Der Geist der Llano estakata 1. Kapitel. Bloody-fox Erstes Kapitel Bloody-fox Zwei Männer kamen am Wasser dahergeritten, ein Weißer und ein Neger. Der erstere war sehr eigentümlich gekleidet. Er trug indianische Schuhe und Lederhosen, dazu einen einst dunkelblau gewesenen, jetzt aber sehr verschossenen Frack, mit Patten, hohen Achselpuffen und blank geputzten Messingknöpfen. Die langen Schöße hingen flügelartig rechts und links an den Seiten des Pferdes hernieder. Auf dem Kopfe saß ein riesiger, schwarzer Amazonenhut, welchen eine gelb gefärbte, unechte Straußenfeder schmückte. Bewaffnet war der kleine schmächtige Mann mit einer Doppelbüchse, welche ihm über die Schulter hing, mit einer Messer und zwei Revolvern, die er im Gürtel trug. An dem letzteren hingen mehrere Beutel, wohl zur Aufnahme der Munition und allerhand notwendiger Kleinigkeiten bestimmt; jetzt aber schienen sie ziemlich leer zu sein. Der Schwarze war eine riesige, breitschulterige Figur. Auch er trug Mokassins und dazu indianische Leggins von jener Art, welche aus zwei voneinander getrennten Hosenbeinen bestehen, so daß man eigentlich Haut gegen Haut auf dem Pferde sitzt. Das ist aber freilich nur dann von Vorteil, wenn man ohne Sattel reitet. Zu dieser Bekleidung des Unterkörpers wollte freilich diejenige des Oberkörpers nicht recht passen, denn sie bestand aus dem Waffenrocke eines französischen Dragoneroffiziers. Dieses Kleidungsstück war wohl bei der französischen Invasion nach Mexiko gekommen und hatte sich dann auf unbekannten Umwegen auf den Leib des Schwarzen verirrt. Der Rock war dem herkulischen Neger viel zu kurz und viel zu eng; er konnte nicht zugeknöpft werden, und darum konnte man die breite, nackte Brust des Reiters sehen, welcher wohl deshalb kein Hemd trug, weil es im Westen keine Wäscherinnen und Plätterinnen gibt. Dafür aber hatte er ein großes, rot und weiß kariertes Tuch um seinen Hals gebunden und vorn zu einer riesigen Schleife zusammengezipfelt. Der Kopf war unbedeckt, damit man die unzähligen kleinen, fettglänzenden Löckchen, die er sich anfrisiert hatte, sehen und bewundern könne. Bewaffnet war der Mann auch mit einem Doppelgewehre, außerdem mit einem Messer, einem irgendwo entdeckten Bajonette und einer Reiterpistole, deren Geburtsjahr jedenfalls auf Anno Tobak zu setzen war. Beritten waren beide gut. Es war den Pferden anzusehen, daß heute ein weiter Weg hinter ihnen liege, und doch schritten sie noch so munter und kräftig aus, als ob sie ihre Reiter kaum stundenlang getragen hätten. Die Ufer des Baches waren saftig grün bewachsen, doch nur in einer gewissen Breite. Ueber dieselbe hinaus gab es dürre Yuccas, fleischige Ajaren und vertrocknetes Bärengras, dessen wohl 15 Fuß hohe Stengel verblüht waren. »Schlechte Gegend!« sagte der Weiße. »Im Norden hatten wir es besser. Nicht wahr, Bob?« » Yes, « antwortete der Gefragte. »Massa Frank haben recht. Hier es Masser Bob nicht sehr gefallen. Wenn nur bald an Helmers Home kommen, denn Masser Bob haben Hunger wie ein Walfisch, welcher Haus verschlingt.« »Der Walfisch kann kein Haus verschlingen,« erklärte Frank dem Schwarzen, »denn seine Gurgel ist zu eng dazu.« »Mag Gurgel aufmachen, wie Masser Bob sie aufmacht, wenn er ißt! Wie weit es noch sein bis Helmers Home?« »Das weiß ich nicht genau. Nach der Beschreibung, welche uns heute früh gemacht wurde, müssen wir bald am Ziele sein. Schau, kommt dort nicht ein Reiter?« Er deutete nach rechts über das Wasser hinüber. Bob hielt sein Pferd an, legte die Hand über die Augen, um sie gegen die im Westen tiefstehende Sonne zu beschatten, öffnete nach seiner Weise den Mund sehr weit, um noch besser sehen zu können, und antwortete nach einer Weile: »Ja, es sein ein Reiter, ein kleiner Mann, auf großem Pferd. Er kommen hierher zu Masser Bob und Massa Frank.« Der Reiter, von welchem die Rede war, kam in scharfem Trabe herbei, hielt aber nicht auf die beiden zu, sondern schien ihnen vorn quer über ihre Richtung kommen zu wollen. Er that gar nicht so, als ob er sie sehe. »Sonderbarer Kerl!« brummte Frank. »Hier im wilden Westen ist man doch froh, einen Menschen zu sehen; diesem scheint aber gar nichts an unserer Begegnung zu liegen. Entweder ist er ein Menschenfeind, oder hat er kein gutes Gewissen.« »Soll Masser Bob ihn einmal rufen?« »Ja, rufe ihn. Deine Elefantentrompete wird er eher hören, als mein Zephyrsäuseln.« Bob hielt beide Hände hohl an den Mund und schrie aus vollem Halse: »Hallo, hallo! Halt, warten! Warum ausreißen vor Masser Bob!« Der Neger hatte allerdings eine Stimme, welche ganz geeignet war, einen Scheintoten in das Leben zurückzubringen. Der Reiter parierte sein Pferd. Die beiden beeilten sich, ihn zu erreichen. Als sie in seine Nähe gelangten, erkannten sie, daß sie keinen Mann von kleiner Statur, sondern einen kaum dem Knabenalter entwachsenen Jüngling vor sich hatten. Er war genau so wie die bekannten kalifornischen Cow-boys ganz in Büffelkuhleder gekleidet, und zwar in der Weise, daß alle Nähte mit Fransen versehen waren. Auf dem Kopfe trug er einen breitkrempigen Sombrero. Eine breite, rotwollene Schärpe umschlang statt des Gürtels seine Hüften und hing an seiner linken Seite herab. In dieser Schärpe steckten ein Bowiemesser und zwei mit Silber ausgelegte Pistolen. Quer vor sich auf den Knieen hielt er eine schwere, doppelläufige Kentuckybüchse, und vorn zu beiden Seiten des Sattels waren nach mexikanischer Weise Schutzleder angebracht, um die Beine zu bedecken und vor Pfeilschüssen oder Lanzenstößen zu bewahren. Sein Gesicht war von der Sonne tief gebräunt und trotz seiner Jugend von Wind und Wetter gegerbt. Von der linken Seite der Stirn ging ihm eine blutrote, zwei Finger breite Wulst quer bis auf das rechte Auge herab. Das gab ihm ein äußerst kriegerisches Aussehen. Ueberhaupt machte er keineswegs den Eindruck eines jungen, unerwachsenen und unerfahrenen Menschen. Die schwere Büchse so leicht in der Hand, als ob sie ein Federkiel sei, das dunkle Auge groß und voll auf die beiden gerichtet, saß er stolz und fest wie ein Alter auf dem Pferde, welches sich unter ihm nicht bewegen zu können schien. » Good day, my boy! « grüßte Frank. »Bist du in dieser Gegend bekannt?« » Very well, « antwortete er, indem er ein leises, ironisches Lächeln sehen ließ, wohl darüber, daß der Frager ihn du genannt hatte. »Kennst du Helmers Home?« » Ay! « »Wie lange reitet man noch bis hin?« »Je langsamer, desto länger.« » Zounds! Du scheinst sehr kurz angebunden zu sein, mein Junge!« »Weil ich kein Mormonenpfarrer bin.« »Ach so! Dann entschuldige! Du zürnst mir wohl, daß ich dich du genannt habe?« »Fällt mir nicht ein! Mit der Anrede mag es ein jeder halten, wie er will, nur muß er sich dann auch die meinige gefallen lassen.« »Schön! So sind wir also einig. Du gefällst mir sehr. Hier ist meine Hand. Nenne mich auch du und antworte mir nun aber, wie es sich schickt und gehört. Ich bin hier fremd und muß nach Helmers Home. Hoffentlich zeigst du mir nicht einen falschen Weg.« Er reichte dem Jünglinge die Hand hinüber. Dieser drückte sie ihm, überflog Frack und Amazonenhut mit einem lächelnden Blicke und antwortete: »Ein Schuft, wer andere in die Irre führt! Ich habe es an mir erfahren! Ich reite soeben nach Helmers Home. Wenn ihr mir folgen wollt, so kommt!« Er setzte sein Pferd wieder in Bewegung und die beiden folgten ihm, vom Bache abbiegend, so daß der Ritt nunmehr nach Süd gerichtet war. »Wir wären dem Wasser gefolgt,« bemerkte Frank. »Es hätte euch auch zu dem alten Helmers geführt,« antwortete der Knabe, »aber in einem sehr weiten Bogen. Anstatt in drei Viertelstunden wäret ihr in zwei Stunden bei ihm angekommen.« »So ist es ja sehr gut, daß wir dich getroffen haben. Kennst du den Besitzer dieses Settlements?« »Sogar sehr gut.« »Was ist er für ein Mann?« Die beiden Reiter hatten ihren jungen Wegweiser in die Mitte genommen. Er warf einen forschenden Blick auf sie und antwortete: »Wenn ihr kein gutes Gewissen habt, so geht nicht zu ihm, sondern kehrt lieber um.« »Warum?« »Er hat ein sehr scharfes Auge für jede Schuftigkeit und hält sehr streng auf ein reines Haus.« »Das gefällt mir von dem Manne. Wir haben also nichts von ihm zu befürchten.« »Wenn ihr brave Kerls seid, nein. Dann ist er ganz im Gegenteile euch zu jedem Dienste erbötig.« »Ich höre, daß er einen Store führt?« »Ja, aber nicht um des Gewinnes halber, sondern nur um den Westmännern, welche bei ihm verkehren, gefällig zu sein. Er führt in seinem Laden alles, was ein Jäger braucht, und er verkauft es zum billigstmöglichen Preise. Aber einer, der ihm nicht gefällt, wird selbst für teures Geld nichts von ihm erhalten.« »So ist er ein Original?« »Nein, aber er bemüht sich auf alle Weise, jenes Gelichter von sich fern zu halten, welches den Westen unsicher macht. Ich brauche ihn euch gar nicht zu beschreiben. Ihr werdet ihn schon kennen lernen. Nur eins will ich euch noch von ihm sagen, was ihr freilich nicht verstehen und worüber ihr sogar wohl lachen werdet: Er ist ein Deutscher von echtem Schrot und Korn. Damit ist alles gesagt.« Frank stand in den Bügeln auf und rief: »Was? Das soll ich nicht verstehen? Darüber soll ich sogar lachen? Was fällt dir ein! Ich freue mich sogar königlich darüber, hier am Rande der Llano estakata einen Landsmann zu finden.« Das Gesicht des Führers war ein sehr ernstes; selbst sein zweimaliges Lächeln war so gewesen, als ob er wirklich zu lachen gar nicht verstehe. Jetzt blickte er mit milden, freundlichen Augen zu Frank herüber und fragte: »Wie? Ein Deutscher bist du? Ist's wahr?« »Jawohl! Natürlich! Siehst du mir das denn nicht sofort an?« »Nein! Du sprichst das Englische nicht wie ein Deutscher und hast ganz genau das Aussehen eines Yankee-Onkels, welcher von seinen sämtlichen Neffen zum Fenster hinausgeworfen worden ist.« » Heavens! Was fällt dir ein! Ich bin ein Deutscher durch und durch, und wer das nicht glaubt, dem renne ich die Flinte durch den Leib!« »Dazu genügt das Messer auch. Aber wenn es so ist, so wird der alte Helmers sich freuen, denn er stammt auch von drüben herüber.« »Aus Deutschland?« »Ja, und er hält gar große Stücke auf sein Vaterland und seine Muttersprache.« »Das glaube ich! Ein Deutscher kann beide nie vergessen. Nun freue ich mich doppelt, nach Helmers Home zu kommen. Eigentlich konnte ich mir denken, daß er ein Deutscher ist. Ein Yankee hätte sein Settlement Helmers Range oder so ähnlich genannt; aber Helmers Home, dieses Namens wird sich nur ein Deutscher bedienen. Wohnst du in seiner Nähe?« »Nein! Ich habe weder eine Range noch eine Home als mein Eigentum. Ich bin wie der Vogel in der Luft oder wie das Tier im Walde.« »Also ein armer Teufel?« »Ja!« »Trotz deiner Jugend! Hast du keine Eltern?« »Keinen einzigen Verwandten.« »Aber einen Namen besitzest du!« »Ja freilich. Man nennt mich Bloody-fox.« »Bloody-fox? Das deutet auf ein blutiges Ereignis.« »Ja, meine Eltern wurden mit der ganzen Familie und der sämtlichen Gesellschaft ermordet, drin in der Llano estakata; nur ich allein bin übrig geblieben. Man fand mich mit klaffendem Schädel. Ich war ungefähr acht Jahre alt.« »Herrgott! Dann bist du wirklich das, was ich sagte, ein armer Teufel. Man überfiel euch, um euch auszurauben?« »Ja, natürlich.« »So rettetest du nichts als das Leben, deinen Namen und die schreckliche Erinnerung!« »Nicht einmal das. Helmers fand mich im Kaktus liegen, nahm mich auf das Pferd und brachte mich heim zu sich. Ich habe monatelang im Fieber gelegen, und als ich erwachte wußte ich nichts mehr, gar nichts mehr. Ich hatte selbst meinen Namen vergessen, und ich kann mich selbst heute noch nicht auf denselben besinnen. Nur der Augenblick des Ueberfalls ist mir klar im Gedächtnisse geblieben. Ich wäre glücklicher, wenn auch das mir entschwunden wäre, denn dann würde nicht das heiße Verlangen nach Rache mich wieder und immer wieder durch die schreckliche Wüste peitschen.« »Und warum hat man dir den Namen Bloody-fox gegeben?« »Weil ich über und über mit Blut bedeckt gewesen bin und während meiner Fieberphantasien oft den Namen Fuchs genannt habe. Man hat daraus schließen zu müssen geglaubt, daß er der meinige sei.« »So wären deine Eltern also Deutsche gewesen?« »Jedenfalls. Denn ich verstand, als ich wieder zu mir kam, kein englisches und auch kein deutsches Wort. Ich konnte mich überhaupt gar keiner Sprache bedienen. Aber während ich das Englische eben langsam lernte, wie einer, der es noch nicht kann, wurde mir das Deutsche so schnell, ja so plötzlich geläufig, daß ich es unbedingt schon vorher gesprochen haben mußte. Helmers ist mir wie ein Vater gewesen. Er wohnte damals noch nicht in seinem jetzigen Settlement. Aber es hat mich nicht bei ihm gelitten. Ich habe hinaus gemußt in die Wildnis wie der Falke, dem die Geier die Alten zerrissen haben, und der nun um die blutige Stätte kreisen muß, bis es ihm gelingt, auf die Mörder zu stoßen. Sein scharfes Auge muß und wird sie entdecken. Mögen sie hundertmal stärker sein als er, und mag er sein Leben geben müssen, er wird es gern verlieren, denn sein Tod wird auch der ihrige sein!« Er knirschte hörbar mit den Zähnen und nahm sein Pferd so scharf in die Zügel, daß es hoch empor stieg. »So hast du die Schmarre auf der Stirn von damals her?« fragte Frank. »Ja,« antwortete er finster. »Doch, sprechen wir nicht weiter davon! Es regt mich zu sehr auf, und dann müßt ihr gewärtig sein, ich stürme von euch fort und lasse euch allein nach Helmers Home reiten.« »Ja, sprechen wir lieber von dem Besitzer desselben. Was ist er denn drüben im alten Lande gewesen?« »Forstbeamter. Ich glaube, Oberförster.« »Wie – wa – wa – was!« rief Frank. »Ich auch!« Bloody-fox machte eine Bewegung der Ueberraschung, betrachtete sich den Sprecher abermals genau und sagte dann: »Du auch? Das ist ja ein höchst erfreuliches Zusammentreffen!« »Ja, ich habe ganz dieselbe Karriere gehabt. Aber wenn er die schöne Anstellung eines Oberförsters gehabt hat, warum hat er sie denn aufgegeben?« »Aus Aerger. Ich glaube, die betreffende Waldung befand sich im Privatbesitz, und sein Patron war ein stolzer, rücksichtsloser und jähzorniger Herr. Beide sind auf- und auseinander geraten, und Helmers hat ein schlechtes Zeugnis erhalten, so daß er keine Wiederanstellung fand. Da ist er denn so weit wie möglich fortgegangen. Siehst du da drüben das Rot- und Schwarzeichengehölz?« »Ja!« antwortete Frank, indem er in die angegebene Richtung blickte. »Dort treffen wir wieder auf den Bach, und hinter dem Walde beginnen Helmers Felder. Bisher hast du mich ausgefragt; nun will einmal ich einige Erkundigungen aussprechen. Wird nicht dieser brave Neger Sliding-Bob genannt?« Da that Bob im Sattel einen Sprung, als ob er sich vom Pferde schnellen wolle. »Ah! oh!« rief er. »Warum schimpfen Massa Bloody-fox gut, brav Masser Bob?« »Nicht schimpfen und nicht beleidigen will ich dich,« antwortete der Jüngling. »Ich glaube, ich bin ein Freund von dir.« »Warum da nennen Masser Bob grad so, wie haben Indianer ihn genannt, weil Masser Bob damals immer rutschen von Pferd herab! Jetzt aber Masser Bob reiten wie ein Teufel!« Um zu zeigen, daß er die Wahrheit gesagt habe, gab er seinem Pferde die Sporen und galoppierte davon, gerade auf das erwähnte Gehölz zu. Auch Frank war über die Frage des jungen Mannes erstaunt. »Du kennst Bob?« sagte er. »Das ist doch beinahe unmöglich!« »O nein! Ich kenne auch dich.« »Das wäre! Wie heiße ich denn?« »Hobble-Frank.« » Good lack! Das ist richtig! Aber, Boy, wer hat dir das gesagt? Ich bin doch all mein Lebtag noch nicht hier in dieser Gegend gewesen.« »O,« lächelte der Jüngling, »man wird doch einen so berühmten Westmann kennen, wie du bist.« Frank blies sich auf, daß ihm der Frack zu eng werden wollte, und sagte: »Ich? berühmt? Auch das weißt du schon?« »Ja!« »Wer hat es dir gesagt?« »Ein früherer Bekannter von mir, Jakob Pfefferkorn, welcher gewöhnlich nur der ›dicke Jemmy‹ genannt wird.« »Alle Wetter! Mein Spezial! Wo hast du den getroffen?« »Vor einigen Tagen eben am Washita Fork. Er erzählte mir, daß ihr euch verabredet habt, euch hier in Helmers Home zu treffen.« »Das ist richtig. Kommt er denn?« »Ja! Ich bin eher aufgebrochen und komme direkt von oben herunter. Er wird jedenfalls bald nachfolgen.« »Das ist herrlich; das ist prächtig! Also er hat dir von uns erzählt?« »Er hat mir eueren ganzen Zug nach dem Yellowstone berichtet. Als du mir vorhin sagtest, daß du auch Forstmann gewesen seist, wußte ich sogleich, wen ich vor mir habe.« »So wirst du mir nun glauben, daß ich ein guter Deutscher bin?« »Nicht nur das bist du, sondern ein guter, herzensbraver Kerl überhaupt,« lächelte der junge Mann. »So hat der Dicke mich also nicht schlecht gemacht?« »Ist ihm gar nicht eingefallen! Wie könnte er seinen braven Frank verleumden!« »Ja, weißt du, wir haben uns zuweilen ganz außerordentlich über Dinge gestritten, welche zu begreifen eine Gymnasialbildung nicht ganz hinreichend ist. Er hat aber glücklicherweise eingesehen, daß wir einander überlegen sind, und so kann es nun auf der ganzen Welt keine besseren Freunde, als uns, geben. – Aber da ist Bob, und da ist das Gehölz. Wie nun weiter?« »Ueber den Bach hinüber und zwischen den Bäumen hindurch; das ist die genaue Richtung. Reiter, wie Bob einer ist, brauchen keinen gebahnten Weg.« »Ja, richtig!« stimmte der Neger stolz bei. »Massa Bloody-fox haben sehen, daß Masser Bob reiten wie ein Indianer. Masser Bob machen mit durch dick und dünn.« Sie setzten über das Wasser, ritten durch das Wäldchen, woran kein Unterholz sie hinderte, und kamen dann zwischen eingezäunten Mais-, Hafer- und Kartoffelfeldern hindurch. Hier gab es stellenweise den fruchtbaren, schwarzen Sandboden des texanischen Hügellandes, welcher reiche Ernten gibt. Das Wasser des Baches erhöhte den Wert des Settlementes und floß ganz nahe an dem Wohnhause vorüber, hinter welchem sich die Stallungen und Wirtschaftsgebäude befanden. Das Haus war aus Stein gebaut, lang, tief und ohne Oberstock, doch enthielten die Giebelseiten je zwei kleine Dachstuben. Vor der Thüre standen vier riesige Postoaks mit bis zur Spitze kerzengeraden Stämmen, von welchen weitschattende Aeste ausgingen, unter denen mehrere einfache Tische und Bänke angebracht waren. Man sah es auf den ersten Blick, daß rechts vom Eingange der Wohnraum, und links von demselben der von Bloody-fox erwähnte Laden lag. An einem der Tische saß ein ältlicher Mann, welcher, die Tabakspfeife im Munde, den drei Ankömmlingen forschend entgegenblickte. Er war von hoher, derber Gestalt, wetterhart im Gesicht, welches ein dichter Vollbart umrahmte, ein echter Westmann, dessen Händen es anzusehen war, daß sie wenig geruht, aber viel geschafft und gearbeitet hatten. Als er den Führer der beiden Fremden erkannte, stand er auf und rief ihm bereits von weitem entgegen: » Welcome, Bloody-fox! Lässest du dich endlich wieder einmal sehen? Es gibt Neuigkeiten.« »Von woher?« fragte der Jüngling. »Von da drüben.« Er deutete mit der Hand nach Westen. »Was für welche? Gute?« »Leider nicht. Es hat wahrscheinlich wieder einmal Hyänen in den Plains gegeben.« Die Llano estakata wird nämlich von dem englisch sprechenden Amerikaner Staked Plain genannt. Beide Bezeichnungen haben aber ganz denselben wörtlichen Sinn. Diese Nachricht schien den jungen Mann förmlich zu elektrisieren. Er schwang sich aus dem Sattel, trat schnell auf den Mann zu und sagte: »Das mußt du mir sofort erzählen!« »Es ist wenig genug und läßt sich sehr bald sagen. Vorher aber wirst du doch so höflich sein, diesen beiden Gentlemen mitzuteilen, wer ich bin.« »Das ist ebenso bald gesagt. Du bist Master Helmers, der Besitzer dieser Farm, und diese Herren sind gute Freunde von mir, Master Hobble-Frank und Masser Sliding-Bob, die dich aufsuchen wollen, um vielleicht etwas von dir zu kaufen.« Helmers betrachtete die beiden Genannten und bemerkte: »Will sie erst kennen lernen, ehe ich mit ihnen handle. Habe sie noch nie gesehen.« »Du kannst sie ruhig bei dir aufnehmen; ich habe sie ja meine Freunde genannt.« »Im Ernste oder aus Höflichkeit?« »In vollem Ernste.« »Nun, dann sind sie mir willkommen.« Er streckte Frank und auch dem Neger die Hand entgegen und lud sie ein, sich niederzusetzen. »Erst die Pferde, Sir,« sagte Frank. »Ihr wißt ja, was die erste Pflicht eines Westmanns ist.« »Wohl! Aus eurer Sorge für die Tiere ersehe ich, daß ihr brave Bursche seid. Wann wollt ihr wieder fort?« »Wir sind vielleicht gezwungen, einige Tage hier zu bleiben, da wir gute Kameraden erwarten.« »So führt die Pferde hinter das Haus, und ruft nach Herkules, dem Neger. Der wird euch in allem gern zu Diensten sein.« Die beiden folgten dieser Aufforderung. Helmers blickte ihnen kopfschüttelnd nach und sagte zu Bloody-fox: »Sonderbare Kerle hast du mir da gebracht! Einen französischen Rittmeister mit schwarzer Haut und einen Gentleman von vor fünfzig Jahren mit ostrich-feather-hat. Das fällt selbst hier im fernen Westen auf.« »Laß dich nicht irre machen, Alter! Ich will dir nur einen einzigen Namen nennen; dann wirst du ihnen trauen. Sie sind gute Bekannte von Old Shatterhand, den sie hier erwarten.« »Was? Wirklich?« rief der Farmer. »Old Shatterhand will nach Helmers Home kommen?« »Ja, gewiß!« »Von wem hast du das? Von den beiden?« »Nein, sondern von dem dicken Jemmy Pfefferkorn.« »Auch den hast du getroffen? Ich bin ihm nur zweimal begegnet, möchte ihn aber gern einmal wiedersehen.« »Das wirst du bald. Er kommt auch hierher. Er gehört zu der Gesellschaft, welche die beiden bei dir erwarten.« Helmers sog schnell einigemal an seiner Pfeife, die ihm ausgehen wollte; dann rief er, indem sein Gesicht vor Freude glänzte: »Welch eine Nachricht! Old Shatterhand und der dicke Jemmy! Das ist eine Freude und eine Ehre, die ich zu würdigen weiß. Ich muß nun gleich zu meinem alten Bärbchen laufen, um ihr mitzuteilen, daß – – –« »Halt!« unterbrach Bloody-fox den Farmer, indem er ihn, der forteilen wollte, am Arme festhielt, »erst will ich hören, was sich dort auf den Plains begeben hat!« »Ein Verbrechen natürlich,« antwortete Helmers, indem er sich wieder zu ihm wandte. »Wie lange warst du nicht bei mir?« »Fast zwei Wochen.« »So hast du auch die vier Familien nicht bei mir gesehen, welche über die Llano wollten. Sie sind seit über einer Woche fort von hier, aber nicht drüben angekommen. Burton, der Trader, ist von drüben herüber. Sie müßten ihm begegnet sein.« »Sind die Pfähle in Ordnung gewesen?« »Eben nicht. Hätte er die Wüste nicht seit zwanzig Jahren so genau kennen gelernt, so wäre er verloren.« »Wo ist er hin?« »Er liegt eben in der kleinen Stube, um sich auszuruhen. Er war bei seiner Ankunft halb verschmachtet, hat aber trotzdem nichts genossen, um nur gleich schlafen zu können.« »Ich muß zu ihm. Ich muß ihn trotz seiner Müdigkeit wecken. Er muß mir erzählen!« Der junge Mann eilte ganz erregt fort und verschwand im Eingange des Hauses. Der Farmer setzte sich wieder nieder und rauchte seine Pfeife weiter. Mit der Verwunderung über die Eilfertigkeit des Jünglings fand er sich durch ein leichtes Kopfschütteln ab; dann nahm seine Miene den Ausdruck behaglicher Genugthuung an. Der Grund derselben war sehr leicht aus den Worten zu erkennen, welche er vor sich hin murmelte: »Der dicke Jemmy! Hm – – –! Und gar Old Shatterhand! Hm – – –! Und solche Männer bringen nur tüchtige Kerls mit! Hm – – –! Es wird eine ganze Gesellschaft kommen! Hm – – –! Aber ich wollte es doch meinem Bärbchen sagen, daß – – –« Er sprang auf, um die erfreuliche Neuigkeit seiner Frau mitzuteilen, blieb aber doch stehen, denn soeben kam Frank um die Ecke des Hauses auf ihn zu. »Nun, Master, habt Ihr den Neger gefunden?« fragte ihn Helmers. »Ja,« antwortete Frank. »Bob ist bei ihm, und so kann ich ihnen die Pferde überlassen. Ich muß vor allen Dingen wieder zu Euch, um Euch zu sagen, wie sehr ich mich freue, daß ich einen Kollegen gefunden habe.« Er sprach englisch. Es war überhaupt bisher alles in englischer Sprache gesprochen worden. »Einen Kollegen?« fragte der Farmer. »Wo denn?« »Hier! Euch meine ich natürlich.« »Mich? Wieso?« »Nun, Bloody-fox hat mir gesagt, daß Ihr Oberförster gewesen seid.« »Das ist richtig.« »So sind wir also Kollegen, denn auch ich bin ein Jünger der Forstwissenschaft gewesen.« »Ah! Wo denn, mein Lieber?« »In Deutschland, in Sachsen sogar.« »Was! In Sachsen? So sind Sie ein Deutscher? Warum sprechen Sie da englisch! Bedienen Sie sich doch Ihrer schönen Muttersprache!« Dies sagte Helmers deutsch, und sofort fiel Hobble-Frank ein: »Mit größtem Vergnügen, Herr Oberförschter! Wenn es sich um meine angeschtammte Mutterschprache handelt, dann mache ich keene Schperrenzien, sondern gehe off der Schtelle mit droff ein. Sie werden es sofort der Reenheit oder der Reinheet meines syntaxischen Ausdruckes anhören, daß ich in derjenigen Gegend Deutschlands existiert habe, in welcher bekanntlich das gelenkigste und hochgeläutertste Deutsch geschprochen wird, nämlich in Moritzburg, bei der Residenzschtadt Dresden, wissen Sie, wo das Schloß mit dem Bildnisse Augusts des Schtarken und den berühmten Karpfenteichen sich befindet. Ich begrüße Sie also im Namen der edlen Forschtkultur und hoffe, Sie sehen es sofort ein, daß Sie es in mir mit eenem hervorragenden ingenium magnum sine mixtura Clementius zu thun haben!« Sonderbar! Wenn Frank sich des Englischen bediente, so war er ein ganz verständiges und bescheidenes Männchen; aber sobald er begann, sich deutsch auszudrücken, erwachte die Erkenntnis seiner Selbstherrlichkeit in ihm. Helmers wußte zunächst nicht, was er denken solle. Er drückte ihm die so freundlich dargebotene Hand, gab keine direkte Antwort, lud den Herrn »Kollegen« ein, sich niederzusetzen, und versuchte, dadurch Zeit zu gewinnen, daß er sich in das Haus begab, um eine Erfrischung herbeizuholen. Als er zurückkehrte, hatte er zwei Flaschen und zwei Biergläser in der Hand. »Sapperment, das ist günstig!« rief Frank. »Bier! Ja, das laß ich mir gefallen! Beim edlen Gerschtenschtoff öffnen sich am leichtesten die Schleusen männlicher Beredsamkeet. Wird denn hier in Texas ooch schon welches gebraut?« »Sehr viel sogar. Sie müssen wissen, daß es in Texas vielleicht über vierzigtausend Deutsche gibt, und wo der Deutsche hinkommt, da wird sicherlich gebraut.« »Ja, Hopfen und Malz, Gott erhalt's! Brauen Sie die liebe Gottesgabe selber?« »Nein! Ich lasse mir, so oft es paßt, einen Vorrat aus Coleman City kommen. Prosit, Herr Frank!« Er hatte die Gläser gefüllt und stieß mit Frank an. Dieser aber meinte: »Bitte, Herr Oberförschter, genieren und fürchten Sie sich nich! Ich bin een höchst leutseliger Mensch; darum brauchen Sie mich nich Herr Frank zu titulieren. Sagen Sie ganz eenfach immer nur Herr Kollege! Da kommen wir beede gleich am besten weg. Ich habe die fürschtlich epidemische Hofetikette niemals nich recht leiden gekonnt. Ihr Bier is nich übel. Warum wollen wir uns also den Appetit oder vielmehr den Trinketit mit überschpannten und off die Schpitze geschraubten Neujahrschgratulationen verderben. Meenen Sie nich ooch?« »Ganz recht!« nickte Helmers lachend. »Sie sind der Mann, der mir gefallen kann.« »Natürlich! Etwas herablassend und liberal muß jeder sein, der den richtigen, intelligenten Verschtand sich angebildet hat. Was mich betrifft, so is mir das bei meiner fachmännischen Begabung gar nich schwer gefallen; aber wo haben denn Sie eegentlich schtudiert?« »In Tharandt.« »Hab' mir's gleich gedacht, denn Tharandt is der Alba Vater für die Forschtpraktikanten der ganzen Welt.« »Wollten Sie etwa sagen, Alma mater?« »Nee, ganz und gar nich. Versuchen Sie es nich etwa, mir an meinem klassisch hebräischen Latein herumzumäkeln, wie früher der dicke Jemmy es zu seinem eegenen Schaden that? Wenn Sie das thun, da könnte unser schönes, penetrantes Verhältnis sehr leicht eene schlimme Wendung nehmen. Unsereener is ja Koryphäe und darf also so etwas nich dulden. Wo schteckt denn eegentlich unser guter Bloody-fox?« »Er ist zu einem Gast von mir gegangen, um eine Erkundigung einzuziehen. Wo haben Sie ihn getroffen?« »Draußen am Bache, ungefähr eene Schtunde von hier.« »Ich dachte, Sie wären längere Zeit beisammen gewesen.« »Das is nich im mindesten nötig. Ich habe so etwas anziehend Sympathetisches an mir, daß ich immer sehr schnell mit aller Welt befreundet werde. Der Psycholog nennt das die Sympolik der Geschmacks- und der Gefühlsorgane, was leider nich jedermann gegeben is. Der junge Mann hat mir bereits seinen ganzen Lebenslauf off das geheimnisvollste anvertraut. Ich widme ihm die ganze Teilnahme meines öffentlichen Herzens und hoffe, daß unsere junge Bekanntschaft für ihn eene wirkliche Kalospinthechromohelene des Glückes werde. Wissen Sie nichts Näheres über ihn?« »Wenn er Ihnen seinen ganzen Lebenslauf erzählt hat, nein.« »Wovon lebt er denn eigentlich?« »Hm! Er bringt mir zuweilen einige Nuggets. Daraus schließe ich, daß er irgendwo einen kleinen Goldfund gemacht habe.« »Das will ich ihm gönnen, zumal er een Deutscher zu sein scheint. Es muß schrecklich sein, nich zu wissen, unter dem wievielsten Aequator die erschte Lebenswiege der betreffenden Persönlichkeet geschtanden hat. Wir zwee beede, Sie und ich, kennen dieses hippokratische Leiden freilich nich. Wir wissen glücklicherweise, wohin sich unsere heimatsvolle Sehnsucht zu richten hat, nämlich nach Deutschland – – ›dahin, dahin‹, wie Galilei so schön in seinem Mingnonliede singt.« »Sie meinen wohl Goethe?« »Nee, ganz und gar nich! Ich weeß gar wohl zwischen Goethe und Galilei zu unterscheiden. Goethe gehört eener ganz anderen höhern Volksschule an. Er hätte solche gefühlvolle Reime gar nich fertig gebracht. Galilei aber mit seinem Fernrohre und seiner Sehnsucht nach elegischen Kometen hat das richtige Tirolerheimweh getroffen, indem er dichtete: ›Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn, Ums Schindeldach die jungen Schtörche ziehn? Der Loobfrosch flötet abends im Geschträuch, Und Lunas Bild schtrahlt aus dem nahen Teich. Dort ist's gemütlich, drum dorthin Schteht mir die Nase und schteht mir der Sinn!‹« Er hatte sich von seinem Sitze erhoben, die Verse deklamiert und mit Gesten begleitet. Jetzt sah er den Farmer erwartungsvoll an. Dieser mußte sich die größte Mühe geben, ernsthaft zu bleiben. Da er kein anerkennendes Wort sagte, fragte Frank verdrießlich: »Es scheint, daß die Poesie keenen Eindruck off Sie macht. Haben Sie denn gar so een nüchternes Temperament?« »Nein, nein! Ich schwieg nur aus Verwunderung darüber, daß Sie die Worte des Dichters so genau und so lange Zeit behalten können.« »Das is weiter nichts. Was ich lese, das merk' ich mir. Und habe ich's ja vergessen, so verbessere ich's. Off diese Weise kann der Applaus gar nich ausbleiben.« »So sind Sie ja ein geborener Dichter!« »Ja, viel wird nicht daran fehlen!« »So beneide ich Sie. Ich habe einmal zwei volle Tage lang meinen Kopf gemartert, um zwei Reime zu einem Geburtstagsgedichte fertig zu bringen – vergebens; ich konnte nicht Heureka! rufen.« »Hören Sie, gebrauchen Sie das Wort nich falsch! Es is eene arabische Beschwörungsformel und bedeutet off deutsch: Der Teufel is los! Mit solchen Zaubereien muß man sehr vorsichtig sein, denn man weeß ja gar nich, was daraus entschtehen kann. Denken Sie nur daran, wie es dem berühmten Dschengischan mit seinen dreihundert Schpartanern ergangen is!« »Wie denn?« fragte der Farmer, neugierig, was jetzt kommen werde. »Er lag mit ihnen hinter dem Engpaß von Gibraltar, den die Tscherkessen erschtürmen wollten. Weil er so wenig Leute hatte, ließ er die berühmte Hexe von Endor kommen, um ihm zu helfen. Er setzte sich mit ihr und seinen Schpartanern um den Kessel herum, in welchen allerlee Kräuter und Elefantenfüße geworfen wurden. Jedenfalls is da een Versehen vorgekommen, denn plötzlich zerschprang der Kessel und Dschengischan flog mit sämtlichen Schpartanern in die Luft. Er war der Höchste von allen und sah bei dieser Gelegenheet, daß die Erde sich unter ihm um ihre Achse drehte. Da rief er off hebräisch aus: O sancta Complicius, zu deutsch: Und sie bewegt sich doch!« Da konnte Helmers sich nicht mehr halten. Er sprang empor und stieß ein schallendes Gelächter aus. Daß der Hobble-Frank in seinem Fracke und dem Amazonenhute diesen Gallimathias mit solchem Ernste vorbrachte, war gar zu spaßhaft. »Was lachen Sie denn?« fragte Frank beleidigt. »Glooben Sie denn etwa, weil ich Ihr Kollege bin, können Sie mir ungeschtraft – – –« Er wurde glücklicherweise unterbrochen, sonst hätte er eine donnernde Philippika losgelassen. Bloody-fox trat nämlich jetzt wieder aus dem Hause und kam auf die beiden zu. Er blickte dem Hobble-Frank in das vor Zorn hochrote Gesicht und fragte: »Was gibt es denn? Worüber räsonnierest du?« Er sprach deutsch, weil er hörte, daß Frank sich derselben Sprache bediente. Dieser antwortete: »Worüber ich zürne? Darüber, daß dieser mein Kollege mich auslacht. Und warum lacht er mich aus? Weil er nichts von der sekundären Weltgeschichte verschteht. Ich gebe mir die schönste antike Mühe, ihm die antediluvianischen Konschtellationen der tscherkessischen Kriegsgeschichte zu erklären, aber er hat nich den mindesten Sinn für das Verhältnis zwischen der Taktik und Schtrategie des Mittelalters.« »Taktik? Strategie?« fragte der junge Mann ganz verblüfft. »Jawohl! Natürlich! Kennst du es?« »Nein!« »So will ich es dir erklären. Die richtige Taktik schteht zur richtigen Schtrategie grad in demselben Verhältnisse wie die Geometrie zur Archimetik, nämlich Radius mal Radius minus ix is gleich dem Quadrate der Hippodromuse mit zwee Kathedern im Lehrzimmer der Obersekunda. Kannst du das begreifen?« »Nein,« antwortete Bloody-fox, sehr der Wahrheit gemäß. »Das kann ich mir freilich denken, denn zu solchen genialen Schpekulationen gehört een angeborener Menschenverstand und sodann eene fleißige Ausbildung der internationalen Seelenkräfte. Wem's weder angeboren noch anerzogen is, der kann es eben nich begreifen. Du geschtehst das wenigstens ein und bleibst ernst dabei. Der Kollege aber kapiert es nich und lacht mich aus. Was soll ich von ihm denken? Er kennt mich nich. Ich bin geboren nach dem alten griechischen Sprichworte inter sacrum et saxum stat = im heiligen Staate Sachsen, und bin nich gewöhnt, über mich lachen zu lassen. Ueberlege dir die Sache und – – –« »Schön! Ich werde es mir sehr gern überlegen,« unterbrach ihn Bloody-fox. »Jetzt aber habe ich keine Zeit dazu. Ich kann jetzt nur an die armen Menschen denken, welche in der Llano estakata ermordet worden sind.« Er hatte wohl von dem dicken Jemmy genug erfahren, um zu wissen, wie der Hobble-Frank zu behandeln sei. Darum hütete er sich, demselben zu widersprechen und brachte einen Gegenstand zur Sprache, welcher ihn interessieren und von der Strafpredigt abbringen mußte. Er erreichte seine Absicht, denn Frank vergaß sofort seinen Zorn und fragte: »Menschen sind ermordet worden? In der Llano? Wann denn?« »Das weiß man nicht. Sie sind vor über acht Tagen von hier fort, aber nicht jenseits der Wüste angekommen. Folglich sind sie zu Grunde gegangen.« »Vielleicht doch nicht. Sie werden wohl in anderer Richtung geritten sein, als sie ursprünglich beabsichtigt haben.« »Eben das ist es ja, was ich befürchte. Von hier aus ist es nur in einer einzigen Richtung möglich, über die gefährlichen Plains zu gelangen. Diese Strecke ist ebenso gefährlich wie zum Beispiele die Sahara oder die Wüste Gobi. Es gibt in der Llano estakata keine Brunnen, keine Oasen und auch keine Kamele, welche viele Tage lang zu dürsten vermögen. Das macht diese Strecke so fürchterlich, obgleich sie kleiner ist als die große afrikanische oder asiatische Wüste. Es gibt keinen gebahnten Weg. Darum hat man die Richtung, in welcher der Ritt allein möglich ist, mit Pfählen abgesteckt, wovon die Wüste ihren Namen erhalten hat. Wer über diese Pfähle hinausgerät, der ist verloren; er muß den Tod des Verschmachtens sterben. Hitze und Durst verzehren ihm das Hirn; er verliert die Fähigkeit des Denkens und reitet so lange im Kreise herum, bis sein Pferd unter ihm zusammenbricht und er dann nicht weiter kann.« »So darf er nicht den abgesteckten Weg verlassen, meinst du wohl?« fragte Helmers, welcher sah, daß Frank den Kopf schüttelte. »Ja, das wollte ich sagen,« antwortete dieser. »Diese Vorsicht beobachtet auch jedermann. Es gibt nur sehr, sehr wenige, welche die Llano so genau kennen, daß sie sich auch ohne Pfähle zurecht zu finden vermögen. Aber wie nun, wenn von schlechten Menschen die Pfähle falsch gesteckt werden?« »Das wäre ja teuflisch!« »Gewiß, aber dennoch kommt es vor. Es gibt Verbrecherbanden, deren Mitglieder die Pfähle aus der Erde ziehen und in falscher Richtung wieder befestigen. Wer ihnen nun folgt, der ist verloren. Die Pfähle hören plötzlich auf; er befindet sich inmitten des Verderbens und kann keine Rettung finden.« »So reitet er längs der Pfähle zurück!« »Dazu ist's zu spät, denn er befindet sich bereits so tief in der Estakata, daß er das Grasland nicht mehr zu erreichen vermag, bevor er verschmachtet. Die Räuber brauchen ihn gar nicht zu töten. Sie warten einfach, bis er verschmachtet ist, und rauben dann seinen Leichnam aus. So ist es bereits oft geschehen.« »Aber kann man sie denn nicht unschädlich machen?« Eben, als Helmers antworten wollte, wurde seine Aufmerksamkeit durch einen sich langsam nähernden Mann in Anspruch genommen, dessen Ankunft erst jetzt, als er um die Ecke des Hauses trat, bemerkt wurde. Er war durchaus in schwarzes Tuch gekleidet und trug ein kleines Päckchen in der Hand. Seine lange Gestalt war sehr schmal und engbrüstig, sein Gesicht hager und spitz. Der hohe Chapeau claque, welcher ihm tief im Nacken saß, gab ihm, zumal er eine Brille trug, im Verein mit dem dunklen Anzuge das Aussehen eines Geistlichen. Er trat mit eigentümlich schleichenden Schritten näher, griff leicht an den Rand seines Hutes und grüßte: » Good day, Mesch'schurs! Komme ich vielleicht hier richtig zu John Helmers, Esquire?« Helmers betrachtete sich den Mann mit einem Blicke, aus welchem zu ersehen war, daß er kein großes Wohlgefallen an ihm fand, und antwortete: »Helmers heiße ich, ja, aber den Esquire könnt Ihr getrost weglassen. Ich bin weder Friedensrichter, noch liebe ich überhaupt dergleichen Titulaturen. Das sind doch nur faule Aepfel, mit denen sich ein Gentleman nicht gern bewerfen läßt. Da Ihr meinen Namen kennt, so darf ich vielleicht auch den Eurigen erfahren?« »Warum nicht, Sir! Ich heiße Tobias Preisegott Burton und bin Missionar der Heiligen des jüngsten Tages.« Er sagte das in einem sehr selbstbewußten und salbungsvollen Tone, welcher aber keineswegs den beabsichtigten Eindruck auf den Farmer machte, denn dieser meinte achselzuckend: »Ein Mormone seid Ihr also? Das ist keineswegs eine Empfehlung für Euch. Ihr nennt Euch die Heiligen der letzten Tage. Das ist anspruchsvoll und überhebend, und da ich ein sehr bescheidenes Menschenkind bin und für Eure Selbstgerechtigkeit nicht den mindesten Sinn habe, so wird es am besten sein, Ihr schleicht in Euren frommen Missionsstiefeln sogleich weiter. Ich dulde keinen Proselytenmacher hier im Settlement.« Das war sehr deutlich, ja sogar beleidigend gesprochen. Burton aber behielt seine verbindliche Miene bei, griff abermals höflich an den Hut und antwortete: »Ihr irrt, Master, wenn Ihr meint, daß ich beabsichtige, die Bewohner dieser gesegneten Farm zu bekehren. Ich spreche bei Euch nur vor, um mich auszuruhen und meinen Hunger und Durst zu stillen.« »So! Na, wenn Ihr nur das wollt, so sollt Ihr haben, was Euch nötig ist, vorausgesetzt natürlich, daß Ihr bezahlen könnt. Hoffentlich habt Ihr Geld bei Euch!« Er überflog die Gestalt des Fremden abermals mit einem scharfen, prüfenden Blicke und zog dann ein Gesicht, als ob er etwas nichts weniger als Angenehmes gesehen habe. Der Mormone erhob den Blick gen Himmel, räusperte sich einigemal und erklärte: »Zwar bin ich keineswegs übermäßig mit Schätzen dieser sündigen Welt versehen, aber Essen, Trinken und ein Nachtlager kann ich doch bezahlen. Freilich hatte ich nicht auf eine solche Ausgabe gerechnet, da mir gesagt wurde, daß das Haus John Helmers ein außerordentlich gastliches sei.« »Ah? Von wem habt Ihr das denn erfahren?« »Ich hörte es in Taylorsville, von woher ich komme.« »Da ist Euch die Wahrheit gesagt worden; aber man scheint vergessen zu haben, hinzuzufügen, daß ich unentgeltliche Gastfreundschaft nur an solchen Leuten übe, welche mir willkommen sind.« »So ist das bei mir wohl nicht der Fall?« »Nein, gar nicht.« »Aber ich habe Euch doch nichts gethan!« »Möglich! Doch wenn ich Euch genau betrachte, ist es mir, als ob mir von Euch nur Uebles geschehen könne. Nehmt es mir nicht übel, Sir! Ich bin ein aufrichtiger Kerl und pflege einem jeden genau nur das zu sagen, was ich von ihm denke. Ihr habt ein Gesicht – – ein Gesicht – – hm, wenn man es erblickt, so juckt es einem in der Hand. Man pflegt das ein – ein – ein Ohrfeigengesicht zu nennen.« Selbst jetzt that der Mormone nicht, als ob er sich beleidigt fühle. Er griff zum drittenmal an den Hut und sagte in mildem Tone: »Es ist in diesem Leben das Schicksal der Gerechten, verkannt zu werden. Ich bin nicht schuld an meinem Gesichte. Wenn es Euch nicht gefällt, so ist das nicht meine, sondern Eure Sache.« »So! Aber sagen braucht Ihr es Euch nicht zu lassen. Wenn jemand mir so aufrichtig mitteilte, daß mein Gesicht ihm nicht gefalle, so würde er im nächsten Augenblicke meine Faust in dem seinigen fühlen. Es gehört ein großer Mangel an Ehrgefühl oder – wie Ihr vielleicht meint – eine noch größere Verschlagenheit dazu, so etwas ruhig hinzunehmen. Uebrigens will ich Euch sagen, daß ich gegen Euer Gesicht an und für sich eigentlich gar nichts habe, sondern nur die Art und Weise, wie Ihr es in der Welt herumtragt, die behagt mir nicht. Und sodann kommt es mir ganz so vor, als ob es gar nicht Euer wirkliches Gesicht sei. Ich vermute sehr, daß Ihr eine ganz andere Miene aufsteckt, wenn Ihr Euch mit Euch allein befindet. Uebrigens will mir auch noch anderes an Euch nicht recht gefallen.« »Darf ich bitten, mir zu sagen, was Ihr meint?« »Ich sage es Euch, auch ohne daß Ihr mich darum bittet. Ich habe nämlich sehr viel dagegen, daß Ihr aus Taylorsville kommt.« »Warum? Habt Ihr Feinde dort?« »Keinen einzigen. Aber sagt mir doch einmal, wohin Ihr wollt?« »Hinauf nach Preston am Red River.« »Hm! Da geht wohl der nächste Weg hier bei mir vorüber?« »Nein, aber ich hörte so viel Liebes und Gutes von Euch, daß es mich im Herzen verlangt hat, Euch kennen zu lernen.« »Das wünscht ja nicht, Master Burton, denn es könnte Euch nicht gut bekommen! Kommt Ihr denn zu Fuß hierher?« »Ja.« »Ihr seid nicht im Besitze Eures Pferdes?« »Meines Pferdes? Ich habe keines.« »Oho! Versucht doch ja nicht, mir das weiszumachen! Ihr habt das Tier hier irgendwo versteckt, und ich vermute sehr, daß es kein ganz ehrenhafter Grund ist, der Euch dazu veranlaßt hat. Hier reitet jeder Mann, jede Frau und jedes Kind. Ohne Pferd gibt es in dieser Gegend kein Fortkommen. Ein Fremder, welcher sein Pferd versteckt und dann leugnet, eins zu besitzen, führt sicherlich nichts Gutes im Schilde.« Der Mormone schlug die Hände beteuernd zusammen und rief: »Aber, Master Helmers, ich schwöre Euch zu, daß ich wirklich kein Roß besitze. Ich gehe auf den Füßen der Demut durch das Land und habe noch nie in einem Sattel gesessen.« Da erhob sich Helmers von der Bank, trat zu dem Manne hin, legte ihm die Hand schwer auf die Achsel und sagte: »Mann, das sagt Ihr mir, wirklich mir, der ich so lange Jahre hier an der Grenze lebe? Meint Ihr denn, ich sei blind?« »Ich sehe ja, daß Ihr Euch die Wolle von den inneren Seiten Eurer Hose geritten habt. Ich sehe die Sporenlöcher in Euren Stiefeln, und – – –« »Das ist kein Beweis, Sir!« fiel der Mormone ihm in die Rede. »Ich habe die Stiefeln alt gekauft; die Löcher waren bereits darin.« »So! Wie lange Zeit tragt Ihr sie denn nun bereits?« »Seit zwei Monaten.« »Dann wären die Löcher längst mit Staub oder Schmutz gefüllt. Oder macht Ihr Euch etwa das Vergnügen, sie täglich neu auszubohren? Es hat in letzter Nacht geregnet; eine so weite Fußwanderung hätte Eure Stiefel über und über beschmutzt. Daß sie so sauber sind, wie ich sehe, ist ein sicherer Beweis, daß Ihr geritten seid. Uebrigens duftet Ihr nach Pferd, und da, da schaut einmal her! Wenn Ihr wieder einmal die Sporen in die Hosentasche steckt, so sorgt dafür, daß nicht ein Rad davon außen am Saume hängen bleibt!« Er deutete auf das messingene Sporenrad, welches aus der Tasche hervorsah. »Diese Sporen habe ich gestern gefunden,« verteidigte sich der Mormone. »So hättet Ihr sie lieber liegen lassen sollen, da Ihr sie ja doch nicht braucht. Uebrigens braucht es mich ja gar nichts anzugehen, ob Ihr reitet oder mit Schusters Fregatte segelt. Meinetwegen könnt Ihr auf Schlittschuhen durch die Welt laufen. Wenn Ihr bezahlen könnt, so sollt Ihr Essen und Trinken haben; dann aber macht Euch wieder fort. Ueber die Nacht kann ich Euch nicht behalten. Ich nehme nur Leute, welche keinen Verdacht erregen, bei mir auf.« Er trat an das offene Fenster, sagte einige halblaute Worte hinein und kehrte dann wieder an seinen Platz zurück, wo er sich niederließ und sich scheinbar gar nicht weiter um den Fremden bekümmerte. Dieser setzte sich an den nächsten Tisch, legte sein Bündel auf denselben, faltete kopfschüttelnd die Hände und senkte ergeben das Haupt, ruhig wartend, was man ihm bringen werde. Er hatte ganz das Aussehen eines Mannes, welchem ein unverdienter Schmerz bereitet worden war. Hobble-Frank hatte der kurzen Unterhaltung mit Interesse zugehört; jetzt nun, da sie beendet war, beachtete er den Mormonen nicht weiter. Ganz anders aber verhielt sich Bloody-fox. Dieser hatte gleich beim Erscheinen des Fremden die Augen weit geöffnet und dann den Blick nicht wieder von ihm gewendet. Er hatte sich nicht niedergesetzt gehabt und war willens gewesen, die Farm zu verlassen; sein Pferd stand ja noch neben ihm. Jetzt griff er sich nach der Stirn, als ob er sich vergeblich bemühe, sich auf etwas zu besinnen. Dann ließ er die Hand sinken und nahm langsam dem Farmer gegenüber Platz, so daß er den Mormonen genau beobachten konnte. Er gab sich Mühe, sich nichts merken zu lassen; aber ein scharfer Beobachter hätte dennoch bemerken können, daß er innerlich in ganz ungewöhnlicher Weise beschäftigt sei. Da trat eine ältliche, wohlbeleibte Frau aus der Thür. Sie brachte Brot und ein gewaltiges Stück gebratene Rindslende herbei. »Das ist meine Frau,« erklärte Helmers dem Hobble-Frank in deutscher Sprache, während er mit dem Mormonen englisch gesprochen hatte. »Sie versteht ebensogut deutsch wie ich.« »Das freut mich ungeheuer,« meinte Frank, indem er ihr die Hand reichte. »Es is gar lange Zeit her, daß ich zum letzten Male mit eener Lady mich um die deutsche Muttersprache herumbewegte. Seien Sie mir also hoch willkommen und gebenedeiet, meine scharmante Frau Helmers. Hat Ihre Wiege sich vielleicht ooch im Vater Rheine oder in der Schwester Elbe geschaukelt?« »Wenn auch das nicht,« antwortete sie lächelnd. »Man pflegt selbst drüben in der Heimat die Wiegen nicht in das Wasser zu stellen. Aber eine geborene Deutsche bin ich doch.« »Na, das mit dem Rheine und der Elbe war natürlich nich so wörtlich gemeent. Sie müssen das als een poetisch humanes Metafferbeischpiel nehmen. Ich hab meinen erschten wonnevollen Atemzug in der Nähe von Elbflorenz gethan, was der mathematische Geograph nämlich Dresden nennt. Da is es bei den dortigen Kunstschätzen keen Wunder nich, wenn unsereener sich gewöhnt hat, in der höheren lyrischen Ausdrucksweise zu schweben. Wenn Schiller im ›Gange nach der Hammerschmiede‹ so schön singt, ›der Menschheit Würde ist euch in alle beeden Hände gegeben‹, so sind wir Sachsen ganz besonders gemeent, denn uns hat das Herz des Dichters gehört, weil seine Frau, eene gewisse geborene Barbara Uttmann, ooch eene née Sächsin war. Trotzdem achte ich jede andere Deutsche ebenso, und so bitte ich Sie herzlich, Ihre gastlichen Flügel um mein freundliches Individuum zu schlagen. Den Dank, Dame, vergesse ich nich – – was sich übrigens bei meinem exquisiten Kulturschtandpunkte ganz von selbst verschteht.« Die gute Frau wußte wirklich nicht, was sie dem eigentümlichen Kerlchen antworten sollte. Sie sah ihren Mann fragend an, und dieser kam ihr in ihrer Verlegenheit zu Hilfe, indem er ihr erklärte: »Dieser Herr ist ein sehr lieber Kollege von mir, ein brav geschulter Forstmann, welcher drüben sicher eine gute Karriere gemacht hätte.« »Ganz gewiß!« fiel Frank schnell ein. »Die höhere, intensive Forschtwissenschaft war die Leiter, off welcher ich mit Armen und Beenen emporgeklimmt wäre, wenn mich nich mein Fatum hinten angepackt und herüber nach Amerika gezogen hätte. Ich habe es glücklicherweise nich zu bereuen, daß ich der Schtimme des Schicksales mein musikalisches Gehör geschenkt habe. Ich bin von den zwölf Musen emporgehoben worden off diejenige Zinne der subtellurischen Gesittung, off welcher dem Eingeweihten alles Niedrige wurscht und schnuppe is. Von diesem Standpunkte aus konschtatiere ich, daß die Frauen es sind, die uns den himmlischen Ambrosius im Neckar kredenzen, mit welchem Bilde ich mich natürlich off Ihr Bier und Ihre gebratene Lende beziehe. Darum wollen wir sofort die Klinge ziehen und uns der freundlichen Gaben erbarmen, welche wir Ihrer liebenswürdigen Loyalität zu verdanken haben. Ich hoffe, wir werden uns schnell kennen lernen, meine ergebenste Frau Helmers!« »Das bin ich überzeugt!« nickte sie ihm zu. »Jawohl, natürlich! Hochgebildete Leute werden von ihrem angeborenen Inschtinkte sofort zusammengeführt. Was unter den Wolken liegt, das kümmert uns nichts. Uebrigens ist mein Bier jetzt alle; könnte ich noch eens bekommen?« Sie nahm sein Glas, um ihm das Gewünschte zu holen. Bei dieser Gelegenheit brachte sie für den Mormonen Brot, Käse, Wasser und ein kleines Gläschen voll Brandy mit. Er begann sein frugales Mahl, ohne sich darüber zu beschweren, daß er kein Fleisch erhalten hatte. Da kam Bob der Neger herbei. »Masser Bob sein fertig mit Pferden,« meldete er. »Masser Bob auch mit essen und trinken!« Da fiel sein Blick auf den »Heiligen der letzten Tage«. Er blieb stehen, fixierte den Mann einige Augenblicke und rief dann: »Was sehen Masser Bob! Wer hier sitzen! Das sein Massa Weller, der Dieb, welcher haben gestohlen Massa Baumann all sein viel Geld!« Der Mormone fuhr von seinem Sitze auf und starrte den Schwarzen erschrocken an. »Was sagst du?« fragte Frank, indem er auch aufsprang. »Dieser Mann soll jener Weller sein?« »Ja, er es sein. Masser Bob ihn ganz genau kennen. Masser Bob ihn haben damals sehr gut ansehen.« » Lack-a-day! Das würde ja eine allerliebste Begegnung sein! Was sagt denn Ihr dazu, Master Tobias Preisegott Burton?« Der Mormone hatte seinen augenblicklichen Schreck überwunden. Er machte eine verächtliche Armbewegung gegen den Neger und antwortete: »Dieser Schwarze ist wohl nicht recht bei Sinnen? Ich verstehe ihn nicht. Ich weiß nicht, was er will!« »Seine Worte waren doch deutlich genug. Er nannte Euch Weller und sagte, daß Ihr seinen Herrn, einen gewissen Baumann, bestohlen hättet.« »Ich heiße nicht Weller.« »Vielleicht habt Ihr einmal so geheißen?« »Ich heiße jetzt und hieß auch zu aller Zeit Burton. Der Nigger scheint mich mit irgend jemand zu verwechseln.« Da trat Bob drohend auf ihn zu und rief: »Was sein Masser Bob? Masser Bob sein ein Neger, aber kein damned Nigger. Masser Bob sein ein coloured Gentleman. Wenn Massa Weller noch einmal sagen Nigger, so Masser Bob ihn schlagen nieder mit Faust, wie Massa Old Shatterhand es ihm hat zeigen!« Da stellte sich Helmers zwischen die beiden und sagte: »Bob, keine Thätlichkeit! Du klagst diesen Mann eines Diebstahles an. Kannst du Beweise bringen?« »Ja, Bob Beweise bringen. Massa Frank auch wissen, daß Massa Baumann sein bestohlen worden. Er können Zeuge sein.« »Ist das wahr, Master Frank?« »Ja,« antwortete der Gefragte. »Ich kann es bezeugen.« »Wie ist es denn bei dem Diebstahle zugegangen?« »In folgender Weise: Mein Gefährte Baumann, welcher von denen, die ihn kennen, kurzweg ›der Bärenjäger‹ genannt wird, hatte droben in der Nähe des Platte River einen Store angelegt, und ich war sein Gefährte und Kompagnon. Das Geschäft ging anfangs sehr gut, da es viel von den Goldgräbern besucht wurde, welche sich damals in den Black Hills zusammengezogen hatten. Wir nahmen viel Geld ein, und es lag oft eine bedeutende Menge von Münzen und Nuggets bei uns verborgen. Eines Tages mußte ich eine Rundtour zu den Diggers unternehmen, um Schulden einzutreiben. Als ich am dritten Tage zurückkehrte, hörte ich, daß Baumann indessen bestohlen worden sei. Er hatte sich mit Bob allein befunden und einen Fremden über Nacht behalten, dessen Name Weller gewesen war. Am anderen Morgen war mit diesem das ganze Geld verschwunden gewesen, und die Verfolgung hatte nichts genützt, weil durch ein inzwischen eingetretenes Gewitter die Fährte des Diebes verwischt worden war. Es hat sich bisher keine Spur des Mannes finden lassen, obgleich wir während der Zeit, welche indessen vergangen ist, uns oft nach diesem guten Master Weller erkundigt haben. Jetzt behauptet Bob, ihn in diesem Heiligen des jüngsten Tages zu erkennen, und ich möchte nicht annehmen, daß er sich irrt. Bob hat offene Augen und ein sehr gutes Personengedächtnis. Er versicherte damals, sich den Menschen so genau angesehen zu haben, daß er ihn selbst unter einer Verkleidung sofort erkennen werde. Das, Master Helmers, ist es, was ich in dieser Angelegenheit zu sagen habe.« »Also Ihr selbst habt den Dieb damals nicht gesehen?« »Nein.« »So seid Ihr freilich nicht imstande, dem Neger zu bezeugen, daß wir den Dieb wirklich vor uns haben. Bob steht mit seiner Behauptung allein. Was da zu machen ist, werdet Ihr ebensogut wissen, wie ich.« »Masser Bob es genau wissen, was zu machen sein!« rief der Neger. »Masser Bob schlagen den Spitzbuben tot. Masser Bob sich nicht irren, sondern ihn sehr gut erkennen.« Er wollte Helmers zur Seite schieben, um an den Mormonen zu kommen; der Farmer aber hielt ihn zurück und sagte: »Halt! Das wäre eine Gewaltthätigkeit, welche ich auf meinem Grund und Boden nicht dulden kann.« »Gut, dann Masser Bob warten, bis Spitzbube sein fort von Grund und Boden; dann aber ihn aufknüpfen am nächsten Baum. Masser Bob hier sitzen und gut aufpassen, wenn fortgehen der Dieb; er ihn sicherlich nicht aus den Augen lassen!« Er setzte sich nieder, doch so, daß er den Mormonen im Auge hatte. Man sah ihm an, daß es ihm mit seiner Drohung völlig Ernst sei. Burton musterte mit ängstlichem Blicke die riesige Gestalt des Negers und wendete sich dann an Helmers: »Sir, ich bin wirklich unschuldig. Dieser schwarze Master verkennt mich ganz und gar, und ich hoffe, daß ich mich auf Euren Schutz verlassen kann.« »Verlaßt Euch nicht zu sehr auf mich,« lautete die Antwort. »Es sind keine genügende Beweise erbracht, und mich geht der Diebstahl überhaupt nichts an, weil ich keinerlei amtliche Eigenschaft besitze. Infolgedessen könnt Ihr ruhig sein, solange Ihr Euch hier befindet. Ich habe Euch aber bereits gesagt, daß Ihr Euch baldigst von dannen machen sollt. Was dann geschieht, das ist mir gleichgültig. Ich kann Master Bob das Recht nicht bestreiten, diese Angelegenheit unter vier Augen mit Euch zu ordnen. Zu Eurer ganz besonderen Beruhigung will ich gern noch versichern, daß ich nicht vor Entsetzen in Ohnmacht fallen werde, falls ich Euch morgen unter irgend einem Baume begegnen sollte, dessen stärkster Ast Euch zwischen Hals und Binde geraten ist.« Damit war die Sache für einstweilen abgethan. Der Mormone wendete sich seinem Mahle wieder zu, aber er aß möglichst langsam und mit bedeutenden Pausen, um die ihm gewährleistete Sicherheit möglichst lange zu genießen. Bobs rollende Augen ließen kaum einen Augenblick von ihm, und Bloody-fox, welcher sich äußerlich ganz passiv verhalten hatte, fixierte ihn noch ebenso wie vorher. Der junge Mann mußte ein ganz eigenartiges Interesse an dem angeblichen Mormonen finden. Jetzt war jeder mit dem Essen und mit seinen eigenen Gedanken so beschäftigt, daß die Unterhaltung vollständig stockte. Und als später Frank das vorher abgebrochene Gespräch über die Llano estakata wieder in Fluß bringen wollte, wurde er durch das abermalige Erscheinen eines Ankömmlings daran verhindert. »Euer Haus scheint ein sehr besuchtes zu sein, Master Helmers,« sagte er. »Dort kommt schon wieder ein Horsemann, der es auf Euch abgesehen hat.« Der Wirt wendete sich rückwärts, um nach dem Reiter zu sehen. Als er denselben erkannte, sagte er in lebhaftem Tone: »Das ist einer, den ich stets willkommen heiße, ein tüchtiger Kerl, auf den man sich in jeder Beziehung verlassen kann.« »Wohl ein Trader, wie es scheint, der bei Euch seine verkauften Waren erneuern will?« »Meint Ihr das, weil er zu beiden Seiten des Sattels so große Taschen hängen hat?« »Ja.« »So irrt Ihr Euch. Er ist kein Händler, sondern einer unserer vorzüglichsten Scouts, den Ihr kennen lernen müßt.« »Vielleicht ist mir sein Name bekannt.« »Wie er eigentlich heißt, weiß ich nicht. Man nennt ihn allgemein den Juggle-Fred, und er hat noch nie etwas gegen diesen Namen eingewendet.« »Ein eigentümlicher Name! Warum hat er denselben erhalten?« »Weil er Hunderte von Kunststücken zu machen versteht, über welche man in das größte Erstaunen geraten kann. Die dazu gehörigen Apparate führt er eben in den Euch auffälligen Taschen bei sich.« »Also ein reisender Taschenspieler, welcher bei Gelegenheit den Führer und Pfadfinder macht?« »Grad umgekehrt: Ein ausgezeichneter Fährtenläufer, welcher seine Gesellschaft gelegentlich mit Kunststücken unterhält. Wer ihm eine Bezahlung für die letzteren bieten wollte, würde ihn außerordentlich beleidigen. Er scheint mit berühmten Prestidigitateurs gereist zu sein und ist auch der deutschen Sprache vollständig mächtig. Warum er nach dem Westen gekommen ist und auch da verbleibt, während er anderswo durch seine Fingerfertigkeit ein steinreicher Mann werden könnte, das weiß ich nicht, geht mich auch nichts an, doch bin ich überzeugt, daß Ihr Euer Wohlgefallen an ihm haben werdet.« »Das ist sehr wahrscheinlich, weil er des Deutschen mächtig ist. Sagt ihm nur gleich, daß er sich dieser Sprache hier bedienen kann!« »Natürlich erfährt er das sofort. Seht ihn Euch nur genau an, besonders seine Augen, welche verschiedene Farben haben. Er ist two-eyed. « Derjenige, über welchen diese Bemerkungen gemacht wurden, war jetzt nahe herangekommen. Er hielt, nur noch eine kurze Strecke von dem Hause entfernt, sein Pferd an und rief: »Hallo, alter Lodging-uncle, hast du noch Raum für einen armen Needy-wretch, der seine Zeche nicht bezahlen kann?« »Für dich ist zu jeder Zeit Platz vorhanden,« antwortete Helmers. »Komm nur heran; steige vom Ziegenbock herab, und mache es dir bequem. Du wirst dich in angenehmer Gesellschaft befinden.« Der einstige Taschenspieler überflog die Anwesenden mit prüfendem Blicke und meinte: »Will es hoffen! Unseren Bloody-fox kenne ich bereits. Der Schwarze macht mir keine Sorge. Der andere kleine Gentleman im Frack und Ladieshut scheint auch kein übler Kerl zu sein. Und der dritte dort, der in den Käse beißt, als ob er eine Igelhaut verzehren müsse, nun, hm, den werde ich wohl noch kennen lernen.« Es war doch eigentümlich, daß auch dieser Mann sofort ein Mißtrauen gegen den Mormonen äußerte. Er trieb sein Pferd vollends heran und sprang aus dem Sattel. Indem er den Wirt wie einen alten Freund mit beiden entgegengestreckten Händen auf das herzlichste begrüßte, konnte Frank ihn genau betrachten. Dieser Juggle-Fred war eine selbst hier im fernen Westen auffallende Erscheinung. Das erste, was man an ihm bemerkte, war ein bedeutender Höcker, welcher seine sonst wohlgegliederte Gestalt verunzierte. Sein Körper war von mittlerer Größe und sehr kräftig gebaut, nicht kurzleibig, engbrüstig und langarmig, wie es bei den meisten Buckeligen der Fall zu sein pflegt. Sein rundes, volles, glatt rasiertes Gesicht war tief gebräunt, aber auf der linken Seite arg zerrissen, als ob da einmal eine fürchterliche Wunde kunstwidrig zusammengeflickt worden sei. Und sonderbarerweise waren seine Augen ganz auffallend verschieden gefärbt, denn das linke war vom schönsten Himmelblau, während das rechte die tiefste Schwärze zeigte. Er trug hohe Büffelkalbstiefel von braunem Leder mit großräderigen mexikanischen Sporen, schwarze Lederhose mit eben solcher Weste und darüber ein blusenartiges Wams von starkem, blauem Tuchstoffe. Um seine Lenden war ein breiter Ledergürtel geschnallt, welcher einer sogen. Geldkatze glich und neben den Patronen, dem Messer und einem Revolver, von bedeutendem Kaliber, allerhand Kleinigkeiten enthielt, deren ein Westmann so notwendig bedarf. Weit über die Stirn herein, so daß man diese gar nicht sehen konnte, saß eine ziemlich neue Bibermütze, von welcher der präparierte Schwanz des betreffenden Tieres hinten bis über den Nacken hernieder hing. Hätte der Mann den Höcker nicht gehabt, so wäre seine Erscheinung eine kräftig angenehme, ja vielleicht eine imponierende gewesen. Sein Pferd war von Helmers scherzhafterweise als Ziegenbock bezeichnet worden, und dieser Vergleich konnte nicht ein ganz grundloser genannt werden. Das Tier war eine außerordentlich hochbeinige und scheinbar sehr abgetriebene Kreatur. An dem nackten Schwanzstummel, welchen es jetzt tief gesenkt hielt, saßen nur noch einige wenige kurze Haare, die eine außerordentliche Anhänglichkeit für die Stelle haben mußten, welcher sie vor langen Jahren entsprossen waren. Ob das Roß einst ein Rappe, ein Brauner oder ein Fuchs gewesen sei, das vermochte man jetzt nicht mehr zu bestimmen, denn sein Körper war an vielen Stellen vollständig kahl, und da, wo Haare noch vorhanden waren, zeigten sie ein so unbestimmtes Grau, als ob der alte Hengst bereits zur Zeit der Völkerwanderung von irgend einem Sueven oder Gepiden geritten worden sei. Von einer Mähne war keine Spur vorhanden. Der unverhältnismäßig große Kopf hing so weit nieder, daß das Maul beinahe die Erde berührte, und schien die langen, dicken und kahlen Eselsohren kaum tragen zu können, welche wie riesige Lederfutterale sich liebevoll bis an die Unterkiefer schmiegten. Dazu hielt das Tier die Augen geschlossen, als ob es schlafe, und wie es so bewegungslos da stand, war es ein unübertreffliches Bild der Dummheit und bemitleidenswertesten physischen Vermögenslosigkeit. Nachdem der Besitzer dieses Pferdes dem Wirte die Hände gedrückt hatte, fragte er: »Also Platz hast du für mich? Ob aber auch ein Essen?« »Natürlich! Setze dich nur her! Hier ist noch Fleisch genug für dich.« »Danke! Habe mir gestern den Magen verdorben. Rind ist mir heute zu schwer. Ein junges Huhn wäre mir lieber. Kannst du eins schaffen?« »Warum nicht. Schau her! Da laufen die Backhühnchen in Masse herum.« Er deutete auf zwei Völkchen junger Hühner, welche unter dem Schutze ihrer mütterlichen Glucken in der Nähe der Tische umhertrippelten, um die herabfallenden Brocken aufzupicken. »Schön!« nickte Fred. »Ich bitte um eins. Deine Housewife mag es mir vorrichten.« »Dazu hat sie keine Zeit. So ein Ding zu rupfen, ist nicht nach ihrem Geschmacke. Und die Mägde sind in die Maisfelder gegangen.« »Wer spricht denn vom Rupfen! Das mute ich niemand zu.« »Soll das Huhn etwa mit den Federn gebraten oder gebacken werden?« »Mann, was denkst du von mir! Kennst du mich so schlecht, daß ich dir wie ein Mann vorkomme, welcher nicht weiß, wie man einem Huhne die Federn nimmt? Wenn aber du es noch nicht wissen solltest, so will ich es dir zeigen.« Er nahm sein Doppelgewehr vom Sattelknopfe, wo er es hängen hatte, legte auf eins der Hühnchen an und drückte ab. Als der Schuß krachte, bewegte sein Pferd nicht einmal eins der geschlossenen Augenlieder. Es schien so stocktaub zu sein, daß es selbst einen in solcher Nähe abgegebenen Schuß nicht hören konnte. Das Huhn war tot zusammengebrochen. Der Mann hob es auf und zeigte es vor. Es hatte zu aller Erstaunen nicht eine einzige Feder mehr und konnte sofort ausgenommen und gebacken werden. » All devils! « lachte Helmers. »Dieses Mal hast du mich doch überrumpelt. Konnte es mir doch denken, daß es wieder auf eines deiner Kunststücke abgesehen war. Aber wie hast du das denn angefangen?« »Mit dem Fernrohre.« »Unsinn! Hast ja mit der Büchse geschossen.« »Allerdings. Aber vorher habe ich Euch aus der Ferne durch mein Taschenteleskop beobachtet und auch das junge Hühnervolk bemerkt. Natürlich traf ich sogleich Vorbereitung, mich als Tausendkünstler bei Deinen heutigen Gästen einzuführen.« »Darf man diese Vorbereitung kennen lernen?« »Warum nicht? Es ist ja nur Spielerei. Lade einen tüchtigen Schuß grobe Iron-filings anstatt der Kugel oder des Schrotes, und ziele so, daß die Ladung den Vogel von hinten nach vorn überfliegt, so werden die Federn, falls sie nicht bereits zu stark sind, vollständig abrasiert und abgesengt. Du siehst, man braucht nicht die schwarze und weiße Magie studiert zu haben, um ein sogenannter Zauberkünstler zu sein. Uebrigens galt es nur, mich mit Effekt bei diesen Gentlemen hier einzuführen; das Hühnchen mag ich nicht. Ich halte mich lieber auch an Deinen Lendenbraten. Hoffentlich ist es erlaubt, mich mit herzusetzen?« »Natürlich! Diese beiden Gentlemen sind Freunde von mir, gute Bekannte von Old Shatterhand, den sie hier erwarten!« »Old Shatterhand?« fuhr der Juggle-Fred auf. »Ist das wahr?« »Ja. Auch der dicke Jemmy will kommen.« » Heigh-day! Das ist ja eine Nachricht, wie man sie gar nicht besser hören kann! Habe diesen Old Shatterhand längst einmal zu sehen gewünscht, wenn auch nur so von weitem, denn gegen den muß unsereiner in der Ferne bleiben. Daß dieser Wunsch mir jetzt erfüllt werden kann, ist mir lieber, als ob ich eine Goldbonanza entdeckt hätte. Es freut mich unendlich, daß ich grad zur richtigen Zeit hierher gekommen bin.« »Ebenso wird es Dich freuen, wenn du erfährst, daß dieser Sir ein Deutscher ist. Er heißt Frank und ist ein Kollege von – – –« »Frank?« unterbrach ihn der Zauberkünstler. »Etwa gar der Hobble-Frank?« »Sapperment!« rief da der kleine Sachse. »Sie kennen also meinen Namen? Wie is das eegentlich die Möglichkeit?« Er hatte deutsch gesprochen; darum antwortete der Juggle-Fred in derselben Sprache: »Darüber brauchen Sie sich gar nicht zu wundern. Früher waren andere Zeiten; da geschahen gute und schlimme Heldenthaten in Menge hier im fernen Westen, und bei den mangelhaften Verbindungen, welche es gab, kam die Kunde davon nur sehr langsam vorwärts. Aber jetzt, wenn einmal etwas Hervorragendes geleistet wird, fliegt die Nachricht davon im Nu von den Seen bis Mexiko und vom alten Frisco bis nach New York. Ihr kühner Zug nach dem Yellowstonepark ist bereits weit bekannt, und Ihre Namen sind es natürlich auch. In jedem Fort, in jedem Settlement, an jedem Lagerfeuer, an welchem wenigstens zwei bei einander saßen, wurde von Ihrem Ritte und den einzelnen Personen, welche an demselben teilnahmen, erzählt, und so dürfen Sie sich nicht wundern, daß ich Ihren Namen kenne. Ein Fallensteller, welcher hoch droben am Spotted-Tail-Wasser mit Moh-aw, dem Sohne Tokvi-teys, gesprochen hatte und jetzt tief herab nach Fort Arbukle gekommen war, hat allen, die er traf, und zuletzt auch mir die Geschichte so ausführlich erzählt, wie er sie selbst gehört hatte.« »Hören Sie,« meinte Hobble-Frank, »wer weeß, was da alles vom Spotted-Tail-Wasser bis zum Fort Arbukle an die Geschichte gehängt worden is. Da wird aus eener Maus een Eisbär, aus eenem Regenwurm eene Riesenschlange und aus eenem bescheidenen Biberjäger zuletzt gar een hoch berühmter Hobble-Frank. Ich will's ja gern zugeben, daß mir die reenen Herkulesse und Minotaurusse gewesen sind, aberst mehr, als wahr is, das laß ich mir nich gern nachsagen. Den Helden ziert die Tugend der rückhaltlosesten Bescheidenheit. Darum muß ich alles hinzugefügte offs schtrengste von mir abweisen und mich mit dem Krönungsmantel meiner eegenen persönlichen Würde und Vorzüglichkeet begnügen. Wenn man das nich thäte, so getraute es sich zuguterletzt keen Mensch mehr mit unsereenem zu schprechen und zu reden. Darum habe ich den Beschluß gefaßt, so herablassend und populär wie möglich zu sein, und ich hoffe, daß Sie das bei meinen berühmten Kenntnissen und Begebenheeten doppelt anerkennen werden. Weiter will ich an dieser Schtelle und zu dieser Schtunde gar nichts sagen, denn schon Nebukadnezar, welcher der Gott des Donners bei den alten Deutschen war, hat gesagt: Reden is bloß Silber, Schweigen aber is een Fufzigmarkschein!« Fred machte ein ziemlich verblüfftes Gesicht und blickte Helmers fragend an. Dieser raunte ihm die erklärenden Worte »ein liebenswürdiges Original« zu, worauf der Jugglemann nun wußte, wie er sich zu verhalten habe. Darum sagte er, indem er die treuherzigste und unbefangenste Miene zeigte: »Es bedarf gar keiner Erklärung von Ihrer Seite. Ich habe bereits von dem erwähnten Berichterstatter vernommen, welch ein Ausbund von Bescheidenheit Sie sind. Das stellt natürlich Ihre Vorzüge in ein dreifach helles Licht und verzehnfacht mein Vergnügen, Sie hier kennen zu lernen. Ich wünsche von ganzem Herzen, als Freund von Ihnen an- und aufgenommen zu werden. Bitte, geben Sie mir Ihre Hand!« Der streckte Frank die Hand entgegen. Dieser aber zog die seinige schnell zurück und antwortete: »Halt, mein Bester, nich gar zu eilig! Was die Freundschaft betrifft, so nehme ich sie sehr ernst, denn sie is dasjenige der tragischen Temperamente, off welchem das erhabene Wohlbefinden der chemisch sophistischen Geistesbeziehungen aller irdischen Harmonie beruht. Ich habe da sehre trübe Erfahrungen gemacht und werde mich in Zukunft nur erst nach langer und eingehender Prüfung mit eener Seele vereinigen, die sich mit der wahren und wirklichen Bildung zusammengeschmolzen hat. Die Halbbildung verursacht doch nur unreenes Blut. Wenn ich mir eenmal een Möbelmang koofe, so muß es ooch von echtem Nußboom sein. Und grad so is es in Beziehung off das seelisch animalische Gebiet der freundschaftlichen Depressionen. Ehe wir nun uns also Schmollis und Vizudit nennen, muß ich Sie erscht genauer kennen lernen.« »Ganz wie Sie wollen, Master Frank! Ich gebe Ihnen im allgemeinen sehr recht, zweifle aber auch keinen Augenblick daran, daß wir uns recht bald innig zugethan sein werden.« »Das möchte ich vielleicht ooch glooben, denn ich habe da von Herrn Helmers erfahren, daß Sie een weitgereister und kunstsinniger Mann sind. Sie sollen ja der reenste Bosco sein!« »Bosco? Haben Sie von diesem Künstler gehört?« »Nur gehört? Gesehen habe ich ihn sogar und mit ihm gesprochen!« »Ah! Wo denn?« »Nun, Sie wissen vielleicht, daß er in der Nähe von Dresden gewohnt hat, wo er dann bei seinem Tode ooch gestorben is. Dort kannte ihn jedermann. Er kam ooch zuweilen nach Moritzburg, um sich die dortigen Ledertapeten und Hirschgeweihe im Jagdschlosse anzusehen. Wissen Sie, es gibt dort Geweihe von 24 bis 50 Enden und sogar eenen gradezu menschtrösen Sechsundsechzigender. Nachher pflegte er schtets im Gasthofe à la Quarte zu schpeisen. Ich war ooch oft da, weil ich dort mit dem Schulmeester, dem Nachtwächter und dem Hausknechte unser akademisch-lin guistisch-phänomentales Kränzchen abhielt. Wir waren vier durschtige Geister, die nach Höherem schtrebten und Verlangen trugen, aus den halluzinatorischen Rhomboiden des Alltaglebens in eene lichtere Vivisektion empor zu schweben. Dort nun traf ich ooch eenmal mit dem berühmten Bosco zusammen. Er saß vorn und ich hinten, aberst unsere Regenschirme schtanden höchst vertraulich nebeneinander. Ich ging eher fort als er und vergriff mich falsch, denn ich kriegte seinen seidenen Parapluie in die Hand und ließ dafür meinen scharlachwollenen mit blauer Kante liegen. Er bemerkte es noch zur richtigen Zeit und rief mir zu: ›Dummkopf, machen Sie doch die Augen auf! Meinen Sie etwa, daß ich Ihr feuerrotes Vizinaldach nach Dresden schleppen soll!‹ Ich wechselte natürlich die Verwechselung sofort wieder um, sagte eenige entschuldigende, geistreiche Worte, machte ihm eene tiefe, höfliche Referende und schwenkte mich befriedigt zur Thüre hinaus. Dem Laien mögen seine Worte vielleicht nich grad übermäßig höflich vorkommen; der Eingeweihte aberst weeß sehr genau, daß so een großer Geist nur in geflügelten Worten schpricht, an welche een intermeetierend sensitiverer Maßschtab gelegt werden muß. Sie als gebildeter Erdenbürger und geographisch politischer Schutzverwandter werden das begreifen und mir das Testimonikum pauperenzia geben, daß ich mit dem allergrößten Rechte schtolz off diese Abendunterhaltung mit dem großen Künstler sein kann.« »Gewiß, das bestätige ich,« nickte der Juggle-Fred. »Schön! ich danke Ihnen! Aus dieser Ihrer einschtimmigen Bereitwilligkeet zur Befestigung meiner angeschtammten Ehre und Remuneration ersehe ich mit scharfem Blicke, daß die Natur Sie ooch mit eenigen Gaben bedacht hat, welche noch zur schönsten Entwickelung kommen können, wenn Sie sich entschließen wollen, die westgotisch-byzantinische Loofbahn zu betreten, welche ich mit siegreichen Schritten zurückgelegt habe. Wenn Ihr geistiges Ahnungsvermögen vielleicht eenmal in eener philosophischen Attitüde schtecken bleiben sollte, so wenden Sie sich nur getrost an mich; ich werde Ihnen mit Vergnügen beischpringen und Sie sofort von der niederträchtigen Philomele befreien.« »Philomele? Wieso?« »Wissen Sie nich was Philomele is?« »O doch. Es ist der dichterische Name für die Nachtigall.« »Nachtigall? Sind Sie denn bei Troste! Was hat denn die Nachtigall mit der Hölle zu thun? Philomele war der Höllenhund, welchen der Cerberus zwischen seinen Beenen totgedrückt hat.« »Ach so!« meinte Fred, welcher sich anstrengen mußte, sein Lachen zu verbeißen. »Und wer war denn der Cerberus?« »Das wissen Sie ooch nich? Nun, da können Sie von mir freilich gewaltig profitieren. Der Cerberus war eener von den beeden Dioskuren, welche die Schutzpockenimpfung erfunden haben. Der andere Dioskur war derjenige, welcher nach der Schlacht an der Alma sagte: ›Jedem ein Ei, aber dem braven Silbermann zwei, denn er hat die Ziehharmonika erfunden!‹ Solche Oogenblicke aus der vergangenen Weltgeschichte – – –« »Sie meinen wohl nicht die Ziehharmonika,« fiel Fred ein. »Silbermann war ein Orgelbauer, welcher in Frauenstein in Sachsen geboren wurde.« »Ganz richtig, ganz richtig! Aber eben weil er Orgelbauer war, is es ihm so leicht geworden, die Ziehharmonika zu erfinden. Er hat die erschte zu Napoleon gebracht, um sie ihm zu schenken; der aber hat ihn mit derselbigen schtolz wie een dummer Schpanier abgewiesen. Schpäter aber mußte er es bitter bereuen. Er wurde in der Volkerschlacht bei Cannä gefangen und von den Engländern nach der Felseninsel St. Helena geschafft. Unterwegs sagte er zum alten Derfflinger, der ihm alleene treu geblieben war: ›Als ich Silbermann mit seiner Ziehharmonika aus Kalkutta wies, habe ich meine Kaiserkrone weggeworfen.‹« Jetzt konnte Fred sich nicht länger halten. Er brach in ein schallendes Gelächter aus, und Helmers fiel herzlich in dasselbe ein. »Was gibt es denn zu lachen?« fragte Hobble-Frank, halb erstaunt und halb zornig. »Sie sind ja der reine Konfusionsrat!« antwortete Fred. »O bitte sehr! Es heeßt Kommissionsrat. Aberst der bin ich nich. Ich mache überhaupt nie eenen Anspruch auf Titulaturen, die mir nich gehören.« »Das meine ich nicht. Ich wollte nur sagen, daß Sie die entgegengesetztesten Daten und Personen der Weltgeschichte miteinander verwechseln.« »Was? Ich? Wie? Verwechseln? Wieso denn? Wollen Sie die Gewogenheet haben, mir das zu beweisen?« »Sehr gern. Fulton, der Schöpfer der heutigen Dampfschiffahrt, hatte Napoleon seine Erfindung angeboten, war aber von demselben nicht berücksichtigt worden. Darum sagte später der Kaiser, als er dieses Fehlers gedachte: ›Als ich Fulton aus den Tuilerien wies, habe ich meine Kaiserkrone weggeworfen.‹ Silbermann aber hat gar nicht zur damaligen Zeit gelebt.« »So! Ach so! Meenen Sie! Wie schön Sie sich das zurecht gelegt haben! Aber mir, dem Hobble-Frank, dürfen Sie mit solchem Krimskrams nich kommen. Ich habe meine Weltgeschichte fest im Sacke! Nich mal mit eenem halben Ooge darf sie mir herausgucken. Es is ganz unmöglich, daß ich mich irren kann. Das mögen Sie sich für alle Zukunft merken, wenn wir wirklich gute Freunde werden wollen. Eene Blamage dulde ich nich, denn das geht mir gegen den Schtrich. Ich weeß ganz genau, daß die Weltgeschichte das Allerhöchste is, was die Menschheit zu leisten vermag, und schtimme dem alten Solon bei, der die Chladnischen Klangfiguren entdeckt hat und noch schterbend ausrief: ›Die Weltgeschichte is das Oberappellationsgericht mit drei Advokaten!‹ Darum habe ich mich mit dem eisernsten Fleiß grad off die Weltgeschichte gelegt. Ich habe den Leuniß gelesen und den Robinson, Pierer's Konversationslexikon und den Kladderadatsch, Sohrs Atlas und den alten Schäfer Thomas. Off diese Weise bin ich erscht mit Verschtand so langsam um die Weltgeschichte herumgegangen und habe mich nachher so successive hineingeschlichen, bis ich endlich grad im Mittelpunkte schtecken blieb. Ihr aber wollt mit allen Beenen zugleich und off eenmal hineinschpringen und bleibt infolgedessen schon am Rande kleben. Die Weltgeschichte muß sehr pfiffig angepackt werden. Sie darf gar nichts merken, daß man sich groß mit ihr abgeben will, sonst wird sie scheu und wirft eenen aus dem Sattel. Ich hab's richtig angefaßt und sitze fest. Ihr aber liegt unten und denkt trotzdem, wunder was Ihr leisten könnt. Und was den Silbermann betrifft, so bin ich als geborener und anhänglicher Sachse sein Landsmann und muß also am allerbesten wissen, wie es sich mit seiner Ziehharmonika verhalten hat. Und mit Fulton dürfen Sie mir erst recht nich kommen. Den kenne ich inwendig und ooch auswendig. Er is der Dichter des schönen Abendliedes von der goldenen Abendsonne, welches drüben in Deutschland jedes Schulkind singen lernt. Der erste Vers lautet: ›Wer hat dich, du schöner Wald, Offgebaut so schön? Nie kann, wenn die Büchse knallt, Deinen Glanz ich sehn!‹ Und jetzt nach diesem Alibibeweise werden Sie so rechtlich denkend sein, mir zuzugeben, daß ich Sie in den Wissenschaften überflügelt habe und Ihnen ganz besonders in der Weltgeschichte überlegen bin. Nich?« »Ja, wir geben es zu,« lachte Fred. »Sogar in der Dichtkunst sind Sie unser Meister. Sie haben es in derselben, wie ich eben hörte, so weit gebracht, die Anfänge dreier Volkslieder in einer einzigen Strophe zu bringen.« »O, das is gar nich schwer. Bei mir kommen die Jamben eben nur so gesäuselt. Ich gloobe nich, daß ich mich in Beziehung off die Künste und Wissenschaften vor eenem anderen zu verstecken brauche. Ich habe sogar schon off dem Kamme geblasen. Doch will ich mich nich etwa überheben. Das sind angeborene Vorzüge, off welche sich een bescheidener Charakter nichts einbildet, und darum nehme ich es Ihnen ooch gar nich etwa übel, wenn Sie sich mal von Ihrem Irrtume hinreißen lassen, zu denken, daß Sie gescheiter sind, als ich es bin. Da habe ich gern Nachsicht, denn ich weeß doch, wer ich bin, und denke im Schtillen bei mir: Ubi bene, ibi patria, zu deutsch: Ohne Beene kann man nich aus dem Vaterlande. Und da ich so glücklich aus dem meinigen gekommen bin, so muß ich doch also een Kerl sein, der, sozusagen, Arme und Beene, Hände und Füße hat.« »Ja, das sind Sie, und das haben Sie. Am allermeisten aber gefällt mir an Ihnen, daß Sie meinen Lehrmeister gekannt haben.« »Bosco? Er is Ihr Meester gewesen?« »Ja, obgleich dieser Ausdruck etwas nach Handwerk klingt. Ich habe mehreren seiner berühmten Kollegen assistiert und mit ihnen fast ganz Europa und Nordamerika bereist.« »Und was sind Sie denn vorher gewesen?« »Erst besuchte ich das Gymnasium, wo ich – – –« »O weh!« fiel Frank ihm in die Rede. »Das is keene Empfehlung für Sie.« »Warum?« »Weil ich eene schtarke Idiosympathie gegen alles habe, was Gymnasiast gewesen is. Diese Leute überheben sich. Sie glooben nich, daß een Forschtbeamter ooch een Koryphäus werden kann. Ich habe das schon wiederholt erfahren. Natürlich aberst is es mir schtets kinderleicht geworden, diese Leute zu überzeugen, daß ich der Mann bin, mit Gigantenschritten über sie hinwegzuschteigen. Also so eene kleene Art von Schtudium haben Sie ooch durchgemacht?« »Ja. Vom Gymnasium weg widmete ich mich auf den Rat meiner Gönner hin der Malerei und besuchte die Akademie. Ich hatte recht gute Anlagen, aber leider keine Ausdauer. Ich ermüdete und stieg von der wirklichen Kunst zu einer sogenannten herab – ich wurde Kunstreiter.« »O wehe! Da können Sie mir freilich leid thun!« »Ja, ja,« nickte der Juggle-Fred ernst. »Ich war ein flotter Kerl, aber ohne Kraft und inneren Halt. Mit einem Worte, ich war leichtsinnig. Tausend und tausend Male habe ich es bereut. Was könnte ich heute sein, wenn ich es fest gewollt hätte!« »Nun, die Begabung haben Sie wohl noch heute. Fangen Sie wieder an!« »Jetzt? Wo die jugendliche Elastizität verloren gegangen ist? Uebrigens habe ich hier eine Aufgabe zu lösen, welche mich im Westen festhält.« »Darf man erfahren, welche Aufgabe das ist?« »Ich spreche nie davon und will Ihnen nur sagen, daß ich eine Person finden will und finden muß, nach welcher ich bisher vergeblich gesucht habe.« »So könnte es Ihnen nur Nutzen bringen, wenn Sie mir sagen wollten, von welcher Person Sie reden.« »Das ist mein Geheimnis.« »Schade, sehr schade! Ich werde in den nächsten Tagen mit Leuten zusammenkommen, welche fast jeden Winkel des Westens kennen. Von ihnen könnten Sie Rat und That erwarten. Ich denke dabei natürlich an Old Shatterhand, an den dicken Jemmy, den langen Davy, an Winnetou, welcher – – –« »Winnetou?« fiel Fred ein. »Meinen Sie den berühmten Apachenhäuptling?« »Ja!« »Ach richtig! Den müssen Sie ja auch kennen, weil er sich an jenem gefährlichen Ritte beteiligt hat. Also auch mit ihm treffen Sie zusammen?« »Gewiß!« »Wo?« »Das hat er nur mit Old Shatterhand besprochen. Vermutlich aber wird es jenseits der Llano estakata sein.« »Hm! Dann hoffe auch ich, ihn zu sehen. Ich will nämlich über die Staked Plains.« »Allein?« »Nein! Ich bin von einer Gesellschaft engagiert, welche ich hinüber und dann noch bis El Paso führen soll.« »So sind es keine Westmänner, da sie eines Führers bedürfen?« fragte Helmers. »Nein. Es sind Yankees, welche hinüber wollen, um drüben in Arizona ein gutes Geschäft zu machen.« »Doch nicht etwa in Diamanten?« »Ja, grad in dieser Ware. Sie scheinen bedeutende Summen bei sich zu führen, um die Steine an Ort und Stelle billig einzukaufen.« Helmers schüttelte den Kopf und fragte dann: »Glaubst du denn an diese Diamantenfunde?« »Warum nicht?« »Hm! Ich meinerseits halte die ganze Geschichte für einen riesigen Humbug.« Er hatte ganz recht. Zu jener Zeit tauchten plötzlich Gerüchte auf, daß in Arizona Diamantfelder entdeckt worden seien. Es wurden Namen von Personen genannt, welche durch glückliche Funde in wenigen Tagen steinreich geworden seien. Man zeigte auch Diamanten, wirkliche und zum Teil sehr kostbare Diamanten vor, welche dort gefunden worden sein sollten. Dieses Gerücht ging durch die ganze Breite des Kontinentes im Laufe einiger Wochen, ja einiger Tage. Die Diggers von Kalifornien und der nördlichen Distrikte verließen ihre einträglichen Diggins und eilten nach Arizona. Aber schon hatte sich die Spekulation des Feldes bemächtigt. Es waren in aller Eile Gesellschaften gebildet worden, welchen Millionen zur Verfügung standen. Die Diamantfelder sollten angekauft werden, damit man die Ausbeute derselben im großen betreiben könne. Kein Klaim sollte abgegeben werden. Agenten flogen hin und her, mit Demantproben in der Hand, welche man an den betreffenden Stellen nur so aufgelesen haben wollte. Sie schürten aus allen Kräften, und in kürzester Zeit wurde das Diamantfieber hochgradiger, als das Goldfieber es jemals gewesen war. Vorsichtige Leute aber hielten ihre Taschen zu, und der Rückschlag, welchen sie vorhersagten, trat auch sehr bald ein. Der ganze, große Schwindel war von einigen wenigen, aber höchst »smarten« Yankees in Szene gesetzt worden. Sie waren aufgetaucht, ohne daß man sie kannte und sie verschwanden wieder, ohne daß man sie inzwischen kennen gelernt hatte. Mit ihnen waren natürlich auch die Millionen verschwunden. Die Aktionäre fluchten vergeblich. Die meisten leugneten, Aktien besessen zu haben; sie wollten sich nicht auch noch auslachen lassen. Die so schnell berühmt gewordenen Diamantfelder lagen wieder öde wie vorher, und die ge- und enttäuschten Goldgräber kehrten nach ihren Diggins zurück, um dort zu finden, daß sich indessen andere da eingenistet hatten, welche klüger gewesen waren als sie. Damit war die Sache zu Ende, und niemand sprach mehr von ihr. Es war kurz nach Beginn dieses Diamantfiebers, daß die bisher geschilderten Szenen sich vor der Thüre von Helmers Home abspielten. Der Farmer gehörte zu denen, welche dem Gerüchte keinen Glauben schenkten. Der Juggle-Fred hingegen meinte: »Ich will jetzt noch nicht an der Wahrheit zweifeln. Hat man anderswo Diamanten gefunden, warum sollten nicht auch in Arizona welche liegen. Mich freilich gehen sie nichts an. Ich habe anderes zu thun. Was sagen denn Sie dazu, Master Frank? Das Urteil eines Mannes von Ihrem Scharfsinne, Ihren Erfahrungen und Kenntnissen kann uns nur maßgebend sein.« Hobble-Frank antwortete geschmeichelt: »Es freut mich, daß Sie sich vertrauensvoll an mich wenden, denn bei mir sind Sie an die eegentlich richtige Schmiede gekommen. Bei dieser Gelegenheet könnte ich prächtig mit meinen mineralogisch idealen Kenntnissen glänzen. Ich könnte Ihnen entwickeln, wie der Diamant aus Luft, Kreide, Kochsalz und Glas entschteht, wodurch er nämlich durchsichtig wird, aberst ich weeß, daß Sie zu wenig Vorschtudien gemacht haben, um meinen eleganten, provisorischen Konschtruktionen folgen zu können. Ihr Geist is nich genug an solche plastische Schpektralmethoden gewöhnt und könnte leicht Halluzinationen an den Oogen und Ohren bekommen. Ich könnte Ihnen ooch sagen, wie der Diamant geschliffen wird, indem man nämlich von alten Zündholzschachteln das Sandpapier abreißt und ihn damit nach und nach abreibt; aber ooch das erfordert eene unmangelhafte Behendigkeit des Begriffsvermögens. Darum will ich ohne alle Umschweife den Ochsen an den Hörnern aus dem Schtalle ziehen, aus welchem Gleichnisse Sie ersehen werden, daß Sie dasjenige, was Sie wissen wollen, gleich hören werden. Ich bin nämlich der Ansicht, daß es um den Diamant freilich eene ganz schöne Sache is; aber es gibt außer ihm noch andere Sachen, die ebenso hübsch sind. Im Oogenblicke des Heeßhungers is mir eene geräucherte thüringer Servelatwurscht lieber als der größte Diamant. Und habe ich Durscht, so kann ich ihn mit keenem Brillanten löschen. Und kann der Mensch etwa mehr, als sich satt essen und satt trinken? Ich bin mit mir und mit meinem Schicksale leidlich gut zufrieden. Ich brauche keene Edelschteene nich. Oder sollte ich sie etwan zum Schtaate an meinen Amazonenhut hängen? Da habe ich eene Feder droff, und die genügt vollschtändig. Also, wenn ich wüßte, daß ich drüben in Arizona eenen Edelschteen finden thäte, so groß wie ungefähr das Heedelberger Faß oder wenigstens wie een ausgewachsener Kürbis von drei Zentnern Schwere, da ginge ich hinüber und holte mir ihn. Kleener aberst möchte ich ihn schon gar nich haben; das wäre mir viel zu deschpektierlich. Nun aberst gar nich zu wissen, ob man überhaupt was findet, und wenn man eenen findet, so is es een Knirps, so groß wie een Mohnkörnchen, nee und nein, da bringt mich keen Mensch nach die Diamantfelder. Also eenen, welcher drei Zentner wiegt, oder gar nichts; das is so meine unmaßgebliche Meenung und jeder vernünftige Mensch wird mir da freudig beistimmen. Wir sind Deutsche und brauchen keene Diamanten, denn een jeder von uns hat eenen Edelschteen in seiner Brust, nämlich das treue, deutsche Herz, von welchem der Dichter sagt: ›Kein Demant ist, der diesem gleicht, So weit der liebe Himmel reicht.‹ Und wer von Ihnen mir da widerschprechen will, der mag es doch mal versuchen; ich aber rate ihm nich dazu, weil er seine Gliedmaßen hier in der Gegend hübsch langsam zusammenlesen müßte.« »Brav gesprochen!« rief Helmers, indem er dem kleinen Sachsen die Hand reichte. »Es ist wohl ganz undenkbar, daß ich jemals wieder in das Vaterland zurückkehren werde. Ich bekomme es niemals wieder zu sehen, aber mein Herz fliegt stündlich hinüber. Ihr habt sehr recht mit dem Edelsteine, und darum soll es uns gar nicht einfallen, uns um die Diamanten zu bekümmern, welche in Arizona gefunden worden sein sollen. Deine Gesellschaft, Fred, welche du hinüberführen sollst, wird wohl nicht die besten Geschäfte machen. Es wäre jedenfalls besser gewesen, wenn diese Leute mit ihrem vielen Gelde zu Hause geblieben wären. Sie können es sehr leicht los werden, ohne einen einzigen Diamanten dafür zu erhalten. Kluge Kerls scheinen es überhaupt nicht zu sein.« »Warum?« »Weil sie es sich merken lassen, daß sie bedeutende Mittel bei sich führen. Das ist stets und überall nicht wohlgethan, hier aber noch dümmer als anderswo.« »Also die Leute wollen nachkommen? Wann werden sie hier eintreffen?« »Morgen nach Mittag, wie ich vermute. Sie hatten noch zwei Packpferde zu kaufen, wozu wenigstens ein halber Tag gehört. Darum bin ich vorausgeritten, um die Zeit bis morgen lieber bei dir zuzubringen.,« »Daran hast du sehr wohlgethan, alter Freund. Wie viel Personen sind es denn?« »Es sind ihrer sechs, von denen einige ein etwas grünes Aussehen und Benehmen haben, was mir aber natürlich sehr gleichgültig ist. Sie scheinen aus New Orleans zu kommen und sich einzubilden, daß sie mit Millionen wieder dorthin zurückkehren werden. Sie benehmen sich etwas übermütig, doch geht mich das nichts an. Sie bezahlen mich, und alles übrige kann mir sehr gleichgültig sein.« »Werden sie denn den Weg zu mir finden?« »Sicher, denn ich habe ihnen denselben so genau beschrieben, daß sie gar nicht irren können. Ah, Bob, was gibt es?« Diese letztere Frage galt dem Neger. Der Tag hatte sich nämlich indessen zur Rüste geneigt, und die Dämmerung, welche in jenen Gegenden eine außerordentlich kurze ist, war hereingebrochen. Es war bereits so düster, daß man nicht mehr sehr weit zu sehen vermochte. Bob und Bloody-Fox hatten trotz des sehr anregenden Gespräches den Mormonen stets im Auge behalten. Dieser war bemüht gewesen, sich so zu stellen, als ob er gar nicht auf das Gespräch achte, und da die anderen wohl der Meinung waren, daß ein Mormone, dessen ganzes Wesen ihn als Yankee erschienen ließ, die deutsche Sprache wenig oder gar nicht verstehe, so hatten sie so laut gesprochen, daß es ihm möglich war, jedes Wort zu verstehen. Zu den Ueberschwenglichkeiten des Hobble-Frank hatte er keine Miene verzogen, und das war ganz geeignet, den Glauben zu verstärken, daß er überhaupt nichts verstehe. Aber sobald die Rede auf die Diamantfelder gekommen war, war er auf seiner Bank langsam und unmerklich näher gerückt. Und als dann der Juggle-Fred von den sechs Männern sprach, welche er durch die Llano estakata führen sollte, hatten seine Züge den Ausdruck großer Spannung angenommen. Bei der Bemerkung, daß diese sechs viel Geld bei sich zu führen schienen, hatte ein Lächeln der Befriedigung um seine dünnen Lippen gespielt, was aber wegen der eingetretenen Dämmerung nicht zu bemerken gewesen war. Zuweilen hatte er den Kopf erhoben, als ob er horche, und seinen Blick ungeduldig nach der Gegend gerichtet, aus welcher er gekommen war. Er wußte, daß er sich so ziemlich als einen Gefangenen zu betrachten habe, denn die Augen des Negers blieben beständig auf ihn gerichtet. Auch daß der Bloody-Fox ihn scharf fixierte, bemerkte er. Es wurde ihm von Minute zu Minute unheimlicher. Er mußte an die Drohung des Negers denken, und er traute dem Schwarzen die Ausführung derselben zu. Jetzt nun, da es fast dunkel geworden war, schien es ihm möglich zu sein, sich schnell auf und davon machen zu können, was später sicher viel schwieriger auszuführen war, da Bob wohl bei völliger Dunkelheit irgend eine Maßregel ergreifen werde, welche geeignet war, ihn nicht entkommen zu lassen. Darum langte er jetzt nach dem Päckchen, welches er mitgebracht hatte, und zog es allmählich zu sich heran. Er wollte dann plötzlich aufspringen und mit schnellen Sprüngen um die Ecke des Hauses biegen. War er einmal hinter dem dort stehenden Gesträuch verschwunden, so hatte er irgend welche Verfolger wohl kaum mehr zu fürchten. Aber er hatte sich in Bob verrechnet. Dieser war wie die meisten Neger, welche einen einmal gefaßten Entschluß mit größter Beharrlichkeit zu verfolgen pflegen. Der Schwarze hatte wohl bemerkt, daß der Mormone sich des Päckchens zu versichern strebte und erhob sich, eben als der letztere aufspringen wollte, so schnell von seinem Sitze, daß er Helmers fast umgerissen hätte. Daher die Frage des Wirtes an ihn, was es denn gebe. Bob antwortete: »Masser Bob haben sehen, daß Dieb fort wollen. Greifen schon nach Paket. Wollen schnell entspringen. Masser Bob aber ihn auf anderem Grund und Boden niederschlagen, darum mit ihm gehen und ihn nicht aus den Augen lassen.« Er setzte sich auf das äußerste Ende der Bank, so daß er sich, obgleich der Mormone am anderen Tische saß, ganz nahe bei demselben befand. »Laß den Kerl lieber laufen!« mahnte der Wirt. »Er ist es vielleicht gar nicht wert, daß du so auf ihn achtest.« »Massa Helmers haben recht. Er es nicht wert sein, aber Geld es wert sein, welches er haben gestohlen. Er nicht fortkommen, ganz gewiß nicht ohne Begleitung von Masser Bob!« »Wer ist denn eigentlich dieser Kerl?« fragte der Juggle-Fred leise. »Er hat mir gleich im ersten Augenblick nicht gefallen. Er hat ganz das Aussehen eines Wolfes, welcher im Schafskleide umherläuft. Als ich ihn erblickte, war es mir ganz so, als ob ich diese scharfe, spitze Physiognomie schon einmal gesehen haben müsse, und zwar unter Umständen, welche nicht günstig für ihn sprechen.« Helmers erklärte ihm, weshalb Bob es so nachhaltig auf den Verdächtigen abgesehen habe, und fügte hinzu: »Auch Bloody-Fox scheint sich mehr, als er merken lassen will, mit dem Manne zu beschäftigen. Oder nicht?« » Well! « antwortete der junge Mann. »Dieser Heilige der letzten Tage hat mir etwas gethan, und zwar etwas sehr Schlimmes.« »Wirklich? Was denn? Warum stellst du ihn nicht zur Rede?« »Weil ich nicht weiß, was es gewesen ist.« »Das wäre doch sonderbar. Wenn du so überzeugt bist, daß er dir etwas so Böses zugefügt hat, so mußt du doch auch wissen, was es ist.« »Eben das kann ich nicht sagen. Ich habe mir fast das Gehirn zermartert, um mich zu erinnern, aber vergebens. Es ist mir, als ob ich das Entsetzliche geträumt und die Einzelheiten des Traumes wieder vergessen habe. Und wegen einer solchen unbestimmten, nebelhaften Ahnung kann ich mich doch nicht an den Kerl machen.« »Das begreife ich nicht. Was ich weiß, das pflege ich zu wissen. Von nebelhaften Ahnungen ist bei mir niemals die Rede. Uebrigens ist es dunkel geworden. Gehen wir hinein in die Stube?« »Nein, denn das Haus ist diesem Kerl verboten, und ich muß ihn beobachten. Darum bleibe ich hier. Vielleicht fällt es mir doch noch ein, was ich mit ihm auszugleichen habe.« »So will ich wenigstens für genügende Beleuchtung sorgen, damit er sich nicht dennoch davonschleichen kann.« Er ging in das Haus zurück und kehrte bald mit zwei Lampen wieder. Diese bestanden sehr einfach aus blechernen Petroleumkannen, aus deren Oeffnungen ein starker Docht hervorsah. Glascylinder und Schirm gab es nicht dabei. Dennoch reichten die beiden dunkel lodernden und stark qualmenden Flammen vollständig aus, den Platz vor der Thür zu erleuchten. Eben als der Wirt die Lampen an zwei Baumäste gehängt hatte, ließen sich Schritte hören, welche sich von daher näherten, wo die Maisfelder lagen. »Meine Hands kommen heim,« sagte Helmers. Unter »Hand« versteht der Amerikaner jede männliche oder weibliche Person, welche sich in seinem Dienst befindet. Er hatte sich geirrt. Als der Nahende in den Lichtkreis trat, sah man, daß er ein Fremder sei. Er war ein langer, starker, vollbärtiger Kerl, vollständig mexikanisch gekleidet, doch ohne Sporen, was hier auffallen mußte. Aus seinem Gürtel blickten die Griffe eines Messers und zweier Pistolen hervor, und in der Hand trug er eine schwere, mit silbernen Ringen verzierte Büchse. Als seine dunklen Augen mit scharfem, stechendem Blicke über die einzelnen Personen der Gruppe flogen, machte er den Eindruck eines physisch starken, aber auch rohen Menschen, von welchem man zarte Regungen nicht erwarten dürfe. Als sein Blick über das Gesicht des Mormonen streifte, zuckte er auf eine eigentümliche Weise mit der Wimper. Niemand als nur der Mormone bemerkte das. Es war jedenfalls ein Zeichen, welches diesem letzteren galt. » Buenas tardes, Sennores! « grüßte er. »Ein Abend bei bengalischer Beleuchtung? Der Besitzer dieser Hacienda scheint ein poetisch angelegter Mann zu sein. Erlaubt, daß ich mich für eine Viertelstunde bei Euch ausruhe, und gebt mir einen Schluck zu trinken, wenn überhaupt hier etwas zu bekommen ist.« Er hatte in jenem spanisch-englischen Mischmasch gesprochen, dessen man sich an der mexikanischen Grenze häufig zu bedienen pflegt. »Setzt Euch nieder, Sennor!« antwortete Helmers in demselben Jargon. »Was wollt Ihr trinken? Ein Bier oder einen Schnaps?« »Bleibt mir mit Eurem Bier vom Leibe! Ich mag von solcher deutschen Brühe nichts wissen. Gebt mir einen kräftigen Schnaps, aber nicht zu wenig. Verstanden?« Seine Haltung und sein Ton waren diejenigen eines Mannes, welcher nicht gewohnt war, mit sich scherzen zu lassen. Er trat ganz so auf, als ob er hier zu gebieten habe. Helmers stand auf, um das Verlangte zu holen und deutete auf die Bank, wo er dem Fremden Platz gemacht hatte. Dieser aber schüttelte den Kopf und sagte: »Danke, Sennor! Hier sitzen schon viere. Will lieber dem Caballero Gesellschaft leisten, welcher da so einsam sitzt. Bin die weite Savanne gewohnt und habe es nicht gern, so eng bei einander zu kleben.« Er lehnte sein Gewehr an den Stamm des Baumes und setzte sich zu dem Mormonen, den er mit einem leichten Griffe an den breiten Rand seines Sombrero grüßte. Der Heilige des jüngsten Tages erwiderte den Gruß in ganz derselben Weise. Beide thaten, als ob sie einander vollständig fremd seien. Helmers war in das Haus getreten. Die anderen verschmähten aus natürlicher Höflichkeit, ihre Blicke in auffälliger Weise auf den Fremden zu richten. Das gab demselben die willkommene Gelegenheit, dem Mormonen zuzuraunen: »Warum kommst du nicht? Du weißt doch, daß wir Nachricht haben wollen.« Er sprach dabei das reinste Yankee-Englisch. »Man läßt mich nicht fort,« antwortete der Gefragte. »Wer denn?« »Dieser verdammte Nigger da.« »Der kein Auge von dir verwendet? Was hat er denn?« »Er behauptet, daß ich seinem Herrn Geld gestohlen habe, und will mich lynchen.« »Mit dem ersteren kann er das Richtige getroffen haben; das letztere aber mag er sich aus dem Sinne schlagen, falls er es nicht riskieren will, daß wir ihm mit unseren Peitschen sein schwarzes Fell blutrot färben. Gibt es etwas Neues hier?« »Ja. Sechs Diamond-boys wollen mit bedeutenden Summen über die Llano.« »Alle Teufel! Sollen uns willkommen sein! Werden ihnen 'mal in die Taschen gucken. Bei der letzten, armseligen Gesellschaft war ja gar nichts zu finden. Doch still! Helmers kommt.« Der Genannte kehrte mit einem Bierglase voll Schnaps zurück. Er stellte es vor den Fremden und sagte: »Da, wohl bekomme es, Sennor! Habt heut' wohl einen weiten Ritt hinter Euch?« »Ritt?« antwortete der Mann, indem er fast den halben Inhalt des Glases hinuntergoß. »Habt Ihr keine Augen? Oder vielmehr, habt Ihr zu viele Augen, so daß Ihr seht, was gar nicht vorhanden ist? Wer reitet, muß doch ein Pferd haben!« »Gewiß.« »Nun, wo ist denn das meinige?« »Jedenfalls da, wo Ihr es gelassen habt.« » Válgame Dios! Ich werde doch wohl mein Pferd nicht 30 Meilen weit zurücklassen, um bei Euch einen Brandy zu trinken, der nicht für den Teufel taugt!« »Laßt ihn im Glase, wenn er Euch nicht schmeckt! Uebrigens besinne ich mich nicht, von 30 Meilen gesprochen zu haben. So wie Ihr hier vor mir sitzt, seid Ihr ein Mann, der jedenfalls ein Pferd hat. Wo es steht, das ist nicht meine Sache, sondern die Eurige.« »Das denke ich auch. Ihr habt Euch überhaupt um mich nicht zu bekümmern. Verstanden!« »Wollt Ihr mir das Recht bestreiten, mich um diejenigen zu bekümmern, welche hier auf meiner einsamen Farm einkehren?« »Fürchtet Ihr Euch etwa vor mir?« »Pah! Ich möchte denjenigen Menschen sehen, vor welchem John Helmers sich fürchtet!« »Das ist mir lieb, denn ich möchte Euch nur fragen, ob ich in Eurem Hause für diese Nacht ein Lager bekommen kann.« Er warf bei diesen Worten einen lauernden Blick auf Helmers. Dieser antwortete: »Für Euch ist kein Platz vorhanden.« » Caracho! Warum nicht?« »Weil Ihr selbst gesagt habt, daß ich mich nicht um Euch zu bekümmern habe.« »Aber ich kann doch nicht noch in der Nacht bis zu Eurem nächsten Nachbar laufen, bei welchem ich erst morgen mittag ankommen würde!« »So schlaft im Freien! Der Abend ist mild, die Erde weich und der Himmel die vornehmste Bettdecke, welche es nur geben kann.« »So weist Ihr mich wirklich fort?« »Ja, Sennor. Wer mein Gast sein will, muß sich einer größeren Höflichkeit befleißigen, als Ihr uns gezeigt habt.« »Soll ich Euch etwa, um in irgend einem Winkel schlafen zu dürfen, zur Begleitung der Guitarre oder Mandoline ansingen? Doch, ganz wie Ihr wollt! Ich brauche Eure Gastfreundschaft nicht und finde überall einen Platz, an welchem ich vor dem Einschlafen darüber nachdenken kann, wie ich mit Euch reden werde, wenn wir uns einmal anderswo begegnen sollten.« »Da vergeßt aber ja nicht, bei dieser Gelegenheit auch mit an das zu denken, was ich Euch darauf antworten würde!« »Soll das eine Drohung sein, Sennor?« Der Fremde erhob sich bei diesen Worten und richtete seine hohe, breite Gestalt gebieterisch dem Wirte gegenüber auf. »O nein,« lächelte dieser furchtlos. »Solange ich nicht zum Gegenteile gezwungen werde, bin ich ein sehr friedlicher Mann.« »Das will ich Euch auch geraten haben. Ihr wohnt hier beinahe am Rande der Llano des Todes. Da erfordert die Vorsicht, daß Ihr mit den Leuten möglichst Frieden haltet, sonst könnte der Geist der Llano estakata einmal ganz unerwartet den Weg zu Euch finden.« »Kennt Ihr ihn etwa?« »Habe ihn noch nicht gesehen. Aber man weiß ja, daß er am liebsten aufgeblasenen Leuten erscheint, um sie in das Jenseits zu befördern.« »Ich will Euch nicht widersprechen. Vielleicht sind alle diejenigen, welche man, vom ›Geiste‹ durch einen Schuß in die Stirn getötet, in der Llano gefunden hat, einst aufgeblasene Wichte gewesen. Aber eigentümlich ist es doch, daß diese Kerls alle Räuber und Mörder gewesen sind.« »Meint Ihr?« fragte der Mann in höhnischem Tone. »Könnt Ihr das beweisen?« »So leidlich. Man hat ohne eine einzige Ausnahme bei diesen Leuten stets Gegenstände gefunden, welche früher solchen gehörten, die in der Llano ermordet und ausgeraubt worden waren. Das ist doch Beweis genug.« »Wenn das so ist, so will ich Euch freundschaftlich warnen: Macht ja nicht einmal hier auf Eurer abgelegenen Farm einen Menschen kalt, sonst könntet Ihr auch einmal mit einem Loche in der Stirn gefunden werden.« »Sennor!« fuhr Helmers auf. »Sagt noch ein solches Wort, so schlage ich Euch nieder. Ich bin kein Mörder, sondern ein ehrlicher Mann. Viel eher könnte man denjenigen einer solchen That für fähig halten, der sein Pferd versteckt, um die Meinung zu erwecken, daß man es nicht mit einem Bravo, sondern mit einem armen, ungefährlichen Manne zu thun habe.« »Gilt das etwa mir?« zischte der Fremde. »Wenn Ihr es Euch annehmen wollt, so habe ich nichts dagegen. Ihr seid heut bereits der zweite, der mir vorlügt, kein Pferd zu besitzen. Der erste ist dieser Heilige der letzten Tage. Vielleicht stehen eure beiden Pferde bei einander. Vielleicht stehen auch noch andere Pferde und auch noch Reiter dabei, um auf eure Rückkehr zu warten. Ich sage Euch, daß ich in dieser Nacht mein Haus bewachen und morgen mit Tagesanbruch die Umgegend säubern werde. Da wird es sich höchst wahrscheinlich zeigen, daß Ihr sehr gut beritten seid!« Der Fremde ballte beide Fäuste, erhob die rechte zum Schlage, trat um einen Schritt näher an Helmers heran und schrie: »Mensch, willst du etwa sagen, daß ich ein Bravo sei? Sage es mir deutlich, wenn du Mut hast; dann erschlage ich –« Er wurde unterbrochen. Bloody-fox hatte diesem Manne weniger Aufmerksamkeit geschenkt als dessen Gewehre. Als der Fremde sich erhoben hatte und dem Baume nun den Rücken zukehrte, stand der Jüngling auf und trat an den Stamm, um das Gewehr genau zu betrachten. Sein bisher gleichgültiges Gesicht nahm einen ganz anderen Ausdruck an. Seine Augen leuchteten, und ein Zug eiserner, gnadenloser Entschlossenheit legten sich um seinen Mund. Er wendete sich zu dem Fremden und legte demselben, ihn in der Rede unterbrechend, die Hand auf die Achsel. »Was willst du, Junge?« fragte der Mann. »Ich will dir an Helmers' Stelle Antwort geben,« antwortete Bloody-fox in ruhigem Tone. »Ja, du bist ein Bravo, ein Räuber, ein Mörder. Nimm dich vor dem Geiste der Llano in acht, den wir den Avenging-ghost nennen, weil er jeden Mord mit einer Kugel durch die Stirn an dem Mörder zu rächen pflegt.« Der Riese trat mehrere Schritte zurück, maß den Jüngling mit einem erstaunt verächtlichen Blicke und lachte dann höhnisch auf: »Knabe, Bursche, Junge, bist du toll? Ich zerdrücke dich doch mit einem einzigen Griffe meiner Hände zu Brei!« »Das wirst du bleiben lassen! Bloody-fox ist nicht so leicht zu zermalmen. Du hast geglaubt, Männern gegenüber unverschämt sein zu können. Nun kommt ein Knabe, um dir zu beweisen, daß du gerad' so wenig zu fürchten bist wie ein toter Mensch. Betrachte dich von diesem Augenblicke an als Leiche! Die Mörder der Llano werden vom Avenging-ghost mit dem Tode bestraft. Du bist ein Mörder, und da der Geist nicht anwesend ist, werde ich seine Stelle vertreten. Bete deine letzten drei Pasternoster und Ave Marias; du hast vor dem ewigen Richter zu erscheinen!« Diese Worte des jungen Mannes, welcher noch ein halber Knabe war, machten einen außerordentlichen Eindruck auf die Anwesenden. Er kam ihnen ganz anders vor als vorher. Sein Auftreten war noch mehr als dasjenige eines erwachsenen Mannes. Er stand da, stolz aufgerichtet, mit drohend erhobenem Arme, blitzenden Augen und einem unerschütterlichen Entschluß in den festen Zügen – ein Bote der Gerechtigkeit, ein Vollstrecker des gerechten Strafgerichtes. Der Fremde war, trotzdem er den Jüngling fast um Kopfeslänge überragte, bleich geworden. Doch faßte er sich schnell, stieß ein lautes Gelächter aus und rief: »Wahrhaftig, er ist verrückt! Ein Floh will einen Löwen verschlingen! So etwas hat noch niemand gehört! Mensch, beweise es doch einmal, daß ich ein Mörder bin!« »Spotte nicht! Was ich sage, das geschieht, darauf kannst du dich verlassen! Wem gehört das Gewehr, welches da am Stamme des Baumes lehnt?« »Natürlich mir.« »Seit wann ist es dein Eigentum?« »Seit über zwanzig Jahren.« Trotz seines vorigen Gelächters und seiner geringschätzigen Worte machte die jetzige Haltung des Knaben einen solchen Eindruck auf den starken Mann, daß ihm gar nicht der Gedanke kam, ihm die Antwort zu verweigern. »Kannst du das beweisen?« fragte Bloody-fox weiter. »Kerl, wie soll ich das beweisen? Kannst du etwa den Beweis des Gegenteils erbringen?« »Ja. Diese Büchse gehörte dem Sennor Rodriguez Pinto auf der Estanzia del Meriso drüben bei Cedar Grove. Er war vor zwei Jahren mit seinem Weibe, seiner Tochter und drei Vaqueros hüben in Caddo-Farm auf Besuch gewesen. Er verabschiedete sich dort, kehrte aber niemals heim. Kurze Zeit darauf fand man die sechs Leichen in der Llano estakata, und die Spuren im Boden verrieten, daß die Pfähle versteckt, also in falsche Richtung geordnet worden waren. Diese Büchse war die seinige; er trug sie damals bei sich. Hättest du behauptet, sie während der angegebenen Zeit von irgend wem gekauft zu haben, so wäre die Sache zu untersuchen. Da du aber behauptest, sie bereits zwanzig Jahre zu besitzen, so hast du sie nicht von dem Schuldigen gekauft, sondern bist selbst der Mörder und als solcher dem Gesetze der Llano estakata verfallen.« »Hund!« knirschte der Fremde. »Soll ich dich zermalmen! Dieses Gewehr ist mein Eigentum. Beweise es doch, daß es diesem Haziendero gehört hat!« »Sogleich!« Er nahm das Gewehr vom Stamme des Baumes weg und drückte an einer der kleinen Silberplatten, welche in den unteren Teil des Kolbens eingelegt waren. Sie sprang auf und unter ihr zeigte sich ein zweites Plättchen mit dem vollständigen Namen, den er vorher genannt hatte. »Schaut her!« sagte er, das Gewehr den anderen zeigend. »Hier ist der unumstößliche Beweis, daß dieses Gewehr Eigentum des Haziendero war. Er hat es mir einigemale geborgt; daher kenne ich es so genau. Es ist höchst gefährlich für einen Mörder, einen geraubten Gegenstand, dessen Eigentümlichkeiten ihm unbekannt sind, mit sich umherzutragen. Ich will euch nicht fragen, ob ihr diesen Mann für den Mörder haltet. Ich selbst, ich halte ihn für denselben, und das genügt. Seine Augenblicke sind gezählt.« »Die deinigen auch!« schrie der Fremde, indem er auf ihn einsprang, um ihm das Gewehr zu entreißen. Aber Bloody-fox trat blitzschnell einige Schritte zurück, schlug die Büchse auf ihn an und gebot: »Stehen bleiben, sonst trifft dich die Kugel. Ich weiß genau, wie man mit solchen Leuten umzuspringen hat. Hobble-Frank, Juggle-Fred, legt auf ihn an, und wenn er sich bewegt, so schießt ihr ihn sofort nieder!« Die beiden Genannten hatten im Nu ihre Gewehre erhoben und auf den Fremden gerichtet. Es handelte sich hier um das Prairiegesetz, welches nur einen einzigen, aber vollständig genügenden Paragraphen hat; da gibt es für einen braven Westmann kein Zaudern. Der Fremde sah, daß Ernst gemacht wurde. Es handelte sich um sein Leben; darum stand er bewegungslos. Bloody-fox senkte jetzt das Gewehr, da die beiden anderen Büchsen den Mann auf seiner Stelle hielten, und sagte: »Ich habe dir dein Urteil gesprochen, und es wird sofort vollstreckt werden.« »Mit welchem Rechte?« fragte der Fremde mit vor Grimm bebender Stimme. »Ich bin unschuldig. Und selbst wenn ich schuldig wäre, brauche ich es mir nicht gefallen zu lassen, von solchen hergelaufenen Leuten gelyncht zu werden, am allerwenigsten aber von einem Kinde, wie du bist.« »Ich werde dir zeigen, daß ich kein Kind bin. Ich will dich nicht töten, wie ein Henker den Delinquenten tötet. Du sollst Auge in Auge mir gegenüberstehen, jeder mit seinem Gewehre in der Hand. Deine Kugel soll ebensogut mich treffen können, wie dich die meinige treffen wird. Es soll kein Mord, sondern ein ehrlicher Kugelwechsel sein. Wir setzen Leben gegen Leben, obgleich ich dich sofort niederschießen könnte, da du dich in meiner Hand befindest.« Der junge Mann stand in aufrechter, selbstbewußter Haltung vor dem Fremden. Sein Ton war ernst und bestimmt, und doch klangen seine Worte so gelassen, als sei ein solcher Zweikampf auf Leben und Tod etwas ganz Einfaches und Alltägliches. Er imponierte allen Anwesenden, den einzigen ausgenommen, an den seine Worte gerichtet waren. Oder ließ dieser den Eindruck nicht merken, welchen das Verhalten seines Gegners auf ihn hervorbrachte? Er schlug ein lautes, höhnisches Gelächter auf und antwortete: »Seit wann führen denn hier an der Grenze unreife Knaben das große Wort? Denke nicht etwa, daß ich mich wegen deines Mutes oder deiner Umsicht in deiner Hand befinde! Wenn diese Männer nicht da gewesen wären, um ihre Läufe auf mich zu richten, hätte ich dich bereits abgewürgt, wie man einem fürwitzigen Sparrow den Kopf abdreht. Bist du wirklich so verrückt, dich mit mir messen zu wollen, so habe ich nichts dagegen. Mache dich aber ja darauf gefaßt, heute dein letztes Wort gesprochen zu haben! Meine Kugel hat noch nie gefehlt. Du kannst auf Gift wetten, daß sie auch dir den Weg zur Hölle zeigen wird! Aber ich halte dich und die anderen bei dem, was dein großes Maul gesprochen hat. Ich verlange einen ehrlichen Kampf und dann ein freies und offenes Feld für den Sieger!« »Du sollst beides haben,« antwortete Bloody-fox. »Hast du mich auch recht verstanden? Wenn du von meiner Kugel gefallen bist, darf ich gehen, wohin es mir beliebt, und keiner hat das Recht, mich zurückzuhalten!« »Oho!« rief da Helmers. »So haben wir nicht gewettet. Selbst wenn du Glück im Schusse haben solltest, sind wohl noch einige Gentlemen da, welche dann ein Wort mit dir zu sprechen haben. Ihnen wirst du Rede stehen müssen.« »Nein, so nicht!« fiel Bloody-fox ein. »Der Mann gehört mir. Ihr habt kein Recht an ihm. Ich allein bin es, der ihn herausgefordert hat, und ich habe ihm mein Wort gegeben, daß der Kampf ein ehrlicher sein werde. Dieses Versprechen müßt Ihr halten, wenn ich falle. Es soll nach meinem Tode nicht heißen, daß mein Versprechen keinen Wert gehabt habe.« »Aber, Boy, bedenke doch – – –!« »Es ist nichts, gar nichts zu bedenken!« »Soll dich ein notorischer Schuft ungestraft niederschießen können?« »Wenn es ihm gelingt, ja, denn es ist mein Wille gewesen, mich mit ihm zu schießen. Es ist wahr, er gehört unbedingt zu den Staked Plain Vultures und sollte eigentlich ohne langes Gerede mit Knütteln erschlagen werden. Aber so eine Henkerei widerstrebt mir, und wenn ich ihn eines anderen und besseren Todes würdige, so muß diese außerordentliche Vergünstigung auch nach meinem Tode Wirkung haben. Ihr versprecht mir also jetzt mit Wort und Handschlag, daß er sich ungehindert entfernen kann, falls er mich erschießt!« »Wenn du nicht anders willst, so müssen wir es thun; aber du gehst mit dem Vorwurf von der Erde, durch deine ungerechtfertigte Milde dafür gesorgt zu haben, daß dieser Schurke sein Handwerk auch fernerhin betreiben kann!« »Nun, was das betrifft, so bin ich sehr, sehr ruhig. Er hat gesagt, daß seine Kugel niemals fehle. Wollen sehen, ob die meinige wohl im Laufe steckt, um ein Loch nur in die Luft zu machen. Sage also, Kerl, auf welche Distanz wir uns schießen wollen!« »Fünfzig Schritte,« antwortete der Fremde, an welchen die letztere Aufforderung gerichtet war. »Fünfzig!« lachte Bloody-fox. »Das ist nicht allzu nahe. Du scheinst deine Haut ganz außerordentlich lieb zu haben. Aber es soll dir doch nichts nützen. Weißt du, ich will dir die freundschaftliche Mitteilung machen, daß ich ganz genau so wie der Avenging-ghost zu zielen pflege, nämlich nach der Stirn. Nimm also die deinige in acht! Ich befürchte, du wirst an dem heutigen gesegneten Tage einige Lot Blei durch den Verstand bekommen. Ob du das vertragen wirst, das ist nicht meine Sache, sondern die deinige.« »Immer schneide auf, Knabe!« knirschte sein Gegner. »Ich habe erhalten, was ich wünschte, das Versprechen des ungehinderten Weges. Machen wir die Sache kurz. Gib mir mein Gewehr!« »Wenn die Vorbereitungen getroffen sind, sollst du es haben, eher nicht, denn es ist dir nicht zu trauen. Der Wirt mag die Distanz abmessen, fünfzig Schritte. Haben wir Posto gefaßt, so mag Bob sich mit der einen Lampe zu dir, Hobble-Frank sich mit der anderen zu mir stellen, damit wir beide einander genau sehen können und ein sicheres Ziel haben. Dann gibt Juggle-Fred dir dein Gewehr in die Hand, Helmers mir das meinige. Helmers kommandiert, und von diesem Augenblick an können wir beide ganz beliebig schießen, jeder zwei Kugeln, denn unsere Gewehre sind doppelläufig.« »Avancieren wir dabei?« fragte der Fremde. »Nein! Du hast die Distanz bestimmt, und dabei hat es zu bleiben. Wer seinen Platz verläßt, bevor die Kugeln gewechselt worden sind, der wird von dem, welcher ihm das Licht hält, niedergeschossen. Zu diesem Zwecke werden Bob und Frank ihre gespannten Pistolen oder Revolver bereit halten. Erschossen wird auch derjenige vor uns beiden, dem es einfallen sollte, sich zu entfernen, bevor sein Gegner die beiden Schüsse abgefeuert hat.« »Schön! So sein sehr schön!« rief Bob. »Masser Bob sofort geben Schuft eine Kugel, wenn er wollen laufen!« Er zog die Waffe aus dem Gürtel und zeigte sie unter drohendem Grinsen dem Fremden. Die anderen erklärten sich mit den Bedingungen Bloody-fox' einverstanden, und die Vorbereitungen wurden sofort getroffen. Sie waren damit alle so beschäftigt, daß es keinem einfiel, auf den frommen Tobias Preisegott Burton besonders acht zu geben. Diesem schien die Szene jetzt ganz gut zu behagen. Er rückte langsam von seinem Platze nach der Ecke der Bank und zog die Füße unter dem Tische hervor, so daß er am passenden Augenblicke die Beine sofort zur Flucht benutzen konnte. Jetzt hatten die beiden Gegner ihre Plätze eingenommen, fünfzig Schritte voneinander entfernt. Neben dem Fremden stand der Neger, in der Linken die Lampe und in der Rechten die Reiterpistole, welche er schußbereit hielt. Bei Bloody-fox stand Hobble-Frank mit seiner Lampe und in der anderen Hand den Revolver, nur der Form wegen, da es sich voraussehen ließ, daß er nicht in die Lage kommen werde, ihn gegen den jungen, ehrlichen Mann zu gebrauchen. Helmers und Juggle-Fred hielten die beiden geladenen Gewehre bereit. Es war selbst für diese kampfgewohnten Leute ein Augenblick höchster Spannung. Die beiden im Luftzuge wehenden Flammen beleuchteten mit rußigrotem, flackerndem Scheine die beiden Gruppen. Die Männer standen still, und doch schien es bei dem unruhigen Lichte, als ob sie sich unausgesetzt bewegten. Es war unter diesen Umständen sehr schwer, ein ruhiges Ziel zu nehmen, besonders da die Beleuchtung nicht zureichend war, die Kimme des Visieres oder gar das noch weiter vom Auge entfernte Korn zu erkennen. Bloody-fox stand in einer so unbefangenen, ja harmlosen Haltung da, als ob es sich um eine Partie Kricket handle. Sein Gegner aber befand sich in anderer Stimmung. Juggle-Fred, welcher ihm das Gewehr zu überreichen hatte und also nahe bei ihm stand, sah das gehässige Leuchten seiner Augen und das ungeduldige Zittern seiner Hände. »Seid ihr fertig?« fragte jetzt Helmers. »Ja,« antworteten beide, wobei der Fremde bereits die Hand nach seiner Büchse ausstreckte. Er hatte jedenfalls die Absicht, Bloody-fox, wenn auch nur um eine halbe Sekunde, mit dem Schusse zuvorzukommen. »Hat einer von euch für den Fall seines Todes noch eine Bestimmung zu treffen?« erkundigte sich Helmers noch. »Der Teufel hole deine Neugierde!« rief der aufgeregte Fremde. »Nein,« antwortete der Jüngling desto ruhiger. »Ich sehe es diesem Kerl an, daß er mich nur infolge eines Zufalles treffen würde. Er zittert ja. In diesem Falle würdest du in meiner Satteltasche finden, was zu wissen dir nötig ist. Und nun mach, daß wir zu Ende kommen!« »Na, denn also hin mit den Büchsen! Gebt Feuer!« Er reichte Bloody-fox das Gewehr hin. Der junge Mann nahm es gleichmütig hin und wiegte es in der rechten Hand, als ob er die Schwere desselben taxieren wolle. Er that gar nicht so, als ob sein Leben an einem kurzen Augenblicke hänge. Der andere hatte seine Büchse dem Juggle-Fred fast aus der Hand gerissen. Er gab seine linke Seite vor, um ein möglichst schmales Ziel zu bieten, und legte an. Sein Schuß krachte. » Halloo! Dash! « brüllte der Neger. »Masser Bloody-fox sein nicht troffen! Oh fortune! Oh bleasure! Oh delight! « Er sprang mit gleichen Beinen in die Luft, tanzte um seine eigene Achse und gebärdete sich vor Freude wie ein Besessener. »Willst du Ruhe halten, Kerl!« donnerte Helmers ihn an. »Wer soll denn da zielen, wenn du die Lampe in dieser Weise schwingst!« Bob sah augenblicklich ein, daß sein Verhalten grad demjenigen, dem er den Sieg wünschte, zum Schaden gereiche. Er stand plötzlich kerzengerade und rief: »Masser Bob jetzt still halten! Masser Bob nicht zucken! Massa Bloody-fox schnell schießen!« Aber der andere hatte sein Gewehr nicht von der Wange genommen. Er drückte ab – auch dieser Schuß ging fehl, obgleich Bloody-fox noch immer so da stand wie vorher, ihm die ganze Breite seines Körpers bietend und die Büchse in der Rechten wiegend. » Thousand devils! « fluchte der Fremde. Er stand einige Augenblicke ganz starr vor Betroffenheit. Dann stieß er noch ein Kraftwort aus, welches nicht wiedergegeben werden kann, und that einen Sprung zur Seite, um zu entfliehen. » Stop! « rief der Neger. »Ich schießen!« Man hörte die That zu gleicher Zeit mit dem Worte. Er drückte ab. Aber nicht sein Schuß allein war gefallen. Der kurze Augenblick, während dessen sein Gegner vor Schreck unbeweglich gewesen war, hatte Bloody-fox genügt, sein Gewehr empor zu nehmen. Er drückte so schnell ab, als ob er gar nicht zu zielen brauchte, drehte sich dann auf dem Absatze um, griff in den Munitionsbeutel, um der Gewohnheit jener Gegend gemäß den abgeschossenen Lauf sofort wieder zu laden und sagte: »Er hat es! Geh hin, Frank! Du wirst mitten in seiner Stirn das Loch sehen.« Er kehrte dem Platze, an welchem sein Gegner gestanden hatte, den Rücken zu, und seine Stimme klang so ruhig, als ob er soeben etwas ganz Alltägliches verrichtet habe. Frank und Helmers eilten nach der Stelle, an welcher der Fremde niedergestürzt war. Bloody-fox folgte ihnen langsam, nachdem er geladen hatte. Dort ertönte die triumphierende Stimme des Negers: » Oh courage! Oh bravery! Oh valour! Masser Bob hat totschießen all ganz Spitzbuben! Hier liegen der Mann und sich nicht bewegen von der Stelle. Sehen Massa Helmers und Massa Frank, daß Old Bob ihn haben treffen in die Stirn? Es sein ein Loch vorn hinein und hinten wieder heraus! Oh, Masser Bob sein ein tapfer Westmann. Er überwinden tausend Feinde mit Leichtigkeit.« »Ja, du bist ein außerordentlich guter Schütze!« nickte Helmers, welcher bei dem Toten niedergekniet war und denselben untersuchte. »Wohin hast du denn eigentlich gezielt?« »Masser Bob zielen genau nach Stirn und ihn auch dort treffen. Oh, masser Bob to be a giant, a hero: masser Bob to be invincible, to be unconquerable and impregnable! « »Schweig, Schwarzer! Du bist weder ein Held noch ein Riese oder gar ein Unüberwindlicher. Du hast gar nichts gethan, was ein Beweis von Mut sein könnte. Du hast auf einen Fliehenden geschossen und dazu gehört gar nichts. Uebrigens ist es dir gar nicht eingefallen, deine alte Haubitze auf die Stirn dieses Mannes zu halten. Da, schau seine Hose an! Was erblickst du da?« Bob leuchtete nieder und betrachtete die Stelle, auf welche Helmers deutete. »Das sein ein Loch, ein Riß,« antwortete er. »Ja, ein Riß, welchen deine Kugel gemacht hat. Du hast durch das Hosenbein geschossen und willst nach der Stirn gezielt haben! Schäme dich! Und dabei betrug die Entfernung keine sechs Schritte!« »Oh, oh! Masser Bob sich nicht schämen müssen! Masser Bob haben treffen in Stirn. Aber Massa Bloody-fox auch schießen und treffen nur in Hose. Masser Bob haben schießen ausgezeichnet, viel besser als Massa Bloody-fox!« »Ja, das kennen wir! Aber welch ein Schuß! Bloody-fox, das macht dir wirklich keiner nach! Ich habe dich gar nicht zielen sehen!« »Ich kenne mein Gewehr,« antwortete der junge Mann bescheiden, »und wußte, daß es genau so kommen werde, denn der Kerl war zu erregt. Er zitterte. Das ist allemal eine Dummheit, zumal wenn das Leben an nur zwei Schüssen hängt.« Der Mann war tot. Das runde, scharfrandige Loch saß ihm mitten auf der Stirn. Die Kugel war hinten herausgegangen. »Genau so, wie der Geist der Llano estakata schießen soll,« meinte Juggle-Fred in bewunderndem Tone. »Wahrhaftig, das ist ein Meisterschuß! Der Kerl hat seinen Lohn empfangen. Was thun wir mit seiner Leiche?« »Meine Leute mögen sie einscharren,« antwortete Helmers. »Einen Getöteten vor sich zu haben, ist kein erfreulicher Anblick, denn selbst der ärgste Schurke bleibt doch immerhin ein Mensch; aber Gerechtigkeit muß sein, und wo das Gesetz keine Macht hat, da ist man eben gezwungen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Und hier ist zudem von einem Orte der Lynchjustiz gar keine Rede, denn Bloody-fox hat ihm die gleichen Chancen gelassen. Es ist bewiesen, daß er ein Mörder ist, Gott sei seiner Seele gnädig! Und nun wollen wir – – – was ist's? Was gibt es denn?« Bob hatte nämlich einen lauten Ruf ausgestoßen. Er war der einzige, dessen Augen jetzt nicht auf den Toten gerichtet gewesen waren. » Heigh-ho! « antwortete der Schwarze. »Massa Helmers einmal dorthin sehen!« Er streckte den Arm nach der Gegend aus, in welcher die Tische und Bänke standen. Dort war es jetzt finster, da die beiden Lampenträger sich hier bei der Gruppe befanden. »Warum? Was ist dort?« »Nichts, gar nichts sein dort. Wenn Massa Helmers und alle anderen Massas hinsehen, dann sie gar nichts sehen, denn er sein fort.« » Egad! Der Mormone ist entflohen!« antwortete Helmers, indem er von der Leiche emporsprang. »Schnell nach! Sehen wir, ob wir ihn erwischen!« Die Gruppe löste sich augenblicklich auf. Jeder rannte nach der Richtung, in welche ihn der Zufall oder die momentane Vermutung trieb. Nur einer blieb zurück – – Bloody-fox. Er stand bewegungslos und horchte in das Dunkel des Abends hinaus. So blieb er, bis die Männer wiederkehrten, um, wie vorauszusehen gewesen war, zu melden, daß sie keine Spur des Gesuchten bemerkt oder gefunden hätten. » Well, dachte es mir!« nickte er. »Wir sind dumm gewesen. Vielleicht ist dieser fromme Mormone ein noch viel gefährlicherer Mensch, als der Tote hier jemals gewesen ist. Ich habe ihn gesehen, weiß aber nicht wo, werde aber dafür sorgen, daß ich ihn wiedersehe und zwar sehr bald! Good evening, Mesch'schurs!« Er hob das Gewehr auf, welches dem Toten entfallen war, und schritt zu seinem Pferde. »Willst du fort?« fragte Helmers. » Yes. Ich wollte ja schon längst weiter und habe mit diesem Fremden hier wohl eine kostbare Zeit versäumt. Die Büchse nehme ich mit, um sie den Erben des rechtmäßigen Besitzers zuzustellen.« »Wann sehe ich dich wieder?« »Wann es nötig ist. Nicht eher und nicht später.« Er stieg auf und trabte davon, ohne jemand die Hand gereicht zu haben. »Ein sonderbarer junger Mensch,« meinte der Juggle-Fred, indem er den Kopf schüttelte. »Lassen wir ihn!« antwortete Helmers. »Er weiß stets, was er thut. Ja, er ist jung, aber er nimmt es mit manchem Alten auf, und ich bin überzeugt, daß er über kurz oder lang diesen Master Tobias Preisegott Burton und vielleicht auch noch andere beim Kragen hat!« – – 2. Kapitel. Die beiden »Snuffles« Zweites Kapitel Die beiden »Snuffles« Ungefähr zwei Stunden vor der Zeit, in welcher Hobble-Frank und Bob mit Bloody-fox zusammentrafen, kamen zwei andere Männer aus der Richtung von Koleman City geritten. Doch konnten sie diesen Ort wohl kaum berührt haben, denn sie hatten ganz das Aussehen von Männern, welche längere Zeit bewohnten Gegenden fern geblieben sind. Die beiden Maultiere, welche diese Leute ritten, zeigten zwar Spuren von Ermüdung, schienen sich aber in guten Händen zu befinden und waren ziemlich wohlgenährt. Einen ganz entgegengesetzten Eindruck machten die Reiter; lange, außerordentlich schmächtige Gestalten, von denen man hätte annehmen mögen, daß sie wochenlang Gäste des Hungers gewesen seien. Daß dem aber nicht so sei, zeigte ihre gesunde Hautfarbe und kräftige Haltung, welche sie im Sattel behaupteten. Der Westen hat eine starke, austrocknende Luft, welche kein überflüssiges Fleisch auf den Knochen duldet, dafür jedoch die Sehnen stählt und den Gliedern jene ausdauernde Kraft und Widerstandsfähigkeit verleiht, ohne welche der Mensch dort bald zu Grunde gehen müßte. Ueberraschend war die außerordentliche Aehnlichkeit, welche zwischen ihnen herrschte. Wer sie erblickte, mußte sie sofort für Brüder, vielleicht gar für ein Zwillingspaar halten. Diese Aehnlichkeit war so bedeutend, daß man sie, zumal beide ganz gleich gekleidet und bewaffnet waren, nur mit Hilfe einer Schmarre unterscheiden konnte, welche dem einen von ihnen quer über die linke Wange lief. Sie trugen bequeme, dunkelgraue, wollene Ueberhemden und ebensolche Hosen, starke Schnürschuhe, breitrandige Biberhüte und hatten ihre schweren, breiten Lagerdecken wie Mäntel hinten von den Schultern herabhängen. Ihre ledernen Gürtel waren mit Klapperschlangenhaut überzogen und trugen die gewöhnlichen Kleinwaffen und sonstigen Requisiten des Prärienmannes. Flinten hatten sie auch, aber direkt aus dem Laden des Gewehrhändlers kamen dieselben jedenfalls nicht; ihr Aussehen war vielmehr ein solches, daß sie den Namen »Schießprügel« mit vollem Rechte verdienten. Wer jedoch weiß, was ein tüchtiger Westmann mit so einem alten Fire-lock zu leisten vermag, dem kann es niemals einfallen, über eine solche Waffe die Nase zu rümpfen. Der Westmann liebt seine Büchse, aber er kokettiert nicht mit derselben. Je unscheinbarer sie während des langen Gebrauches wurde, desto größer ist die Pietät, welche er ihr widmet. Leider war diesen beiden Reitern keine allzu große männliche Schönheit zuzusprechen, was seinen Grund in dem Umstande hatte, daß der hervorragendste Teil ihrer Gesichter auf eine ganz ungewöhnliche Weise entwickelt war. Sie hatten Nasen und eben was für welche! Man konnte getrost darauf schwören, daß zwei solche Geruchsorgane im ganzen Lande nicht wieder zu finden seien. Nicht die Größe allein, sondern auch die Form war außerordentlich, ebenso die Farbe. Um sich diese Nasen vorstellen zu können, müßte man sie gesehen haben. Denkt man sich den in Gestalt einer Weintraube verholzten Saftausfluß einer Birke, in allen möglichen Farben schimmernd, welche sich jemals auf einer Malerpalette befanden, so kann man sich einen ungefähren Begriff von diesen Nasen machen. Und dabei waren auch sie einander geradezu zum Erstaunen ähnlich. Es gab kein gleicheres Brüderpaar als diese beiden Männer, welche wohl bereits manchen Sturm erlebt hatten, da sie wenigstens in der Mitte der Fünfziger standen. Nun darf man aber nicht denken, daß der Eindruck ihrer Gesichter ein abstoßender gewesen sei, o nein! Sie waren sorgfältig glatt rasiert, so daß kein Bart den wohlwollenden Ausdruck derselben verbarg. In den Mundwinkeln schien ein heiteres, sorgloses Lächeln sich für immer eingenistet zu haben, und die hellen, scharfen Augen blickten so gut und freundlich in die Welt, daß nur ein schlechter Menschenkenner behaupten konnte, man habe sich vor ihnen in acht zu nehmen. Die Gegend, in welcher sie sich befanden, war ziemlich steril zu nennen. Der Boden trug nur knorriges Knieholz, zuweilen mit Yuccas und Kakteen vermischt. Einen Wasserlauf schien es in der Nähe nicht zu geben. Die forschenden Blicke der Reiter deuteten an, daß diese letzteren hier nicht bekannt seien. Zuweilen richtete sich einer von ihnen in den Bügeln empor, um einen weiteren Ausblick zu gewinnen, und setzte sich dann mit einer Miene in den Sattel zurück, welche besagte, daß es vergeblich gewesen sei. »Verteufelt triste Gegend!« sagte derjenige, welcher die Schmarre auf der Wange hatte. »Wer weiß, ob wir heute noch einen Schluck frischen Wassers finden. Meinst du nicht auch, Tim?« »Hm!« brummte der andere. »Wir nähern uns eben dem Gebiete der Llano estakata. Da ist es nicht anders zu verlangen. Oder meinst du, Jim, daß es in der Wüste Quellen von Eierpunsch oder Buttermilch geben soll?« »Schweig, Bruderherz! Mach mir den Mund nicht wässerig! Eierpunsch ist das höchste der Gefühle. Wer ihn nicht hat, ist schließlich auch mit Buttermilch zufrieden. Hier aber gibt es selbst diese nicht, und ich befürchte, daß wir wohl gar gezwungen sein werden, mit Kaktussaft fürlieb zu nehmen.« »Das wohl nicht. Noch befinden wir uns nicht in den Plains. Helmers Home, welches wir erst morgen erreichen, soll an einem Wasser liegen. Also haben wir das fruchtbare Land noch nicht hinter uns. Ich hoffe, die Old Silver Mine, welche für heute unser Ziel ist, liegt inmitten oder wenigstens in der Nähe einer Baum- oder Strauchinsel, wie man sie zuweilen selbst in wüsten Gegenden findet. Und du weißt, meine Hoffnungen täuschen mich nur selten, denn sie schlängeln sich gewöhnlich um die Wirklichkeit herum.« »Magst du nicht lieber davon schweigen? Unsere Hoffnungen haben uns bisher zu nichts geführt.« »Das darfst du nicht sagen, Jim. Wir haben kein Schlaraffenleben führen können, das ist wahr; aber wir tragen ein hübsches Sümmchen in der Tasche, und wenn wir jenseits der Llano und der Guadeloupe Glück haben, so sind wir gemachte Leute.« »Ja, wenn! Ein Millionär zu sein, das ist das höchste der Gefühle. Zunächst aber haben wir nicht einmal was zu essen. Wir waren nur darauf bedacht, schnell vorwärts zu kommen, und haben uns also nicht Zeit genommen, uns nach irgend einem Braten umzusehen. Ich will gar nicht einen Turkey verlangen, aber wenigstens einer nicht gar zu alten Prairiehenne möchte ich doch zu gern begegnen. Vielleicht erlaubte sie mir, ihr mit meiner Büchse good day zu sagen.« »Du hast zu leckerhafte Gedanken! Ich wäre schon sehr zufrieden, wenn ein gefälliger Mulehase auf den Einfall käme, sich von außen um uns herumzuschlängeln. Dann würden wir – – have care! Da ist einer! Molly, stehe nur dieses einzige Mal still!« Diese Aufforderung, welche er mit einem Rucke der Zügel unterstützte, war an sein Maultier gerichtet. Es stand bewegungslos, als ob es seine Worte genau verstanden habe. Gerade vor den beiden war ein Mulehase zwischen einigen einsamen Grasbüscheln aufgesprungen. Tim hatte sein Gewehr schnell an der Wange und drückte ab. Der Hase überschlug sich und blieb liegen. Die Kugel war ihm durch den Kopf gedrungen – ein Meisterschuß aus so einem Gewehre. Der texanische Hase hat die Größe seines deutschen Verwandten; er findet sich in ziemlicher Menge und besitzt ein wohlschmeckendes Fleisch. Er hat sehr lange Ohren, welche denen eines Maultieres (Mule) ähnlich sind, und wird deshalb Mulehase genannt. Tim ritt zur Stelle, an welcher der Hase lag, holte sich denselben und sagte, indem er dann weiter ritt: »Der Braten ist da, und ich denke, daß sich wohl auch ein Wässerlein finden lassen werde. Du siehst, daß meine Ahnungen doch nicht ganz vergeblich sind. Zwei Kerls von unserer Art finden immer, was sie brauchen.« »Ob aber auch Diamanten? Das müssen wir abwarten.« »Auch Diamanten, sage ich dir!« antwortete Tim in sehr bestimmtem Tone. »Natürlich setze ich da voraus, daß es da drüben wirklich welche gebe. Ist die Sache Schwindel, so geht es uns eben wie allen anderen, die auch nichts finden können. Ich wenigstens werde mir den Kopf nicht abreißen, wenn ich erfahren sollte, daß wir uns vergeblich von außen um das Glück herumgeschlängelt haben. Horch! War das nicht ein Schuß?« »Ja, es war einer. Polly hat ihn auch gehört.« Er meinte sein Maultier, welches jetzt die Luft durch die Nüstern sog und höchst energisch mit den langen Ohren wedelte. Es kommt sehr häufig vor, daß der Prairiejäger seinem Tiere einen Namen gibt. Diese beiden Maultiere wurden, wie aus den Worten ihrer Herren hervorging, Molly und Polly genannt, zwei Namen, welche so ähnlich lauteten wie diejenigen ihrer Herren, Jim und Tim. Die Brüder richteten sich auf und blickten nach der Richtung, aus welcher sie den Schuß vernommen hatten. Er war weiter zu hören gewesen, als ihr Auge reichen konnte, da sie sich in einer muldenartigen Bodensenkung befanden; aber Tim deutete aufwärts in die Luft, wo ein großer Raubvogel schwerfällig seine Spirale zog. »Ein Hühnergeier,« sagte er. »Oder nicht, Jim?« »Nein! Es ist ein Königsgeier, wie an der bunten Färbung zu ersehen ist. Er hat ein fahlgelbes Gefieder und hat bei einem Aase gesessen, denn er ist so vollgefressen, daß er nur mit Mühe zu fliegen vermag. Man hat ihn durch den Schuß von seinem Fraße aufgestört, und wir müssen sehen, was für Menschenkinder das gewesen sind. Es verlohnt sich hier gar sehr, zu wissen, wen man vor sich hat. In der Nähe der Llano soll es nicht ganz geheuer sein. Wer das außer acht läßt, der kann leicht von so einem Geier gefressen werden, was ich keineswegs das höchste der Gefühle nennen möchte. Also vorwärts, Tim!« Sie gaben ihren Tieren die Sporen. Nun ist es aber bekannt, daß Maultiere sehr störrische Geschöpfe sind. So eine Kreatur ist gewöhnlich gerade dann, wenn die größte Eile geboten ist, nicht von der Stelle zu bringen. Und um das wieder quitt zu machen, pflegt es gerade an dem Augenblicke in rasenden Galopp zu fallen, wenn der Reiter die zwingendste Veranlassung hat, halten zu bleiben. Molly machte leider keine rühmliche Ausnahme. Kaum hatte Tim ihr die Sporen fühlen lassen, so stemmte sie die vier Beine ein und stand fest wie ein Sägebock. Er drückte fester an, was aber nur die Wirkung hatte, daß sie den Kopf zwischen die Vorderbeine nahm und hinten in die Höhe ging, um den Reiter nach vorn abzuwerfen. Tim jedoch kannte seine langjährige Freundin so genau, daß er sich nicht aus dem Sattel bringen ließ. »Was fällt dir ein, old Joker! « lachte er. »Ich werde dir gleich die Mücken austreiben.« Er langte nach hinten, ergriff den Schwanz des Tieres und zog denselben mit einem scharfen Rucke nach vorn. Sofort flog Molly mit allen vieren zugleich in die Luft und schoß dann vorwärts, daß Jim auf seiner Polly kaum zu folgen vermochte. Dieses empfindliche Ziehen am Schwanze war das Geheimmittel, durch dessen energische Anwendung der Eigensinn der sonst ganz liebenswürdigen Molly sofort gebrochen werden konnte. Wer dieses Mittel nicht kannte, der war trotz Sporen und Peitsche gezwungen, sich ihren Launen zu fügen. Es macht sich eben jedes Tierchen gern sein Plaisierchen; nur gut, daß es auch Mittel gibt, welche zuweilen nicht nur bei einem bestimmten Individuum, sondern bei der ganzen Gattung wirksam sind. So gibt es z.B. Angehörige der berühmten Familie Equus asinus (Esel), welche störenderweise ganz darauf erpicht sind, gerade bei nachtschlafender Zeit ihren zweivokaligen Singsang hören zu lassen. Man binde so einem Tiere etwas Schweres an den Schwanz, einen Stein oder sonst ein Gewicht, so wird es sofort Schwanz und Ohren hängen und keinen Laut mehr hören lassen. Als die beiden Reiter die Bodensenkung hinter sich hatten, erblickten sie zu ihrem Erstaunen eine eigentümlich zerklüftete Höhe, welche in einer Entfernung von ungefähr sechs englischen Meilen vor ihnen aufstieg, und die sie hier in der Nähe der Plains nicht erwartet hatten. Zugleich sahen sie eine Gruppe von Reitern bei einem am Boden liegenden Gegenstande halten, und zwar so nahe, daß sie kaum einer Minute bedurften, um zu ihnen zu gelangen. Sie zügelten sofort ihre Tiere. Es galt zunächst, zu erfahren, ob diese Reiter, deren sie sechs zählten, sich vielleicht feindselig verhalten würden. Sie wurden bemerkt. Der Kreis, den die Sechs bildeten, öffnete sich, doch war keine bedrohliche Bewegung zu sehen. »Was meinst du?« fragte Jim. »Wollen wir hin?« »Ich denke es. Gesehen haben sie uns doch und wenn es ja Bushrunners sind, so kommt es auf alle Fälle zu einem Kampfe mit ihnen. Es ist also besser, wir schlängeln uns von außen her zu ihnen herum; aber vorsichtig, so daß es ihnen nicht gelingt, uns zu umzingeln. Wir wollen uns schußfertig halten.« »Nun, Bushrunners sind sie wohl kaum. Sie haben vielmehr das Aussehen von Gentlemen, welche zu ihrem Vergnügen einen Ausflug unternehmen. Ihre Anzüge haben ganz gewiß vor kaum einer Woche noch im Tailorshop gehangen. Von Waffen tragen sie ein ganzes Arsenal bei sich; aber das glänzt und flimmert gar zu sehr, als daß es bereits sehr in Gebrauch gewesen sein könnte. Und die Pferde sehen mir so frisch und nach geschrotenem Maisfutter aus, daß ich annehmen möchte, wir haben ganz unschädliche Pleasing-troopers vor uns. Es ist zwar nicht das höchste der Gefühle, mit solchen Gelbschnäbeln zusammenzutreffen, aber ich ziehe es doch einem Begegnen mit Leuten vor, welche ihre Taschen nur zu dem Zwecke haben, anderer Menschen Eigentum hinein zu stecken. Machen wir uns also an sie hinan!« Es wäre ihnen auch wohl kaum eine andere Wahl geblieben, denn die Sechs setzten jetzt ihre Pferde in Bewegung und kamen ihnen entgegen. »Kommt näher, kommt näher!« rief man ihnen zu. »Ihr werdet etwas zu sehen bekommen.« »Was denn?« fragte Jim. »Kommt nur! Macht schnell!« Jetzt hatten sie einander erreicht. Waren bisher die Gesichter der Sechs höchst ernst und bedenklich gewesen, so nahmen sie jetzt plötzlich einen ganz anderen Ausdruck an. Die zwölf Augen richteten sich groß und erstaunt auf das Brüderpaar; dann begann es um die Lippen zu zucken, und endlich brach ein schallendes, sechsstimmiges Gelächter aus. » All devils! « rief einer aus. »Wen haben wir da? Two snub-noses! « » Two snub-noses! « stimmten die übrigen Fünf sofort ein. » Two snouted baboons! « » Actually, actually! Wonderful, wonderfully beautiful! Two snouted baboons! « lachten und schrieen sie alle durcheinander. »Ich bitte, Mesch'schurs, laßt euch genau betrachten!« sagte der Wortführer. »So etwas haben wir noch niemals gesehen. Erlaubt, daß ich diese Nasen einmal angreife! Ich muß mich überzeugen, ob sie natürlich sind oder vielleicht noch von letzter Fastnacht stammen.« Die Brüder hatten bis jetzt noch keine Miene verzogen; als aber der Mann wirklich seine Hand ausstreckte, um Jims Nase zu berühren, drängte dieser sein Maultier um einige Schritte zurück und sagte: »Wollt Ihr mir nicht vorher einmal Euern Namen nennen, Sir?« »Warum nicht! Ich nenne mich Gibson.« »Danke! Also, Master Gibson, ich thue einem jeden gern den Gefallen, den er von mir verlangt. Ich will auch Euch zu Willen sein, muß Euch aber vorher sagen, daß meine Büchse augenblicklich losgeht, sobald jemand meine Nase berührt. Wenn Ihr sie trotzdem angreifen wollt, so habe ich nichts dagegen. Ich bitte aber Eure ehrenwerten Kameraden, mir dann die Folgen nicht entgelten zu lassen.« Das klang so ernst, daß trotz der beiden sonderbaren Nasen das Gelächter sofort verstummte. Gibson machte aber doch noch einen Versuch zu scherzen, indem er lachend sagte: »Aber, Master, wollt und könnt Ihr es denn übel nehmen, wenn wir über solche Rhinozeroshörner lachen müssen?« »Was das betrifft, so bin ich der festen Ueberzeugung, daß ein wirkliches Nashorn viel zu wenig kultiviert ist, um sich dadurch, daß Ihr sein Horn anlacht, beleidigt zu fühlen. Aber Ihr müßt Euch hüten, irgend eine Verwechselung zu begehen. Ihr scheint sowohl in der Anthropologie wie auch in der Zoologie so grün und unwissend zu sein, daß es Euch leicht vorkommen kann, einen Säugling für ein ausgewachsenes Flußpferd zu halten. Und wo ich eine solche Unerfahrenheit bemerke, welche ein anderer vielleicht viel richtiger mit dem Ausdrucke Dummheit oder Albernheit bezeichnen würde, da erachte ich es für meine Pflicht, eine Warnung auszusprechen. Es kann kein Geschöpf anders sein, als wie der Herrgott es erschaffen hat und wenn er mich mit einer großen Nase und Euch mit einem kleinen, unzureichenden Hirn begabte, so müssen wir diese Mängel demütig hinnehmen, da wir es leider nicht anders machen können.« »Donnerwetter!« fuhr Gibson beleidigt auf. »Ist es etwa Eure Absicht, Euch an uns zu reiben?« »Ganz und gar nicht! Reibt Euch nur selbst ab, wenn Ihr schmutzig seid, und nehmt gehörig Seife und Wasser dazu! Ich bin nicht das Dienstmädchen, welches Euch zu säubern hat.« Da griff Gibson nach seinem Revolver und drohte: »Mäßigt Euch, Sir! Meine Kugeln stecken nicht so fest, wie Ihr anzunehmen scheint.« »Pah!« lachte Jim. »Macht Euch nicht lächerlich. Eure Drohung klingt nach Kinderei.« »Schweigt! Wollt Ihr etwa, daß wir Euch Mores lehren? Ihr seht, daß wir unser Sechs gegen euch beide sind.« »Eben darum! Sechs von eurer Sorte können uns doch nicht etwa aus der Fassung bringen! Hängt noch eine Null an die Sechs und dann wollen wir beide es uns überlegen, ob es sich verlohnt, einen Finger an dem Drücker krumm zu machen.« »Ihr scheint Euer Maul sehr gut in Uebung zu halten!« »Die Gewehre ebenso. Das merkt Euch wohl!« »So! Habt doch einmal die Güte, uns eure Namen zu nennen, damit wir wissen, mit welch berühmten Helden wir es zu thun haben!« »Wir heißen Hofmann und sind Brüder.« »Daß ihr Brüder seid, beweisen eure Nasen. Auf euern Namen könnt ihr euch nicht das mindeste einbilden, denn so wie ihr kann nur ein Deutscher heißen, und ihr habt vielleicht bereits erfahren, daß Leute eurer Abstammung hier zu Lande gar nichts gelten.« »Das ist eine Ansicht, die ich Euch nicht rauben will. Wem es Spaß macht, den Drehwurm im Kopfe zu haben, der mag ihn behalten; ich bin kein Irrenarzt. Komm, Tim!« Er setzte sein Maultier in Bewegung, und sein Bruder folgte ihm. Beide verschmähten es, noch einen weiteren Blick auf die Männer zu werfen und ritten nach der Stelle, an welcher die letzteren vorher gehalten hatten. Dort erwartete sie ein entsetzlicher Anblick. Die Erde war mit Fuß- und Hufspuren bedeckt, als ob hier ein Kampf stattgefunden habe. Ein totes Pferd lag da, ohne Zaum- und Sattelzeug. Der Leib desselben war weit aufgerissen, und Fetzen des Eingeweides lagen zerstreut umher – eine häßliche Arbeit des Geiers, den Jim und Tim vorhin gesehen hatten. Aber das war es nicht, wovor diese beiden erschraken, sondern in der Nähe des Kadavers lag ein menschlicher Leichnam, ein Weißer, welchem die Kopfhaut fehlte und dessen Gesicht durch kreuz und quer geführte Messerschnitte vollständig unkenntlich gemacht worden war. Sein wollener und sehr abgebrauchter Anzug ließ vermuten, daß er ein Westmann gewesen sei. Eine Kugel, welche ihm genau in das Herz gedrungen war, hatte ihm den Tod gebracht. »Heiliger Gott! Was muß da geschehen sein?« rief Jim, indem er vom Pferde sprang und zu der Leiche trat. Auch Tim stieg ab und kniete bei dem Toten nieder. »Er ist schon seit Stunden tot,« sagte er, als er die Hand und die Brust des Getöteten befühlt hatte. »Er ist kalt und das Blut rinnt nicht mehr.« »Durchsuche ihm die Taschen! Vielleicht findet sich etwas, irgend ein Gegenstand, welcher erraten läßt, wer er war.« Tim folgte der Aufforderung, gerade als die sechs Reiter, welche ihnen langsam gefolgt waren, bei ihnen anlangten. »Halt!« rief Gibson. »Wir werden uns das Visitieren der Taschen streng verbitten. Ich kann die Beraubung der Leiche nicht dulden!« Er sowohl wie seine Gefährten stiegen ab und traten herbei. Er ergriff Tim beim Arme und zog ihn empor, was dieser sich unerwarteterweise ganz ruhig gefallen ließ. Die Brüder wechselten einen Blick des Einverständnisses und dann fragte Jim: »Wie kommt Ihr denn auf den höchst geistreichen Gedanken, daß wir eine Beraubung des Toten beabsichtigen?« »Nun, Ihr greift ja in die Taschen!« »Könnte das nicht auch einen anderen Zweck haben?« »Bei euch jedenfalls nicht. Euch sieht man ja gleich auf den ersten Blick an, wessen Geistes Kinder ihr seid.« »Da entwickelt Ihr freilich einen ungeheuren Scharfsinn, Master Gibson. Eine solche imponierende Menschenkenntnis zu besitzen, muß das höchste der Gefühle sein!« »Vermault Euch nicht auch noch, sonst machen wir kurzen Prozeß mit euch! Wir haben euch in flagranti ertappt. Euer Bruder hatte die Hände in den Taschen des Ermordeten. Das genügt vollständig. Ihr treibt euch hier in der Nähe herum. Das ist verdächtig. Wer sind die Mörder? Nehmt euch in acht, sonst kann es euch vielleicht gar an den Kragen gehen!« Jim griff zornig nach seinem Messer; dieses Mal war Tim der Bedächtigere. Er warf ihm einen besänftigenden Blick zu und sagte: »Alle Wetter, seid Ihr ein gestrenger Master. Ihr thut doch ganz so, als ob wir in Euch den höchsten Beamten der Staaten zu verehren hätten!« »Ich bin Lawyer,« antwortete Gibson stolz und kurz. »Ah, Jurist! Also gehört Ihr zu den hochgelehrten Leuten, welche die Aufgabe haben, sich von außen her um die Paragraphen herum zu schlängeln? Here is my respect, Sir! « Er zog in ironischer Unterwürfigkeit den Hut. »Master Hofmann, treibt keinen Unsinn!« donnerte Gibson ihn an. »Ich bin in Wirklichkeit Advokat, oder wenn Euch das geläufiger sein sollte, obgleich Ihr ein Deutscher seid, attorney at law, und weiß sehr gut, mir Respekt zu verschaffen. Diese ehrenwerten Herren haben mich zum Anführer unserer Expedition gewählt, und also hat das zu gelten, was ich für gut befinde!« »Schön, schön!« nickte Tim eifrig. »Wir haben ja gar nichts dagegen. Da Ihr Lawyer seid, so wird es Euch außerordentlich leicht werden, diesen Kriminalfall in der richtigen Weise zu behandeln.« »Das versteht sich ganz von selbst und ich muß darauf bestehen, daß ihr euch nicht entfernt, bevor ich alles genau untersucht und sodann meine Anordnungen getroffen habe. Der Fall ist himmelschreiend und kann euch in höchst unangenehme Verwickelungen bringen.« »O, das macht uns keine Sorge, denn wir sind überzeugt, daß es Eurem Scharfsinne gelingen werde, diese Verwickelungen wieder auseinander zu wickeln.« Gibson zog es vor, diese neue Malice unbeantwortet zu lassen, dafür aber seinen Begleitern den Befehl zu erteilen: »Nehmt die beiden Maultiere fest, damit es diesen Verdächtigen nicht etwa einfällt, davonzureiten!« Die Brüder ließen es auch ruhig geschehen, daß dieses Gebot ausgeführt wurde. Es gab ihnen offenbar Spaß, zu beobachten, was diese im fernen Westen unbekannten Menschen unternehmen würden. Das Auffinden einer skalpierten Leiche war an sich natürlich keineswegs geeignet, die Brüder heiter zu stimmen. Der Prairiejäger ist in Beziehung auf dergleichen Vorkommnisse ziemlich abgehärtet; aber der Anblick, welchen der seiner Kopfhaut beraubte und im Gesicht geschändete Tote bot, wirkte grauenerregend. Dazu kam die Befürchtung, die sie in Betracht ihrer persönlichen Sicherheit hegen mußten. Es stand bei ihnen fest, daß der Mann von einem Indianer getötet und skalpiert worden sei, und da nicht anzunehmen war, daß eine einzelne Rothaut sich so weit nach Osten wagen werde, so stand zu vermuten, daß ein ganzer Trupp Indsmen sich in der Nähe befinde. Es galt also, vorsichtig zu sein, falls die späteren Beobachtungen nicht etwas anderes ergaben. Aus Gibson und seiner Gesellschaft aber machten die beiden sich so wenig wie möglich, also gar nichts. Der Advokat untersuchte nun höchst eigenhändig die Taschen des Toten. Sie waren leer, ebenso der Gürtel. »Er ist bereits ausgeraubt worden,« sagte er. »Es liegt also ein Raubmord vor und es ist unsere Pflicht, den Mörder zu entdecken. Die Spuren beweisen, daß nicht ein einzelner Mann die That begangen hat. Es sind ihrer mehrere gewesen, und wenn ich bedenke, daß das böse Gewissen den Verbrecher nach dem Orte seiner Unthat zurückzutreiben pflegt, so vermute ich, daß wir gar nicht weit zu gehen haben, um die Mörder zu finden. Gebrüder Hofmann, ihr seid meine Gefangenen und werdet uns zur nächsten Ansiedelung begleiten; das ist Helmers Home. Dort werden wir den Fall mit aller Strenge untersuchen.« Er war in einer Haltung, welche imponieren sollte, vor die beiden hingetreten. »Gebt also eure Waffen ab!« fügte er gebieterisch hinzu. »Sehr gern,« antwortete Jim. »Hier hast du mein Gewehr. Greif zu.« Er legte auf ihn an. Die Hähne knackten. Gibson sprang erschrocken zur Seite und rief: »Schuft! Willst du dich widersetzen?« »O nein,« lachte Jim. »Von einer Widersetzung kann gar keine Rede sein. Ich will dich nur bitten, mir das Gewehr möglichst behutsam aus der Hand zu nehmen; es könnte sonst losgehen und dann wäre es mit deiner berühmten Advokatur zu Ende. Also greif fein säuberlich zu!« »Auch noch Hohn? Mensch, ich lasse dich fesseln, daß du dich krümmen sollst vor Schmerzen!« »Soll mir sehr angenehm sein, denn so ein richtiges Zusammenschnüren ist das höchste der Gefühle. Und damit die anderen Herren die Hände für diese Arbeit frei bekommen, wollen wir sie von unseren Maultieren erlösen. Polly, her zu mir!« »Molly, komm!« rief auch Tim. Die Tiere hatten sich bisher ruhig an den Zügeln halten lassen, sobald sie aber die befehlenden Stimmen ihrer Herren hörten, rissen sie sich los und kamen schnaubend herbei. »Festhalten, festhalten!« rief Gibson; aber es war bereits zu spät. »Bemüht euch nicht weiter!« lachte Jim. »Ihr könntet die Bestien nicht halten; sie würden euch vielmehr unter die Hufe treten. Es ist gar nicht so leicht, zwei richtige Westmänner festzunehmen.« »Wenn ihr nicht gehorcht, lasse ich auf euch schießen!« »Oho! Das werdet ihr bleiben lassen! Wie wenig wir euch fürchten, mögt ihr daraus ersehen, daß ich mein Gewehr aus dem Anschlage nehme. Doch sage ich euch, daß jeder, welcher sich uns auf mehr als drei Schritte nähert, sofort die Kugel in den Kopf bekommt. Leute eures Kalibers gelten hier gar nichts. Man lacht sie höchstens aus. Was sind hier am Rande der Llano zehn Advokaten gegen einen einzigen tüchtigen Prairieläufer! Hier wird nicht in Worten, sondern mit Pulver und Blei gesprochen und in dieser Beziehung seid ihr ja doch nur Kinder gegen uns. Gegen unsere Guns kommt ihr mit euren Kolibriflinten nicht auf; das mögt ihr glauben. Wir brauchen keinen Lawyer aus dem Osten. Wir haben die Paragraphen der Prairie studiert und verstehen es auch genugsam, ihnen Geltung zu verschaffen. Wir sind ehrliche Leute und ihr habt euch in uns getäuscht; aber wir werden es euch nicht entgelten lassen, denn euer polizeilicher Scharfsinn hat uns großen Spaß gemacht. Ihr habt hier vor dem Toten gestanden wie ein Häuflein Primer boys vor einer ägyptischen Pyramide, und Eure Weisheit anzuhören, das war für uns das höchste der Gefühle. Einen solchen Fall aufzuklären, das lernt man auf keinem Kollege und auch auf keiner Universität. Merkt euch das. Die dazu nötigen Kenntnisse eignet man sich nur auf der hohen Schule der Prairie an und da ist ein jeder von euch wohl nur ein Cockney zu nennen. Jetzt werden wir beide die Sache nach unserer Weise in die Hand nehmen und da sollt ihr erfahren, welch ein anderes Resultat wir erlangen. Leider wißt ihr nicht, was in einem solchen Falle eine unbeschädigte Fährte zu bedeuten hat. Ihr habt eure Pferde hier nach Belieben trampeln lassen. Nun ist es freilich beinahe unmöglich, die eigentliche Spur zu lesen. Wir wollen aber versuchen, es fertig zu bringen. Suchen wir einen Kreis ab, Tim, du nach rechts und ich nach links. Drüben treffen wir dann zusammen.« Diese Art, zu sprechen, verfehlte den beabsichtigten Eindruck nicht. Niemand entgegnete ein Wort, und selbst Gibson schwieg. Freilich machten sie höchst finstere Gesichter; aber als die Brüder sich jetzt nach verschiedenen Seiten entfernten, wagte es keiner, sie zu hindern oder sich ihrer Tiere wieder zu bemächtigen. Jeder der beiden schritt, den Boden sorgfältig untersuchend, einen weiten Halbkreis ab, dessen Mittelpunkt die Leiche war. Als sie zusammentrafen, teilten sie sich ihre Ergebnisse mit und kehrten dann zurück. Nun untersuchten sie auch das Pferd, den Toten und den zerstampften Boden. Die Sorgsamkeit, mit welcher sie sogar einzelne Steinchen betrachteten, wollte den anderen fast lächerlich erscheinen. Zuletzt sprachen sie wieder eine Weile leise miteinander, bis sie zu einer festen Ansicht gekommen zu sein schienen. Dann wendete Tim sich an den Advokaten: »Master Gibson, Ihr wolltet uns arretieren, weil wir uns hier befinden, und weil ich in die Taschen dieses Toten griff. Mit ganz denselben Rechten könnten wir Euch festnehmen, da Ihr Euch ja auch von außen um diesen Platz herumgeschlängelt und dann dieselben Taschen untersucht habt. Wir wissen aber, daß Ihr unschuldig seid, und Ihr habt also nichts zu befürchten.« »O, das wissen wir auch überdies. Was sollte uns von euch geschehen!« »Alles, was uns beliebte. Ihr habt ja gar keine Ahnung von der Art und Weise eines Westmannes. Wenn es uns beiden beliebt, so bringen wir euch alle sechs trotz eurer Waffen gebunden nach Helmers Home. Ihr hättet die Wahl nur zwischen Gehorsam oder Tod. Gut für euch, daß es anders steht! Als wir ankamen, sahen wir euch bei der Leiche. Wir hatten also Veranlassung, Verdacht gegen euch zu hegen, während euer gegen uns gezeigtes Mißtrauen ein ganz unsinniges war. Schon daß der Mann skalpiert worden ist, mußte euch auf die Vermutung bringen, daß er durch die Kugel eines Indianers fiel. Wir dachten das sofort und haben es bestätigt gefunden. Uebrigens ist ihm wohl sein Recht geschehen. Erst bemitleideten wir ihn, doch ohne Grund, wie sich jetzt herausgestellt hat. Er ist ein schlimmer Kerl gewesen, das Mitglied einer Bande von Bushrunners, welche hier ihr Wesen zu treiben scheinen. Nehmt euch vor ihnen in acht!« Seine Worte wurden mit dem größten Staunen entgegengenommen. »Wie?« fragte Gibson. »Das alles wollt Ihr aus den Spuren ersehen haben?« »Das und noch viel mehr.« »Das ist ganz unmöglich!« »So sagt Ihr, weil Ihr ein Neuling seid. Man kann eine Fährte so gewiß lesen wie die Zeilen und Seiten eines Buches. Freilich gehört unbedingt dazu, daß man sich eine Reihe von Jahren von außen um den wilden Westen herumgeschlängelt hat. Das ist nicht bei Euch, aber bei uns der Fall. Der Mann ist nicht auf dem Platze, wo er sich jetzt befindet, erschossen worden. Habt Ihr bemerkt, daß die Kugel ihm den ganzen Körper durchbohrt hat und zum Rücken hinausgedrungen ist?« »Ja.« »So kommt einmal mit zur Seite!« Die anderen folgten ihm, bis er nach einigen Schritten stehen blieb und auf den Boden deutete, welcher aus hartem, nacktem Gestein bestand. Da lag eine große Lache geronnenen Blutes. »Was seht Ihr hier?« fragte er. »Das ist Blut,« antwortete Gibson. »Bemerkt Ihr weiter nichts?« »Nein.« »So habt Ihr freilich keine Kriminalistenaugen, obgleich Ihr es wagtet, uns arretieren zu wollen. Seht Euch einmal diesen kleinen Gegenstand an! Für was haltet Ihr ihn?« Er nahm den betreffenden Gegenstand aus der Lache. Derselbe war klein, fast wie eine Münze breit gedrückt und zeigte trotz des an ihm klebenden Blutes einen matten, metallischen Glanz. Alle betrachteten ihn, und Gibson sagte: »Das ist eine breitgedrückte Bleikugel.« »Ja, und zwar diejenige, welche diesem Manne den Tod gebracht hat. Sie ist ihm genau durch das Herz gedrungen; also ist er augenblicklich tot und bewegungslos gewesen. Er kann sich unmöglich noch dorthin, wo er liegt, geschleppt haben, sondern ist von anderen oder wenigstens einem anderen dorthin geschafft worden. Gebt Ihr das zu?« »Wie Ihr es erklärt, erscheint es freilich wenn als nicht gewiß so doch wahrscheinlich.« »Nun seht Euch einmal das trockene Hartgrasplätzchen hier neben dieser felsigen und blutigen Stelle an! Was seht Ihr da?« »Das Gras ist niedergedrückt worden.« »Wovon oder von wem?« »Ja, wer soll das wissen!« »Wir wissen es. Hier hat ein Mensch gelegen, und da nicht die mindeste Spur von Blut zu entdecken ist, so muß man annehmen, daß er unverwundet war. Geschlafen hat er nicht da, denn ein jeder, auch der ärmste Westmann hat eine Decke bei sich, welche er unbedingt unterlegt, wenn er am Boden ausruhen will. Auch ist in Anbetracht der Zeit, welche seit dem Morde vergangen ist, diese Spur so undeutlich, daß mit Sicherheit anzunehmen ist, er habe nur kurze Zeit hier gelegen. Hart daneben seht Ihr einen Strich im weichen Sandboden. Er ist oben breit und verengert sich nach unten. Womit ist dieser Strich gemacht worden?« »Vielleicht mit dem Stiefelabsatze.« »O nein! Ich werde Euch gleich beweisen, daß der Mann, welcher hier lag, keine Stiefel, sondern Moccassins trug. Dieser Strich würde eine ganz andere Gestalt oder Form haben, wenn er von einem Stiefel herrührte. Er würde muldenförmig sein. Man kann getrost tausend Eide darauf schwören, daß er mit der Ecke des Gewehrkolbens gemacht worden ist, und da er nicht gleichmäßig ist, sondern tief beginnt und am anderen Ende in einem flachen, seitlich gebogenen Haken ausläuft, so ist es gewiß, daß er nicht langsam, in ruhiger Bewegung, sondern äußerst hastig gemacht wurde. Endlich seht Euch einmal den Eindruck hier am unteren Ende der Spur an! Welchem Umstande verdankt sie ihre Entstehung?« Erst nachdem Gibson die betreffende sandige Stelle genau betrachtet hatte, antwortete er: »Es scheint fast, als ob jemand hier sich auf dem Absatze umgedreht habe.« »Dieses Mal habt Ihr Recht. Der Eindruck ist aber auch so deutlich, daß man gar nichts anderes raten kann. Wenn Ihr die Stelle genau prüft, werdet Ihr sagen müssen, daß hier von einem Stiefelabsatze nicht die Rede sein könne, sondern von einem Schuhwerke mit stumpfer Ferse, also einem Moccassin. Ihr seht den Eindruck nur eines Fußes, nicht aber den des anderen, obgleich der Boden sehr weich ist. Was folgt daraus?« »Das weiß ich freilich nicht.« »Die Hastigkeit, welche ich bereits vorhin erwähnte. Der Betreffende hat sich hier in größter Eile niedergeworfen, so daß der zweite Fuß in der Luft schwebte und also gar keinen Eindruck im Sande machen konnte. Hätte der Betreffende Zeit gehabt, sich in aller Behaglichkeit hier auszustrecken, so müßte man unbedingt die Spuren beider Füße sehen. Es ist also mit voller Gewißheit anzunehmen, daß für ihn ein Grund vorhanden war, sich plötzlich hinzuwerfen. Und welche Ursache könnte das wohl sein?« Der Advokat kratzte sich nachdenklich hinter dem Ohre. »Sir,« sagte er, »ich muß zugeben, daß es uns unmöglich ist, Euch in Eueren Vermutungen oder Berechnungen so schnell zu folgen.« »Das beweist eben, daß ihr Greenhorns seid. In solchen Lagen hängt das Leben oft an der Zeit einer einzigen Minute. Da darf man nicht ewig grübeln und sinnen, sondern es kommt darauf an, daß der Blick hell, schnell und sicher ist. Ich werde euch sagen, welcher Grund vorhanden war. Blickt einmal um euch, und sagt mir, ob ihr nicht etwas Auffälliges hier in der Nähe bemerkt!« Die Sechs schauten sich um, schüttelten aber die Köpfe. »Nun,« fuhr Tim fort, »so seht euch diese Yuccapflanze an! An ihr müßt ihr doch jedenfalls etwas bemerken.« Die erwähnte Pflanze war eine Yucca gloriosa, welche hier im trockenen, sandigen Boden in ihrer Entwickelung zurückgeblieben war. Sie blühte noch und trug eine Rispe weißer, purpurn angehauchter Blumen. Mehrere ihrer steifen, schmalen, lanzettlich geformten und blaugrün gefärbten Blätter lagen an der Erde. Sie waren nicht von selbst abgefallen, sondern abgerissen worden. »Es ist jemand hier gewesen und hat sich mit der Yucca zu schaffen gemacht,« sagte Gibson in klugem Tone. »So! Und wer ist dann dieser Jemand gewesen?« »Das kann man nicht wissen.« »Man kann es wissen, ja, man muß es sogar wissen. Ein Mensch hat die Pflanze nicht berührt, aber er hat ihr aus der Ferne eine Kugel zugesandt, welche die Blätter abgefetzt und dann dieses Loch hier durch den Stengel geschlagen hat. Seht ihr es denn nicht?« Sie bemerkten es erst jetzt. Tim fuhr fort: »Kein Mensch schießt aus Langeweile eine Pflanze nieder. Die Kugel hat demjenigen gegolten, welcher sich da hinter uns zur Erde warf. Wenn wir uns nun von der Yucca aus eine Linie denken, welche die Stelle berührt, wo der letzterwähnte Mann gestanden hat, und sie in gerader Richtung verlängern, so wissen wir genau, aus welcher Gegend die Kugel gekommen ist. Da sie durch den unteren Teil des Stengels schlug, hat sich die Mündung des Gewehres, aus welcher sie kam, beträchtlich hoch über dem Erdboden befunden, und ihr könnt mir jedenfalls sagen, was daraus zu schließen ist?« Sie blickten ihn verlegen an, antworteten aber nicht. Darum erklärte er weiter: »Derjenige, welcher geschossen hat, stand nicht auf der Erde, sondern er saß im Sattel. Das ist für mich so gewiß wie nur irgend etwas. Aus allem, was wir hier gesehen haben, ist also folgendes zu schließen: Ein mit einem Gewehre bewaffneter Indianer hat dort, wo wir die Spur betrachteten, auf der Erde gestanden. Ein Reiter, welcher ungefähr aus Nordosten kam, schoß vom Pferde aus auf ihn, worauf der Rote, ohne von der Kugel getroffen zu sein, sich augenblicklich platt auf den Boden niederwarf, und zwar so, daß er das Gesicht nach oben kehrte. Warum aber that er das? Warum legt ein Unverwundeter sich nieder, wenn auf ihn geschossen wurde? Da gibt es nur eine einzige Er klärung, nämlich er will den Schützen heranlocken; er will ihn glauben machen, daß er tot sei. Der Reiter kam auch wirklich herbei – – –« »Woraus seht Ihr das?« fragte Gibson erstaunt. »Das will ich Euch zeigen. Kommt nur wieder zurück nach dem Platze, an welchem sich der Tote befindet! Ich kann mir den ganzen Verlauf des Ereignisses so klar und deutlich vorstellen, als ob ich Augenzeuge desselben gewesen sei. Wer ein scharfes und gut geübtes Denk- und Beobachtungsvermögen besitzt, der schlängelt sich von außen her mit größter Leichtigkeit um so ein geheimnisvolles Ereignis herum und weiß dann sehr bald, woran er ist. Mit Eurer Jurisprudenz aber würdet Ihr da nicht weit kommen.« Er führte ihn an der Leiche vorüber, nach einer Stelle, an welcher sich dürftig belaubtes Knieholz befand, zwischen denen es kleine, freie Sandflecke gab. Hier gab es einen größeren Eindruck im Sande, und er fragte, auf welche Weise derselbe wohl entstanden sei. »Es scheint auch hier jemand gelegen zu haben,« antwortete Gibson. »Mit dieser Vermutung habt Ihr recht; aber wer ist es gewesen?« »Etwa der Tote, bevor er starb?« »Nein, denn dieser wurde so gut in das Herz getroffen, daß er sich gar nicht mehr bewegen konnte. Es war ihm unmöglich, sich hierher zu schleppen. Uebrigens müßte sich eine Blutlache hier befinden, wenn er es gewesen wäre.« »So war es der Indianer, welcher sich bereits da drüben einmal niederwarf?« »Auch dieser nicht. Es gab für ihn ja gar keinen Grund, sein schlaues Manöver zu wiederholen. Auch haben wir erfahren, daß er vollständig unverletzt war, während derjenige, welcher hier gelegen hat, schwer verwundet gewesen ist. Wir haben es also jedenfalls mit einer dritten Person zu thun.« »Aber,« sagte Gibson im höchsten Erstaunen, »dieser Sand ist für euch wirklich ein aufgeschlagenes Buch. Ich könnte nicht eine Zeile desselben lesen!« Auch auf den Gesichtern seiner Gefährten stand die größte Verwunderung zu lesen. Jim hatte die Erklärung bisher seinem Bruder überlassen. Jetzt ergriff er das Wort: »Darüber braucht man Mund und Augen gar nicht aufzureißen, Mesch'schurs. Was euch so unglaublich erscheint, das macht uns jeder gute Westmann nach. Wer es nicht sehr bald fertig bringt, eine Fährte oder Spur zu lesen, der mag sich in Gottes Namen schleunigst wieder von dannen machen, denn er könnte hier im Westen gar nicht existieren. Alle berühmten Jäger haben ihre Erfolge neben ihrer Kühnheit, List und Ausdauer auch dem Umstande zu verdanken, daß jeder Fußstapfe, den sie sehen, für sie ein deutlich geschriebener Brief ist, welchen der Betreffende ihnen mit oder ohne Absicht zurückgelassen hat. Wer aber kein Verständnis für solche Briefe hat, der wird sehr bald eine Kugel oder einen guten Messerstich erhalten und an irgend einer Stelle verfaulen, an welcher es nicht gut möglich ist, ihm ein Denkmal zu errichten. Mein Bruder hat gesagt, daß sich hier keine Blutlache befinde, und er hat recht gehabt. Eine ganze, große Lache gibt es freilich nicht, aber ein wenig Blut ist doch zu sehen. Diese kleinen, dunklen Stellen im Sande rühren von Blutstropfen her. Derjenige, welcher hier lag, war also verwundet und zwar schwer, denn man ersieht aus der Spur, daß er sich vor Schmerz am Boden krümmte. Schaut euch nur das nebenan stehende Knieholz genau an und den Sand, welcher sich unter den niedrig kriechenden Zweigen desselben befindet! Der arme Teufel hat vor Schmerz die Aeste losgerissen und die Finger in die Erde gekrallt. Könnt ihr mir vielleicht sagen, an welcher Stelle seines Körpers er verwundet war?« »Um dies sagen zu können, müßte man geradezu allwissend sein.« »O nein! Eine Wunde im Kopfe oder im Oberkörper läßt mehr Blut laufen, als hier vorhanden ist. Die Verletzung wurde ihm am Unterleibe zugefügt, woraus sich auch die Qualen, welche er litt, erklären lassen. Und nun seht weiter, wie nebenan das Holz zerstampft ist, und wie die Zweige auseinander gerissen sind bis dort hinüber, wo der unverwundete Indianer lag! Und betrachtet einmal diesen unscheinbaren Gegenstand, welcher hier am Boden liegt und von euch noch gar nicht beachtet wurde! Könnt ihr mir vielleicht sagen, was es ist?« Er nahm ein Stückchen Leder vom Boden auf. Es war früher hell gegerbt gewesen, von der Zeit aber dunkel gefärbt worden und wurde durch Einschnitte in lange, sehr schmale Streifen geteilt. Die sechs betrachteten es genau, schüttelten aber die Köpfe. »Das ist,« erklärte Jim, »das losgerissene Stückchen einer ausgefransten Hosennaht, indianische Arbeit. Derjenige, welcher hier lag, war also auch ein Indianer. Er trug Leggins, deren Leder mit dem Gehirn eines Hirsches gegerbt worden war. Er hat vor Schmerz die Finger in die Leggins gekrallt und dieses kleine Fransenstück losgerissen. Ein Schuß in den Unterleib ist keineswegs das höchste der Gefühle. Wenn euch eine Kugel im Eingeweide sitzt, so werdet ihr euch wie Würmer krümmen. Sollte mich wundern, wenn dieser Indsman sich nicht bereits in den ewigen Jagdgründen befände. Er kann die Fortsetzung des Rittes unmöglich lange ausgehalten haben, zumal er zu zweien auf einem Pferde sitzen mußte!« »Er ist fortgeritten?« fragte Gibson. »Und zwei auf nur einem Pferde?« »Jawohl, Master, ganz gewiß ist es so. Kommt nun einmal ein Stück von hier fort, in der Richtung, aus welcher diese Leute gekommen sind!« Er verließ den Platz und schritt nach Nordost zu. Die anderen folgten ihm, neugierig, auf was er sie noch aufmerksam machen werde. Er schritt bis zur Kreislinie fort, welche er vorhin beschrieben hatte. Dort blieb er stehen und sagte: »Mesch'schurs, ihr erhaltet gegenwärtig so zu sagen Unterricht im Spurenlesen. Wenn ihr Gelegenheit findet, das bald auch anderwärts geboten zu erhalten, so wird man euch nicht mehr lange ›grün‹ nennen können, vorausgesetzt natürlich, daß ihr Anlagen habt, Westmänner zu werden. Wollte ich nur euern Vorteil berücksichtigen, so könnte ich euch eine sehr lange Rede halten, um euch die hiesigen Spuren ausführlich zu erklären. Aber dazu habe ich keine Zeit. Ich muß mich sputen, denn wir haben eine sehr gefährliche Räuber- oder Mörderbande vor uns, und zugleich gilt es, einen oder doch vielleicht zwei Indianer zu retten, welche von dieser Bande verfolgt werden. Ich will mich also so kurz wie möglich fassen. Hier, wo wir stehen, sind die beiden Indianer vorübergekommen, von denen wir sprachen, der verwundete und der unverwundete. Der erstere hat die Wunde nicht erst dort am Platze erhalten, wo er lag, sondern er hat sie bereits hier gehabt. Ich schließe das daraus, daß die beiden ihre Pferde Kopf an Kopf gehalten haben, wie ich aus der Fährte ersehe. Sie sind eng nebeneinander geritten, und der Unverwundete hat das Pferd des anderen am Zügel gehabt. Dieser letztere brauchte also seine Hände, um sie auf seine Wunde zu legen oder um sich im Sattel zu halten, da er abgemattet war.« Einige Schritte zurückgehend und dann auf den Boden deutend, fuhr er fort: »Daß wir es wirklich mit Indianern zu thun hatten, zeigen die Hufeindrücke, aus denen zu beweisen ist, daß die beiden Pferde barfuß waren. Hier könnt ihr sehen, daß das eine Pferd, welches den Verwundeten trug, einen weiten Satz machte. Hier an dieser Stelle erhielt es seitwärts von hinten her einen Schuß, der ihm durch die vordere Weiche in die Brust und zwar so in das Leben drang, daß es nur noch eine kleine Strecke weiter konnte und dort, wo es noch jetzt liegt, niederstürzte. Dabei wurde der verwundete Indianer aus dem Sattel geworfen und seitwärts in das Knieholz geschleudert, wo wir die Stelle, an welcher er lag, untersucht haben.« Jetzt ging er nach rechts hinüber und deutete abermals nieder, indem er weiter erklärte: »Hier befindet sich die Spur eines einzelnen Reiters, desjenigen, welcher auf das Pferd und dann auch auf den unverwundeten Indsman geschossen hat. Sein Pferd trug Hufeisen. Er war ein Weißer. Auf das Pferd schoß er, bevor er hier ankam, wie ich euch beweisen könnte, wenn ich Zeit dazu hätte. Aber ganz genau von der Stelle aus, an welcher wir uns jetzt befinden, schoß er auf den unverletzten Indsman – – –« »Das könnt Ihr doch nicht mit solcher Bestimmtheit sagen!« fiel Gibson ein. »O, ich kann es sogar beschwören! Blickt doch einmal vorwärts, so werdet ihr sehen, daß unser jetziger Standpunkt mit dem Orte, an welchem der Indianer sich niederwarf und mit der Yuccapflanze, in welche die Kugel drang, sich in einer ganz geraden Linie befindet. Es ist da gar kein Zweifel möglich. Und weiter! Nur acht oder zehn Schritte von hier seht ihr eine weitere Fährte vorüberkommen. Da sind fünf Weiße geritten, um dann am Platze anzuhalten, dessen Boden so zerstampft ist. Jetzt bitte ich euch, mir zurück zu folgen. Wir werden dann gleich fertig sein.« Er führte sie nicht nur nach dem Platze zurück, sondern noch ein Stück über denselben hinaus und machte sie dort auf drei Spuren aufmerksam, deren eine seitwärts führte. Von dieser letzteren sagte er: »Sie stammt von einem einzelnen Pferde, welches einem Weißen gehörte. Die Hufe haben sich tief eingewühlt; das Tier hat sich im Galoppe befunden. Ein Pferd aber, welches zwanzig Schritte von dem Punkte entfernt, an welchem es stand, bereits galoppiert, ist sicherlich ausgebrochen. Es wurde scheu und lief davon. Wollten wir seiner Spur folgen, so würden wir es ganz gewiß finden mit leerem Sattel und an irgend einer Pflanze knuspernd. Hier, links davon seht ihr die zweite Fährte. Sie ist ruhig ausgetreten und zwar von einem unbeschlagenen Pferde. Da sie trotz des langsamen Schrittes tiefer ausgetreten ist als die zurückliegende Spur der Indianerpferde, so hat dieses Tier unbedingt eine schwerere Last getragen als vorher. Der unverletzte Indianer hat im Sattel gesessen und seinen verwundeten Gefährten vor sich liegen gehabt. Und nun sehr ihr genau neben dieser letzteren Fährte die Spuren der fünf Weißen. Sie folgten derselben, ritten aber nicht auf ihr, um sie nicht zu verwischen. So, jetzt bin ich fertig. Ich hätte viel ausführlicher sein und euch noch auf anderes aufmerksam machen können, aber, wie gesagt, ich habe keine Zeit dazu. Nun faßt einmal alles zusammen, was ihr gehört habt, und sagt mir, in welcher Weise sich das Ereignis hier zugetragen hat!« »O, das werden wir am besten Euch überlassen, Master,« antwortete Gibson, jetzt freilich in einem sehr bescheidenen Tone. »Nun,« meinte Jim, »ich bin ja deutlich genug gewesen, so daß ihr nun wohl wissen könntet, woran ihr seid. Ich hoffe aber, ihr werdet mir zugeben, daß es das höchste der Gefühle ist, eine Fährte richtig lesen zu können. Unsere Nachforschung hat folgendes ergeben: Sechs Weiße sind im Nordosten von hier mit zwei Indsmen zusammengetroffen und haben Streit mit ihnen angefangen, wobei der eine der Indianer einen Schuß in den Leib erhielt. Die Roten flohen, und die Weißen nahmen die Verfolgung sofort auf. Die Pferde der Indsmen aber waren denen der Weißen überlegen und erhielten einen sehr bedeutenden Vorsprung. Seht das Pferd an, welches dort liegt. Es ist von feinstem mexikanischen Schlage und stammt wohl gar von echt andalusischen Ureltern. Das Totem, das heißt das Zeichen seines Besitzers, ist ihm auf der linken Seite des Halses in die Haut geschnitten. Der verwundete Indianer ist kein gewöhnlicher Krieger gewesen, denn nur Häuptlinge und angesehene Männer des Kriegsrates dürfen sich eines Totem bedienen. Auch seht ihr, daß dem Tiere die feindliche Kugel in die Vorderweiche gedrungen ist. Nur ein einziges Tier der Weißen ist schnell genug gewesen, den beiden Indianerpferden auf den Hechsen zu bleiben. Dieser Weiße hat die Verfolgung wütend fortgesetzt. Er durfte es wagen, seinen Kameraden so weit vorauszueilen, da die Roten nichts gegen ihn unternehmen konnten, weil der Gesunde von ihnen den Verwundeten zu stützen und zu halten hatte. Die bei den armen Teufel konnten ihr Heil fast nur in der Flucht finden. Freilich, hätte ich mich an der Stelle des Unverwundeten befunden, so wäre ich aus dem Sattel gesprungen und hätte stehenden Fußes den Weißen erwartet, um ihn vom Pferde zu schießen. Daß er das nicht gethan hat, muß einen Grund gehabt haben, den ich nicht kenne, oder es läßt vermuten, daß dieser Indsman noch ziemlich jung und unerfahren war. Die Sorge um den anderen hat ihn verwirrt. Aber listig und verwegen ist er gewesen, wie sich gleich herausstellen wird. Der Weiße hatte ein geladenes Doppelgewehr. Er kam den beiden Verfolgten so nahe, daß er dem Pferde des einen dort an der Stelle, an welcher wir standen, eine Kugel in die Weiche schickte. Es that einen Sprung, schoß noch eine Strecke fort und überschlug sich dann, seinen Reiter in das Knieholz schleudernd, wo er liegen blieb. Sofort hielt der andere Rote sein Pferd auch an und sprang ab, um den Gefährten zu schützen. Der Weiße sandte ihm eine Kugel zu; aber da sein Pferd sich noch im vollen Laufe befand, hatte er unsicheres Zielen, und seine Kugel traf die Yuccapflanze anstatt des Indianers. Dieser letztere hätte nun sein Gewehr auf den Feind richten können; aber er war aufgeregt; er zitterte vor Grimm, Sorge und Anstrengung. Es galt sein Leben, welches an der Sicherheit des Schusses hing. Darum eben schoß er nicht, sondern er that, als ob er getroffen sei und warf sich nieder, das Gewehr aber fest in der Hand behaltend. Dabei strich er mit dem Kolben den Sand auf, wie wir gesehen haben. Nun wartete er auf den Weißen, um demselben aus allernächster Nähe die Kugel in das Herz zu jagen. Dieser Weiße sprang aus dem Sattel und eilte zunächst zu dem verwundet am Boden liegenden Indianer, welcher sich natürlich tot stellte. Von da trat er zu dem anderen Indsman. Dieser sprang blitzschnell auf, schleuderte ihn zu Boden und schoß ihm in das Herz. Er hat ihm dabei die Mündung des Gewehrs so nahe an die Brust gehalten, daß die Wolle des Kleidungsstückes versengt wurde und die Kugel hinten wieder aus dem Leibe drang und sich auf dem Steine platt drückte. Durch diesen Schuß wurde das Pferd des Weißen scheu gemacht; es ging durch und brach da nach rechts hinüber aus, wie wir an der zurückgelassenen Spur gesehen haben. Der Rote aber schleppte die Leiche seines erlegten Feindes hin zu seinem verwundeten Gefährten, um demselben den Anblick der Rache zu gewähren. Dort skalpierte er sie. Dabei bemerkte er das Nahen der übrigen fünf Gegner. Er durfte nicht länger hier verweilen; darum hob er schnell den Verwundeten auf das noch unverletzte Pferd, stieg auch mit auf und ritt von dannen. Als die fünf herbeikamen und ihren toten Gefährten liegen sahen, stiegen sie ab, um zu sehen, wie es mit ihm stehe. Sie besprachen sich. Sie sind Räuber, und er war ihr Genosse. Vielleicht gibt es hier in der Nähe, wahrscheinlich auf Helmers Home, Leute, die ihn kennen. Wurde er gefunden und erkannt, so war dadurch ihre Anwesenheit verraten, welche sie natürlich geheim halten müssen. Darum kamen sie auf den Gedanken, durch Messerschnitte sein Gesicht unkenntlich zu machen. Ihr habt gesehen, daß sie das in wahrhaft schändlicher Weise ausgeführt haben, Mesch'schurs. Sie hielten sich dann nicht länger auf; sie mußten die Verfolgung der beiden Indianer, welche bereits wieder einen guten Vorsprung hatten, fortsetzen. Vorher aber nahmen sie alles, was der Tote bei sich trug, an sich. Auch die Pferdeleiche sattelten und zäumten sie ab, da ein Lederzeug, welches einem bedeutenden roten Krieger gehörte, eine sehr wertvolle Beute ist. Sie verließen diesen Ort und folgten der Fährte der Roten, sich immer neben derselben haltend, wie wir gesehen haben. Es steht zu erwarten, daß sie trotz der Langsamkeit ihrer Pferde die Indsmen doch erreichen werden, da deren Tier eine doppelte Last zu tragen hat. – Als Ihr dann hier ankamt, Master Gibson, war bereits ein Geier bei dem Kadaver des Pferdes. Ihr habt ihn durch einen Schuß vertrieben, den wir hörten und der uns herbeilockte. So! Das ist das Ereignis, wie ich es mir zusammensetze. Ich glaube nicht, daß meine Vermutungen bedeutend von der Wirklichkeit abweichen, und es wird für mich das höchste der Gefühle sein, Euch sagen zu hören, daß ich das Richtige getroffen habe.« »Nun, wenn Euch das so großes Vergnügen macht, so wollen wir Euch dasselbe nicht verderben,« meinte Gibson. »Es scheint mir allerdings, daß die Sache sich so zugetragen hat, wie Ihr sie Euch vorstellt. Ich vermute, daß Ihr ein gutes Auge und einen ebenso guten Kopf habt.« »Was meinen Kopf betrifft, so muß ich eben mit ihm zufrieden sein, weil ich ihn nicht mit einem besseren vertauschen kann. Hoffentlich habt Ihr nun eingesehen, daß es ein purer Unsinn von Euch war, uns arretieren zu wollen. Jetzt möchte ich Euch fragen, was Ihr in dieser Angelegenheit nun weiter zu thun gedenkt.« »Gar nichts. Sie geht uns nichts mehr an. Es handelt sich ja nur um Indianer.« »Nur um Indianer?« fragte Jim. »Nur? Sind die Indsmen etwa keine Menschen?« »Daß sie Menschen sind, bestreite ich ihnen nicht; aber sie stehen so tief unter uns, daß es eine Beleidigung wäre, uns mit ihnen verglichen zu sehen.« Jim machte eine etwas geringschätzige Handbewegung. Tims große Nase wackelte auf und nieder; sie bewegte sich nach rechts und links; sie gebärdete sich wie ein ganz selbständiges Wesen, welches in Zorn geraten ist. Er rieb sie leise mit dem Zeigefinger, als ob er sie beruhigen wolle, und sagte dabei in einem zur Freundlichkeit gezwungenen Tone: »Wenn das so ist, Master, dann kommen wir freilich nicht in die Lage, euch zu beleidigen, denn es kann uns gar nicht einfallen, einen Vergleich zwischen euch und ihnen zu ziehen. Diese beiden Roten haben sich geradezu wie Helden benommen, wenigstens der eine von ihnen, den wir für den jüngeren halten. Es ist gar nicht möglich, so unerfahrene Leute, wie ihr seid, mit ihnen zu vergleichen. Sie stehen hoch, sehr hoch über euch. Haltet euch um Gottes willen nicht für bessere Menschen als sie! Die Weißen sind in das Land gekommen, um die eigentlichen Besitzer desselben, die Indianer, aus demselben zu verdrängen. Es sind Ströme von Blut und Brandy vergossen worden, unter denen der Nationenmord bewerkstelligt wurde. Gewalt, List, Betrug, Wortbrüchigkeit haben unausgesetzt daran gearbeitet, die Scharen, welche die Prairien bevölkerten, zu dezimieren. Man jagt sie von Ort zu Ort, von Station zu Station, von Territorium zu Territorium. Kaum hat man ihnen ein neues Gebiet angewiesen, auf welchem sie in Ruhe und Frieden leben dürfen sollen, findet man irgend einen Grund, sie wieder auf- und fortzujagen. Man verkauft ihnen Schwerspat als Mehl, Kohlenstaub als Pulver, Kinderflinten als Bärenbüchsen. Wollen sie sich das nicht gefallen lassen, so nennt man sie Empörer und schießt sie in Masse nieder. Diese Armen haben nur die Wahl, entweder sich bis zur Stupidität bedrücken zu lassen oder bis zum letzten Lebenshauche gegen die vernichtende Habsucht der Eroberer zu kämpfen. Ergeben sie sich in ihr Schicksal, so nennt ihr sie stumpfsinnig und indolent. Wehren sie sich ihrer Haut, so heißt ihr sie Räuber und Mörder, welche man ohne Gnade und Barmherzigkeit ausrotten müsse. Es geht hier gerade wie unter den wilden Tieren zu: eins frißt das andere auf, und das stärkste sagt: ›Ich habe recht!‹ Ich aber sage euch, Mesch'schurs, daß ich unter diesen Verachteten und Verfolgten Männer kennen gelernt habe, von denen einer zehnmal mehr wert war, als ihr alle sechs und noch hundert Dutzend eurer Art dazu. Ihr selbst habt die Roten zu dem gemacht, was sie jetzt sind; ihr habt alles das, was ihr an ihnen tadelt, auf dem Gewissen. Redet mir also ja nicht gegen sie, sonst kann mich der Grimm übermannen, und ihr habt es dann mit mir zu thun!« Er hatte sich in einen heiligen Zorn hineingeredet und legte bei seinen letzten Worten die Büchse auf Gibson an, als ob er ihn erschießen wolle. Dieser sprang schnell zur Seite und rief erschrocken: »Halt, Sir! Wollt Ihr mich etwa ermorden?« »Nein, jetzt noch nicht. Aber wenn Ihr noch einmal sagt, daß die Indsmen verachtet werden müssen, so kann es leicht geschehen, daß meine alte Flinte losgeht, ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen. Wenn Ihr Euch mit solchen übermütigen Redensarten von außen um mich herumschlängelt, so könnt Ihr auf alles rechnen, nur auf meine Freundschaft nicht!« »Was das betrifft, so haben wir Euch auch noch gar nicht um dieselbe gebeten,« antwortete Gibson trotzig. »Wir brauchen Euch nicht, denn wir sind freie, selbständige Männer, welche sehr gut wissen, was zu ihrem Besten dient.« »Das scheint mir aber gar nicht so! Ihr sagt z.B., daß Ihr nicht nötig habt, Euch um das, was hier geschehen ist, weiter zu bekümmern. Wenn Ihr so denkt, so könnt Ihr sehr bald gezwungen werden, in einen Grashalm zu beißen, an dem Ihr sterben müßt.« »Oho! Meint Ihr, daß wir uns vor anderen Leuten fürchten sollen?« »Ja, das meine ich. Ihr seid für den Westen noch viel zu grün.« »Hört, solche Beleidigungen müssen wir uns auf das strengste verbitten! Wir sind von New Orleans bis hierher gekommen, und ich denke, daß wir auch noch weiter kommen werden.« »Von New Orleans bis hierher?« lachte Jim. »Soll das etwa eine bedeutende Leistung sein? Das thut jeder zwölfjährige Knabe. Ich sage Euch, daß die Gefahr erst hier beginnt. Wir befinden uns an der Grenze, wo allerlei Volk sein Wesen treibt, welches sich aus fremdem Eigentum zwar sehr viel, aus dem Leben anderer aber desto weniger macht. Und jenseits der Llano beginnt das Gebiet der Komantschen und Apatschen, welche um so mehr zu fürchten sind, als sie untereinander in Unfrieden leben und gerade jetzt die Kriegsbeile ausgegraben haben. Wer sich leichtsinnig zwischen solche Mühlsteine wagt, der wird leicht zermahlen. Hier an dieser Stelle sind weiße Räuber und rote Krieger zusammengetroffen. Das kann uns ganz und gar nicht gleichgültig sein. Sehen wir auch von den Weißen ab, so müssen wir uns doch fragen, was die Indianer hier gewollt haben. Wenn zwei Redmen sich so allein ins Land hereinwagen, so steht in zehn Fällen neunmal zu erwarten, daß sie Kundschafter seien, welche die Aufgabe haben, für einen Kriegszug das Terrain zu rekognoszieren. Mir kommt die Sache gar nicht so geheuer vor wie Euch. Ich kenne weder den Zweck noch das Ziel Eures Rittes; wir aber wollen über die Llano hinüber, und da gilt es nun, die Augen aufzumachen, sonst kann es einem passieren, daß man sich des Abends lebendig niederlegt und dann früh nach dem Erwachen als traurige Leiche nach Hause laufen muß.« »Was unseren Weg betrifft, so wollen auch wir über die Llano.« »So? Und wohin dann?« »Nach Arizona.« »Ihr waret jedenfalls noch nie drüben?« »Nein.« »Hört, nehmt es mir nicht übel, aber das ist eine Unvorsichtigkeit von euch, welche gradezu ihresgleichen sucht! Ihr haltet die Llano wohl für eine hübsche, allerliebste Gegend, über welche man sich nur so hinüberschlängeln kann?« »O nein, so dumm sind wir freilich nicht. Wir kennen ihre Gefahren ganz genau.« »Woher denn?« »Wir haben davon gehört und auch darüber gelesen.« »So, so! Hm, hm! Gehört und gelesen! Das ist grad' so, wie wenn einer gehört und gelesen hat, daß Arsenik giftig sei, und dann glaubt, ohne Schaden ein ganzes Pfund davon verschlingen zu können. Seid ihr denn nicht wenigstens auf den klugen Gedanken gekommen, euch einen Führer zu nehmen, welcher mit den Plains und ihren Gefahren vertraut ist?« Jim meinte es sehr gut mit den Fremden; dennoch rief Gibson zornig: »Ich bitte Euch sehr, uns nicht in dieser Weise schulmeistern zu wollen! Wir sind Männer, verstanden! Uebrigens haben wir einen Führer.« »Ach so! Wo denn?« »Er ist uns vorausgeritten.« »Das ist freilich eine ganz eigenartige Weise, jemanden zu führen. Wo wartet dieser Mann denn auf euch?« »In Helmers Home.« »So! Wenn das der Fall ist, so mag es ja sein. Helmers Home werdet ihr sehr leicht finden. Und wenn es euch recht ist, so könnt ihr euch uns anschließen, denn auch wir wollen dort hin. Dürfen wir vielleicht erfahren, wer dieser euer Führer ist?« »Er ist ein sehr berühmter Westmann, wie uns versichert wurde, und hat die Llano bereits mehrere Male durchkreuzt. Seinen eigentlichen Namen hat er uns nicht gesagt; er wird gewöhnlich nur der Juggle-Fred genannt.« » Good lack, der Juggle-Fred!« rief Jim. »Ist das wahr, Sir?« »Gewiß! Kennt Ihr ihn?« »Persönlich nicht, aber gehört haben wir sehr oft und sehr viel von ihm.« »Was ist er für ein Mann?« »Ein höchst tüchtiger Kerl, dessen Führung ihr euch ruhig anvertrauen könnt. Ich freue mich darauf, ihn endlich einmal von Angesicht zu Angesicht sehen zu können. Jedenfalls reiten wir dann zusammen, denn auch wir beide wollen hinüber nach Arizona.« »Auch ihr? Weshalb?« »In einer Privatangelegenheit,« antwortete Jim zurückhaltend. »Bezieht sich diese Angelegenheit etwa auf die Diamanten, welche jetzt dort gefunden werden?« »Vielleicht.« »So passen wir nicht zusammen.« »Wieso?« »Weil wir in derselben Angelegenheit hinüber wollen. Ihr seid also unsere Konkurrenten.« »Folglich wollt ihr nichts von uns wissen?« »So ist es!« Er sagte dies in einem sehr bestimmten Tone und betrachtete die Brüder dabei mit einem beinahe feindseligen Blicke. Jim lachte laut auf und rief: »Das ist lustig! Ihr seid eifersüchtig auf uns? Das ist wieder ein sehr klarer Beweis, daß ihr grün im Westen seid. Meint ihr denn, die Diamanten liegen in Arizona nur so auf der Erde herum, daß man nichts zu thun hat als sich zu bücken, um sie aufzuheben? Schon die Goldsucher müssen sich zusammenthun, wenn sie gute Erfolge erzielen wollen, und die Diamond-Boys haben es noch viel nötiger, sich zusammenzuschließen. Ein einzelner geht zu Grunde.« »Wir sind bereits sechs und haben genug Geld bei uns, um nicht zu Grunde zu gehen.« »Hört, sagt das keinem anderen! Wir sind ehrliche Leute, von denen ihr nichts zu fürchten habt. Andere aber würden wohl dafür sorgen, daß ihr euer vieles Geld nicht weit zu schleppen braucht. Wenn ihr aber meint, es sei das höchste der Gefühle, mit leeren Taschen umkehren zu müssen, so erzählt es in Gottes Namen weiter; ich habe nichts dagegen. Daß ihr nichts von unserer Begleitung wissen wollt, ist uns sehr gleichgültig. Wir wollen es euch anheimstellen, uns wenigstens bis nach Helmers Home Gesellschaft zu leisten. Ihr könnt diesen Ort heute nicht erreichen und müßt also im Freien übernachten. Da ist es gut, Leute bei sich zu haben, welche im wilden Westen zu Hause sind.« »Wann brecht ihr hier auf?« »Sofort natürlich.« »Ich will meine Kameraden fragen.« »Das ist eigentlich eine Beleidigung für uns, gleichviel, ob ihr es aus Mißtrauen oder aus geschäftlicher Eifersucht thut. Doch mögt ihr immerhin eine heimliche Konferenz halten; wir werden euch nicht stören. Macht, was ihr wollt.« Er ging langsam zu seinem Maultiere und stieg auf. Tim that dasselbe; dann ritten sie in ruhigem Schritte fort, den Spuren nach, welche nach Westen führten. Die anderen blieben eine kurze Weile zurück, um zu beraten, dann folgten sie den beiden nach. Als sie diese erreicht hatten, drehte Jim sich nach ihnen um und fragte: »Nun, was habt ihr beschlossen?« »Wir reiten bis Helmers Home mit euch, aber auch nur bis dorthin.« »Sehr gütig von euch. Mit so herablassenden Leuten zu reiten, ist das höchste der Gefühle.« Er wendete sich wieder ab, und von jetzt an thaten die Brüder ganz so, als ob sie gar niemand hinter sich hätten. Sie ließen ihre Pferde schneller ausgreifen und hingen dabei nach echter Westmannsart im Sattel, vornüber gebeugt, scheinbar schläfrig und laß, als ob sie gar nicht reiten könnten. Die sechs anderen Reiter hingegen befleißigten sich einer so regelrechten Haltung, als ob sie Schulpferde einzureiten hätten. »Seht nur die beiden Kerls!« sagte Gibson zu seinen Begleitern. »Sie können nicht reiten; das sieht man doch deutlich genug. Und da wollen sie Westmänner sein? Ich mag es nicht glauben.« »Ich auch nicht,« stimmte ein anderer bei. »Wer so im Sattel sitzt wie sie, der darf mir nicht weismachen, daß er den Westen kennt. Die Geschichte von dem Spurenlesen, welche sie uns vormachten, war jedenfalls nur Schwindel. Seht nur ihre Gesichter an! Diese Nasen! Ich habe noch nie so abstoßende Physiognomien gesehen. Und da soll man diesen Kerls Vertrauen schenken?« »Davon ist keine Rede! Und nun gar sie mit uns nach Arizona nehmen! Daß wir dumm wären! Der Kerl fuhr förmlich auf, als ich von unserem Gelde sprach. Er stellte sich so unendlich ehrlich, jedenfalls nur, weil wir sechs sind und sie zwei. Wollen uns beim Schlafen in acht nehmen, damit sie nicht etwa früh mit unserem Gelde fortreiten, und wir als Leichen liegen bleiben. Ihr ganzes Auftreten läßt ja vermuten, daß sie vor nichts zurückschrecken.« »Vielleicht ist's doch besser, wir reiten auch nicht einmal bis Helmers Home mit ihnen. Warum wollen wir uns in eine Gefahr begeben, wenn wir das gar nicht nötig haben?« »Ganz richtig! Wenn es zu dunkeln beginnt, bleiben wir zurück. Des Nachts wachen wir dann abwechselnd, um nicht überfallen zu werden. Das wird das allerbeste sein. Es war geradezu eine Frechheit von ihnen, uns ›grün‹ zu nennen. Wir sind es unserer Ehre schuldig, ihnen zu zeigen, daß wir nichts mit ihnen zu thun haben wollen.« Indessen traten die bereits erwähnten Höhen immer näher. Der Boden wurde steinigt, und Jim und Tim beugten sich immer tiefer, weil die Fährte nun nicht mehr leicht zu erkennen war. Da plötzlich hielt der erstere sein Pferd an, deutete mit der Hand vorwärts und sagte: »Schau einmal dort, alter Tim! Was für Geschöpfe mögen die wohl sein, welche da beisammenstehen?« Tim beschattete seine Augen mit der Hand, obgleich die Sonne ihn nicht blenden konnte, denn sie war hinter dem westlichen Horizonte verschwunden. Nachdem er den betreffenden Punkt eine Zeit lang scharf fixiert hatte, antwortete er: »Das sind zwei sehr bekannte Arten von Kreaturen, nämlich fünf Pferde und ein Mensch, welche ersteren wohl mehr wert sind als der letztere.« »Ja, ja, fünf Pferde. Dazu gehören natürlich auch fünf Reiter, und da nur einer zu sehen ist, möchte ich gerne wissen, wo die anderen vier stecken.« »Ich rechne, daß sie wohl nicht weit entfernt sein werden. Wenn wir noch ein Stück weiter reiten, können wir sie vielleicht sehen. Jetzt ist die Entfernung noch zu groß, einen einzelnen Menschen genau und deutlich zu erkennen.« »Ja, machen wir also noch ein Stückchen vorwärts!« Und indem er sein Pferd wieder in Bewegung setzte, fügte er hinzu: »Daß es gerade fünf Pferde sind, gibt uns zu denken. Meinst du nicht auch?« »Natürlich! haben mich meine Augen nicht getäuscht, so sind es jene Fünf, welche die Indianer verfolgen. Wir haben also wohl die Weißen vor uns, von denen einer erschossen wurde. Und jetzt ist es mir auch ganz so, als ob ich da draußen und da drüben so etwas Menschliches am Boden umherkrabbeln sähe. Betrachte einmal die sich bewegenden Punkte dort!« Was er Punkte nannte, waren vier Männer, welche, in gleichmäßigen Distanzen voneinander entfernt, eine gerade Linie bildeten und sich langsam nach derselben Richtung fortbewegten. »Das sind die anderen Vier, welche zu den Pferden gehören,« meinte Jim. »Sie befinden sich auf felsigem Boden und suchen die Spur der Indianer, welche ihnen ausgegangen ist. Nach dem Vorsprunge zu urteilen, welchen sie vor uns hatten, müssen sie schon längere Zeit damit beschäftigt sein. Das ist ein sicheres Zeichen, daß sie keine allzu guten Fährtenleser sind. Jetzt haben sie uns gesehen. Siehst du, daß sie nach ihren Pferden rennen? Es sollte mich freuen, wenn die Indianer ihnen entkämen. Was ich dazu beitragen kann, wird gern geschehen.« »Und wie verhalten wir uns gegen sie?« »Hm! Schurken sind sie; das ist sicher und gewiß; wir müssen ihnen um unserer eigenen Sicherheit willen ein wenig auf die Finger sehen; doch scheint es mir nicht geraten zu sein, uns gar zu eifrig um ihre Angelegenheit zu kümmern. Es ist besser, wir lassen es ihnen gar nicht merken, was wir von ihnen denken. Solange sie sich uns nicht feindlich zeigen, können auch wir friedfertige Gesichter machen. Vorwärts also! Sie erwarten uns.« Auch die sechs Diamond-Boys hatten jetzt die Pferdegruppe gesehen und hielten sich infolgedessen nun wieder nahe zu den beiden Brüdern. Sie fühlten sich also doch in Gesellschaft derselben sicherer als allein. Die fünf fremden Männer standen bei ihren Pferden und hielten die Gewehre schußfertig in den Händen. Einer von ihnen rief den Nahenden, als dieselben auf vielleicht sechzig Schritte herbeigekommen waren, in gebieterischem Tone zu: »Halt, sonst schießen wir!« Jim und Tim ritten trotzdem weiter; die sechs anderen aber hielten gehorsam an. »Halt, sage ich!« wiederholte der Mann. »Noch einen Schritt, so bekommt ihr unsere Kugeln!« »Unsinn!« lachte Jim. »Ihr werdet euch doch nicht vor zwei friedfertigen Menschen fürchten. Behaltet eure Kugeln! Wir haben auch welche in unseren Läufen.« Die Fünf schossen nicht, vielleicht weil sie wirklich keine Besorgnis hatten und mit ihrer Drohung nur bramarbasieren wollten, vielleicht aber auch weil die ruhige, sichere Haltung der beiden Brüder einen imponierenden Eindruck auf sie machte. Sie ließen die beiden herankommen, legten aber ihre Gewehre nicht ab. Derjenige von ihnen, welcher den Befehl ausgesprochen hatte, war eine breitschulterige, untersetzte Gestalt. Ein dichter, schwarzer Vollbart bedeckte den unteren Teil seines Gesichtes, so daß die Lippen nicht gesehen werden konnten; doch war seiner Aussprache anzuhören, daß er eine Hasenscharte haben müsse. Als die Snuffles nun vor ihm anhielten, sagte er in zornigem Tone: »Wißt ihr nicht, was hier im Westen Regel und Sitte ist? Wer angerufen wird, hat stehen zu bleiben, verstanden! Ihr verdankt es nur unserer Nachsicht, daß ihr noch lebt.« »Schneide nicht so auf, Mann!« antwortete Jim. »Wem habt denn ihr es zu verdanken, daß ihr noch lebt? Auch wir haben Gewehre. Die Sitte des Westens kennen wir sehr genau; sie lautet: Schieße jeden, der das Gewehr auf dich anlegt, sofort nieder! Ihr habt eure Schießhölzer gegen uns erhoben, und wir haben euch nur deshalb nicht nach der Regel geantwortet, weil wir gleich gesehen haben, daß ihr nicht die Leute seid, denen man einen guten, sicheren Schuß zutrauen kann. Eure Kugeln wären ganz gewiß meilenweit an uns vorüber geflogen.« » Thunder-storm! Da irrt ihr euch gewaltig. Wir schießen auf hundert Schritte einer Fliege den Kopf vom Rumpfe; das laßt euch gesagt sein! In welcher Absicht treibt ihr euch denn eigentlich in dieser Gegend herum?« »Das könnt ihr euch doch denken! Wir wollen die nächste Sonnenfinsternis sehen, welche hier am besten zu beobachten sein soll.« Der Bärtige wußte nicht, wie er diese in sehr ernstem Tone vorgebrachte Antwort aufzunehmen habe. Er machte ein sehr zweifelhaftes Gesicht und fragte: »Wann soll sie denn sein?« »Heute abend zwölf Uhr fünf Minuten elf Sekunden. Ich sage euch, so eine Sonnenfinsternis um Mitternacht ist das höchste der Gefühle!« »Mann, wollt ihr uns foppen?« brauste der andere auf. »Wir werden euch die Lust dazu sehr schnell vertreiben. Wir stehen nicht hier, um uns von euch an den Nasen ziehen zu lassen. Die eurigen sind geeigneter dazu als die unserigen. Nehmt euch in acht, daß wir euch nicht daran fassen!« »O,« lachte Jim, »das mögt ihr immerhin thun. Wir haben nichts dagegen. Nur muß ich euch da warnen: Unsere Nasen sind nämlich geladen, wie ihr ihnen leicht ansehen werdet. Sie gehen bei der geringsten Berührung los und sind in dieser Beziehung weit und breit gefürchtet. Oder solltet Ihr noch nichts von den beiden Snuffles gehört haben, Sir?« »Snuffles? Die beiden Snuffles seid ihr?« rief er aus. »Alle Teufel! Ja, wir haben viel von euch gehört. Jim und Tim, Tim und Jim, das sollen ein paar so verteufelt drollige Burschen sein, daß ich mich immer gesehnt habe, ihnen einmal zu begegnen. Es freut mich ungemein, diesen Wunsch jetzt in Erfüllung gehen zu sehen. Eure Nasen sollen die allerschönsten Affensprünge machen können. Hoffentlich macht ihr uns den Spaß, uns hier eine Komikervorstellung zu geben. Ihr werdet an uns ein aufmerksames und dankbares Publikum finden. Wir bezahlen gut, fünf Cents pro Mann und einen Cent pro Pferd.« »Das läßt sich hören! So eine Einnahme konnten wir hier in diesem Zirkus kaum erwarten. Wir produzieren uns aber stets nur bei Sonnenfinsternis. Ihr werdet also wohl bis zwölf Uhr nachts zu warten haben. Wollt ihr euch aber nicht bis dahin gedulden, so schlagt euch selbst einige Purzelbäume. Das dazu gehörige Talent besitzt ihr sicher, denn euer Aussehen läßt vermuten, daß ihr erst ganz kürzlich aus einem Affenhause entsprungen seid.« »Mann, wagt nicht zu viel! Einen Spaß machen wir uns zwar gern, uns selbst aber geben wir nicht dazu her!« »So, dann gehört ihr also zu den feineren Pavians. Das sieht man euch aber leider nicht an, und ihr werdet mich also wohl entschuldigen. Darf man vielleicht erfahren, welche Namen ihr von euern geehrten Eltern erhalten habt?« Diese Worte wurden mit so herzgewinnender Freundlichkeit gesprochen, daß der Bärtige darauf verzichtete, noch gröber als bisher zu werden. Er antwortete: »Ich heiße Stewart. Die Namen meiner Genossen mögen ungenannt bleiben. Ihr würdet sie Euch doch nicht merken können, da Euer Kopf in einer sehr traurigen Verfassung zu sein scheint. Wo kommt ihr denn eigentlich her?« »Aus der Gegend, welche hinter uns liegt.« »Und wo wollt ihr hin?« »Nach der Gegend, welche vor uns liegt.« »So! Das ist sehr geistreich geantwortet. Ich habe mich also in Beziehung auf Euer armes Gehirn nicht geirrt. Wie es scheint, wollt ihr nach Helmers Home reiten?« »Ja, da es nicht zu uns kommt, müssen wir zu ihm. Wollt ihr mit?« »Danke sehr! Es wäre sehr unvorsichtig von uns, mit euch zu reiten, da Dummheit ansteckend sein soll.« »Nur dann steckt sie an, wenn die Anlage dazu bereits vorhanden ist, was ich bei euch ganz und gar nicht bezweifle. Wir sahen von weitem, daß ihr euch den Erdboden so genau betrachtetet. Was habt ihr denn gesucht? Sind hier vielleicht Hundertdollarsnoten zu finden?« »Das nicht. Wir suchten Esels und haben nun in euch zwei ganz riesige gefunden. Denn nur ein Esel kann in der Weise fragen wie ihr. Habt ihr denn die Fährte nicht gesehen, welche immer gerade vor euren Nasen hergelaufen ist?« »Was geht uns diese Fährte an! Wir haben nichts mit ihr zu schaffen. Sie stammt jedenfalls von Leuten, welche nach Helmers Home geritten sind. Wir werden diesen Ort auch ohne die Spuren finden.« »Seid ihr an der Leiche vorüber gekommen, welche dort hinten liegt?« »Ja.« »Was denkt ihr über diesen Fall?« »Daß sie tot ist. Und was tot ist, das beißt uns nicht. Wenn andere sich die Hälse brechen, so mögen sie es immerhin thun; uns stört das nicht.« Stewart warf einen langen, forschenden Blick auf Jim und Tim. Er schien der Gleichgültigkeit, welche der erstere in Beziehung auf die Leiche zeigte, doch nicht recht zu trauen. Die Snuffles waren als sehr tüchtige Westmänner bekannt; sollten sie wirklich an dem Toten vorüber geritten sein, ohne denselben genau untersucht zu haben und ohne dann Mißtrauen und Verdacht zu hegen? Als er in ihren offenen, ehrlichen Gesichtern auch nicht die leiseste Spur einer üblen Meinung bemerkte, sagte er: »Auch wir haben den Mann und sein Pferd liegen sehen. Es wäre schade um den Sattel und das Zaumzeug des Pferdes gewesen, es liegen und verfaulen zu lassen. Darum haben wir beides mitgenommen. Ihr werdet das wohl nicht für einen Diebstahl erklären?« »Fällt uns gar nicht ein! Wären wir vor euch ge kommen, so hätten wir ganz dasselbe gethan.« »Ganz recht. Wir folgten dann der Pferdespur, obgleich sie nicht nach unserer Richtung führte. Hier haben wir sie verloren und uns bisher vergeblich bemüht, sie wieder zu finden.« »Das wundert mich. Ein Westmann muß doch eine verlorengegangene Fährte wieder finden können!« »Das ist freilich wahr. Wäre der Felsboden von geringerem Umfange, so könnte man ihn umreiten und müßte die Spur da finden, wo sie wieder weiche Erde berührt; aber der Stein erstreckt sich von hier aus stundenweit nach Süd, West und Nord. Die Untersuchung würde mehrere Stunden erfordern, und dazu gibt es jetzt nicht mehr die Zeit, da die Nacht bald hereinbrechen wird. Wir haben uns also entschlossen, die Nachforschung aufzugeben und werden unseren früheren Weg einschlagen.« »Wohin führt euch derselbe?« »Wir wollen hinunter nach Fort Chadburne.« »Das liegt am Rande der Llano. Wollt ihr dann vielleicht hinüber?« »Ja. Wir möchten nach El Paso und dann weiter ins Arizona.« »Um Diamanten zu holen?« »O nein. Von diesem Fieber lassen wir uns nicht ergreifen. Wir sind ehrliche und bescheidene Farmer und haben Verwandte drüben, welche bemüht gewesen sind, uns gutes Land zu besorgen. Das werden wir bebauen; die Edelsteine mögen andere suchen. Eine Farm bringt langsamer aber desto sicherer Früchte.« »Jedem nach seinem Belieben! Da ihr nur Farmer seid, so wundert es mich nicht, daß ihr die Fährte nicht wiederfindet. Ein tüchtiger Scout würde wohl nicht lange vergeblich nach ihr suchen.« »Nun, ihr seid ja als Scouts bekannt. Sucht doch einmal! Ich bin neugierig, zu sehen, ob ihr sie finden werdet.« Er sagte das in höhnischem Tone; aber Jim antwortete ruhig: »Das können wir leicht thun, obgleich wir uns für die Sache sonst gar nicht interessieren. Ihr sollt nur den Beweis bekommen, daß wir finden, was wir suchen.« Er stieg ab, und Tim that dasselbe. Beide begannen, den Platz in einem weiten Kreise zu umschreiten. Ein leiser Pfiff rief die Maultiere hinter ihnen her, welche ihren Herren wie Hunde folgten. Die Brüder trauten der Gesellschaft zu wenig, als daß sie ihre Tiere hatten zurücklassen mögen. Die Diamond-Boys waren nach den ersten gewechselten Worten auch herangekommen und hatten der Unterredung schweigend zugehört. Jetzt, nachdem die Snuffles sich entfernt hatten, fragte Stewart: »Ihr seid mit diesen zwei Nasenmenschen gekommen, scheint aber nicht zu ihnen zu gehören. Wollt ihr uns darüber eine Aufklärung geben?« »Gern,« antwortete Gibson. »Wir trafen mit ihnen an der Leiche zusammen, doch hat ihr Betragen uns keineswegs veranlaßt, Freundschaft mit ihnen zu schließen.« »Daran habt ihr recht gethan. Die Snuffles stehen keineswegs in gutem Rufe. Natürlich hüte ich mich, ihnen das ins Gesicht zu sagen. Man hat uns vor ihnen gewarnt. Sie sollen die Zubringer machen für die Raubgesellschaften, welche die Reisenden in der Llano überfallen. Erst kürzlich sind wieder vier Familien getötet und ausgeraubt worden, und zwar ganz hier in der Nähe. Daß die Snuffles sich hier herumtreiben, läßt sehr vermuten, daß sie an dieser Unthat beteiligt waren und nun nach neuen Opfern suchen. Uns aber sollen sie nicht bekommen!« »Dachte es mir! Ich habe ihnen gleich vom ersten Augenblicke an nicht getraut. Sie wollten uns verlocken, mit ihnen zu reiten.« »Wohin?« »Nach Helmers Home und dann durch die Llano bis nach Arizona.« »Das laßt ja bleiben, Sir! Ihr würdet nicht hinüber kommen. Geht ihr nach Arizona, um nach Diamanten zu suchen?« »Kaufen wollen wir welche, suchen aber nicht.« Stewart warf seinen Gefährten einen schnellen, bezeichnenden Blick zu und bemerkte dann in möglichst gleichgültigem Tone: »Da werdet ihr keine großen Geschäfte machen, Sir. Ein Diamantenkäufer muß Geld haben, und zwar sehr viel Geld.« »Das haben wir natürlich.« »Aber die Verbindung zwischen Arizona und Frisco 1 ist sehr unzuverlässig. Ich nehme natürlich an, daß ihr euer Geld von Frisco aus geschickt bekommt. Da könnt ihr es sehr leicht gerade dann nicht haben, wenn ihr es am notwendigsten braucht. Auch wir haben bedeutende Summen für das angekaufte Land zu bezahlen; aber anstatt es uns von Frisco aus anweisen zu lassen, haben wir es lieber gleich bar mitgenommen. Das ist viel sicherer.« »Nun, ihr seid nicht die einzigen, welche so klug gewesen sind. Auch wir tragen unser Geld bei uns.« »Das ist sehr gescheit. Man muß es aber sehr gut verbergen, denn man weiß nicht, was geschehen kann. Wir haben es in unsere Kleider genäht; da soll es einmal ein Llano-Mann finden! Ich traue, wie bereits gesagt, diesen Snuffles nicht. Sie wissen, wohin wir wollen und werden sich beeilen, es ihren sauberen Kumpanen mitzuteilen, um uns auflauern zu lassen. Wir werden aber so klug sein, nun nicht nach Fort Chadburne zu reiten, sondern eine ganz andere Richtung einschlagen. Ich rate euch, dasselbe zu thun und euch einem tüchtigen und umsichtigen Führer anzuvertrauen.« »Das haben wir bereits gethan. Er wartet in Helmers Home auf uns.« »Wer ist er?« »Er wird Juggle-Fred genannt.« »Juggle-Fred?« rief Stewart in gut gespieltem Schreck. »Seid Ihr des Teufels, Sir?« »Wieso des Teufels?« »Weil dieser Mensch ein anerkannter Gauner ist. Sein Name muß es Euch ja schon sagen! Er treibt allerlei betrügerische Künste und ist als falscher Spieler weit und breit bekannt. Ich schwöre sogar darauf, daß er ein Verbündeter der beiden Snuffles ist.« »Diese behaupten aber, ihn noch gar nicht gesehen zu haben!« »Und das glaubt Ihr ihnen? Sir, nehmt es mir nicht übel, aber das ist kein Zeichen großer Klugheit von Euch! Natürlich verleugnen sie ihn; aber er befindet sich in Helmers Home, und sie wollen auch dorthin. Es ist doch klar, daß sie sich dort treffen wollen! Dann reitet ihr mit ihnen fort, und in der Llano estakata werdet ihr dann kalt gemacht. Ihr geht uns gar nichts an, aber ich will meine Pflicht thun und euch warnen.« Er sagte das in so treuherziger und besorgter Weise, daß Gibson sich täuschen ließ. Der letztere schüttelte verlegen den Kopf und sagte: »Das ist uns freilich unangenehm. Wir sind Euch dankbar für die Warnung und wollen auch glauben, daß dieselbe berechtigt sei; aber nun stehen wir ohne Führer da. Wo nehmen wir jetzt einen anderen und zuverlässigen her!« »Das ist freilich schlimm. Ich begreife überhaupt nicht, daß ihr euch habt nach Helmers Home weisen lassen. Welcher Mensch legt seine Farm so nahe an die gefährliche Llano! Daß er es gethan hat, muß euch doch auf den Gedanken bringen, daß dieser Helmers mit den Bravos in Verbindung steht, welche die Llano unsicher machen! Er hat einen Laden. Er nimmt ihnen ihren Raub ab, und sie tauschen dafür bei ihm alles ein, was sie brauchen. Das ist doch selbstverständlich. Mich brächte kein Mensch nach diesem Hause, welches so gemütvoll und verlockend Helmers Home genannt worden ist. Hinter dieser hübschen Maske verbergen sich die Gesichter einer ganzen Mörderbande.« »Zounds, Sir, von dieser Seite haben wir uns die Sache freilich nicht betrachtet. Es bleibt uns nichts übrig, als umzukehren und einen anderen Führer zu suchen, denn von diesem Juggle-Fred wollen wir nun freilich nichts mehr wissen. Aber sagt, habt denn ihr einen Führer?« »Wir brauchen keinen, weil zwei meiner Gefährten da sehr gut Bescheid in der Llano wissen. Auf sie können wir uns verlassen.« » Well! Könnten wir dann da nicht vielleicht mit euch reiten?« »Das ginge wohl, aber ich mache euch darauf aufmerksam, daß das wieder eine Unvorsichtigkeit von euch ist. Ihr kennt uns nicht.« »O, man sieht es euch doch sofort an, daß ihr es ehrlich meint, wenn auch die Snuffles uns weismachen wollten, daß ihr Räuber seiet.« »Haben sie das?« »Ja.« »Aus welchem Grunde denn?« »Sie haben den Ort, an welchem die Leiche lag, sehr genau untersucht. Sie sagten, ihr hättet die beiden Indsmen verfolgt; einer von ihnen sei ermordet worden; der andere habe dann euern Gefährten erschossen, und dieser letztere sei von euch im Gesicht unkenntlich gemacht worden.« »Alle Teufel! Das sagten sie?« fragte Stewart betroffen. »Und uns machten sie weiß, sich gar nicht um die Leiche bekümmert zu haben. Da habt ihr den Beweis, daß diesen Lügnern nicht zu trauen ist! So versteckt und hinterlistig handelt kein ehrlicher Mann. Wir sind ganz zufälligerweise an dem Orte vorüber gekommen. Daß wir Sattel und Zaum an uns genommen haben, kann uns niemand verdenken; das ist das Recht der Prairie. Dann habt ihr gesehen, daß wir hier die Fährte untersuchten. Das thut man doch nur der Vorsicht halber. Würden wir es also thun, wenn wir die Mörder wären?« »Nein, gewiß nicht. Ihr braucht euch gar keine Mühe zu geben, euch zu verteidigen. Wir sehen, daß ihr ehrliche Leute seid, und schenken euch unser vollstes Vertrauen. Sagt also, ob ihr uns erlauben wollt, mit euch zu reiten!« »Hm!« brummte Stewart nachdenklich und die Achsel zuckend. »Ich will aufrichtig sein. Wir kennen euch ebensowenig wie ihr uns. Es ist nie geraten, hier im Westen so schnell und ohne vorherige Prüfung Bekanntschaft zu schließen. Es freut uns ja, daß ihr uns Vertrauen schenkt, aber besser ist es doch, wir bleiben für uns, und ihr bleibt für euch. Daraus mögt ihr abermals erkennen, daß wir keine Räuber sind, wie die Snuffles uns genannt haben. Wären wir wirklich solche Spitzbuben, so würden wir euch sehr willkommen heißen und euch mitnehmen, um zu euerm Gelde zu gelangen. Freilich ist mir eure Verlegenheit nicht gleichgültig. Ihr könnt sehr leicht abermals einem Schurken in die Hände fallen, und so will ich euch einen guten Rat erteilen. Wir trafen nämlich auf eine zahlreiche Gesellschaft Auswanderer, welche durch die Llano estakata wollen, um sich drüben anzukaufen. Es sind meist Deutsche aus Böhmen und Hessen. Sie sind bereits gestern von uns fort und wollten heut abend gar nicht weit von hier lagern, weil dann morgen früh an diesem Lagerplatze ihr Führer zu ihnen stoßen will. Es ist das der berühmteste und zuverlässigste Kenner der Llano, ein bescheidener und auch sehr frommer Mann, namens Tobias Preisegott Burton. Schließt euch dieser Karawane an, so seid ihr sicher aufgehoben. Dieselbe besteht aus so vielen wohl bewaffneten Leuten, daß niemand es wagen wird, sie zu überfallen.« »Meint Ihr? Hm! Sehr gut! Aber wie finden wir diese Leute?« »Sehr leicht. Wenn ihr von hier aus gerad nach Süden reitet und eure Pferde ein wenig anstrengt, so seht ihr nach ungefähr einer halben Stunde einen einzelnen Bergkegel vor euch liegen, von welchem ein Wässerchen niederläuft, um unten in der kleinen, ostwärts von ihm gelegenen Ebene im Sande zu versiechen. An diesem Wasser lagert die Karawane. Selbst wenn es unterdessen finster wird, könnt ihr sie nicht verfehlen, da ihr aus bedeutender Ferne ihre Lagerfeuer sehen müßt. Wenn ihr diesem Rate folgt, so weiß ich euch in guten Händen.« »Ich danke Euch, Sir! Ihr befreit uns aus einer bedeutenden Verlegenheit. Wir werden natürlich sofort aufbrechen, um uns diesen Deutschen anzuschließen. Der Deutsche pflegt zwar albern, aber auch ehrlich zu sein. Wir reiten auf der Stelle.« »Was soll ich den Snuffles sagen, wenn sie mich fragen, wohin ihr seid?« »Sagt, was Ihr wollt und was Euch grad' in den Sinn kommt!« »Gut! Aber ich will euch darauf aufmerksam machen, daß ihr sie über die Richtung, welche ihr einschlagt, täuschen müßt. Thut ihr das nicht, so folgen sie euch nach, und ihr fallt ihnen doch noch in die Hände. Reitet also zum Scheine eine Strecke wieder zurück, bis sie euch nicht mehr sehen können; dann biegt ihr nach Süden um. Wenn sie mich fragen, warum ihr umgekehrt seid, so werde ich schon eine Antwort finden, welche sie zufriedenstellt.« So war die Sache abgemacht. Die beiden Parteien nahmen so freundlich Abschied von einander, als ob sie alte, langjährige Bekannte seien. Die Diamond-Boys ritten auf ihrer eigenen Fährte zurück, ohne den beiden Snuffles noch ein Wort oder einen Blick zu gönnen. Als sie weit genug fort waren, um die Worte Stewarts nicht mehr hören zu können, wendete sich dieser höhnisch lachend zu seinen Gefährten: »Die habe ich sehr gut instruiert; sie werden uns sicher in die Hände laufen. Diamanten kaufen! Dazu gehören wenigstens fünfzigtausend Dollars. Ein ganz hübsches Sümmchen, wenn wir es in unsere Taschen stecken! Und was sagt ihr zu diesen Snuffles?« »Halunken!« antwortete einer. »Ja. Was sie für scheinheilige Gesichter machten! Sie thaten ganz so, als ob sie nicht bis drei zählen könnten, und haben doch alles, alles erraten. Das heißt, tüchtige Kerle sind sie! Sie haben die ganze Geschichte auf das Deutlichste aus den Spuren gelesen. Sie wissen sogar, daß es zwei Indianer waren und daß wir unsern Kamerad unkenntlich gemacht haben. Ihr Scharfsinn ist uns sehr gefährlich. Wir müssen sie auf die Seite schaffen.« »Aber wie, wann und wo? Es bleibt uns ja gar keine Zeit dazu. Wir müssen fort, um die Stangen umzustecken und die Karawane irre zu führen.« »Hm, ja, viel Zeit haben wir nicht. Wenn wir uns die Beiden jetzt entkommen lassen, ist die schönste Gelegenheit vorüber. In Helmers Home treffen sie den Juggle-Fred und vielleicht gar auch zufälligerweise diesen immer und ewig unerreichbaren Bloody-fox, welcher unser größter und ärgster Gegner ist. Diese vier zusammen sind ganz wohl imstande, uns den Braten, auf den wir rechnen, noch im letzten Augenblicke aus der Pfanne zu nehmen.« »Schießen wir sie ganz einfach nieder!« »Das Beste wäre es freilich; aber – –« Er brummte nachdenklich und unbestimmt vor sich hin. »Was, aber?« fragte der Andere. »Meiner Ansicht nach können wir gar nichts Klügeres thun. Wir sind fünf Personen und sie nur zwei. Sie können sich ja überhaupt gar nicht wehren. Sie fallen von unseren Kugeln, ohne nur Zeit zu finden, ihre Gewehre auf uns anzulegen.« »Meinst du? Da schau doch einmal hin zu ihnen, und sei so gut, auf sie zu schießen! Ich bin neugierig, wie du das anfangen willst.« Er deutete auf die Brüder, welche noch immer sehr eifrig nach der Fährte zu suchen schienen, ohne sich um die ihnen so gefährliche Gruppe der Anderen zu kümmern. Auch dem Fortreiten der Diamond-Boys hatten sie scheinbar nicht die geringste Aufmerksamkeit zugewendet. »Verteufelt!« fluchte der Mann. »Du hast recht. Ich beobachte es erst jetzt, wie schlau die Halunken es anfangen, um nicht von uns getroffen zu werden.« »Ja, sie halten ihre Tiere Schritt um Schritt so genau zwischen sich und uns, daß wir nur die Bestien treffen müßten, wenn wir schössen. Sie sind in genau dieser Weise im Kreise herumgegangen. Und siehst du nicht, daß sie die rechte Hand stets am Gewehrschlosse haben, während sie mit der Linken die Büchsen zum Anschlage bereit halten? Es darf nur einer von uns auf sie zielen, so fällt er augenblicklich von ihren Kugeln. Das sind teufelsschlaue Kerls. Und ihre Maultiere haben ebenso hundert Satans im Leibe. Es ist, als ob die Tiere es wüßten, daß sie die Aufgabe haben, ihre Herren zu decken. Sie halten ganz von selbst gleichen Schritt mit ihnen und lassen uns keinen Augenblick aus ihren boshaften Augen.« Es war genau so, wie sie sagten; sie konnten nicht zum Schusse kommen. Und als die beiden Snuffles jetzt ihre Kreissuche beendet hatten, hielten sie im langsamen Näherschreiten ihre Gewehre noch immer so, daß sie augenblicklich schießen konnten. Die Maultiere kamen, als ob sie darauf dressiert seien, was wohl auch der Fall war, hinter ihnen dreingelaufen. »Was sehe ich? Die Boys sind ja fort!« rief Jim erstaunt, als ob er das Verschwinden derselben erst jetzt bemerke. »Schon längst,« antwortete Stewart. »Da hinten sieht man sie noch reiten.« »Wohin denn?« »Zurück, wie Ihr seht.« »Das sehe ich freilich. Aber sie wollten doch mit uns nach Helmers Home! Warum kehren sie denn um?« »Weil sie dumme Kerls sind. So eine Unvorsichtigkeit sollte man doch nicht für möglich halten. Denkt Euch nur, sie haben ihr Geld verloren.« »Ah! Sie hatten Geld?« »Ja freilich! Der Eine hatte die Brieftasche mit den Scheinen in der Satteltasche stecken. Indem wir auf Euch warteten, bemerkte er, daß die Naht der Satteltasche aufgegangen und das Portefeuille herausgefallen war. Das gab natürlich einen heillosen Schreck. Sie sind augenblicklich umgekehrt, ohne vorher noch mit Euch zu reden. Im Fortreiten riefen sie uns noch zu, Euch zu sagen, daß sie morgen Abend oder spätestens übermorgen Mittag in Helmers Home eintreffen würden, um dann sofort mit dem Juggle-Fred nach der Llano aufzubrechen.« »Schön! Ueber den eigentlichen Grund ihres Verschwindens will ich mir den Kopf nicht zerbrechen.« »Meint Ihr etwa, daß sie uns belogen haben?« »Sie Euch nicht, aber Ihr uns. Ich habe keine Lust, an die verlorene Brieftasche zu glauben. Unsere Nasen sind groß genug, man braucht uns nicht noch welche dazu zu drehen. Ich bin sehr überzeugt, daß sie eine ganz andere Richtung einschlagen, sobald wir sie aus den Augen verloren haben.« »Master, Ihr werdet wieder beleidigend!« »O nein. Ich sage Euch nur meine Gedanken, und Gedanken können niemals beleidigen. Uebrigens will ich Euch einen guten Rat erteilen, Master Stewart. Wenn Ihr wieder einmal jemandem eine Weisung gebt, von welcher andere nichts wissen sollen, so fechtet nicht so sehr dazu mit den Armen in der Luft herum, denn unter Umständen sind Gestikulationen ebenso leicht zu verstehen wie Worte!« »Hätte ich wirklich gestikuliert? Ich weiß nichts davon.« »Sogar sehr. Ihr habt Eure Arme in der Luft herumgeschleudert, daß ich einige Male befürchtete, sie möchten fortfliegen.« »So schlimm wird es nicht sein. Uebrigens konntet Ihr meine Bewegungen immerhin beobachten. Was wir sprachen, durfte jedermann hören. Es war kein Geheimnis dabei. Wir sprachen von der Fährte, welche wir verloren haben.« »Ach so! Und da meintet Ihr wohl, daß man sie da unten im Süden wiederfinden werde?« »Da unten im Süden? Wie kommt Ihr zu dieser Ansicht?« »Eben infolge Eurer Windmühlenarme. Ihr zeigtet mit der Linken nach Süden und machtet dann mit der Rechten eine Bewegung, als ob Ihr die Umrisse eines Berges zeichnen wolltet. Dann schobt Ihr wieder die Linke so geradehin von Euch ab, was natürlich eine Ebene bedeutete. Später dann deutetet Ihr nach Osten zurück und von da nach Süden hinab. Das war alles so deutlich, daß ich Euch die ganze Geschichte erzählen will.« »So thut es doch!« »Sehr gern! Die Boys sind nach Osten zurück und wenden sich jetzt, da ich sie nicht mehr sehen kann, dem Mittag zu. Dort steht rechts ein Berg, an welchen zur linken Hand eine Ebene stößt, nach welcher die Boys reiten sollen. Da sie hier unbekannt sind und Ihr sie trotz der nahenden Dunkelheit hinweiset, kann diese Ebene nicht sehr weit von hier entfernt sein. Ich kenne so einen kleinen, sandigen Plan dort unten. Es fließt ein Wasser vom Berge herab und verschwindet dann im Sande. Man kann von hier aus binnen drei Viertelstunden hinkommen, und ich habe große Lust, für diese Nacht dort mein Lager aufzuschlagen.« Er sah bei diesen Worten scharf in Stewarts Gesicht; dieser konnte sich nicht ganz beherrschen; es war ihm anzusehen, daß er erschrack. »Thut, was Ihr wollt, Master, aber erzählt uns keine Romane!« rief er in grobem Tone. »Wo Ihr schlafen werdet, das ist uns sehr gleichgültig. Ihr thut doch gerade, als ob Ihr die Allwissenheit gepachtet hättet! Sagt uns doch lieber zunächst, ob ihr die Spuren gefunden habt!« »Natürlich haben wir sie.« »Wo denn?« »Kommt mit! Ich werde sie Euch zeigen. Es ist noch hell genug, sie zu erkennen.« »So geht voran!« »Das werde ich thun. Aber Tim, mein Bruder, geht hinterdrein.« »Warum?« »Um darauf zu achten, ob eure Gewehre nicht etwa auf den Gedanken kommen, eigenmächtige Dummheiten zu machen. Nehmt also eure Schießhölzer in acht! Sollte eins derselben Lust haben, loszugehen, so würde Tims Kugel unbedingt und sofort den Besitzer der Flinte treffen.« »Master, Ihr werdet uns wirklich fast zu verwegen!« »O nein. Ich meine es ja nur gut mit euch, indem ich euch warne. Also kommt!« Er schritt voran, gerade in der Richtung des bisher zurückgelegten Rittes; die anderen folgten, und am Ende schritt Tim, das Gewehr schußbereit im Arme und die Augen scharf auf jede Bewegung der Fünf gerichtet. Nach kurzer Zeit blieb Jim stehen, deutete zur Erde und fragte: »Master Stewart, was seht Ihr hier?« Der Genannte bückte sich, um die bezeichnete Stelle zu betrachten, und antwortete: »Hier hat ein Steinchen auf dem Fels gelegen und ist unter einem Pferdetritte zermahlen worden.« »Kann ein solches Steinchen unter einem beschlagenen Hufe so zu Mehl zerrieben werden?« »Nein. Dieses Pferd ist barfuß gewesen.« »Also ein Indianerpferd. Kommt weiter!« Die Erscheinung eines zerriebenen Steinchens wiederholte sich in ganz derselben Weise. »Das ist natürlich die Spur,« sagte Jim. »Die gerade Linie zwischen den beiden Steinchen zeigt nach West. Dorthin also ist der Indianer geritten.« »Indianer? Wie könnt Ihr wissen, daß es ein Indianer war?« fragte Stewart in sehr anzüglichem Tone. » Pshaw! « antwortete Jim. »Die albernen Diamond-Boys werden euch sicher gesagt haben, daß ich euch vollständig durchschaue. Wir brauchen also nicht länger Komödie zu spielen. Ihr seid Llano-Raben, und wir sind ehrliche Jäger, denen ihr weder etwas weiß machen noch etwas anhaben könnt. Wodurch ihr es so weit gebracht habt, daß die Boys euch ihr Vertrauen schenken, das will ich nicht fragen. Jedenfalls habt ihr sie riesig angelogen. Was ihr weiter mit ihnen vorhabt, das ist uns sehr gleichgültig. Wir werden auch nicht nach Süden reiten, um sie abermals zu warnen. Sich in die Llano locken und dort töten zu lassen, das scheint für sie das höchste der Gefühle zu sein, und es kann uns nicht einfallen, ihnen dieses Vergnügen zu rauben. Wir haben unsere Pflicht gethan und müssen nun für uns selbst sorgen. Hier an dieser Stelle gehen euer Weg und der unserige auseinander. Ihr werdet eher aufbrechen als wir, und zwar sofort! Reitet eurem Indianer nach; aber hütet euch, einen Gewehrlauf auf uns zu richten! Wir verstehen es sehr wohl, mit Männern eures Schlages umzugehen. Wir haben die Mündungen oben. Noch ein Wort von euch oder gar eine verdächtige Bewegung, so schießen wir! Dreht euch ab von uns; hängt die Gewehre an die Sattelknöpfe, und steigt auf! Lebt wohl, und hütet euch, uns wieder vor die Augen zu kommen!« Er hatte sich neben Tim gestellt, und beide legten ihre Gewehre an. »Master Jim!« rief Stewart in höchstem Zorne. »So bringt ihr uns nicht fort! Wir sind – – –« »Schurken seid ihr!« unterbrach ihn Tim mit starker Stimme. »Wir haben vier Schüsse, und ihr seid fünf; den letzten schlagen wir mit dem Kolben nieder. Und nun sage auch ich euch: Demjenigen, der nur noch ein einziges, ein allereinziges Wort sagt, jage ich eine Kugel in den Kopf! Schlängelt euch von außen herum also nur schleunigst weiter! Sehen wir euch in einer Minute noch hier, so ist's um euch geschehen!« Das war in einem Tone gesprochen, welcher gar keinen Zweifel zuließ, daß es den beiden ernst sei und daß sie schießen würden. Die Fünf sahen ein, daß ein jeder von ihnen bei der kleinsten Bewegung, welche auf die Absicht des Widerstandes schließen lasse, eine Leiche sein werde. Sie gehorchten in ohnmächtigem Grimme dem an sie ergangenen Befehle, indem sie sich umdrehten, die Flinten an die Sattelknöpfe hingen, aufstiegen und dann, ohne ein weiteres Wort gesagt zu haben, davonritten. Einer von ihnen hatte hinter sich das mehrfach erwähnte Zaum- und Sattelzeug aufgeschnallt. Erst als sie ihre Pferde eine ganze Strecke weit im scharfen Trabe fortgetrieben hatten, ließen sie die Tiere im Schritte gehen und drehten sich um. Sie sahen Jim und Tim noch an derselben Stelle stehen, jedoch mit jetzt abgenommenen Gewehren. » sdeath! « knirschte Stewart. »So etwas ist mir noch nicht passiert! Müssen fünf Männer, welche sich vor dem Teufel nicht fürchten, vor diesen beiden langnasigen Affen ausreißen! Aber ich setze meinen Kopf zum Pfande, daß diese Hunde wirklich beim nächsten Worte auf uns geschossen hätten! Meint ihr nicht?« Sie stimmten ihm bei. »Es war wirklich ganz genau so, als ob sie allwissend seien. Sogar aus meinen Handbewegungen errieten die Halunken das Richtige! Wenn man nur wüßte, was sie nun beginnen werden.« »Das ist doch sehr leicht zu erraten,« sagte einer. »Nun, was?« »Sie werden den Boys nachreiten, um sie abermals zu warnen.« »Das bezweifle ich sehr. Ihre Warnung wurde bereits einmal in den Wind geschlagen, und die Snuffles sind nicht die Kerls, welche ihren Rat und ihre Hilfe zweimal anbieten. Dennoch aber müssen wir unsere Vorkehrungen treffen. Wir müssen uns nach Süden wenden. Sobald wir die Feuer der Karawane erblicken, halten wir an und ziehen eine Postenlinie, welche nur unser frommer Preisegott Burton passieren darf, wenn er von Helmers Home kommt. Die Auswanderer dürfen natürlich von unserer Anwesenheit nichts ahnen. Kommen die Snuffles ja ganz wider mein Erwarten, so werden sie einfach erschossen. Den Indianer müssen wir nun freilich entkommen lassen, obgleich ich ihm fürs Leben gern sein Pferd abgenommen hätte. Es war unter Brüdern dreihundert Dollars wert, vielleicht gar noch mehr.« »Eigentlich war es Unsinn, der beiden Pferde wegen mit den Roten anzubinden. Das eine ist nun erschossen und das andere entkommen. Dafür aber haben wir die Snuffles auf unserer Fährte. Sie werden sich in der Nähe niederlegen und morgen früh, sobald es hell geworden ist, unseren Spuren folgen. Da treffen sie auf die Karawane und machen uns das ganze prächtige Geschäft zu nichte.« »Nein, das werden sie nicht. Sie sind von den Boys beleidigt worden und werden sich nicht weiter um sie kümmern. Jedenfalls reiten sie nach Helmers Home, wo sie ihr Zusammentreffen mit uns erzählen werden. Was dann dort beschlossen wird, das können wir nicht wissen. Es bleibt uns nichts übrig, als Burton zu veranlassen, gleich schon in der Morgendämmerung aufzubrechen und einen tüchtigen Tagemarsch zurückzulegen, damit die Karawane möglichst schnell und weit von hier fortkommt. Wir aber verschwinden natürlich noch viel eher.« Sie ritten noch eine Strecke geradeaus nach Westen und wendeten sich dann nach Mittag. Jim und Tim hatten ihre Gewehre nicht eher abgelegt, als bis die Reiter sich außerhalb Schußweite befanden. Dann wendete sich der erstere an den letzteren, zog den Mund noch viel breiter, als er so schon war, und fragte, vergnügt lachend: »Nun, mein alter Tim, wie gefiel dir das?« »Grad so ausgezeichnet wie dir,« antwortete der Gefragte mit einem eben solchen vergnügten Grinsen. »Ist das nicht das höchste der Gefühle?« »Das allerhöchste! Wenn solche Kerls vor zwei wackeren Jägern sich von außen herum davonschlängeln müssen wie die Pudels, die in den Milcheimer gefallen sind, so kann man seine Freude darüber haben. Es sollte uns wirklich an das Leben gehen.« »Ganz sicher! Man sah es ihren Blicken und Bewegungen gar zu deutlich an. Du glaubst doch nicht, daß die Boys ihr Geld verloren haben?« »Fällt mir nicht ein. Sie sind fort, da hinab nach Süden; warum und wozu, das geht uns nun nichts mehr an. Wir haben sie gewarnt; weiter gibt es keine Verpflichtung für uns. Sie hielten sich für außerordentlich klug und weise. Dieser Gibson hat sogar Jurisprudenz studiert; da sehe ich nicht ein, warum wir ihnen unseren Beistand förmlich nachschleppen sollen. Rennen sie in ihrem Uebermute mit den Köpfen in eine Wand, so mögen sie zusehen, ohne unsere Hilfe vollends hindurch und drüben heraus zu kommen. Ich denke, der arme Indsman ist unseres Beistandes bedürftiger und auch würdiger.« »Gewiß! Suchen wir ihn also auf?« »Ja. Wir wissen, nach welcher Richtung er ist, da nach rechts hinüber nach der Gegend der alten Silbermine. Die Faxe mit den beiden Steinchen, welche wir selbst zertreten haben, diente ja nur dazu, diese Halunken irre zu leiten. Ich habe die Blutstropfen deutlich gesehen, und es sollte mich wundern, wenn wir den Indsman nicht in der Mine fänden.« Sie verließen den Ort, jeder sein Maultier hinter sich. Sie stiegen nicht auf, um den Boden genau betrachten zu können, was jetzt seine Schwierigkeit hatte, da der Abend sich schnell niederzusenken begann. Als sie eine Strecke gegangen waren, sahen sie einen kleinen Gegenstand an der Erde liegen; es war der rote, sorgfältig geschnittene Kopf einer Friedenspfeife. Jim hob denselben auf, steckte ihn zu sich und sagte in befriedigtem Tone: »Wir befinden uns auf dem richtigen Wege. Dieser Pfeifenkopf ist vom Rohre losgegangen und unbemerkt herabgefallen. Ob er dem alten, verwundeten oder dem jungen Indianer gehört hat, das werden wir bald erfahren.« »Jedenfalls dem alten. Ein junger Mensch ist schwerlich schon da oben in Minnesota gewesen, um sich in den heiligen Steinbrüchen den Thon zu seinen Pfeifen zu holen.« »Er kann diese Pfeife auch erbeutet haben. Eine solche darf er in Gebrauch nehmen, nur eine ererbte nicht.« »Hat jemals ein Indianer eine Pfeife geerbt? Sie wird doch stets mit dem Besitzer begraben.« »Es gibt Stämme, bei denen das leider nicht mehr so genau genommen wird. Der beglückende Einfluß der lieben, gutherzigen Bleichgesichter macht sich auch in dieser Beziehung geltend. Uebrigens dem Totem nach, welches dem Kopfe eingeschnitten ist, scheint der Besitzer ein Komantsche und zwar ein Häuptling zu sein. Gut, daß wir den Dialekt dieser Nation deutlich verstehen. Wir können die beiden anrufen, sonst müßten wir gewärtig sein, bei unserem Nahen von einigen Kugeln begrüßt zu werden, und das ist keineswegs das höchste der Gefühle.« Der Felsen begann jetzt anzusteigen. Die Beiden hatten links die Bergeswand und rechts eine weithin reichende Menge von Felsentrümmern, zwischen denen kaum ein Mensch, viel weniger aber ein Pferd fortkommen konnte. Da, wo sie schritten, war die einzige passierbare Stelle, und so konnten sie mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß auch die Indianer hier geritten seien. Dann standen sie vor einer hohen, finsteren Halde klaren Gesteines. Es war der Schutt, welchen man aus der Mine geschafft und vor derselben aufgeworfen hatte. Wie hoch diese Halde sei, konnte man nicht erkennen, da es indessen dunkel geworden war. Sie schnallten die Zügel lang und befestigten dieselben um zwei schwere, am Boden liegende Steine. Dann begannen sie langsam an der Halde emporzuklettern. Sie gaben sich dabei keine Mühe, Geräusch zu vermeiden, sondern sie sorgten ganz im Gegenteile dafür, daß das Knirschen des Schuttes unter ihren Füßen gehört werde. Aber nach jedem Schritte blieben sie halten, um zu lauschen. Es galt ja, zu erfahren, ob jemand oben sei, der angerufen werden mußte, bevor er sich seines Gewehres bediente. Während einer solchen Pause des Lauschens vernahmen sie das Geräusch eines Steinchens, welches von oben herabgerollt kam. »Horch!« flüsterte Jim. »Es war also ganz richtig, die Indianer da oben zu vermuten. Sie sind auf ihrer Hut. Der Verwundete wird, wenn er überhaupt noch lebt, im Inneren der Mine liegen; der junge Indsman aber hält auf der Halde Wache. Rede ihn an, Tim!« Tim folgte dieser Weisung, indem er mit vernehmlicher, aber nicht allzu lauter Stimme nach oben rief: »Tuquoil, omi gay nina; tau umi tsah!« – (junger Krieger, schieße nicht. Wir sind deine Freunde!) Jetzt warteten sie auf Antwort. Es verging eine Weile, dann hörten sie die Frage: »Haki bit?« – (wer kommt?) Das waren nur drei kurze Silben, aber sie reichten vollständig aus, wissen zu lassen, wer da oben stand, denn die beiden Worte waren dem Idiom entnommen, dessen sich die mit ihren früheren Feinden und jetzigen Verbündeten, den Keïowehs, wild umherschweifenden Komantschen bedienen. »Gia ati masslok akona« – (zwei gute, weiße Männer), antwortete Tim. »Bite uma yepe!« (kommt herauf!) ertönte es nach einer Pause des Ueberlegens von oben herab. Sie stiegen vollends empor. Als sie den oberen Rand der Halde erreichten, sahen sie trotz der Dunkelheit eine menschliche Gestalt, welche aufgerichtet vor ihnen stand und das Gewehr auf sie im Anschlag hielt. »Naba, o nu neshuano!« (steht, sonst schieße ich!) gebot der Komantsche. Die beiden erkannten an der Gestalt, daß sie wirklich, wie sie erwartet hatten, einen jungen Indianer vor sich sahen. Tim beruhigte ihn: »Mein junger, roter Bruder braucht nicht zu schießen. Wir sind gekommen, ihm zu helfen.« »Sind meine weißen Brüder allein?« »Ja.« »Haben sie die Fährte meines Pferdes verfolgt?« »Wir sind zufälligerweise an den Ort des Kampfes gekommen und haben aus den Spuren gelesen, was geschehen ist. Wir folgten dann deiner Fährte und derjenigen eurer Feinde, um euch gegen sie zu beschützen. Ihr seid tapfere rote Krieger, sie aber sind feige Räuber, welche beschämt vor uns fliehen mußten, obgleich sie mehr Personen waren als wir.« »Mein Bruder sagt die Wahrheit?« »Ich lüge nicht. Zum Zeichen, daß wir als deine Freunde kommen, werden wir jetzt alle unsere Waffen vor dir niederlegen, und du magst dann bestimmen, ob wir sie wieder zu uns nehmen sollen oder nicht.« Sie legten die Messer und Büchsen ab. Er hielt das Gewehr noch immer auf sie gerichtet und sagte: »Die Bleichgesichter haben Honig auf den Lippen, aber Galle im Herzen. Sie legen die Waffen fort, um Vertrauen zu erwecken; dann aber kommen ihre drei Gefährten nach, um den Tod heraufzubringen.« »Du hältst uns für zwei von denen, welche euch verfolgt haben. Wir sind sie nicht; du täuschest dich.« »So sagt mir, wo diese fünf Männer sich befinden! Da ihr der Fährte gefolgt seid, müßt ihr das wissen.« »Wir haben sie getroffen, als sie unten auf dem Felsen deine Spur suchten, welche sie verloren hatten. Wir sprachen erst freundlich mit ihnen, um sie zu täuschen. Sie vermochten nicht, die Fährte wieder zu entdecken. Wir aber fanden sofort die Blutstropfen, welche der Wunde deines Begleiters entfallen waren; aber wir sagten es nicht, sondern wir machten eine falsche Spur, auf welcher sie dann nach Westen geritten sind. Wir sagten ihnen, daß wir sie für Räuber und Mörder halten, und richteten unsere Gewehre gerade so auf sie, wie du das deinige jetzt auf uns richtest. Da mußten sie schmachvoll von dannen weichen.« »Warum habt ihr sie nicht getötet?« »Weil sie uns nichts gethan hatten. Wir schießen nur dann einen Menschen nieder, wenn wir dazu gezwungen sind, um unser Leben zu verteidigen.« »Ihr redet die Worte der guten Menschen. Mein Herz gebietet mir, euch Vertrauen zu schenken; aber eine andere Stimme fordert mich auf, vorsichtig zu sein.« »Folge nicht dieser Stimme, sondern derjenigen deines Herzens! Wir meinen es gut mit dir. Frage dich selbst, warum wir zu dir gekommen sein können! Du hast uns nichts gethan; wir können also nicht die Absicht hegen, dir Böses zu erweisen. Wir wissen, daß du verfolgt wirst; wir haben aus den Spuren ersehen, daß dein Begleiter verwundet ist; darum kamen wir hierher, um dir unsere Hilfe anzubieten. Ist dir dieselbe nicht willkommen, so werden wir sofort wieder gehen, denn wir sind es nicht gewöhnt, unseren Beistand jemanden aufzuzwingen.« Es verging eine kurze Zeit, ohne daß er antwortete. Er schien nachdenken. Dann sagte er: »Ich brauche eure Hilfe nicht. Ihr könnt gehen.« »Gut, so werden wir dich verlassen und wünschen dabei, daß du es nicht bereuen mögest.« Sie nahmen ihre Waffen wieder auf und begannen, an der Halde abwärts zu steigen. Sie waren noch nicht weit gekommen, so hielt Tim den Schritt an und fragte leise: »Hast du nichts gehört, alter Jim? Es war mir ganz so, als ob da drüben, rechts von uns, ein Stein hinabgekollert sei.« »Ich habe nichts vernommen.« »Aber ich sehr deutlich. Sollte sich dort irgend ein Mensch heimlicherweise von außen her um die Halde herumschlängeln? Wir wollen vorsichtig sein.« Sie stiegen weiter. Als sie dann unten am Fuße der Aufschüttung ankamen, erhob sich plötzlich eine dunkle Gestalt hart vor ihnen vom Boden. »Halt, Bursche!« rief Jim, das Gewehr anlegend. »Keinen Schritt von der Stelle, sonst schieße ich!« »Warum will das Bleichgesicht schießen, da ich doch in freundlicher Absicht gekommen bin?« ertönte es ihm entgegen. Er erkannte die Stimme des jungen Indianers, mit welchem sie soeben gesprochen hatten. »Du bist es?« fragte er. »Du bist zu gleicher Zeit mit uns herabgestiegen? Also darum hörte Tim den Stein! Dein Fuß hatte ihn aus seiner Lage gestoßen. Was willst du hier?« »Ich wollte sehen, ob die Rede der weißen Männer Wahrheit sei. Wäret ihr Feinde gewesen, so hättet ihr mich nicht verlassen. Da ihr meiner Weisung gefolgt seid, ohne etwas gegen mich zu unternehmen, so habt ihr die Probe bestanden. Ihr gehört nicht zu meinen Verfolgern, und ich bitte euch, mit mir wieder empor zu steigen, um Tevua-schohe zu sehen, der mein Vater ist.« »Tevua-schohe, der ›Feuerstern‹, der berühmte Häuptling der Komantschen, ist da?« fragte Tim erstaunt. »Ja, er ist da. Er ist tot. Ich bin Shiba-bigk 2 , sein jüngster Sohn, und werde sein Blut über seine Mörder bringen. Die Bleichgesichter mögen mir folgen.« Er klimmte voran, und sie stiegen hinter ihm her, wieder die Halde hinauf. Oben angekommen schritt er auf die Felswand zu und trat in ein in derselben befindliches Loch, welches die beiden kannten, da sie sich nicht zum erstenmale hier befanden. Es war der Eingang zu der alten, verlassenen Silbermine. Ein dünner Rauch kam ihnen entgegen. Als sie vielleicht dreißig Schritte weit in den Gang eingedrungen waren, sahen sie ein kleines Feuer brennen. Ein kleines Häuflein mühsam zusammengesuchten Holzes lag daneben. Die Flamme hatte den alleinigen Zweck, den Toten zu bescheinen, welcher in sitzender Stellung aufgerichtet war, so daß er mit dem Rücken an der Wand lehnte. Eisenherz legte sein Gewehr weg und setzte sich dem Toten gegenüber nieder. Er schob ein Aststück in das Feuer, zog die Kniee hoch empor und legte sein Kinn darauf. In dieser Stellung starrte er die Leiche wortlos an. Die beiden Westmänner standen ebenso schweigend dabei. Sie kannten die indianische Sitte genau und wußten, daß sie den Schmerz des Sohnes durch Worte beleidigen würden. Die Gesichter beider Indianer waren unbemalt, ein sicheres Zeichen, daß sie nicht in einer feindlichen Absicht unterwegs gewesen seien. Der Tote war ein schöner Mann gewesen, wie ja die Komantschen sich überhaupt durch körperliche Vorzüge vor vielen anderen Indianerstämmen auszeichnen. Selbst noch im Tode glänzte sein Angesicht wie helle Bronze. Seine Augen waren geschlossen und seine Lippen fest zusammengekniffen, denn er harte einen sehr qualvollen Tod gehabt. Der untere Teil seines indianischen Jagdhemdes war geöffnet, so daß man die Stelle des entblößten Leibes sah, an welcher die feindliche Kugel eingedrungen war. Die Hände lagen zusammengekrampft auf den Oberschenkeln, ein weiterer Beweis der Schmerzen, welchen er in seinen letzten Augenblicken ausgesetzt gewesen war. Erst nach längerer Zeit ließen auch Jim und Tim sich auf den Boden nieder, leise, ganz leise, als ob sie befürchteten, den Ermordeten durch ein Geräusch in seiner Ruhe zu stören. Die Nähe eines aus dem Leben Geschiedenen wirkt ja fast stets wie der Anblick eines Heiligtums: Ein Andachtsschauer erfaßt den Sterblichen, sobald er den Hauch der Ewigkeit empfindet. Da hob Shiba-bigk seinen Kopf, blickte die beiden an und sagte: »Ihr habt von ›Feuerstern‹, dem Häuptling der Komantschen, gehört? So wißt ihr, daß er ein tapferer Krieger war?« »Ja,« antwortete Jim. »Wir haben den Häuptling sofort erkannt, als wir ihn hier erblickten. Wir haben ihn droben am Rio Roxo kennen gelernt, wo er uns beistand, als wir von einer Schar Paunihs überfallen wurden.« »So werdet ihr überzeugt sein, daß er in den ewigen Jagdgründen über viele Krieger gebieten wird. Aber Manitou hat ihn nicht im Kampfe abgerufen. Der Häuptling der Komantschen ist ermordet worden.« »Von denen natürlich, die euch verfolgten?« »Ja.« »Wie ist das geschehen und wie seid ihr denn eigentlich hierher gekommen?« »Wir waren tief im Lande der Bleichgesichter. Die Krieger der Komantschen haben ihre Kriegsbeile vergraben und lebten in letzter Zeit in Frieden mit den Weißen. Sie brauchten sich nicht zu scheuen, in die Städte des bleichen Mannes zu gehen. ›Feuerstern‹ jagte mit seinen Leuten am Flusse, welcher Rio Pecos genannt wird. Dort trafen sie auf weiße Männer, welche nach der fernen Stadt wollten, deren Name Austin ist. Da der Weg von dort nach da von anderen roten Männern unsicher gemacht wird, so baten sie den ›Feuerstern‹, ihnen einen kundigen Führer mitzugeben. Er beschloß, sie selbst zu begleiten und mich mitzunehmen, damit ich die Städte und Häuser der Weißen sehen möge. Wir kamen glücklich in Austin an und ritten dann allein zurück. Heute, als das letzte Drittel des Tages begann, begegneten uns die Mörder. Sie verlangten unsere Pferde; als wir ihnen dieselben nicht gaben, schoß einer von ihnen den ›Feuerstern‹ in den Leib. Das Pferd des Häuptlings wurde scheu und rannte davon. Ich mußte ihm folgen, weil er verwundet war, und konnte also nicht mit den Bleichgesichtern kämpfen. Wenn ihr die Fährte gesehen habt, so werdet ihr wissen, was dann noch geschehen ist.« »Ja. Du hast einen von ihnen getötet und ihm den Skalp genommen.« »So ist es. Die Kopfhaut hängt hier an meinem Gürtel. Aber ich werde mir auch die Häute der anderen holen. Während der Nacht werde ich den Vater beklagen und den Todesgesang der Häuptlinge anstimmen; am Morgen begrabe ich ihn einstweilen zwischen diesem Gestein, um dann die Krieger der Komantschen zu holen, welche dem Helden ein Grabmal errichten werden, seiner Tapferkeit und Würde angemessen; aber sobald ich den Toten vor den Augen der Sonne verborgen habe, werde ich die Spur der Mörder aufsuchen, und ich sage euch, Shiba-bigk ist noch kein berühmter Krieger; es sind seit seiner Geburt nicht viele Winter vergangen; aber er ist der Sohn eines berühmten Häuptlings, und wehe den Bleichgesichtern, auf deren Fußstapfen er seine Augen richtet! Sie sind verloren!« Er stand auf, trat zu seinem Vater, legte demselben die Hand auf den Kopf und fuhr fort: »Die Bleichgesichter schwören; ein Komantsche aber spricht ohne Schwur. Und so merkt euch meine Rede: Wenn der Grabeshügel des ›Feuersternes‹ er richtet wird, so sollen von der Spitze desselben alle sechs Skalpe seiner Mörder hängen. ›Eisenherz‹ hat es gesagt, und also wird es geschehen! – – –« 3. Kapitel. Ghostly hour Drittes Kapitel Ghostly hour Um die Mittagszeit des darauffolgenden Tages saß Helmers mit dem Juggle-Fred und dem Hobble-Frank wieder an einem Tische vor dem Hause. Bob, der Neger, war nicht bei ihnen. Er steckte mit dem schwarzen Diener des Farmers im Stalle. Die drei Masters unterhielten sich über das gestrige Erlebnis, über das Duell zwischen Bloody-fox und dem Fremden, über den Tod des letzteren, und so war es gar kein Wunder, daß sie auch auf Verschiedenes, was mit dem Tode zusammenhängt, endlich sogar auf Gespenster zu sprechen kamen. Helmers und Fred erklärten ganz entschieden, es sei unmöglich, daß die Seele eines Verstorbenen wiederkehren und gesehen werden, sogar ohne im Besitze der physischen Sprachwerkzeuge zu sein, reden könne. Frank aber verteidigte auf das energischeste den Gespensterglauben, und als die beiden anderen dennoch bei ihrem Zweifel blieben, rief er ganz zornig aus: »Ihr seid eben alle beede dumm, und sogar hochdumm! Euch kann nich geholfen werden, denn was nutzt der Kuh die Muschkate. Für die höhere Muschkatennuß des widersinnigen Lebens, also für alles, was über- und zugleich ooch unterirdisch ist, hat nur derjenige die richtigen Zähne, der sich schon in seiner frühsten Jugend mit den diesseitigen und jenseitigen Geistesinsolvenzen befaßt hat. Das aber ist bei euch eben nich der Fall gewesen und darum brauche ich mich eegentlich ooch gar nich dadrüber zu wundern und zu ärgern, daß eurem vernachlässigten Denkvermögen sogar die Geister und Geschpenster abhanden gekommen sind. Wäre ich een Geschtorbener, was aber glücklicherweise nich der Fall ist, so huckte ich euch zwee beeden heut um die Mitternachtsschtunde off. Das würde euch schon eene andere und bessere Meenung beibringen!« »Gib uns nur einen Beweis, einen einzigen!« lachte Fred. »Dann wollen wir dir glauben.« »Eenen Beweis! Unsinn! Beweise beweisen gar nischt! Wenn für irgend was een Beweis vorhanden ist, so brauche ich es doch eben nich mit eenem Beweise zu beweisen! Gesehen muß mersch haben, gesehen mit seinen eegenen zwee beeden Oogen; das ist der sogen. italienische Oculierbeweis, gegen den etwas anderes gar nich offkommen kann. Dadrüber sind wir Gelehrten sehr eenig, daß – – –« »Nicht Oculier- sondern Ocularbeweis willst du wohl sagen?« fiel Fred ihm in die Rede. »Schweigste gleich schtille, du Hebräischverder ber!« brauste Frank auf. »Mir wirschte doch nich etwa die submarinen Schprachkenntnisse beibringen wollen, die ich schon vor dreißig Jahren an den Schtiefelsohlen abgeloofen habe! Mir sind freilich die Sonnenprotuberanzen der anonymen Schprachwissenschaften gleich angeboren gewesen. Ich habe als Wickelkind chinesisch geschrieen, aramäisch geschlafen und aus eener sanskritischen Saugflasche polynesische Milch getrunken. Sagt da dieser Mensch, ich hätte mich verschprochen! Weeß der Kerl nich mal, was für een Unterschied zwischen Ocular und Oculier ist! Oculieren heeßt pfropfen. Das weeß ich als Lumen des Forschtwesens sehr genau. Und wenn ich dir nun eenen Beweis offpropfe, so ist es eben een Oculierbeweis. Verstande vous, mong Ami? Und mit solchen Oculierbeweisen kann ich die karthagische Beschtätigung bringen, daß es Geschpenster gibt.« »Hast du denn eins gesehen?« »O, nich nur eens, sondern mehr als een halbes Schock. Um mich sind die Geister nur immer so rumgeloofen, eben weil ich een geistreicher Myrmidone bin. Uebrigens beweise ich die Sache, wie sich ganz von selbst verschteht, absolut philologisch. Wenn een Wort da ist, so muß doch ooch dasjenige da sein, als dessen Bezeechnung das Wort dienen soll. Wenn also der Harlekin im Cirkus singt: ›David, öffne mir das Fenster! Heute ist keen Mondenschein. Zu der Schtunde der Geschpenster Schteigt der schöne August ein,‹ so muß es eben absolut Geschpenster geben. Das Wort Geschpenst ist da, folglich geht es off dem Heuboden um. Das ist so klaar wie Seefenwasser. Der Moritzburger Schulmeester, dem ich meine geniale Ausbildung zu verdanken habe, gloobte ooch an Geister.« »So! Wie hieß denn dieser illustre Mann?« »Sein Name war Elias Funkelmeier.« »Ach so! Nomen et omen! « »Bitte, rede nur du nich portugiesisch! Es paßt gar nich zu deinem Gesichte! Wie kannst du diesen Helden des euphemistischen Wissens eenen illustren Mann nennen! Illustrierter Mann muß es heeßen; das weeß heutzutage jeder Buchdruckerlehrjunge. Du aber scheinst den großen Fortschritt des letzten Jahrhunderts gar nich mitgemacht zu haben. Du bist am Kleister des vorchristlichen Mittelalters hängen geblieben und an deiner Wiege hat keen freundlicher Troubadour gesungen: Gaudeamus, Igelkur, Juvenal kaut Humus!« Da begann Fred zu lachen, daß ihm die Thränen über die Wangen rannen, und Helmers stimmte ein. »Was gibt's denn da zu lachen?« fragte Frank, »die Troubadours waren doch nich etwa lächerliche Erscheinungen der lappländischen Kreuzzüge. Sie haben unter Gottfried von Oleum Jerusalem erschtürmt und zwee Jahre schpäter, als Parmenio sagte: ›Schtralsund muß ich kriegen, und wenn es mit Ketten am Himmel hing‹, da antworteten sie: ›Mach dich nich lächerlich, alter Schwede! Die Garde schtirbt, aber sie gibt nischt her!‹ Und über solche Helden lacht ihr? Habt ihr denn gar keenen Sinn für die grimmigen Geschtalten der insultierten Welt- und Kriegsgeschichte?« »O, über die Troubadours lachen wir nicht,« antwortete Fred, »sondern über dein Gaudeamus.« »Das muß ich mir verbitten! Dieses Lied habe ich schtudiert wie meine Mütze. Der zweete Versch lautet: Gaugamela, Inventur, Pflaumenboom ist Prunus. Uebrigens bringst du mich mit deinen überflüssigen morphologischen Bemerkungen ganz von unserem urschprünglichen Thema ab. Wir schprachen von den Geschpenstern und – – –« Er hielt inne, denn er sah einen Reiter kommen, der die Uniform der Vereinigten-Staaten-Dragoner trug. Die Abzeichen derselben ließen ihn als Offizier erkennen. Dieser Mann kam von Süden her, in scharfem Galopp, und hielt sein Pferd vor den drei Männern an. » Good day! « grüßte er. »Ich bin doch so richtig bei der Farm, welche Helmers Home genannt wird?« » Yes Sir! « antwortete Helmers. »Ich bin der Mann, welchem dieses Haus gehört.« »Helmers selbst? Ich freue mich, Euch zu treffen, denn ich komme, um eine Erkundigung einzuziehen.« »Worüber?« »Das läßt sich nicht so schnell sagen. Erlaubt mir, ein wenig bei euch niedersitzen zu dürfen!« Er stieg ab und nahm bei ihnen Platz. Sie betrachteten ihn genau, und er that gar nicht, als ob er das bemerke. Er war von starker, untersetzter Statur und trug einen dichten, schwarzen Vollbart. Sein Blick war scharf und stechend; seine Lippen konnte man nicht sehen, da er den Schnurrbart gerade herabgekämmt hatte. »Ich bin, so zu sagen, als Eklaireur hier,« sagte er in leichtem Tone. »Wir halten oben bei Fort Sill und wollen in die Llano hinein.« »Weshalb?« fragte Helmers. »Es ist der Bundesregierung berichtet worden, welche Menge von Unthaten in letzter Zeit da drin in den Plains verübt worden sind. Das erfordert natürlich schnelle und strenge Ahndung. Es steht mit aller Sicherheit zu erwarten, daß die einzelnen Thäter sich miteinander in Verbindung befinden. Die einzelnen Verbrecher stehen miteinander in einem so offenbaren Zusammenhange, daß man annehmen muß, man habe es mit einer sehr wohlorganisierten Bande zu thun. Gegen diese soll ein kräftiger, vernichtender Schlag geführt werden. Zwei Schwadronen Dragoner sind beordert, denselben auszuführen und die Plains und deren Umgegend von allem verdächtigen Gesindel zu säubern. Diese Leute halten jetzt, wie bereits gesagt, bei Fort Sill, und ich wurde vorausgesandt, Erkundigungen einzuziehen und mit den braven Anwohnern Beziehungen anzuknüpfen. Wir gehen natürlich von der Ueberzeugung aus, daß jeder ehrliche Mann uns unterstützen werde.« »Das versteht sich ganz von selbst, Sir! Es freut mich sehr, daß Ihr bei mir vorgesprochen habt, und Ihr dürft überzeugt sein, daß ich Euch aus allen Kräften Vorschub leisten werde. John Helmers ist als ein Mann bekannt, auf den sich jeder brave Kerl verlassen kann.« »Das habe ich gehört, und darum komme ich zu Euch.« »Schön! Aber Fort Sill liegt im Norden von hier, und Ihr kommt von Süden her. Wie stimmt das zusammen?« »Ich komme nicht direkt von Fort Sill, sondern ich bin bis fast hinab an den Fluß geritten und dann am Rande der Llano heraufgekommen, um diese Gegend zu inspizieren.« »So allein! Warum hat der Kommandierende Euch nicht mehrere Leute mitgegeben?« »Weil er, grad so wie ich, das nicht für vorteilhaft hielt. Ein größerer Trupp erregt Aufsehen, was wir natürlich vermeiden müssen.« »Aber zwei, drei Reiter kommen ebenso unbemerkt hindurch wie ein einzelner. Wie leicht kann Euch etwas Menschliches passieren! Dann kehrt Ihr nicht zurück, und Eure Leute wissen nicht, woran sie sind.« »O, was das betrifft, so weiß der Major sehr genau, was er von mir zu halten hat und daß er sich auf mich verlassen kann. Ihr wißt doch, daß man zum Aufklärungsdienste nur Leute nimmt, die zu demselben befähigt sind, weil sie den Westen genau kennen.« »So habt Ihr Euch schon früher in demselben befunden?« »Eine ganze Reihe von Jahren lang.« »Hm! Daher kommt es vielleicht, daß es mir ganz so ist, als ob wir uns bereits einmal gesehen hätten. Kommt es Euch nicht vielleicht auch so vor?« Der Offizier betrachtete Helmers mit einem langen, nachdenklich prüfenden Blicke und antwortete: »Nein, Sir.« »So war't Ihr wohl noch nicht so weit unten?« »O, eigentlich war ich noch viel weiter unten, nur nicht auf dieser Seite der Llano. Drüben bin ich bis nach Chihuahua und noch weiter gekommen.« »Als Soldat?« »Nein. Ihr wißt ja, daß es verboten ist, in Uniform über die Grenze zu gehen.« »Das ist richtig. Also seid Ihr als Privatmann bis hinein ins Mexico gegangen. Nun, ich war auch mehrere Male drüben, und da mag es ja wohl sein, daß ich Euch flüchtig sah, ohne daß Ihr mich bemerkt habt. Wann müßt Ihr zu Eurer Truppe zurück?« »Das kommt ganz auf die Verhältnisse an. Sobald ich die nötigen Daten beisammen habe, solle ich kommen; so lautete der Befehl. Vermöge ich aber nichts Wichtiges zu erfahren, so werde man aus freier Hand nach der Llano gehen. In diesem Falle solle ich nach Verlauf einer Woche mich in Helmers Home einfinden, wo die beiden Schwadronen kurze Rast machen wollen.« »Also bei mir? Das ist mir sehr, sehr interessant. Und wann ist denn diese Woche zu Ende?« »Uebermorgen. An diesem oder dem nächsten Tage werden die Kameraden hier eintreffen.« »Also steht, da Ihr nicht zurückgekehrt seid, zu vermuten, daß Ihr nichts Wichtiges erfahren habt?« »Ja. Ich muß zu meinem großen Leidwesen gestehen, daß mein beschwerlicher Ritt fast ganz unnütz gewesen ist. Ich habe keinen Erfolg zu verzeichnen, denn ich bin in der einsamen Gegend keinem Menschen begegnet, von dem ich hätte etwas erfahren können.« »Das ist freilich großes Pech. Die Anwohner der Llano hätten Euch mehr als genug erzählen können, und ich begreife nicht, daß Ihr sie nicht aufgesucht habt.« »Ich hielt das nicht für klug, Sir. Man sagt, daß gerade diese Anwohner mit dem Treiben der Bande einverstanden seien. Eine Erkundigung bei einem solchen Farmer hätte also nur die Folge gehabt, daß die Verbrecher von der Nähe des Militärs unterrichtet worden wären, was den Erfolg unseres Handstreiches natürlich ganz in Frage gestellt hätte.« »So habt Ihr eben, nehmt es mir nicht übel, Sir, einen sehr großen Fehler begangen!« »Welchen?« »Den, daß Ihr nicht Eure Uniform ablegtet. Wenn es Euch darum zu thun war, daß niemand die Anwesenheit Eurer Truppe ahnen solle, so mußtet Ihr in Zivilkleidern reiten.« »Da habt Ihr recht. Aber ich bin Soldat und muß thun, was mir befohlen wird. Uebrigens hoffe ich, wenigstens zu guter Letzt bei Euch einiges über das Treiben der Llano-Geier zu erfahren.« »Das könnt Ihr. Erst vor zwei Wochen sind vier Familien von hier fort, um über die Plains zu gehen. Man hat sie in der Llano überfallen und ermordet.« »Alle Teufel! Wißt Ihr das gewiß?« »Ja. Ein Trader, Namens Burton, kam gestern und erzählte es. Er hatte die Leichen gesehen und war darüber vor Entsetzen so angegriffen, daß er sich bei mir erholen mußte.« »Wo ist der Mann? Ich muß natürlich sofort mit ihm sprechen!« »Das ist unmöglich, denn er ist heute früh wieder fort, Sir. Uebrigens ist es nicht notwendig, daß Ihr gerade nur mit ihm redet. Er hat uns alles erzählt, und wir können es Euch also ebenso genau sagen wie er. Uebrigens scheint eben jetzt etwas im Werke zu sein. Es wäre recht gut, wenn Eure Dragoner baldigst kämen.« »Warum vermutet Ihr einen neuen Streich?« »Weil gestern abend zwei Kerls da waren, welche jedenfalls nur die Absicht hatten, irgend etwas auszukundschaften.« »Wie? Was? Es sind doch nicht etwa Kundschafter der Llano-Geier gewesen?« »Höchst wahrscheinlich waren sie nichts anderes, Sir. Dem einen gelang es, uns zu entweichen; dem anderen aber ist es desto schlechter bekommen. Er hat ins Gras beißen müssen.« »Das ist wichtig, sehr wichtig. Erzählt doch, Sir, erzählt!« Helmers hatte zu dem Offizier volles Vertrauen gefaßt. Er erzählte zunächst, was er von dem Trader gehört hatte, und berichtete dann weiter über das gestrige Duell und den Tod des Fremden. Der Offizier hörte ihm sehr aufmerksam zu. Seine Züge bewegten sich nicht, aber seine Augen funkelten. Helmers glaubte dies dem Interesse zuschreiben zu müssen, welches der Soldat an dem Zweikampfe nahm. Ein aufmerksamerer Beobachter aber hätte vielleicht bemerkt, daß dieses intensive Aufglimmen der Augen nichts anderes sei als das Funkeln des Zornes, des Hasses. Seine Faust ballte sich um den Griff des Säbels, und einmal war es sogar, als ob seine Zähne ein leises Knirschen hören ließen. Sonst aber blieb er sehr ruhig und gab sich alle Mühe, nichts zu zeigen als nur die gespannte Aufmerksamkeit, welche die Erzählung bei jedem Zuhörer erwecken mußte. Als Helmers mit derselben geendet hatte, verbreitete er sich noch über die allgemeinen Zustände dieser Gegend, über die Gefährlichkeit der Llano estakata, und schloß hieran die Erklärung, daß er es für höchst schwierig, wenn nicht gar für unmöglich halte, daß zwei Schwadronen Kavallerie sie durchreiten könnten; es fehle an Futter und, was die Hauptsache sei, an Wasser. Wolle man das mitnehmen, so brauche man sehr viele Lasttiere, welche den Zug erschweren und die mitgenommenen Vorräte für sich selbst in Anspruch nehmen würden. »Ihr mögt recht haben,« meinte der Offizier. »Mich geht es nichts an, denn das ist Sache des Kommandierenden. Aber sagt mir doch einmal, Herr, was es eigentlich für eine Bewandtnis mit dem Geiste der Llano estakata hat! Ich habe so viel über dieses unbegreifliche Wesen gehört, etwas Sicheres noch nie erfahren können.« »Da ergeht es Euch gerade so wie mir und allen anderen. Jedermann hört von dem Geiste sprechen, aber niemand weiß etwas Genaues über denselben. Meine Kenntnisse über ihn kann ich Euch in wenigen Worten mitteilen. Der Geist der Llano estakata ist ein geheimnisvoller Reiter, den noch keiner, der lebend geblieben ist, in der Nähe gesehen hat. Jeder der sein Angesicht zu sehen bekam, hat es sofort mit dem Tode bezahlen müssen und ist an einer Kugel gestorben, welche ihn mitten in die Stirne traf. Auffälligerweise sind diese Toten stets Verbrecher gewesen, welche die Llano unsicher gemacht haben. Der Geist scheint also eine Person zu sein, welche sich die Aufgabe gestellt hat, die in der Llano begangenen Verbrechen zu bestrafen.« »Also ein Mensch?« »Natürlich!« »Aber wie fängt er es an, überall und überall zu sein, ohne doch gesehen zu werden? Er muß doch Speise und Trank für sich und Futter und Wasser für sein Tier haben! Woher nimmt er das?« »Das eben ist es, was kein Mensch begreifen kann.« »Und wie fängt er es an, niemanden zu begegnen?« »Hm! Ihr fragt mich da wirklich zu viel, Sir. Er ist ja gesehen worden, aber nur von weitem. Da sieht man ihn, wie vom Sturmwinde getragen, vorübersausen. Oft sprühen Funken vor und hinter ihm her. Ich habe einen Bekannten, der ihn des Nachts gesehen hat. Dieser Mann behauptet, mit tausend Eiden beschwören zu können, daß der Kopf, die Schultern, die Ellbogen, der Gewehrlauf des Reiters und ebenso das Maul, die Ohren und der Schwanz des Pferdes mit kleinen Feuerflammen besetzt gewesen sind.« »Das ist Unsinn!« »Man sollte es denken. Aber mein Bekannter ist ein wahrheitsliebender Mann, aus dessen Munde ich noch keine Lüge oder Aufschneiderei vermuten konnte.« Jetzt da dieses Thema berührt wurde, ergriff der Hobble-Frank das Wort. Es wurde englisch gesprochen; darum war seine Rede nüchtern und glatt wie die jedes andern. Nur wenn er deutsch sprach, begannen die bunten Raupen, welche in seinem Kopfe lebten, sich zu bewegen. »Da haben wir es!« rief er aus. »Niemand will an die Natürlichkeit des Uebernatürlichen glauben. Ich behaupte, der Geist der Llano estakata ist kein Mensch, sondern ein gespensterhaftes Wesen, welches von den Furien Griechenlands übrig geblieben ist und sich in die einsame Llano zurückgezogen hat wie ein alter Auszügler in seine Dachkammer. Daß er Flammen und Funken sprüht, glaube ich sehr gern. Wir sterbliche Menschen blasen den Tabaksrauch in Massen aus dem Munde; warum soll da ein Geist nicht Feuer speien können?« »Aber kann ein Geist mit einem Gewehre schießen?« fragte der Offizier, indem er dem Hobble-Frank einen verächtlichen Blick zuwarf. »Warum denn nicht? Ich habe in einer Jahrmarktsbude eine Henne gesehen, welche eine kleine Kanone abschoß; ein Hase that ganz dasselbe. Was eine Henne oder ein Hase vermag, das muß einem Geist doch erst recht möglich sein!« »Ihr bedient Euch einer ganz sonderbaren Art von Beweisen, Sir! Viel Klugheit und Scharfsinn verratet Ihr dabei freilich nicht!« Diese Worte mußten Frank beleidigen. Er antwortete in scharfem Tone: »Das ist freilich wahr. Aber ich habe meinen Grund dazu, nicht so gelehrt zu reden, wie ich eigentlich könnte. Ihr habt nämlich so ein dummes Gesicht, daß ich befürchte, Ihr würdet mich gar nicht verstehen, wenn ich Redewendungen brächte, welche nur ein ganz klein wenig über den Horizont eines Schulknaben hinausgehen.« »Master!« brauste der Offizier auf. »Was fällt Euch ein, einen Kapitän der Vereinigten Staaten-Truppen in dieser Weise zu insultieren!« » Pshaw! Regt Euch nicht auf! Ob Ihr Kapt'n seid oder Lampenputzer, das ist mir gleichgültig. Ihr selbst habt mit der Beleidigung begonnen und müßt nun meine Antwort ruhig einstecken. Wollt Ihr das nicht, nun, so bin ich bereit, die Sache mit einer guten Büchsenkugel auszugleichen. Euer Rang imponiert einem Westmanne nicht.« Es war dem Offiziere anzusehen, daß es ihm Mühe kostete, seinen Zorn zu beherrschen; doch gelang es ihm, in ruhigem Tone zu antworten: »Sollte mir leid thun, Euch niederschießen zu müssen. Ich verstehe gar wohl mit einem Gewehre umzugehen, bin aber kein Rowdy und schlage mich nur mit Offizieren. Uebrigens wäre es eine Rücksichtslosigkeit gegen Master Helmers, bei ihm Blut zu vergießen. Ich habe die Absicht, hier zu bleiben, bis meine Truppe eintrifft, und darum liegt mir daran, in seinem Home Frieden zu halten.« »Dafür bin ich Euch dankbar, Sir,« sagte Helmers. »Wollt Ihr bei mir bleiben, so werde ich Euch eine Extrakammer anweisen lassen, und Euer Pferd soll einen guten Platz im Stalle finden.« »Ist mir lieb. Ich werde das Tier also sofort in den Stall schaffen. Wo befindet sich derselbe?« »Werde Euch führen und Euch dann zu meiner Frau bringen, die Euch die Kammer anweisen kann.« Er stand auf, der Offizier auch, und beide begaben sich mit dem Pferde zu dem Stalle. Später kehrte der Wirt allein zurück und meldete den beiden anderen, daß der Kapt'n in seiner Kammer geblieben sei, um sich dort auszuruhen. Helmers freue sich der Anwesenheit dieses Gastes und des Eintreffens der Dragoner. Frank aber sagte kopfschüttelnd und zwar jetzt deutsch: »Mir gefällt dieser Mann gar nich. Er hat was im Gesicht, was mein zartes Sympathetengefühl verletzt. Seine Oogen kommen mir vor wie zwee Fettoogen off eener magern Bulljong; sie gucken Eenen so tückisch an, und es ist nischt Gescheites dahinter. Ich möchte ihn nich off die Probe schtellen, ob er een ehrlicher Kerl ist. Ich gloobe nich, daß er das Erkennungswort ›Schiebebock‹ ausschprechen könnte.« »Schiebebock? Warum dieses Wort?« fragte der Juggle-Fred. »Das weeste nich? Nun ja, zu verwundern ist das grade nich, denn ich habe noch keenen einstmaligen Gymnasiasten getroffen, der sich viel gemerkt hätte. Es ist nur gut, daß der Hobble-Frank so een koloßzurhodusales Gedächtnis besitzt und euch Miniaturschtudenten mit seinen Kenntnissen aushelfen kann! Was das Wort ›Schiebebock‹ betrifft, was eegentlich eenen Schubkarren bedeutet, so hat dasselbe damals, als die Hunnen zur Zeit des Kaisers Themistokles die Elbe erobern wollten, eene gewaltige Rolle geschpielt. Die Hunnen waren bekanntlich keene Reiter, sondern nur eene Rotte von fußgängerischen Infanteristen. Sie führten ihre Ausrüstung off Schiebeböcken bei sich. Als sie nun über die Elbe wollten, gedachten sie, inkognito hinüber zu kommen, und gaben sich für brasilianische Araber aus. Da aber schtand der alte Feldmarschall Derfflinger am Wasser und ließ eenen jeden das Wort Schiebebock ausschprechen. Wer das nich fertig brachte, dem wurde eenfach der Kopf abgesäbelt. Weil nun aber die Hunnen nich die nötigen Gutturalwerkzeuge besaßen, um das ›Sch‹ behaglich ausschprechen zu können, so sagten sie alle ›Siebebock‹ und verloren so viel Köpfe, daß der Maharadscha von Delhi bei Torgau an der Elbe mit diesen Köpfen die berühmte Schädelpyramide errichtet hat, dieselbige Pyramide, welche schpäter Timurlenk wieder umgerissen hat.« Die beiden Zuhörer guckten den Sprecher groß an. Sie wußten dieses Mal nicht, ob sie lachen oder heulen sollten. »Aber Frank!« rief Fred endlich. »Wohin gerätst du denn eigentlich! Schiebebock! Du meinst wohl das Wort Schiboleth, welches die Gileaditer den Kindern Ephraim abforderten, wie im Buche der Richter 3 zu lesen ist?« » Tacet! Oder weil du nich lateinisch verschtehst, so will ich es deutsch sagen: Klappe deine Schpeiseöffnung zu! Du wirscht mir doch nicht etwa mit dem Buch der Richter kommen wollen! Ich sage dir, ich kenne die Namen und Lebensumschtände sämtlicher Schtadtrichter und Dorfgeistlichen der Kinder Israel sehr genau. Der erschte Richter kam gleich nach Moses und hieß Josua. Er war derjenigte, welcher der Sonne und dem Monde eenen so großen Schreck einjagte, daß sie absolut nich weiter konnten. Das war in der Schlacht bei Tours und Poitiers gegen Karl Martell, dem Fürschten der Edomiter. Die Sonne wollte hinter dem Himalaja verschwinden, und der Mond war schon über dem Chimporasso herauf. Damit es noch länger Tag bleiben solle, streckte Josua seine Hand aus, machte den beeden Himmelsgeschtirnen eene drohende Faust und rief: › Oribus pictus, Coa constrictus, spiritus rectus, genua flectus! ‹ Sofort schtanden Phöbus und Lunette schtille und warteten gehorsam, bis die Schlacht gewonnen war. Siehste, Fred, ich kenne die Geschichte so genau, als ob ich damals selber der Mond gewesen wäre. Solche weltgeschichtliche Oogenblicke bleiben mir sehre fest im Rückenmarke sitzen, was bekanntlich der anatomische Sitz des Gedächtnisses ist. In dieser Wissenschaft bin ich dem Rotteck, dem Becker, dem Schlosser und sogar dem Töchter-Nösselt überlegen. Ihre Bücher sind leidlich gut, ja; aber den richtigen, begeisterten Schmiß haben sie nich, und die vielen Lücken, die sie offgelassen haben, hätte nur alleene ich ausfüllen können, wenn sie so gescheidt gewesen wären, sich an mich zu wenden.« »Ja,« lachte Fred, »das glaube ich gern. Aber diese Geschichtsschreiber haben dich vielleicht gar nicht gekannt!« »So brauchten sie nur nach Moritzburg zu kommen, wo ich zu finden war. Nachloofen thue ich keenem Geschichtsschreiber, der doch ooch weiter nichts als nur das schreibt, was er in Büchern und Urkunden gefunden hat. Das kann jeder! Ich aber setze mir die rhetorisch lexikale Weltgeschichte durch eegenes Ingenium zusammen; ich prüfe, wer sich ewig bindet, und der Feldherr oder Schtaatsmann, der Moltke oder Bismarck, welcher diese Prüfung beschteht, wird in die Annalen meiner kritischen Inschpiration offgenommen. Aber ja keen anderer nich, denn mit der Weltgeschichte muß man ungeheuer vorsichtig sein. Man darf keenen hineinbringen, der es nich verdient, in die Zahl der schterblichen Götter und unschterblichen Helden offgenommen zu werden, sonst ist man blamiert für alle Zeit. Denk da nur mal an den Geschichtsschreiber Rafael Sanzio! Dieser unbegreifliche Kerl ist so unvorsichtig gewesen, den Brandstifter Herodias durch seine Weltgeschichte unschterblich zu machen. Das war doch een Schwabenschtreich allererschter Sorte!« »Herodias? Ein Brandstifter?« fragte Helmers. »Ja. Da reichen eure chronikalischen Gedächtnisoffschlüsse wohl wieder mal nich aus? Herodias war derjenige mexikanische Hallunke, welcher in der berühmten Hafenschtadt Ephorus die Sommervilla der Göttin Diana in Brand geschteckt hat, und zwar nur aus dem triftigen Grunde, daß sein Name von dem Posaunenschall der Nachwelt geflüstert werden solle.« »Da ist wohl Herostratos gemeint, welcher den Tempel der Diana zu Ephesus niederbrannte? Herodias war kein Mann, sondern eine Frau, nämlich das Weib des Herodes Antipas.« »Ach? So! Was ihr nich alles wißt!« antwortete der Hobble-Frank in ziemlich höhnischem Tone. »Herostratos! Ephesus! Antipas! Nee, was da alles unternander gequirlt wird! Das sollte man gar nich für möglich halten! Herodes Antipas hat gar nich geheiratet; er ist unvermählt zu seinen Urvätern entschlafen und hat noch in seiner Todesschtunde das schöne Opernlibretto gedichtet: ›Ich hinterlasse keene Leibeserben Und kann also frisch hinüberschterben,‹ was nachher von dem belgischen Tonkünstler Schlagintweit Sakuntalawynsky im Sechsachteltakt komponiert worden ist. Dieser elegisch-pharmaceutisch ausgerüstete Reim beweist doch bis zur Konsistenz, daß Herodes als unvermählter Erbonkel ins geschteigerte Jenseits hinübergeschlummert ist. Und den Herodias kenne ich beinahe noch genauer. Als er die Villa weggebrannt hatte, floh er nach Aegypten. Dort wurde er Vizekönig und ließ die Molukken ermorden.« »Mameluken willst du wohl sagen?« verbesserte Fred. »Unsinn! Die Mameluken sind Inseln, welche sich von Japan nach Schottland hinüberziehen. Die Molukken aber waren die Leibwächter des ägyptischen Selbstbeherrschers aller Reußen und Preußen. Herodias ließ sie abschlachten, weil sie ihm unbequem wurden, und ihre unteren Extremitäten ins Wasser werfen, woher das bekannte Schpruchwort kommt: › De mortuis nil nisi bene, ‹ zu deutsch: von den Ermordeten warf man die Beene in den Nil. So, da habt ihr die unterminierte Ausbesserung eurer fehlerhaften Ansichten! In Zukunft aber bringt mir ja nichts Aehnliches wieder, sonst lasse ich euch abfahren wie den bekannten Astrologen Juvenis Mendax.« »Wieso denn?« »Das fragst du ooch noch? Juvenis Mendax war der Astrologe Wallenschteins; aber er hielt es mit der alten Schule und hatte so verkehrte Ansichten über das Schternenfirmament, daß er schließlich abgefahren wurde. Als am nächsten Tage Wallenschtein nach ihm gefragt hatte, antwortete er mit der geflügelten Charade: › Juvenis Mendax homo fur ‹, Juvenis Mendax fuhr heeme. Und grad so werde ich euch nach Hause leuchten, wenn ihr so fortfahrt, mit eurer Unwissenheit meine wissenschaftliche Inferiorität zu beleidigen.« »Nun, die wird sich wohl nicht beleidigt fühlen können,« meinte Fred, indem er lustig mit den Augen blinzelte. »Wir erkennen sie vielmehr sehr gern an.« »Das will ich mir ooch ausgebeten haben!« »Ich denke nur, du hast nicht Inferiorität sondern Superiorität sagen wollen.« »Fällt mir nich mal im Troome ein! Ich weeß schtets sehr genau, welchen assyrischen Gefühlsausdruck ich meinen Worten zu geben habe. Meine etymologische Rapidität schteht mir zu jeder Schtunde und Minute mit solcher oogenblicklicher Momentanheet zu Verfügung, daß es zu eener Verwechslung der Begriffsverbildungen gar keene Zeit nich gibt. Deine Behauptung von wegen der Superiorität war eben wieder eene Beleidigung, die ganz geeignet ist, meine moralische Anwesenheet offzuregen. Wenn du mich in dieser Weise weiter verbalinjurierst, so ist es ewig schade, daß ich gestern mit dir Bruderschaft gemacht habe, und wir können dieselbige wieder offheben. Ich werfe meine Perlen nich gern vor diejenigen Tierchen, von denen Johannes Parricida, der schtotternde Minstrel, so ergreifend gesungen hat: ›Ich kenne een li–li–li–liebliches Tier, Dem schenk' ich a–alle A–Achtung. Es lebt off jedem Ba–Bauernhof hier Und ooch off jeder Pa–Pachtung.‹ Ich will dich warnen, Fred. Verdirb es ja nich mit mir! Lasse ich mal meinem Zorne die Zügel schießen, so kann es sehr leicht kommen, daß dir die Haare zum Gebirge schtehen. Wenn meine Worte nich mehr helfen, so schreite ich zur That. Bei der nächsten beleidigenden Sophonisbe schieße ich mich mit dir. Meine Kugel wird dich niederschtrecken, und dann wird es dir ergehen wie dem oberbayrischen Holzknecht, der abends tot nach Hause kam.« »Den kenne ich nicht.« »Das gloobe ich, denn du kennst ja überhaupt nischt. Dieser Holzknecht war von eener Eiche, die er hatte fällen wollen, erschlagen worden. Der Dorftischler machte ihm die Gedenktafel, schtrich sie hübsch mit grüner Farbe an, malte ihn und die Eiche droff und schrieb darunter: ›Beglückt und ohne Sorgen Ging ich am frühen Morgen Off meine Arbeit aus. Da traf mich eene Eiche, Und ach, als eene Leiche Kam abends ich betrübt nach Haus.‹ Dieser majestätische Versch muß off die Melodie: ›Nun ruhen alle Wälder‹ gesungen werden. Nimm dich in acht, daß wir dieselbe nich ooch bei deinem abgeschiedenen Leichnam anschtimmen! Dein Maß ist voll; kommt noch een eenziger Tropfen dazu, so läuft's über, und dann ist es sofort zu Ende mit deiner individuellen Lebensmöglichkeet. Ich versammle deine subtellurischen Ueberreste zu ihren Großvätern, und deine arme, vom Tageslichte abgeschnittene Seele kann nachher ooch als Avenging-ghost in tragödischen Jamben über die Llano estakata hinschwirren.« Frank hatte sich in Zorn gesprochen und hätte seine Strafrede wohl noch nicht beendet, wenn er nicht unterbrochen worden wäre. Helmers deutete nämlich nach Norden, und als die beiden anderen ihre Blicke dieser Richtung folgen ließen, sahen sie drei Reiter, welche sich langsam näherten. Der Hobble-Frank stieß einen Ausruf der Freude aus und erhob sich schnell von seinem Sitze. »Kennst du die Männer?« fragte Fred. »Na, und ob!« antwortete der Gefragte. »Das sind – – hm, ich will ihre Namen lieber noch nich nennen und es abwarten, wie sie euch gefallen.« Von den drei sich Nähernden war der eine sehr dick und kurz, der zweite sehr dünn und lang. Der dritte hatte mittlere Gestalt und ritt einen herrlichen Rappen. Der Juggle-Fred beschattete seine Augen mit der Hand, blickte scharf nach ihnen hin und rief dann aus: »Frank, du verschweigst die Namen, um uns zu überraschen. Aber ich müßte kein Westmann sein, wenn ich nicht sofort erraten könnte, wer diese drei Männer sind.« »Nun, wer denn?« »Zwei, von denen der eine so dick und der andere so dünn ist, der kleine auf einem hohen Klepper und der lange auf einem winzigen Maultiere, das kann nur der lange Davy mit dem dicken Jemmy sein. Und der dritte ist sicher Old Shatterhand.« »Ach, wie kommst du zu dieser Vermutung?« »Hast du nicht selbst gesagt, daß er mit Jemmy kommen werde? Reitet nicht Old Shatterhand stets einen Rapphengst, wie jeder hören kann, der sich nach ihm erkundigt?« »Hm! Ja, du bist alleweile een gescheiter Kerl, obgleich du in schprachlicher und wissenschaftlicher Beziehung es noch nich bis zu den Anfangsgründen des Contrabasses gebracht hast!« »So sage, ob ich recht habe!« »Ja, du hast dieses Mal recht. Sie sind es. Sie kommen viel eher, als ich dachte. Ich hoffe, daß ihr sie mit gebührender Achtung und Untergebenheit bewillkommnen werdet.« Die drei Reiter waren jetzt herangekommen, hielten ihre Tiere an und stiegen ab. Sie trugen ganz dieselben Waffen und Anzüge, wie damals auf ihrem Ritte nach dem Nationalparke. Die Augen von Helmers und Fred waren besonders auf Old Shatterhand, diesen berühmtesten unter den Jägern, gerichtet. Er trat, ohne Frank nach den beiden Personen gefragt zu haben, zu Helmers, streckte ihm die Hand entgegen und sagte, und zwar gleich in deutscher Sprache: »Ich darf annehmen, daß wir bei Ihnen angemeldet sind, Master Helmers. Hoffentlich sind wir Ihnen nicht unwillkommen.« Helmers schüttelte ihm die Hand und antwortete: »Der Hobble-Frank hat mir freilich gesagt, daß Sie kommen werden, Sir, und diese Nachricht hat mir unendliche Freude bereitet. Ich stelle Ihnen mein ganzes Haus zur Verfügung. Machen Sie es sich bequem, und bleiben Sie so lange wie möglich bei mir!« »Nun, lange Zeit können wir uns nicht verweilen. Wir müssen über die alte Llano hinüber, um da drüben einen zu treffen, welcher uns erwartet.« »Wohl Winnetou?« »Ja! Hat Frank es Ihnen gesagt?« »Er sagte es, und ich wollte, ich könnte mit Ihnen hinüber, um den Häuptling der Apachen zu sehen. Aber, sagt einmal, Sir, woher Sie mich kennen! Sie haben mich sofort bei meinem Namen genannt.« »Meinen Sie etwa, daß ein so außerordentlicher Scharfsinn dazu gehört, Sie für den Besitzer von Helmers Home zu halten? Sie tragen den Hausanzug und gleichen ganz genau dem Bilde, welches man mir von Ihnen gemacht hat.« »So, haben Sie sich nach mir erkundigt?« »Natürlich! Im fernen Westen ist es ratsam, die Leute, welche man aufsucht, möglichst vorher kennen zu lernen. Ich erfuhr, daß Sie ein Deutscher sind, und habe Sie infolgedessen gleich in Ihrer Muttersprache angeredet. Darf ich vielleicht erfahren, wer der andere Master ist?« »Man nennt mich gewöhnlich den Juggle-Fred,« antwortete der einstige Taschenspieler. »Ich bin ein einfacher Prairieläufer, Sir, und darf nicht annehmen, daß mein Name Ihnen bekannt ist.« »Warum nicht? Wer sich so lange Zeit wie ich im Westen herumgetrieben hat, der wird doch wohl von dem Juggle-Fred gehört haben. Sie sind ein tüchtiger Fährtensucher und, was noch besser ist, ein braver Mann. Hier ist meine Hand. Wollen gute Kameradschaft halten, solange es uns erlaubt ist, beisammen zu bleiben. Oder nicht, Sir?« Obgleich im fernen Westen keine Rangesunterschiede gelten, ist man doch gewöhnt, hervorragenden Siegern mit besonderer Achtung zu begegnen. Auf dem glücklich lächelnden Gesichte Freds sprach sich der Stolz aus, welchen er empfand, von Old Shatterhand in dieser Weise ausgezeichnet zu werden. Er ergriff die dargebotene Hand, drückte sie herzlich und antwortete: »Wenn Sie von Kameradschaft sprechen, so ist das eine Ehre für mich, welche ich erst verdienen muß. Ich wollte, ich könnte recht lange bei Ihnen sein, um von Ihnen lernen zu dürfen. Auch ich will über die Estakata. Wenn Sie mir erlauben wollten, mich Ihnen anzuschließen, so würde ich Ihnen außerordentlich dankbar sein.« »Warum nicht? Durch die Llano reitet man am liebsten so zahlreich wie möglich; darum ist es mir sehr lieb, daß Sie sich uns anschließen wollen. Natürlich setze ich voraus, daß nicht der eine auf den Aufbruch des anderen zu warten hat. Wann wollen Sie reiten?« »Ich bin von einer Gesellschaft von Diamondboys als Führer engagiert. Diese Leute wollen heute hier eintreffen.« »So paßt es gut, denn ich will morgen von hier aufbrechen. Da Sie von Diamondboys reden, so darf ich wohl annehmen, daß Sie hinüber ins Arizona wollen?« »Allerdings, Sir!« »Nun, so werden Sie wohl auch Winnetou sehen. Der Ort, an welchem ich mit ihm zusammentreffen werde, liegt in Ihrer Richtung. Jetzt aber will ich Ihnen meine beiden Begleiter vorstellen, damit Sie auch diese kennen lernen.« »Kenne sie bereits, denn ihre Gestalten sind die deutlichsten Visitenkarten, welche man sich denken kann. Uebrigens hat Frank uns bereits ihre Namen genannt.« Indessen hatte Helmers auch Jemmy und Davy begrüßt. Der Neger Bob kam herbei, um die Pferde in seine Obhut zu nehmen; dann setzte man sich nieder, und Helmers ging in das Haus, um einen guten Imbiß für seine Gäste zu bestellen. Einen Trunk brachte er gleich selber mit, und dann saßen die Männer beisammen, um die Ereignisse des gestrigen Tages zu besprechen, welche natürlich und vor allen Dingen erzählt werden mußten. Der Dragoneroffizier hatte gesagt, daß er ausruhen wolle. Er that dies aber, als ihm die eine Giebelstube angewiesen worden war, keineswegs. Er hatte den Riegel vorgeschoben und schritt nachdenklich in dem Raume auf und ab. Dieser letztere lag nach Norden zu, und so kam es, daß er die Ankunft der drei Reiter bemerkt hatte. Er war an das Fenster getreten und betrachtete sie sehr genau. »Wer mögen diese Kerls sein, und wohin mögen sie wollen?« fragte er sich. »Höchst wahrscheinlich haben sie auch die Absicht, durch die Llano zu gehen. Das ist bedenklich. Der eine ist außerordentlich gut beritten. Er macht den Eindruck eines erfahrenen Westmannes. Wenn diese Leute auf die Fährte der deutschen Einwanderer geraten, so können sie uns sehr leicht den famosen Streich verderben. Schon vor dem Juggle-Fred hat man sich in acht zu nehmen. Ein Glück, daß die Diamondboys nicht nach Helmers Home kommen werden! Da wird er auf ihre Ankunft so lange hier warten, bis er uns nicht mehr schaden kann. Ich muß versuchen, auch diese drei zu veranlassen, hier zu bleiben, bis wir unseren Coup ausgeführt haben. Meine Uniform ist echt, und wenn Helmers keinen Verdacht geschöpft hat, so werden auch diese Neuangekommenen nicht auf den Gedanken kommen, daß ich der verkleidete Anführer der ›Llano-Geier‹ bin.« Er wartete noch eine Weile und ging dann hinab, um sich zu den Männern zu gesellen, welche jetzt essend vor dem Hause saßen. Dieser verkleidete Dragoner war kein anderer als jener Stewart, welcher gestern mit seinen Leuten die beiden Komantschen angegriffen und verfolgt hatte und dann mit den beiden Snuffles zusammengetroffen war. Die kleine Hasenscharte konnte man heute nicht sehen, weil er sie durch den niederhängenden Schnurrbart verdeckt hatte. Als er unten ankam, war Old Shatterhand von den gestrigen Vorkommnissen bereits unterrichtet, und Helmers hatte eben erwähnt, daß ein Offizier angekommen sei. Als der Wirt den letzteren erblickte, fuhr er fort: »Da kommt der Kapt'n. Er kann also selbst erzählen, in welcher Absicht er sich hier befindet. Holla, Frau, noch einen Teller für den Offizier!« Dieser Ruf galt der Hausfrau, welche am Fenster erschienen war, um nach den Gästen zu sehen. Der Teller wurde gebracht, und der Offizier setzte sich mit zum Essen nieder. Er erschrak nicht wenig, als er die Namen der drei zuletzt Gekommenen hörte, gab sich aber alle Mühe, seinen Schreck nicht bemerken zu lassen. Nichts konnte ihm so unwillkommen wie die Anwesenheit Old Shatterhands sein. Er musterte denselben mit scharfem Blicke; der berühmte Jäger sah das sehr wohl, that aber ganz so, als ob er es nicht bemerke, und gab sich den Anschein, als ob er der Person des Offiziers nur eine ganz gewöhnliche Aufmerksamkeit widme. Dieser letztere wiederholte seinen Bericht, den er bei seiner Ankunft gegeben hatte. Es entging ihm dabei, daß Old Shatterhand seinen Hut tiefer in das Gesicht zog und unter der Krempe desselben hervor den Sprecher heimlich betrachtete. Als dieser geendet hatte, fragte der Jäger in sehr harmlosem Tone: »Und wo sagt Ihr, daß Eure Truppe liege, Sir?« »Bei Fort Sill da oben.« »Von dort aus habt Ihr Eure Rekognoszierung begonnen?« »Ja!« »Also seid Ihr in Fort Sill gewesen und kennt die Gegend und die dortigen Verhältnisse genau?« »Natürlich!« »Ich war bereits vor längeren Jahren einmal dort, als Colonel Olmers dort kommandierte. Wie heißt der jetzige Kommandant?« »Es ist Colonel Blaine.« »Kenne den Mann nicht. Habt Ihr ihn gesehen und mit ihm gesprochen?« »Das versteht sich ja ganz von selbst.« »Und Eure Dragoner werden dieser Tage hier ankommen? Wie schade, daß sie nicht bereits heute oder morgen kommen! Wir könnten mit ihnen durch die Llano reiten, was wegen unserer Sicherheit von sehr großem Vorteile für uns wäre.« »So wartet doch ihre Ankunft ab!« »Dazu habe ich leider weder Zeit noch Lust.« »Nun, einen Tag könnt Ihr doch wohl versäumen. Dieser Zeitverlust wird jedenfalls reichlich aufgewogen durch den Vorteil, den Euch eine solche Bedeckung bietet.« »Einen Tag? Hm! Meint Ihr wirklich, daß es sich um nur einen Tag handeln würde?« »Ja, allerhöchstens um zwei Tage.« »Da sind wir freilich sehr verschiedener Meinung!« »Wieso?« »Weil ich überzeugt bin, daß Eure Dragoner niemals hier ankommen werden.« »Wie kommt Ihr auf diesen eigentümlichen Gedanken, Sir?« »Ich weiß sehr genau, daß in oder bei Fort Sill sich keine Truppe befindet, welche die Aufgabe hat, sich in die Llano zu begeben.« »Oho! Soll ich etwa annehmen, daß Ihr mich Lügen strafen wollt?« fragte der Offizier in aufbrausendem Tone. »Ja, das sollt Ihr! Ich erkläre allerdings, daß Ihr ein Lügner seid,« antwortete Old Shatterhand ebenso ruhig wie bisher. »Alle Teufel! Wißt Ihr, daß dies eine Beleidigung ist, welche nur mit rotem Blute abgewaschen werden kann?« »Ja, eigentlich müßten wir uns schlagen; das ist wahr, nämlich wenn Ihr wirklich ein Offizier der Vereinigten Staaten-Truppen wäret, was aber keineswegs der Fall ist.« »Auch das noch!« rief Stewart, indem er sich drohend erhob. »Ich gebe Euch mein Ehrenwort, daß ich es bin, und übrigens muß Euch meine Uniform beweisen, daß Ihr einen militärischen Gentleman vor Euch habt. Glaubt Ihr es aber selbst nun noch nicht, so muß ich Euch ersuchen, zur Waffe zu greifen!« Old Shatterhand blickte ihm lächelnd in das Gesicht und antwortete: »Regt Euch nicht auf, Sir! Wenn Ihr jemals meinen Namen gehört habt, so werdet Ihr wissen, daß ich ein Mann bin, der nur sehr schwer zu täuschen ist. Ich schlage mich mit keinem Schurken, und wenn Ihr es dennoch auf einen Kampf ankommen lassen wollt, so bin ich bereit, Euch mit einem einzigen Griffe den Hals umzudrehen.« »Mensch!« schrie Stewart, indem er eine seiner beiden Pistolen aus dem Gürtel riß. »Sagt noch ein solches Wort, so schieße ich Euch über den Haufen!« Er hatte diese Drohung noch nicht ganz ausgesprochen, so stand Old Shatterhand schon vor ihm, riß ihm die Pistole aus der Hand und zugleich die andere aus dem Gürtel und sagte, dieses Mal aber in einem ganz anderen Tone: »Nicht so vorwitzig, Mann! Gewöhnlich pflegt derjenige, welcher eine Waffe auf mich anlegt, verloren zu sein; für dieses Mal aber will ich Euch noch schonen, da ich keinen direkten, sondern nur einen indirekten Beweis gegen Euch habe. Zunächst will ich Eure Schießdinger unschädlich machen.« Er schoß beide Pistolen ab und fuhr fort: »Und sodann will ich Euch sagen, daß ich von Fort Sill komme und den Kommandanten sehr genau kenne. Der vorige hieß allerdings Blaine, ist aber vor drei Wochen abberufen und durch Major Owens ersetzt worden, was Ihr noch nicht zu wissen scheint. Ihr wollt vor noch nicht ganz einer Woche von Fort Sill weggeritten sein und müßtet, wenn dies wahr wäre, Major Owens kennen. Da dies nicht der Fall ist, so seid Ihr also nicht dort gewesen, und die Geschichte von Euren Dragonern und ihrem Zuge in die Llano estakata ist Schwindel!« Stewart befand sich in größter Verlegenheit; er versuchte, dieselbe zu verbergen, und sagte: »Nun gut, so will ich zugeben, daß meine Truppe nicht bei Fort Sill steht. Aber ist das hinreichend, die Sache für Schwindel zu halten? Ich bin zur Vorsicht genötigt und darf den eigentlichen Aufenthaltsort meiner Leute nicht verraten.« »Schwatzt mir nicht solches Zeug vor! Gegen mich braucht Ihr nicht so verschwiegen zu sein. Ich denke, daß jeder Offizier froh sein würde, Old Shatterhand zum Vertrauten zu haben. Uebrigens sehe ich Euch jetzt nicht zum erstenmal. Seid Ihr nicht einmal in Los Animas wegen Ueberfall eines Bahnzuges in Untersuchung gewesen? Es gelang Euch, mit Hilfe einiger Schurken ein Alibi beizubringen; schuldig waret Ihr aber doch. Ihr wurdet zwar freigesprochen, entginget aber nur durch schleunige Flucht dem Richter Lynch.« »Das war ich nicht!« »Leugnet es nicht! Euer Name war damals Stuart oder Stewart oder so ähnlich. Wie Ihr Euch jetzt nennt, und welchen Zweck Eure gegenwärtige Maskerade hat, das weiß ich nicht und will es auch nicht untersuchen. Hebt einmal Euren Schnurrbart empor! Ich bin überzeugt, daß da ein kleines Hasenschärtchen zu sehen sein wird.« »Wer berechtigt Euch, ein solches Verhör mit mir anzustellen?« fragte Stewart in ohnmächtigem Zorne. »Ich selbst. Uebrigens brauche ich Euren Mund nicht zu sehen. Ich weiß ohnedies, woran ich mit Euch bin. Hier habt Ihr Eure Waffen. Trollt Euch aber schleunigst von dannen und seid froh, für dieses Mal noch so leicht weggekommen zu sein! Hütet Euch aber, mir wieder in den Weg zu kommen! Die nächste Begegnung könnte unangenehmer für Euch ablaufen.« Er warf ihm die abgeschossenen Pistolen vor die Füße. Stewart hob sie auf, steckte sie zu sich und sagte: »Das, was Ihr gegen mich vorbringt, ist einfach lächerlich. Jedenfalls verwechselt Ihr mich mit einem anderen. Darum will ich es Euch verzeihen. Ich habe meine Papiere oben in der Stube und werde sie Euch herabbringen. Ich bin überzeugt, daß Ihr mich um Verzeihung bitten werdet.« »Das bildet Euch nicht ein! Ein Westmann lacht Eurer Papiere, welche höchst wahrscheinlich gestohlen sind. Macht es Euch aber Spaß, so holt sie herab und zeigt sie diesen anderen. Ich brauche sie nicht zu sehen.« Stewart ging. »Welch ein Auftritt!« sagte Helmers. »Seid Ihr Eurer Sache wirklich gewiß, Sir?« »Ganz und gar,« antwortete Old Shatterhand. »Habe ich es mir nich gleich gedacht!« fiel der Hobble-Frank ein. »Der Kerl hat een vollschtändig ehrenbürger-rechtswidriges Angesicht. Ich hab' ihm ooch schon meine Meenung successive beigebracht; aber er zog sich mit eleganter Präterpropter aus der Schlinge. Unsereener ist doch ooch in Arkadien gewesen und hat den Hippokrates beschtiegen, um in den dichterischen Menschenkenntnissen seinen wichtigen – –« »Hippogryph, Hippogryph, und nicht Hippokrates!« rief ihm Jemmy zu. »Schweig, altes, dickes Hippodrom! Siehste, kaum biste da, so geht der Schtreit wieder los! Du kannst's eben nich lassen, dich dadrüber zu ärgern, daß ich gescheiter bin als du. Alle Wörter, die mit Hippo anfangen, schtammen aus dem Sanskrit, und in diesem bin ich dir weit und breit über.« »Nein! Hippo ist griechisch!« »Griechisch? Haben Sie die Güte, Herr Jemmy Pfefferkorn! Was verschtehst denn du vom Griechischen! Du weeßt vielleicht nich mal, wie Alexander dem Großen sein Schimmel geheeßen hat.« »Nun, wie denn?« »Minotaurus natürlich!« »Ach so! Ich denke Bukephalos!« »Da biste freilich schief gewickelt. Das mit dem Bukephalos ist eene euphemistische Konjugation der olympischen Gebirge mit der karthageniensischen Justiz. Bukephalos war derjenige Besitzer eener Nähmaschinenfabrik in Karthago, welcher seinem Kassierer, als dieser ihm mit dem feuerfesten Geldschrank durchgegangen war, die telegraphische Depesche nach Cincinnati nachschickte: ›Carus, Carus, gib mir meine Millionen wieder!‹ Nee, der Schimmel hieß Minotaurus. Es ist das ganz derselbige Schimmel, off welchem kurze Zeit schpäter in der Schlacht bei Cannä der Stallmeester Froben erschossen wurde.« »Aber, Frank, das geschah doch in der Schlacht bei Fehrbellin!« »Unsinn! In der Schlacht bei Fehrbellin besiegte Andreas Hofer die Westgoten, weshalb es in dem schönen Hoferliede heeßt: ›Den Tod, den er so manches Mal Von Fehrbellin gesandt ins Thal; Kanonen sind schtets hohl, Leb' wohl, mein Land Tirol!‹ Und wenn du meiner inklusiven Intelligenz keen Vertrauen schenken willst, so frage unseren Herrn Old Shatterhand. Der ist in allen Künsten und Wissenschaften au plaid und mag entscheiden, wer recht hat, du oder ich.« »Beschäftigen wir uns nicht mit solchen wissenschaftlichen Dingen,« lächelte der Genannte. »Es gibt jetzt andere Sachen, welche unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen.« »Ganz richtig! Die Schlacht von Fehrbellin ist zwar von ziemlicher Wichtigkeet, aber hier an der Llano estakata hat sie doch nich die Bedeutung allererschter Hofrangsordnung höchsten Grades. Wir schtehen hier off derjenigen teleskopischen Peripherie, von welcher die Geistesfunken unterirdischer Gedankenblitze ganz genau nach dem bekannten Gesetze abprallen müssen, daß der Einfaltspinsel genau gleich dem Ausfaltspinsel ist, was jeder Billardschpieler an seinen Bällen ersehen kann. Wir als Westmänner dürfen nich in eener höheren epileptischen Sphäre schwärmen. Wir müssen uns den Grausamkeeten des schwefel- und salpetersauren Erdenlebens anbequemen und dürfen ja nich denken, daß uns jede Schtunde een Sonett vom alten Dessauer oder gar eenen Monolog der Gebrüder Toussaint-Langenscheidt bringen muß. Wir müssen vielmehr die Gelegenheet bei den Hörnern ergreifen. Wir sind fürs praktische Leben beschtimmt, wie Schiller in seinem Nokturne vom Moskauer Glockenturme sagt: ›Der Mann schtürzt sich blind ins feindliche Leben, Muß schtoßen und schtreben, Erraffen und gaffen, Um Geld anzuschaffen, Muß wetten und wagen Mit hungrigem Magen Und schticht mit der häuslich schnurrenden Schpindel Zu Tod alles Mord- und Galgengesindel!‹ Grad so, wie wir es mit den Geiern der Llano estakata machen werden.« Vielleicht hätte er noch mehrere dieser schauderhaften Reime verbrochen, wenn ihm nicht der dicke Jemmy zugerufen hätte: »Halt ein, halt ein! Willst du uns alle dem Verderben weihen! Gönne dem armen Dichter die ewige Ruhe; wir haben von ganz anderen Dingen zu reden, wie du gehört hast.« Frank rüstete sich zu einer zornigen Erwiderung, doch Old Shatterhand schnitt ihm das Wort ab: »Ganz richtig! Unser guter Hobble-Frank hat sich zwar wieder einmal als ausgezeichneter Kenner der deutschen Nationallitteratur bewährt; aber so bedeutend die in seinem Gedächtnisse aufgespeicherten Schätze sind, in unserer gegenwärtigen Lage können wir nicht aus ihnen schöpfen. Wir haben keine Zeit dazu, sondern wir sind gezwungen, alle schönwissenschaftlichen Betrachtungen aufzugeben, um uns mit den Notwendigkeiten der gegenwärtigen Lage zu beschäftigen.« So wurde nun die Unterhaltung auf ernstere Gegenstände geleitet. Old Shatterhand erkundigte sich eingehender nach dem Geschehenen, besonders nach Bloody-Fox, für den er sich sehr zu interessieren schien. Er fragte auch nach den Diamond-Boys, welche der Juggle-Fred erwartete, um sie durch die Llano zu führen. Sodann wurde von dieser letzteren ausführlich gesprochen. Jeder hatte Schreckliches von ihr erfahren, und so hätte sich die Unterhaltung wohl noch lange hingezogen, wenn nicht der Neger Bob mit Helmers' Schwarzen erschienen wäre und mit demselben eine Unterbrechung gebracht hätte. Dieser letztere erkundigte sich nämlich bei seinem Herrn: »Massa Helmers fragen, wohin thun viel Pferde, wenn nachher kommen?« »Welche Pferde?« fragte der Wirt. »Pferde von Soldaten, welche Offizier fortreiten und holen.« »Ah! Er ist fortgeritten?« »Ja, sein fort. Haben vorher sagen, daß will holen viele Reiter nach Helmers Home.« »Er hat sich also heimlich entfernt! Das beweist, daß er kein gutes Gewissen hat. Wo hinaus ist er denn?« »Haben legen Sattel auf Pferd, Pferd aus Stall ziehen, sich aufsetzen, um Stall hinum reiten und dann fort, dahin.« Beim letzten Worte deutete der Neger nach Norden. »Das ist verdächtig. Man sollte ihm nachreiten. Er sagt, daß sie gewiß kommen werden, daß er sie hier erwarten soll, und reitet ihnen doch entgegen. Ich habe große Lust, ihn einzuholen, um ihn zu fragen, warum er es uns nicht vorher gesagt hat, daß er fort will.« »Thut es immerhin,« sprach lächelnd Old Shatterhand. »Ihr würdet nicht weit nach Norden kommen!« »Warum?« »Weil diese Richtung jedenfalls nur eine Finte von ihm ist. Der Mann ist kein Offizier und trägt doch die Uniform eines solchen. Er führt also nichts Gutes im Schilde. Da er sich durchschaut sah, so hielt er es für geraten, zu verschwinden, und schlägt natürlich eine ganz andere Richtung ein, als diejenige ist, nach welcher er eigentlich will.« »Aber wohin sollte er wollen? Im Westen und Südwesten liegt die Llano; im Süden ist er gewesen, denn dort kam er her; im Osten hat er nichts zu suchen, also bleibt nur der Norden übrig, wohin er auch geritten ist.« »Master Helmers, nehmt es mir nicht übel, wenn ich behaupte, daß Ihr Euch irrt. Ich nehme das gerade Gegenteil von dem an, was dieser Mensch gesagt hat. Er ist aus dem Süden gekommen und reitet nach Norden; gut, so bin ich überzeugt, daß er nach dem Süden will. Ich wette, wenn wir seiner Fährte folgen, so werden wir sehr bald bemerken, daß sie die Richtung in die entgegengesetzte ändert. Das, was er vom Militär erzählte, war Schwindel.« »Das glaube ich nun selbst auch. Aber warum habt Ihr ihn denn fortgelassen?« »Weil ich ihm ganz und gar nichts zu befehlen habe, und weil ich ihm nichts Unrechtes beweisen kann.« »So sagt mir wenigstens, in welcher Absicht er zu mir gekommen ist!« »Ihr scheint mich für allwissend zu halten. Ich kann eben auch nichts anderes als nur Vermutungen hegen. Für mich steht so viel fest, daß er hierher gekommen ist, um sich über irgend etwas zu unterrichten, um irgend etwas zu erfahren. Was kann das sein? Euer Home ist für viele der Ausgangspunkt der Reise durch die Llano. Ich vermute, daß er hat nachschauen wollen, ob es gegenwärtig hier bei Euch Leute gibt, welche diese Reise unternehmen wollen. Er muß ein Interesse für solche Leute haben, einen Nutzen von ihnen erwarten. Nun sagt einmal, welcher Art dieses Interesse, dieser Nutzen sein könnte.« »Hm!« brummte Helmers. »Ich weiß, Ihr haltet den Mann für einen Savannengeier.« »Allerdings thue ich das.« »So hätten wir ihn nicht fort lassen, sondern unschädlich machen sollen. Aber freilich war das ohne Beweise gegen ihn unmöglich. Er hat erfahren, daß Juggle-Fred die Diamond-Boys erwartet. Vielleicht ist er jetzt fort, um die Vorbereitungen zum Ueberfalle derselben zu treffen.« »Das erscheint mir nicht nur als wahrscheinlich, sondern als gewiß. Dieser Mann befindet sich nicht allein in dieser Gegend. Er hat jedenfalls noch andere bei sich, welche irgendwo auf seine Rückkehr warten. Wir haben ihm nichts thun dürfen; ich durfte ihn nicht halten, obgleich ich wußte, daß er sich fortschleichen werde. Nun er aber fort ist, werde ich mich wenigstens überzeugen, ob ich richtig oder falsch vermute. Ich werde jetzt einmal seiner Spur folgen. Seit wann ist er fort?« »Es sein eine Stunde und eine halbe vielleicht,« antwortete der Neger, an welchen diese Frage gerichtet war. »So muß man sich sputen. Hat jemand Lust, mitzureiten?« Sie meldeten sich alle. Old Shatterhand wählte sich den Juggle-Fred aus, jedenfalls um ihn besser kennen zu lernen. Während eines solchen Rittes mußte es Gelegenheit geben, ihn einer kleinen Prüfung zu unterwerfen. Mit dieser Entscheidung war Frank sehr unzufrieden. Er sagte zu dem berühmten Westmanne: »Aber, Verehrtester, eenen andern mitzunehmen, das is keene große Offmerksamkeet für eenen Mann von meinen Meriten! Oder haben Sie etwa die Ansicht, daß ich mich bei der Beurteelung eener Schpur nich ooch nützlich machen könnte? Wenn ich mitreiten dürfte, so würde ich das als eene ganz besondere geographische Gratifikation betrachten.« »So?« fragte Old Shatterhand lächelnd. »Womit haben Sie sich denn diese Gratifikation wohl verdient?« »Zunächst im allgemeinen durch meine irdische Existenz überhaupt. Zweetens durch den Umschtand, daß ich nich weniger neugierig bin als andere. Und drittens dadurch, daß ich vielleicht doch noch etwas lernen könnte, wenn Sie die Gewogenheet haben wollten, mich mitzunehmen.« »Meinen Sie wirklich, noch etwas lernen zu können? Das ist eine Bescheidenheit, welche belohnt werden muß. Sie sollen also mit.« »Schön!« nickte Frank. »Ich widme Ihnen hiermit meinen geneigtesten › Merci, Monsieur! ‹ Mit meiner anerkennenswerten Bescheidenheet habe ich den anderen een leuchtendes Beischpiel zur geduldigen Nachahmung geben wollen, quod Eduard demonschtrandus! « Er stieg mit stolzen Schritten davon, um sich nach dem Stalle zu seinem Pferde zu begeben. Helmers machte Old Shatterhand darauf aufmerksam, daß er ihm zu diesem Ritte einige gute und ausgeruhte Pferde zur Verfügung stellen könne, und der letztere nahm dies Anerbieten gern an. Die beiden Schwarzen mußten drei Tiere von der Weide holen, um sie zu satteln, und dann ritten Old Shatterhand, Fred und Frank davon, gleich vom Stalle aus der Spur des Offiziers folgend. Diese führte allerdings nach Norden, aber nur eine kurze Strecke; dann bog sie über Osten nach Süden um und nahm endlich gar eine südwestliche Richtung an. Auf diese Weise war Stewart fast drei Vierteile eines Kreises geritten, und zwar hatte dieser Kreis einen auffällig kleinen Durchmesser. Old Shatterhand ritt voran, weit nach vorn gebeugt, um die Spuren fest im Auge zu haben. Als er sich überzeugt hatte, daß dieselben nicht mehr aus der Richtung wichen, sondern von nun an eine schnurgerade Linie bildeten, hielt er sein Pferd an und fragte: »Master Fred, was sagt Ihr zu dieser Fährte? Werden wir ihr trauen dürfen?« »Jedenfalls, Sir,« antwortete der Gefragte, welcher wohl merkte, daß Old Shatterhand ihn ein wenig ins Examen nehmen wolle. »Von hier an bekennt der Kerl Farbe. Er reitet schnurstracks nach der Llano, und – – –« Er hielt bedenklich inne. »Nun, und – – –?« »Es scheint, daß er es sehr eilig hat. Der Kreisbogen, den er um Helmers Home geschlagen hat, ist sehr eng; er hat sich nicht Zeit genommen, einen größeren Umweg zu machen. Auch ist er in gestrecktem Galopp geritten. Es muß ihn irgend etwas sehr schnell vorwärts treiben.« »Und was mag das sein?« »Ja, wenn ich das sagen könnte, Sir. Da bin ich aber leider mit meinen Kenntnissen zu Ende. Vielleicht erratet Ihr es leichter als ich.« »Aufs Erraten will ich mich nicht einlassen. Es ist besser, wir gehen sicher. Wir haben ja Zeit und können einige Stunden riskieren. Folgen wir der Fährte möglichst schnell.« Sie setzten ihre Pferde nun auch in Galopp. Das konnten sie sehr wohl, da die Spur so deutlich war, daß das Lesen derselben nicht den geringsten Aufenthalt machte. Es war sehr bald zu sehen, daß Helmers Home sich auf der Grenze des kulturfähigen Landes befand. Die Gegend veränderte sehr schnell ihren Charakter. Nördlich von der Niederlassung hatte es noch Wald gegeben. Südlich von ihr sah man nur noch einzelne Bäume, welche auch verschwanden. Das Gesträuch wurde dünner und seltener; das Büffelgras hörte auf, und an seine Stelle trat Bärengras, ein untrügliches Zeichen, daß der Boden an Sterilität zunahm. Dann zeigte sich immer häufiger der nackte, trockene Sand, und die bisher wellenförmige Oberfläche der Steppe ging in die Form der ununterbrochenen Ebene über. Nun gab es Sand und überall Sand, nur zuweilen unterbrochen von einer Bärengrasinsel, überragt von den dunkelbraunen Kolben der Blütenstengel. Später gab es selbst dieses Gras nicht mehr, und an die Stelle desselben traten dichter Stachelrasenkaktus und lang gestreckte, schlangenartig kriechende Cereusarten. Stewart hatte diese mit Kaktus bewachsene Stellen vermieden, da die Stacheln dieser Pflanzen den Pferden leicht gefährlich werden können. Er hatte nur zuweilen seinem Tiere eine kurze Zeit zum Verschnaufen gegeben; dann war es, wie die tief eingegrabenen Tapfen zeigten, wieder gezwungen worden, in Galopp zu fallen. So ging es weiter und weiter. Ueber zwei Stunden waren vergangen, seit die drei Reiter Helmers Home verlassen hatten. Es waren von ihnen wenigstens fünfzehn englische Meilen zurückgelegt worden, und doch wollte es ihnen nicht gelingen, den Reiter zu sehen, welchem sie folgten. Helmers Pferde waren nicht im stande, den Vorsprung, welchen er hatte, einzuholen. Da bemerkten sie einen dunklen Streifen, welcher sich von links her spitz in die sandige Ebene schob. Es war eine Erderhöhung, welche aus fruchtbarerem Boden bestand, aber doch nur anspruchslose Mezquitesträucher trug. Die Spur zog sich nach dieser zungenartigen Einschiebung hin, welche die drei Reiter in weniger als zwei Minuten erreichen mußten. Da aber hielt Old Shatterhand sein Pferd an, deutete vorwärts und sagte: »Vorsicht! Dort hinter den Sträuchern scheinen Menschen zu sein. Habt ihr nichts gesehen?« »Nein,« antwortete Fred. »Mir aber war es ganz so, als ob sich Wer oder Was bewegte. Wollen uns nach links halten, um das Mezquitegebüsch dazwischen zu bringen.« Sie schlugen einen Bogen und trieben ihre Pferde an, um die offene Strecke, auf welcher sie so deutlich gesehen werden konnten, möglichst schnell hinter sich zu legen. Als sie dann das Gebüsch erreichten, stieg Old Shatterhand ab. »Bleibt hier zurück und haltet mein Pferd!« sagte er. »Ich will rekognoszieren. Nehmt aber die Waffen zur Hand und seid vorsichtig. Sollte ich schießen müssen, so kommet schnell nach!« Er bückte sich nieder und schob sich zwischen die Büsche, hinter denen er verschwand. Noch waren kaum drei Minuten vergangen, so kehrte er zurück. Ein vergnügtes Lächeln spielte um seine Lippen. »Der Offizier ist es nicht,« sagte er. »Auch sind es nicht Kumpane desselben, welche sich da jenseits der Sträucher befinden. Ich glaube, wir machen eine sehr interessante Bekanntschaft. Master Fred, habt Ihr vielleicht einmal von den beiden Snuffles gehört?« »Von denen? Nicht bloß gehört habe ich von ihnen, sondern ich kenne sie sogar.« »Wirklich? Nun, so steigt einmal ab und kommt mit! Ich habe sie noch nie gesehen, aber den Nasen nach müssen sie es sein.« »Wie sind sie denn gekleidet?« »Wollene Hosen und Oberhemden, Schnürschuhe und Biberhüte, Gürtel aus Klapperschlangenhaut, und die Decken haben sie wie Mäntels von den Schultern hängen.« »Das sind sie! Habt Ihr ihre Pferde gesehen?« »Es sind nicht Pferde, sondern Maultiere.« »So ist es gar kein Zweifel; sie sind es, Jim und Tim mit Polly und Molly. Hei, wird das eine Ueberraschung geben! Ich habe – – –« »Leise, leise!« warnte Old Shatterhand. »Sie sind nicht allein. Es ist ein junger Indsman bei ihnen.« »Thut nichts, Sir! Wer bei den beiden Snuffles ist, der ist mir nicht gefährlich. Ich war mit ihnen monatelang droben in den schwarzen Bergen, um Biber zu fangen. Wir hatten ein Zeichen verabredet, um uns schon aus größerer Ferne zu erkennen. Ich werde es ihnen jetzt hören lassen und will sehen, wie sie sich dabei benehmen. Was machen sie denn?« »Sie sitzen im Schatten des Gebüsches und ruhen sich aus.« »Und ihre Maultiere?« »Knappern sich die wenigen Blätter von den Zweigen.« »Sind nicht angehängt?« »Nein.« »So werdet Ihr gleich erfahren, daß Polly und Molly ebenso klug sind wie Jim und Tim. Ich wette, daß die beiden Maultiere ebenso schnell hier bei mir sind wie ihre Herren. Paßt einmal auf, Sir!« Er steckte zwei Finger in den Mund und ließ einen lang gezogenen, trillernden Pfiff hören. Es ertönte keine Antwort. »Sie sind zu überrascht,« meinte Fred. »Also noch einmal!« Er wiederholte den Pfiff, und kaum war das geschehen, so ließen zwei Tierstimmen ein schmetterndes, trompetenartiges Eselsgeschrei hören; es prasselte in den Büschen, und alles, was ihnen im Wege stand, niederreißend, kamen die beiden Maultiere quer durch die Sträucher herbeigesprungen. Hinter ihnen ertönte eine laute Stimme: »Hallo! Was ist denn da los! Dieser Pfiff in der einsamen Llano! Sollte es möglich sein? Fred, der Juggle-Fred!« »Ja, der Juggler! Kein anderer ist's!« rief eine andere Stimme. »Mach voran! Ich komme auch. Er ist's, denn das Viehzeug hat ihn schon erkannt und sich zu ihm hinübergeschlängelt.« Es prasselte abermals in den Büschen und dann brachen die beiden Brüder aus denselben hervor, Jim voran und Tim hinter ihm her. Als sie Fred sahen, eilten sie, ohne auf die anderen zu achten, auf ihn zu und umarmten ihn, einer von vorn, der andere von hinten. »Halt, Kerls, drückt mich nicht tot!« wehrte der einstige Kunstreiter sie von sich ab. »Ich will mich wohl gern umärmeln lassen, aber einzeln, einzeln, nicht von zwei solchen Bären, wie ihr seid, zu gleicher Zeit!« »Keine Sorge! Wir erdrücken dich nicht!« meinte Jim. »Nein, der Juggle-Fred so unerwartet hier! Das ist wahrhaftig das höchste der Gefühle! Aber wie kommst du denn auf den Gedanken, zu pfeifen? Wußtest du, daß wir da hinter dem Gebüsche steckten?« »Jawohl. Ihr seid mir die richtigen Westmänner! Laßt euch beschleichen und betrachten und beobachten, ohne das Geringste zu bemerken! Hoffentlich seid ihr ganz erstaunt, mich hier an der Llano zu sehen?« »Gar so sehr nicht, alter Freund. Zwar überrascht es uns, dich hier zu treffen; aber daß du dich in der Nähe befindest, haben wir gewußt.« »Gewußt? Wie denn, von wem denn?« »Ah, nicht wahr, da wunderst du dich? Sind dir nicht sechs Männer bekannt, deren Anführer Gibson heißt und ein Lawyer ist?« »Ja. Ich erwarte sie in Helmers Home, denn ich soll sie durch die Llano führen. Seid ihr etwa mit ihnen zusammengetroffen?« »Freilich. Sie nannten uns deinen Namen. Wir hielten es nicht für nötig, ihnen zu sagen, daß wir dich so genau kennen, sondern wir teilten ihnen nur mit, daß wir von dir gehört hätten.« »So verleugnet ihr mich, ihr Schlingels! Wo stecken die Kerls denn? Und was treibt ihr hier hinter diesen Büschen?« »Davon später. Jetzt möchten wir vor allen Dingen wissen, wer die beiden Masters sind, welche du bei dir hast.« »Das könnt ihr sofort erfahren. Dieser berühmte Sir mit dem Amazonenhute auf dem Kopfe heißt Hobble-Frank und ist – – –« »Doch nicht etwa der große deutsche Gelehrte, welcher sich mit Winnetou und Old Shatterhand damals um den Yellowstonepark herumgeschlängelt hat?« fiel Tim ihm in die Rede. »Der hat doch wohl Hobble-Frank geheißen.« Der »große deutsche Gelehrte«, das hatte Tim scherzhaft gemeint; aber Frank nahm es sehr ernst und antwortete infolge dessen selbst: »Ja, der Hobble-Frank bin ich, Sir. Woher kennt Ihr mich denn?« »Wir haben droben im Blackbird-River von Euren Erlebnissen gehört, Sir, und Eure Thaten sehr bewundert. Und der andere Herr, Fred, wer ist er?« Der Blick des Fragers war auf Old Shatterhand gerichtet. »Dieser Sir?« antwortete Fred. »Seht ihn euch einmal an! Wer mag der wohl sein?« Sie brauchten nicht zu raten; es wurde ihnen gesagt. Eisenherz, der junge Komantsche, war auch herbeigekommen. Eben trat er zwischen den Sträuchern hervor. Er sah Old Shatterhand stehen, hörte die Worte Freds und sagte: »Nina-nonton, ›die zerschmetternde Hand‹! Shiba-bigk, der Sohn der Komantschen, ist zu jung, einem so berühmten Krieger in das Antlitz schauen zu dürfen.« Er wendete sich nach indianischer Sitte zur Seite. Old Shatterhand aber trat rasch auf ihn zu, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Ich erkenne dich, obgleich mehrere Winter vergangen sind und du größer geworden bist, seit ich dich sah. Du bist der Sohn meines Freundes Tevua-shohe, des Häuptlings der Komantschen, mit welchem ich die Pfeife des Friedens rauchte. Er war ein tapferer Krieger und ein Freund der Weißen. Wo hat er sein Zelt jetzt aufgeschlagen?« »Sein Geist ist unterwegs nach den ewigen Jagdgründen, welche er erst dann betreten darf, wenn ich seinen Mördern die Skalpe genommen habe.« »Tot? Feuerstern ist tot? Ermordet?« rief Old Shatterhand. »Sag, von wem?« »Shiba-bigk spricht nicht davon. Frage meine beiden weißen Freunde, welche seine Leiche gesehen und heute früh mit begraben haben!« Er zog sich wieder zwischen die Büsche zurück. Als Old Shatterhand sich zu den anderen wandte, sah er die Augen der beiden Snuffles mit achtungsvollen Blicken auf sich gerichtet. Er gab beiden die Hand und sagte: »Es scheint, daß ihr uns Interessantes zu erzählen habt. Feuerstern war einer meiner roten Freunde; ich muß wissen, wer ihn ermordet hat. Hier brennt die Sonne. Suchen wir den Schatten auf, in welchem ich euch vorhin sitzen sah. Dort könnt ihr mir berichten, was geschehen ist.« Jim und Tim schritten direkt quer durch die Büsche. Die drei anderen führten ihre Pferde um das Gesträuch herum. Dort hatte der junge Komantsche sich bereits wieder niedergesetzt. Die Weißen thaten dasselbe und Jim begann das gestrige Erlebnis zu erzählen. Es wurde englisch gesprochen. Aus diesem Grunde kam der Erzähler ohne Störung an das Ende seines Berichtes. Hätte er sich der deutschen Sprache bedient, so wäre der Hobble-Frank jedenfalls bemüht gewesen, hier und da eine seiner berühmten Bemerkungen anzubringen. Als Jim sein Zusammentreffen mit dem jungen Komantschen erzählt hatte, fuhr er fort: »Als der Morgen anbrach, haben wir dem toten Häuptling ein interimistisches Grab bereitet, wo er liegen soll, bis seine Krieger kommen, ihm ein würdiges Mal zu errichten. Dann aber machten wir uns an die Verfolgung der Mörder.« »Ich dachte, ihr wolltet nach Helmers Home!« bemerkte Old Shatterhand. »Ja, das war unsere ursprüngliche Absicht. Aber es gab keinen Grund, welcher uns zwang, dieses Vorhaben auszuführen. Wir hatten mit Eisenherz, dem jungen, wackeren Krieger, Freundschaft geschlossen, und natürlich seine Sache zu der unsrigen gemacht; er brannte darauf, sich sofort auf die Fährte der Mörder zu legen, und so sahen wir von Helmers Home ab und ritten mit ihm.« »Das kann ich nur loben. Ist es euch gelungen, der Fährte zu folgen?« »Ja. Es hatte freilich seine Schwierigkeiten. Die Kerls waren südwärts geritten, bis zu einer Stelle, an welcher sie sich geteilt hatten, um eine Art Postenkette zu bilden, welche den Zweck hatte, ein dort befindliches Lager zu bewachen.« »Wer lagerte dort?« »Das können wir nicht genau sagen. Vermutlich waren es Auswanderer. Wir sahen die Geleise von Ochsenwagen und vielen Pferden und schätzen die Zahl der Menschen, welche die Nacht dort zugebracht haben, auf ungefähr fünfzig.« »Sie waren nicht mehr da? Nach welcher Richtung sind sie?« »Nach Südwest.« »Also nach der Llano? Mit Ochsenwagen? Alle Teufel! Sie sind entweder von außerordentlich tüchtigen Führern begleitet, oder man hat die Absicht, sie in eine entsetzliche Falle zu locken. Was denkt Ihr, Jim?« »Das Letztere.« »Warum?« »Weil diese fünf Mörder Feuersterns die Hände dabei im Spiele haben. Auch die Diamondboys sind zu dieser Karawane gestoßen, welche, nach den Spuren zu beurteilen, bereits kurz nach Mitternacht aufgebrochen sein muß. Das ist auffällig. Man hat die Leute aus der Nähe von Helmers Home schnell entfernen wollen.« »Hoffentlich seid ihr dieser Karawane gefolgt?« »Nein, Sir. Wir hatten es nur mit den Mördern des Häuptlings zu thun. Diese aber hatten sich, wie aus den Spuren zu ersehen war, nicht der Karawane angeschlossen, sondern waren grad nach West geritten. Ihrer Fährte folgten wir natürlich. Uebrigens fanden wir die Spur eines einzelnen Reiters, welcher noch am Abend aus der Gegend von Helmers Home zu der Karawane gestoßen sein muß.« »So! Noch am Abend? Das ist jedenfalls jener sehr ehrenwerte Mormonenmissionar Tobias Preisegott Burton gewesen. Die ganze Angelegenheit beginnt durchsichtiger zu werden. Weiter, Master Jim! wie wurde es mit eurer Fährte?« »Die Kerls waren sehr schnell geritten, und darum war die Spur sehr lesbar. Dann aber machte uns der Umstand zu schaffen, daß einer der Fünf sich von den anderen vier getrennt hatte. Seine Spur führte grad nach Nord. Wir mußten ihr eine Strecke folgen, um unserer Sache gewiß zu sein.« »Hm! Das gibt zu denken. Ich möchte vermuten, daß wir es hier mit dem Offizier zu thun haben.« »Offizier?« fragte Jim. »Es war kein Offizier dabei.« »Weiß schon! Aber vielleicht haben die Kerls eine Uniform bei sich gehabt. Wir werden schon noch Klarheit bekommen. Ihr habt mit diesen Leuten gesprochen. War nicht einer dabei von untersetzter Gestalt, das Gesicht von einem dunklen Vollbarte eingerahmt?« »Diese Beschreibung paßt auf den Anführer.« »Er hatte den Schnurrbart abwärts gestrichen, als ob er die Lippen verdecken wolle. Habt Ihr nicht vielleicht in Beziehung auf seinen Mund irgend eine Bemerkung gemacht?« »Natürlich! Er hatte eine kleine Hasenscharte. Ich sah es sehr deutlich.« »Schön! Da haben wir den Kerl! Er ist es! Er ist nach Helmers Home geritten, um zu erfahren, ob ihm und seinem Unternehmen von dort vielleicht Gefahr droht. Weiter!« »Eigentlich möchte ich nicht weiter erzählen. Seine eigene Dummheit eingestehen zu müssen, ist keineswegs das höchste der Gefühle. Spinne lieber du die Geschichte weiter, alter Tim.« »Danke!« meinte dieser. »Wer das gute Fleisch gegessen hat, der mag auch dann den harten Knochen beißen. Warum soll grad ich von da anfangen, wo die Dummheit beginnt?« »Weil du so eine hübsche Art und Weise hast, auch das Mangelhafte als vortrefflich erscheinen zu lassen.« »Weiß schon! Ich bin stets derjenige, welcher die Sünden der anderen zu büßen hat. Aber da du mein Bruder bist, will ich gutmütig sein und es einmal versuchen, ob es mir möglich ist, mich so ein wenig von außen her um die dumme Geschichte herum zu schlängeln. Wißt ihr, Mesch'schurs, die Sache ist nämlich die, daß uns später die Fährte verloren ging, und wir haben sie trotz alles Suchens auch nicht wieder gefunden.« »Unmöglich!« rief Old Shatterhand. »Ich sage Euch aber, daß es wahr ist, Sir!« »Die beiden Snuffles hätten eine Fährte verloren? Wenn mir das ein anderer sagte, würde ich ihn unbedingt Lügen strafen.« »Ich danke Euch, Sir! Aber da es Euch der Tim Snuffle selber sagt, so müßt Ihr es glauben!« »Allerdings. Aber wie ist das denn eigentlich zugegangen?« »Auf die einfachste Weise von der Welt. Da vorn, wo das Mezquitegesträuch aufhört, beginnt felsiger Boden, der sich meilenweit nach Ost und Süd erstreckt. Diesen Boden solltet Ihr sehen, Sir, um zu begreifen, daß einem eine Fährte verloren gehen kann.« »Ich kenne ihn. Die Mexikaner, welche bekanntlich spanisch sprechen und zu deren Gebiet diese Gegend gehörte, nannten und nennen heute noch diese Gesteinsstrecke el plano del diablo, die Teufelsplatte.« »Richtig! Ihr kennt sie? Ihr waret schon dort?« »Zweimal sogar.« »Nun, das beruhigt mich, denn da werdet Ihr uns nicht für Greenhorns halten, wenn ich Euch aufrichtig gestehe, daß die Spur für uns wie weggeblasen war.« »Hm! Aber vier Reiter bläst doch niemand weg!« »Nein. Doch wenn die Pferde auf diesem eisenharten, glatten Gestein keine Spuren machen, so ist eben keine Fährte zu sehen, Sir. Unser Komantsche ist trotz seiner Jugend ein famoser Fährtenleser; aber ich sage Euch, daß auch er am Ziele seiner Weisheit stand.« »So möchte ich wissen, ob es mir auch so ergangen wäre wie Euch!« »Ja, Ihr! Ihr seid denn doch ein ganz anderer Kerl als so ein Snuffle! Ihr und Winnetou würdet selbst dann die Fährte entdecken, wenn die Kerls durch die Luft geritten wären! Und fast möchte man glauben, daß dies geschehen sei. Ich sage Euch, es war nicht das kleinste ausgetretene Steinbröckchen und nicht das armseligste Ritzchen zu sehen, welches ein Hufeisen in den Fels geschnitten hätte. Natürlich haben wir genau dasselbe gethan, was jeder andere gute Westmann in diesem Falle unternommen hätte: wir sind längs der Gesteinsgrenze hingeritten, um die Stelle zu finden, an welcher die Kerls vom festen Fels wieder auf sandigen Boden gekommen sind. Das ging so langsam, daß wir bis jetzt noch nicht ganz fertig sind, obgleich wir uns jedenfalls bereits nördlich von dem Punkte befinden, an welchem der eine die vier anderen verlassen hatte, um nach Helmers Home zu reiten, wie Ihr sagt. Uebrigens sahen wir, als wir da drüben herüberkamen, einen einzelnen Reiter, welcher an unserem Horizonte südwärts galoppierte, und als wir dann dieses Gebüsch erreichten, bemerkten wir, daß er hier angehalten hatte.« Old Shatterhand horchte auf. Er schien eine kleine Weile lang nachzudenken, dann erhob er sich von seinem Platze, untersuchte die verschiedenen Hufeindrücke, welche sich am Rande des Mezquitegebüsches befanden, und entfernte sich dabei eine ziemliche Strecke von den anderen. Dann hörten sie ihn rufen: »Master Tim, seid Ihr oder Jim auch hier gewesen, wo ich jetzt stehe?« »Nein, Sir,« antwortete der Gefragte. »So kommt einmal alle her!« Sie folgten seiner Aufforderung. Als sie zu ihm kamen, deutete er auf das Gebüsch und sagte: »Hier seht ihr ganz deutlich, daß jemand in die Sträucher eingedrungen ist. Da ist ein Aestchen abgebrochen, und die Bruchfläche ist noch nicht vertrocknet. Es ist also vor noch nicht langer Zeit geschehen. Folgt mir nach, Mesch'schurs!« Er schob sich, jedes Zweiglein und jeden Zollbreit des Bodens genau betrachtend, immer weiter in das dichte Gebüsch hinein, bis er vor einer sandigen Stelle stehen blieb. Sie war mehrere Schritte lang und breit und zeigte keine Spur von Vegetation. Nicht der kleinste, ärmste Halm war da zu sehen. Da kniete er nieder, und es schien, als ob er jedes Sandkörnchen einzeln untersuchen wolle. Endlich erhob er sich mit einem Lächeln der Befriedigung im Gesichte und betrachtete auch die übrigen Seiten des Gebüsches, welches das Plätzchen umgrenzte. Dann deutete er auf eine Stelle und sagte: »Auch hier ist jemand herein in dieses Versteck gekommen; ich wette, daß der Betreffende da draußen vor den Büschen auf dem felsigen Boden vom Pferde gestiegen ist. Und nun sagt mir zweierlei, Master Tim: Südlich von hier ist es gewesen, wo sich der eine von den vier anderen trennte?« »Südost, Sir.« »Schön! Hatte der Mann, den Ihr dann von hier fortreiten sahet, Uniform an?« »Nein.« »So ist für mich folgendes gewiß: Der Anführer der Fünf ist, nachdem er die anderen verlassen hatte, hierher geritten, um sich die Uniform zu holen und als Offizier nach Helmers Home zu gehen. Dann, als er sich dort heimlich entfernt hatte, ritt er wieder hierher, um die Uniform ab- und seinen vorigen Anzug wieder anzulegen.« »Was Ihr sagt, Sir! Haltet Ihr diesen Ort hier für einen Kleiderschrank?« »Ja, wenigstens für ein Versteck, für eine ›Cache‹, wie bekanntlich der Biberjäger die Grube nennt, in welcher er seine Felle verbirgt. Nehmt eure Messer heraus und grabt gefälligst nach! Man sieht es dem Sande ganz deutlich an, daß er vor kurzem sehr sorgfältig geebnet worden ist.« Die beiden Snuffles sahen ihm erstaunt in das Gesicht; der Hobble-Frank aber warf sich zu Boden und begann den Sand so eifrig gleich mit den bloßen Händen aufzuwühlen, als ob er alle Schätze von Golkonda da zu finden erwarte. Das eiferte die anderen an, seinem Beispiele zu folgen. Der Sand flog nach allen Seiten davon. Noch war Frank kaum zehn Zoll tief gekommen, so rief er, und zwar deutsch: »Ich hab's, Herr Shatterhand! Meine Finger sind off was Hartes geschtoßen.« »Nur weiter, weiter!« mahnte Jim, auch in deutscher Sprache. »Das Harte kann auch Fels sein.« »Was!« rief Frank. »Sie bedienen sich ooch des deutschen Mutterdialektes? Sind Sie etwa ooch zwischen dem Montblanc und Vegesack geboren?« »Ich heiße Hofmann. Das genügt einstweilen. Grabt nur weiter!« »Ich grabe ja wie een Maul- und Werwolf. Es is keen Fels, sondern Holz. Da habt Ihr's! Lauter dünne Schtangen.« »Das sind jedenfalls Kaktusstangen,« erklärte Old Shatterhand, »welche so miteinander verbunden sind, daß sie eine breite Fläche und als solche die Decke des Versteckes bilden.« Diese Ansicht erwies sich als richtig. Die linealgeraden Stengel waren mit Flechtwerk so verbunden, daß sie einen viereckigen Deckel bildeten, welcher ein tiefes, quadratisch gegrabenes Loch von oben vollständig verschloß. Dieses Loch war wohl über zwei Ellen lang und breit und bis an den Rand mit allerlei Gegenständen angefüllt. Das erste, was man sah, war ein Säbel und eine – – Uniform, auf welcher ein altes, zusammengebrochenes Zeitungsblatt lag. »Die Montur des Offiziers, und ooch sein Raubritterschildknappensäbel!« sagte Frank, indem er die Klinge aus der Scheide zog und mit derselben durch die Luft schlug. »Wenn der Halunke da wäre, würde ich ihm eene tüchtige Pfrieme off den Kopp versetzen.« »Du meinst wohl eine Prime!« verbesserte der Juggle-Fred. »Ich meene gar nichts, wenigstens für dich nichts, alter Offschneider und Besserwisser! Ich werde doch wohl wissen, was die fechtbaren Kunstausdrücke zu bedeuten haben. Ich habe mir schon als knabenähnlicher Junge hölzerne Säbels geschnitzt und schpäter alle daroff bezüglichen Kunst- und Fachwörter, was der Lateiner thermopylus polytechnicus nennt, im Koppe auswendig gelernt. Een Hieb von oben heeßt Pfrieme, und eener von unten heeßt polnische Schwarte, weshalb man eben oft sagt: ›er kriegt Schwarte‹ anstatt ›er kriegt Prügel‹ Ich als forschtamtlicher tempus passatus werde wohl besser wissen als du, was – – –« »Bitte, lieber Frank, das Papier!« unterbrach ihn Old Shatterhand. »Schön! Gleich! Ich kann dem Fred die Leviten ooch später lesen, wenn wir diese Mördergrube ausgeräumt haben.« Er gab Old Shatterhand das Zeitungsblatt. Dieser öffnete dasselbe. Es enthielt einen mit Bleistift beschriebenen Zettel. Der Jäger las die Zeilen vor: » Venid pronto en nuestro escondite! Precaution! Old Shatterhand esta en casa de Helmers. « »Das heißt?« fragte Fred. »Nun, Frank, du bist ja Sprachkenner!« »Jawohl,« antwortete der Angeredete. »Es is von Old Shatterhand und Helmers die Rede. Aber dieses Hebräisch is so mit indianischen Präflixen und Sufflixen verschimpfiert und von solchen indogermanischen Trichinen durchfressen, daß sich mir gleich beim erschten Wort das Herz im Leibe umdreht. Ich wasche meine Hände in Unschuld und beschäftige mich lieber da mit der Uniform.« Er begann die Taschen der Uniform sehr angelegentlich zu untersuchen. Old Shatterhand übersetzte die spanischen Zeilen: »Kommt rasch in unser Versteck! Vorsicht! Old Shatterhand befindet sich bei Helmers.« Von einer Erklärung dieser Worte wurde zunächst abgesehen. Man wollte wissen, was alles sich in dem Loche befand. Dasselbe enthielt getragene, aber noch brauchbare Kleidungsstücke in verschiedenen Formen, Farben und Größen, Flinten, Pistolen, Messer, Blei, blecherne Schachteln mit Zündhütchen und endlich gar ein Fäßchen, welches noch halb voll Pulver war. Sämtliche Taschen der Anzüge waren leer. »Die Kleider verbrennen wir,« sagte Old Shatterhand. »Das andere ist gute Beute, und jeder mag sich davon nehmen, was ihm beliebt. Das Uebrigbleibende wird mit zu Helmers genommen. Ich bin überzeugt, daß die Llanorunners noch mehrere solcher Verstecke haben, in denen sie ihre Vorräte aufbewahren. Die Uniform gehörte wahrscheinlich einem Offizier, welcher von ihnen ermordet worden ist. Von allen diesen Fundgegenständen hat für mich nur der Zettel Wert. Was würdet Ihr aus dem Inhalte desselben schließen, Master Jim?« »Zweierlei,« antwortete der Gefragte. »Erstens, daß der Kerl einen Heidenrespekt vor Euch hat. Er wäre jedenfalls noch länger in Helmers Home geblieben, wenn er nicht Euch dort getroffen hätte. Zwar weiß ich nicht, was dort geschehen ist, aber ich denke so.« »Und zweitens?« »Zweitens sind noch Genossen hinter ihm, welche er durch diesen Zettel warnen will. Auch sie wollen in die Estakata; auch sie kommen hierher, um die Grube zu öffnen. Er bestellt sie an einen Ort, den er auch mit dem Namen Versteck bezeichnet. Wie mir scheint, ist damit ein Versammlungsort gemeint.« »Eure Vermutung ist auch die meinige. Ihr erseht aus dem Stande der Dinge, daß Ihr die verlorene Fährte nun nicht aufzusuchen braucht. Dieser Mann stößt ganz gewiß wieder zu seinen vier Gefährten. Um zu ihnen zu kommen, braucht Ihr nur ihm zu folgen. Seine Spur wird von hier an sehr deutlich sein. Sie führt jedenfalls nach dem Verstecke, von welchem er in diesen Zeilen schreibt. Ihr könnt Euch doch wohl denken, weshalb er die Leute dorthin beordert?« »Natürlich, Sir! Er will mit ihnen über die Auswanderer her.« »Das vermute auch ich. Und zwar beabsichtigt er, dies sehr bald zu thun, wie seine Eile beweist. Er hat Angst vor mir. Er weiß, mit welchem Argwohn wir ihn behandelt haben. Er muß befürchten, daß wir hinter seine Schliche kommen und ihm dieselben vereiteln. Darum wird er die Ausführung seines Vorhabens so viel wie möglich beschleunigen.« »So müssen auch wir uns beeilen, Sir! Ich darf doch annehmen, daß wir auf Euere Hilfe rechnen können?« »Gewiß. Zunächst habe ich mit diesen Leuten wegen der Ermordung des Häuptlings ein Wort zu reden, und sodann gilt es, neues Unglück zu verhüten. Wie ist das anzufangen? Welchen Vorschlag macht Ihr uns?« »Ich Euch? Hm! Jim Snuffle soll Old Shatterhand einen Vorschlag machen! Das ist wirklich das höchste der Gefühle! Wir haben uns nur nach Euch zu richten, Sir, nicht wahr, alter Tim?« » Yes! « antwortete der Gefragte. »Old Shatterhand sitzt jedenfalls längst im richtigen Zentrum, während wir uns noch lange Zeit nur so von außen um dasselbe herumschlängeln. Oder möchtest du Vorschläge machen, Fred?« »Nein,« antwortete dieser. »Dazu bin auch ich der Richtige nicht. Aber eine Meinung darf man haben. Wäre es nicht das Allerklügste, wir ritten dem Kerl gleich jetzt nach? Er ist der Anführer, die Seele des Unternehmens. Wenn wir ihn erwischen, unterbleibt die That.« »Schwerlich!« meinte Old Shatterhand. »Er war der Wortführer unter fünf Genossen. Ob er aber wirklich das Oberhaupt aller Llanogeiers ist, das wissen wir nicht. Mit ihm sind auch die anderen unschädlich gemacht. Uebrigens glaube ich nicht, daß wir ihn einholen könnten. Unsere Pferde sind nicht die besten, und die Sonne neigt sich dem Untergange zu. Bevor wir ihn erreichen könnten, wird es Nacht. Nein, lassen wir ihn für heute reiten; seine Fährte ist morgen auch noch zu sehen. Ihr kampiert hier an dieser Stelle, ihr alle, um diejenigen, an welche dieser Zettel gerichtet war, festzunehmen, falls sie kommen. Ich reite mit den drei Pferden allein nach Helmers Home zurück und hole Jemmy, Davy und Bob. Mit Tagesgrauen brechen wir von hier auf, und ich denke, daß unser Ritt nicht vergeblich sein wird. Wir sind dann neun Mann, und ich hege die Ueberzeugung, daß wir es mit einer Bande von zwanzig bis dreißig Geiern recht wohl aufnehmen.« Dieser Vorschlag fand allgemeinen Beifall. Jeder suchte sich von den vorgefundenen Waffen und der Munition aus, was ihm beliebte. Die Kleider wurden heraus auf das freie Terrain geschafft und mit Hilfe dürrer Mezquitezweige verbrannt. Dieser Scheiterhaufen qualmte noch, als Old Shatterhand das Pferd bestieg. Er versprach, für Proviant und auch einen kleinen Wasservorrat zu sorgen, und bemerkte im Davonreiten, nach Westen deutend: »Mir scheint, von dorther kommt etwas, Sturm oder ähnliches. Das ist ein Wetterloch, welches aber der Llano leider niemals Regen bringt.« Er trabte mit seinen drei Pferden davon, nach Norden zu. Die anderen betrachteten, von ihm aufmerksam gemacht, den westlichen Himmel, an welchem sich über der Sonne ein leichtes Gewölk zeigte, rötlichgrau gefärbt und eine Art Ring bildend, in dessen Mitte sich goldene Reflexe sammelten. Das sah gar nicht gefährlich aus, und Old Shatterhands Worte wurden als eine Bemerkung hingenommen, welche wohl keine weitere Bedeutung hatte. Nur der Komantsche hielt den Blick bedenklich auf das Wölkchen gerichtet und murmelte für sich hin: »Temb metan, der Mund des Blitzes!« Die Männer setzten sich wieder nieder und erzählten den beiden Snuffles, was in Helmers Home geschehen war. Das wurde natürlich auf das ausführlichste behandelt. Die Zeit verging wie im Fluge, und die Männer achteten nicht auf den Himmel, welcher jetzt eine ganz andere Färbung angenommen hatte. Nur der Komantsche, welcher schweigend seitwärts saß, achtete genau auf diese Veränderung. Der kleine Wolkenring hatte sich unten geöffnet und also die Form eines Hufeisens angenommen, dessen Schenkel sich zusehends verlängerten, so daß sie zwei langgestreckte, schmale Schichten bildeten, welche fast den mitternächtigen Horizont erreichten. Zwischen ihnen sah man den reinen, klaren Himmel. Die eine, näherliegende Schichte senkte sich, und da färbte sich der südliche Horizont mit einem staubigen Orangerot. Es sah ganz so aus, als ob dort ein Sturm wüte, welcher den feinen Sand bis empor zum Himmel wirbele. Im Osten wurde es dunkel wie von schweren Wolken, und doch waren keine Wolken zu sehen. Da plötzlich sprang der Komantsche auf und schrie, die höchste Tugend des Indianers, die Selbstbeherrschung ganz vergessend, indem er nach der im Osten liegenden schwarzen Wand deutete: »Maho-timb-yuavah – der Geist der Llano!« Die anderen sprangen erschrocken auf. Sie bemerkten erst jetzt die Veränderung des Himmels; aber der Schreck erstarrte ihre Blicke, als sie dieselben dahin richteten, wohin Eisenherz zeigte. Wohl drei scheinbare Manneshöhen über der Linie des Horizontes jagte ein Reiter am Himmel dahin. Die schwarze Wand zeigte da, wo die Gestalt sich befand, einen runden, hell erleuchteten Fleck, welcher sich mit dem Reiter in ganz gleicher Geschwindigkeit fortbewegte, so daß der letztere wie eine dunkle aber sich bewegende Silhouette in lichtem Rahmen erschien. Seine Gestalt und ebenso diejenige des Pferdes war übermenschlich groß. Alle seine Glieder waren deutlich zu erkennen. Er hielt mit der Rechten die Zügel und mit der Linken den Hut an der Krempe fest. Das auf seinem Rücken hängende Gewehr schlug auf und nieder. Mähnenhaar und Schweif des Pferdes wehten wie im Sturme hinterwärts. Das gespenstische Tier flog dahin, als ob es von der Hölle gehetzt werde. Und das geschah am hellen Tage, eine volle Stunde vor Untergang der Sonne! Es machte einen unbeschreiblich grauenhaften Eindruck auf die Beschauer. Keiner von ihnen ließ ein Wort, einen Laut hören. Die schwarze Wand brach im Süden fast schroff und senkrecht ab. Dieser Stelle jagte der Reiter zu. Er näherte sich ihr mehr und mehr. Noch zehn Sprünge des Pferdes, noch fünf, noch drei, noch einer – das Tier schoß hinaus in die Leere und war mit samt dem Reiter verschwunden. Auch der lichte Rahmen war nicht mehr zu sehen. Die Männer standen noch immer wortlos bei einander. Bald blickten sie dorthin, wo das Phänomen erschienen und verschwunden war, bald sahen sie einander an. Da schüttelte sich Jim, als ob er friere, und sagte: »Alle guten Geister! Wenn das nicht der Geist der Llano estakata war, so will ich mich niemals wieder Snuffle heißen lassen! Habe wirklich immer geglaubt, daß es ein Unsinn sei; jetzt aber wäre man ja geradezu verrückt, wenn man noch zweifeln wollte. Mir ist innerlich ganz unreell zu Mute. Wie befindest du dich, alter Tim?« »Grad so, als ob ich ein alter Geldbeutel wär', in welchem auch nicht ein einziger armer Cent zu finden ist. Ich bin leer, ganz leer, vollständig nur Haut und Luft! Und seht nur, wie schnell sich der Himmel verändert! Das ist ja noch nie dagewesen!« Die obere Kante der erwähnten schwarzen Wand färbte sich blutrot; Flammenbüschel zuckten auf und nieder. Der eine Schenkel des noch hoch am Himmel sichtbaren Hufeisens senkte sich nieder. Und je tiefer er herabstieg, desto breiter und dunkler wurde er. Im Süden wirbelte es wie ein vom Sturme gepeitschtes Meer von Staub und Rauch. Es kam näher und näher. Ueber die Sonne legte sich ein düsterer Vorhang, welcher von Sekunde zu Sekunde immer höher und breiter wurde. Der dunkle Wolkenstreifen schien jetzt förmlich vom Himmel zu fallen. Mit einem Male wurden die entsetzten Männer von einer ganz ungewöhnlichen Kälte ergriffen. Ein schrilles Heulen ließ sich in der Ferne hören. »Um Gotteswillen, zu den Pferden!« schrie Juggle-Fred. »Schnell! Sonst gehen sie durch! Reißt sie nieder! Sie müssen sich legen. Haltet sie fest, aber legt auch euch selbst ganz platt auf die Erde!« Alle fünf sprangen zu den drei Pferden, welche angstvoll schnauften, und sich gar nicht weigerten, als sie niedergezerrt wurden. Sie lagen hart am Gebüsch und steckten die Köpfe unter die Zweige. Und kaum lagen auch die Männer da, so brach es los. Das war ein Pfeifen, Stöhnen, Heulen, Sausen, Brausen, Krachen und Brüllen, welches jeder Beschreibung spottet. Die Männer hatten das Gefühl, als ob eine zentnerschwere Decke plötzlich auf sie geworfen werde. Sie wurden mit solcher Gewalt zu Boden gedrückt, daß es ihnen unmöglich gewesen wäre, sich jetzt zu erheben, selbst wenn sie den Versuch dazu hätten wagen wollen. Eiseskälte strich ihnen durch die Gebeine. Alle Oeffnungen, Augen, Nase, Mund und Ohren wurden ihnen wie mit erstarrendem Wasser geschlossen. Sie vermochten nicht zu atmen, sie waren dem Ersticken nahe. Und da plötzlich strich es wieder glühend heiß über sie hin, und die heulenden Stimmen der Llano estakata verklangen in der Ferne. Die Pferde sprangen auf und wieherten laut. Der plötzlich hereingebrochenen, tief dunklen und erstarrend kalten Nacht folgte heller Sonnenschein und belebende Wärme. Man konnte den Mund öffnen; man vermochte wieder zu atmen. Die fünf Gestalten begannen sich zu bewegen. Sie befreiten ihre Augen von dem hindernden Sande und sahen um sich. Sie waren von einer fußhohen Schicht kalten Sandes bedeckt. Das war die Decke, welche der Tornado über sie geworfen hatte. Ja, ein Tornado war es gewesen, einer jener mittelamerikanischen Cyklone, welche von einer Kraftentwicklung sind, die kaum anderswo ein Seitenstück findet. Die Zerstörungen, welche so ein Tornado anrichtet, sind ganz furchtbarer, fast unglaublicher Art. Er erreicht eine Geschwindigkeit von bis hundert Kilometer in der Stunde und ist meist von elektrischen Erscheinungen begleitet, welche oft noch lange nachhalten. Selbst der Samum der afrikanischen Wüste ist nicht von solcher Wucht, und nur der entsetzliche Sand- oder Schneesturm der wilden Gobi entwickelt eine elementare Macht, welche sich mit derjenigen eines Tornado vergleichen läßt. Die fünf Männer erhoben sich und schüttelten den Sand von ihren Gewändern. Das Gesträuch hatte dem Flugsande ein Hindernis geboten, so daß er wie eine zwei Ellen hohe Sandwehe vor demselben aufgeschichtet lag. »Gott sei Dank, daß es so gnädig vorübergegangen ist!« sagte Jim. »Wehe denen, welche sich während dieses Tornado in der offenen Llano befunden haben! Sie sind verloren.« »Nicht so unbedingt, wie Ihr meint,« entgegnete Fred. »Diese schrecklichen Winde haben zum Glücke oft nur eine Breite von einer halben englischen Meile; um so größer aber ist ihre Gewalt. Dieser wütende Luftstrom hat uns nur mit seinen Seitenwellen überflutet. Hätten wir uns in seiner Mitte befunden, so wären wir mit samt den Pferden wer weiß wie weit mit fortgerissen und irgendwo zerschellt worden.« »Ganz richtig!« nickte Tim. »Ich kenne das. Habe drüben am Rio Contschos mal die Verwüstungen angesehen, welche so ein Tornado dort anrichtete. Er hatte sich so von außen herum in einen Urwald hineingeschlängelt und durch denselben sozusagen eine schnurgerade Straße gerissen. Baumriesen von einem Durchmesser, welcher bei einigen wohl an die zwei Meter betrug, waren entwurzelt worden und lagen wirr über und durch einander. Diese Straße, welche aber natürlich vollständig unpassierbar war und auf welcher kein einziger Baum sich stehend erhalten hatte, besaß eine so scharfe Seitenabgrenzung, daß rechts und links die Bäume nur ganz leicht verletzt waren. Der Yankee nennt diese Art Stürme Hurricane und gibt auch den von ihnen niedergeschmetterten Waldesstrecken ganz denselben Namen.« »Schrecklich genug war's!« meinte der Hobble-Frank. »Der Atem war mir so vollschtändig ausgegangen, daß meine Klarinette beinahe nur noch off dem letzten Loche pfiff. Wir haben in Sachsen doch ooch zuweilen unsere Schtürme gehabt, aber so wilde und unkultiviert wie hier, sind sie nich. So een sächsischer Hauptorkan is gegen eenen amerikanischen Tormenado das reene Kinderschpiel, das reene Mailüftchen, grad zureichend, den heeßen Kaffee kalt zu blasen. Und dazu haben mich eure Maulesel halb tot geschtrampelt. Sie wollten zuletzt nich mehr liegen bleiben und hielten meine edle Geschtalt sonderbarerweise für – – –« »Maultiere, wollen Sie wohl sagen,« unterbrach ihn Jim. »Nee, Maulesel sage ich! Wenn sie so in dieser Weise off mir herumstampfen, sind sie eben die größten Esel, die es nur geben kann. Sie haben mir die ganze künstlerische Konschtruktion meines ostgotischen Körperbaues auseenander getreten. Ich sollte euch eegentlich off Schadenersatz verklagen; aber wer so eenzig in der Welt daschteht wie ich, der is doch gar nich zu ersetzen. Deshalb will ich dieses Mal Gnade für Recht ergehen lassen, muß mir aberst für das zukünftige Futurum solche Mauleselei off das allerschtrengste verbitten. Fixi et salvavi animal! « » Dixi heißt es, und animam! « rief Fred. »Schweigste schtille! Wenn ich arabisch schpreche, so is mir deine Meenung vollschtändig schnuppe,« schrie Frank ihn zornig an. »Das fehlte grade noch, daß so een verflossener Taschenschpieler, wie du bist, sich solche Randbemerkungen erlooben dürfte! Lerne was, so kannste was! Ich will ja gerne alle Freundschaft mit dir halten; aber wennste mich in dieser Weise offbläsest, so zerplatze ich und werfe dich ins Weltall hinaus, daß du in alle Ewigkeet als Lichtputze unter den Schternschnuppen herumfliegst! Fixi und noch dreimal fixi, das heeßt: Ich hab's gesagt, ich, der Hobble-Frank. Merke dir's!« Er warf sein Gewehr über und schritt würdevoll von dannen – ein zürnender Achilleus. Die anderen nickten sich lächelnd zu und sagten kein Wort, ihn zu versöhnen. Fred wußte, daß der kleine Sachse sehr bald wiederkommen werde. Die Sonne, welche vorhin vollständig verdunkelt worden war, warf jetzt wieder ihre Strahlen hernieder. Dieselben waren ganz eigentümlich gefärbt, fast safrangelb, hätte man sagen können. Der Horizont verschwamm in dieser Färbung, und die Erde schien gegen ihn hin sich rundum zu erheben. Das hatte ganz das Aussehen, als ob die fünf Männer sich am tiefsten Punkte des Innern einer großen Hohlkugel befänden. Die drei Reittiere waren noch keineswegs beruhigt. Sie schnauften ängstlich und stampften den Boden. Sie wollten fort und mußten fest angebunden werden. Es lag etwas in der Luft, was einzuatmen die Lunge sich sträubte. Das waren nicht mikroskopisch feine Sandteilchen, welche die Atmosphäre noch schwängerten, sondern es war etwas nicht zu Bestimmendes, nicht zu Bezeichnendes. Der Komantsche hatte seine Decke über den Sand gebreitet und sich darauf niedergestreckt. Selbst jetzt, nach einem solchen Naturereignisse, bewahrte er die schweigsame Zurückhaltung, welche ein Charakterzug des Indianers ist. Die drei Weißen setzten sich in seine Nähe, und Jim fragte ihn: »Hat mein junger, roter Bruder bereits einmal so einen Sturm mit erlebt?« »Mehrere,« antwortete der Gefragte. »Eisenherz ist von dem Nina-yandan 4 weit fortgerissen und dann im Sande begraben worden; aber die Krieger der Komantschen haben ihn doch gefunden. Er hat ausgerissene Bäume gesehen, deren Stamm von sechs Männern kaum umspannt werden konnte.« »Aber den Geist der Llano estakata sahst du wohl noch nicht?« »Eisenherz hat auch diesen gesehen, vor drei Wintern, als er mit seinem Vater durch die Llano ritt. Sie hörten einen Schuß. Als sie sich der Stelle näherten, an welcher er gefallen war, sahen sie den Geist auf einem schwarzen Pferde davonjagen. An dem Orte aber lag ein Bleichgesicht, in dessen Stirn sich das Loch der Kugel befand. Der Häuptling der Komantschen kannte diesen Toten, der ein gefürchteter Mörder gewesen war.« »Welches Aussehen hatte der Geist?« »Er hatte den Kopf und den Leib des weißen Büffels, um dessen Hals sich die zottige Mähne sträubte. Es war schrecklich anzusehen. Aber dennoch ist er ein guter Geist, sonst würde er nicht die Gestalt dieses heiligen Tieres annehmen. Auch wissen die Komantschen sehr gut, daß er nur böse Männer tötet, während alle guten unter seinem Schutze stehen. Eisenherz kennt zwei Komantschen, welche sich in der Llano verirrt hatten und dem Verschmachten nahe waren. Der Geist ist des Nachts zu ihnen gekommen, hat ihnen Fleisch und Wasser gegeben und sie dann auf den rechten Weg gewiesen.« »Sprach er auch mit ihnen?« »Er redete mit ihnen in ihrer Sprache. Ein guter Geist spricht alle Sprachen, denn der große Geist hat sie ihm gelehrt, Howgh!« Er wendete sich ab. Mit dem letzteren Worte deutete er an, daß er nun genug gesprochen habe und jetzt schweigen wolle. Frank hatte abseits gestanden und, als er bemerkte, daß die beiden miteinander sprachen, sehnsüchtig zu ihnen herüber geschielt. Es war ihm ganz unmöglich, in der Ferne zu schmollen, während andere so glücklich waren, miteinander reden zu können. Darum kam er jetzt langsam herbeigeschritten und sagte zu Fred: »Ich habe dir Zeit gegeben, an deinen Busen zu schlagen und dich zu bessern. Hoffentlich hast du eingesehen, daß du dich sehr schwer an dem Schpektrum meiner pomologischen Methode versündigt hast. Willst du das offrichtig eingeschtehen?« »Ja,« antwortete Fred in künstlichem Ernste. »Wir gestehen ja gern zu, daß du uns allen weit überlegen bist.« »So halte in Zukunft ergebenst an dich, und laß dich nich so oft von deinem hemisphärischen Temperamente hinreißen. Dieses Mal will ich dir noch verzeihen, denn nach solchen Erlebnissen wie das soeben überschtandene is der Mensch doppelt zur Versöhnung subdominiert. Am hellen Tage een leibhaftiges Geschpenst zu erblicken, das geht beinahe an Kopf und Kragen. Meine Gänsehaut is mir angeschwollen wie een Luftballon!« Er setzte sich zu Fred. Dieser meinte lächelnd: »So groß braucht dein Entsetzen nicht zu sein. Die Erscheinung, welche wir hatten, läßt sich vielleicht auf ganz natürlichem Wege erklären. Denke doch nur an das Brockengespenst, dessen Entstehung der Brockenwirt Nehse so überzeugend nachgewiesen hat!« »Nehse? Den kenne ich ooch. Sein Sohn is een berühmter Civilingenieur und wohnt in Blasewitz. Er hatte die Ehre, mich off eener Landpartie nach Moritzburg zu treffen und mir grad über das Brockengeschpenst seinen achtungsvollsten Vortrag zu halten. Das is eene harzreiche Lufterscheinung, halb Ozon und halb Sauerschtoff, die sich in der Atmosphäre niederschlägt und dann vom Nebel in glühende Hagelkörner offgelöst wird. Hier aber in der Llano haben wir es mit eenem wirklichen Geiste zu thun. Wir sahen ihn am Himmel hinreiten; es war keene Luft, es war ooch keen Nebel, sondern es war die greifbare Geschtalt eenes wirklichen übernatürlichen Wesens. Wie kann da eene optische Täuschung vorliegen?« »Hm! Ich selbst habe früher als Taschenspieler künstliche Gespenster produziert.« »Davon magste nur lieber schweigen, denn künstliche Geschpenster herzuschtellen, das is die reene Schwindelhaftigkeeterei! Off welche Weise hast du das denn fertig gebracht?« »Entweder durch eine schief liegende Glasscheibe oder durch die Camera.« »Das kann ich ooch. Ich habe mir ja selbst mal so eene Camera obscuriosa gebaut; sie war mir so weit ooch ganz gut gelungen, aber leider hatte ich vergessen, das Loch anzubringen, wo die Okularlinsen hineingeschüttet werden. Uebrigens konnte ich von keenem Gemüsehändler diese Sorte von Linsen bekommen, und so habe ich die Sache bis off weiteres einstweilen liegen lassen.« Da brachen Fred und die beiden Snuffles in ein so schallendes Gelächter aus, daß der ernste Komantsche sich schnell herumwendete und sie erstaunt ansah. Frank aber machte sein zornigstes Gesicht und rief: »Silicium! Schweigt schtille! Hört euer Hohngelächter nich sofort off, so richte ich unter euch Semmelbrüdern een Blutbad an, wie Muhammed der Zweete unter den Karthagern! Ihr haltet euch wohl für klug und weise? Ich sage euch, an eurer fadenscheinigen Philosophie sind ooch schon die Knopplöcher offgerissen, und eure ganze Klugheet schmeckt nach Rizinusölpomade! Ihr habt über meine Camera procura gar nichts zu lachen! Sie war ganz richtig konsterniert, und ich als Forschtbeamter hatte keene Zeit, mir die Linsen selber zu erbauen. Ich habe euch zwar längst durchschaut, aber eure mangelhafte Frequenz mit Großmut ertragen, weil ich hoffte, aus euch doch noch was Ordentliches machen zu können; aber jetzt kommt mir die Ueberzeugung, daß an euch Hopfen und Malz verloren ist. Ich verlasse euch abermals und schüttle den Schtoob von meinen Füßen. Euer Hohn erfordert Rache. Ich gehe, aber – manus manum lavendat, zu deutsch: Meine Hand wäscht euch schon noch die Köpfe mit Lavendel. Wartet es nur ab! Ho–ho–ho–howgh!« Er hatte sich in den größten Grimm hineingesprochen, stampfte sich den Sand von den Füßen, warf ihnen das letzte, indianische Wort mit wütender Gebärde zu und eilte dann fort, um hinter dem Gebüsch zu verschwinden und sie auf diese Weise durch die Entziehung seines Anblickes exemplarisch zu bestrafen. In einen solchen Zorn war er noch nie geraten. Das Gelächter schwieg, und Fred meinte in bedauerndem Tone: »Ich dachte nicht, daß er es gar so übelnehmen würde. Das müssen wir durch ganz besondere Höflichkeit ausgleichen. Er ist eine Seele von einem Menschen, und sein famoses Sophistisieren macht ja nur Spaß und keinen Schaden.« Er erzählte den beiden Snuffles alles, was er über den Hobble-Frank wußte, und stimmte dieselben günstig für den kleinen Sonderling. Dann kam die Rede natürlich wieder auf den Tornado und die demselben vorhergehende Erscheinung des Geistes der Llano. Die Drei waren keineswegs ungebildete Männer; besonders besaß Fred mehr als gewöhnliche naturwissenschaftliche Kenntnisse; sie waren überzeugt, es nur mit einer optischen Erscheinung zu thun zu haben, aber sie verstanden es nicht, dieselbe wissenschaftlich genau zu erklären. Darüber verging die Zeit, und die Nacht brach an. Es wurde so dunkel, daß man nicht fünf Schritte weit zu sehen vermochte. Nun kam Frank wieder herbei. Er wollte in solcher Finsternis und an solchem Orte nicht allein sein; aber sein Zorn war noch nicht vollständig verraucht. Er sprach kein Wort und streckte sich auch nicht neben den anderen, sondern in gewisser Entfernung von ihnen nieder, lauschte aber sehr aufmerksam auf ihre Reden. Sie hörten es seinen Bewegungen an, daß er zuweilen auffuhr, um einen Einwand loszulassen, wenn einer etwas geäußert hatte, was er besser zu wissen und zu verstehen vermeinte; aber er legte sich doch immer wieder nieder. Die Lust, zu schmollen, war bei ihm doch noch größer als der Hang, mit seinen eingebildeten Kenntnissen zu prahlen. Die Luft war mittlerweile rein geworden und ließ sich leichter atmen als vorher. Eine leichte Prise hatte sich aus Südwest erhoben und war nach der Hitze des Tages von sehr angenehmer Wirkung. Einige Sterne standen am Himmel, welche den an der Erde Liegenden die Zeit andeuteten. Sie sprachen nicht mehr miteinander. Sie gaben sich Mühe, einzuschlafen. Eine Störung durch irgend ein feindliches Wesen war nicht wahrscheinlich, und Old Shatterhand konnte jetzt noch nicht erwartet werden. Die Weißen schliefen auch wirklich ein; aber der Komantsche starrte mit offenen Augen gegen den Himmel, obgleich er während der letzten Nacht keine Minute lang geschlafen hatte. Der Tod oder vielmehr die Ermordung seines Vaters beschäftigte seine junge, nach Rache lechzende Seele. So verging Viertelstunde um Viertelstunde. Da plötzlich wurden die Schlafenden durch einen lauten Ausruf des Indianers geweckt. Sie fuhren in sitzende Stellung empor. »Mava tuhschta – seht dorthin!« sagte er, nach Süden deutend. Sie sahen trotz der Dunkelheit seinen ausgestreckten Arm und blickten in die angegebene Richtung. Dort, wo der Himmel am Horizonte auflag, zeigte sich in Gestalt eines schmalen, langen Kreisabschnittes eine dämmernd helle Stelle. Sie machte gar nicht den Eindruck von etwas Außergewöhnlichem, erregte aber doch die volle Aufmerksamkeit der Männer. »Hm!« brummte Jim. »Wenn das im Osten wäre, so würde ich glauben, wir hätten so lange geschlafen, daß dort der Tag zu grauen beginne.« »Nein,« meinte sein Bruder Tim. »Das Tagesgrauen ist ganz anders. Die Grenzlinien dieser hellen Stelle sind zu scharf.« »Eben weil es dunkle Nacht ist.« »Aber eben weil es dunkle Nacht ist, kann der Morgen noch nicht grauen. Tag und Nacht fließen ineinander; dort aber giebt es feste Konturen.« »Es müßte ein Feuer sein?« »Ein Feuer in der Llano, in welcher es kein Holz gibt? Hm! Was sollte da brennen? Der Sand etwa? Das wäre etwas mir ganz Neues.« »Das ist freilich wahr. Wenn nun gar noch der Sand zu brennen anfangen wollte, das wäre für uns freilich das höchste der Gefühle. Da könnten wir uns nur schleunigst aufsetzen und davonreiten. Aber wie willst du dir die Sache sonst erklären?« »Weiß es auch nicht. Uebrigens wird die helle Stelle immer größer. Und dabei dreht sich der Wind. Er kam aus Südwest. Jetzt kommt er gerade aus West und wird stärker und kälter. Was hat das zu bedeuten?« »Ein Nordlicht ist's auf keinen Fall,« sagte Fred. »Und von Südlichtern hat man hier ja wohl noch nichts wahrgenommen.« Frank hatte bisher geschwiegen; nun aber mußte er reden, sonst hätte es ihm das Herz abgedrückt. »Diese lichte Schtelle des Horizontes hat was zu bedeuten,« sagte er. »Sie hängt jedenfalls mit dem Avenging-ghost zusammen. Vorhin is er nach Süden geritten. Vielleicht hat er dort sein Wigwam und sitzt bei seinem Lagerfeuer.« Die anderen hätten am liebsten wieder gelacht; sie bezwangen aber den Reiz dazu. Fred antwortete: »Meinst du, daß ein Geist sich ein Lagerfeuer anbrennt?« »Warum nich? Bei so eenem kalten Winde, wie er jetzt weht?« Die Luft wurde allerdings schärfer. Sie folgte der Windrose immer weiter nach Norden. Und da unten im Süden stieg die Helligkeit höher und immer höher. Es war, als ob dort die Scheibe eines mächtig großen Gestirnes aufgehe. Sie bildete jetzt beinahe einen Halbkreis, welcher im Innern einen blutig roten Kern hatte, der sich nach außen hell und heller färbte und dann von einer Bogenlinie eingeschlossen wurde, an welcher sich dunkle Wolkenmassen und sprühende Feuerballen durcheinander zu wälzen schienen. Das Ganze gewährte einen schaurig-prachtvollen Anblick. Die fünf Männer standen staunend. Sie wagten kaum zu sprechen. Der Wind kam jetzt genau aus Norden. Er hatte sich in Zeit von einer Viertelstunde um den halben Horizont gedreht. Doch gab es dabei kein Sausen und Brausen; er strich vielmehr mit heimtückischer Stille nach der so großartig erleuchteten Himmelsgegend zu. Und dabei war er so kalt, daß man sich hätte in einen Pelz hüllen mögen. »Das sollte Old Shatterhand sehen!« sagte der Juggle-Fred. »Leider kann er noch nicht zurück sein, denn es ist jetzt gerade Mitternacht.« »Mitternacht!« stieß der Hobble-Frank hervor. »Das is die Geisterschtunde. Da wird gewiß dort, wo es brennt, was Grausiges passieren!« »Was soll da, außer dem Feuer, Schreckliches geschehen?« »Frag doch nich so verkehrt! Um Mitternacht öffnet sich der Orkus, und die Geschpenster schteigen heraus. Da treiben sie eene ganze Schtunde lang aller hand Unfug. Ich kenne das, denn ich habe sogar des Nachts die Oogen offen. Wie jedes Land und Volk seinen Charakter hat, so haben ooch die Geschpenster jeder Gegend ihr besonderes Temperament und ihre besonderen Liebhabereien. In der eenen Gegend drehen sie den Menschen den Hals um, und in der anderen würgen sie die Leute an den Kreuzwegen ab. Die Sachsen sind die gemütlichsten Leute, und darum gibt es dort die urgemütlichsten Geschpenster. Ueber das, was sie treiben, singt der Dichter des Elbgaues zu seiner Apolloharmonika: ›Am dunkeln Rabenschteen da drüben Bei Königschteen und Pärne, Da thun die Geister Kegel schieben; Das sieht mer gar nich gerne.‹ Wer aber weeß denn, was die hiesigen Geister für eene besondere Passion haben. Es können gerade die allergefährlichsten und allerschlimmsten sein, die es gibt. Darum wollen wir uns in acht nehmen und – – Herr Jemerschnee, habe ich nich recht gehabt? Guckt mal hin! Dort kommt er geritten!« Er rief die letzteren Worte im Tone des Entsetzens aus. Und das, was jetzt geschah, konnte allerdings selbst dem furchtlosesten Menschen ein Grauen einjagen. Der Geist der Llano estakata erschien abermals. Wie bereits gesagt, bildete die fremdartige Lichterscheinung jetzt einen gewaltigen Halbkreis am südlichen Himmel. Da, wo der Bogen dieses Halbkreises links auf dem Horizonte lag, erschien jetzt plötzlich die Gestalt eines riesigen Reiters. Das Pferd war schwarz, aber der Reiter war weiß. Er hatte die Gestalt eines Büffels. Man sah ganz deutlich den Kopf mit den beiden Hörnern, den Nacken mit der struppigen, halblangen Mähne, welche hinterher flatterte, und den Leib, welcher sich nach rückwärts mit dem Hinterteile des Pferdes vereinigte. Die Konturen dieses Bildes waren von lichtfunkelnden Linien eingefaßt. Das Pferd befand sich in geradezu rasendem Galopp. Es bewegte sich nicht etwa auf einer ebenen Linie, also auf dem Durchmesser dieses lodernden Halbkreises, sondern es stieg innerhalb des Kreisbogens empor und galoppierte längs desselben weiter. Es hatte ein Stück Boden unter sich, der ihm auch stets unter den Füßen blieb. So jagte es in runder Linie aufwärts bis zum höchsten Punkte und dann an der rechten Seite der glühenden Halbscheibe wieder herab bis da, wo der Kreisbogen den Horizont berührte. Dort verschwand es so plötzlich, wie es erschienen war. Den Zuschauern war es trotz der kalten Luft, welche sie umwehte, glühend heiß geworden. War da an Täuschung zu denken? Nein, das war die reine, unbestrittene Wahrheit. Sie fanden keine Worte, ihren Gefühlen Ausdruck zu geben. Selbst der bedächtige Komantsche ging aus sich heraus und rief ein »Uff« nach dem andern. Was sie sprachlos machte, das öffnete ihm den Mund zu diesen Ausrufungen. Sie standen da und warteten, ob die Erscheinung sich vielleicht wiederholen werde – vergebens. Eine Zeitlang loderte der Halbkreis noch in gleicher Stärke fort; dann verlor sein Bogen die bisherige Schärfe und seine Lichter begannen zu verdunkeln. Da ertönte hinter ihnen weicher Hufschlag im Sande. Reiter kamen, hielten bei ihnen an und sprangen von den Pferden. Der vorderste von ihnen war Old Shatterhand. »Gott sei Dank, daß ihr noch lebt!« rief er aus. »Ich glaubte euch verloren und war vollständig überzeugt, eure Leichen aus dem Sande graben zu müssen.« »So schlimm hat der Tornado uns denn doch nicht mitgespielt,« antwortete Fred. »Wir sind von ihm nur gestreift worden, Sir. Ihr müßt euch außerordentlich beeilt haben; wir konnten euch jetzt noch nicht erwarten.« »Ja, wir haben einen wahren Parforceritt gehabt. Es galt, euch zu retten. Darum ist auch Master Helmers mit seinen Knechten mitgekommen, wie ihr seht. Wir hatten große Sorge um euch. Der Tornado ist hart an Helmers Home vorübergegangen. Wir sahen die Verwüstungen, welche er angerichtet hat, und mußten aus der Richtung, welche er zurückgelegt hatte, mit Bestimmtheit vermuten, daß er auch euch getroffen habe. Glücklicherweise ist er ziemlich gnädig mit euch umgesprungen.« Auch die anderen gaben ihrer Freude Ausdruck. Es waren Jemmy, Davy, Bob und Helmers mit einigen Knechten. Die zwei Erstgenannten hatten von Old Shatterhand die Anwesenheit der beiden Snuffles erfahren. Sie freuten sich des Zusammentreffens mit ihnen, machten aber wenig Worte darüber, denn es gab Wichtigeres zu besprechen. Fred berichtete in Kürze über das zweimalige Erscheinen des Geistes. Jemmy und Davy schüttelten still die Köpfe. Sie wollten den Erzähler nicht durch die Aeußerung eines Zweifels beleidigen. Helmers meinte: »Was Ihr da berichtet, Sir, muß wahr sein, denn zehn Augen haben es gesehen; aber begreifen und erklären kann ich es nicht. Es wird wohl keinen Menschen geben, welcher unumstößlich nachzuweisen vermag, ob wir es mit einem Trugbilde oder einem wirklich existierenden Wesen zu thun haben.« »O ja, diesen Menschen gibt es freilich, und der bin ich selber!« antwortete der Hobble-Frank. »Von eener trügerischen Kompression kann keene Rede sein, denn die Geschtalten sind von uns in perplexer Vollendung gesehen worden. Der Geist is een überirdisches Wesen, welches durch die Luft zu reiten vermag. Wir schtehen in diesem Oogenblicke mitten in der mitternächtigen Geschpensterschtunde, was der Yankee Ghostly-hour nennt; dieser Umschtand erklärt die ganze Erscheinung und is der sicherste Beweis, daß wir es mit eener abgeschiedenen Seele aus der jenseitigen Himmelsgegend zu thun haben. Ich gloobe nich, daß jemand es wagen wird, mir zu widerschprechen!« Er hatte sich geirrt, denn Old Shatterhand klopfte ihm auf die Achsel und sagte, allerdings in freundlichem Tone: »Was hätte man denn zu erwarten, wenn man einen Widerspruch wagte, lieber Frank?« »Hm, das wäre verschieden, je nach der Persönlichkeet. Jeden anderen würde ich mit meinen Beweisen förmlich niederschmettern, so daß seine wissenschaftliche Existenz für immer und ewig vernichtet wäre. Aber wenn Sie selbst mal eene kleene, bescheidene Frage riskieren, so bin ich ausnahmsweise bereit, Ihnen den gewünschten Aufschluß in möglichster Freundlichkeet zu erteilen.« »Einen Aufschluß fordere ich nicht von Ihnen. Daß die Erscheinung das zweite Mal in der Mitternachtsstunde stattgefunden hat, ist kein Beweis ihres überirdischen Ursprunges, denn vorher war sie ja am hellen Tage zu sehen. Wollen Sie mir eine ausführliche Beschreibung des ganzen Vorganges geben, so bin ich überzeugt, ihn zur Genüge erklären zu können.« »Das möchte ich beschtreiten; aber da Sie es sind, so will ich Ihnen die Schilderung liefern, denn Sie sind von allen Anwesenden der eenzige, der mir komponieren kann.« Der kleine Sachse gab eine ganz vorzügliche und sehr ausführliche Beschreibung der zweimaligen Geistererscheinung. Old Shatterhand warf zuweilen eine Frage dazwischen. Indessen sank im Süden der Lichtschein immer tiefer und erbleichte mehr und mehr. Er schien ganz verschwinden zu wollen. Einige Minuten lang lag er nur noch wie ein blasser Schimmer auf dem Horizonte; dann aber wurde er plötzlich wieder heller, stieg aber keineswegs zunächst wieder zur früheren Höhe empor, sondern lief wie an einer funkensprühenden Lunte immer weiter nach Wesen hinüber. Dort blieb er halten und bildete sich mit ungeheurer Schnelligkeit zu einem Flammenmeere aus, welches den halben Himmel erleuchtete. »Alle Teufel!« rief Frank aus. »Da geht die Geschichte schon wieder los! So eene Geisterschtunde habe ich noch nich erlebt. Diese Feuer sind übernatürlichen Urschprunges, denn – – –« »Unsinn!« unterbrach ihn Old Shatterhand. »Die Sache ist sehr leicht zu erklären. Das Feuer dort ist ein ganz natürliches.« »Was sollte denn da brennen?« »Verdorrtes Kaktus. Es gibt bekanntlich in der Llano meilenweite Strecken, welche so dicht mit Kaktus bedeckt sind, daß kein Reiter hindurchkommen kann. Sind die Pflanzen vertrocknet, so genügt ein einziger unvorsichtiger Funke, um in wenigen Augenblicken ein wahres Feuermeer zu erzeugen.« »Das ist wahr,« stimmte Helmers bei, »und ich weiß ganz gewiß, daß im Süden und Westen von hier sehr bedeutende Kaktusstrecken liegen.« »Nun, so haben wir also zunächst eine Erklärung für das Feuer, und die beiden vermeintlichen Gespenster werden wir auch bald beim Kragen nehmen.« »Oho!« fiel der Hobble-Frank ein. »Vermeintliche Geschpenster? Es waren wirkliche. Und wie kommen Sie off die Idee, daß es zwee Geister waren?« »Das ist aus den Gestalten zu ersehen. Das erste Gespenst, welches am Tage erschien, war der sogenannte Dragoneroffizier. Wer das zweite gewesen ist, kann ich freilich noch nicht sagen. Ich kenne niemand, der ein weißes Büffelfell trägt.« »Jetzt lassen Sie mich mal in Ruhe, Herr Old Shatterhand! Ich habe zwar gesagt, daß Sie der eenzige sind, von dem ich mir komponieren lasse, aber doch nur eenigermaßen. Keen Mensch kann da oben am Himmel hinreiten, und das is doch geschehen, wie wir fünf mit deutlichen Oogen gesehen haben.« »Ja, die Bilder haben sich in der Luft bewegt; die Originale aber sind unten auf der Erde geritten« »Die Bilder? Na, jetzt hört alles und verschiedenes off! Ich hab all mein Lebtage noch nich gehört, daß Bilder reiten können, noch dazu durch den sauern Stoff der Atmosphäre! Wie sollen denn diese Bilder eegentlich entschtanden sein?« »Durch mehrere verschieden erwärmte Luftströmungen, wie sie z.B. dort bei dem Feuer entstehen.« »So! Also Bilder entschtehen durch Schtrömungen der Luft! Das is mir was ganz Neues. Bisher gloobte ich, sie könnten nur mit Hilfe des Bleischtiftes, des Kontramarineblau oder der Photographie entschtehen.« »Nicht auch durch einen Spiegel?« »Ja, das hatte ich vergessen.« »Nun, die Luft wirkt unter Umständen gerade so wie ein Spiegel.« »So! Ja, das leuchtet mir eher ein, denn in der Lehre von den Luftspiegelungen bin ich der bedeutendste unter den Meestern.« »Schön! dann werden Sie auch zugeben, daß Ihre Geister nur Luftspiegelungen waren, gerade so, wie – – – –« Er hielt inne. Seine Aufmerksamkeit wurde jetzt auf das Feuer gelenkt, welches in dunkelroter Glut am Horizonte stand, und eine Decke durcheinanderwogender Wolken über sich trug. Und höher noch als diese Wolken, aber diesseits des Feuers und frei schwebend im Luftraume entwickelte sich jetzt das verkehrte Bild einer ebenen, glühend rot erleuchteten Landschaft. Da, wo sie links begann, kam ein Reiter aus dem Dunkel hervor, ganz genau derselbe, welchen die Männer vorhin gesehen hatten, mit einem Büffelfelle, aber eben in verkehrter Stellung, mit dem Kopfe nach unten. »Gerade so, wie diese dort!« fuhr Old Shatterhand fort, indem er auf die Spiegelung deutete. Er hatte noch nicht ausgesprochen, so ließ sich ein zweiter Reiter sehen, welcher dem ersten nachjagte. »Herrjemineh!« schrie der Hobble-Frank. »Das is doch der von heute Nachmittag, der beim Tormenado offtauchte!« »So! Ist er es?« antwortete Old Shatterhand. »Sie werden mir nun recht geben, daß es sich um zwei ganz verschiedene Erscheinungen handelte. Und da kommen auch noch mehrere!« Hinter der letzterwähnten Gestalt folgten jetzt noch fünf oder sechs Reiter, alle im Galopp, aber verkehrt, mit den Köpfen nach unten. »Jetzt wird mir's bald zu bunt!« meinte der Hobble-Frank. »Befände ich mich alleene, so gloobe ich, ich ferchtete mich riesig. Ich danke och schäne für solche Ghostly-hours! Ich habe zwar von Geschpenstern gehört, welche durch die Nacht reiten und dabei ihren Kopp unterm Arm tragen; aber daß sie nun gleich gar alle off den Köppen reiten, das is mir denn doch zu bunt.« »Das ist gar nichts so Schreckhaftes. Die vorigen Bilder wurden mehrere Male, das jetzige aber nur einmal gebrochen. Uebrigens werden wir sofort die Bekanntschaft dieser Geister machen. Schnell auf die Pferde, Mesch'schurs! Ganz gewiß ist der vorderste Reiter der sogenannte Geist der Llano estakata. Er wird von den anderen verfolgt, und da er ein braver Kerl ist, wollen wir uns seiner ein wenig annehmen.« »Sind Sie toll!« rief Frank. »Das wäre die reene Versündigung an der Geisterwelt. Bedenken Sie doch nur, was der unschterbliche Goethe spricht: Der Mensch versuche die Götter nicht Und begehre nimmer und nimmer zu schauen Die Geister mit ihren Kindern und Frauen!« Aber die anderen hörten nicht auf ihn; sie gehorchten der Aufforderung Old Shatterhands. Ihr Vertrauen zu diesem Manne sagte ihnen, daß er weder etwas Gefährliches, noch etwas Lächerliches von ihnen verlangen werde. »Nehmen wir auch die Packpferde mit?« fragte Helmers. »Ja, wir werden wohl schwerlich alle nach hier zurückkehren. Ihr solltet uns allerdings nur bis hierher begleiten; unter den jetzigen Umständen aber werdet Ihr uns wohl gern noch eine Strecke begleiten.« »Natürlich! Möchte doch gar zu gern ein Wort mit dem Avenging-ghost sprechen.« Die zwei Packpferde, welche Helmers mitgebracht hatte, wurden von den Knechten an den Leitzügeln genommen. Auch Frank stieg auf. Es war nicht die Furcht, sondern nur sein alter Widerspruchsgeist, welcher ihn zu seinem Sträuben veranlaßt hatte. Die Truppe setzte sich in Bewegung und jagte in Karriere über die Ebene dahin. Sobald die Reiter ihren bisherigen Standort verlassen hatten, verschwand die Lufterscheinung. Nur noch das hochlodernde Feuer war zu sehen. Voran ritt Old Shatterhand, hart hinter sich die beiden Snuffles, deren Maultiere wie besessen dem Rappen des berühmten Jägers folgten. Dieser letztere nahm seine Richtung nicht direkt nach dem Feuerscheine, sondern mehr nördlich desselben hin. Er konnte sein Ziel nicht sehen; er mußte dasselbe berechnen. Und das war sehr schwierig, da die Spiegelung, welche zudem nun verschwunden war, ihm keinen sicheren Anhalt bot, und die Reiter, welche er suchte, sich mit großer Schnelligkeit fortbewegten. Die kleine Schar flog wie die wilde Jagd dahin. Old Shatterhand mußte seinem Rappen Einhalt thun, sonst hätten die anderen ihm nicht folgen können. In zehn Minuten wurden wohl drei englische Meilen zurückgelegt. Dennoch war nicht zu bemerken, daß man sich dem Feuer nähere, dessen Helligkeit sich eher zu verstärken als zu vermindern schien. Noch zehn Minuten vergingen. Da stieß Old Shatterhand einen lauten Ruf aus und erhob den Arm, um von der jetzigen Richtung ab ein wenig nach rechts zu deuten. Von dorther näherten sich zwei Punkte, voran ein hellerer, welchem ein dunklerer folgte. Weiter zurück gab es eine Mehrheit solcher dunkler Punkte, welche das Bestreben hatten, sich in gleicher Schnelligkeit mit den beiden anderen fortzubewegen. Das waren lauter Reiter. Der Schein des Feuers fiel von seitwärts hinten auf sie und ließ die zottige Gestalt des vordersten schon von weitem ziemlich deutlich erkennen. Old Shatterhand hielt sein Pferd an und sprang aus dem Sattel. »Steigt ab!« rief er den anderen zu. »Da wir aus dem Dunkel kommen, hat man uns noch nicht gesehen, während wir sie gegen das Licht hin deutlich vor Augen haben. Unsere Pferde mögen sich legen. Aber sobald ich wieder aufsteige, thut ihr dasselbe.« Sie gehorchten seiner Aufforderung. Old Shatterhand hatte wohlweislich eine etwas vertiefte Stelle gewählt, welche im Schatten lag. Als die Pferde lagen und die Reiter sich neben denselben niedergekauert hatten, war es für einen, welcher, aus dem Feuerscheine kommend, in die Dunkelheit hineinritt, gar nicht möglich, sie eher zu sehen, als bis er bei ihnen anlangte. Sie hingegen konnten das vor ihnen liegende Terrain bequem überblicken. Der vorderste Reiter war vielleicht noch sechshundert Schritte von ihnen entfernt; halb so weit hinter ihm folgte der zweite, und in gleicher Entfernung kamen dann die anderen sechs. »Was thun wir mit ihnen, Sir? Schießen wir sie nieder?« fragte Helmers. »Nein. Sie haben uns nichts gethan, und ich vergieße Menschenblut nur dann, wenn ich gerechte Ursache dazu habe. Nur mit dem ersten Verfolger möchte ich ein Wörtchen reden. Laßt mich vorerst meine Sache allein machen. Ihr habt dann nichts anderes zu thun, als die sechs davonzujagen.« Er wand den Lasso los, welchen er sich um die Hüften geschlungen hatte. Das eine Ende desselben, an welchem sich ein Knoten befand, befestigte er an dem Sattelknopfe seines ruhig im Sande liegenden Pferdes. Das andere Ende mit einem Ringe formte er zu einer Schleife, groß genug, sich um den Körper eines Menschen zu legen. Den übrigen Teil des fünffach geflochtenen und wohl zwanzig Ellen langen Riemens wand er sich zwischen dem Daumen und Zeigefinger hindurch und über den Ellbogen weg in Schlingen, die er in die linke Hand nahm, während er die vorderste Schleife in der rechten behielt, so daß er den Ring mit Daumen und Zeigefinger gefaßt hatte. Das war so schnell gegangen, daß er mit dieser Vorbereitung noch vor dem Erscheinen des ersten Reiters fertig war. Die Nahenden ritten nämlich gerade auf die Vertiefung zu. Jetzt hörte man den Hufschlag des ersten Pferdes. Es war ein hochgebauter Rappe. Der Reiter trug den Schädel eines weißen Büffels auf dem Kopfe, von welchem das zottige Fell weit über die Kruppe des Pferdes herunterhing. Sein Gesicht steckte so tief im Schädel, daß es nicht zu erkennen war. Als er sich ungefähr noch zehn Schritte von der Vertiefung befand, erhob sich Old Shatterhand. Der Reiter sah ihn augenblicklich, konnte aber sein Pferd nicht schnell genug halten, so daß es erst stand, als er sich kurz vor Old Shatterhand befand. »Halt! Wer bist du?« fragte der letztere. »Der Geist der Llano,« erklang es dumpf unter dem Büffelschädel hervor. »Und du?« »Ich bin Old Shatterhand. Steige getrost ab. Wir beschützen dich!« »Der Avenging-ghost bedarf keines Schutzes. Ich danke euch!« Nach diesen Worten trieb er sein Pferd weiter. Das Wechseln der wenigen Worte hatte nur einige Augenblicke in Anspruch genommen. Dennoch war infolgedessen der zweite Reiter schon nahe herangekommen. Old Shatterhand stellte sich über den Leib seines am Boden liegenden Pferdes, den einen Fuß rechts und den anderen links vom Sattel, den Lasso in beiden Händen. Ein leichtes Schnalzen seiner Zunge und das vortrefflich dressierte Pferd sprang mit einem Rucke empor. So hielt er jetzt da, gerade wie aus der Erde gewachsen. Der zweite Reiter erschrak vor der sich ihm so plötzlich in den Weg stellenden Gestalt. Auch er konnte sein Pferd nicht so schnell parieren, wie er wollte; er hatte es bedeutend weniger in der Gewalt, wie der »Geist« das seinige. Es schoß bis nahe zu Old Shatterhand heran. »Haltet an!« gebot dieser. »Wer seid Ihr?« »Thunderstorm! Old Shatterhand!« entfuhr es dem Manne. »Hol' Euch der Teufel!« Er gab seinem Pferde die Sporen, um fort zu eilen. »Ihr bleibt, sage ich!« gebot ihm der Jäger. »Ich möchte mir Euer Gesicht einmal ansehen.« »Später, wenn es mir besser paßt!« Damit schoß er fort. Aber Old Shatterhand war sofort hinter ihm her. Als der Reiter seine letzten Worte im Tone des Hohnes ausgesprochen hatte, war der junge Komantsche von der Erde aufgesprungen. »Uff!« rief er aus. »Diese Stimme kenne ich. Auch Eisenherz hat mit diesem Manne zu sprechen.« Er erhob sein Gewehr, legte an und zielte, doch ließ er es sofort wieder sinken, indem er sagte: »Old Shatterhand hat ihn schon!« Der Flüchtige war kaum zehn Pferdesprünge weit gekommen, so wirbelte Old Shatterhand, der ihm auf der Ferse war, die Schleife des Lasso vier-, fünfmal um den Kopf und schleuderte sie dann nach dem Reiter. Der Riemen lief leicht von den Schlingen ab, welche Old Shatterhand locker in der linken Hand hielt, und die Schleife fiel dem Fliehenden genau um beide Schultern. Sofort hielt Old Shatterhand sein Pferd an. Da der Lasso am Sattel befestigt war, so lief der Riemen schnell ab, die Schlinge zog sich um den Reiter zusammen, und der letztere wurde vom Pferde gerissen. Sofort sprang Old Shatterhand von dem seinigen und eilte hin zu ihm. Der am Boden Liegende konnte sich nicht befreien, da ihm die beiden Arme fest an den Leib gezogen worden waren. Inzwischen gab es hinter diesen beiden eine weitere Szene. Die übrigen sechs Reiter waren nahe herbeigekommen, und darum hatten die Gefährten Old Shatterhands ihre Pferde aufspringen lassen und sich schnell aufgesetzt. Die sechs Männer staunten oder vielmehr erschraken nicht wenig, als sie so plötzlich eine so überlegene Anzahl von Reitern vor sich halten sahen. Sie bogen zur Seite ab, um an ihnen vorüber zu kommen. Da aber sahen sie, daß ihr Anführer durch den Lasso vom Pferde gerissen wurde. Sie fühlten sich zu schwach, ihm zu helfen, und stoben sofort auseinander und in verschiedenen Richtungen davon. Dieses letztere Manöver führten sie aus, um die Verfolgung zu erschweren; aber es fiel keinem ein, dieselbe aufzunehmen. Old Shatterhand hatte es ja nicht gewollt. Uebrigens daß sie flohen anstatt halten zu bleiben, das war ein sicheres Zeichen, daß sie kein gutes Gewissen besaßen. Man ließ sie ungehindert fort und begab sich zu ihrem noch am Boden liegenden Anführer. Dieser war inzwischen von Old Shatterhand entwaffnet worden. Nun sagte derselbe zu ihm: »Ihr hättet klüger gethan, meinem Befehle Folge zu leisten, Sir. Derjenige, dem ich zu halten gebiete, der hält unbedingt bei mir an, ob freiwillig oder gezwungen, eins von beiden. Wollt Ihr mir sagen, wer Ihr seid?« Der Gefragte antwortete nicht. »Auch diesen Gefallen wollt Ihr mir nicht thun? Ihr scheint Euch nicht recht sicher zu fühlen. Werden Euch also einmal in das Gesicht sehen.« Er faßte ihn mit kräftigen Armen, hob ihn empor und stellte ihn so auf die Füße, das sein Gesicht gegen den Feuerschein gerichtet war. »Alle Wetter!« rief Helmers. »Das ist ja der famose Dragoneroffizier! Freut mich, Euch so bald wieder zu sehen! Euer Kleiderschrank da hinten zwischen den Büschen ist entdeckt und ausgeräumt worden, Sir! Ihr hattet ihn schlecht verwahrt; auch Eure Uniform ist gefunden worden. Was meint Ihr wohl, was man mit Euch machen wird?« »Nichts könnt ihr mir thun!« antwortete der Mann wütend. »Wer von euch will mir nachweisen, daß ihm das Geringste von mir geschehen ist?« »Ja, darauf verlaßt Ihr Euch. Ausgeführt habt Ihr gegen uns direkt noch nichts. Die Pläne, welche Ihr hegtet, waren schlimm, und infolgedessen könnten mir Euch nach dem Gesetze der Prairie schon ein wenig scharf vornehmen. Aber wir sind keine Henker und lassen Euch also laufen.« »Das müßt ihr, denn ihr könnt mir nichts beweisen.« »O, beweisen könnten wir Euch doch einiges; doch ist das gar nicht nötig. Ich sage also, daß wir Euch laufen lassen, nämlich wir Weißen. Da aber steht ein Roter, welcher wahrscheinlich eine Rechnung mit Euch auszugleichen haben wird. Seht ihn Euch einmal an!« Der Komantsche trat vor. Der Mann sah ihn an und sagte: »Diesen Kerl kenne ich nicht.« »Lüge nicht, Halunke!« rief Tim ihn an. »Kennst du etwa auch mich und meinen Bruder nicht? Habt ihr nicht die beiden unschuldigen Komantschen überfallen, den einen getötet und den anderen dann verfolgt, bis es uns gelang, euch von der Fährte abzubringen? Wir haben euch dann verfolgt, und es war sehr klug von dir, uns jetzt geradezu in die Hände zu laufen. Du ersparst uns dadurch viele Mühe, und hoffentlich bildest du dir nun nicht mehr ein, dich von außen herum durch Lügen fortzuschlängeln. Mache es kurz und gestehe deine Schuld ein!« »Ich weiß von keiner Schuld!« knirschte der Gefangene. Da legte Old Shatterhand ihm die Hand schwer auf die Schulter und sagte: »Ihr seht, wie es steht, und ich nehme an, daß man mich Euch als einen Mann geschildert hat, mit welchem nicht zu scherzen ist. Was habt Ihr mit den Auswanderern vor, welche Euer frommer Master Tobias Preisegott Burton durch die Llano führen soll? Wo befinden sich jetzt diese Leute, und warum habt Ihr den Kaktus angebrannt? Wenn Ihr mir diese Fragen der Wahrheit gemäß beantwortet, habt Ihr ein mildes Urteil zu erwarten.« Der Mensch war so verstockt, trotz dieses Versprechens beim Leugnen zu verharren. »Ich weiß nicht, was Ihr wollt. Ich kenne diesen Indianer nicht, auch nicht diese beiden Kerls mit den fürchterlichen Nasen, am allerwenigsten aber einen Mann, welcher Tobias Preisegott Burton heißt. Von Auswanderern ist mir auch nichts bekannt.« »Warum verfolgtet Ihr den Geist der Llano estakata?« »Geist? Lächerlich! Der Kerl ist ein Halunke, welcher vorhin einen unserer Männer erschossen hat, mitten unter uns heraus und grad vorn in die Stirn.« »Weiter habt Ihr uns nichts zu sagen?« »Kein Wort.« »So bin ich also mit Euch fertig. Eure Pläne werden zu schanden gemacht werden, denn wir nehmen die Auswanderer unter unseren Schutz. Ihr leugnet also nur zu Eurem eigenen Schaden. Jetzt mag mein junger, roter Bruder sagen, wessen er diesen Mann anzuklagen hat.« »Dieses Bleichgesicht hat den Häuptling Feuerstern, meinen Vater, in den Leib geschossen, woran er gestorben ist. Howgh!« »Ich glaube dir. Darum gehört der Mörder von diesem Augenblicke an dir. Thue mit ihm, was dir gefällt!« »Donnerwetter!« rief der Gefangene. »Das ist kein großes Heldenstück von Euch. Ich bin vom Lasso zusammengeschnürt; da wird es dem Halunken freilich ein Leichtes sein, mich auszulöschen!« Der Komantsche erhob den Arm zu einer verächtlichen Bewegung und sagte: »Eisenherz nimmt keinen Skalp geschenkt. Er wird den Mörder richten; aber er wird dabei so handeln, wie es sich für einen tapferen Krieger geziemt. Meine Brüder mögen eine kleine Zeit verweilen!« Er eilte fort, in das Dunkel der Nacht hinein, und kehrte bald darauf mit dem Pferde Stewarts zurück. Es war nach kurzem Laufe stehen geblieben, und die scharfen Sinne des Indianers hatten ihm gesagt, wo es zu finden sei. Dieser letztere legte alle seine Waffen ab und behielt nur das Messer bei. Dann bestieg er sein Pferd und sagte: »Meine Brüder mögen diesen Mann losbinden und ihm auch sein Messer geben. Dann mag er sich auf sein Pferd setzen und davon reiten, wohin es ihm beliebt. Eisenherz wird ihm folgen und mit ihm kämpfen. Die Waffen sind gleich: Messer gegen Messer, Leben gegen Leben. Ist Eisenherz nach einer Stunde noch nicht zurückgekehrt, so liegt er tot im Sande der Llano estakata.« Der tapfere Jüngling wollte es so, und also mußte man ihm den Willen thun. Stewart erhielt sein Messer, wurde vom Lasso befreit und sprang in den Sattel. Er jagte mit den Worten davon: »Hallo! Die Dummen werden nicht alle. Meinen Plänen könnt ihr nun nichts anhaben. Wir sehen uns wieder, und dann genade euch allen Gott!« Eisenherz stieß den schrillen Kampfesruf der Komantschen aus und schoß auf seinem Pferde wie ein Pfeil hinter ihm drein. Die anderen blieben schweigend halten. Zwar wurden, als sie sich niedergesetzt hatten, einige Bemerkungen ausgesprochen, aber die Situation bedrückte jeden so, daß man lieber schwieg. Eine Viertelstunde verging und noch eine. Das Feuer nahm an Stärke ab. Da hörten die Wartenden den galoppierenden Hufschlag mehrerer Pferde. Der Komantsche kehrte zurück, das Pferd seines Feindes am Zügel führend. An seinem Gürtel hing ein frischer Skalp. Er selbst war unverwundet. »Einen der Mörder hat Eisenherz seinem Vater nachgesandt,« sagte er, indem er zu den Männern trat. »Die anderen werden diesem bald folgen. Howgh!« Das war der blutige Schluß der heutigen Ghostly-hour. – – – 4. Kapitel. Im »Yuavh-Kai« Viertes Kapitel Im »Yuavh-Kai« Da, wo die südöstliche Ecke von Neu-Mexiko in das Gebiet von Texas hereinstößt, befindet sich einer der gefährlichsten Winkel des fernen Westens. Dort berühren sich die Streifgebiete der Komantschen und Apatschen, ein Umstand, welcher die immerwährende Unsicherheit der Gegend zur natürlichen Folge hat. Es kann zwischen diesen beiden Völkerschaften, so lange sie überhaupt noch bestehen, niemals zu einem aufrichtigen, dauernden Frieden kommen. Der gegenseitige Haß ist zu tief eingewurzelt, und selbst in Zeiten, in denen der Tomahawk des Krieges tief vergraben liegt, glimmt das verderbliche Feuer unter der Asche fort und kann bei der geringsten Veranlassung von neuem zu blutigem Rot aufflammen. Diese stets nur auf kurze Zeit ruhende Feindschaft fordert die meisten Opfer natürlich da, wo die beiden Gebiete aneinander stoßen oder vielmehr ineinander laufen. Die Grenze bildet weder eine gerade Linie noch ist sie überhaupt fest bestimmt; darum kommen gegenseitige Anschuldigungen wegen Grenzverletzung außerordentlich häufig vor, und dann gehen gewöhnlich, um einen Ausdruck des Fürsten von Bismarck anzuwenden, »die Flinten ganz von selber los«. » The shears « nennt der Westmann diese gefährlichen Gegenden, eine Bezeichnung, welche sehr zutreffend ist. Die Grenzlinien sind beweglich; sie öffnen und schließen sich wie Scherenklingen, und derjenige, welcher zwischen sie gerät, kann sich seines Glückes rühmen, wenn er heiler Haut entkommt. Der Weiße, welcher sich dort sehen läßt, ist entweder ein kühner oder ein sehr unvorsichtiger Mann; in beiden Fällen kreist der »Geier des Todes« beständig über seinem Haupte. – Da, wo der von den Teufelsbergen kommende Togahfluß in den Rio Pekos mündet, bildete zur betreffenden Zeit der letztere die Grenze zwischen dem Gebiete der Komantschen und Apatschen. Westlich von ihm steigt das Terrain zur Sierra Guadelupe, Sierra Pilaros und Sierra del Diablo empor, während im Osten von ihm die Staked Plains liegen – die berüchtigte Llano estakata. Aber die Llano beginnt nicht sofort an seinem Ufer; sie ist vielmehr durch eine Bergkette von ihm getrennt, welche entweder als einfacher Höhenzug, oft aber auch in mehrfachen Zügen mit ihm nach Südosten streicht. Diese Züge schließen Längsthäler ein, welche meist ein sehr tristes Aussehen haben und von engen, schluchtartigen Querthälern durchschnitten werden, die sich nach der Llano öffnen. Die Nähe des Flusses hat da, wo die Bodenverhältnisse es gestatten, eine zuweilen sogar üppige Vegetation zur Folge. Das Wort Wüste ist, gerade wie bei der Gobi und Sahara, so auch hier nicht im strengsten Sinne des Wortes zu nehmen. Da, wo der westliche Rand der Llano estakata sich zu den erwähnten Bergen erhebt, kommen verschiedene kleine Wasserläufe von den letzteren herab, welche zwar meist im Sande versiegen, aber auf ihrem Wege doch so viel Feuchtigkeit verbreiten und den angrenzenden Boden so durchtränken, daß an ihren Ufern Sträucher und sogar Bäume recht gut zu existieren vermögen. Diese grünen Stellen ragen gleich Halbinseln oder Landzungen in das Sandmeer der Llano hinein und bilden zwischen sich breitere oder schmälere, tiefere oder seichtere Busen, in denen Gras und Kräuter Nahrung finden. Es geht sogar die Sage, daß es in der Mitte der Llano eine starke Quelle köstlichen Trinkwassers gebe, welches tief aus dem Erdinnern emporsteige und eine kleine, seeartige Fläche bilde, deren Ufer mit schattengebendem Baum- und Buschwerke eingefaßt sei. Alte Jäger hatten davon gesprochen, die Quelle und den See aber niemals selbst gesehen! Gelehrte Leute, welche davon gehört hatten, waren der Ansicht gewesen, daß das Vorhandensein von Wasser mitten in der Llano keineswegs als eine hydrographische Unmöglichkeit zu bezeichnen sei. Am Ufer des Togahflüßchens saßen vier Männer, deren Aussehen nicht eben sehr vertrauenerweckend war. Ihre wirren, struppigen Kopf- und Barthaare hatten lange Zeit der Pflege entbehrt; ihre Anzüge befanden sich in einem Zustande, welchen jeder Flickschneider für unverbesserlich erklärt hätte, und ihre braunen Hände und vom Wetter gegerbten Gesichter schienen monatelang mit keinem Tropfen Wasser in Berührung gekommen zu sein. Desto besser aber waren sie bewaffnet, denn jeder von ihnen hatte einen Hinterlader neben sich liegen und neben dem Messer zwei Revolver im Gürtel stecken. Drei von ihnen waren ganz gewiß Yankees. Ihre langen, hageren Gestalten, ihre nach vorn gebeugten, schmalbrüstigen Oberkörper und ihre scharfgeschnittenen Gesichtszüge bewiesen das. Aber welcher Nationalität der vierte angehöre, das war schwerer zu bestimmen. Dieser Mann hatte eine untersetzte, breitschulterige Figur, außerordentlich große, breite Hände und ein ebenso in die Breite gehendes Gesicht mit sehr großen, weit abstehenden Ohren. Wer nur einen kurzen, oberflächlichen Blick in sein Gesicht warf, der konnte ihn leicht für einen Neger halten, denn sein Gesicht war schwarz oder vielmehr körnig blauschwarz, aber nur bis in die Gegend der Augen. Er pflegte den Hut so tief hereinzuziehen; sobald er ihn aber in den Nacken schob, konnte man sehen, daß die Gesichtshaut bis über die Nasenwurzel herab weiß war. Der Mann war jedenfalls durch explodierendes Pulver verbrannt worden. Trotz der dadurch hervorgebrachten Entstellung seiner Züge hatte das Gesicht nichts geradezu Abstoßendes. Wer ihn genauer betrachtete, kam gewiß zu der Ueberzeugung, einen »guten Kerl« vor sich zu haben. Ganz ebenso war es mit den drei anderen. Wer sie in ihrem jetzigen Aufzuge in einer zivilisierten Gegend hätte sitzen sehen, der wäre ihnen gewiß weit ausgewichen, bei näherer Bekanntschaft aber mußte diese Scheu verschwinden. Die vier Pferde weideten im Grase, welches reichlich zwischen den grünen Büschen stand. Man sah es ihnen an, daß sie sehr strapaziert worden waren. Das Sattel- und Zaumzeug war alt und an vielen Stellen nur notdürftig ausgebessert. Ihre Herren hatten gegessen. Den in der Nähe zerstreuten Knochen nach war anzunehmen, daß sie sich ein Racoon 5 an dem kleinen Feuer gebraten hatten, dessen Reste nur noch leise glimmten. Während sie sich nun unterhielten, unterließen sie es nicht, die Gegend öfters mit scharfen Blicken abzusuchen. Sie befanden sich eben in den » Shears «, wo die größte Aufmerksamkeit geboten ist. »Nun wird es Zeit, uns zu entscheiden«, sagte derjenige Yankee, welcher der älteste von ihnen zu sein schien. »Reiten wir durch die Llano, so kommen wir eher ans Ziel, laufen aber mancherlei Gefahr und haben an diesem alten 'Coon hier für Tage hinaus unser letztes Fleisch gegessen. Reiten wir aber am Rio Pekos hinab, so brauchen wir weder Hunger noch Durst zu leiden, machen aber einen Umweg von beinahe einer Woche. Was ist deine Meinung, Blount?« Blount, welcher neben ihm saß, strich sich nachdenklich den Bart und antwortete dann: »Wenn ich alles genau abwäge, so möchte ich vorschlagen, daß wir durch die Llano reiten, und ich denke, du wirst mir recht geben, Porter.« »So laß uns deine Gründe hören!« »Eine Woche ist eine lange Zeit, welche ich nicht gern versäumen möchte. Am Rio Pekos hinab haben wir die Apatschen und Komantschen zu fürchten, in den Plains aber die Llanogeier; das hebt sich gegenseitig. Wir haben nicht nötig, die ganze Breite der Plains zu durchmessen. Halten wir uns nach Südost, etwa gegen den Rio Contscho hin, so kommen wir auf die Karawanenstraße, welche von Fort Mason nach Fort Leaton führt, und haben weder eine schlimme Begegnung noch Hunger oder Durst zu fürchten. Das ist meine Meinung. Was sagst du dazu, Falser?« »Ich stimme dir bei,« antwortete Falser, der dritte Yankee. »Ich bin überhaupt der Ansicht, daß die Estakata nicht halb so gefährlich ist, wie sie zu sein scheint. Wer sie einmal durchquert hat, der schildert, um sich nur recht rühmen zu können, die Gefahren in einer Weise, als ob sie die reine Hölle sei. Ich bin mit Vergnügen bereit, sie kennen zu lernen.« »Eben weil du sie noch nicht kennst!« meinte Porter, der erste Yankee. »Hast etwa du schon ihre Bekanntschaft gemacht?« »Nein; aber ich hörte Leute, an deren Wahrheitsliebe nicht zu zweifeln ist, in einer Weise von ihr reden, daß mich ein Schauer überlief. Jetzt, da wir uns an ihrer Grenze befinden, sehe ich erst ein, welches Wagnis wir unternehmen wollen. Keiner von uns kennt die Llano. Wenn wir uns verirren, wenn uns das Wasser ausgeht, wenn – – –« »Wenn, wenn und abermals wenn!« unterbrach ihn Blount. »Wer so viele Wenns zu sagen hat, der mag überhaupt nichts unternehmen. Du bist doch sonst ein mutiger Kerl; fürchtest du dich etwa jetzt?« »Fürchten? Fällt mir nicht ein! Zwischen Vorsicht und Furcht ist ein ungeheurer Unterschied, und ich glaube nicht, daß ihr mich jemals ängstlich gesehen habt. Wir sind vier Personen. Dem, was die Mehrheit beschließt, muß Folge geleistet werden. Bevor man einen Beschluß faßt, muß man überlegen. Das habe ich gewollt, und das ist doch kein Grund, mich zu fragen, ob ich mich fürchte. Zwei haben ihre Meinung abgegeben; sie sind entschlossen, durch die Llano zu gehen. Jetzt sage du, Ben New-Moon, ob du dich ihnen anschließen willst oder nicht!« Diese Aufforderung war an den Mann mit dem Pulvergesicht gerichtet. Er legte die Hand salutierend an die Hutkrämpe, gerade wie ein Soldat, welcher vor seinem Offiziere steht und antwortete: »Zu Befehl, Master Porter! Ich reite überall mit hin, selbst wenns ins Teufels Küche wäre.« »Das ist nichts gesagt. Ich will eine bestimmte Antwort. Den Rio Pekos hinab oder durch die Llano?« »Dann bitte, durch die Llano, wenn's Euch beliebt. Ich möchte diese alte Sandgrube doch gar zu gern kennen lernen.« »Sandgrube? Täusche dich nicht, alter Mondonkel! Bildest du dir etwa ein, hüben hineinspringen und dann gleich drüben wieder heraussteigen zu können? Das Ding ist etwas größer, als du es dir vorzustellen scheinst. Du kannst vier oder auch fünf Tage lang reiten, bevor du dieses Sandfaß hinter dir hast. Und gerade wenn wir den südlichen Teil desselben durchschneiden, ist es sehr wahrscheinlich, daß wir auf Indianer treffen.« »Mögen sie kommen! Ich habe noch nie einem Roten etwas zuleide gethan und brauche diese Leute also nicht zu fürchten. Und würden sie sich feindselig gegen uns verhalten, nun, so haben wir unsere guten Waffen. Vier kräftige Kerls, welche so viel Pulver gerochen haben wie wir, nehmen es gut und gern mit zwanzig und auch noch mehr Indianern auf.« »Das ist sehr richtig. Was aber das Pulverriechen betrifft, so bist du uns um eine ganze Pferdelänge voraus. Es muß ja ein ganzes Pulverfaß vor deinem Gesichte explodiert sein!« »Beinahe ist es so.« »Wie ging das zu? Du hast es uns noch nicht erzählt. Ist eine Heimlichkeit dabei?« »Gar nicht; aber ich habe keine Veranlassung, mich über die Sache zu freuen; darum spreche ich nicht von ihr. Es ging mir damals hart an das Leben. Wenigstens war es auf das Licht meiner Augen abgesehen, und wenn mein alter Freund, der Juggle-Fred, nicht gewesen wäre, so wäre ich jetzt geblendet oder gar tot.« »Wie? Du kennst den Fred? Habe viel und oft über diesen Mann gehört.« »Wir waren gute Kameraden und haben manchen Koup miteinander ausgeführt, bei welchem es anderen Leuten angst und bange geworden wäre. Möchte ihn gern einmal wiedersehen! Er scheint aber verschollen zu sein. Wer weiß, in welcher Prärie seine Gebeine bleichen. Habe ihm sehr viel zu verdanken von damals, als er den Plan des Stealing-Fox zu nichte machte.« »Stealing-Fox?« fragte Porter überrascht. »Also bist du auch mit diesem berüchtigten Spitzbuben zusammengetroffen?« »Leider! Lernte ihn sogar genauer kennen, als mir lieb sein konnte. Der Kerl hieß Henry Fox, wenigstens nannte er sich so. Ob dies sein wirklicher Name war, weiß ich nicht, denn es ist zu vermuten, daß er sich verschiedener Namen bedient hat. Wo er auftauchte, war kein Mensch seines Pferdes, seiner Biberfallen, überhaupt seines Eigentums sicher, und niemals gelang es, ihm das Handwerk zu legen, denn er entwickelte eine Schlauheit, welche geradezu ihresgleichen suchte. Er verschwand stets so schnell, wie er gekommen war. Sollte ich ihm einmal begegnen, so würde ich augenblicklich mit ihm abrechnen. Eine Kugel wäre ihm sicher, denn ich habe – – – horcht!« Er unterbrach seine Rede, richtete sich halb auf und horchte nach der Seite, nach flußaufwärts hin. Die in der Nähe befindlichen Pferde spitzten die Ohren. Man hörte Huftritte nahen. Die vier Männer sprangen auf und nahmen ihre Gewehre schußbereit in die Hände. »Sollten es Rote sein?« flüsterte Blount. »Nein, es sind Weiße, und zwar nur zwei,« antwortete Ben New-Moon, welcher hinter dem Busche, welcher ihn deckte, nach den Nahenden hervorlugte. »Mexikanisch gekleidet. Sie halten an und betrachten unsere Fährte, welcher sie bis hierher gefolgt zu sein scheinen.« Porter trat zu ihm, um die beiden auch zu sehen. Sie hielten auf ihren Pferden, weit herabgebeugt, um die Spuren im Grase zu betrachten. Ihre Kleidung und Ausrüstung war diejenige der Mexikaner: weite Schlitzhosen, bunte Westen, kurze, weite, mit Silberschnüren verzierte Jacken, flatternde, rote Halstücher, ebensolche Schärpen, aus denen die Griffe der Messer und Pistolen hervorblickten, breitkrämpige Sombreros und, last not least, ungeheure Sporen an den Fersen. Ihre Pferde befanden sich, wie es schien, in einem vortrefflichen Zustande, was an diesem Orte wohl befremden konnte. »Die sind nicht zu fürchten,« sagte Porter leise. »Mexikanische Caballeros, welche wir gern willkommen heißen können.« Er trat hinter dem Busche hervor und rief den beiden zu: »Hier sind diejenigen, welche ihr sucht, Mesch'schurs. Hoffentlich hängt ihr nicht in schlimmer Absicht an unserer Fährte!« Die Mexikaner erschraken sichtlich, als sie sich so plötzlich angeredet hörten und die lange Gestalt des Yankee erblickten. Sie rissen schnell die Gewehre von den Sattelknöpfen, an denen sie gehangen hatten. »Laßt das sein!« riet Porter. »Wir sind ehrliche Leute, von denen ihr nichts zu fürchten habt.« »Wie viele Personen?« fragte der eine. »Vier. Eure Gewehre würden euch also nichts nützen, falls wir Lust hätten, euch feindlich zu empfangen. Kommt also getrost herbei!« Sie wechselten einige leise Worte miteinander und trieben dann ihre Pferde langsam herzu. Erst als sie die anderen drei Yankees betrachtet und den Ort mißtrauisch gemustert hatten, stiegen sie ab. »Ihr seid verteufelt vorsichtig, Mesch'schurs,« meinte Porter. »Sehen wir aus wie Räuber?« »Nun,« antwortete der eine lachend, »viel Staat macht ihr mit euren Anzügen nicht. Und was eure Pferde betrifft, so sind dieselben wohl schwerlich für eine Zirkusvorstellung geeignet. Caramba, seht ihr herabgekommen aus, Sennores!« »Könnt Ihr es in dieser Gegend anders verlangen? Man hat bis zur nächsten Ansiedelung fast eine Woche zu reiten. Wenn man sich so lange unterwegs befindet wie wir, so ist man freilich nicht in der geeigneten Verfassung, der Frau Präsidentin in Washington eine Staatsvisite zu machen. Wenn ihr uns trotzdem die Hände reichen wollt, so sollt ihr uns willkommen sein.« »Eine Begegnung mit ehrlichen Leuten ist immer angenehm, zumal in dieser gefährlichen Gegend. Wir schlagen also gern ein. Erlaubt aber, euch unsere Namen zu nennen. Wir sind Brüder und heißen Kortejo. Nennt mich Karlos und meinen Bruder Emilio!« Die Yankees nannten ihre Namen auch und gaben den Angekommenen ihre Hände. Porter erkundigte sich weiter: »Wir kommen aus dem alten Kalifornien herüber und wollen nach Austin, Sennores. Vielleicht dürfen wir erfahren, welche Angelegenheit euch so nahe an die Llano treibt?« »Wir wollen uns ihr nicht nur nähern, sondern wir müssen sie durchreiten. Wir sind in einer Estanzia nahe bei San Diego als Oberhirten angestellt und wurden vom Estanziero beauftragt, drüben in Neu-Braunfels Gelder einzukassieren. Eine gefährliche Sache, nicht wahr? Darum reiten wir zu zweien.« »Gefährlich wird es erst auf dem Rückwege, wo ihr das Geld bei euch habt. Es ist immer eine heikle Aufgabe, anderer Leute Geld durch die Llano zu schleppen. Das, was wir uns in Kalifornien gespart haben und jetzt bei uns tragen, ist unser Eigentum. Wir haben also keine Verantwortlichkeit zu tragen und sind besser daran als ihr. Trotzdem muß man euren Mut bewundern. Wir sind vier Personen und haben es uns doch überlegt, ob es nicht geratener sei, einen Umweg zu machen. Ihr wollt euch zu zweien über die Plains wagen. Das ist kühn!« »Nicht allzusehr, Sennor,« antwortete Karlos. »Kennt Ihr die Llano genau?« »Keiner von uns hat sie gesehen.« »Das ist freilich etwas anderes. Wer sie nicht kennt, der mag von ihr lassen. Wir beide aber haben sie bereits wohl über zwanzigmal durchritten und sind also so vertraut mit ihr, daß von einer Gefahr eigentlich nicht die Rede sein kann.« »Ah, steht es so! Hm! Nach Neu-Braunfels wollt ihr? Das liegt ja fast genau in unserer Richtung! Also könnten wir uns euch anschließen, wenn ihr nichts dagegen hättet.« Als er vorhin unvorsichtigerweise das Geld erwähnte, welches er und seine Gefährten mit sich führten, hatten die beiden Mexikaner einen schnellen Blick miteinander gewechselt. Jetzt antwortete Karlos fast allzuschnell: »Wir haben nicht das mindeste dagegen. Ihr seid uns im Gegenteile sehr willkommen, denn je zahlreicher wir sind, desto besser sind wir Gefahren gegenüber gewappnet.« »Dann gut, Sennor! Wir reiten mit, und ihr werdet es nicht bereuen, uns hier getroffen zu haben. Wie aber steht es da nun mit eurem heutigen Tagesritte?« »Wir wollten noch bis zum Rio Pekos hinab, viel leicht gar bis zum Anfange des Yuavh-Kai.« »Was ist das?« »Das Wort ist aus der Sprache der Yutahs und Komantschen und bedeutet so viel wie ›singendes Thal‹. Man erzählt, daß sich in diesem Thale nächtlicherweile oft überirdische, ganz unbegreifliche und unerklärliche Stimmen hören lassen. Wir beide aber haben, obgleich wir oft durch dasselbe geritten sind, noch nie etwas davon vernommen. Ihr hattet euch hier wohl schon zur Abendrast gelagert?« »Nein. Das würde ja die unverzeihlichste Zeitverschwendung sein. Auch wir wollten den Pecos erreichen und vielleicht dem Laufe desselben folgen, um die Llano zu umgehen. Da wir aber euch getroffen haben und ihr uns mitnehmen wollt, so werden wir also quer durch die Wüste gehen. Meint ihr, daß wir da auf Indianer treffen werden?« »Schwerlich. Ein solches Zusammentreffen haben wir hier mehr zu fürchten als in den Plains. Da wir bisher keinen Roten sahen, so haben wir auch für später keine dergleichen Begegnung zu erwarten. Die Kerls schwärmen jetzt nicht, da zwischen den beiden Völkerschaften erst kürzlich die Kriegsbeile vergraben wurden.« »Das hört man gern. Aber wie steht es mit den sogenannten Llanogeiern? Diese sollen weit gefährlicher als sogar die Indianer sein.« »Pah! Das laßt euch ja nicht weiß machen! Ihr wißt nun, wie oft wir in der Llano waren, aber es ist uns noch nie geglückt, einen dieser Geier zu sehen, welche nur in der Phantasie dummer und furchtsamer Menschen leben.« »Aber der sogenannte Geist der Llano estakata?« »Ist auch ein Hirngespinst, welches seinesgleichen sucht. Kindermärchen! Die Llano ist eine Sandstrecke wie jede andere auch. Es gibt da viel Sand und kein Wasser. Der Boden ist so unfruchtbar, daß nicht einmal Gespenster auf demselben wachsen. Und was den Wassermangel betrifft, so ist demselben sehr leicht abzuhelfen, denn es gibt Kaktuspflanzen genug, welche einen ganz trinkbaren Saft absondern. Es ist also gar keine Veranlassung vorhanden, sich vor den Plains zu fürchten.« »Habe mir das Gegenteil sagen lassen; aber da ihr die Gegend kennt, so glaube ich natürlich euren Worten. Wenn ihr euch nicht etwa ein Weilchen hier niederlassen wollt, so sind wir bereit, gleich aufzubrechen.« »Am besten ist's, wir reiten weiter. Hoffentlich halten eure Pferde es aus?« »Sie sind weit besser, als sie aussehen; ihretwegen brauchen wir gar nicht zu säumen.« Das Aussehen der beiden Mexikaner war allerdings nicht geeignet, Mißtrauen zu erwecken, dennoch aber mußte es als eine Unvorsichtigkeit bezeichnet werden, daß die Yankees sich so schnell und ohne alle Prüfung entschlossen, mit ihnen zu reiten. Nur einer von den Vieren schien nicht ganz vertrauensselig zu sein, nämlich Ben New-Moon. Er hatte diesen Beinamen erhalten, weil sein schwarzes, rundes Gesicht an dasjenige des treuen Trabanten unserer Erde erinnerte. Vielleicht war er erfahrener und auch scharfsinniger als seine drei Gefährten. Er ritt, als die Reiter sich nun flußabwärts in Bewegung gesetzt hatten, hinter den anderen her und hielt seinen Blick beobachtend auf die Mexikaner gerichtet. Einen offenbaren Grund, ihnen zu mißtrauen, fand er nicht; aber ein instinktives Gefühl sagte ihm, daß ihnen gegenüber Vorsicht doch am Platze sei. So ging es am rechten Ufer des Toyah hinab. Von der Nähe der Llano estakata war nichts zu spüren. Gras, Sträucher und Bäume gab es genug; ja, gegen Abend traten die Bäume sogar so eng zusammen, daß sie einen Wald bildeten, durch welchen der Fluß seine Wasser in den Rio Pekos sandte. Der Toyah führte viel erdige und sandige Bestandteile mit sich, welche er in der Weise in den Rio Pecos, der jetzt nicht viel Wasser besaß, abgelagert hatte, daß sich eine Barre quer und schief abwärts über den letzteren zog. Diese Barre wurde nur an wenigen schmalen Stellen, welche dem Wasser den Abfluß gestatteten, unterbrochen. Sie bildete eine Furt, auf welcher man den Uebergang unschwer bewerkstelligen konnte, da nur die erwähnten schmalen Stellen zu überschwimmen waren. Es war noch nicht spät am Nachmittage, und so wurde beschlossen, den Uebergang noch heute zu bewerkstelligen und dann das Nachtlager drüben im Yuavh-Kai aufzuschlagen. Die Pferde schwammen ausgezeichnet, und so kamen die Männer wohlbehalten, wenn auch mit durchnäßten Beinkleidern hinüber. Von da aus wurde nach Norden geritten und die Stelle berührt, an welcher die Texaspacificbahn jetzt über den Rio Pecos geht. Dann hielt die kleine Gesellschaft auf einen Höhenstrich zu, dessen Fuß mit grünem Gebüsch bestanden war, während die Kuppen nackt und kahl erschienen. Dort öffnete sich eine enge Schlucht, in welcher ein schmales, seichtes Wasser floß. Die beiden Mexikaner lenkten hinein und sagten den anderen, daß dies das »singende Thal« sei, welches weiter aufwärts bedeutend breiter werde. Dieses Thal war sehr tief eingeschnitten. Es stieg nicht steil an und das Wasser hatte wenig Fall. Der Boden war grasig, doch zu beiden Seiten hatten sich Beifußarten am Felsen angesiedelt, ein sicheres Zeichen, daß man sich einer pflanzen-feindlichen Region nähere. Später traten die Seitenwände des Thales weiter zurück; die Sohle war mit lockerem Geröll bedeckt, und nur in unmittelbarer Nähe des Wassers gab es einen spärlichen, dünnen Rasen. »Wäre es nicht besser gewesen, unten im Thale des Pecos zu übernachten?« fragte Ben. »Dort hatten wir Futter für die Pferde und auch dürres Holz und Gezweig zu einem Feuer. Hier in der Schlucht aber scheint es davon desto weniger zu geben, je weiter wir hineinkommen.« »Wartet es nur ab, Sennor!« antwortete Carlos Cortejo. »Weiter oben gibt es eine Stelle, welche sich so vortrefflich zum Lagern eignet, daß Ihr es uns dank wissen werdet, Euch dorthin geführt zu haben. In einer Viertelstunde sind wir dort.« Nach der angegebenen Zeit wurde das Thal plötzlich breiter und bildete einen beinahe kreisrunden Kessel, welcher einen Durchmesser von vielleicht tausend Fuß hatte. Er war von steilen Felswänden umschlossen, welche keinen Ausgang offen zu lassen schienen. Bald aber sahen die Yankees, daß es gerade ihnen gegenüber eine schmale, tiefe Ritze gab, durch welche man wohl weiter gelangen konnte. Hier in diesem Kessel entsprang der Bach. Die Stelle, an welcher der Quell aus der Erde trat, lag tiefer als die Umgebung, und darum bildete das Wasser einen kleinen Weiher, welcher von einer dichten Hecke von Gesträuch eingefaßt wurde. Jenseits dieses Teiches, ganz in der Nähe des Felsenhintergrundes erblickte man eine fremdartige Pflanzengruppe. Dort standen zwei bis drei Meter hohe Gebilde, welche riesigen Kandelabern glichen; einige derselben waren sogar noch einmal so hoch. Sie schienen weder Zweige noch Blätter zu haben, und ihre gerade emporgerichteten Arme trugen zahlreiche feigenartige Knollen. Das war eine Ansiedelung des Säulenkaktus, dessen feigenähnliche Früchte gegessen werden können. Emilio Cortejo deutete dorthin und sagte: »Dort pflücken wir unser Abendmahl, und am Weiher gibt es genug Gras und grüne Blätter für unsere Pferde. Ich denke, ihr werdet zufrieden sein. Kommt, Sennores!« Er setzte sein Pferd in Trab und ritt auf das Wasser zu; die anderen folgten ihm. Sie befanden sich ungefähr noch sechs Pferdelängen von den Büschen, da tönte ihnen ein lautes »Halt« entgegen. Natürlich hielten sie ihre Pferde an. »Wer da?« fragte Porter, indem er ebenso wie die anderen, doch ohne jemand zu sehen, nach der Stelle des Gebüsches blickte, von welcher aus der Ruf erklungen war. »Weiße Jäger,« lautete die Antwort. »Wer seid ihr?« »Reisende.« »Woher kommt ihr?« »Aus Kalifornien.« »Wohin wollt ihr?« »Hinüber ins Texas, nach Austin.« »Ueber die Llano?« »Ja.« »Einige von euch haben ehrliche Gesichter, die anderen nicht. Doch wollen wir es mit euch versuchen, Meschschurs.« Die Büsche teilten sich. Zwei Gewehrläufe waren zu sehen, und dann traten die beiden hervor, welchen die Gewehre gehörten. Der eine war ein vollbärtiger, breitschulteriger Mann und der andere ein blonder, bartloser Jüngling, welcher wohl noch nicht zwanzig Jahre zählte. Sie waren ganz in Leder gekleidet und trugen breitkrämpige Biberhüte auf den Köpfen. » All devils! « sagte Porter. »Wie viel Truppen habt Ihr denn da am Wasser liegen?« »Keine, Sir.« »So seid Ihr allein?« »Ja.« »Und wagt es, sechs gut bewaffneten Männern mit angeschlagenen Gewehren entgegenzutreten?« »Pah!« antwortete der ältere. »Wir haben Doppelläufe. Vier von euch hätten wir mit den Gewehren aus dem Sattel genommen, und für die beiden letzten hätten die Revolver ausgereicht. Wir sahen euch kommen. Einige eurer Gesichter sind ganz leidlich. Darum lassen wir euch herein. Käme es auf uns an, so müßten die anderen umkehren.« »Bedenkt Ihr nicht, daß dies eine Beleidigung ist?« »Aufrichtig ist's, beleidigen will ich nicht. Uebrigens habe ich diejenigen, welche mir nicht gefallen, nicht bezeichnet. Haltet also Frieden und kommt an das Wasser.« Die sechs Reiter thaten das und stiegen am Ufer des Weihers ab. Dort weideten die Pferde der zwei Fremden, denn es gab da einen saftigen Rasen. Eine Stelle, an welcher Asche lag, deutete an, daß hier ein Feuer gebrannt habe. Dort ließen sich die beiden nieder, welche einander so ähnlich sahen, daß man in ihnen Vater und Sohn vermuten mußte. Sie sahen nicht aus, als ob sie Neulinge im fernen Westen seien. Der Vater machte den Eindruck eines erfahrenen, mutigen Jägers, und auf dem jugendlichen Gesichte seines Sohnes lag ein so ruhiger, bedachtsamer Ernst, daß man gleich vermutete, er sei trotz der geringen Zahl seiner Jahre bereits in einer guten Schule gewesen. Sie wurden von den anderen halb neugierig, halb mißtrauisch gemustert. Dann setzten sich diese zu ihnen hin und zogen ihren Proviant hervor, welcher aus gedörrtem Fleische bestand. Dieses muß man dort, wo von einer ergiebigen Jagd keine Rede ist, stets bei sich führen. »Wollt Ihr uns wohl sagen, Sir, wie lange Ihr Euch schon hier befindet?« fragte Porter, welcher die Führung des Wortes übernahm. »Seit gestern Abend«, antwortete der ältere Jäger. »Schon! Das hat ja den Anschein, als ob ihr lange hier verweilen wolltet.« »Ist auch der Fall.« »Aber, Sir, diese Gegend ist gefährlich. Sie ist zum Aufschlagen eines Wigwams nicht geeignet.« »Aber sie gefällt uns und liegt uns recht, Master. Wir haben droben in den Bergen ein Stelldichein. Diejenigen, welche wir erwarten, kommen über die Llano und durch dieses Thal. Da wir zu früh eingetroffen waren, so wurde uns die Zeit zu lang, und wir ritten unseren Freunden bis hierher entgegen.« »Wann werden diese kommen?« »In zwei oder drei Tagen.« »Wenn ihr so lange warten wollt, so könnt ihr sehr leicht die Bekanntschaft der Apachen und Komantschen machen!« »Thut nichts. Wir leben mit ihnen in Frieden.« »Wir auch. Aber den Roten ist ja niemals zu trauen. Sie kommen stets in hellen Haufen, und wenn man nur zu zweien ist wie ihr, so ist eine solche Begegnung sehr gefährlich.« »Mag sein, macht uns aber keine Sorge. Wir haben einen bei uns, welcher eine ganze Schar Indianer aufwiegt.« »So seid ihr also nicht allein, sondern zu dreien! Wo ist der Mann?« »Er ritt fort, um zu rekognoszieren, wird aber bald wiederkommen.« »Er soll so viel wert sein wie eine ganze Schar Indsmen, sagt Ihr? Da müßte er ein ganz außerordentlicher Jäger sein, etwa wie Old Shatterhand. Kennt ihr den?« »Ja, doch ist er es nicht.« »Wer denn?« »Werdet es sehen, wenn er kommt. Er mag sich euch selbst vorstellen. Mein Name ist Baumann, und dieser junge Westläufer ist Martin, mein Sohn.« »Danke, Sir! da ihr uns eure Namen nennt, sollt ihr auch die unserigen erfahren. Ich heiße Porter; Blount und Falser sind diese beiden, und das dunkle Mondgesicht hier wird natürlich Ben New-Moon genannt. Die übrigen zwei Masters trafen heute Mittag auf uns. Sie kommen von einer Estancia aus der Gegend von San Diego und Cobledo und wollen über die Llano, um Gelder einzukassieren für ihren Herrn, dessen Ober-Vaqueros sie sind. Sie heißen Carlos und Emilio Cortejo.« So oft er einen Namen nannte, deutete er auf den Träger desselben, welchen Baumann dann genau betrachtete. Am längsten blieb der Blick des Jägers auf den beiden Mexikanern haften. Seine Brauen zogen sich zusammen und sein Bart zuckte leise um den Mund. Carlos mochte das bemerken und sich darüber ärgern, denn er sagte: »Nun ihr unsere Namen wißt, möchte ich Euch fragen, Sennor Baumann, wer diejenigen sind, deren Gesichter Euch so wenig gefallen?« »Das brauche ich wohl nicht zu sagen, da die Betreffenden es ohnedies sehr bald bemerken werden. Also in der Gegend von San Diego und Cobledo liegt eure Estancia? Darf man erfahren, wie sie heißt?« »Es ist die Estancia del Cuchillo.« »Und der Besitzer?« »Heißt Sennor – – Sennor Montano.« Er hielt, bevor er den Namen nannte, inne, als ob er sich auf denselben besinnen müsse. Das mußte auffallen. Ein Angestellter muß doch wissen, wie sein Prinzipal heißt. Baumann fragte, ohne sein Mißtrauen jetzt schon in Worten auszudrücken, weiter: »Und ihr seid die obersten Vaqueros oder Peons von Sennor Montano?« »Ja.« »Hat er noch weitere solche Oberbeamte?« »Nein. Wir sind die einzigen.« »Nun«, meinte der Jäger jetzt, »so will ich euch eure vorige Frage beantworten, indem ich euch aufrichtig sage, daß ihr beide es seid, deren Gesichter mir nicht gefallen.« Die beiden Mexikaner legten ihre Hände sofort an ihre Messer. »Sennor, das ist eine direkte Beleidigung. Vorhin war sie nur indirekt; da konnten wir sie mit Schweigen übersehen!« »Ihr werdet sie auch jetzt ertragen müssen. Ich bin gewöhnt, einem jeden zu sagen, was ich von ihm denke, und es fällt mir nicht ein, mit euch eine Ausnahme zu machen.« »Nun, was denkt ihr denn von uns?« Baumann zog seinen Revolver aus dem Gürtel, als ob er mit demselben nur spielen wolle, und antwortete, indem sein Sohn auch zu dem seinen griff: »Ich denke, daß ihr Lügner seid, wenigstens Lügner, wenn nicht noch mehr.« Da sprangen die beiden Mexikaner auf und rissen ihre Messer aus dem Gürtel. »Das widerruft auf der Stelle, Sennor, sonst zwingen wir Euch dazu!« gebot Carlos. Baumann blieb ruhig liegen, richtete aber den Lauf der kleinen und doch so gefährlichen Schießwaffe auf den Sprecher und sagte: »Tretet mir nicht etwa einen Schritt näher, Master Cortejo! Meine Kugel würde Euch treffen und diejenige meines Sohnes Euern Bruder. Sobald ihr etwa nach euren Pistolen greift oder sonst eine verdächtige Bewegung macht, werdet ihr ohne Sang und Klang aus dieser Welt befördert. Ich heiße Baumann, der Name wird Euch unbekannt sein. Die Sioux nennen mich Mato-poka, die Komantschen Vila-yalo, die Apachen Schosch-insisk, die spanisch sprechenden Jäger El cazador del oso, und die englisch Redenden Bear-hunter, was alles ganz dasselbe bedeutet, nämlich ›der Bärenjäger‹. Vielleicht erinnert Ihr Euch jetzt, einmal etwas von mir gehört zu haben?« »Wie! Was? Der ›Bärenjäger‹ seid Ihr, Sir?« rief Ben New-Moon. »Ich meine nämlich den Deutschen, welcher droben in der Nähe der schwarzen Berge einen Store hatte und nebenbei den Grizzlys das Leben so sauer machte?« »Ja, der bin ich, Sir.« »Dann habe ich freilich viel von Euch gehört. Wart Ihr nicht von den Sioux gefangen genommen und hinauf in den Nationalpark geschleppt worden?« »Das passierte mir allerdings; aber Old Shatterhand und Winnetou haben mich wieder geholt. Mein Sohn hier war bei ihnen.« »Das hat man mir erzählt. Es soll das eine der bedeutendsten Thaten Old Shatterhands gewesen sein. Wenn Ihr dieser Mann seid, so freut es mich außerordentlich, Euch getroffen zu haben, und ich hoffe, daß die kleine Differenz zwischen Euch und diesen Sennores sich ausgleichen lassen wird. Vielleicht nehmt Ihr Euer Wort zurück?« »Das Wort Lügner? Nein.« »Aber könnt ihr es beweisen?« »Ja. Ich pflege nie etwas zu behaupten, was ich nicht beweisen kann. Ein Estanciero schickt nicht gerade seine beiden Oberknechte in die Llano; darauf könnt Ihr Euch verlassen. Einen von ihnen braucht er stets auf der Estancia. Soll der andere wirklich Geld kassieren, so gibt er ihm einen oder wahrscheinlich mehrere Vaqueros mit. Ueberdies haben wir uns gerade jetzt zwei Monate lang in der Gegend zwischen El Paso und Albuquerque aufgehalten. Wir sind in jeder Estancia und Hacienda eingekehrt, haben aber gerade bei San Diego und Cobledo weder eine Estancia del Cuchillo noch einen Estanciero Namens Montano gefunden.« »So seid Ihr an unserer Besitzung vorüber geritten«, erklärte Emilio. »Das glaube ich nicht. Und selbst wenn es so wäre, würde ich von derselben und ihrem Herrn gehört haben. Steckt eure Messer ein und setzt euch ruhig nieder! Ich lasse mir nicht drohen. Ich will euch nicht von meinem Lager treiben, da ihr mit Männern gekommen seid, welche ich für ehrliche Leute halte. Wie ihr euch betragt, so werdet ihr behandelt. Am Rande der Llano kann man nicht vorsichtig genug sein, und jedermann weiß, daß man die Weißen viel mehr zu fürchten hat als die Roten.« »Haltet Ihr uns vielleicht für Llanogeier?« »Diese Frage werde ich euch beantworten, wenn wir uns trennen; dann habe ich euch kennen gelernt, während sich mein Urteil jetzt nur auf Vermutungen stützen kann. Seid ihr wirklich brave Leute, was ich allerdings gern wünschen möchte, so werden wir gewiß als Freunde scheiden.« Die beiden Mexikaner blickten einander fragend an. Zur Förderung ihrer geheimen Absichten war es geraten, sich versöhnlich zu zeigen. Darum sagte Carlos: »Diese Eure letzten Worte machen das Vorhergehende wieder gut. Da wir ehrliche Leute sind, so können wir uns mit der Ueberzeugung beruhigen, daß Ihr sehr bald einsehen werdet, wie unrecht Ihr uns beurteilt habt.« Er setzte sich wieder nieder und sein Bruder that dasselbe. Baumann schickte seinen Sohn, den vielbesprochenen » Sohn des Bärenjägers «, nach der Kaktusgruppe, um Früchte dieser Pflanzen zu holen, welche zum Nachtisch gegessen werden sollten. Während man dieselben genoß, wurde es Nacht, und die Männer brannten ein Feuer an. Material dazu war genug vorhanden. Außer dem Uebergange des Tages in die Nacht war noch eine andere Veränderung vorgegangen. Der Thalkessel war durch die hohen Felsenwände von der Ebene abgeschlossen. Die Luftströmungen, welche draußen ihre volle Macht entfalten konnten, fanden auf drei Seiten den Zugang verschlossen. Nur von der vierten Seite, von welcher die Yankees und Mexikaner gekommen waren, konnte eine atmosphärische Strömung in den Kessel treten, was aber nur dann möglich war, wenn der Wind ganz genau aus dieser Richtung blies und stark genug war, sich nicht im unteren Teile des Thales zu verfangen. Nun gab sich jetzt seit Eintritt der abendlichen Dunkelheit eine Luftbewegung kund, welche aus der erwähnten Richtung kam. Sie stieg natürlich an den Felswänden empor und nur ein verschwindend kleiner Teil konnte durch die enge Spalte Abzug finden, welche die Neuangekommenen heute bemerkt hatten und die in der That gegen die Llano hin den Ausgang aus dem Thale bildete. Diese Luftströmung kam nicht stoßweise, sondern sie war gleichmäßig; sie wurde deutlich empfunden und wirkte doch nicht bewegend auf die Flamme des Feuers ein. Sie veranlaßte keinen hörbaren Ton, am allerwenigsten das Pfeifen und Heulen des Sturmes, und dennoch wurde sie vom Ohre vernommen. Dabei atmeten die Lungen ganz anders als vorher, ob schwerer oder leichter, das war eigentümlicherweise nicht zu sagen. Die Kaktusfeigen waren alle geworden und Martin Baumann ging, um neue zu holen. Kaum hatte er die Sträucher hinter sich, so hörten die anderen seine Stimme: »Was ist das? Kommt einmal her, Mesch-schurs! So etwas habe ich noch nie gesehen!« Sie folgten seiner Aufforderung. Als sie zwischen dem Wasser und dem Gebüsch hindurch waren, bot sich ihnen ein höchst überraschender Anblick dar. Der ganze Thalkessel lag in tiefem Dunkel, denn der Schein des Feuers, welches nur klein war, drang nicht durch die Büsche; aber dort, wo die Kaktus standen, sah man zahlreiche Flammenbüschel, welche in eigentümlich bleichem, farblosem Lichte erglänzten. Jeder dieser Pflanzenkandelaber trug mehrere solcher Büschel; jeder Leuchterarm schien ein solches Flämmchen auf seiner Spitze zu haben. Es war eine wunderbare, fast geisterhafte Erscheinung. »Was mag das sein?« fragte Porter. »Ich habe es nie gesehen!« antwortete Falser. »Man möchte sich beinahe fürchten.« Da ließ sich hinter ihnen eine tiefe, klare Stimme hören, hinter ihnen, innerhalb der Sträucher, also am Feuer, wo sie soeben gewesen waren und wo außer ihnen sich doch kein Mensch befinden konnte: »Das ist Ko-hárstesele-yato, die Flämmchen des großen Geistes, welche er anbrennt, wenn er seine Kinder warnen will.« » Cáspita! Wer ist da hinter uns?« rief Emilio Cortejo erschrocken. »Befinden wir uns etwa in einem Hinterhalte?« »Nein,« antwortete der Bärenjäger. »Es ist mein Gefährte, den wir erwarteten. Er ist, wie das so in seiner Weise liegt, angekommen, ohne daß er es uns merken ließ.« Sie wendeten sich zurück. Und richtig, da hielt gerade neben dem Feuer ein Reiter. Wie hatte er, noch dazu zu Pferde, in das Innere des Gebüschkreises kommen können, ohne gehört zu werden? Er saß auf einem prachtvollen Rappen, welcher auf indianische Weise aufgeschirrt und gesattelt war. Indianisch war auch der Anzug des Mannes, indianisch sein Gesicht, welches keine Spur von Bart zeigte. Dafür aber hing ihm eine Fülle langen, schwarzen Haares weit über den Rücken herab; in der Hand hielt er eine zweiläufige Büchse, deren Holzteile mit silbernen Nägeln beschlagen waren. Die Yankees und Mexikaner ließen Ausrufe des Erstaunens, der Bewunderung hören. »Wer ist das?« fragte Porter. »Ein Indianer! Sind noch andere hier?« »Nein, er ist allein,« antwortete Baumann. »Es ist Winnetou, der Häuptling der Apachen.« »Winnetou, Winnetou!« ertönte es aus aller Munde. Er stieg vom Pferde ohne auf die bewundernd auf ihn gerichteten Blicke zu achten, trat aus dem Gebüsche hinaus, deutete auf die Flämmchen und sagte: »Weil die Bleichgesichter sich in diesem abgeschlossenen Thale befanden, haben sie nicht bemerkt, was außerhalb desselben vorgegangen ist. Damit sie es erfahren, sendet der große Manitou ihnen dieses feurige Totem. Winnetou weiß nicht, ob sie es lesen können.« »Was ist denn geschehen?« fragte Blount. »Der 'ntch-kha-n'gul 6 ist über die Llano gegangen. Winnetou sah den schwarzen Leib desselben im Norden. Wehe denen, welche ihm begegnet sind; der Tod hat sie gefressen!« »Ein Tornado, ein Hurricane?« fragte der Bärenjäger. »Hat mein roter Bruder den Lauf desselben genau beachtet?« »Winnetou berechnet den Lauf des kleinen Käfers, den er erblickt. Wie sollte er vergessen, sich um die Richtung des großen Sturmes zu bekümmern!« »Welche Richtung war es?« »Gerade im Osten von hier erhob sich die Llano in die Luft, so daß es dort finster wurde wie mitten in der Nacht. Die Sonne umarmte die Finsternis mit Strahlen roten Blutes. Die Nacht rückte schnell nach Nordosten vor, wo Winnetou sie dann verschwinden sah.« »So ging der Tornado gerade von Süd nach Nord?« »Mein Bruder sagt es.« » God bless my soul! Er wird doch nicht unsere Freunde getroffen haben!« »Winnetous Ahnungen sind schwarz wie das Angesicht des Sturmes. Unsere Freunde sind klug und erfahren, und Old Shatterhand kennt die Bedeutung jedes Lufthauches; aber der 'ntch-kha-n'gul kommt plötzlich und sendet keinen Boten voraus, welcher ihn verkündet. Kein Pferd ist schnell genug, ihm zu entgehen. Old Shatterhand muß ungefähr heute die Llano erreicht haben, und die Hufe seines Rosses haben den Sand derselben gerade in der Gegend berührt, nach welcher der Geier des Windes flog. Vielleicht liegt er mit seinen Genossen unter den Wogen des Sandes begraben.« »Das wäre schrecklich! Wir müssen fort. Wir müssen hin, und zwar augenblicklich! Steigen wir schnell zu Pferde!« Winnetou machte eine abwehrende Handbewegung. »Mein Bruder mag sich nicht übereilen,« sagte er. »Hat Old Shatterhand sich mitten im Pfade des Sturmes befunden, so ist er tot, und unsere Hilfe kommt zu spät. Befand er sich aber zur Seite dieses Pfades, so blieb er unverletzt, und es droht ihm nur die Gefahr des Verirrens, da der Sturm das Angesicht der Llano so verändert, daß ihr Antlitz ein ganz anderes wird. Wir müssen ihm entgegen, aber nicht jetzt bei Nacht, denn auch uns blickt die Llano mit anderen Augen an, und nur das Tageslicht darf unser Führer sein. Wer einen Verirrten finden will, muß darauf achten, sich nicht selbst zu verirren. Darum mögen meine Brüder sich wieder an das Feuer setzen. Das erste Licht des Morgens wird unseren Aufbruch sehen.« Er streckte sich am Feuer nieder, und die anderen thaten ebenso. Sie ließen dabei unwillkürlich einen Abstand zwischen sich und ihm, eine Folge der Ehrerbietung für den berühmten Häuptling. Diese letztere war auch der Grund, daß sie sich eine Zeitlang schweigend verhielten. Endlich aber siegte bei Ben New-Moon das Verlangen, etwas über die erwarteten Gefährten des Apachen zu vernehmen. Er wendete sich an Baumann: »Wie ich höre, ist es gar Old Shatterhand, mit dem Ihr zusammentreffen wollt, Sir?« »Ja, er ist es, aber nicht allein. Es wollten noch andere mit ihm kommen.« »Wer sind diese Leute?« »Der dicke Jemmy und der lange Davy, deren Namen Ihr vielleicht bereits gehört habt.« »Natürlich kenne ich die beiden famosen Westmänner, wenn auch nur aus den Erzählungen und Berichten anderer. Sind sie es allein, welche Old Shatterhand begleiten?« »Nein. Es befinden sich noch zwei bei ihnen, welche Ihr vielleicht auch kennt, da Ihr von Old Shatterhands Zug nach dem Nationalpark gehört habt, nämlich Hobble-Frank und der Neger Bob. Frank wollte nicht mit uns, sondern mit Old Shatterhand reiten, um von ihm zu lernen, und Bob schloß sich ihm an. Das ist der Grund, weshalb sich beide nicht bei mir befinden. Es steht zu erwarten, daß auch noch andere die Gelegenheit benutzt haben, unter Führung des berühmten Jägers durch die Llano zu reiten. Vielleicht hat er eine ansehnliche Gesellschaft beisammen, und das beruhigt mich. Je größer der Trupp ist, desto eher und leichter kann einer dem anderen in der Gefahr, welche so ein Tornado mit sich bringt, Hilfe leisten.« »Schade, jammerschade, daß wir sechs schon morgen früh unseren Weg fortsetzen! Ich hätte diese Eure Freunde so gern gesehen und kennen gelernt!« »Das ist nicht gut möglich, da Ihr hinüber nach Austin wollt. Uebrigens brechen ja auch wir mit dem frühesten Morgen auf. Aber sagt mir doch einmal, Sir, wie Ihr zu Eurem schwarzen Gesicht und infolgedessen zu Eurem Namen gekommen seid!« »Beides habe ich einem der größten Schurken zu verdanken, den es im fernen Westen gegeben hat und vielleicht noch gibt, nämlich dem Stealing-Fox.« »Diesem? Ah! Habe lange Zeit nichts von dem Kerl gehört. Möchte ihm einmal begegnen!« »Habt auch Ihr schon mit ihm zu schaffen gehabt?« »Er mit mir. Er stahl meine Kasse und hat mich um alle meine damaligen Ersparnisse gebracht. Damals nannte er sich Weller; aber ich konnte aus Verschiedenem, was ich später hörte, schließen, daß es der berüchtigte Stealing-Fox gewesen sei. Ich konnte nie auf seine Fährte kommen, habe aber erst kürzlich drüben im Neu-Mexikanischen gehört, daß er noch leben soll. Er hat sich Tobias Preisegott Burton genannt und unter der Maske eines frommen Missionars der Mormonen eine Reisegesellschaft in die Llano locken wollen. Einer dieser Leute hat ihn aber erkannt und zur Rede gestellt, worauf er schleunigst verschwunden ist.« » 's death! Wäre ich dabei gewesen! Er wäre mir nicht verschwunden; ich hätte ihm ein regelrechtes Eisenbahntunnel durch den Kopf geschossen! Fast hätte ich Lust, mich länger hier zu verweilen, da er sich in dieser Gegend befinden soll. Möchte gar zu gern Abrechnung mit ihm halten!« »War es denn auf Euer Leben abgesehen?« »Auf mein Leben und mein Eigentum. Das war nämlich droben am Timpa-Fork in Colorado. Ich kam aus Arizona herüber, wo ich als Goldgräber an den Limestone-Springs ein ziemlich gutes Geschäft ge macht hatte, und trug ein hübsches Päckchen Banknoten bei mir, in welche ich den Goldstaub und die Nuggets umgewechselt hatte. Unterwegs stieß ein Fallensteller zu mir, welcher gerade so wie ich nach Fort Abrey wollte, welches am Arkansas liegt. Das Aussehen und Auftreten dieses Mannes war sehr vertrauenerweckend, und da man niemals gern so ganz allein durch den wilden Westen reitet, so war mir seine Gesellschaft sehr willkommen.« »Ihr sagtet es ihm wohl, daß Ihr Geld bei Euch hättet?« »Fiel mir gar nicht ein; aber er mochte es erraten haben, denn ich ertappte ihn einmal des Nachts dabei, daß er leise meine Taschen untersuchte, wobei ich glücklicherweise erwachte. Er machte die Ausrede, ich hätte im Schlafe so gestöhnt, daß er auf den Gedanken gekommen sei, mir den Rock aufzuknöpfen, damit ich leichter atmen könne. Natürlich glaubte ich ihm nicht und war von nun an außerordentlich auf meiner Hut. Was das heißt, könnt Ihr Euch denken!« »Gewiß! Man befindet sich mit einem Spitzbuben ganz allein in der Wildnis. Man will und muß doch schlafen, und soll doch alle Aufmerksamkeit darauf richten, nicht zu Schaden zu kommen. Das ist eine schwierige Aufgabe. Ein Messerstich, eine Kugel – – und Leben und Eigentum sind weg!« »Was das betrifft, so konnte ich ruhig sein. Ich hatte den Kerl bald durchschaut. Er war im Grunde genommen ein Feigling. Stehlen und betrügen, ja; aber Blut zu vergießen, da fehlte ihm der Mut. Am Timpa-Fork machten wir Kamp. Es war ein heißer Tag, aber der Wind wehte stark und machte die Hitze erträglich. Ich rauche leidenschaftlich und hatte mir die Pfeife neu gestopft, wißt Ihr, eine kurze Pfeife mit einem sehr großen Veinedkopf, welcher einen Viertelbeutel Tabak faßte. Ich hatte einen so großen Kopf gewählt, um nicht immer stopfen zu müssen. Als ich anbrennen wollte, sagte der Mann, er habe die Stimme eines Turkey im Gebüsche gehört. Ich legte sofort die Pfeife weg, griff zum Gewehr und machte mich davon, um den Vogel vielleicht vor den Schuß zu bringen. Aber ich fand keine Spur von ihm, traf aber dafür ein Opossum, welches ich schoß. Als ich mit demselben zurückkam, war wohl eine halbe Stunde vergangen. Der Kerl machte sich gleich daran, das Tier aufzubrechen und abzuhäuten; ich aber griff nach meiner Pfeife, um den Tabak in Brand zu stecken. Das wollte mir wegen des Windes nicht gelingen. Ich legte mich also lang nieder, mit dem Gesichte gegen die Erde, zog den Hut gegen die Windseite vor und schlug Feuer auf den Schwamm. Diesmal gelang es. Ich drückte den Schwamm auf den Tabak, that einige Züge und – – ein Zischen, ein Knall, Feuer schlug mir ins Gesicht und um den Kopf. Zu gleicher Zeit packte mich der Kerl von hinten im Genick, drückte mir den Kopf nieder und fuhr mir mit der anderen Hand unter die Brust und in die Tasche. Ich war so erschrocken, daß es ihm gelang, mir das Pocketbook zu entreißen. Aber ich erwischte seinen Arm und hielt denselben fest. Ich war stärker als er, aber für den Augenblick geblendet. Er hielt das Buch fest; ich erfaßte es auch; er zog hin und ich her; es zerriß, denn es war aufgegangen; wir kamen auseinander; er hatte die eine Hälfte und ich die andere. Da sprang ich auf und zog das Messer. Glücklicherweise hatte ich die Augen, als der Feuerstrahl mir ins Gesicht zuckte, für einen Moment geschlossen gehabt, sonst wäre ich sofort erblindet. Die Lider waren aber doch verletzt. Ich konnte sie nur ganz wenig öffnen; das genügte aber, den Kerl zu sehen. Ich drang mit dem Messer auf ihn ein. Das gab ihm den Mut, sein Gewehr vom Boden aufzuraffen und auf mich anzulegen. Ein stechender Schmerz zog mir die Augen zu; ich war verloren; der Schuß fiel, oder vielmehr ein Schuß fiel, aber zu meinem Erstaunen wurde ich nicht getroffen. Ich wischte mir die Augen, riß sie mit Anstrengung auf – – ich sah den Kerl nicht; aber von jenseits des Wassers drüben ertönte eine Stimme, welche ein gebieterisches ›Halt, Mörder!‹ rief. Darauf hörte ich den Hufschlag eines sich schnell entfernenden Pferdes. Der Halunke war zu seinem Pferde gesprungen, um mit der halben Brieftasche, in welcher sich auch ziemlich die Hälfte meines Geldes befand, zu entfliehen.« »Sonderbar!« sagte Baumann. »Er ist also gestört worden?« »Ja. Ein sehr bekannter Westläufer, der Juggle-Fred, hatte sich in der Nähe befunden und, als ich das Opossum erlegte, meinen Schuß gehört. Er war jenseits des Flüßchens dem Schalle nachgegangen und hatte uns gerade in dem Augenblicke gesehen, als der Halunke auf mich anlegte. Er schoß auf denselben und traf ihn in den Arm, infolgedessen der Spitzbube die Büchse fallen ließ und nach seinem Pferde rannte, um schleunigst fortzujagen. Der Juggle-Fred holte sein Pferd und kam zu mir herüber. Sein rechtzeitiges Erscheinen hat mir das Leben gerettet. Von einer Verfolgung des Diebes konnte keine Rede sein, denn ich konnte nicht fort und Fred durfte mich nicht verlassen, denn mein Gesicht mußte Tag und Nacht mit Wasser gekühlt werden. Ueber eine Woche kampierten wir dort am Timpa-Fork. Ich hatte große Schmerzen auszustehen und eine bedeutende Summe verloren, war aber froh, das Augenlicht gerettet zu sehen.« »Wie nannte sich denn der Mensch gegen Euch?« »Weller. Aber als wir dann nach Fort Abrey kamen und ihn genau beschrieben, erfuhr ich, daß dies ein falscher Name sei. Es war der Stealing-Fox gewesen.« »So hat er während Eurer Abwesenheit den Pfeifenkopf mit Pulver gefüllt?« »Ja, und nur oben darauf, um mich zu täuschen, ein wenig Tabak gethan. Um Zeit dazu zu bekommen, machte er mir weiß, einen Turkey gehört zu haben. Er wußte, daß ich sofort nach demselben suchen werde, da ich ein besserer Jäger war als er. Er war ein langer, hagerer Mensch und hatte Gesichtszüge, die ich nie vergessen werde. Ich weiß, daß ich ihn sofort erkennen werde, falls ich ihm begegnen sollte.« Die beiden Mexikaner waren dieser Unterhaltung mit gespannter Aufmerksamkeit gefolgt. Sie hatten sich oft bedeutungsvoll angesehen, unbemerkt, wie sie meinten; aber es gab einen, der sie genau beobachtet hatte – Winnetou. Scheinbar den Blick nach einer ganz anderen Richtung gewendet, hatte er sie doch keine Minute lang aus den Augen gelassen. Er sah ihre Blicke und erkannte infolge seines ausgebildeten Scharfsinnes aus denselben, daß sie zu demjenigen, von welchem die Rede war, in irgend einer Beziehung stehen müßten. Und Winnetou wurde seinerseits wieder von Baumann, dem Bärenjäger, beobachtet. Dieser kannte seinen roten Freund, welcher ganz plötzlich und unerwartet zu Pferde am Feuer hinter ihnen gehalten hatte. Wie das zugegangen sei, das konnte Baumann sich leicht erklären. Der Apache war von seinem Rekognoszierungsritte zurückgekehrt und hatte seiner Gewohnheit gemäß das Pferd in einiger Entfernung stehen lassen, um sich heranzuschleichen. Wahrscheinlich hatte er sogar aus irgend einem Umstande geschlossen, daß sich jetzt Fremde hier befanden, und war infolgedessen heimlich herangekommen, um dieselben zu betrachten, bevor er sich von ihnen sehen ließ. Als er sie genügend beobachtet hatte, um sich ein Bild von ihrem Charakter machen zu können, hatte er sich leise entfernt, um nun zu Pferde zurückzukehren und zu thun, als ob er noch nichts von ihnen wisse. Während sie alle nach der einen Seite gegangen waren, um die Flämmchen zu sehen, wobei sie natürlich ein solches Geräusch gemacht hatten, daß die Tritte seines Pferdes von ihnen nicht gehört wurden, war er von der entgegengesetzten Seite her zum Lagerplatz gekommen. Nun saß er da, die Augen scheinbar gleichgültig auf die schimmernde Wasserfläche des Weihers gerichtet; aber Baumann sah deutlich, daß von Zeit zu Zeit unter seinen langen, dichten Wimpern ein scharfer Blick auf die Mexikaner schoß. Der Apache mißtraute ihnen. Das war gewiß. Der Sohn des Bärenjägers hatte vorhin Kaktusfeigen holen wollen, war aber aus Erstaunen über die wunderbaren Lichtbüschel nicht auf diesem Vorsatze stehen geblieben. Das war den Mexikanern lieb. Sie strebten danach, heimlich einige Worte miteinander sprechen zu können. Das war nur dann möglich, wenn sie sich vom Feuer entfernten. Darum stand Emilio Cortejo jetzt auf und sagte: »Wir wollten noch Kaktusfrüchte haben; sie sind aber nicht geholt worden. Gehst du mit, Carlos? Wollen sehen, ob wir welche finden.« »Natürlich gehe ich mit,« antwortete der Gefragte, indem er sich schnell erhob. »Komm!« Baumann wollte Einspruch erheben. Er erriet, daß die beiden nur die Absicht verfolgten, sich heimlich zu verständigen. Das wollte er vereiteln. Schon schwebte das Wort auf seinen Lippen; da sah er eine gebieterische Handbewegung des Apachen, welche ihm zu schweigen befahl. Die Brüder entfernten sich. Kaum hatten die Büsche sich hinter ihnen geschlossen, so sagte Winnetou leise: »Diese weißen Männer haben keine ehrlichen Augen, und ihre Gedanken trachten nach Bösem; aber Winnetou wird erfahren, was sie wollen.« Er huschte nach der entgegengesetzten Seite durch die Büsche. »Traut auch dieser ihnen nicht?« fragte Porter. »Ich wette, daß es ehrliche Leute sind!« »Du würdest die Wette wahrscheinlich verlieren,« antwortete Ben New-Moon. »Sie haben mir gleich vom ersten Augenblicke an nicht gefallen.« »Darauf gebe ich nichts. Mißtrauen darf man einem Menschen nur erst dann, wenn man Beweise hat, daß er es verdient.« »Diese zwei Männer verdienen es,« erklärte der Bärenjäger. »Kein Estanciero schickt seine zwei Oberknechte zugleich fort. Und betrachtet ihre Pferde, Sir! Sehen sie so aus, als ob sie einen Marsch von San Diego aus bis hierher hinter sich hätten. Das sind, wenn ich richtig schätze, wenigstens dreihundert englische Meilen. Pferde, welche eine solche Strecke durch eine fast ganz wilde Gegend zurückgelegt haben, sehen ganz anders aus. Ich vermute sehr, daß diese Tiere gar nicht weit von hier ihr eigentliches, ständiges Unterkommen haben, und möchte tausend Dollar setzen, daß diese beiden Kerls nichts sind als Zubringer für die Geier der Llano estakata.« » Storm of thunder and lightning! « rief Porter. »Meint Ihr das wirklich, Sir?« »Ja, das meine ich.« »Da wären wir freilich in eine ganz vortreffliche Gesellschaft geraten! Diese Leute sollen uns durch die Llano führen.« »Davon seht um Gotteswillen ab! Es würde ganz gewiß zu eurem Verderben sein. Glaubt es mir! Ich bin ein alter Bärenfex und habe gelernt, in den Gesichtern der Leute zu lesen.« »Nun, ein Greenhorn bin ich auch nicht! Ich werde in demselben Alter stehen als Ihr und habe mich seit meiner Bubenzeit stets nur in der Prairie umhergetrieben. Doch ist es ja möglich, daß diese Männer unser Vertrauen nicht verdienen.« Da ließ sich auch einmal die Stimme Martin Baumanns hören, welcher in Anbetracht seiner Jugend sich schweigsam verhalten hatte: »Sie verdienen es wirklich nicht, Master Porter. Ich bin bereit, es ihnen ins Gesicht zu sagen.« »So? Welchen Grund habt denn Ihr, so schlimm von ihnen zu denken, junger Mann?« »Habt Ihr denn nicht die Blicke bemerkt, welche sie sich zuwarfen, als von dem Stealing-Fox erzählt wurde?« »Nein. Ich habe auf die Erzählung gehört, aber nicht auf diese Leute gesehen.« »Man soll im Westen nicht nur hören, sondern auch sehen, denn es ist – – –« » Good lack! « unterbrach ihn Porter. »Wollt Ihr mir altem Burschen etwa gute Lehren erteilen?« »Nein, Sir! Ich wollte nur von mir, nicht aber von Euch sagen, daß ich während der Erzählung nicht nur die Ohren, sondern auch die Augen offen gehabt habe. Da mein Vater mißtrauisch gegen sie war, habe ich sie scharf beobachtet. Das konnte ich leicht und unbemerkt thun, weil sie so einem jungen, unerfahrenen Kerl, wie ich doch bin, nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkten. Ich sah da Blicke, welche sie sich gegenseitig zuwarfen, aus denen zu schließen ist, daß sie den Stealing-Fox wohl kennen.« »Meint Ihr? Hm! Dieser Fuchs soll sich jetzt hier aufhalten, um Leute in die Llano zu locken; diese Kerls sollen ihn kennen; daraus könnte man sich freilich einen Reim machen, wenn er auch nicht allzu schön klingen würde. Mir scheint, es sind Dinge im Anzuge, welche uns höchst fatal werden können. Die gespenstigen Flammen dort auf den Kaktussen sind mir auch nicht recht geheuer. Ich bin nicht abergläubisch; aber solche Erscheinungen kommen nicht von ungefähr; sie haben stets etwas zu bedeuten.« »Natürlich haben sie etwas zu bedeuten«, meinte der Bärenjäger lächelnd. »Was denn aber?« »Daß die Atmosphäre sich in elektrischer Spannung befindet.« »Elektrisch? Spannung? Das verstehe ich nicht. Das ist mir zu gelehrt. Ich weiß zwar, daß man sich elektrisieren lassen kann; aber Feuer, Flammen, noch dazu auf Kaktuspflanzen? Wollt Ihr das wirklich der Elektricität in die Schuhe schieben?« »Allerdings, Master Porter.« »O, die ist jedenfalls höchst unschuldig daran!« »Ist der Blitz etwa nicht auch eine feurige Erscheinung!« »Jedenfalls, und was für eine!« »Nun, die Ursache des Blitzes ist die Elektricität, wie man wohl nicht zu erklären braucht. Was die Flämmchen betrifft, welche wir vorhin sahen, so werden dieselben sehr oft von den Seeleuten an den Masten, Raaen und Stengen der Schiffe bemerkt; man sieht sie an Kirchturmsspitzen, an den Wipfeln der Bäume, an den Spitzen der Blitzableiter. Man nennt diese Lichtbüschel Sankt Elmsfeuer oder auch Kastor und Pollux. Sie entstehen durch ausströmende Elektricität. Ihr habt doch wohl vom Geiste der Llano estakata gehört?« »Mehr, als mir lieb ist.« »Hat man Euch auch erzählt, daß des Nachts die Gestalt dieses geheimnisvollen Wesens zuweilen mit feurigen Flammen erscheint?« »Ja, aber ich glaube es nicht.« »Das könnt Ihr getrost glauben. Es ist mir einmal droben in Montana passiert, daß ich mich auf einer weiten Ebene befand, und zwar des Nachts. Es wetterleuchtete rundum, kam aber nicht zum wirklichen Gewitter. Da erschienen plötzlich an den Ohrenspitzen meines Pferdes kleine Flämmchen. Ich hielt die Hände empor, und siehe da, an meinen Fingerspitzen zeigten sich ähnliche Flämmchen, wobei ich ein ganz merkwürdiges Gefühl in denselben hatte. Ganz dasselbe ist es mit dem Avenging-Ghost. Wenn er durch die Llano reitet, so bildet sein Körper den höchsten Punkt derselben. Ist es Nacht und ist dabei eine bedeutende elektrische Spannung vorhanden, so zeigt sich das Sankt Elmsfeuer an seinem Körper.« »Ihr glaubt also wirklich an die Existenz dieses Geistes der Estakata?« »Ja.« »Und haltet ihn für einen Menschen?« »Für was anderes sonst?« »Hm! Ich habe viel über ihn gehört, aber mir keine Mühe gegeben, darüber nachzudenken. Nun ich aber gegenwärtig die Llano vor mir habe, möchte ich freilich sehr gern wissen, was ich von ihm zu halten habe. Es ist ja sogar möglich, daß er einem während des Rittes erscheint. Was hat man da zu thun?« »Wenn er mir begegnete, würde ich ihm die Hand geben und ihn als einen ganz vortrefflichen Kerl behandeln. Es ist nämlich – – –« Er wurde unterbrochen. Winnetou kehrte zurück. Er kam eilig, aber ganz geräuschlos, wie eine Schlange, herbeigehuscht, setzte sich auf seinen Platz und nahm da eine so unbefangene Miene an, als ob er denselben gar nicht verlassen habe. Vorhin, während die Mexikaner langsam durch die Dunkelheit nach den Kaktussen schritten, hatte er, sich auf Händen und Füßen am Boden fortbewegend, sich erst eine kleine Strecke von ihnen entfernt und war dann, sich wieder aufrichtend, in eiligem Laufe nach der Pflanzengruppe gerannt. Infolge der Weichheit seiner Mokkassins und der großen Uebung, welche er besaß, waren seine Schritte nicht zu hören gewesen. Er kam noch vor den Mexikanern am Ziele an und versteckte sich so zwischen den hohen Pflanzenkandelabern, daß er nicht gesehen werden konnte. Es war überhaupt so dunkel, daß die beiden gezwungen waren, die Kaktusfeigen mit Hilfe des Tastsinnes zu sammeln. Die Flammenbüschel an den Leuchterarmen waren jetzt verschwunden. Eben als er sich versteckt hatte, kamen die Brüder herbei. Sie sprachen miteinander, und zwar das reinste Amerikaenglisch. Daraus war zu ersehen, daß sie sich zwar für Mexikaner ausgaben, aber keine waren. Winnetou konnte jedes Wort hören. Jedenfalls hatten sie schon unterwegs miteinander verhandelt, denn was sie sich jetzt noch sagten, war die Fortsetzung eines bereits begonnenen Gespräches. »Diesem sogenannten ›Bärenjäger‹ werde ich seine Beleidigungen ehrlich bezahlen«, sagte Carlos. »Freilich werden wir schwerere Arbeit haben, als wir erst dachten. Das Erscheinen des Apachen gibt der Sache eine ganz andere Wendung.« »Leider! Denn der läßt sich durch falsch gesteckte Stangen nicht in die Irre führen.« »Hast du sein Pferd genau betrachtet?« »Natürlich. Es ist das schönste, was ich bisher sah. Nur Old Shatterhand soll ein ebensolches haben. Wir müssen es unbedingt bekommen!« »Das versteht sich ganz von selbst. Aber wie?« »Das klügste ist, wir lassen die Kerls fest einschlafen und machen sie nachher kalt.« »Denkst du, daß das möglich ist? Wir werden mit Mißtrauen betrachtet, und sie passen also auf. Ich glaube nicht, daß einer von uns beiden die Wache bekommen wird.« »Da gebe ich dir freilich recht; sie werden sich hüten. Wollen aber dennoch sehen, ob es zu ermöglichen ist. Vorher läßt sich nichts bestimmen. Gelingt es uns, sie sicher zu machen, so dürfen wir nur mit den Messern arbeiten, still und geräuschlos, gerade nach dem Herzen stoßen.« »Und wenn dieser Plan nicht auszuführen ist?« »Das wäre dumm! Denke dir, sieben Pferde, dabei dasjenige des Apachen, dazu sämtliche Waffen und alles Geld! Nur wir beide hätten zu teilen. Das wäre ein Koup! Gelingt er aber nicht, so müssen wir die Kameraden zu Hilfe rufen. Im offenen Kampfe zögen wir beide die böseste Niete. Wir suchen irgend einen Vorwand, uns von ihnen zu trennen. Winnetou reitet mit den beiden Bärenjägern Old Shatterhand entgegen und die Yankees werden sich ihnen anschließen, weil sie in uns ihre Führer verloren haben.« »Wir reiten voran bis zu unserer Murding-Bowl, wo wir sicher einen unserer Posten finden, der die Kameraden herbeiholt. Dann bekommen wir die Kerls ganz sicher, auch Old Shatterhand und alle, welche bei ihm sind. Jetzt aber dürfen wir uns nicht länger verweilen, sonst wird ihr Mißtrauen größer. Mein Hut ist voller Früchte.« »Der meinige auch.« »So komm!« Sie gingen; aber noch vor ihnen huschte Winnetou fort. Jedes Geräusch vermeidend, schlug er einen Bogen, erreichte glücklich das Feuer, setzte sich, wie bereits erwähnt an demselben nieder, und so war der Gedanke, belauscht worden zu sein, geradezu eine Unmöglichkeit für sie. Sie begannen die Kaktusfeigen zu verteilen. Alle nahmen davon, nur Winnetou nicht. Er wies die Früchte mit den Worten zurück: »Der Häuptling der Apachen genießt nichts, was von der Pflanze des Sumach kommt.« »Sumach?« fragte Emilio Cortejo verwundert. »Kennt Winnetou denn die Kaktusfeigen nicht?« »Er kennt alle Pflanzen und deren Früchte.« »Und doch verwechselt er den Kaktus mit dem Giftsumach, was doch eigentlich ganz unmöglich ist!« »Winnetou kennt keine Verwechselung. Er gibt diesen Früchten den Namen des Sumach, weil sie giftig sind.« »Giftig? Warum sollen sie jetzt plötzlich schädlich sein, was sie vorher doch nicht waren?« »Weil sie sich in Händen befunden haben, welche Unglück und Tod zu spenden pflegen.« Er sagte diese Worte, welche eine schwere Beleidigung enthielten, so ruhig, als ob es sich um einen ganz gewöhnlichen Ausspruch handle. » Ascuas! « rief Carlos Cortejo. »Sollen wir uns das gefallen lassen? Ich verlange, daß diese Worte zurückgenommen werden.« »Winnetou spricht stets nur solche Worte, welche er vorher genau überlegt hat. Er hat noch nie ein Wort bereut und wird auch jetzt keins zurücknehmen.« »Aber wir sind beleidigt!« » Pshaw! « Der Apache machte bei diesen Worten eine wegwerfende Armbewegung. Es lag in dem Worte ebenso wie in der Bewegung eine so ausgesprochene Sorglosigkeit, ein solcher Ausdruck des Selbstbewußtseins, daß die beiden es für geraten hielten, zu schweigen. Selbst wenn der Häuptling sich ganz allein ihnen gegenüber befunden hätte, wären sie nicht geneigt gewesen, sich in einen offenen Kampf mit ihm einzulassen. Hier nun waren noch andere zugegen, die sich jedenfalls auf die Seite des Apachen stellen würden. Aus diesem Grunde meinte Emilio in beruhigendem Tone zu seinem Bruder: »Sei still! Wozu Uneinigkeit! Die Worte eines Indianers darf man nicht auf die Goldwage legen.« »Hast recht. Wollen um des Friedens willen annehmen, als ob sie nicht gesprochen worden seien!« Winnetou sagte nichts dazu. Er legte sich lang in das Gras, schloß die Augen und gab sich den Anschein, als ob er zu schlafen beabsichtige. Diese kurze Szene hatte, obgleich sie nun beigelegt zu sein schien, einen beunruhigenden Eindruck auf die anderen gemacht. Wenn Winnetou solche Worte sprach, so hatte er sicherlich Böses von den beiden erlauscht. Was hatten sie vor? Er sagte nichts davon. Das war ein Beweis, daß wenigstens für jetzt nichts Feindseliges von ihnen zu erwarten sei. Das bereits vorhandene Mißtrauen hatte sich aber doch vergrößert, und die ganz natürliche Folge davon war, daß niemand die Neigung zeigte, wieder ein Gespräch anzuknüpfen. Es trat ein Schweigen ein, welches ebenso beredt war, als wenn man sich über den Argwohn ausgesprochen hätte. Der Bärenjäger und sein Sohn folgten dem Beispiele Winnetous, indem sie sich auch niederlegten, und die anderen thaten dann dasselbe. Nach kurzer Zeit hatte es infolgedessen den Anschein, als ob alle schliefen. Das war aber keineswegs der Fall. Die beiden Mexikaner wurden durch das, was sie planten, abgehalten zu schlafen, und die anderen Weißen blieben infolge ihres Mißtrauens wach. So verging wohl über eine halbe Stunde. Die Männer hätten, selbst wenn unter ihnen die Entfremdung nicht eingetreten wäre, doch nicht zu schlafen vermocht. Die Spannung, in welcher sich die Atmosphäre befand, war fühlbar gewachsen. Es ging ein leises, kaum hörbares Knistern durch die Büsche. Es hatte sich ein sanfter Wind erhoben, welcher nach und nach stärker wurde und die Zweige bewegte, so daß sie sich gegenseitig berührten. Es war, als ob dabei kleine, kaum sichtbare Fünkchen an den höchsten Spitzen der Aeste übersprängen. Und jetzt richteten sich plötzlich alle auf, es war ein Ton erklungen, ein ganz eigenartiger Ton, wie von einer Glocke, welche hoch, hoch über ihnen angeschlagen worden sei. Er hielt wohl eine halbe Minute nach, senkte sich, immer mehr anschwellend, auf die Büsche nieder und war dann über dem Wasser verklungen. »Was war das?« fragte Ben. »Es gibt doch hier keine Kirchen mit Glocken! Wenn ich nicht wüßte, daß – – –« Er hielt inne. Ein zweiter Ton erklang höher als der erstere. Es war, als ob er aus einer mächtigen Posaune geblasen werde. Er schwoll langsam an, wieder ab und verhauchte in einem Diminuendo, welches selbst ein Posaunenvirtuos nicht fertig gebracht hätte. »Das ist Yalteh yuavh-kai, die Stimme des singenden Thales,« erklärte der Häuptling der Apachen. »Das ist's, also das!« sagte der Bärenjäger. »Horch!« Es ging wie ein leiser Seufzer durch die Luft. Dieser Seufzer wurde zum bestimmten Tone von außerordentlicher Reinheit. Er hatte die Klangfarbe der achtfüßigen Prinzipalpfeife einer Orgel, hielt eine Weile aus, und dann erklang über ihm ein zweiter, sanfterer Ton, welcher noch aushielt, als der erstere nicht mehr zu hören war. Diese Schallerscheinung war ganz sonderbarer Art. Es konnte einem dabei grauen, und doch war sie von einer Erhabenheit, welche das Gemüt ergriff. Es war, als ob ein unsichtbarer, riesenhafter Bläser sein Instrument probiere, aber freilich ein Instrument, welches in keiner Orchestrologie verzeichnet ist. Still lauschten die Männer, ob das Phänomen sich wiederholen werde. Und wirklich, es strich ein fühlbarer Luftzug über und durch das Buschwerk und brachte eine ganze Reihe von Tönen getragen, welche sich schnell folgten und in außerordentlicher Reinheit miteinander harmonierten. Sie waren von verschiedener Zeitdauer. Die tieferen hatten eine größere Länge und bildeten mit den höheren, schneller verklingenden eine Harmoniefolge, welche stets aus denselben Tönen der natürlichen Tonleiter bestand, aber in den verschiedensten Umkehrungen des Dreiklanges, Sept-und Nonakkordes. Es gab nichts, was man mit diesen Klängen in einen Vergleich stellen konnte. Kein bekanntes Instrument konnte Töne von dieser erhabenen Majestät erzeugen, zu denen sich andere gesellten, welche der zartesten Kehle, den sanftesten Lippen zu entstammen schienen. Bald klang es im tiefsten Majestoso, wie aus einer sechzehn- oder gar zweiunddreißigfüßigen Orgelpfeife; darüber hinweg schwebte es hoch, mild und klar wie eine Vox humana oder Aeoline, und zwischen diesen beiden wechselten in verschiedener Höhe und ergreifendem Ausdrucke die Stimmen des Kornett, der Posaune, der Gambe, des Akkordion ab. Bald klang es offen und hell, bald in leisem Gedackt, und doch sind alle diese Kunstbezeichnungen nicht im stande, einen Begriff von der Natur, Farbe und Wirkung dieser Töne zu geben, welche das ganze Thal erfüllten und bald, wie zu einem tiefen, schmalen Strome vereint, hoch über demselben hinfluteten. Die Lauschenden wagten nicht zu sprechen. Selbst die beiden gewissenlosen Mexikaner fühlten sich gepackt. Sie befanden sich unter der mächtigen Domeskuppel des Himmels, welchen die umstehenden, gerade aufragenden Felsen zu tragen schienen. Von einem unsichtbaren Orgelchore erklangen Töne, jetzt wie Donner-, dann wieder wie Engelsstimmen, hier wie der tiefe, grollende Ruf der Brandung, dort wie Sphärentöne in einer besseren und reineren Welt entstanden. Selbst das roheste Gemüt hätte sich eines heiligen Schauderns nicht zu erwehren vermocht. Und dazu trat jetzt eine andere Erscheinung, welche nicht mit dem Ohre, sondern mit dem Auge wahrgenommen wurde. Es war, als ob der Himmel höher, entfernter geworden sei. Die wenigen Sterne, welche an demselben standen, schienen kleiner als sonst zu sein. An diesem Himmel, da wo er südwärts scheinbar auf dem Felsen ruhte, erschien jetzt plötzlich eine hellgelb strahlende Scheibe von der Größe des Vollmondes. Ihr Umfang war zunächst scharf abgegrenzt. Sie bewegte sich, scheinbar langsam und nicht bogenförmig über den Himmel hin, sondern sie schien aus der Sternenwelt hervorzubrechen und in schnurgerader Richtung und immer größer werdender Geschwindigkeit gerade auf das Thal loszukommen. Je weiter sie sich näherte, desto mehr vergrößerte sie sich und desto deutlicher war zu sehen, daß es nicht eine flache Scheibe, sondern eine volle Kugel war. Die Umrisse derselben verloren ihre Schärfe; es brachen blitzförmige, zuckende Strahlen hervor, und es bildete sich ein Schweif, welcher bei weitem heller und lebhafter als derjenige eines Kometen leuchtete. Die Kugel selbst war nicht mehr gelb allein. Sie schien aus flüssigem Feuer zu bestehen, dessen bewegte Glut in allen möglichen Farben funkelte und sprühte. Man sah, daß sie sich um ihre eigene Achse bewegte, oder wenigstens gaben die wirbelnden Farben ihr diesen Anschein. Ihre Schnelligkeit nahm wirklich furchterweckend zu. Dann war es, als ob sie einige Augenblicke lang im Fluge innehalte, gerade hoch über der Mitte des Thales. Dann that es einen Krach, als würden mehrere Kanonen zu gleicher Zeit losgeschossen; die Kugel zerplatzte in unzähliche Stücke, welche im Niederfall ihr Licht verloren; der Schweif war noch einige Sekunden lang zu sehen; in dem kleinen Weiher that es einen Schlag, und das Wasser desselben spritzte hoch auf, als ob etwas Schweres aus mehr als Turmeshöhe hineingeworfen worden sei. Die Männer wurden mit Wasser überspritzt. Nun war das Firmament wieder dunkel wie vorher; man sah die Sterne wieder wie verschwindend kleine Punkte, doch ein voller, gewaltiger Ton, welcher aus mehreren übereinanderliegenden Oktaven bestand, brauste unisono über die Köpfe der erschrockenen Männer hin. Nur Winnetou hatte auch jetzt seine gewohnte Ruhe beibehalten; es gab eben kein Ereignis, welches ihm dieselbe rauben konnte. »Ku-begay, die Feuerkugel,« sagte er. »Der große Manitou hat sie vom Himmel geworfen und auf die Erde geschmettert.« »Eine Feuerkugel?« fragte Blount. »Ja, es sah wie eine Kugel aus. Aber habt Ihr den Schwanz gesehen? Es war ein Drache; es war der Teufel, der böse Geist, welcher um Mitternacht sein Wesen treibt.« » Pshaw! « antwortete der Apache, indem er sich von dem abergläubischen Manne abwandte. »Ja, das war der Drache!« stimmte Porter seinem Gefährten bei. »Ich habe ihn noch nie gesehen, aber ich hörte andere von ihm erzählen. Meine Großmutter hat ihn in die Feueresse des Nachbars fahren sehen, welcher den Teufel hatte und ihm für Geld seine Seele verschrieb.« »Laßt Euch nicht auslachen, Sir!« sagte der Bärenjäger. »Wir leben doch nicht mehr im dunklen Mittelalter, in welchem man noch an Drachen und Gespenster glaubte, oder in welchem vielmehr den Dummen dieser Glaube beigebracht wurde, damit die Klugen ihre Ernte dabei fänden.« »Was es damals gegeben hat, gibt es auch jetzt noch! Oder wollt Ihr klüger sein als ich?« fragte Porter scharf. »Pah! Ich bilde mir auf meine Klugheit gar nichts ein. Früher hielt man alle die Erscheinungen, welche man sich nicht zu erklären vermochte, für Teufelswerk. Jetzt aber ist, gottlob, die Wissenschaft so weit vorgeschritten, daß sie des Beelzebubs und seiner berühmten Großmutter sehr wohl entbehren kann.« »Ach so! Ihr gehört wohl auch zu diesen Aufgeklärten und sogenannten Gelehrten?« »Ich bin nicht gelehrt; aber daß eine Feuerkugel kein Teufel ist, das weiß ich doch.« »Nun, was ist sie denn sonst?« »Nichts als ein kleiner, brennender, entweder im Entstehen oder im Vergehen begriffener Himmelskörper, welcher auf seiner Bahn der Erde so nahe gekommen ist, daß er von derselben angezogen und auf sie herabgerissen wird.« »Ein Himmelskörper? Also ein Stern?« »Ja.« »Welcher Dummkopf hat Euch das denn weiß gemacht?« »Einer, dem das Wort Dummkopf in das Gesicht zu werfen Ihr wohl nicht wagen würdet, nämlich Old Shatterhand.« »Der? Ist das wahr?« »Jawohl! Wenn wir des Abends am Lagerfeuer saßen, haben wir uns sehr oft über solche scheinbar unerklärliche Dinge und Erscheinungen unterhalten, und er hat für alles eine ganz natürliche Erläuterung gehabt. Wenn Ihr klüger sein wollt, als dieser Mann, so habe ich nichts dagegen. Habt Ihr denn nicht gehört, daß hier etwas in das Wasser gefallen ist?« »Gehört, gesehen und auch gefühlt. Wir sind ja alle naß geworden.« »So ist also, wenn Eure Ansicht richtig wäre, der Teufel hier in den Teich gestürzt, und da wir vergessen haben, ihn herauszuziehen, so ist er jedenfalls ertrunken.« »Der ersäuft natürlich nicht. Er ist gleich hinunter in die Hölle gefahren.« »So kann er sich dort am Feuer trocknen, nachdem er hier naß geworden ist, damit er sich nicht gar erkältet und einen Schnupfen bekommt. Könnten wir das Wasser entfernen, so würden wir ein Loch im Boden sehen, in welchem der Aerolith steckt, ein Stück des Meteorsteines, aus welchem die Feuerkugel bestanden hat.« »Ein Stein? Hm! Der hätte uns ja erschlagen können!« »Allerdings. Es ist ein Glück für uns, daß er ins Wasser fiel.« »Ich will nicht mit Euch streiten; aber hat Euch Old Shatterhand vielleicht auch die Töne erklärt, welche wir vorhin hörten?« »Vom Yuavh-kai haben wir nicht gesprochen; aber ich entsinne mich jetzt, daß er von dem bekannten Sackbut-Paß gesprochen hat, welcher droben in den Rattlesnake-Bergen liegt. Wenn der Wind in gerader Richtung durch die so enge, tief eingeschnittene Schlucht bläst, so sind Töne zu hören, welche wie von einer Posaune klingen. Der Hohlweg ist das Instrument und der Wind der Musikant.« »Windig genug klingt diese Erklärung freilich; aber ich will auch da nicht mit Euch streiten. Glaubt Ihr, was Ihr wollt, und ich denke auch, was mir beliebt.« »Der Bärenjäger hat recht,« sagte Winnetou. »Es gibt viele Thäler, in denen solche Töne klingen, und der Häuptling der Apachen hat auch schon Steine gesehen, welche der Große Geist vom Himmel geworfen hat. Der gute Manitou hat jedem Sterne seine Bahn gegeben, und wenn die Feuerkugel die ihrige verläßt, so muß sie zerschellen. Ich werde versuchen, die Spur des Steines im Wasser zu entdecken.« Er hatte das mit eigentümlich erhobener Stimme gesprochen. Dann entfernte er sich, indem er am Wasser hinschritt und dann im Dunkel der Nacht verschwand. Die anderen setzten sich wieder nieder und warteten auf seine Rückkehr. Keiner sprach ein Wort. Nur Martin Baumann flüsterte seinem Vater leise zu: »Was hat Winnetou? Er sprach so eigentümlich laut, als ob noch jemand außer uns seine Worte hören solle. Daß er nach dem Steine suchen will, war jedenfalls nur eine Finte.« »Natürlich!« antwortete der Bärenjäger. »Ich wette, es befindet sich irgendwer, der uns belauscht, hier in der Nähe. Wie ich den Apatschen kenne, hat er ihn bemerkt und ist gegangen, sich an ihn zu schleichen und ihn festzunehmen. Warten wir es ab!« Sie hatten nicht lange zu warten. Schon nach wenigen Minuten entstand ganz nahe hinter ihnen in den Büschen ein Geräusch, als ob ein Tier durch die Sträucher breche; ein kurzer, ängstlicher Ruf folgte, und dann ertönte die Stimme Winnetous: »Der Bärenjäger mag hierher kommen. Ein Kundschafter hat uns belauscht.« Baumann verschwand, dem Rufe schnell folgend, in den Büschen, und wenige Augenblicke später brachten die beiden einen dritten herausgezogen, welcher an seiner Kleidung sogleich als Indianer erkannt wurde. Welch ein Blick gehörte dazu, in dunkler Nacht einen im Buschwerke verborgenen Lauscher zu entdecken! Und nur einem Manne wie Winnetou konnte es gelingen, ihn zu beschleichen und auch so zu fassen, daß ein Widerstand unmöglich war. Die drei Personen wurden von den anderen umringt. Der Gefangene war nur mit einem Messer bewaffnet gewesen, welches Winnetou ihm entrissen hatte. Seine Gestalt war klein und schmächtig, sein Gesicht konnte wegen der Dunkelheit nicht deutlich erkannt werden. Winnetous Augen aber waren an die Nacht gewöhnt; er sah, wen er vor sich hatte. »Warum ist mein junger roter Bruder nicht offen zu uns gekommen?« fragte er. »Wir hätten ihn freundlich empfangen.« Der Gefangene antwortete nicht. Darum fuhr der Apache fort: »Mein Bruder ist also selbst schuld daran, daß er gefangen genommen worden ist. Aber es soll ihm nichts geschehen. Hier gebe ich ihm sein Messer wieder; er mag zu den Seinigen zurückkehren und ihnen sagen, daß sie uns willkommen sind und bei uns ruhen können.« »Uff!« rief der Gefangene erstaunt, indem er sein Messer zurücknahm. »Woher weißt du, daß unsere Krieger sich in der Nähe befinden?« »Winnetou müßte ein kleiner Knabe sein, wenn er sich das nicht sagte.« »Winnetou, der Häuptling der Apachen!« klang es im Tone höchster Verwunderung. »Und du gibst mir mein Messer zurück? Hältst du mich für einen Apachen?« »Nein. Mein junger Bruder trägt nicht die Farben des Krieges; aber dennoch vermute ich, daß er ein Sohn der Komantschen ist. Haben deine Krieger den Tomahawk gegen die Apachen ausgegraben?« »Nein. Die Spitzen der Kriegspfeile sind in die Erde gesteckt; aber es herrscht keine Liebe zwischen euch und uns.« »Winnetou liebt alle Menschen, ohne nach ihren Namen und ihrer Farbe zu fragen. Er ist bereit, hier ein Feuer anzuzünden und die Pfeile des Friedens mit euch zu rauchen. Er fragt nicht, weshalb deine Brüder in das ›Singende Thal‹ gekommen sind. Sie wissen, daß jeder, welcher dasselbe betritt, hier an diesem Wasser lagert. Darum sind sie abwärts von hier halten geblieben und haben dich ausgesandt, um nachzuforschen, ob sich jemand hier befindet. Ist es so?« »Ja,« bestätigte der Komantsche. »Wenn du wieder einmal unter den Büschen liegst, um fremde Krieger zu erkunden, so laß die Lider auf den Augen liegen, denn deine Augen waren es, welche dich mir verraten haben! Wie groß ist die Zahl deiner Brüder?« »Zweimal zehn.« »So gehe zu ihnen und sage ihnen, daß Winnetou und acht Bleichgesichter sie erwarten und als Freunde behandeln werden, auch ohne daß sie wissen, in welcher Absicht ihr gekommen seid. Daß ich dich ergriffen habe, kannst du ihnen verschweigen; ich werde es nicht erwähnen.« »Die Güte des großen Häuptlings erfreut mein Herz. Ich werde nichts verschweigen, sondern die Wahrheit sagen, damit meine Brüder überzeugt seien, daß sie freundlich von euch empfangen werden. Von dem Auge Winnetous entdeckt zu werden, ist keine Schande, aber ich werde des Rates gedenken, den er mir gegeben hat.« Der ihn umgebende Kreis öffnete sich, und er eilte davon. Die Weißen, und zwar besonders die beiden Mexikaner waren der Ansicht, daß es doch gewagt sei, einer Schar von zwanzig Komantschen so ohne weiteres die Annäherung zu gestatten. Der Apache aber erklärte in sehr entschiedenem Tone: »Winnetou weiß stets, was er thut. Wenn die Krieger der Komantschen nach dem ›Singenden Thale‹ reiten, so kann ihr Ritt nicht einem Kampfe gegen die Apachen gelten. Jenseits dieses Thales liegt das hohe Grab eines ihrer größten Häuptlinge. Sie werden dasselbe besuchen wollen, um den jährlichen Totengesang dort anzustimmen. Wir aber werden ein Feuer anzünden, damit wir ihre Gesichter deutlich sehen. Um ganz sicher zu sein, empfangen wir sie nicht hier, sondern draußen vor dem Gebüsch.« Das Feuer wurde von neuem angebrannt. Während dies geschah, zog Winnetou den Bärenjäger und dessen Sohn hinaus vor die Sträucher und sagte ihnen leise: »Die beiden Bleichgesichter sind nicht das, für was sie sich ausgeben. Sie sprechen die Sprache der Yankees und wollen uns hier ermorden. Sie gehören zu den Geiern der Llano estakata. Winnetou vermutet, daß die Komantschen nach der Llano wollen. Die beiden dürfen das nicht wissen. Darum hat er ihnen gesagt, daß jenseits dieses Thales ein Grab sei, was aber nicht wahr ist.« Er konnte nicht weiter sprechen, weil jetzt auch die anderen kamen, welche ein so großes Feuer angefacht hatten, daß der Schein desselben selbst durch und über die Büsche drang und das vor demselben liegende Terrain zur Genüge erleuchtete. Natürlich hatten sie ihre Waffen bei sich, um sich ihrer zu bedienen, wenn die Komantschen je, den Erwartungen Winnetous entgegen, sich nicht friedlich verhalten sollten. Bald vernahm man den Hufschlag von Pferden. Die Erwarteten nahten sich. Sie blieben in kurzer Entfernung halten. Ihr Anführer stieg vom Pferde und kam langsam herbeigeschritten. Winnetou ging ihm entgegen und bot ihm die Hand. »Die Krieger der Komantschen sind uns willkommen,« sagte er. »Winnetou fragt nicht, was sie hier wollen; er weiß, daß sie das Grab ihres Häuptlings besuchen werden, um dann friedlich nach ihren Wigwams zurückzukehren.« Das hatte er laut gesagt, leise aber fügte er schnell hinzu: »Mein Bruder mag das bestätigen. Ich spreche dann mit ihm heimlich!« Infolgedessen antwortete der Komantsche laut: »Meine Hand drückt mit Freuden diejenige Winnetous, welcher der größte Krieger der Apachen und doch stets ein Häuptling des Friedens ist. Wir sind bereit, das Kalummet mit ihm zu rauchen, denn wir befinden uns nicht auf dem Pfade des Krieges und wollen nur die Medizin des toten Häuptlings verehren.« »Winnetou glaubt dieser Versicherung seines Bruders und ladet ihn und seine Krieger ein, mit zum Feuer der Friedenspfeife zu kommen.« Die beiden Häuptlinge hatten sich die Hände gedrückt. Das genügte einstweilen als Beweis, daß die Komantschen nichts Böses beabsichtigten. Ihr Anführer ließ sich von Winnetou zum Feuer führen, und seine Leute folgten nach. Sie verteilten sich zunächst rings auf dem Grasrande des kleinen Weihers, um ihre Pferde da anzupflocken, daß sie weiden und trinken konnten; dann traten auch sie einzeln zum Feuer. An demselben ging es nun ziemlich eng zu, da der zwischen den Büschen und dem Wasser liegende freie Saum nicht breit war. Man mußte sich Schulter an Schulter niedersetzen, um einen Kreis zu bilden, innerhalb dessen Winnetou und der Anführer der Komantschen Platz nahmen. Einer der letzteren hatte sich länger als die anderen mit seinem Pferde beschäftigen müssen; er kam nun auch herbei. Bevor er sich niedersetzte, blickte er im Kreise umher. Als sein Blick die Brüder Cortejo traf, was aber von ihnen nicht bemerkt wurde, zuckte es blitzartig über sein dunkles Gesicht, und er rief: »Uff! Aletehlkua ekkvan mava – welche Hunde sitzen da!« Da der Kreis noch nicht geordnet und jeder noch mit seinem Sitze beschäftigt war, so wurde dieser Ausruf nicht von allen gehört. Der Anführer der Komantschen aber hatte ihn vernommen. Er richtete sich rasch auf und fragte den Mann: »Hang tuhschtaha-nai – wen siehst du?« »He-ehlbak, enko-ola uah-tuhvua – sie, die Geier der Llano estakata.« »He-ehlbak hetetscha enuka – wo sind sie?« »Mava he-ehlbak kenklah – dort sitzen sie!« Bei diesen Worten deutete er auf die beiden angeblichen Mexikaner. Da diese Fragen und Antworten laut und im Tone zorniger Betroffenheit ausgesprochen worden waren, so hatten sie die Aufmerksamkeit aller Anwesenden erregt. Bei den Worten, »enko-ola uah-tuhvua – die Geier der Llano estakata« waren die Komanschen alle wieder aufgesprungen. Sie griffen drohend nach ihren Messern. Die Scene sah gar nicht mehr so friedlich aus wie vorher. Die Weißen hatten die Worte nicht verstanden, da sie weder des Komantsche- noch des Tonkawah- oder Moquidialektes mächtig waren; da sie aber die drohenden Mienen der Roten sahen, erhoben auch sie sich und griffen zu ihren Waffen. Nur Winnetou blieb ruhig sitzen. Er sagte in gebietendem Tone: »Meine Brüder mögen sich nicht erregen. Sehen die roten Männer zwei ihrer Feinde unter uns, so versichere ich, daß wir mit diesen Männern nichts zu schaffen haben. Es soll wegen derselben kein einziger Tropfen Blutes unter uns vergossen werden. Was hat der Krieger der Komantschen gegen sie vorzubringen?« Er sprach in dem in jener Gegend gebräuchlichen Jargon, welcher aus Spanisch, Englisch und Indianisch zusammengesetzt ist. Der gefragte Komantsche antwortete in derselben Mundart, welche alle verstanden: »Ich jagte droben am Wasser Tovi-tschuna, welches die Weißen den Fliegenfluß nennen, und sah die Fährte zweier Reiter, welcher ich folgte. Ich sah sie dann unter den Bäumen sitzen und kroch zu ihnen heran, um ihre Worte zu hören. Sie sprachen von der Llano estakata, durch welche in einigen Tagen ein großer Zug weißer Männer kommen werde. Die Geier der Llano wollen sich versammeln, um diesen Zug zu überfallen. Ich hörte aus den Worten der beiden Männer, daß sie zu den Geiern gehören, und fragte meine Seele, ob ich sie töten solle. Die Klugheit gebot mir, sie leben zu lassen, denn nur dadurch war es möglich, zu – –« Er wollte etwas sagen, wovon Winnetou nicht wünschte, daß die Mexikaner es hören möchten. Darum fiel er dem Sprechenden schnell in die Rede: »Ich weiß, was mein Bruder weiter sagen will, und habe genug gehört. Hast du die Männer jetzt so genau erkannt, daß kein Irrtum möglich ist?« »Sie sind es!« »Was sagen die beiden Bleichgesichter zu dieser Anschuldigung?« »Daß sie eine ganz dumme Lüge ist,« antwortete Carlos Cortejo. »Wir sind gar nicht am Fliegenflusse gewesen.« »Sie sind es!« rief der Anführer der Komantschen, »denn wir haben – – –« »Mein Bruder mag mich sprechen lassen,« unterbrach ihn Winnetou eifrig, um ihn nichts sagen zu lassen, was die beiden nicht erfahren sollten. Der Komantsche aber ärgerte sich über die Unterbrechung, welche ganz gegen die indianische Rücksicht und Höflichkeit verstieß. Er war nicht klug genug, den Grund derselben zu erkennen, und rief zornig: »Warum soll ich nicht sprechen? Wer Mörder bei sich hat, ist selbst ein Mörder! Hat der Häuptling der Apachen uns herbeigelockt, um Verrat an uns zu üben?« Da legte Winnetou alle seine Waffen von sich, stand auf und sagte: »Hat mein Bruder jemals gehört, daß Winnetou ein Verräter sei? Das Wort des Apachen ist wie der Fels, auf dem man sicher wohnt. Mein Bruder mag mich begleiten und seine Waffen behalten. Howgh!« Er verließ den Kreis und schritt langsam durch die Büsche hinaus ins Freie. Der Komantsche besann sich einen Augenblick und folgte ihm sodann, gab aber vorher seinen Leuten einen Wink, welcher sie bedeutete, scharf acht auf die Mexikaner zu haben. Draußen nahm Winnetou ihn beim Arm, führte ihn eine kurze Strecke fort, blieb dann stehen und sagte: »Mein Bruder hat mich nicht verstanden. Winnetou lagerte bereits hier, als die Weißen kamen. Er beobachtete sie und erfuhr, daß die beiden Männer Geier der Llano sind. Er stimmt also den Kriegern der Komantschen bei. Aber warum sollen diese giftigen Schlangen erfahren, daß sie durchschaut worden sind? Dann müßten wir sie töten, und es ist doch klüger, wenn wir sie einstweilen noch leben lassen! Sie mögen glauben, daß die Komantschen zum Grabe ihres Häuptlings wollen. Mir aber mag mein Bruder sagen, warum er ihnen gefolgt ist.« Der Komantsche fühlte sich beschämt. Er antwortete: »Feuerstern, der Häuptling der Komantschen, ritt mit Eisenherz, seinem Sohne, nach Osten zu den Wohnungen der Weißen. Sie kehren durch die Llano zurück und werden sich jetzt in derselben befinden. Sie müssen wohl auf den Zug der Weißen stoßen und also von den Geiern angefallen werden. Darum machten wir uns schnell auf, ihnen entgegenzureiten und sie zu beschützen. Wir konnten nicht wissen, wo die Geier sich versammeln. Darum ließen wir die beiden Bleichgesichter, welche zu ihnen gehören, leben, um durch ihre Fährte zu den Geiern geführt zu werden. Am Toyahflusse vereinigte sich ihre Spur mit derjenigen von vier anderen Weißen, welche wir auch für Geier halten mußten. Jetzt treffen wir auf dich. Was gedenkst du zu thun?« »Ich werde mit euch reiten, denn auch ich erwarte Freunde, welche durch die Llano kommen und von dem Streiche nichts wissen, welchen die Geier beabsichtigen. Diese letzteren haben ihr Lager in der Murdingbowl. Da ich aber nicht weiß, wo dieser Ort sich befindet, so werde ich die beiden Mexikaner entkommen lassen, damit sie, ohne es zu wissen, meine Führer seien.« »Wer sind die Männer, welche du erwartest?« »Old Shatterhand und noch einige Bleichgesichter, welche mit mir zusammentreffen wollen.« »Old Shatterhand, der berühmte Krieger der Weißen? Wenn du erlaubst, werden wir mit dir reiten.« »Winnetou erlaubt es nicht nur, sondern er bittet dich sogar darum. Es scheint, daß die stets zerstreute Schar der Geier sich dieses Mal zu einem großen Unternehmen versammelt. Dies muß man benutzen, um sie mit einem einzigen Schlage zu vernichten. Ich denke – – –« Er hielt inne, denn innerhalb der Büsche erhob sich ein lautes Schreien und Rufen; einige Schüsse krachten, und eiliger Hufschlag war jenseits des Lagerplatzes zu hören. Die beiden sprangen nach dem letzteren hin. Durch die Büsche dringend, erblickten sie eine überaus belebte Szene. Die Komantschen waren zu ihren Pferden geeilt und standen im Begriff, in höchster Eile fortzureiten. Die Mexikaner waren nicht zu sehen. Ben, Porter, Blount und Falser standen da, als ob sie nicht wüßten, was sie unternehmen sollten. Der Bärenjäger aber war mit seinem Sohne ruhig am Feuer sitzen geblieben und rief Winnetou zu: »Die Kerls sind fort!« »Wie war das möglich?« fragte der Apache. »Sie sprangen so plötzlich fort und auf ihre Pferde, daß sie durch die Büsche waren, ehe man nur nach dem Gewehr langen konnte, um sie niederzuschießen.« »Das ist recht! Laßt sie fort! Sie reiten in ihr eigenes Verderben und in dasjenige ihrer Genossen. Die Söhne der Komantschen mögen von den Pferden steigen und hier bleiben. Aber beim Tagesgrauen werden sie das ›Singende Thal‹ verlassen, um Jagd zu machen auf die menschlichen Raubtiere der Llano estakata!« Diese Worte waren so laut gesprochen, daß sie von allen gehört wurden. Doch stiegen die Komantschen erst dann wieder von ihren Pferden, als der Befehl des Apachen von ihrem Anführer wiederholt worden war, welcher ihnen erklärte, weshalb es geraten sei, die Flüchtigen einstweilen entkommen zu lassen. – – – 5. Kapitel. The home of the ghost Fünftes Kapitel The home of the ghost » My dearling, my dearling, My love child much dear, My joy and my smile My pain and my tear! « so klang das alte, liebe Tennessee-Wiegenlied in die stille Morgenluft hinaus. Es schien, als ob die Zweige der nahen Mandel- und Lorbeerbäume sich dazu im Takte neigten, und Hunderte von Kolibris zuckten wie farbige Funken um die alte Negerin, welche ganz allein am Wasser saß. Die Sonne hatte sich soeben über den niedrigen Horizont erhoben, und ihre Strahlen strichen wie glänzende Brillantsträhne über das klare Gewässer dahin. Ein Königsgeier zog hoch oben in der Luft seine Kreise; unten am Ufer naschten mehrere Pferde wie gesättigte Feinschmecker von besonders saftigen Halmen des Delicacy-Grases, und auf der Spitze einer Cypresse saß die Drossel Mocking-bird, lauschte mit schief gehaltenem Köpfchen dem Gesange der Negerin und ahmte, als derselbe zu Ende war, die letzten Worte der Strophe mit einem laut schallenden »Mit tir-mittir-mittir« nach. Ueber dem Gefieder niedriger Palmen, welche sich im Wasser spiegelten, breiteten hohe Zedern und Sykomoren ihre schützenden Wipfel, unter denen riesige, bunt schillernde Libellen nach Fliegen und anderen kleinen Insekten jagten, und hinter dem nahe am Wasser stehenden Häuschen zankte sich eine Schar von Zwergpapageien um die goldigen Körner des Maises. Von außen konnte man nicht sehen, aus welchem Materiale das Häuschen erbaut worden war, denn sowohl seine vier Seiten als auch das Dach wurden vollständig überdeckt von dem dichten Gerank der weißen, rotfädigen Passionsblume, deren gelbe, süße, dem Hühnerei gleichende Früchte lebhaft aus der Fülle der gelappten Blätter hervorleuchteten. Das alles machte den Eindruck der Tropen. Man hätte meinen können, sich in einem Thale von Südmexiko oder des mittleren Boliviens zu befinden, und doch lag dieser kleine See mit seiner Passiflorenhütte und seiner südlichüppigen Vegetation nirgends anderswo als – – – inmitten der gefürchteten Llano estakata. Er war das geheimnisvolle Wasser, von welchem so viele gesprochen hatten, ohne es jemals gesehen zu haben. » My heart-leaf, my heart-leaf, My life and my star, My hope and my delight, My sorrow, my care! « sang die Schwarze weiter. »Mikkehr-mikkehr-mikkehr,« ahmte der Spottvogel die beiden letzten Worte nach. Aber die Sängerin achtete nicht auf ihn. Sie hatte die Augen auf eine alte Photographie gerichtet, welche sie in den beiden Händen hielt und zwischen den einzelnen Versen küssend an ihren welken Mund führte. Viele, viele Thränen waren auf das Bild gefallen, und ebenso viele Küsse hatten es so verwischt, daß nur ein sehr scharfes Auge noch zu erkennen vermochte, wen oder was das Bild vorgestellt hatte, nämlich eine Negerin mit einem schwarzen Knäbchen im Arme. Der Kopf des letzteren fehlte ganz; er war hinweggeküßt und von den Thränen hinweggewaschen worden. »Du sein mein gut, lieb Bob!« sagte sie in zärtlichem Tone. »Mein Little-Bob, mein Small-Bob. Ich deine Mutter. Missus gut und freundlich gewesen, haben machen lassen ihr Bild, und als Photograph kommen, haben auch machen lassen Bild von Sanna und ihr klein Bob, dann als Missus sterben, Massa haben verkaufen Bob, und Mutter Sanna nur noch haben Bild von Bob. Es haben behalten, als selbst verkauft werden; es haben auch behalten, als gut Massa Bloody-Fox sie haben bringen hierher, und es werden behalten ferner, bis alt Sanna sterben und nicht wiedersehen Bob, der wohl sein worden indessen ein groß, stark Nigger und auch nicht haben vergessen sein brav, lieb Mutter Sanna. O, my dearling, my dearling, my joy and my – –. « Sie hielt inne und erhob lauschend den Kopf, dessen schneeweißes, wolliges Haar seltsam gegen die dunkle Farbe des Gesichtes abstach. Das Geräusch eines Kommenden ließ sich hören. Sie sprang auf, steckte die Photographie in die Tasche ihres Kalikorockes und rief: »O Jessus, Jessus, wie Sanna sich freuen! Fox kommen endlich wieder. Gut Bloody-Fox wieder da. Ihm gleich geben Fleisch und backen Kuchen von Mais!« Sie eilte nach dem Häuschen, hatte dasselbe aber noch nicht erreicht, als der Genannte unter den Bäumen erschien. Er sah sehr blaß und angegriffen aus; sein Pferd schwitzte am ganzen Körper und hatte einen müden, stolpernden Gang. Beide mußten ungewöhnlich angegriffen sein. » Welcome, Massa!« empfing ihn die Alte. »Sanna gleich bringen Essen; Sanna schnell machen!« »Nein, Sanna,« antwortete er, indem er sich aus dem Sattel schwang. »Fülle die Schläuche, alle, alle! Das ist das Notwendigste, was jetzt geschehen muß.« »Warum Schläuche? Für wen? Warum Massa Fox nicht essen? Er doch haben müssen ein sehr groß Hunger!« »Allerdings habe ich den; aber ich werde mir selbst nehmen, was ich brauche. Du hast keine Zeit dazu. Du mußt die Schläuche füllen, mit denen ich augenblicklich aufbrechen werde.« »Jessus, Jessus! Schon wieder fort? Warum alt Sanna stets ganz allein lassen mitten in groß, weit Estakata?« »Weil sonst ein ganzer Zug fremder Einwanderer verschmachten muß. Diese Leute sind von den ›Geiern‹ irre geführt worden.« »Warum haben Massa Fox sie nicht besser führen?« »Ich konnte nicht an sie, denn sie werden von so zahlreichen Geiern umschwärmt, daß ich dem sichern Tode verfallen wäre, wenn ich es gewagt hätte, die Kette zu durchbrechen, welche sie bilden.« »So werden töten sie die arm, gut Emigrant!« »Nein. Es kommen kühne und starke Jäger von Norden her, auf deren Hilfe ich mit Sicherheit rechne. Aber was nützt diese Hilfe, wenn kein Wasser vorhanden ist! Die Emigranten würden verschmachten, obgleich sie von den Geiern befreit worden wären. Also Wasser, Wasser, Sanna, und zwar schnell! Ich belade sämtliche Pferde mit den Schläuchen. Nur den Rappen hier muß ich zurücklassen. Er ist zu sehr ermüdet.« Fox ging nach dem Häuschen und trat durch die von den Passifloren eng umrahmte Thür. Das Innere bestand aus einem einzigen Raume. Die vier Wände waren aus Schilf und aus dem feinem Schlamm des kleinen Sees errichtet und mit langem, trockenem Rohr gedeckt. Ueber einem aus Erde gebauten Herde öffnete sich der ebenso aus Schilf und Schlamm bestehende Rauchfang, unter welchem ein eiserner Kessel hing. In jeder der drei anderen Wände gab es ein kleines Fenster, welches von dem Blumengerank frei gehalten wurde. Unter dem Dache hingen Stücke geräucherten Fleisches und an den Wänden alle Arten von Waffen, welche in dem Westen zu sehen und zu haben sind. Der Fußboden war mit Fellen belegt. Die zwei Bettstellen bestanden aus an Pfählen befestigten Riemen, über welche Bärenfelle gebreitet waren. Den größten Schmuck der Stube bildete die dickzottige Haut eines weißen Büffels, an welcher der Schädel gelassen worden war. Sie hing der Thür gegenüber, und zu beiden Seiten von ihr steckten wohl über zwanzig Messer in der Wand, in deren Horn- oder Holzgriffen verschiedene Zeichen eingeschnitten waren. Ein Tisch, zwei Stühle und eine Leiter, welche bis zur Decke reichte, bildete das ganze Ameublement des Passiflorenhäuschens. Bloody-Fox trat zu dem Felle, strich mit der Hand an demselben herab und sagte zu sich: »Die Uniform des ›Geistes‹, daneben die Messer der Mörder, die von seiner Kugel fielen – – – sechsundzwanzig schon. Wann aber werde ich den entdecken, der mehr als sie alle den Tod verdient? Vielleicht nie! Pshaw, noch hoffe ich, denn der Bösewicht pflegt von seinem Gewissen immer und immer wieder zur Stätte des Verbrechens zurückgetrieben zu werden. Jetzt muß ich eine Viertelstunde lang ruhen.« Er warf sich auf das eine Lager und schloß die Augen, doch nicht, um zu schlafen. Was für Bilder mochten an der Seele dieses noch so jungen Mannes vorüberziehen! Nach Verlauf einer halben Stunde kam die Negerin Sanna herein und meldete ihm, daß die Schläuche gefüllt seien. Er sprang vom Lager und hob eins der am Boden liegenden Felle auf. Unter demselben gab es eine kleine, verdeckte Vertiefung, aus der er ein mit Blech ausgeschlagenes Kistchen nahm. Es enthielt Munition, von welcher er den an seinem Gürtel hängenden Beutel füllte. Dann stieg er auf der Leiter zur Decke empor, um sich mit Fleisch zu versehen. Als dies geschehen war, ging er hinaus an den See, an dessen Ufer acht große, mit Wasser gefüllte Lederschläuche lagen, von denen je zwei und zwei durch einen breiten Ledergurt und mehrere Riemen verbunden waren. Mit dem Inhalte dieser Schläuche hatte Bloody-Fox schon manchen verirrten Reisenden vom Tode des Verschmachtens errettet. Fünf Pferde waren es, welche sich am kleinen See befunden hatten. Eins von ihnen bekam den Reitsattel aufgelegt, welchen Fox dem ermüdeten Rappen abnahm; die anderen bekamen die Schläuche zu tragen, und zwar in der Weise, daß ihnen der Gurt auf den Rücken und rechts und links je ein Schlauch zu liegen kam und die Vorrichtung dann mittels der Riemen befestigt wurde. Die Pferde wurden aneinandergehängt, das eine mit dem Zügel an den Schwanzriemen des anderen, so daß das Reitpferd als vorderstes kam; dann stieg Bloody-Fox in den Sattel. Die Negerin hatte bei diesem Arrangement mit kundiger Hand geholfen; es war heute nicht zum erstenmal. Jetzt sagte sie: »Massa Fox kaum da, schon gleich gehen wieder in Gefahr! Was werden aus alt, arm Sanna, wenn Massa Fox mal werden schießen tot und nicht wiederkommen?« »Ich komme wieder, liebe Sanna,« antwortete er. »Mein Leben steht unter einem mächtigen Schutze. Wäre das nicht der Fall, so lebte ich längst nicht mehr; das glaube mir!« »Aber Sanna stets so ganz allein! Gar niemand haben, mit dem sie reden, als nur Pferd und Papageien und Bild von Little-Bob!« »Nun, vielleicht bringe ich bei meiner diesmaligen Wiederkehr Gesellschaft mit. Ich treffe mit Männern zusammen, denen ich mein Home gern zeigen werde, obgleich ich es bisher geheim gehalten habe. Es ist auch ein Neger dabei, welcher Bob heißt, gerade so wie dein Dearling-Boy.« »Nigger Bob? O Jessus, Jessus! Haben er wohl eine Mutter, welche Susanna heißen, aber Sanna genannt werden?« »Das weiß ich nicht.« »Sein er verkaufen aus Tennessee nach Kentucky?« »Ich habe ihn nicht gefragt.« »Am End es sein mein Little-Boy!« »Was fällt dir ein! Tausend Niggers heißen Bob. Wie kannst du denken, daß gerade dieser der deinige sei! Mache dir nicht solche Gedanken! Vielleicht bringe ich ihn mit, und dann kannst du mit ihm selbst sprechen. Lebe wohl, Sanna; pflege den Rappen gut!« »Leben wohl, Massa! O Jessus, Jessus, nun Sanna wieder allein! Bringen mit Nigger Bob, bringen mit!« Er nickte ihr freundlich zu und setzte dann seine Tropa in Bewegung, mit welcher er schnell unter den Bäumen verschwand. Die Cypressen, Cedern und Sykomoren am Wasser waren alte Bäume; die Mandel- und Lorbeerbäume aber hatte Bloody-Fox gepflanzt, ebenso das Wäldchen von Kastanien, Mandeln und Orangen, durch welches er jetzt ritt. Dann folgte ein Streifen dichter, schnell wachsender Sträucher, welche bestimmt waren, Wind und Sand von der kleinen Oase abzuhalten. Der junge Mann hatte vom See her schmale Gräben gezogen, um dieses Buschwerk zu bewässern, welches, wo die Feuchtigkeit des Bodens aufhörte, schnell in an der Erde hinkriechende Kaktusarten überging, bis dann die kahle, vegetationslose Sandfläche der Llano folgte. Hier angekommen, wo er die notwendige Schnelligkeit entfalten konnte, setzte er seine Tropa in Galopp, so daß sie bald als dunkler Punkt am fernen Horizonte verschwand. – – – – – Einen halben Tagesritt im Nordwesten der Passiflorenhütte bewegte sich um die Mittagszeit desselben Tages ein ansehnlicher Reitertrupp in nordöstlicher Richtung durch die Llano estakata. Voran ritt Winnetou mit dem Häuptling der Komantschen, hinter ihnen der Bärenjäger mit Martin, seinem Sohn; dann folgten nebeneinander Ben New-Moon, Porter, Blount und Falser, und den Zug beschlossen die Krieger der Komantschen. Sie ritten so schweigsam, als ob sie jeden Laut mit dem Leben eines der Ihrigen bezahlen müßten. Die Auge der Hinteren schweiften suchend nach links und rechts oder forschend über den vor ihnen liegenden Horizont, meist aber waren sie auf die beiden Anführer, besonders auf Winnetou gerichtet, welcher so im Sattel saß, daß er zur Seite tief vom Pferde herniederhing, und die Fährte, welcher sie folgten, genau beobachten konnte. Das war die Spur der Brüder Cortejo, welcher sie bisher gefolgt waren, und von welcher sie sich nach der Murding-Bowl leiten lassen wollten. Da hielt Winnetou plötzlich sein Pferd an und sprang aus dem Sattel. Dem Boden, welcher aus leichtem Sande bestand, waren weit mehr Spuren aufgedrückt als bisher. Es sah ganz so aus, als ob mehrere Reiter hier ein Ringelrennen abgehalten hätten. Es waren nicht nur Huf-, sondern auch Fußspuren zu sehen. Die Reiter, welche hier gewesen waren, hatten den Sattel verlassen, um irgend eine sichtbare Fährte genau in Augenschein zu nehmen. Während die anderen hielten, untersuchte Winnetou jeden Schritt breit der aufgewühlten Stelle. Dann ging er langsam und vornüber gebeugt eine ganze Strecke nach rechts hin. Als er zurückkehrte, sagte er zum Häuptling der Komantschen, so daß alle es hören konnten: »Hier sind die beiden Bleichgesichter auf eine Fährte gestoßen und abgestiegen, um dieselbe zu lesen. Die Spur stammt von fünf Pferden, welche zusammengebunden gewesen sind, eins hinter dem anderen. Hätten mehrere Reiter auf diesen Pferden gesessen, so wären dieselben nicht aneinander gefesselt gewesen; also war es eine Tropa von fünf Tieren mit nur einem Reiter, welcher auf dem vordersten saß. Dieser Reiter ist mit seinem Zuge vor drei Stunden hier vorübergekommen. Die beiden Weißen, welche sich Mexikaner nannten, sind vor zwei Stunden auf seine Spur gestoßen und ihr gefolgt. Mein Bruder der Komantschen mag die Spuren ansehen, deren Kanten teils noch scharf, teils schon eingefallen sind. Er wird auch sagen, daß sie nicht mehr und nicht weniger als mindestens zwei und höchstens drei Stunden alt sind.« Der Komantsche stieg vom Pferde, um nun seinerseits die Fährte zu untersuchen. Als er das gethan hatte, stimmte er Winnetou vollständig bei. Nun stieg auch Baumann, der Bärenjäger, ab. Tief zur Erde niedergebückt, bewegte er sich langsam rund um den Platz und dann auch nach rechts hin, und zwar weiter, als Winnetou gekommen war. Dort kauerte er sich nieder, als ob er eine Stelle genauer betrachten wolle. Dann gab er Winnetou einen Wink und sagte, als dieser zu ihm kam, in den Sand deutend: »Der Häuptling der Apachen wird sehen, daß der Reiter hier abgestiegen ist. Warum mag er das gethan haben?« Winnetou blickte der Fährte nach rechts hin nach und antwortete: »Der Mann ist ein Bleichgesicht, wie ich an seinen Füßen sehe. Sein Alter ist das eines jungen Mannes. Er hat Wasser verloren, wie man neben der Spur der Pferde sieht. Von hier an hat dieser Verlust nicht mehr stattgefunden. Also ist er hier abgestiegen, um das Faß oder den Schlauch, den er bei sich gehabt hat und welcher ausgelaufen ist, zu verschließen.« »Meint mein roter Bruder, daß es nur ein Faß oder Schlauch gewesen sei?« »Nur eins war es, welches auslief, aber er hat deren acht bei sich gehabt. Zwei werden auf jedes Tier geladen; auf einem Pferde hat er gesessen, fünf aber waren es, folglich haben hinter ihm vier Pferde acht Schläuche getragen.« »Wozu aber so viel Wasser? Für sich und sein Pferd braucht er es nicht.« »Nein. Er muß nach einem Orte geritten sein, wo viele es brauchen. Entweder ist er ein Geier, welcher die anderen Raubtiere tränken soll, oder er ist ein ehrlicher Mann, welcher andere ehrliche Leute laben will. Er muß wissen, daß solche Leute vorhanden sind. Wer können diese sein?« »Vielleicht der Zug der Weißen, welcher überfallen werden soll?« »Mein Bruder hat wohl das Richtige geraten. Wir wollen uns wieder aufsetzen und den beiden Fährten, welche hier in eine zusammenlaufen, schnell folgen.« Sie stiegen wieder auf ihre Pferde und ritten in beschleunigtem Tempo den vereinigten Spuren nach, welche nun nicht mehr nach Nordost, sondern genau nach Norden führten. Es gab nichts als Sand und immer wieder Sand, in welchem sich die Fährte scharf aussprach. Nur hier und da gelangten die Reiter an eine Stelle, an welcher der nackte Fels zu Tage trat; meist aber machte die Llano den Eindruck, als ob sie der Boden eines vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden ausgetrockneten großen Sees sei. Zuweilen erblickten sie links oder rechts von sich in der Ferne graubräunliche Streifen am Horizonte, welche dort liegende Kaktusstrecken markierten, durch welche niemand reiten konnte. So ging es weiter und immer weiter. Die Spuren, denen man folgte, wurden jünger und immer jünger, ein sicheres Zeichen, daß man denen, welchen man folgte, immer näher kam. Als der Nachmittag fast vergangen war, erreichte die Truppe eine Stelle, an welcher die Spuren sich abermals vervielfachten, doch nicht weil neue dazu gekommen waren, sondern weil hier angehalten worden war. Winnetou stieg vom Pferde, um den Platz zu untersuchen. Er ging eine Strecke weit nach Nord und dann, als er zurückgekehrt war, ebensoweit nach Ost und sagte dann, als er wieder bei den anderen eintraf: »Der Mann mit dem Wasser ist gerade nach Nord geritten; die beiden Mexikaner haben hier überlegt, ob sie ihm folgen sollen, sind aber nach Sonnenaufgang geritten. Wem folgen wir?« »Mein Bruder wird das am besten bestimmen können,« antwortete der Anführer der Komantschen. »So will ich meine Meinung sagen. Diejenigen, zu denen der junge Mann will, befinden sich im Norden. Er ist ein guter Mensch, da seine Spur eine andere als diejenige der Mexikaner ist. Wir könnten ihm folgen, um ihn zu warnen. Da aber die Weißen so scharf von seiner Fährte abgebogen sind, muß sich die Murding-Bowl hier in der Nähe befinden. Sie sind hingeritten, um die Geier zu treffen, um sie zu benachrichtigen, daß sie die Spur des Mannes mit dem Wasser gesehen haben. Man wird ihm nacheilen, um ihn zu verhindern, denjenigen, welche er retten will, Wasser zu geben. Seine Fährte ist so jung, daß wir ihn einholen können, bevor es Abend geworden ist. Nun mögen meine Brüder wählen, was wir thun sollen. Wollen wir dem Manne mit dem Wasser folgen, um ihm beizustehen, oder wollen wir nach der Murding-Bowl, um die Geier dort festzunehmen, daß sie ihm nichts anhaben können? Im ersteren Falle werden sie von ihm ablassen, wenn sie uns bei ihm sehen, und uns also vielleicht entgehen. Im letzteren Falle aber ergreifen wir sie wahrscheinlich, und dann steht es uns immer noch frei, ihm nachzureiten und mit ihm zu den weißen Männern zu kommen, welche er aufsuchen will.« Er hatte ihnen mit diesen Worten die Angelegenheit so klar gemacht, daß eine lange Auseinandersetzung gar nicht notwendig war. Die Komantschen verhielten sich überhaupt schweigend und zuwartend, ihr Anführer ausgenommen. Dieser besprach sich ganz kurz mit den sechs Weißen und erklärte dann dem Apachen: »Wir werden nach der Murding-Bowl reiten und also der Fährte der beiden Mexikaner folgen. Ist das meinem roten Bruder recht?« Winnetou nickte zustimmend und lenkte in die nach Osten führende Fährte ein. Hätte er sein Pferd und mit demselben diejenigen seiner Gefährten angestrengt, so wäre es ihm wohl gelungen, die Mexikaner schnell einzuholen; doch lag dies keineswegs in seiner Absicht. Je eher er die beiden erreichte, desto weniger durfte er hoffen, zu erfahren, wo sich die Murding-Bowl befand. Es lag ihm sehr viel daran, diesen Ort zu sehen; darum behielt er einstweilen nur diejenige Schnelligkeit bei, welche, wie aus den Spuren zu ersehen war, die beiden Verfolgten eingehalten hatten. – – – – Etwas mehr als einen vollen Tagesritt nordöstlich von dem Passiflorenhäuschen entfernt bewegte sich eine lange Schlange, nicht in Windungen, sondern als gerade Linie durch den dort sehr tiefen Sand der Estakata. Das Wort Schlange ist hier bildlich gemeint, denn die langgestreckte Linie bestand aus wohl an die zwanzig Ochsenwagen, welche in gewissen Abständen hintereinander fuhren und von bewaffneten Reitern begleitet wurden. Die Wagen waren stark gebaut und jeder mit sechs oder acht Ochsen bespannt, welche die schweren Lasten nur langsam vorwärts schleppten. Die Tiere waren müde und außerordentlich erschöpft. Auch den Pferden, auf welchen die Reiter saßen, sah man es an, daß sie die letzteren kaum noch zu tragen vermochten. Die Zungen hingen ihnen aus den Mäulern; ihre Weichen schlugen, und ihre Beine zitterten im Vorwärtsschreiten. Auch die Wagenführer gingen ermattet neben den stolpernden Stieren her. Sie senkten die Köpfe und schienen kaum die Kraft zu besitzen, ihre riesigen Peitschen schwingen zu können, um die Zugtiere zu einer letzten Anstrengung anzutreiben. Menschen und Tiere machten den Eindruck einer Karawane, welche dem Verschmachten nahe ist. Nur das Pferd des voranreitenden Führers zeigte eine Frische der Bewegungen, welche auf keine Ermattung schließen ließ. Der Reiter aber saß gerade so schwer nach vorn gebeugt wie die anderen im Sattel, als ob er ebenso wie sie unter dem entsetzlichen Wassermangel zu leiden habe; aber wenn eine der Frauen oder eins der Kinder, welche in den Wagen saßen, einen Klageruf ertönen ließ, so richtete er sich unwillkürlich kräftig auf, und um seinen lippenlosen Mund spielte ein Lächeln teuflischer Befriedigung. Dieser Mann war kein anderer als Tobias Preisegott Burton, der fromme Missionär der Mormonen, welcher die Aufgabe übernommen hatte, die ihm Anvertrauten dem sicheren Verderben entgegenzuführen. Jetzt gab der vorderste Reiter seinem Pferde die Sporen, daß es ihn durch eine außerordentliche Anstrengung an Burtons Seite brachte. »Sir,« sagte er, »es kann nicht länger so fortgehen! Wir Menschen haben seit vorgestern keinen einzigen Schluck bekommen, weil wir das letzte Wasser für unsere Tiere aufheben mußten. Und das ist seit gestern früh zu Ende, da die letzten beiden Fässer ganz unbegreiflicherweise ausgelaufen sind.« »Das macht die Hitze,« erklärte Burton. »Die Faßdauben schlossen nicht mehr, weil sie von der Hitze gezogen wurden.« »Nein, Sir. Ich habe die Fässer untersucht. Solange noch Wasser im Fasse ist, schließen die Dauben fest. Sie sind angebohrt worden, so daß das Wasser während der Nacht leise und unbemerkt auströpfeln konnte. Wir haben einen Menschen unter uns, welcher uns verderben will.« »Unmöglich! Wer heimlich das Wasser laufen läßt, muß doch selbst verschmachten!« »Das habe ich mir selbst gesagt, aber dennoch ist es so. Ich habe es für mich behalten und keinem ein Wort gesagt, um die allgemeine Sorge nicht zu vergrößern. Ich habe ferner jeden einzelnen heimlich beobachtet, aber nichts gefunden, woraus ich schließen könnte, wer es gewesen ist. Die Tiere verschmachten; sie können kaum mehr vorwärts; die Frauen klagen, und die Kinder schreien nach Wasser – vergeblich, denn es ist kein einziger Tropfen mehr vorhanden. Schaut in die Höhe! Dort oben schweben die Geier, als ob sie wüßten, daß wir ihnen bald zur Beute fallen werden. Seid Ihr auch gewiß, daß wir uns auf dem richtigen Wege befinden?« Burton selbst war es gewesen, welcher während der Nacht die beiden Fässer angebohrt hatte. Dabei hatte er getrunken und auch seinem Pferde zu trinken gegeben. Ferner hatte er die große Blechkapsel gefüllt, welche, vorsichtig in ein Fell gebunden, hinter seinem Sattel angeschnallt war, damit er nach hereingebrochener Dunkelheit sich und das Pferd heimlich erquicken könne. »Natürlich!« antwortete er, indem er auf die Stangen deutete, welche in gewisser Entfernung voneinander im Sande steckten. »Da sehen Sie ja unsere Wegweiser, auf welche wir uns mit Sicherheit verlassen können.« »Mit Sicherheit? Wir alle haben gehört, daß diese Stangen von den Geiern der Llano zuweilen ausgezogen und in einer Richtung eingesteckt werden, welche den Reisenden zum Tode des Verschmachtens führt.« »Ja, das ist früher vorgekommen; jetzt aber geschieht es nicht mehr, da man diesen Halunken das Handwerk gelegt hat. Uebrigens kenne ich die Gegend sehr genau und weiß, daß es die richtige ist.« »Ihr sagtet heute früh, wir befänden uns mitten im größten Schrecken der Llano. Warum hat man die Stangen gerade durch diese Gegend gesteckt? Anderwärts kämen wir wohl an eines der großen Kaktusfelder, deren Früchte so viel Feuchtigkeit enthalten, daß wir uns und unsere Tiere laben könnten.« »Es würde das ein zu bedeutender Umweg sein. Um Euch zu beruhigen, will ich Euch die Versicherung geben, daß wir, wenn wir uns etwas mehr beeilen, am Abend ein solches Feld erreichen werden. Morgen kommen wir dann an eine Quelle, welche all unserer Not ein Ende macht.« »Wenn wir uns mehr beeilen! Ihr seht ja, daß die Tiere unmöglich schneller vorwärts können!« »So wollen wir halten, damit sie sich ausruhen können.« »Nein, nein; das dürfen wir nicht. Halten wir einmal an, so sind sie dann nicht weiter zu bringen. Wenn sie sich einmal gelegt haben, stehen sie sicherlich nicht wieder auf. Wir müssen sie immer und immer antreiben, daß sie weiter wanken, bis wir den Kaktus erreichen, den Ihr erwähntet.« »Ganz wir Ihr wollt, Sir! Ich schmachte nicht weniger als Ihr, doch sehe ich zu meinem Troste, daß kurz vor uns noch andere auf demselben Wege geritten sind. Seht Euch die Spuren an, auf welche wir heute früh gestoßen sind! Das ist ein starker Reitertrupp, der sich schwerlich in diese Richtung wagen würde, wenn die Leute nicht wüßten, daß es die richtige ist. Wir haben nichts, gar nichts zu befürchten. Morgen um diese Zeit ist alles vorüber.« Er hatte mit diesen Worten sehr recht, denn seiner Meinung nach sollte noch vor der angegebenen Zeit der beabsichtigte Angriff geschehen. Daß der erwähnte Reitertrupp aus seinen Genossen bestand, welche die Stangen in eine falsche Richtung gesteckt hatten, das sagte er freilich nicht. Er lachte heimlich in sich hinein, als der andere sich durch diese zweideutigen Worte beruhigt zeigte. – Zwischen dem mehrerwähnten Passiflorenhäuschen und der Murding-Bowl erstreckte sich ein mehrere Stunden langes und fast ebenso breites und undurchdringliches Kaktusfeld. Kein Pferd, kein Reiter konnte da hindurch. Das war der Grund, daß Bloody-Fox diese Richtung niemals eingeschlagen hatte und an die Bowl gekommen war. Er jagte am westlichen Rande dieses Feldes nach Norden. Wäre er dann am nördlichen Rande nach Ost gebogen, so hätte er unbedingt die Bodenvertiefung entdecken müssen, welche bereits so vielen verderblich geworden war. Aber er wußte diejenigen, welche er retten wollte, im Nordost von sich, und darum schlug er, als der Kaktus hinter ihm lag, diese Richtung ein. Die Sonne brannte glühend hernieder. Er fühlte ihre Wärme belästigend durch seinen Anzug dringen. Seine Pferde schwitzten; aber er gönnte ihnen keine Ruhe. Unausgesetzt den Horizont musternd, ritt er weiter und immer weiter. Jetzt tauchten da, wo im Nordost der Himmel sich mit der Erde zu vereinigen schien, eine Anzahl zerstreuter, dunkler Punkte auf. »Das sind die Emigranten!« rief er erfreut aus. »Ich wußte, daß sie von dorther kommen mußten. Ich treffe wohl gerade zur rechten Zeit auf sie.« Er trieb sein Pferd durch die Sporen und die ihm folgenden Packtiere durch laute Zurufe an, daß sie im Sturme mit ihm über die Ebene flogen. Zwar bemerkte er bereits nach kurzer Zeit, daß er nur Reiter aber keine Wagen vor sich habe, aber er glaubte, daß diese Leute den Vortrab der Auswanderer bildeten, und hielt infolgedessen gerade auf sie zu. Erst als er ihnen ziemlich nahe gekommen war, fiel ihm nicht nur die bedeutende Anzahl dieser Reiter, sondern auch deren Verhalten auf. Sie hatten nun auch ihn bemerkt. Anstatt aber sein Nahen ruhig zu erwarten, teilten sie sich in drei Trupps. Der eine Trupp blieb halten; die beiden anderen ritten nach rechts und nach links ab, Bloody-Fox entgegen, als ob sie ihn umfassen und ihm die Rückkehr abschneiden wollten. Das mußte ihn natürlich in seiner bisherigen guten Meinung irre machen. Er richtete sich hoch im Sattel auf und überblickte die Situation. » Heavens! « rief er aus. »Es sind über dreißig Personen. So stark kann doch keine Vorhut von Auswanderern sein! Sie haben einige Lastpferde bei sich, welche mit Stangen beladen sind. All devils! Das sind die Llanogeier, denen ich gerade in die Fänge geritten bin! Sie wollen mich fassen. Mit so vielen kann ich es unmöglich aufnehmen. Ich muß also die Flucht ergreifen.« Er wendete um und jagte zurück. Aber er konnte mit seinen aneinanderhängenden Pferden nicht die gewünschte Schnelligkeit entwickeln, zumal die Tiere bereits ziemlich ermüdet waren. Die Verfolger kamen ihm zusehends näher. Er trieb zwar sein Pferd so viel wie möglich an; es wurde aber durch die an ihm hängenden Lastpferde gehindert. Diese begannen sich zu sträuben. Sie zerrten an den Zügeln und Riemen; sie schlugen hinten und vorn aus. Das gab einen Aufenthalt, welcher verhängnisvoll werden konnte, denn die vordersten der Verfolger befanden sich fast schon in Schußweite. Da riß der Schwanzriemen des Reitpferdes, an welchem der Zügel des ersten Lasttieres befestigt war, und die vier Wasser tragenden Rosse brachen seitwärts aus. »Sie sind verloren, und das Wasser dazu!« knirschte Fox. »Aber die Bezahlung nehme ich mir sofort.« Er beruhigte sein Pferd und brachte es zum Stehen. Die Doppelbüchse anlegend zielte er – – ein Schuß, noch einer, und die beiden vordersten seiner Verfolger stürzten von ihren Pferden. »So, nun vorwärts! Jetzt kommen sie mir wohl nicht wieder nahe. Ich kann nun für die Schmachtenden nichts anderes thun, als daß ich Old Shatterhand zu finden suche und ihn auf ihre Fährte bringe.« Während er diese Worte zornig ausstieß, galoppierte er in nördlicher Richtung davon. Die »Geier« folgten ihm noch eine Strecke unter wütendem Geschrei; als sie jedoch einsahen, daß sein Pferd jetzt den ihrigen überlegen sei, kehrten sie um, nach der Stelle, an welcher die beiden Erschossenen lagen. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Und abermals ungefähr einen Tagesritt von dem Passiflorenhäuschen entfernt, aber in nördlicher Richtung von demselben, gab es endlich noch einen Reitertrupp, welcher sich nach Süd bewegte. Stark war er nicht durch die Zahl, sondern durch die Intelligenz der Männer, welche ihn bildeten, nämlich Old Shatterhand und seine Begleiter. Sie folgten einer tief in den weichen Sand getretenen Fährte. Es war diejenige der »Geier«, welche die Richtung nach der Karawane eingeschlagen hatten, um vor derselben die Pfähle auszureißen und in der Richtung nach der Murding-Bowl wieder in den Sand zu stecken. Old Shatterhand ritt, wie gewöhnlich, voran; er hatte Eisenherz, den jungen Komantschen, neben sich. Jim und Tim Snuffle folgten ihnen. Hinter diesen ritt der Hobble-Frank mit dem dicken Jemmy. Den Schluß bildeten die übrigen. Old Shatterhand verhielt sich schweigend. Er ließ die Fährte und den Punkt des Horizontes, nach welchem dieselbe zeigte, kaum einen Augenblick aus dem Auge. Nur diese Beobachtung schien ihn zu beschäftigen. Um so weniger still verhielten sich die anderen, und Frank war der Lauteste von ihnen. Das Gespräch bewegte sich um einen Gegenstand, für den er ein lebhaftes Interesse empfand und über welchen sein Nebenmann eine andere Meinung geäußert zu haben schien, denn der kleine Sachse äußerte in zornigem Tone: »In wissenschaftlichen Angelegenheeten biste schtets off dem Holzwege oder gar off dem idealen Knüppeldamme; das is doch eene alte Weste! Hättste nich grad mich getroffen, so schtäckste noch heut bis an die schteifen Vatermörder im bornierten Sumpfe und ernährtest deine dunkle Seele mit Sauerampfer und einmarinierten Krötenschenkeln. Waste bist, das habe nur ich aus dir gemacht. Nur meine intellektuelle Buttermilch is es gewesen, durch welche dein schwacher Kopf seine gegenwärtige Geistesschtärke erhalten hat. Darum habe ich das juristikalische Recht, von dir zu verlangen, daß du meine überlegene Rosinante anerkennst. So eene Meenung, wie die deinige, is doch geradezu unerhört! Die Leuchtkugel, welche wir gesehen haben, soll aus dem Firmament gekommen sein! Als ob das Firmament nichts weiter zu thun hätte, als deine dunklen Seelenzuschtände mit glühenden Kugeln und Raketen zu beschtrahlen!« »So sage uns doch deine Erklärung!« forderte Jemmy ihn lachend auf. »Fällt mir gar nich ein!« »Warum nicht?« »Weil ich dich dadurch abermals um eenige Grade nach Celsius gescheiter machen würde, ohne daß du es dankbar anerkennst.« »Oder weil du selbst keine Erklärung weißt!« »Oho! Ich kann, wie König Salomo, alle Dinge erklären, von der Ceder an bis zum Sirup herunter. Und so eene Leuchtkugel is mir erst recht schnuppe. Sie verdankt ihre Entschtehung eener schwefelhaften Vermählung zwischen dem Phosphor und denjenigen Feuerschwämmen, welche zuweilen ...« Er wurde von einem Ausrufe Old Shatterhands unterbrochen. Dieser letztere deutete mit seiner ausgestreckten Hand nach Süden und sagte: »Dort kommt ein Reiter, ein einzelner Mann. So ganz allein hier zu reiten, dazu gehört eine große Kühnheit und eine außerordentliche Kenntnis der Llano estakata.« »Wer mag er sein?« fragte Tim. »Er scheint sich so schnell wie möglich von außen herum an uns heranschlängeln zu wollen.« Old Shatterhand hielt sein Pferd an, zog sein Fernrohr aus der Satteltasche, richtete es auf den Reiter, welcher im gestreckten Galopp näher kam, ließ es dann wieder sinken und sagte im Tone der Freude: »Es ist der Bloody-Fox, der uns so lang entschwunden war. Erwarten wir ihn hier!« Nach kurzer Zeit erkannte Fox die einzelnen Personen der Truppe. Er schwenkte den Arm zum Gruße und rief bereits von weitem: »Welch ein Glück, daß ich euch treffe, Mesch'schurs! Ich muß um eure schnelle Hilfe bitten.« »Für wen?« fragte Old Shatterhand. »Für einen Zug von meist deutschen Auswanderern, welche höchst wahrscheinlich noch heute nacht von den ›Geiern‹ überfallen werden sollen.« Bei diesen Worten war er herangekommen, hielt sein Pferd an und reichte den Männern die Hand zum Gruße. »Jedenfalls dieselben, welche wir suchen,« nickte Old Shatterhand. »Wo sind sie?« »Im Südost von hier. Sie scheinen gerade auf das große Kaktusfeld zuzuhalten.« »Das kenne ich nicht.« »Es ist das größte der ganzen Llano. Ich habe über dreißig ›Geier‹ gezählt und zwei von ihnen erschossen. Sie haben die Stangen ausgezogen und stecken sie in der Richtung nach dem Kaktus wieder ein. Dort ist kein Hindurchkommen möglich. Daraus kann man mit Sicherheit schließen, daß die Emigranten da ausgelöscht werden sollen.« »Wie weit haben wir zu reiten, um die Leute einzuholen?« »Im Galopp über drei Stunden lang.« » Well, dann vorwärts! Wir wollen keine Zeit verlieren. Sprechen können wir auch während des Reitens.« Nun jagte die kleine Schar wie im Sturme über die Ebene dahin. Bloody-Fox hielt sich an Old Shatterhands Seite und erzählte ihm sein Zusammentreffen mit den »Geiern« und den Verlust seiner vier Pferde. Der Jäger sah ihn von der Seite an und sagte mit einem bezeichnenden Lächeln: »Fünf Pferde habt Ihr, Fox? Hm! Hier mitten in der Llano? Ist auch dasjenige dabei, auf welchem da kürzlich der Avenging-ghost an uns vorüberritt?« »Ja, Sir,« nickte Fox. »Dachte es mir!« »Das Geheimnis ist ja doch nicht mehr festzuhalten, da Ihr auf alle Fälle nun mein Geisternest zu sehen bekommt. Auch werde ich nicht mehr nötig haben, Komödie zu spielen, da es uns nun hoffentlich gelingen wird, die ganze Bande bis auf den letzten Mann auszurotten. Es fehlt mir nur noch einer, einer, einer!« »Welcher?« »Der Anführer von damals, als ich allein von allen übrig blieb.« »Wer weiß, wo seine Gebeine schon längst bleichen. Fox, Ihr seid trotz Eurer Jugend doch ein wahrer Held. Ich habe Respekt vor Euch. Später mögt Ihr uns einmal alles ausführlich erzählen. Schon jetzt aber weiß ich, was für ein Mann Ihr seid und mit welchen Gefahren Ihr siegreich gerungen habt. Aber da Ihr so viele Pferde besitzet und so nach Belieben kommen und verschwinden konntet, so müßt Ihr unbedingt inmitten der Llano estakata einen Platz haben, an welchem es Wasser, Bäume, Gras und Früchte gibt.« »Den habe ich allerdings. Ich wohne an einem kleinen See jenseits des großen Kaktuswaldes.« »Ah, gar ein See? So hatte also die alte Ueberlieferung keine Unwahrheit gesagt! Bitte, beschreibt mir doch einmal den Platz!« Bloody-Fox that das. Niemand hörte es als Old Shatterhand, und dieser beschloß, dieses Geheimnis jetzt noch nicht preiszugeben. Nach längerer Zeit erhielten die Pferde die Erlaubnis, langsamer gehen zu dürfen, da man sie nicht allzusehr anstrengen durfte; dann aber mußten sie wieder galoppieren. Eben als die Sonne unterging, erreichte man die Wagenfährte, der man nun gerade nach Süden zu folgte. Das war nicht schwer, da bald die dünne Sichel des Mondes sich erhob, welche einen genügenden Schein verbreitete. Dann, als man ungefähr noch eine Stunde geritten war, hielt Old Shatterhand plötzlich sein Pferd an, deutete nach vorn und sagte: »Da sind die Auswanderer. Man sieht ihre Wagenburg. Bleibt hier halten. Ich werde mich einmal anschleichen und euch dann Nachricht bringen.« Er stieg vom Pferde und huschte fort. Es währte wohl eine halbe Stunde, bevor er zurückkehrte. Dann meldete er: »Es sind zwölf große Ochsenwagen zu einem Vierecke zusammengeschoben, inmitten dessen die Leute sitzen. Sie haben weder etwas zu essen und zu trinken, noch Material zu einem Feuer. Sie sind von ihrem Führer verraten, sonst müßten sie das alles haben. Die Ochsen liegen stöhnend am Boden; sie sind dem Verschmachten nahe und können morgen früh jedenfalls nicht auf. Das wenige Wasser, welches wir bei uns haben, reicht nicht einmal für die Menschen aus. Um die Tiere zu retten, müssen wir ihnen unbedingt Regen schaffen.« »Regen?« fragte Hobble-Frank. »Meenen Sie etwa, daß Sie es hier mitten in der Llano regnen lassen können?« »Jawohl!« »Wie? Was? Wirklich? Das geht mir doch fast über die Hutschnur. Sie sind zwar een höchst obligater Mann, aber daß Sie so nach Belieben Wolken hersäuseln können, das hab' ich Ihnen, weeß Knöppchen, doch noch nich zugetraut. Wer is denn Ihr Wolkenschieber?« »Die Elektrizität. Ich habe keine Zeit, Ihnen das jetzt zu erklären. Um Wasser zu machen, brauche ich Feuer, eine möglichst große, brennende Fläche. Bloo dy-Fox spricht von einem sehr ausgedehnten Kaktusfelde, welches nahe von hier im Süden liegt. Da darf ich hoffen, Ihnen in ganz kurzer Zeit einen gehörigen Platzregen zu fabrizieren. Jetzt aber kommen Sie!« Er stieg wieder auf und ritt nach der Wagenburg. Die anderen folgten ihm, kopfschüttelnd über den verheißenen Regen und neugierig bezüglich der armen Menschen, zu deren Rettung sie gekommen waren. Man hatte die Wagen so zusammengeschoben, daß kein Reiter hindurch konnte; aber das Nahen der Retter wurde gehört. Diese stiegen vor der Wagenburg von ihren Pferden. Sie hörten, daß im Innern derselben jemand rief: »Horcht! Es kommen Menschen. Herrgott, sollten sie Hilfe bringen? Oder sind es Räuber?« »Wir sind keine Räuber. Wir bringen euch vor allen Dingen Wasser,« antwortete Old Shatterhand laut. »Kommt her und laßt uns ein!« » Zounds! « rief eine andere unwillige Stimme. »Sollte etwa gar ... wartet ihr anderen, ich werde nachsehen!« Der Mann kam herbei, lehnte sich über eine Deichsel herüber und fragte: »Wer seid ihr, Fremde?« »Man nennt mich Old Shatterhand, und hier sind meine Gefährten, lauter ehrliche Leute.« »Old Shat ... hole Euch der Teufel!« Der Mann, welcher die Retter mit dieser Verwünschung empfing, anstatt ihnen entgegenzujauchzen, war kein anderer als Master Tobias Preisegott Burton. »Ah, Ihr seid es!« sagte Old Shatterhand, der ihn trotz der Dunkelheit erkannt hatte. »Freut mich außerordentlich, Euch hier zu treffen!« Aber Burton war schon fort. Er erkannte, daß er keinen Augenblick länger bleiben dürfe. Darum glitt er nach der entgegengesetzten Seite, wo sein Pferd stand, zog schnell eine Deichsel aus dem Wagen, um sich einen Ausgang aus dem Wagenvierecke zu schaffen, warf sich in den Sattel und jagte davon. Hinter sich hörte er die frohlockenden Rufe der Leute, welche er dem Verderben geweiht hatte. »Wartet nur!« knirschte er. »Ich kehre bald zurück, und dann sollen mit euch auch die verloren sein, welche als eure Helfer kommen. Old Shatterhand! Welch einen Fang werden wir machen!« Er brauchte gar nicht weit zu reiten. Nach einer kleinen Viertelstunde stieß er auf seine Genossen, welche hier auf ihn warteten, damit er sie zum Massenmorde abholen sollte. Sie zeigten sich keineswegs darüber enttäuscht, daß ein so berühmter Jäger, wie Old Shatterhand zu den Auswanderern gestoßen war. Sie freuten sich vielmehr darüber, weil dadurch die zu erwartende Beute vermehrt wurde. Daß ihr Anschlag mißlingen könne, das hielten sie gar nicht für möglich. Freilich konnten sie ihre Opfer nun nicht ohne Kampf überwältigen, aber siegen mußten sie, wenn sie die Zeit des Morgengrauens erwarteten, wo man dann den Freund vom Feinde besser unterscheiden konnte, als jetzt, während der Nacht. Die beiden angeblichen Mexikaner befanden sich auch schon bei dieser Schar. Sie hatten in der Murding-Bowl nur einen einzelnen Posten gefunden und waren von demselben hierher geführt worden. Sie erzählten ihr Erlebnis im »singenden Thale« und richteten damit große Freude an. Es wurde beschlossen, erst die Emigranten zu überwältigen und dann Winnetou aufzusuchen, um ihn und seine Begleiter zu überfallen, was auch eine reiche Beute ergeben mußte. Daß der Apache schon in der Nähe sein könne, kam ihnen gar nicht in den Sinn. Und doch war er da. Er war mit seiner Truppe nach der Murding-Bowl gekommen, hatte sie aber leer gefunden. Dieses »Mordbecken« bestand aus einer schroffen und ziemlich tiefen Bodensenkung, deren Grund stets eine trübe Wasserlache trug. Vielleicht stammte diese Feuchtigkeit von dem nicht allzuweit entfernten See im »Geisterneste«; wenn sie auch trübe war, so bildete sie doch hier inmitten der öden Llano eine große Kostbarkeit, so daß die »Geier« diesen Ort als feste Station benutzten. So oft sie sich über die Plains zerstreuten, immer kehrten sie wieder nach hier zurück, wo stets einer von ihnen bleiben mußte, um den Nachrichtendienst zu versehen. Heute war dieser Mann mit den Mexikanern fortgeritten, und darum hatte Winnetou den Platz leer gefunden. Sein scharfes Auge sagte ihm aber bald, wohin er sich zu wenden habe. Er folgte der Fährte dieser drei Männer und entdeckte nach Einbruch des Abends den Platz, an welchem die »Geier« lagerten. Seine Leute mußten halten bleiben. Er selbst legte sich auf die Erde und kroch wie eine Schlange auf die Gruppe der Räuber zu. Er sah Burton kommen und sich zu ihnen setzen. Leider durfte er sich nicht so weit an sie wagen, daß er ihre Worte hätte verstehen können; aber es gelang ihm wenigstens, sie zu zählen. Dann kehrte er zurück. »Dreißig und fünf ›Geier‹,« meldete er. »Morgen um diese Zeit wird ihr Fleisch von den wirklichen Geiern gefressen werden.« »Was haben sie dort vor?« fragte Ben New-Moon. »Sie lauern auf Beute, und diese befindet sich im Norden von hier, denn die Mexikaner ritten nach dieser Richtung und eben jetzt kam von dorther der Bote, welcher meldete, daß der Mord beginnen kann. Meine Brüder werden jetzt mit mir nach Norden reiten, wo wir die Leute sicher treffen, welche getötet und beraubt werden sollen.« Er stieg wieder auf und ritt zunächst einen ziemlich weiten Bogen, damit er und die Seinigen nicht bemerkt werden könnten; dann bog er wieder in die beabsichtigte Linie ein. Nach der schon bei Burton angegebenen Zeit sahen sie die Wagenburg vor sich liegen. Jetzt standen Posten vor derselben; Old Shatterhand hatte Vorsichtsmaßregeln getroffen. Als sie von diesen Leuten angerufen wurden, antwortete Winnetou: »Die weißen Männer dürfen keine Sorge haben. Hier ist Winnetou, der Häuptling der Apachen, welcher ihnen Hilfe, Fleisch und Wasser bringt.« Seine sonore Stimme war deutlich zu hören. Kaum war das letzte Wort verklungen, so hörte man in dem Innern der Wagenburg den Hobble-Frank freudig ausrufen: »Winnetou? Da sei Victoria getrommelt und gepfiffen; denn wo der Apache is, da muß ooch der Bärenjäger und sein kleiner Martin sein! Laßt mich 'naus; ich muß sie alle beede angtukah umärmeln! Nee, so eene Weihnachten! Hier mitten in der Sahara und bei fast schtockdunkler Nacht mit meinen besten Freunden zusammenzurennen, da is doch die Freede gar zu groß!« Er kam über einen Wagen geklettert und von demselben herabgesprungen, blieb aber erstaunt stehen, als er die Schar der Komantschen erblickte. »Alle Wetter, was is denn das?« fragte er. »Da hält ja een ganzes Bataillon Kavallerie vor unserer Thüre! Das kommt mir merschtenteels verdächtig vor. Kommen Sie mal 'raus, Herr Old Shatterhand, und sehen Sie sich mal die Geister an, die allhier zu Pferde nachtwandeln!« Aber schon hing Martin Baumann an seinem Halse und zugleich schlang auch der Bärenjäger die Arme um ihn. Das gab ein herzliches Frohlocken. Auch Winnetou begrüßte den alten Bekannten erfreut und sagte dann: »So muß mein Bruder Shatterhand hier sein. Hat er meine Stimme nicht gehört?« »O doch! Hier bin ich!« rief der Genannte, welcher mit Hilfe einiger anderer schnell zwei Wagen auseinander geschoben hatte und nun heraustrat, um den roten Freund an seine Brust zu drücken. Die anderen folgten nach, Jemmy, Davy, der Juggle-Fred, Jim und Tim; die ersteren, um die Freunde zu begrüßen, die letzteren, um so schnell wie möglich Winnetou zu sehen. Das gab ein reges Fragen und Antworten, ein Drücken und Schütteln der Hände, aber ohne allen Lärm, wie es die Lage mit sich brachte. Aber ernst und traurig stand der junge Eisenherz bei seinen Komantschen, welche erstaunt waren, ihn hier zu finden, und erzählte ihnen von der Ermordung ihres Häuptlings, seines Vaters. Sie hörten ihn schweigend an und sagten kein Wort dazu; aber in ihrem Innern war den »Geiern« der Tod geschworen. Nachdem die Begrüßung vorüber war, entwickelte sich ein zwar stilles aber höchst geschäftiges Treiben in der Wagenburg und um dieselbe. Sie wurde erweitert, damit auch die Komantschen im Innern Platz finden könnten. Die Geier sollten nicht bereits von weitem sehen, daß sie es jetzt mit einer solchen Zahl von Gegnern zu thun hätten. Auch die Pferde wurden hineingeschafft. Die Komantschen verteilten ihr Fleisch und auch das Wasser, welches sie in ausgehöhlten Flaschenkürbissen mit sich führten, unter die Auswanderer, denn Old Shatterhand versprach, daß man bald größeren Vorrat haben werde. Dennoch reichte es nicht aus, den Durst dieser armen Leute völlig zu stillen. Es gab noch einzelne interessante und ganz unerwartete Szenen, wie zum Beispiele diejenige, als Ben New-Moon den Juggle-Fred erkannte, welcher ihn damals von der Mörderhand des Stealing-Fox errettet hatte. Bald jedoch herrschte tiefe Stille um die Wagenburg. Zwar schlief keiner, aber diejenigen, welche einander so viel zu erzählen hatten, sprachen nur im Flüstertone, so daß außerhalb der Wagenburg kein Laut zu hören war. Old Shatterhand hatte das Kommando übernommen. Er saß neben Bloody-Fox, um sich den Lebens lauf desselben und dann vor allen Dingen auch die Gegend, in welcher sie sich jetzt befanden, auf das genaueste beschreiben zu lassen. Es sollte womöglich keiner der »Geier« entkommen, damit dem Treiben derselben ein für allemal ein Ende gemacht werde. Ganz besonders interessierte es ihn, zu hören, daß neben der großen südlichen Kaktusstrecke ostwärts noch eine zweite liege, welche zwar weit schmäler aber noch viel länger als die erstere sei. Fox sagte, daß sich zwischen beiden ein ziemlich schmaler Sandstreifen südwärts ziehe, auf welchem man nach seinem »Geisterneste« gelangen könne. »Gut!« sagte Old Shatterhand. »So kann kein einziger dieser Halunken entkommen. Sollten sie unsere Ueberzahl ja zu früh bemerken, oder sollten sie nach dem ersten Angriffe fliehen, so jagen wir sie zwischen diese beiden Kaktusstrecken hinein und brennen dieselben an. Dadurch erhalten wir zugleich auch Wasser für die Zugtiere, welche nicht verschmachten dürfen.« »Aber da werden die ›Geier‹ meinen See erreichen und von da aus entkommen!« »Nein, Fox, denn Ihr werdet gleich jetzt mit zehn Komantschen dorthin aufbrechen, um die Kerls, welche wir getrieben bringen, dort in Empfang zu nehmen. Sie kommen zur rechten Zeit dort an, denn ich wette, daß der Angriff erst gegen Morgen erfolgt.« Dieser Plan wurde sofort ausgeführt. Man öffnete die Wagenschanze noch einmal, um Fox mit den Komantschen hindurch zu lassen; dann herrschte wieder die tiefste Ruhe rund umher. Die Posten standen weit außerhalb der Wagenburg und hatten den Befehl, sich beim Nahen der Feinde schnell und still, zwischen den Rädern hindurchkriechend, in das Innere zurückzuziehen. Dort standen die gesattelten Pferde zur augenblicklichen Verfolgung der Fliehenden bereit, und jeder Reiter hatte seine bestimmte Instruktion erhalten. So verging die Nacht. Im Osten erwachte ein leiser Dämmerschein, und die Konturen der Wagen und sonstigen Gegenstände traten deutlicher hervor. Es gab keine Spur von Morgennebel. Die Dämmerung wurde heller, und nun sah man die »Geier« zu Pferde südwärts halten, vielleicht wenig über tausend Schritte entfernt. Sie hielten ihre Zeit für gekommen und setzten ihre Pferde in Bewegung. Im Galopp kamen sie heran. Sie waren überzeugt, daß hinter den Wagen höchstens ein einziger Wächter munter sei. Die Posten hatten sich zurückgezogen, und alle Männer standen an der Seite der Wagenburg, von welcher der Angriff kam. »Schießt nicht auf die Pferde, sondern auf die Reiter!« gebot Old Shatterhand. Jetzt waren die »Geier« nur noch hundert, noch achtzig, noch fünfzig Schritte entfernt. »Feuer!« rief Old Shatterhand. Ueber dreißig Schüsse krachten. Die Schar der Angreifer bildete augenblicklich einen wirren Haufen. Tote und Verwundete stürzten von den Pferden; die ledig gewordenen Tiere rannten weiter. Die anderen wurden von ihren Herren, welche nicht oder nur leicht verwundet waren, zurückgerissen; ihrer waren kaum noch über zehn. »Hurra, hurra! Old Shatterhand und Winnetou!« schrie der Hobble-Frank. Als die »Geier« nun auch den letzteren Namen hörten und die Höhe ihrer so blitzschnellen Verluste sahen, kehrten sie schnell um und jagten von dannen, nach Süden zu, Master Tobias Preisegott Burton als der Erschrockenste an ihrer Spitze. »Hinaus! Und jeder an seinen Platz!« gebot Old Shatterhand. Zwei Wagen wurden schnell entfernt, so daß alle hindurch konnten. Die Emigranten rannten laut der vorher erhaltenen Weisung auf die Toten und Verwundeten zu. Die anderen alle, welche sich mit den letzteren nicht aufhalten sollten, traten die Verfolgung der Flüchtigen an, mit welcher sie es aber nicht gleich allzu eilig nahmen. Nur zwei entwickelten die ganze Schnelligkeit ihrer Pferde, indem sie gegen Südwesten sprengten, wo sie die Kaktusfläche in Brand stecken sollten. Diese beiden waren Jim und Tim Snuffle. Zehn Komantschen ritten ostwärts, um dann nach Süden einzubiegen und den Fliehenden den Weg ostwärts zu verlegen, damit sie gezwungen seien, zwischen die beiden Kaktusfelder einzubiegen. Die anderen, Old Shatterhand und Winnetou an der Spitze, ritten im Trabe nach Süden, hinter den »Geiern« her, welche galoppierten und ihnen also zu entkommen schienen. Diese Menschen waren voller Wut, ihren Anschlag in dieser Weise mißglückt zu sehen. Sie jagten still dahin, ohne miteinander zu sprechen. Nur Flüche wurden ausgestoßen. Erst als sie die Murding-Bowl erreichten, hielten sie an. »Was nun?« fragte Burton, welcher keuchend auf dem Pferde saß. »Hier können wir nicht bleiben, denn die Hunde sind hinter uns her.« »Natürlich!« stimmte Carlos Cortejo bei, welcher ebenso wie sein Bruder unverwundet geblieben war. »Geradeaus durch den Kaktus können wir nicht; also rechts ab. Kommt!« Sie schlugen die angegebene Richtung ein, sahen da aber bald von fern einen dicken Rauch aufsteigen. » All satans! « rief Emilio. »Dort sind sie uns zuvorgekommen. Sie haben den Kaktus angebrannt. Zurück also!« Sie jagten wieder zurück, an der Murding-Bowl vorüber und nach Osten zu. Nach kaum zehn Minuten sahen sie links von sich Old Shatterhand, welcher mit seiner Schar in der Diagonale auf sie ritt. Das erfüllte sie mit Schreck. Sie spornten ihre Pferde auf das äußerste an, um vorüber zu kommen, was ihnen auch gelingen zu wollen schien. Dann wollten sie seitwärts ausbrechen. Bald aber erkannten sie, daß dies unmöglich sei, denn sie sahen nun auch die zehn Komantschen, welche weit draußen hielten und ihnen den Weg verlegten. »Heut' ist der Teufel los!« schrie Burton. »Ich glaube gar, dieser Winnetou ist mit dabei. Wenigstens hörte ich seinen Namen rufen. Wir müssen rechts ab, zwischen den Kaktus hinein!« »Gibt es denn da einen Ausweg und nicht etwa eine Sackgasse?« fragte Carlos. »Weiß es nicht. Bin all mein Lebtage nicht dort hinein gekommen. Es bleibt uns aber nichts anderes übrig.« »Dann nur schnell, damit das Feuer nicht eher kommt als wir!« Sie jagten nach rechts, südwärts, gerade dahin, wohin Old Shatterhand sie hatte haben wollen. Und nun gab auch dieser endlich seinem Pferde die Sporen. Links von ihm kamen die zehn Komantschen, rechts die beiden Snuffles, die ihre Aufgabe gelöst hatten, herbei, und nun galoppierten alle hinter den »Geiern« drein, zwischen die Kaktusfelder hinein, dem fernen »Geisterneste« zu. Wohl hatte Carlos Cortejo recht gehabt, vor dem Feuer zu warnen. Es kam herbei, erst zwar langsam, dann aber immer schneller und schneller. Jahrhundertelang hatten die papierdürren Kaktusreste da gelegen, von Zeit zu Zeit neue Pflanzen treibend. Das gab einen Stoff wie Zunder. Die Flammen leckten erst leise um sich her; dann begannen sie zu laufen, zu springen und schlugen haushoch empor. Bald stand die ganze breite, breite Fläche in hellem, lückenlosem Feuer, dessen Prasseln von weitem wie ein ferner Donner zu hören war. Die aufsteigende Hitze erzeugte einen Luftstrom, welcher immer stärker wurde und sich gar zum Winde erhob. Je mehr das Feuer um sich griff, je weiter es nach Süden schritt und da eine Fläche von verschiedenen englischen Quadratmeilen bedeckte, desto sichtlicher trat das ein, was Old Shatterhand erwartet hatte. Der Himmel verlor sein Blau, wurde erst fahlgelb, dann grau, dunkler und dunkler, und wirklich, da zogen sich schwere, dunkle Massen zusammen, welche nicht aus Rauch bestanden. Der jetzt sehr starke Wind ballte sie zu dichten Wolken, welche nach und nach den ganzen Himmel zu bedecken schienen. Die Atmosphäre war glühend heiß; der Sand schien zu brennen. Droben begannen Blitze durch die Wolken zu zucken; einzelne Tropfen fielen, mehrere, immer mehr; jetzt, wahrhaftig, jetzt regnete es wirklich, stärker, immer stärker, bis es schließlich buchstäblich goß wie bei einem tropischen Gewitter. Die Emigranten hatten ihre schwer verwundeten Feinde einfach erschossen, die Habseligkeiten der Toten zu sich genommen und dann die Pferde derselben zusammengetrieben. Nun sollten sie bis zur Rückkehr ihrer Freunde warten, aber – – ohne Wasser! Da sahen sie das Feuer. Sie bemerkten die Wolkenbildung. Sie fühlten die fallenden Tropfen. Sie standen endlich im erquickenden Regen, im Gewittergusse und holten alle vorhandenen Gefäße herbei, um dieselben sich füllen zu lassen. Die fast verschmachteten Stiere bekamen wieder Leben. Sie brüllten vor Freude; sie wälzten sich im Regen; sie erhielten zu saufen; sie waren gerettet, und mit ihnen ihre Herren, welche ohne diese Tiere nicht mit den Wagen weiter gekonnt hätten – – ein Werk Old Shatterhands. – Kurz nach Anbruch des Tages war Bloody-Fox mit seinen zehn Komantschen bei der Passiflorenhütte angekommen. Sanna erschrak nicht über die Indianer. Sie freute sich, einmal Menschen zu sehen, fragte aber ihren jungen Herrn sogleich nach dem Neger Bob. Er vertröstete sie auf später und begab sich in die Hütte. Als er wieder heraustrat, hatte er das weiße Büffelfell überhängen. »Timb-ua-ungva – der Geist der Llano!« rief Eisenherz, welcher sich mit bei dieser Abteilung der Komantschen befand. Auch die anderen starrten diese Lösung des oft besprochenen Rätsels an, sagten aber nichts. Bloody-Fox stieg wieder auf und ritt mit ihnen weiter, indem er die Oase wieder verließ und draußen an der südöstlichen Ecke des Kaktuswaldes Stellung nahm. Sein Auge blickte forschend nach Norden. Jetzt erhob sich da oben eine finstere Wand, gegen welche von unten her helle Flammen zuckten. »Jetzt bringt das Feuer die ›Geier‹ getrieben,« sagte er zu Eisenherz. »Vielleicht findet mein roter Bruder darunter einen der Mörder seines Vaters.« Er nahm das Gewehr zur Hand. Eisenherz that dasselbe. Die Wolkenwand näherte sich; noch vor ihr kam das Feuer. Die Luft wurde von Minute zu Minute drückender. Ganz heran konnte das Feuer nicht. Es mußte an der Kaktusgrenze stehen bleiben. »Uff!« rief einer der Indianer, nach Norden deutend. »Sie kommen!« Ja, sie kamen, die ›Geier‹; aber es waren nur noch drei. Die anderen waren unterwegs von den Verfolgern ausgelöscht worden. Ihre Pferde trieften vor Schweiß; sie selbst konnten sich kaum noch im Sattel erhalten. Eine Strecke hinter ihnen sah man Old Shatterhand und Winnetou, denen die anderen alle folgten. So kam die wilde Jagd näher. Die beiden Letztgenannten strengten ihre Pferde nicht sehr an. Sie wollten die drei letzten »Geier« für Bloody-Fox und seine Komantschen aufbewahren. Der erste war Burton, den beiden anderen weit voran. Er sah die Bäume, ein Wunder auf der Llano, und hielt gerade auf sie zu. Fox lenkte auf ihn ein. Als der Mormone ihn erblickte, schrie er auf vor Entsetzen und schlug auf sein Tier ein, daß es seine letzte Kraft anstrengte, die Bäume zu erreichen. Jetzt kamen die beiden übrigen. Sie mußten nahe an Eisenherz vorüber. Er erkannte sie, die bei der Ermordung seines Vaters beteiligt gewesen waren. Er zog das Gewehr an die Achsel – zwei Schüsse, und sie stürzten von den Pferden. Er ritt zu ihnen hin, um ihnen die Skalpe zu nehmen. Indessen jagte Bloody-Fox den frommen Burton, den Schlimmsten von allen, vor sich her, auf die Bäume zu, zwischen denselben hin bis vor die Hütte. Vor derselben brach das Pferd zusammen, und Burton flog aus dem Sattel. Im Nu stand Fox neben ihm, riß das Messer aus dem Gürtel und bog sich nieder, um ihm den Todesstoß zu versetzen. Aber er fuhr wieder empor und stieß einen Schrei des Entsetzens aus. Beim Sturze war Burton der Hut entfallen, und zu gleich wurde sichtbar, daß er eine Perücke getragen hatte. Sie hatte sich vom Schädel gelöst und ließ die natürlichen, kurz geschorenen Haare sehen. Sein Gesicht war durch die Anstrengung des Rittes verzerrt und aufgedunsen und seine Augen blickten starr und gläsern zu dem jungen Manne auf – – er hatte den Hals gebrochen. Jetzt erkannte Bloody-Fox den Mörder seiner Eltern. Er hatte bei jenem Ueberfalle den Namen desselben rufen hören, und dieser Name Fox war das einzige gewesen, was von seinem Gedächtnisse festgehalten worden war. Er hatte ihn immer und immer genannt und ihn darum von Helmers als seinen eigenen bekommen. Jetzt kamen auch die anderen herbeigestürmt. Sie alle, außer Old Shatterhand, waren ungemein erstaunt, als sie Bloody-Fox in dem weißen Büffelfell erblickten. »Der Geist – der Geist der Llano – Bloody-Fox ist es – also er, er ist's gewesen!« so erschallten die Rufe durcheinander. Fox achtete nicht darauf. Er deutete auf Burtons Leiche und sagte: »Da ist er, der Mörder! Darum kam er mir so bekannt vor! Nun ist er tot, und ich werde nie erfahren, wer meine Eltern gewesen sind!« Ben New-Moon sah den Toten und rief: »Der Stealing-Fox! Endlich ist er unschädlich ge macht! Schade, daß er den Hals gebrochen hat. Nun muß ich ihm meine Kugel für immer schuldig bleiben!« »Wohl ihm, daß er tot ist!« sagte Old Shatterhand ernst. »Mit ihm sind alle ›Geier‹ ausgelöscht, und nun wird es Ruhe in der Llano geben. Und sollten ja noch einer oder einige existieren, so wird es von hier aus leicht sein, gegen sie auf die Jagd zu gehen. Eine solche Oase konnte niemand hier vermuten.« Bob war natürlich auch da. Er achtete aber weder auf den Toten noch auf den jetzt entdeckten Geist der Estakata. Sein Auge war auf die Negerin gefallen und das ihrige auf ihn. Sie eilte zu ihm hin und fragte hastig: »Sein du etwa Neger Bob?« Und als er nickte, fuhr sie fort: »Heißen deine Mutter Sanna? Haben du schon einmal sehen dieses Bild mit Sanna und ihr klein Smalling-Bob?« Sie hielt ihm die alte Photographie entgegen. Er warf einen Blick auf dieselbe und flog mit einem Jubelrufe vom Pferde. Sie hielten sich umschlungen und vermochten längere Zeit ihrem Entzücken nur durch unartikulierte Laute Ausdruck zu verleihen. Es ist nur weniges hinzuzufügen. Die »Geier« waren besiegt, und eine Abteilung der Komantschen ritt fort, die Emigranten herbeizuholen; diese sollten sich hier am Passiflorensee erholen und dann durch die Llano begleitet werden. Das Feuer verlöschte, als es keine Nahrung mehr fand, und die weite Kaktusfläche lag in Asche tot. Desto regeres Leben herrschte in und am Geisterneste. Bloody-Fox war der Held des Tages; er mußte seinen ganzen Lebenslauf ausführlich erzählen. Sein Bericht zeigte fast nur düstere Momente. Dennoch sprach er den festen Entschluß aus, für immer hier zu bleiben, um die Llano von »Geiern« rein zu halten. Sanna und Bob erklärten, ihn nicht verlassen zu wollen. Seine Erzählung war für die Westmänner so hochinteressant, daß selbst der sonst so sprechselige Hobble-Frank ihn nicht ein einziges Mal unterbrach. Als dann aber der kleine Sachse mit Jemmy und den beiden Snuffles einen Rundgang um den See machte, fragte ihn Tim: »Nun, Frank, jetzt haben wir uns so schön von außen herum ins Geisterland hineingeschlängelt. Behauptest du noch immer, daß der Geist der Llano estakata ein wirkliches Gespenst sei?« »Schweigste schtille!« antwortete der Gefragte. »Habe ich mich hier mal geirrt, so gibt's doch anderswo höhere Siriusregionen, und was keen Verschtand der Verschtändigen sieht, das sieht jeder Sachse, sobald's nur geschieht.« »Ja, Sachsen, und besonders Moritzburg, das ist das höchste der Gefühle!« lachte Jim. »Bleib mir mit deinen Gefühlen nur hinter der Fronte, alter Schnuffel! Du kennst mich noch lange nich; aber da wir noch eenige Monate beisammen bleiben wollen, so wirst du mich kennen und verehren lernen. Meine Persönlichkeet reißt jeden endlich doch zur Hochachtung hin. Nich wahr, Jemmy?« »Allerdings!« nickte dieser mit einem kleinen ironischen Lächeln. »Da hört ihr's beede! Und eegentlich habt ihr mir alles zu verdanken, denn wenn ich nich da droben bei Helmers Home mit Bloody-Fox zusammengetroffen wäre, so hättet ihr den Geist der Llano niemals entdeckt. Diese Anerkennung muß ich unbedingt schon jetzt verlangen. Schpäteren Geschlechtern bleibt's dann vorbehalten, mich und den Geist in Eisen zu gießen oder in Marmor zu hauen, damit mein Name hier ebenso in goldenen Lettern schtrahlt wie droben im Nationalparke, wo hoffentlich bald die Welt mein Monument beschtaunt!« Fußnoten 1 San Francisco. 2 Eisenherz. 3 Siehe Buch der Richter 12,6. 4 Mordwind. 5 Waschbär. 6 Verheerende Sturm, Tornado.