Eginhard und Emma. (Ingelheimer Novelle.) Mehrere Jungfrauen von ausgezeichneter Körperhaltung standen vor einem umgestürzten Baumstamme, über welchen ein Hirsch, von den Jagdhunden verfolgt, soeben hinweggesprungen war. Eins der Mädchen hatte einen Pfeil von ihrem Bogen auf ihn entsendet und lehnte nur ihr Knie an die umgestürzte Eiche. Eine andere hatte bereits den einen Fuß über die Eiche gesetzt und den Jagdspeer erhoben, um ihn nach dem Hirsche zu werfen, der noch einmal vom Boden aufsprang. Dabei strauchelte sie und hätte vielleicht ein Bein brechen können. Doch eine kräftige Mannesgestalt, die neben ihr stand, streckte die Hand nach ihr aus, ergriff sie am Oberarm und hielt sie einen Augenblick fest, sodaß der Fall abgewendet wurde. In dem gefährlichen Augenblicke hatten beide einander scharf in's Auge gesehen. Jetzt trat der Jäger ehrfurchtsvoll einige Schritte von der Jungfrau zurück. Auf diese Waldlichtung trat soeben aus den Eichen ein Mann, dessen gewaltige Erscheinung in jeder Beziehung über das gewöhnliche menschliche Maß hinaus ragte. Sein Körper war breit und kräftig und sieben Fuß lang. Seine Glieder waren ebenmäßig, nur sein Nacken etwas kurz und dick. Der runde Kopf war bedeckt mit wallendem Haare, welches bereits silberweiß wurde. Groß und gewaltig waren seine Augen. Seine männliche Haltung, sein fester Gang boten einen stattlichen und würdigen Anblick dar. Dieser Mann war König Karl, der im Odenwalde jagte. Heiter, freundlich und milde war sein Gesicht, auch hätte man nicht anders glauben können, als daß seine Gesundheit unerschütterlich sei. Seine Beine waren umwunden mit Binden, seine Füße bedeckt mit Schuhen und weil es im Winter war, so wallte ein Seehundspelz als Mantel um seine Brust und Schultern. An der langen, eisernen, schweren Lanze war Kaiser Karolus kenntlich, welcher mit seinen Töchtern im Odenwalde auf die Jagd gezogen war. Seine Töchter liebte er nach dem Tode der Mutter über Alles. Er verhinderte ihre Vermählung, und selten durften sie ihn in Friedenszeiten verlassen. Mit einer für einen so gewaltigen Körper etwas zu wenig männlich klingenden, feinen und hellen Stimme rief er die Hunde zurück, die sich noch über den bereits verendenden Hirsch warfen. Alsdann trat er zu einer seiner Töchter – es war die schönste von allen – und forschte, ob ihr Fuß verrenkt sei. Seine Besorgnis war unbegründet. Während der Untersuchung, die er deshalb angestellt hatte, war der Jäger, der zuerst neben der Jungfrau gestanden hatte, bereits wieder in den dichteren Eichenwald eingetreten. Doch ließ er hier die Jagdgesellschaft an sich vorbeigehen und wartete, bis Emma, die er vor dem Falle bewahrt hatte, ihnen nachkam. Es zeigte sich, daß sie doch der Gesellschaft nur schwer folgen konnte. Da sich unter diesen Umständen Niemand weiter um die beiden kümmerte, so nahm sie im Weiterschreiten mancherlei Hilfe von ihrem Begleiter – es war Eginhard – mit dankbaren Blicken an. Man hatte nicht mehr weit, bis man auf die kaiserlichen Diener traf. Der Kaiser empfahl ihnen seine noch immer etwas hinkende Tochter und winkte Eginhard herbei, worauf beide im lebhaften Gespräche mit einander die nur noch kurze Fußwanderung fortsetzten. Bald traf man auf die kaiserlichen Wagen und Reitpferde. Hier bestieg die Jagdgesellschaft die Rosse. Nur Emma wurde auf einem Wagen nach Ingelheim gefahren, wohin auch der tote Hirsch durch das Gesinde auf einem Fuhrwerke und zuletzt auf einem Kahne gebracht wurde. Als man in der kaiserlichen Pfalz zu Ingelheim anlangte, fand man daselbst den Abt von Corvei, einen Verwandten des Kaisers. Er war mit seinen Mönchen von den heidnischen Sachsen aus seinem an der Weser gelegenen Kloster vertrieben worden. Wegen des Berichtes, welchen er dem Kaiser abstattete, beschloß dieser einen neuen Feldzug gegen die Sachsen, für welchen jedoch erst eine längere Vorbereitung getroffen werden sollte. Emma konnte bald wieder mit ihren Schwestern an den Jagden des Kaisers teilnehmen. An den Abenden las Eginhard dem Kaiser und seinen Töchtern die alten Heldenlieder vor, die er zu diesem Zwecke sorgfältig sammelte, denn der fromme Kaiser zeigte sich auch darin groß, daß er für diese weltlichen Lieder ein tiefes Verständnis besaß. Von allen Andern hörte Eginhard niemand so eifrig zu als Emma. Einer der Gäste Karls des Großen, die bei diesen Abendgesellschaften zugegen waren, machte manche Einwendungen gegen die alten Heldenlieder, die an manchen Stellen noch recht heidnisch klangen. Es war dies der Vetter des Kaisers, der Abt Adelhord von Corvei, der mit Karl dem Großen erzogen war. Zu Anfang des Sommers zog der Kaiser in den Krieg gegen die Sachsen. Zum ersten Male seit längerer Zeit begleitete ihn diesmal Eginhard nicht auf seinen Fahrten. Karl übergab ihm die Aufsicht über das Kaiserhaus zu Ingelheim, welches Eginhard selbst gebaut hatte. Dazu empfahl er ihm sein ganzes Hauswesen. Jedoch blieb auch der Abt von Corvei bei der Familie des Kaisers zurück, welcher ihm ganz besonders die Sorge um seine Töchter empfahl. Wenn die Gesellschaft in der Kaiserpfalz sich jetzt am Abende versammelte, so war Karl der Große fast der einzige Gegenstand des Gespräches. Eines Abends sagte Eginhard, welcher später der Geschichtsschreiber des Kaisers wurde: »Ist es nicht seltsam, daß unser König und Herr schon jetzt den Beinamen der Große führt? Sollten nicht andere Helden einen so ruhmvollen Beinamen erst später erhalten haben?« Der Abt lächelte und sprach: »Karl hat den Beinamen der Große schon in der Jugend empfangen. Damals bereits war er gewaltig stark und kühn und tötete zwischen Tongern und Mastricht einen großen und grimmigen Bären. Dabei war unsere Muhme, die heilige Aebtissin Landrada zugegen, diese hat ihn zuerst für diese That den großen Karolus genannt.« Die Abendunterhaltungen Eginhard's mit dem Abte dienten für jenen dazu, sich über die Kriege des Kaisers mit den Sachsen noch mancherlei Belehrung für seine geschichtlichen Forschungen zu verschaffen. So erzählte der Abt: »Schon Karl Martel hatte das Christentum mit Feuer und Schwert unter den Sachsen zu verbreiten gesucht. Pipin war es im Verein mit seinem Bruder sogar schon gelungen, den südlichen, Thüringen benachbarten Teil Sachsens zu unterwerfen. Auch Pipin bekehrte die Heiden mit Gewalt. Kirchen und Klöster ließ er in der Nähe als Pflanzstätten christlichen Glaubens anlegen. Vielleicht hätte er die Unterjochung und Bekehrung der Sachsen zu Ende führen können. Doch nahm Aquitanien während seiner noch übrigen Lebenszeit zu sehr seine Wirksamkeit in Anspruch.« Hier ergriff Eginhard das Wort und sprach: »Was der Vater ruhmreich begonnen hat, wird der Sohn glücklich zu Ende führen. Alle Kriegszüge, Ueberfälle, Versprechungen und Wortbrüche, welche den Krieg endlos in die Länge zu ziehen scheinen, werden den Sachsen nichts helfen.« Auf eine Zwischenfrage Emma's, welche sich als Frankin über das Nachbarvolk der Sachsen zu belehren suchte, erwiderte der Abt von Corvei: »Die Sachsen wohnen jetzt vom rechten Ufer des Rheines bis zur Elbe, von der Eider bis zur Werra und Fulda. Sie zerfallen in die Westfalen, Engern und Ostfalen. Ihr Glaube ist roh, die Art ihrer Verteidigung wild, barbarisch ihr Recht. Mit vieler Zähigkeit halten sie an ihrer alten Freiheitfest.« »Ihre verschiedenen Stämme passen aber wenig zusammen. Es sind freie Gemeinschaften, die erst für den Krieg zusammentreten und sich einen Führer wählen. Ein solcher mag Wittekind sein, der aber nicht als angestammter Häuptling aller Sachsen betrachtet werden kann.« Und Eginhard sagte: »Durch räuberische Ueberfälle, durch Mord, Brand, Plünderung und massenhafte Zerstörung unserer Kirchen sind sie uns Franken schon gefährlich gewesen, seit wir das Christentum angenommen haben. Sind die sächsischen Besitzungen von den fränkischen doch nur durch ebene und niedrige Waldgebirge getrennt.« Mit Wärme sprach dann der Abt: »Mehrmals hat der Kaiser den Sachsen vertraut. Er glaubte, daß in ihrem Lande alles beruhigt sei. So sandte er denn fränkische und sächsische Truppen gemeinschaftlich aus, um die benachbarten slavischen Sorben für ihre Einfälle nach Thüringen zu bestrafen. Dann kehrte aber Wittekind, der Sachsen hatte verlassen müssen, heimlich zurück und fachte im Rücken dieser Schar einen neuen Aufstand an. Für das Heer des Kaisers erwuchs dadurch eine große Gefahr und der Kaiser mußte zu den schärfsten Maßregeln greifen. Mächtig wuchs die Erbitterung der Sachsen. Es schien ihnen jetzt zu gelingen, sich zu größeren Massen zu vereinigen. Aber Karl schlug sie dennoch und verwüstete ihre Fluren bis zur Saale und Elbe.« »Die Gesetze, die nun von Karl den Sachsen gegeben wurden, waren blutig«, bemerkte Eginhard. »Fast auf Allem steht der Tod, aber solche Strenge war nun nicht mehr zu vermeiden.« Hier sagte der Abt: »Stellt nicht der Kaiser trotzdem die christliche Kirche für die Heiden als eine Versöhnerin hin? Ist nicht der Sachse, welcher sich in unsere heiligen Stätten flüchtet, selbst vor dem fränkischen Rächerarme geschützt? Ist nicht jedem das Leben geschenkt, welcher bußfertig einem christlichen Priester sein Verbrechen bekennt?« Nun bemerkte Eginhard: »Der Kaiser ist auch gerecht. Nicht bloß die Sachsen sollen den ungewohnten Zehnten geben, der königliche Schatz entrichtet ihn selbst von den eingelaufenen Buß- und Friedensgeldern.« »Es ist gewiß«, rief der Abt, »daß die Bestrebungen des Königs die rechten sind. König und Papst, Bischof und Graf müssen Hand in Hand gehen: nur so kann Land und Volk gedeihen!« Unter solchen und ähnlichen Unterhaltungen vergingen die Abende, bis der Hochsommer kam und man dieselben mehr in den königlichen Gärten zubrachte. Schon zu dieser Zeit hatten die Bestrebungen Karls für Landwirtschaft, Weinberge und Gartenbau besonders in Ingelheim eine große Bedeutung gehabt. Allerdings war es damals noch nicht möglich, daß die Gärten zu Ingelheim als Muster dienen konnten für ganz Deutschland bis an die Elbe hin. Aber was damals schon von Eginhard und Emma in der Kunst des Gartenbaues geleistet wurde, ist so bald als das Land der Sachsen sich vollständig beruhigt hatte, gerade in Niedersachsen mit immer wachsender Begierde nachgeahmt worden. So kommt es denn, daß der deutsche Bauerngarten noch jetzt bis an die Elbe, ja bis an die Oder und Weichsel hin, dieselben Einrichtungen aufzuweisen hat, wie sie zuerst in Ingelheim getroffen worden sind. Die Küchengewächse, Obstbäume und Blumen, deren Anblick uns jetzt in jedem Bauerngarten erquickt, hatten sich eben damals erst an den rheinischen Boden gewöhnt und wurden auf Befehl des Königs Karl unter der Aufsicht Eginhard's und Emma's sowie des Abtes von Corvei in Ingelheim gebaut. Einige der Gärten zu Ingelheim, welche am weitesten vom Königshofe ablagen, waren mit Erde umfriedet und mit Felsstücken wie durch eine Mauer gesichert. Diejenigen, die sich unmittelbar an den Hof anschlossen, waren mit dicht in einander verwachsenen Hecken von Haselnüssen umgeben. Aus diesen ragte hier und da ein Vogelbeerbaum hervor, dessen kleine, doldenartig gewachsenen Früchte sich bereits gerötet hatten. Die Zweige des Birnbaumes mit den frischglänzenden Blättern schlossen sich zu runden Wipfeln. Oft unschön waren die Pflaumen- und Apfelbäume gestaltet. Aber die Apfelbäume hatten vorsorglich ihre Aeste ausgebreitet, um ihre runden Bälle dem reifenden Sonnenstrahle entgegenzuhalten. Unter diesen Obstbäumen sah man Eginhard und Emma im Herbst eifrig hin- und hergehen. Dort bestieg Eginhard vermittelst einer Leiter selbst einen Baum, brach die Früchte in einen Korb und ließ ihn zu der gerade unter ihm stehenden Emma herunter. Aber auch in den Gemüsegärten begleitete Eginhard oft die Geliebte. Hier rankten sich wie jetzt in jedem Bauerngarten noch im Herbste Bohnen und Gurken an Stangen empor. Auch Kohlarten und Salat, sowie Kerbelkraut und Dill, welche den Speisen die Würze geben sollen, war schon ein gutes Plätzchen gesichert. Die schönsten kleinen Beete, zwischen denen Eginhard und Emma, dicht aneinander gedrängt in nur wenig breiten Gängen einherschritten, waren bereits mit Salbei, Raute, Krausemünze, Schnittlauch oder Buchsbaum eingefaßt. In diesen Beeten an den breiteren Wegen waren im Frühjahr und im Sommer bereits Rosen, Lilien und Tausendschönchen aufgeblüht gewesen. Jetzt aber fehlten bereits nicht einige herbstliche Astern an dieser Stelle. Denn die Blumen im Garten, welche jetzt den Landmann erfreuen, haben in Ingelheim schon der Liebe Eginhards und Emmas zugelächelt und die Nelke, welche jetzt der junge Bauer zum sonntäglichen Strauße für seine Nachbarstochter abschneidet, wurde in Ingelheim schon durch Eginhard für Emma am Sonntage gebrochen. An einem Tage dieses Herbstes hatten Eginhard und Emma die Gärten verlassen und einen der Weinberge erstiegen. Sie befahlen auch hier bei der Weinlese, welche damals früher stattfand, als jetzt. Doch legten sie auch selbst Hand an, und wer sie so gesehen hätte, würde sie in ihrer haushälterischen Art wohl für ein Paar, das so recht für einander paßte, gehalten haben. Da plötzlich erblickten sie ein Getümmel auf dem Wege, welcher nach dem Königshofe führte. Sie erkannten eine kleine Schaar fränkischer Soldaten. Diese kehrten in einem etwas wunderlichen Aufzuge aus dem Kriege heim. Was eigentlich vorging, war von dem Weinberge aus nicht zu erkennen. Umsomehr eilten Eginhard und Emma durch die Gärten wieder auf den Königshof. Hier sahen sie mehrere schlanke, wilde, heidnische Gestalten stehen. Es waren vornehme sächsische Gefangene, die Karl gemacht und nach Ingelheim gesandt hatte. Einer ragte über die andern noch durch seine Größe hinaus. Die fränkischen Soldaten, welche die Gefangenen gebracht hatten, flüsterten dem Hofgesinde zu, dies sei Wittekind. Es war bereits strenge Bewachung des ganzen Königshofes angeordnet. Die Gefangenen aber wurden auf Befehl König Karls dem Abte von Corvei übergeben. Dieser hatte über sie von ihm zu gleicher Zeit noch besondere Befehle erhalten. Einer der Gefangenen war noch mit gefesselten Händen angelangt. Sobald der Abt wußte, daß eine Anzahl der Soldaten sich als Wachen in der Nähe des Schlosses verteilt hatten, ließ er auch diesem Gefangenen sogleich die Fesseln abnehmen. Wittekind selbst wurde von dem Abte eingeladen, den Abend im Wohnzimmer mit der kaiserlichen Familie zu verbringen. Es war dies dasselbe Gemach, wo Eginhard im Winter dem König Karl die von ihm gesammelten alten Heldenlieder nicht bloß vorgelesen, sondern oft auch vorgesungen hatte. Manche Bauernstube in jetziger Zeit ist prächtiger eingerichtet, als dies Wohnzimmer der Familie König Karls eingerichtet war. An den Wänden standen irdene Satten mit saurer Milch umher. Sie waren bedeckt mit goldgelbem Rahm, aus welchem die Töchter des Kaisers selbst am andern Tage Butter bereiten wollten. In den Fenstern standen dagegen Blumentöpfe mit Goldlack und mit Rosmarinstengeln, welche letztere noch jetzt ebenso in den Bauernhäusern gezogen werden, weil man sie bei Begräbnissen in die Hand nimmt. Eine lebhafte Unterhaltung, wie sonst, fand an diesem Abend in der königlichen Familie nicht statt. Doch beschäftigte sich der Abt von Corvei lebhaft mit Wittekind. Der Abt war zwar wie Karl, sein Vetter, von fränkischem Stamme, doch sprach er mit Wittekind in sächsischer Mundart. Die aufgetragenen Speisen waren nicht alle nach Wittekind's Geschmack. Er war noch an Pferdefleisch gewöhnt, welches die alten Sachsen besonders bei ihren Opfermahlzeiten gern verzehrten. Mit Unwillen vernahm er, daß nun bald im Sachsenlande jedem Bauern befohlen werden würde, alljährlich ein Martinischwein zu mästen und zu schlachten. Kaum, daß er etwas von dem Schinken genoß, der bald darauf eine Lieblingsspeise der Westfalen wurde. Aber er lobte den Wildbraten, den eine der Kaisertöchter bereitet hatte. Auch von dem Weine zu trinken, der bei Ingelheim und bei Rüdesheim gebaut war, verschmähte Wittekind. An einem Kruge voll Gerstensaft dagegen erquickte er sich. Als alle Andern schlafen gingen, blieb der Abt mit Eginhard zurück. Er unterrichtete ihn von den Aufträgen, die König Karl ihm gegeben hatte. Da der Abt von Corvei durch seine Flucht zu König Karl den neuesten blutigen Krieg mit den Sachsen veranlaßt hatte, so hatte König Karl das Kloster Corvei an der Weser zwar wieder hergestellt, wollte aber nicht dulden, daß sein Vetter und sein bester Jugendfreund dahin zurückkehrte und vielleicht der Rache des Sachsenvolkes ausgesetzt würde. Nun waren zu jener Zeit zwei Bischöfe von Lüttich rasch nacheinander gestorben. Der Abt sollte daher gleich am anderen Tage dahinreisen, um ihr Nachfolger zu werden. Mit starker Bedeckung sollte er sich dahin begeben und Wittekind nebst den anderen sächsischen Gefangenen mit sich nehmen. Sobald als möglich sollte der Bischof sie alle taufen, nötigenfalls dabei auch Gewalt anwenden. Dafür wollte der König sich dem Bischofe dann stets dankbar erweisen, ganz besonders aber, wenn es ihm gelänge, bei Wittekind noch eine Sinnesänderung und eine Abkehr vom Heidentume zu bewirken. Der Abt schloß mit einer väterlichen Ermahnung an Eginhard, dessen Vertraulichkeit mit Emma nicht unbemerkt geblieben war. Eginhard gestand ihm nicht nur seine Liebe, sondern überzeugte ihn auch, daß König Karl den Untergang seiner Tochter herbeiführen würde, wenn er die beiden Liebenden trennen wolle. Da faßte der Abt als Verwandter des königlichen Hauses einen ungeheuren Entschluß. Um die beiden Liebenden vor der Sünde zu bewahren, versprach er, sie am andern Morgen vor der Abreise heimlich durch die Trauung mit einander zu verbinden. Er stellte dabei jedoch die Bedingung, daß ihre Ehe vor jedermann geheim gehalten werden müsse, bis er zum ersten Male von Lüttich aus bei König Karl zum Besuch komme. Alsdann wollte er selbst seinem Vetter Alles offenbaren. Er hoffte dann Wittekind wirklich zum Christentume bekehrt zu haben. In diesem Falle durfte er sich allerdings einen so mächtigen Einfluß auf den König zutrauen, daß er für sich selbst, wie für Eginhard und Emma, dessen Verzeihung hoffen konnte. Nachdem die Trauung heimlich vollzogen war, reiste der Abt mit starker Bedeckung und den sächsischen Fürsten nach Lüttich ab. Der Spätherbst kam heran und der siegreiche Karl kehrte nach Ingelheim zurück. Er ging mit Emma durch seine Gärten und befahl den Mägden, das unermeßliche Fallobst in den Baumgärten aufzulesen. Sodann bestieg er wie ein Winzer mit Eginhard einige Weinberge, lobte die Süßigkeit der letzten noch an den Weinstöcken befindlichen Trauben und erteilte den Arbeitern, die mit dem Keltern des Weines beschäftigt waren, Befehle. Schon nach einigen Tagen nahm König Karl in Ingelheim auch das Studium der Wissenschaften wieder auf. Er war kein Neuling darin. Wenn er mit Eginhard redete, so bediente er sich der lateinischen Sprache, um sich in deren Gebrauche zu üben. Nur das Schreiben machte ihm Schwierigkeit wegen seiner schweren Hand. Durch den täglichen Gebrauch des Schwertes und der eisernen Lanze in dem letzten blutigen Sachsenkriege war seine Handschrift wieder viel schwerfälliger und ungelenker geworden. Nun begab es sich, daß Eginhard eines Nachts das Gesindehaus verließ, um Emma in der für die königliche Familie erbauten Wohnung einen Besuch zu machen. Am anderen Morgen wollte er in das Haus des Gesindes zurückkehren. Aber nun sahen Beide durch das Fenster, daß während dieser Nacht der erste Schnee gefallen war. Besonders Emma erschrak heftig darüber. Sie zweifelte nicht, daß ihr Vater durch die Fußtapfen von Eginhard's großen und schweren Schuhen im Schnee schon einige Stunden später von dem nächtlichen Besuche erfahren werde. Weit weniger auffallend war es, wenn der zarte Fuß einer Frau sich in den Schnee eingedrückt hatte. Waren doch unter den Dienerinnen der königlichen Familie mehrere mit solchen Männern, die im Gesindehause wohnten, verheiratet. Sie statteten ihnen dort ungehindert Besuche ab, während den Männern das Umgekehrte nicht erlaubt war. Genug, Emma entschloß sich, Eginhard auf ihrem Rücken nach dem Gesindehause hinüberzutragen. Wie leicht konnte nicht der Wind die zarte Spur ihres kleinen Fußes bis zum anderen Morgen hin schon ganz verweht und vertilgt haben! Zum Unglück aber sah König Karl vom Fenster seines Gemaches aus schon, wie Eginhard von Emma durch den Schnee getragen wurde. Um sich im Schreiben zu üben, war der Kaiser in der Nacht aufgestanden. Dabei hatte er den ersten Schnee dieses Winters auf dem Königshofe gesehen. Er war an's Fenster getreten, um ihn zu betrachten. So war er auch der Augenzeuge von Emma's Aufopferung für Eginhard geworden. König Karl war von dem, was er gesehen hatte, erschüttert. Gegen 8 Uhr Morgens pflegte er seine Räte zu versammeln. Auch Eginhard befand sich unter ihnen. Der König sprach diesmal zuerst von einem unerhörten Ereignisse. Er erzählte, was er beim ersten Morgengrauen gesehen hatte und fragte Eginhard, welche Strafe dem Manne gebühre, der sich ein solches Vergehen zu Schulden kommen lasse. Eginhard fiel ihm zu Füßen und sagte: den Tod. Aber schon drang Emma in das Gemach, kniete neben ihm nieder und beichtete unter vielen Thränen Alles, was der Bischof gethan und was Eginhard hatte verschweigen wollen. König Karl atmete tief auf. »Der Abt von Corvei ist brav«, sprach er, »Gott segne seinen Eintritt in sein Bistum zu Lüttich! Aber wiedersehen will ich ihn nicht!« Es entstand eine beängstigende Pause. Nach dieser fuhr König Karl fort: »Was Gott zusammenfügt, soll der Mensch nicht scheiden. Darum sollt auch Ihr nicht getrennt werden von einander. Nur von mir habt Ihr Euch selbst geschieden. So soll denn der Rhein hinfort zwischen uns liegen. Im Odenwald, wo wir uns so oft an der Jagd erfreuten, mögt Ihr leben und sterben. Mir aber habt Ihr den Königshof zu Ingelheim verleidet. Bald nach Euch verlasse ich diesen Hof, diese Gärten und diese Weinberge. Zu Aachen will ich mein Leben beschließen.« Der Kaiser hielt Wort. Er begann neue mächtige Bauten zu Aachen. Besonders stellte er die herrliche Liebfrauenkirche dort her. Für diesen Bau ließ er aus Italien nicht nur den Marmor, sondern ganze Marmorsäulen kommen. Da sein Ruhm immer mehr wuchs, so wurden sie ihm willig von dem obersten Bischof, dem Papste, gesandt. Jemehr Kaiser Karl allmählig eine friedliche Wirksamkeit entfalten konnte, umsomehr sehnte er sich aber doch mitunter nach den Gärten und Weinbergen von Ingelheim zurück. Mehr als in Ingelheim erschienen vor dem Kaiser zu Aachen die prächtigsten Gesandtschaften der vornehmsten Reiche der Erde. Vor ihnen prangte der sonst so schlichte Kaiser im golddurchwirkten Kleide, über welchem goldene Spangen den Purpurmantel zusammenhielten. Das Diadem auf seinem Haupte war reich mit Edelsteinen besetzt. So stand er auch vor den Gesandten Harun al Raschid's, die ihm aus dem Morgenlande einen Elefanten und eine überaus kostbare Wasseruhr überbrachten. Aber nachdem das Getümmel vorüber war, das diese Gesandtschaft in Aachen erregt hatte, sehnte er sich wieder mehr als je nach dem stilleren Ingelheim. Er reiste dorthin und ordnete daselbst eine Jagd für den Odenwald an, um durch die Jagd die Absicht, seine Tochter Emma zu sehen, zu verdecken. Die Mittagsstunde war bereits vorüber. Eginhard und Emma saßen nach der Mahlzeit noch allein an einem eichenen Tische. Eginhard war sehr ernst, doch war sein Herz weich. Er umarmte die Kaisertochter und sprach von den Wundern, welche schon damals von ihrem Vater erzählt wurden. Wie Kaiser Karl seine Tochter Emma verstoßen hatte, so sollte ja auch dessen Vater Pipin einst von seiner Gemahlin getrennt worden sein. In der Mühle, oder wie Andere sagten, in der Felsenkluft hatte er sie wieder gefunden. Er dachte bei sich: »Nicht viel anders würde Kaiser Karl jetzt seine Tochter finden, wenn er hierher käme.« Indessen war dieser Gedanke doch nicht ganz richtig. Um ihr Haus her blühten die herrlichsten Obstbäume. Emma glich einer noch immer schönen, behaglichen Gärtnersfrau. Eginhard hätte eher für einen wohlhabenden Pächter oder einen Gelehrten gehalten werden können, als für einen Krieger oder Jäger. In diesem Augenblicke sprang ein schöner Knabe in's Zimmer. »Vater!«, rief er, »wer ist der greise Krieger von der Größe eines Riesen, der sich mit dem eisernen Jagdspieße in der Hand unserm Hause nähert?« Auch die Eltern sahen ihn jetzt über den Hof schreiten, voller Majestät und Würde. Es war Kaiser Karl. Er war unverändert, noch immer der alte Krieger, wie friedlich auch die Welt geworden war. Nachdem er die Lanze an die Wand gelehnt hatte, hob er den Knaben auf und behielt ihn lange auf seinem Arm. Kaiser Karl verweilte mehrere Tage zum Besuche bei Eginhard und Emma. Er erquickte sich an den von Emma bereiteten, wohlschmeckenden Speisen und den von Eginhard gekelterten Weinen. Alsdann zog er nach Aachen zurück, wo er alsbald erkrankte. Zwei Jahre lang lag der gute Kaiser in der Stadt Aachen krank in seinem Bette. Alle anderen Siechen, welche sich seinem Lager nahen konnten, wurden davon gesund. Nach seinem Tode wollte er begraben sein in der Liebfrauenkirche, die er selbst gestiftet hatte. Zu der Zeit, da er diese Kirche gründete, hatte er ein Gelübde gethan an Gott den Herrn, daß er sie wollte weihen lassen von so viel Bischöfen, als Tage im Jahre wären. Darum kamen nun viele Bischöfe an sein Krankenbette und sie standen auch auf dem ganzen Kaiserhofe herum. Aber als er sie nun zählte, da fand er doch, daß ihrer noch drei zu wenig waren. Das betrübte den guten Kaiser gar sehr. Nun hatte der Bischof zu Lüttich den Herzog Wittekind wirklich zum Christentume bekehrt. Der Bischof hatte ihn bei sich behalten, bis er starb. Da der Bischof gestorben war, kam Wittekind treuherzig zu Karl dem Großen nach Aachen und saß den ganzen Tag an seinem Bette. Als er nun sah, daß Kaiser Karl nicht sterben konnte, von wegen seinem Eid, da sprach Wittekind: »O Herr, bittet doch Gott, daß er den Bischof zu Lüttich und seine beiden Vorgänger aus dem Grabe auferstehen läßt, damit sie kommen und die Zahl der Bischöfe hier erfüllen und die Liebfrauenkirche einweihen helfen. Wie wird der Bischof, Euer Vetter, in seinem Grabe sich freuen, wenn er hört, daß Ihr ihm vergeben habt, was er für Eginhard und Emma gethan hat und daß Ihr ihn noch einmal sehen wollt! Und gewiß geschieht dann ein Wunder, damit die Liebfrauenkirche eingeweiht werden kann!« So sprach der einfältige alte Heide, der nun ein frommer Christ geworden war. Da stand Kaiser Karl aus dem Bette auf und ging nach Lüttich. Hier war der Abt von Corvei, der den Wittekind und viele andere Sachsen getauft hatte, nun auch schon tot und Kaiser Karl ging an sein Grab und betete da inständigst, daß Gott diesen Bischof von Lüttich und die beiden andern Bischöfe, die dort vor ihm gestorben waren, von den Toten auferwecken möge, damit sein Gelübde könne erfüllt werden. Da standen die drei Bischöfe von Lüttich aus ihren Gräbern auf, traten zu dem Kaiser und folgten ihm, immer Einer hinter dem Anderen gehend, nach Aachen. So viel Bischöfe als Tage im Jahre sind, waren nun versammelt und halfen dem Kaiser die Liebfrauenkirche einweihen, damit sein Gelübde erfüllt würde. Als das geschehen war, kehrten die drei toten Bischöfe nach Lüttich zurück und legten sich wieder in ihre Gräber. Kaiser Karl starb endlich nach siebenundvierzigjähriger Regierung als Siebenziger am 28. Januar 814 in der dritten Stunde des Tages. Auch Eginhard war nun schon alt. Immer mehr war er ein frommer Mann geworden. Der Jagd hatte er schon völlig entsagt, als ihn König Karl noch mit dem eisernen Jagdspieße besuchte. Von den Schätzen, die ihm Karl bei seinem Besuche vermacht hatte, baute er das Kloster zu Seligenstadt im Odenwalde und ist trotz seiner Heirat als Abt dieses Klosters gestorben. In der Kirche zu Seligenstadt befanden sich noch die Särge, in denen Eginhard und Emma begraben lagen. Diese Särge hat der Großherzog von Hessen-Darmstadt den Grafen von Erbach geschenkt, weil sie von der Nachkommenschaft Eginhard's und Emma's ihr Geschlecht herleiten.