Besuch in der Kartause Epistel an Paul Heyse Als Junggesell, du weißt ja, lag ich lang einmal In jenem luftigen Dörflein an der Kindelsteig Gesundheitshalber müßig auf der Bärenhaut. Der dicke Förster, stets auf mein Pläsier bedacht, Wies mir die Gegend kreuz und quer und führte mich Bei den Kartäusern gleich die ersten Tage ein. Nun hätt ich dir von Seiner Dignität zunächst, Dem Prior, manches zu erzählen: wie wir uns In Scherz und Ernst, trotz meines schwäbischen Ketzertums, Gar bald verstanden; von dem kleinen Gartenhaus, Wo ein bescheidnes Bücherbrett die Lieblinge Des würdigen Herrn, die edlen alten Schwarten trug, Aus denen uns bei einem Glase Wein, wie oft! Pränestes Haine, Tiburs Wasser zugerauscht. Hievon jedoch ein andermal. Er schläft nun auch In seiner Ecke dort im Chor. Die Mönche sind, Ein kleiner Rest der Brüderschaft, in die Welt zerstreut; Im Kreuzgang lärmt der Küfer, aus der Kirche dampft Das Malz, den Garten aber deckt ein Hopfenwald, Kaum daß das Häuschen in der Mitte frei noch blieb, Von dessen Dach, verwittert und entfärbt, der Storch Auf einem Beine traurig in die Ranken schaut. So, als ich jüngst, nach vierzehn Jahren, wiederkam, Fand ich die ganze Herrlichkeit dahin. Sei's drum! Ein jedes Ding währt seine Zeit. Der alte Herr Sah alles lang so kommen, und ganz andres noch, Darüber er sich eben nicht zu Tod gegrämt. Bei dünnem Weißbier und versalznem Pökelfleisch Saß ich im Gasthaus, der gewesnen Prälatur, Im gleichen Sälchen, wo ich jenes erste Mal Mit andern Fremden mich am ausgesuchten Tisch Des Priors freute klösterlicher Gastfreiheit. Ein großer Aal ward aufgetragen, Laberdan, Und Artischoken aus dem Treibhaus »fleischiger«, So schwur, die Lippen häufig wischend, ein Kaplan, »Sieht sie Fürst Taxis selber auf der Tafel nicht!« Des höchsten Preises würdig aber deuchte mir Ein gelber, weihrauchblumiger Vierunddreißiger, Den sich das Kloster auf der sonnigsten Halde zog. Nach dem Kaffee schloß unser wohlgelaunter Wirt Sein Raritätenkästchen auf, Bildschnitzerein Enthaltend, alte Münzen, Gemmen und so fort, Geweihtes und Profanes ohne Unterschied; Ein heiliger Sebastian in Elfenbein, Desgleichen Sankt Laurentius mit seinem Rost, Verschmähten nicht als Nachbarin Andromeda, Nackt an den Fels geschmiedet, trefflich schön in Buchs. Nächst alledem zog eine altertümliche Stutzuhr, die oben auf dem Schranke ging, mich an; Das Zifferblatt von grauem Zinn, vor welchem sich Das Pendelchen nur in allzu peinlicher Eile schwang, Und bei den Ziffern, groß genug, in schwarzer Schrift Las man das Wort: Una ex illis ultima: »Derselben eine ist die letzt« – verdeutschte flugs Der Pater Schaffner, der bei Tisch mich unterhielt Und gern von seinem Schulsack einen Zipfel wies; Ein Mann wie Stahl und Eisen; die Gelehrsamkeit Schien ihn nicht schwer zu drücken und der Küraß stand Ihm ohne Zweifel besser als die Kutte an. Dem dacht ich nun so nach für mich, da streift mein Aug Von ungefähr die Wand entlang und stutzt mit eins: Denn dort, was seh ich? wäre das die alte Uhr? Wahrhaftig ja, sie war es! – und vergnügt wie sonst, Laufst nicht, so gilt's nicht, schwang ihr Scheibchen sich auf und ab. Betrachtend stand ich eine Weile still vor ihr Und seufzte wohl dazwischen leichthin einmal auf. Darüber plötzlich wandte sich ein stummer Gast, Der einzige, der außer mir im Zimmer war, Ein älterer Herr, mit freundlichem Gesicht zu mir: »Wir sollten uns fast kennen, mein ich – hätten wir Nicht schon vorlängst in diesen Wänden uns gesehn?« Und alsbald auch erkannt ich ihn: der Doktor war's Vom Nachbarstädtchen und weiland der Klosterarzt, Ein Erzschelm damals, wie ich mich wohl entsann, Vor dessen derben Neckerein die Mönche sich Mehr als vor seinem schlimmsten Tranke fürchteten. Nun hatt ich hundert Fragen an den Mann, und kam Beiher auch auf das Ührchen: »Ei, ja wohl, das ist«, Erwidert' er, »vom seligen Herrn ein Erbstück noch, Im Testament dem Pater Schaffner zugeteilt, Der es zuletzt dem Brauer, seinem Wirt, vermacht.« – »So starb der Pater hier am Ort?« – »Es litt ihn nicht Auswärts; ein Jahr, da stellte sich unser Enaksohn, Unkenntlich fast in Rock und Stiefeln, wieder ein: ›Hier bleib ich‹, rief er, ›bis man mich mit Prügeln jagt!‹ Für Geld und gute Worte gab man ihm denn auch Ein Zimmer auf der Sommerseite, Hausmannskost Und einen Streifen Gartenland. An Beschäftigung Fehlt' es ihm nicht; er brannte seinen Kartäusergeist Wie ehedem, die vielbeliebte Panazee, Die sonst dem Kloster manches Tausend eingebracht. Am Abend, wo es unten schwarz mit Bauern sitzt, Behagt' er sich beim Deckelglas, die Dose und Das blaue Sacktuch neben sich, im Dunst und Schwul Der Zechgesellschaft, plauderte, las die Zeitung vor, Sprach Politik und Landwirtschaft – mit einem Wort, Es war ihm wohl, wie in den schönsten Tagen kaum. Man sagt, er sei bisweilen mit verwegenen Heiratsgedanken umgegangen – es war damals So ein lachendes Pumpelchen hier, für den Stalldienst, wie mir deucht – Doch das sind Possen. Eines Morgens rief man mich In Eile zum Herrn Pater: er sei schwer erkrankt. Ein Schläglein hatte höflich bei ihm angeklopft Und ihn in größern Schrecken als Gefahr gesetzt. Auch fand ich ihn am fünften oder sechsten Tag Schon wieder auf den Strümpfen und getrosten Muts. Doch fiel mir auf, die kleine Stutzuhr, welche sonst Dem Bette gegenüberstand und allezeit Sehr viel bei ihm gegolten, nirgend mehr zu sehn. Verlegen, als ich darnach frage, fackelt' er: Sie sei kaputtgegangen, leider, so und so. Der Fuchs! dacht ich, in seinem Kasten hat er sie Zuunterst, völlig wohlbehalten, eingesperrt, Wenn er ihr nicht den Garaus etwa selbst gemacht. Das unliebsame Sprüchelchen! Mein Pater fand, Die alte Hexe fange nachgerade an Zu sticheln, und das war verdrießlich.« – »Exzellent! Doch setzten Sie den armen Narren hoffentlich Nicht noch auf Kohlen durch ein grausames Verhör?« – »Je nun, ein wenig stak er allerdings am Spieß, Was er mir auch im Leben, glaub ich, nicht vergab.« – »So hielt er sich noch eine Zeit?« – »Gesund und rot Wie eine Rose sah man Seine Reverenz Vier Jahre noch und drüber, da denn endlich doch Das leidige Stündlein ganz unangemeldet kam. Wenn Sie im Tal die Straße gehn dem Flecken zu, Liegt rechts ein kleiner Kirchhof, wo der Edle ruht. Ein weißer Stein, mit seinem Klosternamen nur, Spricht Sie bescheiden um ein Vaterunser an. Das Ührchen aber – um zum Schlusse kurz zu sein – War rein verschwunden. Wie das kam, begriff kein Mensch. Doch frug ihm weiter niemand nach, und längst war es Vergessen, als von ungefähr die Wirtin einst In einer abgelegnen Kammer hinterm Schlot Eine alte Schachtel, wohlverschnürt und zehenfach Versiegelt, fand, aus der man den gefährlichen Zeitweisel an das Tageslicht zog mit Eklat. Die Zuschrift aber lautete: ›Meinem werten Freund Bräumeister Ignaz Raußenberger auf Kartaus‹.« Also erzählte mir der Schalk mit innigem Vergnügen, und wer hätte nicht mit ihm gelacht?