Der Schmetterling und der Rabe Kaum hatte Florens Zauberring Der Tellus kalten Schooß berühret Und ihn mit Blumen ausgezieret; So schwung ein junger Schmetterling Die blaugezackten Silberflügel Und flog, von süßer Lust berauscht, Sogleich auf Paphos Myrthenhügel, Wo Amor unter Rosen lauscht. Hier sah ihn ein gelehrter Rabe, Der in betrachtungsvoller Ruh Zehn Jahre schon in einem Grabe Sein Wesen trieb, und rief ihm zu: Um ein paar Wochen nur zu leben, Sprich! ist es wohl der Mühe werth, Auf buntem Tand umher zu schweben, Den, so wie dich, ein Tag zerstört? Ja, hätte Cloto zehn Dekaden Und mehr an deinen Lebensfaden, Wie an den meinen, angereiht; So wären deine Gaukeleyen, So wäre deine Sicherheit Dir eher zu verzeihen. Ich thue, was mein Trieb mich lehrt, Und wette diese Purpurnelke, Mein Glück ist wohl das deine werth. Wahr ist, daß ich mit ihr verwelke; Allein so lange weit und breit Bekannt ist, daß die Herren Raben Mit Leichen ihren Gaumen laben, Reizt keiner meinen Neid. Wohlan, so lauf in dein Verderben, Betrogner Sklav der Eitelkeit! Da deine ganze Lebenszeit Nichts ist, als kurze Frist zum Sterben; So folgt, daß du ein Narr seyn mußt, Im Taumel schnöder Sinnenlust Auf Amaranthen und Narzissen Sie sorglos zu verküssen. Nun, nun Herr Doctor, schönen Dank Für deine süßen Sittenlehren! Fahr wohl! ich liebe keinen Zank, Und traun! du wirst mich nicht bekehren. Du lebest lang, ich lebe schön; Allein auch du wirst einst vergehn. Dann ist es gleich, ob mir nur Stunden, Ob Menschenalter dir verschwunden. Wer ohne Vorwurf und Verzug Die Freuden dieses Lebens brauchet, Und wenn ers morgen von sich hauchet, So stirbt er alt genug.