10. Fürstenspiegel 1. Es ist ein kleiner Fürst im Land, den groß ich preise, Den, weil er nicht will laut gelobt sein, lob' ich leise. Er hat die Fürstlichkeit erkannt in ihrem Wesen Und will den Titelprunk nicht hören und nicht lesen. Die Schranken hat er weggehoben zwischen sich Und seinem Volk, das frei ihm nahn darf männiglich. Er will den Zugang nicht zu seinem Ohr verteuert, Und die Erlaubnis, ihn zu bitten, unbesteuert, Er will beweisen, daß ein Fürst noch mit Vertrau'n Kann auf sein Volk, ein Volk auf seinen Fürsten schaun. O mög' er den Beweis, der not thut, glänzend führen In dieser Zeit, wo sich des Mißtrau'ns Feuer schüren. Ihr größern, schaut auf ihn und nehmt von ihm ein Zeichen! Wie müßt ihr wachsen noch, wenn ihr ihn wollt erreichen! 2. Die größten Fürsten all, die auf des Ruhmes Bahnen Bei Hindus wandelten und bei den Muselmanen, Sie hatten einen Brauch, mit abgelegten Zeichen Des Standes unterm Volk vermummt umherzuschleichen, Um zu erfahren, was sie sonst nicht leicht erfuhren, Was man von ihnen denk' in Hütten und auf Fluren. Doch hielten sie dabei streng ein Gesetz, den Leuten Nie das Verborgene verborgen anzudeuten, Noch minder, in des Zorns und Ungestüms Entwallen, Der Roll', in der sie aufgetreten, zu entfallen; Still, was Ersprießliches sie hörten, zu ermessen, Und was Verdrießliches, als Fürsten zu vergessen. 3. Bedachtet ihr einmal, was die Unsterblichkeit, Nach der ihr trachtet, ist, ihr Könige der Zeit! Denkmale stiftet ihr, Bildwerke, Riesenmauern; Die Nachwelt staunt sie an und dankt nicht den Erbauern. Und wenn man fraget nach dem Namen, wird man sagen: Hoch kam zu Ehren Stein und Erz in dessen Tagen. War auch so wohlgefugt des Landes Lust und Glück, Wie Stein und Erz, so ganz aus einem Guß und Stück? Er hat die Ewigkeit gesucht in Stein und Erzen Und nach dem Denkmal nicht gefragt in Menschenherzen. So sei auf ewig denn der Namen eingeschrieben In Stein und Erz, anstatt in Herzen, welche lieben.