Das Weib Ich sah das Weib, wie tiefer Sehnsucht voll es auf den dürren dornenbewehrten Aeckern nach Paradiesen suchte, – sah das Weib, von dunklem Fluch gehetzt, mit blutenden Füßen durch die Wüsten irren . . . Ich sah das Weib, von Gotteskraft gesegnet, die allen Fluch in lauter Licht verwandelt: sah, wie es Mutter ward, Gebärerin der kommenden Geschlechter, und in den Augen der Gemarterten, die opferfroh mit tausend Toden rang und tausend Leben gab, – in ihren Augen las ich diese Lieder : Aus Felsenöde von zerklüftetem Berggrat in den lichtlos fahlen Morgenhimmel ragt ein Kreuz. Ueber dem Kreuz schwebt auf schweren, schwarzen Schwingen – wie ein nachtgeborner sehnsuchtgetragener Schmerzgedanke – ein Königsadler einsam und lautlos in der dämmernden Frühe dahin . . . Am Kreuz aber hängt, in Ketten geschlagen, sich windend in blutiger Qual, ein Menschenleib – der nackte Körper einer Frau. Jeden Muskel gestrafft an den weißen, zuckenden Armen, das Haupt geneigt und die starrenden Blicke hilfesuchend nach Ost gerichtet – auf den heißen, vertrockneten Lippen die stöhnende Frage, den Schrei nach Erlösung: »Wie lange noch, Herr – oh, Herr, wie lange noch? –« Nur ein Wolkenschatten geht über die Gefilde. und aus der Wolke – von einem Heiligenschein aufflammender Strahlen umgeben – blickt ein Dulderantlitz, neigt ein dornengekröntes Heilandshaupt schmerzvoll lächelnd sich dir entgegen. Seine Augen suchen die deinen – und die gequälten, dürstenden Lippen zucken und stammeln, als wollten sie reden, helfen und trösten und Antwort dir geben auf deine stöhnende Frage – und wissen keinen Trost und finden keine Antwort . . . Nur ein Wolkenschatten geht über die Gefilde. Vom Meere braust der Wind, die sieben Birken schwanken – durch mein gequältes Haupt hinflattern irre Gedanken . . . Die Sonne sank zu Grab, ihr Glühn hat all gelogen, ein windverwehtes Blatt treibt über die dunklen Wogen. Das war im Traum: – Ein schattendunkles Tal, ein bleiern Wasser, tief im Schilf versteckt, erlenumsäumt, von Lailich zugedeckt – darüber lag das Mondlicht kalt und fahl wie tote Liebe . . . Ein scheuer Wind schlich durch das feuchte Gras und schluchzte leis – und sprang dann jäh empor und hob des Lailichs grünen Schleierflor – und aus der Tiefe starrte blicklos, blaß mein eigen Antlitz . . . Vom Schlafe bin ich jäh erwacht: es heult mein Hund in dunkler Nacht. Er heult im Traum – wie dumpf und bang! Aus weiter Ferne ein Weheklang . . . Ums Fenster nächtiges Grausen spinnt: leis raunend singt Novemberwind Ein Sterbelied der kranken Welt – – – und morgen fegt der Sturm das Feld, Und morgen deckt den Hag der Schnee . . . mir ist so weh, zum Sterben weh! Mir ist, als sollte ich nimmer schauen die Rosen blühen, die Wogen blauen, – Mir ist, als hörte ich nimmermehr in Frühlingslüften der Vögel Heer, – Als grüben sie bald im Totenschrein mich in die kalte Erde ein, Und schlafen müßt ich da Jahr und Tag, und niemand hielte mir Totenklag . . . Und niemand segnet mein Grab, – vielleicht, daß noch mein Hund auf den Friedhof schleicht Und einsam hält da die Leichenwacht und bange heult durch die Winternacht – – – Fahldunkel des Dezembermorgens brütet über der Welt. Nur am Südosthimmel hin dehnt sich ein schmaler herzblutroter Streif. Rastlos schlägt das Meer ans Ufer; dumpfgrollend raunt die Tiefe ein nächtliches Geheimnis der zagenden Frühe zu . . . Und durch den Nebel auf der Heide schwimmen ferne, weiche, verlorene Töne – Kinderstimmen gleich: die Weihnachtsglocken. Ich bin allein in der schweigenden Feiertagsfrühe. Und wende mein Haupt gen Osten, wo die Sonne sich erheben soll, und wende meinen Blick gen Himmel, von wo die Liebe herabgestiegen ist in dieser Nacht. Ein warmer Schein kommt von Südosten hergeflossen, so daß der Schnee am Dünenhange leicht errötet. Und da . . . im unberührten Weiß vor mir erblick' ich eine Fußspur . . . Die Spur eines nackten Menschenfußes. Schmal und zierlich nur: ein Frauenfuß. Ein Schaudern fliegt mir durch den warmen Leib – mich friert bis in das Mark. »Wo kommst du her? – Wohin bist du gegangen?« Lauter klingen die Feiertagsglocken herüber . . . »Wohin bist du gegangen?« – Ein Schatten huscht an mir vorüber, ein körperloses Schemen nur . . . Ich seh' ihn nicht: ich fühle seinen eisigen Hauch und das Wehen gelösten Haares um meine Stirn . . . Notdürftig bekleidet – mit nackten Füßen in dem kalten Schnee . . . und jetzt – jetzt sehe ich sie auch – sie, die in der schwülen Sommernacht ihr Alles einst der Liebe geopfert hat, – sie, die nun, verlassen und von Haß und Hohn verfolgt, von wehem Hoffen und tödlicher Sehnsucht emporgetrieben, vom zerwühlten Lager in die Winternacht hinausgeflüchtet ist, um Frieden zu suchen an dem Fest der Liebe – ach, nur Frieden! – Mit schneebleichen Lippen und todesstarrem Gesicht, mit weitoffenem, erloschenen Augenpaar seh' ich sie vorüberhuschen, die Düne hinab, über den schimmernden Schnee hinweg, und tiefer hinab, tiefer, immer tiefer . . . Ein Angstschrei erstickt in meiner Kehle: mit beiden Armen greife ich in die Luft und fasse nichts – mit irren Blicken suche ich umher und sehe nichts – nichts mehr als die entsetzliche Fußspur vor mir, die hinabführt bis an das gurgelnde Wasser . . . Mein liebes Kind, in Schmerzen – mein armes Kind, in Schmach bis zum Befreiungstag trag ich dich unterm Herzen. Getränkt mit meinen Tränen, genährt mit meinem Blut, – mein höchstes Erdengut – ich darf dich nicht ersehnen! Darf fühlen nur mit Beben, geheimer Lust und Pein – noch eins mit meinem Sein – dein jungerwachend Leben. In grüner Wälder Stille geh ich zur tiefen Nacht, – aus reifer Ernten Pracht keimt mir der Lebenswille. Fern von der Menschen Blicken, von der Gerechten Zorn, trink ich aus ewigem Born ein schmerzliches Entzücken . . . Bis an den Tag der Schmerzen, den Tag, der dich mir nimmt, schlaf ruhig, du mein Kind, schlaf unter meinem Herzen. Mutter der Barmherzigkeit, Retterin aus Todesnöten, halte deinen Fuß bereit, schützend vor mich hinzutreten, die gebenedeite Hand, die den Herrn der Welt durft' pflegen, auch auf meines Kindes Haupt, aller Gnaden voll, zu legen . . . In dunkler Straße das niedre Haus – vorüberflutet der Welt Gebraus. Voll Stroh die Lade, nicht Bett noch Schrein, und drüber des leuchtenden Sternes Schein! Und drinnen das reichste Glück der Welt: die Mutter, welche ihr Kindlein hält. Und aus den Augen des Kindes fällt ein Heilandsblick in die dunkle Welt . . . Ich glaube: wer dem Tod geweiht ins schmerzenreiche Dasein tritt, der bringt für seine Spanne Zeit die Fülle der Erkenntnis mit . . . Den letzten Blick in das bleiche Gesicht, du einsame Mutter, weine nicht! So trüb' die Sorge dein Haupt umspinnt, so friedlich und sorglos schläft dein Kind! Sie nahmen es bald von deiner Seit'; sein kurzes Leben war Qual und Leid, Sein frühes Sterben ist Trost und Ruh', – lächle noch einmal dem Liebling zu! Den letzten Blick in das süße Gesicht . . . Freue dich, Mutter, – weine nicht! Was kommst du zu mir alle Nacht und pochst an meine Fensterscheiben? Ich darf nicht auftun, armes Kind – du mußt im kalten Grabe bleiben. Ich darf nicht auftun, süßes Kind, darf dich nicht hegen, dich nicht tränken . . . Ich darf an dich nur alle Nacht, nur alle Nacht in Tränen denken. Die Erde deckt dich zu, ich weiß nicht wo . . . Auf deinem Grabe blühen keine Blumen, kein Vogel singt ein Wiegenlied für dich; und dennoch schlummerst du so tief und süß, so tief und süß, wie selbst in Mutterhut kein Kindesauge sich zum nächtigen Frieden schließt. Ein kurzer Frühling war's, ein Lenz von Tagen, den du gelebt. – Doch war's ein goldener Lenz, und blauer Himmel lachte über dir, und lichter Sonnenschein umspann dein Lager. In deiner Augen sammetbraunen Kelch fiel keiner Wolke Schatten, süße Knospe – in deiner Wurzel aber saß der Wurm; und als der Sturmwind kam, verwehtest du, mein Sonnentraum . . . Seit jenen schmerzenreichen Frühlingstagen lieb' ich den Lenz, wie ich ihn nie geliebt, und seine Knospen lieb' ich schmerzlich heiß und pflückt sie gerne, eh' der Sturm sie bricht, und sonnenklare Kinderaugen lieb' ich und küsse gern aus ihrem Sammetkelch die Tränen fort . . . und leg' die Blütenpracht des Frühlings gern in weiche Kinderhände . . . Die Erde deckt dich zu, ich weiß nicht wo, zu deinem Grab ist mir die Spur verloren. Doch aus der Veilchen frühem Duft umhaucht dein Wesen mich, – aus jedem Kindesauge blickst du mich an – und lächelst dein Sonnenlächeln mir ins wunde Herz . . . Und wo ich geh' im Dämmerschein, im öden Park – ich geh' zu Zwei'n: im Märzschneetreiben um mich wallt ein Lenzhauch, eine Duftgestalt mit flehenden Kinderaugen . . . Ein wehes Weinen irrt im Wind; empor aus feuchter Tiefe spinnt ein Brodem, der mich kühl umfängt, der weich an meine Brust sich drängt mit dürstenden Kinderlippen . . . Kein Kreuzlein, das ich dir gesetzt, – und kein Veilchen, das ich auf dein Grab gepflanzt . . . Deine Flamme flackerte auf, sehnsüchtig und blaß, ein Weilchen nur, – und dann kam der Märzwind heran und blies die zarte kleine Flamme aus. Keine Spur ist von der Flamme mehr zu sehen – und auf deinem Grabe haben sie keinen Hügel aufgeschüttet. Die Erde ist so eben, und die Luft so klar – In meinem Herzen aber fühle ich die Spur der Flamme, die darin gebrannt. – Und in meinem Leben gähnt eine tiefe Gruft, in die alles versinkt, was mich erfreut und durchglüht, alles, was auf meinem Pfade schreitet und aus meinem Becher trinkt – Und alle Rosen, die mir blühen, – und alle Sterne, die mir glänzen . . . Und wie dein Grab keinen Hügel hat, so hat diese Gruft keinen Grund. Fände ich nur dein Grab und dürfte den Staub auf deinem Sarge küssen, so schlösse sich wohl die Gruft, und mein Herz würde wieder gesund . . . Oh, daß ich kein Kreuzlein dir gesetzt und keine Blume dir gepflanzt! – O du heiliges blasses Glück, du mit dem leuchtenden Kinderblick . . . Durch die Felder bin ich dich suchen gegangen, Tropfen hingen an meinen Wangen, auf den feuchten Wiesen der Nebel lag, – es war am Allerseelentag. Vor dem Stadttor am geweihten Ort viel irre Lichtlein brannten dort und nickten mir zu mit leisem Blinken und war ein Huschen und Händewinken . . . Ich aber bin mit nassen Wangen und scheuem Schritt vorbeigegangen. –