Sagen von der Sachsa, dem Sachsensteine und Walkenried. Nr. 229. Die Zwerge vom Sachsensteine. Der Weg, der jetzt von dem preußischen Städtchen: die Sachse, nach dem braunschweigischen Klosterorte Walkenried am Sachsenstein in der Grafschaft Hohenstein vorbeiführet, wurde früher fast gar nicht gegangen. Denn, wie noch jetzt die Zwerglöcher zeigen, so wohneten im Sachsensteine gar viele Zwerge und darum fürchteten sich die Leute, wiewohl die Zwerge sehr munter waren und immer eine forsche Musik vor dem Sachsensteine gehöret wurde. Besonders scheueten sich die Frauen vorbeizugehen, denn eine Frau, die einst vorbeiging, hatten die Zwerge ergriffen und lange gefangen gehalten. Kein Erbsenfeld ringsumher war vor ihnen sicher und man hörete sie oft darinnen schmatzen, wie die Schweine, ohne daß man sie sah, denn sie hatten dabei ihre Hehlkappen oder Verheltniskappen auf. Die Zwerge haben auch unter sich Hochheit gehalten und Kindtaufen gefeiert, und dazu Reisbrei gegessen und es ist dabei sehr lustig hergegangen im Sachsensteine; auch gingen sie nach auswärts bei den Leuten auf Kindtaufen und Hochzeiten. Auf der Kindtaufe waren sie einmal beim alten Gödeke in Bräunrode mit ihren Hehlkappen; da aßen sie alles auf, ohne daß sie jemand sah, der alte Gödeke aber braute Bier in einer Eierschale, da verrieten sie sich, denn nun mußten sie sprechen: So bin ich doch so alt Wie der Döringerwald Und habe noch nicht gesehen in einer Eierschale Bier brauen. An einer Hochzeit in Bräunrode fanden sie auf einem schönen Saale die Tafel gedecket und setzeten sich lustig zu Tische, wurden aber gar kleinmütig, als sie merkten, daß Kümmel im Brote war. Einst hütete ein Schäfer in der Nähe des Sachsensteines, da hörete er auch die Musik, räumte mit seinem Hackstocke vor den Zwerglöchern auf und hat die Zwerge und die Zwergmusikanten alle gesehen, ist auch eingeladen worden, an der Festlichkeit Teil zu nehmen, und dann ganz unversehret wieder aus dem Sachsensteine hinausgegangen. Ein andermal brachen Maurer Steine vor dem Sachsensteine, da kamen abends Zwerge daher, hielten ihre Hehlkappen in der Hand, sodaß die Maurer sie sehen konnten, und sprachen: sie möchten jetzt nur heimgehen, ihr Werkzeug da lassen, sich um nichts kümmern und ihnen am andern Morgen Brot mitbringen, dann solle die Arbeit schon gethan sein. Das thaten die Maurer auch, kamen am andern Morgen wieder, legeten das Brot vor den Sachsenstein, nahmen ihr Werkzeug, welches da lag, dafür hin und luden die Steine auf die Wagen, welche die Zwerge ihnen befohlen hatten sogleich mitzubringen. Aber nicht immer waren die Zwerge vom Sachsensteine so gut und hilfreich gegen die Menschen, denn sie stahlen ihnen Kinder und schoben ihre Wechselbälge dafür unter, brachen auch zu ganzen Haufen in die Bäckerläden in der Sachsa und zu Walkenried ein und stahlen Brot. Da riet ein Mädchen den Leuten, daß sie Kümmel ins Brot backen sollten, das konnten die Zwerge nicht vertragen und wurden krank davon, nahmen auch zur Strafe das Mädchen gefangen, als es einmal am Sachsensteine vorbeiging, und mißhandelten es gar sehr. Von der Zeit an wurde kein Brot ohne Kümmel mehr gebacken und nur wenige Zwerge, welche Kümmelzwerge genannt wurden, konnten das vertragen, denen gaben die Leute das Brot gern und sie gehen vielleicht jetzt noch in der Gegend. Die anderen aber versammelten sich vor dem Rathause in der Sachsa zum Abmarsch und als sie abgezogen sind, hat der Sachsenstein geklungen, als wenn ein großer Goldkessel drin wäre, und die Zwerge sind auch mit voller Musik oder, wie einige sagen, mit Gesang durch die Sachsa gezogen. In der Sachsa war großes Leben, als es hieß: die Zwerge kommen jetzt durchgereiset, und große Freude, daß sie fortzogen. Vor dem Rathause riefen sie immerfort, indem sie über ihren Abzug unterhandelten: »Wollet ihr ein ewiges Bergwerk haben oder von einem jeden von uns einen Pfennig?« Da antworteten die Leute in der Sachsa: von jedem einen Pfennig. Manche erzählen auch, die Zwerge hätten gefraget, ob sie etwas Gewisses oder ob sie nach ihrem Belieben geben sollten, und da hätten die Sachsaer in ihrer Thorheit etwas Gewisses von jedem verlanget und deshalb von jedem einen Pfennig bekommen. Es wurde aber ein geaichter Dresdener Scheffel auf dem Markte vors Rathaus hingestellet, da warf ein jeder Zwerg seinen Pfennig hinein, daß er über und über voll wurde. Einige sagen, daß ihrer sechshundert Zwerge und daß die ersten schon am Thore gewesen wären, als die letzten in der Reihe noch vor dem Rathause gestanden hätten. Andere sagen gar, daß man die letzten noch bei den Zwerglöchern vor dem Sachsensteine hätte murmeln hören, als die ersten schon in der Steina, dem nächsten Dorfe zwischen der Sachsa und Lauterberg, gewesen wären. Die Zwerge zogen nordwärts und als sie zu den Zwergen nach Scharzfeld kamen, machten sie Halt und gingen da in ihren Hehlkappen mit den scharzfelder Zwergen in die Erbsenfelder. Darin fraßen sie wie die Mäuse, aber kein Mensch konnte sie sehen. Da nahm ein Bauer eine Bohnenstange und fuhr damit immer über den Erbsen herum. Dadurch schlug er ihnen die Kappen vom Kopfe und so wurden die Zwerge sichtbar. Weil aber der Bauer die Zwergkappen nicht wieder herausgeben wollte, so kündigten sie zuletzt ihm und den anderen Scharzfeldern den Krieg an und er mußte sie ihnen wieder zustellen. Darauf sind die sachsaer Zwerge weiter gereiset und mögen wohl auch die Zwerge von Scharzfeld mit ihnen gereiset sein. Als sie aber durch Osterode gekommen sind, haben sie an der Wirtstafel gespeiset und dabei geschnattert wie die Gänse.