Der Schwanenritter. Der Herzog Gottfried von Brabant hinterließ bei seinem Tode außer seiner Gemahlin auch ein Töchterlein, aber keinen männlichen Erben. Nun hatte der Herzog, als er sich schon auf seinem letzten Krankenlager wälzte, noch allerlei Urkunden ausgestellt und an Freund und Feind Briefe geschrieben des Inhalts, daß nach seinem Tode seine Gemahlin und seine Tochter in der Regierung nicht angegriffen, sondern vielmehr unterstützt werden sollten. Dafür hatte er über Alle, die seine Bitte erfüllen würden, den Segen des Himmels herabgefleht. Aber kaum hatte Gottfried die Augen geschlossen, so nahm sein eigener Bruder, der mächtige Herzog von Sachsen, trotz alledem Brabant in Besitz. Als nun bald darauf der Kaiser von Deutschland, zu dessen Reich auch Brabant gehörte, einen Reichstag am Rheine hielt, auf welchem der Herzog von Sachsen erscheinen mußte, begab sich auch die Herzogin von Brabant mit ihrer Tochter dahin, um ihren Schwager bei dem Kaiser zu verklagen. Als alle auf dem Reichstage versammelt waren und eben die Klage der Herzogin gehört werden sollte, da begab es sich, daß der Kaiser einen Augenblick auf den Rhein schaute. Da sah er einen Schwan, der schwamm den Rhein hinauf. Er hatte eine silberne Kette um den Hals, die erglänzte gar hell und daran zog er ein Schifflein hinter sich her. In dem Schifflein aber war ein Ritter, der hatte sich niedergelegt zum Schlafen. Dabei hatte er seinen Kopf auf seinen rechten Arm gelegt, die Rechte selbst aber ruhte auf seinem Schilde. Der Schwan steuerte rheinauf wie ein erfahrener Seemann und brachte sein Schifflein glücklich an's Ufer, worob der Kaiser und sein ganzer Hofstaat sich höchlichst verwunderten. Darüber hatte nun jedermann die Klage der beiden Frauen von Brabant vergessen, und alle liefen dem Rheine zu. Da erwachte der Ritter und stieg aus dem Schifflein. Zu dem Schwane sprach er: »Fliege deinen Weg wohl, du lieber Schwan! Wenn ich deiner wieder bedarf, so will ich dich rufen.« Da gab sich der Schwan einen Schwung im Wasser, wie wohl Schwäne thun und fuhr mit seinem Schifflein davon, man wußte nicht, ob er schwamm oder flog, so schnell war er mit seinem Fahrzeuge aus den Augen der Zuschauer verschwunden. Der Kaiser aber empfing den Schwanenritter auf's beste, ergriff seine Hand und führte ihn selbst auf die Burg. Als nun alle in den Kaisersaal eingetreten waren, so ließ der Kaiser die Hand des Schwanenritters los, und dieser verlor sich in der Menge der anwesenden Fürsten und Herren. Der Kaiser aber setzte sich auf den Thron und hörte jetzt die Klagen der Herzogin von Brabant und ihrer Tochter an. Darauf behauptete der Herzog von Sachsen, daß seine Schwägerin und seine Nichte Brabant nach altem Rechte nicht von seinem Bruder erben dürften. Es war aber zweifelhaft, wie die Vorfahren bei der Nachfolge in der Herrschaft über Brabant es früher gehalten hatten. Darum verlangte der Herzog von Sachsen zuletzt, daß die beiden Frauen entweder auf die Erbschaft verzichten oder ihm einen Kämpfer stellen sollten, welcher ihre vorgeblichen Rechte auf Brabant ihm gegenüber mit dem Schwerte zu verfechten gewillt sei. Der Ausgang dieses Zweikampfes sollte dann über die Erbschaft von Brabant entscheiden. Da waren die beiden Frauen sehr betroffen, denn sie standen seit dem Tode des Herzogs von Brabant vereinsamt da; auch hatte der Herzog von Sachsen so oft beim Turniere den Sieg davongetragen, daß er wegen seiner Tapferkeit und Stärke allgemein gefürchtet wurde. Der Kaiser mußte den Vorschlag des Herzogs von Sachsen annehmen. Vergebens ließ die Herzogin von Brabant ihre fragenden Blicke über die Herren und Ritter im Saale dahinschweifen. Niemand erbot sich zum Schutze ihrer Rechte, und die Prinzessin weinte. Da erhob sich der Schwanenritter zum Schutze der beiden Frauen von Brabant. Er kämpfte mit dem Herzoge von Sachsen und überwand ihn. Der Tod des Herzogs erfolgte auf der Stelle, und nun sprach auch der Kaiser den beiden Damen, von denen die eine eine Wittwe und die andere eine Waise war, sogleich Brabant zu. Jetzt wünschte der Kaiser selbst, daß ein so starker Held, wie der Überwinder des Sachsenherzogs, sich mit der Prinzessin vermähle, und mit Freuden trug ihm die Herzogin die Hand ihres lieblichen Töchterchens an. Gern willigte auch der Ritter in das Verlöbnis. Jedoch stellte er dabei die Bedingung, daß seine Gemahlin ihn niemals fragen dürfe, von wannen er kommen sei, weil sie ihn sonsten sogleich verlieren müsse. Das versprach ihm die Prinzessin auch und hat es gehalten, bis sie zwei Kinder von ihm bekommen hatte und beide Ehegatten darüber in größter Glückseligkeit waren. Da fragte sie ihn gleichsam um seiner Nachkommen willen nach seinem Geschlechte und seiner Herkunft. Da sagte er ihr, daß sie nun ihr gemeinschaftliches Glück zerstört habe, und daß sie ihn nur wenige Augenblicke noch sehen werde. Da bereute die Herzogin das Wort, das sie gesprochen hatte, und alle fielen ihm zu Füßen und baten ihn zu bleiben. Er aber rüstete sich und rief nach seinem Schwane, der kam sogleich mit dem Schifflein geschwommen. Er segnete noch das ganze Volk, dann trat er in das Schiff und der Schwan fuhr mit ihm auf Nimmerwiedersehen davon. Von den Kindern des Schwanenritters stammen viele edle Geschlechter ab, die alle den Schwan im Wappen führen. Darunter sind auch die Herzöge von Kleve, deren Land zuletzt in den Besitz der Hohenzollern gekommen ist.