Die Klag-Lieder Jeremia [1646.] Das erste Klagelied Wie steht die waise Statt, wie steht sie so verlassen, Sieht einer Witwen gleich, ist leer auff allen Gassen? Muß dann der Völcker Lust, der Stätte Zier und Schein, Der Länder Königinn, muß die jetzt zinßbar sein? Wie weint sie, wann die Nacht, die Amme der Gestirne, Den stillen Weltkreiß deckt? wie macht sie ihr Gehirne Vom Heulen wüst' und matt, wie fleust der Threnen Bach Die bleichen Wangen ab, weil ja ihr Ungemach Kein Mensch nit trösten wil? hat dann der Freundtschafft Orden So gar den Meineid lieb? sind alle treuloß worden? Wie reiset Juda doch, wie reiset sie doch hin, Bestrickt in Dienstbarkeit? Wie muß die Arme ziehn Verachtet und betrübt von einem zu dem andern, Bald diß bald jenes Land ohn alle Ruh durchwandern? Es kriegt und haschet sie daselbst ein jederman, Der sie verfolget hat, wo sie nicht fliehen kan. Der Weg nach Zion hin liegt allerseits verwüstet, Weil keinen auff ein Fest zu kommen mehr gelüstet; Die Thore stehen leer, die Priester sind in Noth, Die Jungfraun krencken sich, und sie ist selbst halb todt. Der Widersacher Haupt muß sie empor sehn schweben, Muß ihre Feinde sehn in Lust und Freuden leben; Dann Gott hat sie gestrafft, hat ihrer Kinder Heer Gefangen weg geschickt, weil sie sich hoch und schwer An ihm versündigt hat. Man wird nun nicht mehr schauen Der Tochter Zion Schmuck, wie Wieder nach den Auen Gantz matt und hungrig sehn und schlägebäuchig ziehn Ohn alle Weid' und Graß für ihrem Treiber hin, Sind ihre Fürsten auch. Jerusalem die kräncket Ihr Hertz' ohn Unterlaß, wann sie zurücke dencket, Wer sie fürweilen war und wer sie nun muß sein, Die edle werthe Statt; es frist ihr Marck und Bein, Daß sie ihr Volck soll sehn zu ihres Feindes Füssen, Und niemand hilfft ihr nicht, kein Mensch will von ihr wissen: Sie ist der Feinde Lust, sie spotten sie darzu Und lachen hönisch auß deß Sabbaths ware Ruh. Es hat Jerusalem viel Aergerniß gegeben, Und Gottes Rach' erweckt; drumb muß sie jetzund leben Als ein beflecktes Weib. Dieweil man sehen kan, Wie ihr Scham entblöst, so scheut sie jederman, Der vormals sie geehrt; sie aber holt vom Hertzen Viel Seufftzer tief herauß und hat für Schand und Schmertzen Das Antlitz weggekehrt, das Antlitz, das ihr roth Für Scham und Weinen ist, das ihre grosse Noth Mit Stilleschweigen sagt. Es klebt ihr an dem Saume Der Unflat jetzund noch, sie hett' ihr auch im Traume Für diesem nie gedacht auff eine solche Zeit Wie jetzt für Augen ist; sie ist ja gar zu weit Und hoch herab gestürzt; und neben diesem allen Thut niemand auff der Welt ihr so viel zu Gefallen, Daß er sie trösten mag. Ach, Herr Gott, laß nicht mehr Mein Elend über mir; der Feind prangt ja zu sehr. Er hat hinweg geraubt den Vorrath von Geschmeiden, Und ihre gantze Zier. Sie hat gesehn die Heyden Gehn in ihr Heiligthum, da dein Befehl doch ist, Sie solten umb das Volck, das du dir außerkiest In Ewigkeit nicht sein. All' ihre Leute stehen Und seufftzen für und für, sie müssen betteln gehen, Sie geben ihren Schmuck für Brod und Speise hin, Zu laben ihren Geist. Sieh, Herr, wie schnöd' ich bin, Sieh' und betrachte mich. Schaut, die ihr geht fürüber, Schaut, sag' ich, mein Noth; ist auch ein Schmertze drüber Auff dieser weiten Welt? Diß hat der Herr gemacht, Als seines Zornes Krafft ist grimmig auffgewacht Und sich ergossen hat; er hat hoch auß den Lüfften Ein Feuer hergesandt in meiner Beine Klüfften, Und ihm Gewalt ertheilt; er hat ein Garn gestellt Zu fangen meinen Fuß, und mich zurück geprellt. Er hat mich so verwaist, daß ich nun alle Tage Mit Angst und Traurigkeit mich übel schänd' und plage Und keine Ruh nicht weiß; durch seiner Straffe Macht Ist meine schwere Last der Sünden auffgewacht Und gantz auff meinen Halß mit hellem Hauffen kommen, Daß alle Stärck und Krafft mir wird hinweg genommen: Er hat mich in die Hand derselben eingethan, In derer Härtigkeit ich nichts mich regen kan. Der Herr hat gantz zermalmt und zornig auffgerieben Die Starcken, so ich hatt'; er hat weit außgeschrieben Ein Freyfest über mich, daß was für Mannschafft noch Mir übrig blieben ist ingleichen trag' ein Joch. Der Tochter Juda hat der Herr auß grossem Hassen Und Eyfer über sie den Kelter tretten lassen. Drumb wein' ich fort für fort, drumb rinnt das Wasser mir Auß beyder Augen Quell ohn Unterlaß herfür. Mein Hort und Auffenthalt, der meinen Geist und Sinnen Mit Trost' erquicken soll, ist ja zu weit von hinnen, Die Kinder sind hinweg; dieweil deß Feindes Macht Und Stärcke mich und sie hat unter sich gebracht. Wie streckt doch Zion auß die vormals zarten Hände Und ist auch niemand nicht, der ihren Kummer wende Und sprech ihr freundlich zu. Der sehr erzürnte Gott Gibt rings umb Jacob her den Feinden ein Gebott, Daß sein Jerusalem, mit Schmach und Hohn umbgeben, Als die nicht redlich ist, soll zwischen ihnen leben, Und daß sie wie ein Weib nechst ihnen wohnen muß, Die da besudelt ist durch ihrer Blume Fluß. Der Herr der ist gerecht, dann ich hab' ihn verletzet Und seinem Munde mich auß Trutze widersetzet. Hört, alle Völcker, hört, schaut meinen Schmertzen an, Ach, meine Jungfraun sind gefänglich eingethan, Und meine Jüngling' auch. Ich ruffte mit Verlangen Auff meiner Freunde Schar, sie aber sind entgangen Und haben mich beruckt. Die Eltesten der Statt Und Priester haben auch zu essen nur nicht satt; Ihr Magen ist verdorrt, sie müssen Stück zu Stücken Das Brod erbitten gehn, die Seele zu erquicken. Ach, Herr Gott, siehe doch, ich sterbe nunmehr schier Für Angst und Bangigkeit, die Därm' erschüttern mir, Das Hertz im Leibe wallt, dann ich bin hoch betrübet; Von aussen ist das Schwerd, so mir viel Streiche giebet Und nach der Seelen steht, im Hause hat der Todt Zur Widwen mich gemacht, man höret meine Noth, Man höret sie ja wol, ich seufftze stets und weine Und habe keinen nicht, der mich mit Treuen meine; Die Feinde freuen sich, daß ich so kläglich thu, Sie hören mich mit Lust. Diß alles machest du. Ach, daß die Sonne doch auff ihrem güldnen Wagen Den Tag nicht jetzt bald bringt, den dir schon anzusagen Zuvor beliebet hat, an dem es gleich so wol Auch ihnen eben so wie mir ergehen soll! Laß ihre böse That für dein Gesichte kommen Und schlag sie, wie du mich hast jetzund fürgenommen Von wegen meiner Schuld und eyfrig außgeübt, Dann, Herr, ich seufftze viel, mein Hertz' ist hoch betrübt.