eine plötzliche Eingebung erfaßte mich. ›Verzweifeln Sie nicht‹, sagte ich nach einigem Besinnen. ›Vielleicht kann ich Ihnen helfen.‹ Sie faltete die Hände und sah mich mit erwartungsvollem Flehen an. ›O, wenn Sie das könnten!‹ ›Sie dürften wohl wissen,‹ fuhr ich fort, ›daß ich eine kranke Mutter habe. Seit einiger Zeit ist sie vollständig gelähmt und daher besonderer Pflege und Wartung bedürftig. Die Personen, die bis jetzt neben unserer alten Hausmagd damit betraut waren, haben sich teils ungeschickt, teils unzuverlässig erwiesen. Wie wäre es, wenn Sie? – – Aber freilich, es ist ein anstrengender, aufreibender Dienst‹, setzte ich mit einem unwillkürlichen Blick auf ihren schmächtigen Körper hinzu. ›O, ich bin nicht so schwach, wie ich aussehe‹, sagte sie rasch. ›Ich muß ja hier auch morgens und abends die Dienste einer Magd verrichten. Und in der Krankenpflege bin ich erfahren. Meine arme Mutter hatte ein schweres Gichtleiden und konnte vor ihrem Tode ein Jahr hindurch gar nicht mehr vom Bett aufstehen. Ich war ganz allein um sie – und dabei mußte ich noch für alles andere sorgen. Nehmen Sie mich nur, Sie werden zufrieden sein.‹ So traf Johanna – das war ihr Name – schon in den nächsten Tagen mit einem kleinen Koffer, der ihre wenigen Habseligkeiten enthielt, bei uns ein. Unsere alte Margaret betrachtete sie mit Mißtrauen, meine Mutter mit sichtlichem Widerwillen. Bald jedoch zeigte sich, welch einen Schatz von Sorgfalt, Hingebung und Umsicht wir an ihr gewonnen hatten, so daß die Kranke gezwungen war, ihre innere Abneigung zu verhehlen. Mir aber war jetzt in unserer öden, traurigen Häuslichkeit ein Lichtstrahl aufgegangen, der immer heller leuchtete, und von Tag zu Tag wuchs meine Neigung zu dem stillen, sanften Mädchen, das gleich mir schon früh das Unglück des Lebens kennen gelernt hatte. Sie war, wie ich nun von ihr selbst erfuhr, als uneheliches Kind geboren worden. Ihre Mutter hatte sich als Witwe eines untergeordneten städtischen Beamten, mit dem sie in kinderloser Ehe gelebt, noch in späteren Jahren vergangen und wurde infolgedessen von allen Verwandten und Bekannten in Acht und Bann getan. Sie ergab sich in ihr Los und fristete, da man ihr selbst die geringfügige Pension entzogen hatte, unter den dürftigsten Umständen sich und ihrem Kinde das Leben. Die Kleine aber hatte schon in der Schule die Härte und Grausamkeit der Lehrer, den Hohn und die Verachtung der Mitschülerinnen – und als sie heranwuchs, jede Pein weiblicher Armut zu erdulden. Sie nähte mit ihrer Mutter Weißzeug für die Leute. Aber auch da machte sich der Fluch ihrer Geburt für beide geltend. Denn verfemt, wie sie waren, konnten sie nur Arbeit erhalten, wenn sie diese um einen Spottpreis herstellten. Dadurch aber erregten sie Haß und Verfolgung bei anderen Näherinnen, die sich in ihrem Gewerbe beeinträchtigt sahen. Als die Mutter erkrankte und die Tochter sie betreuen mußte, stand der Hungertod vor der Tür. Was blieb übrig, als um Erbarmen zu flehen – und bei mütterlichen Anverwandten zu betteln. Welche Abweisungen, welche Erniedrigungen hatte sie da erfahren! Zuletzt noch, als die Mutter schon auf dem Sterbebette lag, einen schändlichen Antrag – fast eine Gewalttat, der sie sich nur mit Aufgebot ihrer ganzen jungfräulichen Kraft hatte entringen können. O, nun wußte ich, warum sie lieber in den Tod gehen, als nach Hohenfurt zurückkehren wollte! Doch nun fühlte ich auch, daß wir für einander bestimmt waren. Und als wir beide allein an der Leiche meiner Mutter standen, und Johanna mit gesenktem Haupt leise fragte, was jetzt mit ihr geschehen würde, breitete ich die Arme aus und schloß sie an die Brust. Im Frühling zog sie mit mir als mein Weib da herauf. 7. VII. Mein Bruder war verschollen. Obgleich ich wußte, daß er meiner Mutter Tag und Nacht im Sinne lag, hatte ich seiner doch immer weniger gedacht – und im ersten Jahre meines Glückes hatte ich ihn vergessen. Dann aber tauchte seltsamerweise die Erinnerung an ihn ganz plötzlich wieder in mir auf. Was war aus ihm geworden? Wo mochte er weilen? Diese Fragen begannen mich öfter und eindringlicher zu beschäftigen, und bei dem Gedanken, daß er eines Tages zurückkehren könnte, schnürte sich mir die Brust zusammen. Aber es gab ja gar keinen Anlaß zu solcher Befürchtung, und so suchte ich den gespenstischen Schatten immer wieder zu verscheuchen. Eines Abends – es war im Juni, und das Korn fing schon zu reifen an – saßen wir, Johanna und ich, auf dieser Bank. Wir hatten eben Milch und Brot eingenommen und blickten, die Hände ineinander gelegt, nach der untergehenden Sonne, deren letzte Strahlen den Waldrand vergoldeten. Da zeigte sich dort unten, den ansteigenden Feldrain betretend, eine männliche Gestalt in städtischer Sommertracht, einen hellen Hut auf dem Kopfe. Das ist Xaver! zuckte es in mir auf. Und er war es, der jetzt, Plaid und Reisetasche am geschulterten Stock tragend, emporschritt und bestäubt und sichtlich erschöpft auf uns zukam. ›Da ist ja endlich die Kaluppe!‹ rief er mit heiserer Stimme. ›Dachte schon, sie läge am Ende der Welt.‹ Damit ließ er seine Bürde zu Boden fallen und setzte sich auf die Bank, von der wir uns erhoben hatten. ›Na, was siehst du mich denn so an?‹ fuhr er gegen mich gewendet fort. ›Du wirst mich wohl noch kennen?‹ Ich vermochte nichts zu erwidern. ›Scheinst nicht sehr erfreut zu sein. Gleichviel. Ich bin nun einmal da. Und das ist wohl die Frau Schwägerin?‹ Er betrachtete die schlanke, hier oben zu zarter und lieblicher Fülle gediehene Gestalt Johannas mit jenem frech begehrlichen Blick, der ihm, Mädchen und jungen Frauen gegenüber, seit jeher eigen gewesen. ›Kein übler Geschmack. Aber gebt mir zu trinken! Die Zunge klebt mir am Gaumen. Wein mit Wasser. Ihr habt doch Wein?‹ Er sah mißtrauisch nach der Milchschüssel hin, die noch auf dem Tische stand. Wir hatten ein paar Flaschen im Keller, obgleich wir niemals davon tranken. Johanna ging ins Haus. Er folgte ihr mit den Augen. Dann blickte er in der Dämmerung um sich. ›Ihr lebt da von aller Welt abgeschieden. Das ist mir gerade recht. Aber du hast keine Lust, zu reden. Auch gut.‹ Er zog ein Tabaketui hervor und begann eine Zigarette zu drehen. Ich hatte mich einigermaßen gefaßt und betrachtete ihn, wie er so dasaß. Trotz feiner Kleider und einer goldenen Uhrkette an der Weste, sah er herabgekommen aus. In seinem Antlitz machte sich ein fremder, finsterer Zug geltend, den ein langer dunkler Bart noch schärfer hervorhob. ›Woher kommst du?‹ fragte ich jetzt. ›Woher? Von überall und nirgends. Zuletzt allerdings von Wien. Dort habe ich jemanden nach Krumau schreiben und Erkundigungen einziehen lassen – sonst könntest du dich wundern, daß ich dich so ohne weiteres aufgefunden habe.‹ ›Und was willst du hier?‹ ›Was ich will? Dableiben will ich. Denn hier vermutet mich niemand.‹ Johanna war mit Wein erschienen. Hinter ihr brachte die alte Margaret, die wir mit uns heraufgenommen, Wasser und einen Teller mit Brot und Butter. Als Xaver sie erblickte, rief er aus: ›Was! Die ist auch da! Das nenn' ich patriarchalisch!‹ Margaret aber trat ihm mit gefalteten Händen näher und sah ihm forschend ins Gesicht. ›Mein Gott, Herr Xaver, so seid Ihr es wirklich? Wenn das die Frau Mutter noch – –‹ Sie brach in Tränen aus. ›Plärr' nicht!‹ herrschte er sie an. ›Davon bin ich kein Freund.‹ Er mischte sich den Wein und leerte rasch nacheinander ein paar Gläser. Den Teller schob er zurück. ›Gegessen hab' ich schon,‹ sagte er gähnend, ›unten im Markt. Aber ich bin hundemüd' und möchte schlafen. Es gibt doch ein Zimmer für mich?‹ Es gab eines, das schon früher immer als Gaststube gegolten. Auch wir hatten ein Bett hineinstellen lassen. Ratlos, wie ich noch immer war, erteilte ich Margaret den Auftrag, ihn hinzuführen. ›Also komm, alte Wetterhexe!‹ sagte er. ›Nimm dort die Sachen auf! Gute Nacht, schöne Schwägerin. Auf Wiedersehen morgen. Wir wollen gute Freunde werden. Eine Flasche könnt ihr mir noch bringen lassen!‹ Er ging und wir blieben allein in der Dunkelheit zurück, die inzwischen hereingebrochen war. ›Das also ist dein Bruder?‹ sagte Johanna tonlos, nachdem wir beide lange geschwiegen. Ich bejahte stumm. ›Ein entsetzlicher Mensch.‹ Sie schauderte. ›Das ist er. Allem Anscheine nach wird er verfolgt und will sich hier verbergen.‹ ›Mein Gott! Was werden wir da tun?‹ ›Das weiß ich nicht. Aber er muß fort – und wenn es zum äußersten käme.‹ Sie sah mich angstvoll an. Dann gingen wir ins Haus, wo wir eine schlaflose Nacht zubrachten. 8. VIII. Am nächsten Morgen hatte ich meinen Entschluß gefaßt. Ich setzte mich hin und schrieb eine Anzeige an das Bezirksgericht, daß mein Bruder Franz Xaver Petzold, der im Jahre 1863 aus der Festungshaft in Komorn entwichen war, sich seit gestern abend bei mir befinde. Dann siegelte ich das Papier ein und steckte es zu mir. ›So,‹ sagte ich zu Johanna, die totenblaß aussah, ›jetzt gehe ich zu ihm hinüber und werde ihn auffordern, unser Haus zu verlassen.‹ ›Er wird es nicht tun.‹ ›Das glaube ich auch. Aber dann werde ich ihm sagen, daß ich ihn anzeigen muß.‹ ›Das willst du ihm sagen!‹ rief sie. ›Ich lasse ihm die Wahl. Ihn ohne weiteres anzuzeigen, wie ich eigentlich sollte, geht trotz allem, was er mir angetan, wider mein Gefühl.‹ ›Du bist gut‹, sagte sie. ›Er aber – – Nimm dich in acht! Er ist zu allem fähig.‹ ›Ich weiß es und bin daher auch auf alles gefaßt. Du kannst einstweilen unserem Knecht den Auftrag geben, daß er sich zu einem Gang nach dem Marktflecken bereit halte.‹ Sie sah mich mit ihren schimmernden Augen in stummer Seelenangst an. Dann warf sie sich an meine Brust und umschlang mich mit beiden Armen. ›Geh' nicht!‹ flehte sie. Ich machte mich mit sanfter Gewalt los und strich mit der Hand über ihren braunen Scheitel. ›Beruhige dich. Es geschieht nur, was geschehen muß. Er hat mich immer schwach und hilflos wie ein Kind gesehen. Nun aber zwingt mich das Schicksal, ihm als Mann gegenüberzutreten – und er wird ihn an mir finden.‹ Mit diesem Gefühl suchte ich das Zimmer im Hinterhause auf, wo sich mein Bruder befand. Der kurze Seitengang, der dahin führt, ist um einige Stufen erhöht. Das Zimmer selbst hat zwei Fenster. Ein größeres, dem Hofe zu; ein kleineres, das mit einem Vorhang verhüllt war, geht nahe der Tür auf den Gang hinaus. Als ich bei Xaver eintrat, lag er noch im Bett und rauchte eine Zigarette. Neben ihm auf dem Tisch stand eine Tasse mit schwarzem Kaffee, den ihm Margaret auf sein Geheiß bereitet hatte. ›Ah, du bist's‹, rief er mir entgegen. ›Da kannst du gleich von mir hören, daß das Bett miserabel ist, ihr müßt das Zeug umtauschen.‹ ›Das wird nicht mehr notwendig sein‹, erwiderte ich. ›Wieso nicht notwendig?‹ ›Weil du nicht mehr hier schlafen wirst.‹ Er runzelte die Brauen. ›Warum nicht?‹ ›Weil du wohl selbst einsehen wirst, daß ich dich nicht länger beherbergen kann.‹ Er hatte sich im Bett aufgesetzt und betrachtete mich mit einem bösen Blick. ›Was soll das alles heißen? Warum kannst du mich nicht länger beherbergen?‹ ›Weil du ein Flüchtling bist, und ich mich nicht der Gefahr aussetzen kann, daß man dich hier findet.‹ ›Immer der alte Feigling!‹ sagte er verächtlich. ›Und was wäre denn dabei, wenn man dich auch einmal für ein paar Monate hinter Schloß und Riegel setzte? – Aber wer soll mich denn finden? Glaubst du, ich habe den Leuten in Ägypten auf die Nase gebunden, daß in Österreich ein Bruder von mir lebt? Ich heiße schon lange nicht mehr Petzold.‹ Er war aufgestanden und langte nach seinen Kleidern. ›Du kommst also aus Ägypten –‹ ›Ja, von dorther komme ich‹, erwiderte er, während er die Schuhe anzog. ›Aber auf Umwegen über Marseille, wo ich glücklich durchgewischt bin. Du siehst also, daß mich niemand hier suchen wird. Denn an die Festungsgeschichte denkt kein Mensch mehr.‹ ›Aber ich denke daran‹, sagte ich. ›Und es verträgt sich nicht mit meinem Gewissen, dir Aufenthalt zu gewähren.‹ ›Mit deinem Gewissen!‹ höhnte er. ›Ich kümmre mich den Teufel um dein Gewissen. Ich bleibe jetzt da, bis ich anderwärts Luft kriege.‹ ›Und wenn ich dich anzeige?‹ Er verfärbte sich. Aber wie ich sehr wohl erkannte, nicht vor Schreck, sondern aus Zorn darüber, daß ich ein solches Wort auszusprechen wagte. ›Anzeigen willst du mich, du Memme? Sag' das noch einmal!‹ ›Ich sage es nicht, ich werde es tun!‹ Es war, als wollte er auf mich losstürzen. Aber in seiner Art, mich für nichts zu achten, wandte er sich mit einer Gebärde der Geringschätzung ab. ›Lächerlich!‹ sagte er. ›Du wirst es nicht lächerlich finden, wenn man dich in zwei Stunden verhaftet. Die Anzeige – ich wies sie ihm – ist schon geschrieben, und der Knecht wartet, der sie zu Gericht bringen soll.‹ Nun merkte er, daß es Erust werde. Sein Antlitz verzerrte sich wie damals, als er das Glas nach mir geschleudert hatte. Rasch trat er auf seinen Reisesack zu, der offen auf einem Stuhl lag, und riß ein Doppelterzerol daraus hervor. Beide Hähne knackten. ›Wenn du mich anzeigen willst, muß ich dich niederschießen wie einen Hund!‹ knirschte er, bebend vor Wut. In diesem Augenblicke glaubte ich draußen leise Schritte zu vernehmen. Die Situation jedoch war derart, daß ich sie nicht beachten konnte. Ich fühlte, daß er schießen werde. Nur wenn ich mich sofort auf ihn warf, konnte ich es verhindern. Ich tat es. Aber er hatte auch schon losgedrückt. Der Knall ertönte, die Kugel pfiff und schlug durch die Scheiben des Fensters nächst der Tür. In dem atemlosen Ringkampf, der jetzt entstand, entlud sich der zweite Lauf gegen den Boden. Nun schleuderte ich Xaver von mir, daß er bis an das Bett zurücktaumelte. ›Dein Glück!‹ rief ich ihm zu. ›Sonst wärest du dem Henker verfallen!‹ Ich öffnete die Tür, trat hinaus – und erstarrte. Unter dem Fenster lag mein Weib mit blutender Stirn. Unser Knecht war über sie gebeugt. ›Da seht nur her‹, stammelte er. ›Die Frau hatte Angst um Euch – sie wollte am Fenster horchen – da kam die Kugel – Jesus Maria!‹ Was soll ich Ihnen weiter sagen – sie war tot ......« * * * »Und Ihr Bruder?« fragte ich jetzt. »Mein Bruder lebt – im Kerker. Aber er wird wieder frei werden. Wer weiß, was mir noch von ihm bevorsteht. Denn das Kapital, das mir der Bäcker in Krumau vorgestreckt hat, ist noch lange nicht abgezahlt. Und ich möchte keine Schuld zurücklassen, wenn ich aus der Welt gehe.«