Vergessene Liebe Wie oft Erinn'rung plötzlich sich erneut! – Im letzten Carneval, nach einem Fest, Das stolz verschwenderisch der Reichthum gab, Ging ich nach Haus in früher Morgenstunde, Die, noch gehüllt in Nacht, das erste Regen Geschäft'gen Tagwerks meinen Blicken wies. Halb offen standen schon die Bäckerläden; Schlaftrunk'ne Gäule zogen hinter sich die Karren Mit Milch und mit Gemüse nach dem Markt, Allwo beim Scheine wandelnder Laternen Die Hökerweiber ihre Plätze suchten. Und da mit einem Male sah ich mich Zurückversetzt im Geist um dreißig Jahre, Und sah mich selbst, wie ich als schmächt'ges Bürschchen, Im grauen, schlotternden Soldatenmantel, Die blaue Mütze in's Gesicht gezogen, Mich aus der schlafenden Kaserne schlich Zu einem Stelldichein im Morgengrau'n. – Die ich erwartete, sie war das Kind Von armen Leuten, anvertraut dem Ohm, Der mit der spinnendürren Ehehälfte Für das Soldatenvolk in kleiner Stadt Mit Lebensmitteln dürft'gen Handel trieb. Dort wurde sie gebraucht zu nied'rem Dienst: Sie schenkte voll das leere Branntweinglas Und schnitt den Bissen ab dem Fordernden; Jedoch sie that's wie eine Königin – Und war so schön auch! Hoch und stolz gewachsen – Vielleicht zu voll für ihre Jahre schon – Trug sie das Haupt erhoben, das umwunden Endlos von dunkelbrauner Flechte war. Hell schimmerte ihr Antlitz wie die Rose, Und Augen hatte sie von jenem Blau, Mit dem Cyanen leuchten aus dem Korn, Und wie die Kirsche war ihr kleiner Mund, Der trotzig aufgeworfen, Perlen wies. Wir fanden uns beim ersten Seh'n. So kam's, Daß ich nun öfter, als erklärlich schien, In jene Bude trat und länger weilte, Als üblich sonst zur Zehrung von der Faust. Die Alte merkte bald, warum ich kam, Und schickte stets sogleich das Mädchen fort – Zuletzt auch mich, mit schnöden Worten drohend. Doch Liebe, heißt es, findet ihre Wege, Und jenes Stelldichein, Glock' sechs am Morgen, Wo meine Schöne, um des Tag's Bedarf Zu dem entfernten Bäcker eilen mußte, War ein Beweis, wie sehr das Sprichwort trifft. Ich wartete – sie kam. Um's Haupt geschlagen Ein warmes Tuch, und auch den Korb am Arm. In stummer Eile huschten wir dahin An stummen Häusern, bis ein altes Thor Erreicht wir hatten, das mit off'ner Halle In's Freie führte. Mittwoch war es und Auch Wochenmarkt, der dort gehalten wurde Auf wüstem Platz. Mit Wagen kamen schon Die Bauern; Schafe blökten, Kühe brüllten – Und vor uns lag, bei irrem Schein von Lichtern, Ein wirres Durcheinander aufgerollt. Doch wir, geborgen in der Halle Dunkel, Der eis'gen Luft, die sie durchstrich, nicht achtend, Versanken ganz in die entzückten Wonnen Des ersten sel'gen Beieinanderseins – Bis uns der helle Tagesschein erschreckend Um die erglühten Wangen leuchtete. Sie fuhr empor: »So spät schon – ach so spät!« Rief sie, den Korb ergreifend: »morgen wieder!« Und meinen letzten Küssen sich entringend, Enteilte sie ... Das »Morgen« kam und auch das Übermorgen – Und auch der dritte Tag: doch sie kam nicht. Im Tiefsten krank von Sorge und von Sehnsucht, Strich an dem kleinen Laden ich vorüber, Sah in die Fenster, blickte durch die Thür, Trat auch hinein – sie aber blieb verschwunden. Die Frage wagt' ich nicht; doch gute Freunde, Die stets Verkünder sind jedweden Unheils, Erzählten mir: es hätte schlimmen Zwist Gegeben und der Oheim hätte gestern Das schlechte Ding zurück geschickt den Eltern – Wie viele Meilen weit, sie wüßten's nicht ... Das Alles, längst vergessen, kaum mehr wahr, Stand jetzt vor mir, fast greifbar wachgerufen Vom morgendlichen Treiben um mich her. Es war, als lebt' ich's heut', und durch die Seele Ging wonnig weh das ganze Hochentzücken, Der ganze Schmerz mir jener frühen Liebe ... Wie oft Erinn'rung plötzlich sich erneut!