Ein Fürst des Schwindels von Ernst von Linden Nach authentischen Quellen 1. Aqua benedetta 1. Aqua benedetta Friedrich der Zweite hatte sich auf den Thron Preußen's gesetzt. Seine Politik modelte er nach den Satzungen des heute noch geheimnißvollen »Testamentes des großen Kurfürsten«. Zunächst richtete er sein Augenmerk auf einen Neutralitätsvertrag mit Frankreich. Zu diesem Zwecke sandte er den Baron von Langenau nach Versailles, um Ludwig den Fünfzehnten für seine Pläne günstig zu stimmen. Der Baron war zwar noch jung, besaß aber das vollste Vertrauen seines Königs und sah auch seine Bemühungen von einem solchen Erfolge gekrönt, daß eine baldige Unterzeichnung des Vertrages in sicherer Aussicht stand. Heute war er wieder zu einer Audienz nach Versailles befohlen und deßhalb zu Wagen von Paris herbeigekommen, um wo möglich seine Aufgabe zur letzten Entscheidung zu bringen. Er fuhr nicht bis an das Schloß selbst heran, sondern ließ bereits in ziemlicher Entfernung von demselben halten und stieg aus. Zu Fuße begab er sich unbemerkt nach der Umzäunung des Parkes und schritt an derselben hin bis zu einer Pforte, an welcher er sich halblaut räusperte. Sofort klirrte ein Schlüssel in dem Schlosse; es wurde von innen geöffnet, und er sah sich einer Dame gegenüber, deren Schönheit allerdings geeignet erschien, einen so außergewöhnlichen Schritt zu erklären. »Amély!« »Charles!« Er nahm ihre kleine Hand, bückte sich auf dieselbe nieder und küßte in galanter Courtoisie die Fingerspitzen ihrer seidenen Handschuhe. »Tausend Dank, ma belle amie, daß Sie so gütig sind, meine Bitte zu erfüllen! Schließen wir die Pforte?« »Ja, wir schließen sie, mon ami. Sie können unmöglich ohne Wagen an dem Portale erscheinen und müssen also durch den Park Entrée nehmen. Allerdings begebe ich mich durch die Erfüllung Ihres Wunsches in große Gefahr, denn der König promenirt soeben im Parke, doch schien es mir nöthig, Ihnen vor Ihrer Unterredung mit dem Monarch Nachricht über die Erfolge meiner Thätigkeit zu geben.« »So haben Sie wirklich Erfolge zu verzeichnen, Amély?« frug er, ihren Arm nehmend und in einen schmalen Seitenpfad einbiegend. »Allerdings, wenn auch nicht nach der Seite hin, auf welche Sie mein Augenmerk zu richten strebten. Allerdings ist meine Tante als Freundin und erste Hofdame der Marquise de Pompadour nicht ohne Ein flußauf diese und ma chére tante hat mich zu lieb, als daß sie mir einen erfüllbaren Wunsch abschlagen könnte, doch – doch – – –« »Nun, meine Theure, doch – doch – – –?« »Darf ich aufrichtig sein, lieber Freund?« »Vollständig; ich bitte darum! Sie scheinen mir etwas zu sagen zu haben, von dem Sie annehmen, daß es mich verletzen könnte; aber bedenken Sie, daß es mir ohne vollständige Klarheit vielleicht unmöglich sein würde, meine schwierige Aufgabe zu lösen, und ein zu reges Zartgefühl also nicht am Platze sein dürfte!« »Nun wohl! Tante kann nichts für Sie thun, weil – weil – – –« »Weil – – –? Ich bitte wirklich dringend, fortzufahren, Amély!« »Es fällt mir schwer, doch sei es gesagt: die allmächtige Marquise scheint eine Antipathie zu hegen, deren Gegenstand – –« »Deren Gegenstand ich bin; ist es nicht so?« »Allerdings, mein Freund. Natürlich bin ich der festen Ueberzeugung, daß diese Abneigung oder – sagen wir lieber – diese Idiosynkrasie eine vollständig ungerechtfertigte ist; aber Sie haben das Unglück gehabt, die Hand der Marquise beim Audienzkusse mit drei statt nur mit zwei Fingern zu berühren, und für solche Dinge hat sie ein Gedächtniß, welches nur höchst selten zum Vergeben geneigt ist.« » Bon! Ich werde also auf ihre Zuneigung verzichten müssen. Aber, sprachen Sie nicht von einer anderen Seite?« »Von einer Seite, auf welcher sich ein Einfluß auf den König zu Gunsten Ihrer Mission geltend zu machen sucht – – gegen die Ansichten der Marquise. Sie verstehen mich?« Der Baron machte eine zustimmende Geberde, und die Dame sprach leise weiter: »Freilich hat sich der König in dem Grade von der Marquise abhängig gemacht, daß schließlich ihre Stimme doch siegen könnte. Schlagen wir nun eine andere Richtung ein, mein Lieber. Dieser Pfad führt nach der großen Fontaine, und wenn wir ihm weiter folgen, so laufen wir Gefahr, der Majestät mit sämmtlichen Herren und Damen des Hofes zu begegnen!« Sie hatte mit diesen Worten Recht, denn von dem berühmten Bosquet de Fosan aus bewegte sich eine lange Reihe von einzelnen Gruppen nach der großen Fontaine zu, voran der König, an der Seite der Marquise von Pompadour, und zunächst hinter ihm in der Mitte einiger hervorragenden Hofdamen die erste Dame der Marquise, Madame d'Hausset an der Seite der durch ihre weiten Reisen und ihre diplomatischen Antecedentien wohlbekannten Gräfin von Gergy. Die Marquise ging am Arme des Königs. Sie trug eine Robe von schwarzer Soie de Lyon, ein rundes Jagdmützchen auf dem Kopfe und stützte sich mit der Hand auf einen massiv elfenbeinernen Stock, dessen Griff reich mit Brillanten und Rubinen verziert war. Ihr Gespräch mit Louis quinze schien einen Gegenstand zu betreffen, welcher geeignet war, das höchste Interesse der beiden hochgestellten Personen in Anspruch zu nehmen. »Kennen Sie seine Abstammung, Madame?« frug der König. »Sie ist ein Geheimniß, Sire, über welches er die tiefste Verschwiegenheit beobachtet, und ich glaube, daß selbst Ew. Majestät Fragen hier ohne Erfolg sein würden,« antwortete die berüchtigte Frau, welche ihren Einfluß auf einen unsittlichen Herrscher so klug zu verwenden verstanden hatte, daß sie die eigentliche Gebieterin Frankreich's war. »Dann hat er sicherlich Gründe, seine Vergangenheit zu verbergen. Er ist aber trotzdem ein höchst sehenswerther Abenteurer.« »Der dem Staate von unendlichem Nutzen sein kann,« fügte die Pompadour angelegentlich hinzu. »Es scheint sicher zu sein, daß ihm die Fabrikation edler Steine und Metalle wenig Schwierigkeiten verursacht. Er hat während der kurzen Zeit seines Hierseins die bewundernswerthesten Kuren vollbracht und besitzt ein Elixir, welches die Einwirkungen des Alters vollständig aufhebt.« »Also ein Adept, ein Wunderdoctor!« »Mehr, viel mehr als dies, Sire! Er zeichnet und malt genial, ist Virtuos verschiedener musikalischer Instrumente, singt zum Entzücken, modellirt gleich einem Künstler und spricht außer französisch, englisch, deutsch, italienisch, spanisch, portugiesisch und den sämmtlichen alten Sprachen auch arabisch, türkisch, persisch und chinesisch. Der Mann ist auf alle Fälle ein Mirakel.« »Und zwar eins von denen, deren Bewunderung dann schließlich in Enttäuschung übergeht.« Die Marquise schüttelte mit dem Kopfe; sie war sichtlich bemüht, die Zweifel des Königs zu beseitigen. »Dann müßte die Enttäuschung längst eingetreten sein, Sire, denn der Graf von St. Germain ist eine Berühmtheit, welche nicht erst seit zwanzig oder dreißig Jahren von sich reden macht.« »Ah! Dann besitzt er ein hohes Alter?« »Nein, denn er wird nie alt. Ich hatte bereits die Ehre, sein Elixir zu erwähnen, welches ewige Jugend und Gesundheit verleiht. Man erzählt von ihm, daß er bereits vor mehreren hundert Jahren, ja vielleicht schon vor tausend Jahren gelebt habe.« »Madame!« rief Ludwig in beinahe verweisendem Tone. »Hat er selbst es gewagt, Ihnen diese Unwahrheiten zu erzählen?« »Unwahrheiten, Sire? Wenn ich nicht die vollständige Ueberzeugung hätte, daß ich von Thatsachen spreche, so würde ich nicht wagen, den Grafen zum Gegenstande des Gespräches zu machen. Uebrigens gibt er niemals irgend eine Auskunft über sich und seine Verhältnisse, sondern Alles, was man von ihm weiß, ist erst durch Andere und zwar durch vollgültige Zeugen bekannt geworden.« »Nach dem, was ich von Ihnen hörte, Madame, dürfen sich diese Zeugen wohl keiner allzugroßen Zuverlässigkeit rühmen.« »Doch, doch, Sire! Mir wenigstens gilt zum Beispiele das Wort der Gräfin von Gergy als höchst vertrauenswerth.« »Die Gräfin Gergy?« »Deren verstorbener Gemahl vor nun bereits fünfzig Jahren Gesandter in Venedig war.« »Sie ist mir gewissermaßen selbst ein Räthsel. Ich kenne sie beinahe seit zwei Dezennien und sehe nicht, daß sie in dieser langen Zeit nur einen Tag gealtert hätte.« »Gestatten Ew. Majestät, die Gräfin zu rufen!« Sie wandte sich zu dem Gefolge zurück und winkte. Die Wittwe des einstigen venetianischen Gesandten beeilte sich, der Aufforderung Folge zu leisten, und trat mit einer tiefen Verneigung an die linke Seite des Königs. »Seine Majestät wollen das Nähere über Ihr Zusammentreffen mit dem Grafen von St. Germain in Venedig erfahren, meine Liebe,« erklärte die Marquise. Die Gräfin verbeugte sich zustimmend. »Darf ich fragen, wie alt mich Ew. Majestät schätzen?« begann sie ihren Bericht. Der König lächelte über diese Frage, welche eine Dame nur in der sichern Erwartung eines Complimentes auszusprechen pflegt. Er befand sich bei gnädiger Laune und beschloß, die Gräfin durch eine möglichst hohe Ziffer zu ärgern. Er schätzte sie fünfzig und hielt es für unmöglich, daß ihr Gemahl vor eben dieser Zeit in Venedig gewesen sein könne, antwortete aber schnell und kurz: »Sechzig!« Jetzt war es Frau von Gergy, welche lächelte. »Sire, mein erstes Zusammentreffen mit dem Grafen von St. Germain fällt um volle fünfzig Jahre zurück,« antwortete sie, »und damals zählte ich einige Jahre über dreißig.« »Nicht möglich!« rief Ludwig. »Dann wären Sie ja über achtzig Jahre alt!« »Das bin ich auch, Sire. Ich habe in Bezug auf mein Aeußeres jenes Alter von dreißig Jahren ein volles Vierteljahrhundert hindurch unverändert behalten, und zwar in Folge eines Trankes, welchen mir der Graf von St. Germain damals gab, und selbst als der letzte Tropfen dieses köstlichen Elixirs verbraucht war, hat sich seine Wirkung bis auf den heutigen Tag erstreckt. Ich bin langsamer alt geworden als Andere, habe nie das leiseste Unwohlsein gespürt und hege die feste Ueberzeugung, daß ich auch heut nur dreißig Jahre alt erscheinen würde, wenn mir jener Wundertrank nicht ausgegangen wäre.« »Und der Graf? Er selbst braucht natürlich auch dieses Zaubermittel?« »Augenscheinlich, denn er hat seit jener Stunde, in welcher ich ihn vor fünfzig Jahren zum ersten Male sah, nicht um einen Augenblick gealtert.« »Erzählen Sie uns von Ihrer zweiten Begegnung! Sie muß voller Ueberraschung gewesen sein.« »Ich traf ihn ganz unerwartet bei Madame,« berichtete die Gräfin mit einer Verneigung gegen die Marquise Pompadour, »und glaubte, einen dem Vater außerordentlich ähnlichen Sohn vor mir zu sehen. Ich trat auf ihn zu und bat ihn, mir zu sagen, ob nicht sein Vater um das Jahr 1700 in Venedig gewesen sei.« »Was antwortete er?« »Nein, Madame,« antwortete er gelassen; »es ist schon viel länger her, daß ich meinen Vater verlor; aber ich selbst wohnte zu Ende des vorigen und zu Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts in Venedig. Ich hatte die Ehre, Ihnen dort einiges Interesse einzuflößen, und Sie waren gütig genug, einige Barcarolen meiner eigenen Composition, welche wir zusammen sangen, hübsch zu finden.« »Verzeihen Sie, aber das ist unmöglich,« warf ich ein; »denn der Graf von St. Germain, den ich damals kannte, war wenigstens fünfundvierzig Jahre alt, und Sie haben jetzt höchstens erst das gleiche Alter!« »Madame,« sagte der Graf lächelnd, »ich bin schon sehr alt, so alt vielleicht, daß ich den Tag meiner Geburt längst vergessen habe.« »Aber dann müssen Sie ja nahe an hundert Jahre zählen!« »Finden Sie das unmöglich?« »Und nun erzählte er mir eine Menge kleiner, näherer Umstände, welche sich auf unsern gemeinschaftlichen Aufenthalt in Venedig bezogen, und von denen nur ich und St. Germain wissen konnten. Sein außerordentliches Gedächtniß erinnerte sich nicht nur der unbedeutendsten Einzelnheit, sondern jedes Wortes, welches damals zwischen uns gesprochen wurde, und um mich gänzlich zu überzeugen, zeigte er mir eine kleine Narbe an seiner Hand, welche dadurch entstanden war, daß er sich einst an meiner Sticknadel blutig riß.« »Hat er Sie hier besucht?« frug der König. »Nein, Sire; seine Zeit ist ganz außerordentlich in Anspruch genommen. Alles, was ich erreichte, war die Erlaubniß, auf einige wenige Minuten bei ihm vorsprechen zu dürfen.« »Und Sie thaten es?« »Sicher. Ich durfte mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, den berühmten Mann chez soi même zu sehen.« »Wie fanden Sie es bei ihm?« »Wenn ich erwartet hatte, einen Einblick in die ganze Enfilade seiner Wohnräume zu gewinnen, so fand ich mich getäuscht, denn ich durfte nur ein einziges Zimmer betreten, und dieses zeigte nicht die geringste Merkwürdigkeit. Doch brachte er aus den Nebenräumen Manches, was mich in Erstaunen versetzte, zum Beispiel seine Diamantensammlung, welche mich geradezu an Aladin's Wunderlampe erinnerte. Sie ist viele, viele Millionen werth.« »So ist er reich?« »Ich bin davon überzeugt, obgleich man sich seinen Reichthum auf keinerlei Weise zu erklären vermag. Er hat keine Güter, keine Renten, keine Banquiers, keine feste Einnahme irgend einer Art; Karten und Würfel berührt er nie, und dennoch führt er einen großen Haushalt, hat Bediente, Pferde und Wagen und eine ungeheure Menge von Edelsteinen in allen Größen, Gattungen und Farben. Man weiß wahrhaftig nicht, was man von dem Allen denken soll!« »Er ist jedenfalls ein geschickter Charlatan; man wird ihm vielleicht einmal begegnen,« meinte Ludwig. Er konnte nicht gestehen, daß er schon längst von dem Grafen gehört hatte und mehr an das Erzählte glaubte, als er sich merken ließ. War es denn nicht vielleicht möglich, daß er bei dem »geschickten Charlatan« Hülfe gegen die immerwährende Ebbe in seinen Kassen finden konnte? Dieser Gedanke hatte ihn bereits viel beschäftigt, und deßhalb hatte er es über sich gewonnen, dem Grafen just für die jetzige Stunde ein scheinbar zufälliges Rendezvous andeuten zu lassen. Diese Andeutung war verstanden und befolgt worden. Eben als man um eine Ecke bog, war ein Mann zu erblicken, welcher eine Rose in der Hand hielt und sie so sorgfältig betrachtete, daß er das Nahen des Hofes nicht zu bemerken schien. Das Auge des Königs glitt forschend über die Gestalt des Fremden und leuchtete dann mit zufriedenem Blick auf. Er hatte den Erwarteten erkannt. Dessenungeachtet aber frug er mit zorniger Miene: »Wer ist dieser Mann? Es ist ja bekannt, daß während Unserer Anwesenheit Niemand Zutritt finden soll!« Die Gräfin von Gergy hatte die Situation sofort begriffen. »Sire,« antwortete sie, »es ist der Graf von St. Germain. Er ist gewohnt, mehr als Andere wagen zu dürfen. Gestatten Ew. Majestät, ihn vorzustellen?« Der König nickte zurückhaltend. »Wir wollen Uns geneigt finden lassen, Uns einige Minuten mit ihm zu unterhalten.« Frau von Gergy trat zu dem wunderbaren Manne, begrüßte ihn und führte ihn dann dem König zu. Er war von mittlerer Größe und sehr elegantem Benehmen, hatte regelmäßige Züge, eine tiefbraune Gesichtsfarbe und schwarzes Haar. Seine Kleidung war einfach, aber geschmackvoll. Der einzige Luxus, welchen er zeigte, allerdings auch ein außerordentlich ungewöhnlicher, bestand in einer großen Menge von Diamanten, welche er an allen Fingern, an der Uhrkette und statt der Knöpfe trug. Die Schuhschnallen allein würde jeder Kenner auf mindestens 200,000 Francs geschätzt haben. Ludwig nahm dessen ehrerbietigen Gruß mit freundlichem Kopfnicken entgegen und begann, wie er es fast stets zu thun pflegte, die Unterredung ohne alle Einleitung: »Man sagt, Sie seien mehrere Jahrhunderte alt. Ist das wahr?« »Sire,« antwortete St. Germain mit einem Ausdrucke in Stimme und Gesicht, welcher nur Leuten von Geist eigen ist, »ich belustige mich zuweilen damit, nicht glauben zu machen, sondern glauben zu lassen, daß ich schon in den ältesten Zeiten gelebt habe.« »Doch die Wahrheit, Graf, ist – – –« »Die Wahrheit ist häufig unergründlich,« antwortete er ausweichend. »Nach der Versicherung mehrerer Personen von denen Sie schon unter der Regierung meines Großvaters gekannt worden sind, scheint es, als ob Sie über hundert Jahre zählen.« »Das wäre ja nicht einmal ein sehr überraschendes Alter. Im Norden von Europa habe ich Menschen gesehen, welche 160 Jahre und darüber alt waren.« »Ich weiß es, daß es deren gibt; aber Ihr jugendliches Aussehen ist es, welches alle Forschungen der Gelehrten über den Haufen wirft. Ich würde mich freuen, den Beweis zu erhalten, daß Sie schon im vorigen Jahrhunderte lebten.« »Das wird sehr leicht sein, Sire!« Er zog ein in gothischer Art gebundenes Souvenir aus der Tasche, öffnete es und nahm eins der zahlreichen Blätter, welche es enthielt, heraus. »Wird ein Zeugniß des großen Montaigne genügen, Majestät?« »Wie?« frug der König erstaunt; »Sie wollen Montaigne persönlich gekannt haben, der im Jahre 1592 gestorben ist?« »Ich stelle diese Behauptung auf und bitte, sie beweisen zu dürfen!« »Geben Sie das Blatt der Marquise!« Der Graf folgte diesem Befehle, und Frau von Pompadour las die Zeilen des damals für unübertroffen geltenden Philosophen vor: » Il n'est homme de bien qui mette a l'examen des lois toutes ses actions et pensées, qui ne soit pendable six fois en sa vie; voire tel qu'il serait dommage et très injuste de punir. A son ami, le comte de Saint-Germain. M. Eyquem de Montaique « 1 Der erstaunte Monarch griff nach dem Zettel und überzeugte sich, daß Moutaigne ihn im Jahre 1580 mit eigener Hand geschrieben hatte. »Das ist merkwürdig, höchst merkwürdig!« rief er und wandte sich zu seinem Gefolge: »Kommen Sie her, meine Herren, und sehen Sie hier den Grafen von St. Germain, welcher so alt ist, daß er Montaigne persönlich kannte!« Der Herzog von Brancas, der Herr von Gontout, der Abbé Bernis und Andere traten näher, nahmen Einsicht in die Zeilen und vermochten nicht, ihre Verwunderung zurückzuhalten. Ihr Erstaunen wurde noch größer, als sie die Edelsteine bemerkten, welche der Graf an sich trug. Der König bemerkte es und frug: »Sie scheinen ein großer Freund von Steinen zu sein?« »Ich pflege mich viel mit ihnen zu beschäftigen, Sire. Besonders ist es ihre Entstehung und ihr Wachsthum, welches mich lebhaft interessirt.« »Das heißt, Sie halten es für möglich, daß ein Mensch so tiefen Einblick in diese Entstehung gewinnen kann, daß es ihm gelingt, solche Steine beliebig hervorzubringen?« »Der Wissenschaft ist Alles möglich, Majestät, nur daß sie an die Entwickelung unsers Wissens gebunden ist und nur selten einen ihrer Jünger in der Weise bevorzugt, daß sie ihm einen deutlichen Einblick in die Schöpfungswerkstätten der Natur gestattet. »Vielleicht sind Sie selbst ein solcher bevorzugter Liebling der Wissenschaft. Vermögen Sie, aus kleinen Diamanten große zu machen?« »Wer dieses vermöchte, Sire, der würde sicher mit seiner Kunst zurückhaltend sein,« lautete die ausweichende Antwort. »Eher darf man davon sprechen, Perlen wachsen zu lassen.« »Ist Ihnen das möglich?« »Ja. Ich gebe ihnen die fünf-, ja zehnfache Größe und verleihe ihnen dabei denjenigen Grad von Wasser, welcher mir beliebt.« »Das ist viel. Haben Sie schon davon gehört, daß es fleckige Diamanten gibt?« Ueber die geistreichen Züge des Grafen glitt ein feines, fast schonendes Lächeln. »Ich habe deren sehr oft selbst gehabt. Wer eine Aufmerksamkeit, wie die meinige, den Steinen widmet, kennt jede einzelne ihrer Sonderheiten. Die Flecken lassen sich fast stets entfernen.« »Wie, Sie hätten wirklich das Geheimniß entdeckt, nach dessen Enthüllung die Kunst bisher vergebens strebte?« »Die Lösung ist nicht schwer, Sire. Gelang sie Andern nicht, so lag es nicht an der Kunst, sondern an den Künstlern.« »Wenn ich nun die Wahrheit Ihrer Behauptung einer Prüfung unterwerfe?« »Ich werde sie bestehen.« Diese Antwort klang so stolz und zuverlässig, als handle es sich um die Entfernung eines Weinfleckes aus einem Stücke Seidenzeug. Auf den König schien dieses Selbstvertrauen Eindruck zu machen. Er zog einen Diamanten hervor und bewies damit augenscheinlich, daß er auf das Zusammentreffen mit St. Germain vorbereitet sei. »Sehen Sie diesen Stein! Er würde 4000 Francs mehr werth sein, wenn er rein wäre.« Der Graf betrachtete den Diamanten aufmerksam. »Der Fleck ist etwas groß, aber ich werde ihn den noch fortbringen. Wollen Ew. Majestät den Stein mir anvertrauen?« »Sie dürfen ihn mitnehmen. Mein Juwelier, der ihn jetzt auf 6000 Francs schätzt, versichert, 10,000 für ihn zahlen zu können, wenn er den Fleck nicht hätte.« »In vierzehn Tagen gebe ich mir die Ehre, ihn vollständig rein zurückzubringen.« »Man wird dann Grund haben, Ihre Geschicklichkeit anzuerkennen. Aber sagen Sie einmal aufrichtig, Graf; man spricht von einem Lebenselixir, von einem Aqua benedetta, welches Sie zu bereiten verstehen, und durch welches Freunde von Ihnen Schutz vor den Einwirkungen des Alters gefunden haben sollen.« »Die Natur ist ewig jung, Sire. Wer ihre Lebenskraft zu extrahiren und in den menschlichen Organismus überzuführen versteht, kennt kein Alter und keinen Tod. Er kann Tausende von Jahren gelebt haben, ohne davon zu sprechen.« »Sie weichen mir aus und geben dennoch Ihr Eingeständniß. Sie selbst haben sich außerordentlich gut conservirt und danken diese immerwährende Jugend jedenfalls nur der Wirkung dieses Zauberwassers.« »Krankheit und Tod lassen sich nicht durch einen bloßen Wunsch, sondern nur durch Waffen besiegen, Majestät.« »Und stehen diese Waffen nur Ihren speziellen Freunden zu Gebote?« »Nur. Das Aqua benedetta wird unter einer Constellation der Gestirne bereitet, welche für die rechte Wirkung des Trankes eine innige Sympathie zwischen dem Verfertiger und demjenigen, welcher sich des Mittels bedient, voraussetzt.« »So sind für die Zubereitung dieser Lebenstinktur auch astrologische Kenntnisse von Nöthen?« »Ich leugne es nicht und gestehe, daß diese Kenntnisse nicht schülerhafte sein dürfen. Die Gestirne werden von derselben Kraft gehalten, welche wir, so lange sie im Leibe des Menschen thätig wirkt, das Leben nennen. Aus dem Laufe der Sonnen und Sterne ist sie berechenbarer als aus den Bewegungen unserer Glieder, und so schwer diese Berechnungen sind, es ist nothwendig, sie zu Rathe zu ziehen, wenn man das kühne Unternehmen wagt, die ewige Kraft in den vergänglichen flüssigen Tropfen zu bannen.« »Sichert dieser Trank auch gegen die Folgen äußerer Verletzung?« »Nein, Sire. Das Leben, welches mit ihm in den Organismus strömt, kann durch gewaltsame Angriffe vernichtet werden. Die Aufgabe, ein Elixir zu bereiten, welches selbst den Streich einer tödtlichen Waffe unschädlich macht, ist noch keinem Sterblichen zu lösen gelungen, doch hoffe ich« – und dabei ging ein siegesbewußtes Lächeln über seine Züge – »auch diese Schwierigkeit noch zu überwinden.« »Sie sind kühn in Ihren Hoffnungen, Graf!« »Ein Mann, welcher nicht genau weiß, was er zu leisten vermag, ist kein Mann, Sire; er wird nie zur vollständigen Entwickelung der Kräfte gelangen, welche ihm von dem gütigen Schöpfer verliehen sind.« »Sie mögen Recht haben, Graf. Wir finden überhaupt Wohlgefallen an Ihrer Unterhaltung. Lassen Sie sich wieder sehen. Man wird Ihre Gegenwart nicht ungern bemerken.« »Dann ersuche ich Ew. Majestät, mir gütigst die Stunde bestimmen zu lassen, in welcher ich erscheinen darf.« »Man wird dies in der Voraussicht thun, daß Uns durch Ihre Kenntniß der Naturgeheimnisse nach den Anstrengungen Unsers schweren Berufes eine Stunde besserer Erholung bereitet werde.« Mit einem huldvollen Neigen des königlichen Hauptes wurde der Graf entlassen. Er entfernte sich und schritt einer entlegenen Partie des Parkes zu. Eben stand er im Begriffe, um eine künstliche Felsengruppe zu biegen, als hinter derselben der Baron von Langenau hervorkam. Dieser hatte seine Unterredung mit Fräulein d'Hausset beendet und wollte sich nach dem Schlosse verfügen, als ihn diese unerwartete Begegnung mit einer Ueberraschung erfüllte, welche sein offenes Gesicht nicht sofort zu verbergen vermochte. Auch über das Angesicht des Grafen glitt ein Zug, welcher fast die Folge eines Schrecks genannt werden konnte, doch hatte sich der seltene Mann so in der Gewalt, daß seine Miene schon im nächsten Augenblick einen ruhigen Ausdruck annahm. »Ah, der Herr Baron von Langenau, wenn ich mich nicht irre!« meinte er mit einem beinahe gnädigen Nicken seines stolz erhobenen Kopfes. »Sie irren sich allerdings nicht, Herr Ritter von Schöning, Graf Tzarogy oder wie Ihr eigentlicher Name lauten mag. Sagen Sie einmal aufrichtig, mein Herr, mit welcher Magie operirt man in Versailles besser, mit der schwarzen oder mit der weißen?« Es klang eine unendliche Bitterkeit aus seinem Tone. Der Graf blickte ihm jetzt kalt und starr in das Angesicht und antwortete: »Je nach dem Erfolge, welchen man zu erzielen beabsichtigt, mein Herr. Und dieser Erfolg ist immer ein sicherer, wenn man sich nicht Leuten anvertraut, welche zu schwach sind, Großes ertragen zu können. Wie befindet sich Ihr Vater, Herr Baron?« »Ich danke; sehr wohl!« »Das heißt?« »Das heißt, daß er keine Gelegenheit mehr hat, sich schlecht zu befinden. An dem Tage, an welchem Sie die Güte hatten, uns ohne Abschied zu verlassen, bemerkte er, daß er sich an den Bettelstab laborirt hatte. Ihre bewundernswerthe Kunst hatte ihn von sämmtlichem Gold und Silber befreit und ihm nichts gelassen, als ein Stück armseliges Blei in Kugelform. Leider verstand er mit demselben besser umzugehen, als mit Gaunern und Betrügern. Statt dem Schwindler, welcher mit unserer sämmtlichen Habe von dannen zog, auch dieses Blei noch anzubieten, behielt er es für sich selbst. Der Schuß gelang, mein Herr, und es lebt nun ein Zeuge Ihres Talentes weniger.« »Das thut mir leid, obgleich es vorauszusehen war, da Ihr Vater meinen wohlgemeinten Rathschlägen niemals Gehör schenkte. Er war ein Schüler, welcher unbedingt nach der Mahnung seines Meisters hätte handeln sollen. Wer aus seinem physischen Dasein heraustritt, um mit den Geistern zu verkehren, muß den Muth haben, sie sich unterthan zu machen, sonst überwältigen sie ihn, und er ist verloren. Der Fall thut mir nun Ihretwegen leid. Kann ich Ihnen hier in irgend einer Weise dienlich sein?« »Ich muß auf Ihre Gefälligkeiten verzichten, da ich nichts besitze, um sie mit meinem Ruin bezahlen zu können!« »Ich bin sehr nachsichtig, mein Herr, aber wahren Sie dennoch Ihre Zunge! Der Graf von St. Germain, welcher soeben eine vertrauliche Unterredung mit dem König hatte, fühlt sich keineswegs gezwungen, die grundlosen Malicen des Barons von Langenau ruhig anzuhören.« »Graf von St. Germain? Lassen Sie mich Ihnen zu diesem neuen Titel gratuliren! Auch ich habe heute Einiges mit dem König zu besprechen und werde nicht versäumen, ihm den Herrn Grafen zur Regelung seiner Finanzen zu empfehlen.« »Daß heißt, Sie wollen sich mir als Feind gegenüber stellen? Welcher vorsichtige Mann wünscht sich einen überlegenen Gegner! Erlauben Sie mir, Ihnen eine höchst werthvolle Lehre zu geben: Ein kluger Diplomat – und dieser Carrière scheinen Sie sich ja doch zugewandt zu haben – bekämpft seinen Feind stets nur im Stillen und aus wohlgedeckter Stellung; er verräth deßhalb um keinen Preis und mit keiner Miene seine innere Gesinnung, denn diese Unvorsichtigkeit kann ihm seine Ziele leicht in unerreichbare Ferne rücken.« »Ich habe Ihre höchst werthvolle Lehre angehört, um ganz in die Tiefe Ihres menschenfreundlichen Herzens blicken zu können, habe aber leider nicht die Intention, sie zu beherzigen. Wir Deutschen sind ein ungelecktes Volk, welches gewohnt ist, auf starken Sohlen seinen geraden Weg zu wandeln und auch dem überlegenen Feinde sich Auge in Auge zu stellen. Herr Graf von St. Germain, ich verachte Sie und werde dafür sorgen, daß Ihre Künste hier keine Opfer finden!« Mit einer verächtlichen Handbewegung wandte er sich ab und schritt von dannen. Der Graf blieb stehen. Trotz seines braunen Teint war deutlich die Blässe zu bemerken, welche sein Gesicht überzog. Nach einigem Besinnen kehrte er in den Park, welchen er zu verlassen im Begriffe gestanden hatte, wieder zurück und schritt nach dem Schlosse. Hier erfuhr er, daß die Marquise von Pompadour ihre Gemächer bereits wieder betreten habe. Er war schon öfters bei ihr gewesen, hatte die Erlaubniß zum beliebigen Zutritt erhalten und ließ sich anmelden. Die Marquise, bei welcher Frau d'Hausset, ihre erste Dame, war, empfing ihn mit außerordentlicher Liebenswürdigkeit. »Willkommen, mein lieber Graf! Ich vermuthete nicht, Sie so schnell wieder bei mir zu sehen.« »Durfte ich Versailles verlassen und nach Paris gehen, Madame, ohne Ihrer Güte zu danken, welche mir gestattete, den größten Monarchen unseres Jahrhunderts zu sehen und zu sprechen?« »Diese Güte ist nicht ohne Eigennutz. Man profitirt dabei durch Ihren Unterricht über Außerordentlichkeiten, welche bisher für unmöglich galten. Werden Sie den Diamanten des Königs wirklich von seinem Flecken zu befreien vermögen?« »Es wird ganz sicher geschehen; ich werde Ihnen das beweisen, Madame. Sehen Sie diese Steine!« Er zog eine Schachtel aus der Tasche und öffnete sie. Es befanden sich Topase, Smaragde, Saphire und Rubine von ganz bedeutendem Werthe in derselben. Frau von Pompadour vergaß ganz die Würde, welche sie sich sonst zu eigen zu machen strebte, und schlug in heller Verwunderung die Hände zusammen. »Welch' ein Reichthum in so kleinem Behältnisse! Graf, Sie sind wirklich ein Phänomen!« Er nahm diese Bewunderung sehr gleichgültig hin und antwortete mit einem leichten Achselzucken: »Diese Schachtel enthält nur die geheilten Patienten aus meiner Sammlung. Diese Alle hatten Flecken, die ich ihnen jedoch genommen habe. Sie besitzen dadurch einen doppelten Werth. Diese Kleinigkeit mag als Beweis dienen!« Er warf ein massiv goldenes Kreuz mit grünen und weißen Steinen auf den Tisch. Es war von außerordentlich guter Arbeit, und ein Schmuckhändler hätte wenigsten 1500 Francs dafür geboten. Die Marquise nahm den Schmuck und zeigte ihn, nachdem sie ihn betrachtet hatte, ihrer Kammerdame. »Hausset, treten Sie näher und sehen Sie dieses prachtvolle Kreuz. Müssen Sie nicht den Glanz der Steine und die Feinheit der Fassung bewundern?« Die Dame nahm das Kreuz und hielt es, einen Blick in den Spiegel werfend, unwillkürlich wie zur Probe an den Hals. »Prachtvoll, Madame, wirklich ein Cabinetstück!« antwortete sie. »Ich bitte, Frau d'Hausset, es als ein Geschenk von mir anzunehmen!« bat der Graf. Die Kammerdame erglühte vor freudigem Schreck. »Das kann Ihr Ernst doch nicht sein, Graf. Ein so kostbares Stück verschenkt man nicht so pour passer le temps! « »Warum nicht? Es ist ja nur eine Bagatelle!« »Nehmen Sie es immerhin, meine Liebe,« redete die Marquise ihr zu. »Der Graf will es ja, und Sie hören aus seinem eigenen Munde, daß er damit nicht das mindeste Opfer bringt!« Trotz des Entzückens, welches eine jede Frau bei einem solchen Geschenke empfinden wird, machte Frau d'Hausset doch eine Bewegung, als wolle sie das Kreuz seinem früheren Besitzer wieder einhändigen, aber ein eigentümlicher Blick desselben bewog sie, den bereits ausgestreckten Arm wieder an sich zu ziehen. »Ich acceptire Ihr Geschenk,« meinte sie, »als ein Souvenir an den Tag, an welchem der Fürst von Frankreich dem Fürsten der Brillanten begegnete.« Er konnte doch in seinen Mienen einen Zug nicht unterdrücken, welcher verrieth, daß er sich geschmeichelt fühlte. »Alle Steine dieses Kreuzes hatten Flecken,« erklärte er, »und ebenso wie sie wird auch der Diamant des Königs von seiner Trübung geheilt werden. Fragen Sie den Grafen de Lancy, welcher mir einen Smaragd übergab, der einen bedeutenden dunklen Punkt besaß und jetzt sich wieder vollständig fehlerfrei in seiner Hand befindet.« »Den Grafen de Lancy? Apropos, bei seinem Namen fällt mir ein, daß die kleine zehnjährige Comtesse Lancy 2 eine Probe von Ihrem wunderbaren Aqua benedetta bekommen haben soll. Hat man mich recht berichtet?« »Man hat Ihnen die Wahrheit gesagt. Ich begleitete einige italienische Arien, welche die Comtesse sang, und war von ihr so entzückt, daß ich beschloß, ihr das glückliche Loos der Schönheit, welche sie besitzen wird, durch meinen Trank zu verlängern.« »Sie wissen, daß auch der König von Ihrem Aqua gehört hat. Er wünscht, daß ihm der gegenwärtige Zustand seiner Gesundheit so lange wie möglich erhalten bleibe.« »Das soll geschehen, so weit es in meiner Macht liegt, Madame,« antwortete der Graf. Er brachte zwei geschliffene Flaconetten zum Vorschein, welche mit einer krystallhellen Flüssigkeit gefüllt waren, und reichte sie der Marquise dar. »An der Erfüllung dieses Verlangens hängt das Glück und die Wohlfahrt einer ganzen Nation. Dieses Aqua benedetta wird Frankreich seinen Monarchen und Ihnen, Madame, Ihre Schönheit und Jugend erhalten.« Die Marquise griff mit sichtlicher Begierde zu und rief freudig: »Ich danke Ihnen sehr, mein lieber Freund! Allerdings darf man einen Grafen von St. Germain nicht nach dem Preise dieses unbezahlbaren Elixir fragen, doch bitte, bestimmen Sie selbst, was ich für Sie thun kann!« »Ich begehre als einzigen Lohn nur Ihr dauerndes Wohlwollen, Madame, und die Erlaubniß, mit Hülfe der Sterne über Ihnen und dem Wohle des Königs wachen zu dürfen.« »Der Schutz Ihres Genius ist uns natürlich hoch willkommen. Ich bat Sie ja schon, die Sterne über mich zu befragen. Ist Ihnen noch nicht eine Antwort geworden?« »Ich erhielt sie, heut' in der Mitternacht.« »Und wie lautet sie?« »Sie war so klar und offen, daß ich die Geister der Weltgegenden gar nicht erst zu Rathe zu ziehen brauchte. Ich darf sie darum wohl auch ebenso offen mittheilen?« »Nun?« »Ich stand um Mitternacht unter den Sternen und sah den Himmel Deutschland's erglänzen; ein großer Stern stieg strahlend in die Höhe; eine kleine Schnuppe flog von ihm ab, schoß über die Grenze herüber und stieß an den Stern von Frankreich. Da troff Blut herab vom Firmamente; es wurde Nacht in den Lüften, und die Erde erzitterte unter dem Fußgestampfe kämpfender Cohorten. Ich sah keine Person, ich bemerkte keinen Namen, Madame; ich erblickte nur Thatsachen. Die Sterne haben mich noch niemals getäuscht; die Lösung ist mir nicht gegeben; ich muß sie Ihnen überlassen.« Die Marquise war unter der Schminke leichenblaß geworden, während Frau d'Hausset seitwärts eine Miene machte, als ob sie sich auf den Grafen stürzen wolle, der sie vorher doch so fürstlich beschenkt hatte. »Oh, ich weiß, wer dieser Stern in Deutschland ist,« meinte endlich die Marquise. »Dieser König von Sansouci glaubt ja schon längst, daß er unter die Himmlischen zu rechnen sei. Aber die Schnuppe, Graf, hatte sie nicht eine Farbe, eine Gestalt, aus welcher sich etwas Sicheres schließen ließe?« »Ich glaube, die Gestalt eines L erkannt zu haben, doch steht mir der Zutritt zu den chambres diplomatiques nicht offen, und ich kenne also auch keine Persönlichkeit, auf welche ich eine Hindeutung aussprechen möchte. Nur das muß ich bemerken, daß die große, drohende Gefahr keine zukünftige ist, sondern schon morgen, heut oder gar jetzt hereinbrechen kann; es sind also schleunige Maßregeln erforderlich, sie abzuwenden.« »Meine Ahnung hat mich nicht betrogen!« rief die erregte Marquise. »Ein L –? Dieser preußische Baron von Langenau ist mit einer Sendung betraut, deren Zweck mich unangenehm berührt. Frankreich soll sich nicht dem noch sehr neuen Königshof in Brandenburg gefällig zeigen, und die Physiognomie dieses Barons hat mir gleich vom ersten Augenblicke an einen unbesiegbaren Widerwillen eingeflößt. Er soll mit dem König sprechen? Ich werde dafür sorgen, daß diese und eine weitere Unterredung gar nicht stattfindet. Ich vertraue Ihren Sternen, Graf, und der Preuße soll noch heute nach seiner barbarischen Heimat zurückgeschickt werden!« Als nach einer Viertelstunde sich der Baron von Langenau zur Audienz meldete, wurde er nicht vorgelassen, sondern an den Minister des Aeußern gewiesen, von welchem er eine versiegelte Schrift mit der Bemerkung empfing, daß diese eine ausführliche Erklärung des Königs auf seinen Antrag enthalte und schleunigst nach Berlin zu befördern sei, weßhalb man bereits Befehl ertheilt habe, ihm bis an die Grenze Relais zu legen. Damit war deutlich genug gesagt, daß seine Mission gescheitert sei. Er verließ das Schloß und schritt der Stelle zu, an welcher sein Wagen noch immer auf ihn wartete. Noch ehe er dieselbe erreichte, hörte er das Rollen von Rädern hinter sich und trat zur Seite, um die Carrosse an sich vorüber zu lassen. Er kannte sie sammt den sechs Schimmeln, welche vorgespannt waren; es war das Geschirr der Marquise von Pompadour, mit welchem sie die Entfernung zwischen Paris und Versailles zurückzulegen pflegte. Aber diesmal saß nicht sie in den rothseidenen Kissen, sondern eine männliche Gestalt, bei deren Anblick ihm das Blut in den Adern zu sieden begann – der Graf von Saint-Germain, welchen die Marquise nach der Hauptstadt fahren ließ. Auch der Graf erkannte seinen Gegner. Was kein Mann von adeliger Gesinnung gethan hätte, er that es: er gab dem Kutscher ein Zeichen und ließ just an der Stelle, wo Langenau stand, halten. »Ah,« frug er mit ironischem Erstaunen, »der Stellvertreter Seiner Majestät von Preußen zu Fuße auf der Landstraße?« Der Baron gab keine Antwort und hob den Fuß, um seinen Weg fortzusetzen. »Herr Baron!« klang es da mit einer Stimme, deren Ton Langenau bewog, sich nochmals umzuwenden. »Nur Eines, ehe Sie gehen, mein »ungeleckter« Preuße!« Der Graf bog sich, um von Kutscher und Domestiken nicht gehört zu werden, weit über den Wagenschlag herüber und raunte dem Baron zu: »Abgeblitzt wie ein Schulbube, nicht wahr? Ein Stück »Blei in Kugelform« wäre wohl auch für Sie das Beste!« Das Gesicht Langenau's erglühte vor Zorn, und er erhob den Arm wie zum Schlage, ließ ihn aber, sich beherrschend, wieder sinken und trat näher an den Wagen heran. »Herr Graf von Saint-Germain, das Blei, welches meinen Vater traf, befindet sich in meiner sorglichsten Verwahrung, denn es hat einem gerechten Zweck zu dienen: auch Sie werden an demselben sterben!« Er wandte sich und schritt vorwärts, den Wagen gar nicht beachtend, welcher jetzt an ihm vorüber rollte. Er bestieg alsbald den seinen und fuhr ganz langsam nach. Noch aber war er nicht weit gekommen, so hörte er abermals Pferdegetrappel hinter sich und erblickte, sich zurückwendend, Amély zu Pferde, gefolgt von einem berittenen Diener. »Herr Baron,« meinte sie erröthend, als sie ihn erreicht hatte, »meine Isabella ist heute so wenig artig, daß ich Sie fragen muß, ob Sie einen Platz für mich übrig haben. Mein Weg ist auf eine Strecke hin der Ihrige.« Im Nu stand er auf der Erde, hob sie vom Pferde, dessen Zügel der Diener ergriff, und half ihr in den Wagen steigen. Dieser setzte sich in Bewegung, und der Diener folgte mit dem Reitpferde. »Sie werden fortgeschickt, mein Freund?« »So ist es!« knirschte er. »Und wissen Sie, was Schuld ist?« »Meine Offenheit – – –!« »O nein, ein wenig Aqua benedetta. Lassen Sie sich erzählen, was ich soeben von meiner Tante erfuhr!« Als die junge Dame nach kurzer Zeit den Wagen verließ, um ihr Pferd wieder zu besteigen, trennten sich die Beiden mit einem innigen Händedruck und einem herzlichen Blick, welcher deutlich verrieth, daß sie sich wiedersehen würden. – – – 2. Der Krondiamant 2. Der Krondiamant Herr Calcoen, der Sekretär »Ihrer Hochmögenden, der Generalstaaten,« 3 saß allein in seinem Arbeitscabinet und forschte eifrig in wichtigen Actenstößen, die sich auf ein Neutralitätsbündniß zwischen den Niederlanden und Frankreich gegen das britische Inselreich bezogen. Seine Aufmerksamkeit war von den Scripturen so sehr und ausschließlich in Anspruch genommen, daß er den Eintritt seiner Frau ganz überhörte, welche ihre wohlbeleibte Figur an den Eingang postirte und mit ruhig ernstem Gesichte auf einen Augenblick zu warten schien, an welchem es dem Herrn Sekretär belieben würde, einmal von seiner schwierigen Arbeit aufzublicken. Es muß nämlich gesagt werden, daß Mynheer Calcoen trotz seiner hohen und einflußreichen Stellung die Einfachheit liebte und vielleicht auch aus Sparsamkeitsrücksichten keine Domestiken engagirte, sondern es vorzog, sich von den Gliedern seiner Familie bedienen zu lassen. Diese wußten sehr genau, daß nichts seinen Zorn so sehr erregen könne, als wenn man es unternahm, ihn während des Schreibens oder der Lectüre von wichtigen Dingen zu stören, und so wartete denn auch jetzt die Meffrouw Sekretärin mit gutmüthigem Lächeln geduldig auf den geeigneten Moment, ihre Angelegenheit vorzubringen. Da schlug er das eine Heft zusammen und griff nach einem andern. Meffrouw hustete leise. Er vernahm es und drehte sich um. »Was willst Du, Katje?« »Ich muß Dich fragen, ob Du zum Thee herunterkommst oder ob Du ihn hier nehmen willst.« »Hier, Katje, hier! Ich habe es so nothwendig, daß ich keine Sekunde verlieren darf.« »Willst Du ihn blank oder mit Röstbrodchen?« »Brod, viel Brod, Katje! Die Kopfarbeit strengt den Körper an, und so muß der Sekretär essen, wenn es wohl um die Staaten stehen soll.« »Du hast es also sehr nothwendig? Und doch steht draußen ein Mann, der Dich zu sprechen verlangt.« »Wer ist es? Ich habe wirklich keine Zeit, Katje.« »Es ist ein Fremder, doch wie er heißt, weiß ich nicht, da er seinen Namen nur Dir allein nennen will.« »Ich brauche seinen Namen nicht zu hören; er mag ihn einem Andern nennen; er kann gehen!« »Höre, er bat mich, Dir nur zu sagen, daß es sich um Millionen handle.« »Um Millionen? Ah! Sieht der Mensch denn darnach aus?« »Allerdings; er ist ein feiner Herr, und ich erblickte an seinem Finger einen Brillanten, welcher heller als die Sonne leuchtete.« »So, hm, dann mag er eintreten, und Du bringst den Thee erst, wenn er sich wieder entfernt hat.« Meffrouw nickte zustimmend und verließ das Zimmer. Durch die offen gelassene Thür trat der Angemeldete ein. Bei seinem Anblicke erhob sich unwillkürlich der Sekretär. Der Fremde machte allerdings den Eindruck, als sei er gewohnt, mit hochgestellten Leuten zu verkehren. »Wer sind Sie?« frug Calcoen. »Mein Name wird Ihnen nicht unbekannt sein; ich bin der Graf von St. Germain?« »Der Graf von St. Germain? Ah, ist es möglich? Bitte, nehmen Sie Platz!« »Ich höre, daß Ihre Zeit sehr in Anspruch genommen ist,« bemerkte der Graf, indem er der Aufforderung Folge leistete und sich auf einen der anspruchslosen Sessel niederließ. »Allerdings ist dies der Fall, doch glaube ich, so viel erübrigen zu können, um zu erfahren, welche Angelegenheit Sie zu mir führt.« »Ich ließ Ihnen bereits melden, daß ich nicht beabsichtige, Sie mit einer Kleinigkeit zu incommodiren. Sie kennen wohl meine intime Beziehung zu dem König von Frankreich?« »Ich hörte davon sprechen. Wie es scheint, besitzen Sie das Wohlwollen und Vertrauen des Regenten.« Der Graf verneigte sich zustimmend und zog ein versiegeltes Schreiben aus der Tasche, welches er dem Sekretär überreichte. »Ich bitte, Einsicht in dieses Mandat zu nehmen!« Calcoen nahm den Bogen, entsiegelte und öffnete ihn und überflog den Inhalt desselben. Seine Miene verrieth Spannung und lebhaftes Interesse, als er den Grafen frug: »Sie kennen den Wortlaut dieses Schreibens?« »Den Inhalt, wenn auch nicht den Wortlaut.« »Seine Majestät legitimirt Sie durch diese Vollmacht zu dem Abschlusse eines allerdings sehr wichtigen Geldgeschäfte mit den Generalstaaten. Darf ich Ihre Mittheilung erwarten?« »Sicher! Bemerken muß ich vorher, daß meine Mittheilungen sich nur auf die allerunentbehrlichsten Personen zu beschränken haben, und da es Majestät beliebt, den Minister des Aeußern, Herzog von Choiseul, von der Mitwissenschaft unserer Angelegenheit auszuschließen, so ist es mir auch verboten, unsern hiesigen Gesandten, den Grafen d'Affri, in die Affaire einzuweihen.« »Ihre Intentionen werden natürlich streng berücksichtigt werden, wie ich Ihnen im Namen der Hochmögenden versichern kann. Jetzt also weiter, Herr Graf!« »Ohne Einleitung, Mynheer: der König beabsichtigt, bei den Generalstaaten eine Anleihe zu machen.« »Ah? Wieder? Hm! Zu welcher Höhe?« »Zu einer allerdings nicht ganz gewöhnlichen: hundert Millionen.« »Hundert – freilich bedeutend!« »Aber keineswegs zu hoch für die Mittel, welche den Generalstaaten zur Verfügung stehen.« »Mag sein! Doch muß ich erwähnen, daß wir schlechte Ernten in den Colonien hatten und unsere Ausgaben in den letzten zwei zwei Jahren die Einnahmen so bedeutend übersteigen, daß wir selbst vor einer leeren Kasse stehen und die Hilfe unserer Banquiers in Anspruch nehmen müssen.« »Dabei kann es kein Bedenken geben; die Hilfsquellen der Generalstaaten sind unerschöpflich, und ihr Kredit ist ein grenzenloser.« »Er wurde bereits in der Weise verwerthet, daß die hochmögenden Herren wohl schwerlich zu bestimmen sein werden, ihn für fremde Interessen anzustrengen.« »Dürften hierbei nicht die Concessionen zu berücksichtigen sein, welche man Ihnen zu machen bereit ist?« »Möglich. Welches ist der Zinsfuß, zu welchem Sie ermächtigt sind?« »Die Höhe desselben hängt von der Schnelligkeit ab, mit welcher die Zahlung des Darlehens erfolgt.« »Begreiflich. Und welche Unterlagen bieten Sie?« »Eine höchst ungewöhnliche und mehr als genügende, nämlich ein Faustpfand, welches mehr als den doppelten Betrag des Darlehens repräsentirt.« »Worin besteht es?« »In den sämmtlichen Kronjuwelen Frankreich's.« »Ah!« machte der Sekretär erstaunt. »Sie geben zu,« meinte der Graf gleichmütig, »daß ein solches Pfand Sie vollständig sicher stellt. Ich bin darauf angewiesen, Ihnen mitzutheilen, daß unsererseits nur der König, die Marquise de Pompadour und ich von dem Depositum wissen dürfen.« »Die Sicherstellung ist allerdings mehr als genügend; haben Sie jedoch auch die Schwierigkeiten bedacht, welche sich eben jetzt einer solchen Anleihe gegenüberstellen?« »Sie meinen die vermeintliche Erschöpfung Frankreich's durch den Krieg und die Aussichtslosigkeit auf eine baldige Lösung der politischen Conflicte? Pah! Ich bin in dieser Beziehung natürlich besser unterrichtet als Andere und darf Ihnen versichern, daß der Krieg seinem Ende naht. Und selbst wenn Ihre Befürchtungen begründet wären, so sprachen Sie ja selbst die Ueberzeugung aus, daß Sie vollständig und für alle Fälle gedeckt sind. Ich komme zunächst zu Ihnen, weil ich weiß, wie schwer Ihr Wort in wichtigein Angelegenheiten wiegt, und ersuche Sie, mir die Namen derjenigen Herren zu nennen, an welche ich mich nach Ihnen zu wenden habe.« »Es ist mir jetzt leider unmöglich, diese Auskunft zu ertheilen. Geben Sie mir die Erlaubniß, Ihre Angelegenheit zunächst den Generalstaaten vorzutragen, und dann wird sich ja zeigen, wer von denselben zur Verhandlung mit Ihnen beauftragt wird.« »Sie haben diese Erlaubniß, natürlich unter der Voraussetzung der strengsten Discretion. Wann darf ich mir Bescheid holen?« »Auch das ist noch unbestimmt. Wo wohnen Sie?« »Im Prinzen von Oranien.« »Ich werde mir erlauben, Sie dort aufzusuchen, sobald eine Entscheidung gefällt worden ist.« »Dann gestatte ich mir nur noch eine Zufügung.« Er zog ein kleines Etui hervor und überreichte es dem Sekretär. »Wollen Sie die Güte haben, den Inhalt zu prüfen?« Calcoen öffnete und stieß einen Ruf der Bewunderung aus. Das Etui enthielt einen Diamanten von solcher Größe und Reinheit, wie er noch niemals einen gesehen hatte. »Prachtvoll, außerordentlich prachtvoll!« rief er. »Wie hoch schätzen Sie den Stein?« »Ich bin zu wenig Kenner, um seinen Werth taxiren zu können, doch glaube ich gern, daß derselbe nach Millionen zählt.« »Sicher! Der König hat mir aufgetragen, gegen eine Anzahlung von hunderttausend Gulden denselben schon vor Abschluß des Hauptgeschäftes und zur Probe bei Ihnen zu deponiren.« »Wollen Sie mir den Stein anvertrauen, damit ich ihn den hochmögenden Herren zu zeigen vermag?« »Gewiß, wenn Sie die Güte haben wollen, den Empfang des Diamanten durch Unterschrift und Siegel zu bescheinigen.« »Gern!« Er schloß das Etui und das Mandat des Grafen sorgfältig ein und stellte dann den verlangten Depositenschein aus, nach dessen Empfang sich der Graf entfernte. Draußen auf dem Korridore stieß dieser mit einem Manne zusammen, bei dessen Anblick er unwillkürlich einen Schritt zurückfuhr. »Der Baron von Langenau!« rief er beinahe bestürzt. Auch der Baron war überrascht, doch ließ er kein Wort vernehmen, sondern schritt mit einem verächtlichen Blicke an dem Grafen vorüber und verschwand in dem Arbeitszimmer des Sekretärs. Der Mißerfolg seiner Sendung nach Versailles hatte ihm in Beziehung auf das Vertrauen seines Königs keinerlei Schaden gebracht. Er befand sich jetzt hier in Haag in derselben Eigenschaft als Gesandter, hatte sich die Freundschaft des Sekretärs erworben und besaß die Erlaubniß, zu jeder Zeit unangemeldet Zutritt nehmen zu können. Er fand Calcoen noch nicht wieder in seine Arbeit vertieft. Die Unterredung mit dem Grafen hatte den Sekretär trotz seiner sonstigen Ruhe in eine gewisse Aufregung versetzt, so daß er bei dem Eintritte des Barons mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit im Zimmer auf und nieder ging. »Willkommen, Herr von Langenau! Ah, Sie finden mich einigermaßen echauffirt. Ist Ihnen Jemand begegnet?« »Ein Herr, draußen auf dem Korridore.« »Rathen Sie, wer es war!« »Der Graf von St. Germain.« »Was! Sie kennen diesen Mann?« »Leider!« »Leider? Sie scheinen also keine positiven Gefühle für diesen berühmten Mann zu hegen!« »Berühmt oder berüchtigt? Die Entscheidung zwischen Beidem muß ich einem Jeden für sich selbst überlassen.« Der Sekretär machte eine verneinende Handbewegung, faßte ihn beim Arme und zog ihn neben sich auf einen Stuhl nieder. »Herr Baron, Sie wissen, daß Sie meine Freundschaft besitzen!« »Die mir von hohem Werthe ist.« »Und mit ihr mein Vertrauen!« »Welches mich zum größten Dank verpflichtet.« »Dieser Dank hätte naturgemäßer Weise nur in Gegenvertrauen zu bestehen. Der Graf von St. Germain war in einer höchst wichtigen Angelegenheit bei mir; er ist mir weniger als Ihnen bekannt, wie es scheint, und da mir sehr daran liegt, etwas Genaues über ihn zu hören, so muß ich Sie ersuchen, aus Ihrer diplomatischen Verschlossenheit herauszutreten und mir zu Gefallen etwas offenherzig zu sein!« »Darf ich fragen, von welcher wichtigen Angelegenheit Sie sprechen?« »Sie ist ein Geheimniß, Herr Baron. Ich habe mich zur tiefsten Verschwiegenheit verpflichtet.« »Auch mir gegenüber?« »Allerdings.« »Selbst wenn ich über die Angelegenheit ebenso unterrichtet wäre, wie der Graf selbst?« »Das ist unmöglich!« »Scheinbar. Ich werde Ihnen das Gegentheil beweisen. Der Graf von St. Germain ist in Haag behufs einer Anleihe von hundert Millionen unter Verpfändung der Kronjuwelen Frankreich's.« Der Sekretär machte ein höchst erstauntes Gesicht. »Wahrhaftig! Sie sind sehr genau unterrichtet. Aber der Graf versicherte doch, daß nur er allein das Geheimniß mit dem König und der Marquise de Pompadour theile!« »Er irrt, wie Sie ja selbst sehen. Wird es ihm gelingen, sich seines Auftrages glücklich zu entledigen?« »Möglich ist es. Wenigstens wird er die hunderttausend Gulden erhalten, die er für den König sofort unter Verpfändung des werthvollsten Krondiamanten begehrt.« »Hunderttausend Gulden? Davon ist mir nichts bekannt. Sein Auftrag lautet nur auf hundert Millionen, und ich glaube nicht, daß er ermächtigt ist, eine Voranzahlung zu fordern.« »Das wäre allerdings gewissermaßen Mißtrauen erregend, wenn ich annehmen dürfte, daß Sie wirklich genau unterrichtet sind. Können Sie mir Ihre Quelle bezeichnen?« »Nur als ein Freund dem anderen. Ich habe eine Braut in Versailles, durch welche ich Einsicht gewinne in sämmtliche Geheimnisse des Hofes.« »Ist eine junge Dame, vielleicht ohne offizielle Stellung, nicht ein etwas unsicheres Medium für dergleichen Wichtigkeiten?« »Das Beispiel hat Ihnen ja bewiesen, daß mein Medium vollständig zuverlässig ist. Meine Braut besitzt eine sehr nahe Verwandte, welche stets um die Person der Marquise ist und von derselben mit dem unbeschränktesten Vertrauen beehrt wird.« »So ist es ja leicht erklärlich, daß Sie von den hunderttausend Gulden nichts wissen; die Marquise hat von dem Einen, aber nicht auch von dem Anderen gesprochen. Uebrigens deckt der Stein die Summe mehr als um das Zehnfache.« »Darf man ihn sehen?« »Da Sie bereits so weit unterrichtet sind, halte ich es für keinen Wortbruch, wenn ich Ihnen den Diamanten zeige.« Er öffnete das Fach, in welchem er ihn verborgen hatte, und gab Langenau das Etui. Dieser betrachtete den Stein mit der größten Aufmerksamkeit und meinte dann: »Kenner bin ich nicht, aber allem Anscheine nach ist der Diamant wirklich ächt; nur fällt mir ein Umstand auf – – –« »Welcher?« »Ich hatte Gelegenheit, die französischen Krondiamanten sehr eingehend mustern zu können, und kann mich nicht entsinnen, diesen hier unter ihnen gesehen zu haben.« »Hierfür wäre mehr als eine Erklärung zu finden. Warum sollen wir den Vorschuß nicht leisten, wenn der Stein ächt ist? Sie lieben den Grafen nicht und mögen Ihre Gründe dazu haben, doch in geschäftlichen Angelegenheiten ist man oft genöthigt, gegen persönliche In- oder Declinationen zu handeln. Trafen Sie den Grafen in Paris?« »In Versailles. Ich hatte ihm eine schwere diplomatische Niederlage zu verdanken, nachdem ich des Sieges bereits sicher gewesen war.« »Ah, Sie sind rachsüchtig!« »In des Wortes strengster Bedeutung nicht. Ich kannte den Schwindler bereits früher.« »Sie nennen ihn einen Schwindler? Ein außergewöhnlicher Charakter pflegt auch außergewöhnlich zu handeln und kommt daher leicht in die Lage, falsch beurtheilt zu werden. Wo lernten Sie ihn kennen?« »Auf Langenau.« »Auf Ihrem Stammsitze? Wann war das?« »Vor nunmehr vier Jahren. Mein Vater war ein Freund der abstracten Wissenschaften und verbrachte die größte Zeit mit dem Studium metaphysischer Probleme; zuletzt warf er sich auf die Magie, Astrologie und Alchymie, und obwohl sich dabei sein Wesen verdüsterte und er die Abgeschiedenheit dem Kreise seiner Familie vorzuziehen begann, konnten wir ihn doch unbesorgt seiner Lieblingsbeschäftigung überlassen, da wir aus derselben keinen weiteren Schaden für uns ersahen. Da plötzlich erschien der Graf von St. Germain unter dem Namen eines Ritters von Schöning auf Langenau; mein Vater hatte als Alchymiker einigen Ruf erlangt, was den gewandten Abenteurer angezogen haben mochte, und mit seinem Erscheinen trat das Unglück bei uns ein. Ich will mich nicht wieder in jene traurige Zeit versenken und Ihnen nur constatiren, daß der Graf meinen Vater in den Tod trieb, nachdem er alle unsere Habe mit Hülfe mir unbekannter Experimente an sich gerissen hatte. Die Mutter starb kurze Zeit darauf, und die Schwester verlor den Bräutigam, welcher als armer Offizier nun nicht daran denken konnte, sich den längst beabsichtigten Herd zu gründen.« »Traurig, sehr traurig! Aber sind Sie wirklich überzeugt, daß der Graf an diesem Allen die Schuld trägt?« »Ich bin so überzeugt, daß ich dieses Blei hier für ihn aufhebe.« Er griff unter die Weste und zog eine Kugel hervor, welche er an einer Schnur auf der Brust verwahrt hate. »Vater hat durch dasselbe den Tod gefunden; es wird dafür das Herz des Schurken treffen!« Er verbarg die Kugel wieder und strich sich mit der Hand über das Gesicht, als könne er mit dieser Bewegung die bösen Gedanken verscheuchen, welche in seinem Innern aufgetaucht waren. Dann warf er den Kopf zurück und frug: »Apropos, wissen Sie bereits, daß morgen Abend bei dem Grafen d'Affri große Soirée sein wird?« »Ich bin bereits geladen.« »Ich auch. Sie werden doch erscheinen?« »Das ist noch unbestimmt. Vielleicht nimmt die Anleihe meine Zeit so in Anspruch, daß ich verhindert bin, zu erscheinen.« »Was ich lebhaft bedauern würde. Die isolirte Lage, in welcher sich mein König gegenwärtig befindet, hat zur naturgemäßen Folge, daß auch seine Vertreter zurückgezogen erscheinen, und so werde ich, wenn Sie fehlen, auf mich selbst angewiesen sein.« »Ich bin überzeugt, daß Sie dieses Unglück ebenso siegreich ertragen werden, wie Ihr Heldenkönig, und – ah, hier kommt Katje und bringt mir den Thee! Sie nehmen natürlich auch eine Tasse. Eigentlich sollte ich Sie mitleidslos fortjagen, da ich's ursprünglich außerordentlich nothwendig hatte; doch ist die Millionenanleihe so gewaltig über mich hereingebrochen, daß ich für meine Acten nicht die mindeste Aufmerksamkeit mehr habe. Katje, noch eine Tasse, einige Brödchen und zwei Pfeifen mit dem neu angekommenen Sumatrakanaster!« – – Am anderen Abend bewegten sich in den prachtvollen und glänzend erleuchteten Räumen des französischen Botschafters außer den hohen Würdenträgern der Generalstaaten und den Vertretern aller europäischen Regierungen eine zahlreiche Menge berühmter oder einflußreicher Privatpersonen, deren Anwesenheit der Versammlung einen weniger diplomatischen Anstrich gab, als sie sonst besessen hätte. Die Tafel war aufgehoben, an welcher man mehrere Stunden lang den materiellen Freuden des Lebens gehuldigt hatte, und in einzelne Gruppen aufgelöst und in die verschiedenen Zimmer vertheilt, suchten die Anwesenden ihren persönlichen oder staatlichen Interessen mittelst einer regen, beliebig angeknüpften und eben so leicht wieder abgebrochenen Unterhaltung gerecht zu werden. Der Sekretär der »hochmögenden Herren Generalstaaten« fehlte wirklich, und der Baron von Langenau durchschritt in einem einfachen schwarzen Anzuge scheinbar theilnahmslos die Reihen der conversirenden Herren- und Damengruppen und gelangte schließlich in ein leeres Zimmer, welches die Enfilade der Gemächer abschloß. Es war nur spärlich erleuchtet. Er trat an eines der Fenster und blickte, von den weit herabgehenden Gardinen vollständig verhüllt, durch dasselbe hinaus in die abendliche Winterlandschaft. Da vernahm er nahende Schritte. Zwei Männer traten ein und nahmen auf einem der die Wände garnirenden Sammetpolster Platz. Ganz sicher hatten sie sich zurückgezogen, um irgend einen Gegenstand, welcher nicht für Jedermanns Ohren war, zu besprechen. Langenau stand schon im Begriffe, aus seinem unabsichtlichen Verstecke, wie es ihm die Ehre gebot, hervorzutreten, als er einen Namen nennen hörte, bei dessen Klange er zu bleiben beschloß. Er vernahm, daß einer der beiden Männer der Graf d'Affri selbst war; der andere war der berühmte Casa nova, welcher sich durch seine Flucht aus den Bleikammern Venedig's einen weithin klingenden Namen erworben hatte und jetzt von Frankreich hieher gekommen war, um im Auftrage des Herzogs von Choiseul eine wichtige Geldangelegenheit zu betreiben. »Ich sage Ihnen, mein lieber Casanova, daß Sie sich mit der Hoffnung, gute Geschäfte zu machen, sicher täuschen werden, falls nicht plötzlich und unvorhergesehen günstigere Umstände eintreten,« meinte der Graf. »Ich hege viel Theilnahme für Sie und wünsche Ihnen das beste Gelingen, aber der König wird schlecht bedient, die Operationen des General-Controleur haben die Nation discreditirt, und man ist auf einen unvermeidlichen Bankerott gefaßt, wie ich Ihnen offen sagen will.« »Das weiß ich Alles ganz genau, aber ich möchte dennoch nicht völlig an dem Erfolge meiner Sendung verzweifeln. Es mangelt der Regierung an Geld. Ich bin beauftragt, französische Staatspapiere, welche nominell den Werth von zwanzig Millionen repräsentiren, mit einem möglichst geringen Verluste gegen besser stehende ausländische Papiere umzutauschen, eine Manipulation, deren Gelingen mir nicht unmöglich erscheint, da der Minister mir versichert hat, daß der Krieg, welcher unsere Schuldscheine drückt, sich seinem Ende nahe. Die geheimen Friedensverhandlungen sind im vollsten Gange, wie mir von best unterrichteter Seite versichert wurde.« »Ich will diese letztere Thatsache nicht in Abrede stellen, doch geben Sie sicherlich zu, daß ich als Gesandter über unsere politischen Hoffnungen und Befürchtungen vollständiger unterrichtet sein muß, als Sie. Die Staatskasse ist geleert, die Flotte vernichtet, und unsere Heere sind geschlagen. Der Friede wird in Folge dessen kein vortheilhafter für uns sein. Wer jetzt unsere Papiere kauft, muß lange warten, ehe er hoffen darf, sie ohne Verlust verwerthen zu können, und Herr von Bernis hat mich beauftragt, Ihnen die zwanzig Millionen nur mit acht Prozent minus zu überlassen. Ich bin sehr geneigt, zu glauben, daß bei einem solchen Angebote Niemand kaufen wird.« »Ich halte trotzdem meine Hoffnung fest. Wenn der König sieht, daß seine Forderung zu hoch ist, wird er sich zu einer Reduction derselben entschließen. Ich hatte heute eine Conferenz mit Herrn Peels und sechs anderen Compagniechefs. Sie boten mir zehn Millionen baar, sieben Millionen in fünfprocentigen Papieren und verzichteten außerdem auf zwölfmalhunderttausend Gulden, welche die französisch-indische Gesellschaft der holländischen schuldet; das sind neun Procent Verlust für uns. Dieses Gebot scheint mir unter den gegenwärtigen Verhältnissen sehr acceptabel.« »Sie täuschen sich, zu glauben, daß der König zu diesem Handel in irgend einer Beziehung stehe. Die Politik des » Oeil de boeuf « 4 befindet sich sehr oft und eben auch jetzt in der Lage, sich der Berechnung ihrer beglaubigten Vertreter zu entziehen. »Ich verstehe Sie nicht.« »Das ist möglich. Der König und der Herzog von Choiseul pflegen in Geldangelegenheiten selten Hand in Hand zu gehen; man zieht unabhängig von einander Gelder ein, nur mit dem einen Unterschiede, daß der Eine verantwortlich ist, während man einer Majestät von Gottes Gnaden unmöglich nachrechnen darf. Kennen Sie vielleicht den Grafen von St. Germain?« »Ich habe ihn in Paris einige Male bei Frau d'Orfé gesehen.« »Das glaube ich. Frau d'Orfé ist eine halbe Zauberin und gibt für Magie und dergleichen Dinge Summen aus, von denen jede einzelne einem ganzen Vermögen gleichkommt. Der Graf ist ihr ein Phänomen gewesen, in dessen Glanze sie um jeden Preis hat wandeln müssen. Was denken Sie von ihm?« »Er besitzt ganz das Aussehen eines außerordentlichen Mannes. Der König schenkt ihm sein ganzes Vertrauen und hat ihm sogar eine sehr prachtvolle Wohnung in Chambord eingerichtet.« »Ah!« rief d'Affri erstaunt. »Dieser Abenteurer scheint vom Glücke mehr bevorzugt zu werden, wie mancher brave Mann von großen Verdiensten. Wissen Sie, daß er sich hier befindet?« »Kein Wort.« »Er ist im »Prinzen von Oranien« abgestiegen und gerirt sich mit diplomatischer Miene, ohne mich eines Besuches zu würdigen. Ich habe die Art und den Zweck seiner Sendung nicht zu enträthseln vermocht, werde mich aber auch nicht in die Gefahr begeben, mich durch eine Empfehlung bloßzustellen, wenn man sich bei mir nach ihm erkundigen sollte.« »Im Prinzen von Oranien? Das ist ja der Gasthof, in welchem auch ich wohne!« »Dann läßt sich ja vermuthen, daß Sie einmal mit ihm zu sprechen kommen werden.« »Auf alle Fälle, Graf.« »Darf ich Ihnen vielleicht die Geschicklichkeit zutrauen, den Zweck seines Hierseins zu erfahren?« »Ich kann nicht sagen, ob ich sie besitze, doch ist ja eine Probe immerhin erlaubt.« »Versuchen Sie es. Jetzt aber lassen Sie uns zur Gesellschaft zurückkehren; man würde uns sonst vermissen!« Die beiden Männer entfernten sich; der Lauscher verließ sein Versteck und kehrte nach ihnen in die vorderen Gemächer zurück. Es war seine Absicht, Casanova aufzusuchen. Dieser hatte sich ganz allein an einem Pfeilertischchen niedergelassen. Er war ein Mann, welcher sich durch eine seltene, eigenartige Schönheit auszeichnete und schien mit seinen großen, dunklen Augen die ganze Versammlung zu beherrschen. Langenau näherte sich ihm und begann, sich verbeugend: »Entschuldigung! Sie sind Herr Casanova?« »Ja.« »Werden Sie mir verzeihen, daß ich eine Unterredung mit Ihnen suche, ohne daß wir uns vorher vorgestellt wurden?« »Meine Vergangenheit wird Ihnen beweisen, daß ich ein Feind jeden Zwanges bin. Nehmen Sie hier Platz, mein Herr!« Der Baron setzte sich an der andern Seite des Tischchens nieder und erläuterte: »Mein Name ist von Langenau – –« »Ah, der Vertreter des Königs von Preußen in Haag?« »Ja.« »Darf ich Sie meiner aufrichtigsten Sympathie versichern?« »Ihre Theilnahme ist mir um so angenehmer, als ich Sie nur aufsuchte, weil mich der Wunsch trieb, Ihnen nützlich zu sein.« »Verfolgen Sie bei diesem Wunsche eine besondere Richtung?« »Gewiß! Sie sind von dem Herzog von Choiseul mit der Ordnung einer gewissen Angelegenheit betraut?« »So ist es! Ich habe keine Veranlassung, diese Angelegenheit heimlich zu betreiben.« »Man sagt Ihnen, daß Sie auf Schwierigkeiten stoßen werden?« »Auch hier vermuthen Sie recht, doch denke ich, daß es mir gelingen wird, die Hindernisse glücklich zu überwinden.« »Ich möchte gern das Meinige dazu beitragen, Ihnen die Lösung Ihrer nicht leichten Aufgabe zu ermöglichen.« »Sie würden mich Ihnen dadurch zu lebhaftem Danke verbinden,« meinte der berühmte Verbannte Venedig's. »Sollte vielleicht wirklich eine positive Unterstützung in Ihrer Macht liegen, Herr Baron?« »Zwar nicht eine positive, sondern eine negative, aber, wie ich hoffe, darum doch keine ganz und gar geringfügige. Ich bin nämlich in der glücklichen Lage, Ihnen ein ganz bedeutendes Hinderniß, welches sich Ihnen entgegenstellt und von dem Sie keine Nachricht zu haben scheinen, namhaft machen zu können. Wer seine Feinde kennt, ist auf dem besten Wege, sie zu besiegen.« »Ein Hinderniß? Wirklich? Darf ich fragen, worin es besteht, Herr Baron?« frug Casanova. »Es heißt Saint Germain.« »Saint Germain? Kennen Sie diesen Mann?« »Ein wenig, doch würde ich einem Andern gegenüber wohl schwerlich Lust haben, dies einzugestehen. Kennen Sie die Angelegenheit, welche ihn nach Haag geführt hat?« »Nein,« antwortete Casanova und frug dann schnell: »Ist sie vielleicht Ihnen bekannt?« »Vollständig.« »Dürfen Sie davon sprechen?« »Eigentlich nicht; da ich aber vermuthe, daß ich Sie in die Lage versetze, dem Grafen d'Affri einen Dienst zu erweisen, so sollen Sie Alles wissen. Ihre Angelegenheit müßte eigentlich scheitern, weil ohne Ihr Wissen eine ähnliche vom König selbst betrieben wird.« »Nicht möglich! Sprechen Sie, Herr Baron!« »Es handelt sich um nichts Geringeres als um eine Anleihe von hundert Millionen gegen Verpfändung der französischen Kronjuwelen. Der König möchte dieses Geschäft ohne Einmischung seiner Minister machen, und selbst ohne daß sie etwas davon erführen. Der Graf von St. Germain hält sich für den Mann, es glücklich zu Stande zu bringen, und läßt sich in Folge dieses Selbstvertrauens nicht herbei, dem Grafen d'Affri den schuldigen Besuch abzustatten. Vielleicht hat er hiezu noch andere Gründe, die ich aber einstweilen nur vermuthen möchte, ohne sie näher zu bezeichnen.« »Sind Sie überzeugt, daß Sie mir die Wahrheit sagen?« »Ich würde ohne diese Ueberzeugung nicht zu Ihnen sprechen.« »Seit wann ist der Graf in dieser Angelegenheit hier thätig?« »Seit gestern.« »Wissen Sie etwas Ausführlicheres?« »Ich kannte den Zweck seiner Reise bereits, bevor er hier anlangte, und muß – – –« »So scheint es, daß man in Deutschland sehr genau von den geheimen Verhältnissen und Vorgängen des französischen Hofes unterrichtet ist!« »Selbstverständlich! Herr Calcoen, Sekretär Ihrer Hochmögenden, hat dann mit mir über die Angelegenheit gesprochen und mir auch mitgetheilt, daß der Graf bereits den werthvollsten der Krondiamanten deponirt hat.« »Sind Sie davon überzeugt?« »Ich habe ihn selbst gesehen. Der Stein ist wirklich prachtvoll und vom reinsten Wasser. Wie ich dann heut erfuhr, ist man nicht abgeneigt, auf das Geschäft einzugehen, und Sie sehen ein, mein bester Casanova, daß Sie darunter leiden müßten. Wenn man dem König hundert Millionen borgt, wird man schwerlich geneigt sein, Ihnen für den Minister zwanzig Millionen umzuwechseln.« »Sie haben Recht und ich schulde Ihnen großen Dank, Herr Baron. Ich verstehe vollkommen den Wink, welchen Sie mir geben wollen, und will Ihnen auch offen sagen, daß mir die hundert Millionen des Königs nicht so sehr am Herzen liegen, als meine zwanzig; der Mensch ist ja ein Egoist!« »Und ich also auch. Frankreich steht uns feindlich gegenüber, und es kann meinem König also nicht gleichgültig sein, ob Ludwig eine solche Summe erhält oder nicht. Man wird sich im Stillen wehren müssen.« »Sie scheinen bereits über diese Sache nachgedacht zu haben. Können Sie mir vielleicht einen guten Rath ertheilen?« »Ein Mann von Ihren Fähigkeiten bedarf des guten Rathes nicht, aber ich werde Sie dem Banquier Adrian Hope vorstellen, welcher die entscheidende Stimme in den St. Germain'schen Angelegenheiten hat und Ihnen in der Ihrigen auf meine Empfehlung hin gern nützlich sein wird. Sodann habe ich einen Gedanken, den ich Ihnen nicht verschweigen will. Ich kenne die französischen Krondiamanten und habe den deponirten Stein nicht unter ihnen gesehen; St. Germain verlangt für ihn eine Anzahlung von hunderttausend Gulden, wovon in seiner Instruktion nichts steht – –« »Ah – –!« »Allerdings. Nehmen Sie dazu, daß er ein geschickter Chemiker ist, so wird es Ihnen nicht schwer werden, einen Verdacht zu hegen, den ich nicht besiegen kann.« »Sie denken beinahe Unmögliches!« »Von meinem Standpunkte aus ist das, was Sie unmöglich nennen, sogar sehr wahrscheinlich. Ich kenne hier einen ausgezeichneten Chemiker, der ein armer, aber ehrlicher Mann ist und sich von dem Aplomb des Grafen nicht im Geringsten blenden lassen wird. Sie verstehen mich?« »Sehr gut! Er wird den Krondiamanten untersuchen. Wollen Sie auch mich mit ihm bekannt machen?« »Sobald Sie es wünschen. Er heißt van Holmen und wohnt hier ganz in der Nähe. Für Vertraute ist er auch während der Nacht zu sprechen und ich beabsichtige, nach der Soirée ihn aufzusuchen.« »Darf ich Sie begleiten?« »Sehr gern!« Dann setzte er mit feinem Lächeln hinzu: »Ich glaube nicht, daß der Graf d'Affri Veranlassung oder Neigung hat, St. Germain zu protegiren. Wüßte ich, daß Sie die Neigung des Gesandten besitzen, so würde ich darauf hindeuten, daß ein Brief von ihm an den Minister die Anleihe über den Haufen werfen dürfte.« »Lassen Sie mich machen, Herr Baron! Der Graf befindet sich über die Sendung St. Germain's im Unklaren; indem Sie es mir möglich machen, ihn zu unterrichten, erweisen wir ihm einen Dienst, der ihn veranlassen wird, sich mir gefällig zu bezeigen. Verzeihen Sie, daß ich Sie verlasse! Ich werde sogleich mit ihm sprechen.« Er erhob sich, um den ausgesprochenen Vorsatz zur Ausführung zu bringen. Der Baron von Langenau blieb mit dem Bewußtsein zurück, dem Grafen Saint Germain die erste Rate für das Andenken an den Park zu Versailles zurückzahlen zu können. Sobald es später thunlich war, winkte er Casanova und verließ mit ihm das Palais des Gesandten. »Nun?« frug er, indem sie neben einander die Straße dahinschritten. »D'Affri war im höchsten Grade überrascht.« »Nannten Sie ihm meinen Namen?« »Sie hatten mir keine Erlaubniß dazu gegeben.« »Sie haben recht gehandelt. Will er schreiben?« »Er hat es bereits gethan. Er hielt die Angelegenheit für so wichtig, daß er sich auf einige Minuten von der Gesellschaft zurückzog, um den Bericht abzufassen und einen Courier mit demselben sofort abzusenden.« »Prächtig! Sehen Sie dies kleine Haus? Hier wohnt van Holmen.« Sie befanden sich vor einem kleinen, unscheinbaren Häuschen, aus dessen Schornstein sie trotz der späten Nachtstunde einen dichten, dunklen Rauch aufsteigen sahen, in welchen sich zuweilen roth und blau glühende Funken mischten. Sie schritten um zwei Ecken und gelangten an die Hinterthür, an welche Langenau auf eine eigenthümliche Art pochte, worauf sie sich ganz von selbst öffnete und ebenso hinter ihnen ohne alle bemerkbare Hülfe sich wieder verschloß. Nachdem sie einen kurzen, engen Flur durchschritten hatten, kamen sie in einen verräucherten, niedrigen Raum, dessen Ausstattung ihn als Laboratorium kennzeichnete. Unter einer Menge von Gläsern, Retorten, Tiegeln und allerlei seltsam geformten Gefäßen kauerte ein kleines, dürftiges Männchen, welches sich um die Eintretenden gar nicht zu kümmern schien, sondern mit großer Aufmerksamkeit dem Erkalten einer metallischen Flüssigkeit zusah, welche in eine Sandform ausgegossen worden war. Erst als sich dieselbe im Zustande der Erstarrung befand, erhob er sich, um die Ankömmlinge zu begrüßen. Dies geschah einfach und mit Herzlichkeit; er hatte nicht das Geringste von dem Wesen eines Charlatan an sich. »Herr Baron,« frug er, »wie kommt es, daß ich Sie heut noch so spät bei mir sehe?« »Ich wollte Ihnen hier Herrn Casanova vorstellen, der vielleicht nächstens Gelegenheit haben wird, sich für Ihre Kunst zu interessiren.« »Herr Casanova aus Venedig?« »Ja,« antwortete dieser. »Dann wird Ihr Interesse nicht erst vielleicht nächstens wach werden, sondern Sie sind mir bereits Ihrem Rufe nach als ein guter Chemiker bekannt.« »Es ist wahr, daß ich mich einst viel mit Chemie beschäftigte, doch brachte ich es nicht weit.« »Sie sind bescheiden. Ich weiß sehr genau, daß Sie recht gute Kenntnisse besitzen; Schade nur, daß Ihre Lehrer sich mehr mit Alchymie anstatt mit der eigentlichen Scheidekunst beschäftigten!« »Sie kennen mich, den Schüler, während ich von Ihnen, dem Meister, noch nichts gehört habe. Wie kommt das?« Das kleine Männchen lächelte leise vor sich hin. »Die wahre Kunst genügt sich selbst und macht kein Geschrei, dennoch aber bin ich nicht so ungekannt, wie Sie vielleicht meinen. Ich verkehre sogar mit Personen, welche sich auf dem Gebiete der Alchymie einen bedeutenden Namen erworben haben. Sie kennen die Frau d'Orfé in Paris?« »Ich nenne mich sogar ihren Freund.« »Das weiß ich, denn sie hat mir öfters von Ihnen geschrieben, und dort auf dem Tische liegt noch ihr letzter Brief, in welchem sie Ihrer gedenkt. Ich erwarte soeben einen Mann, den Sie vor einigen Wochen bei ihr gesehen haben.« »Darf ich fragen, wer dieser Mann ist?« »Der Graf von St Germain.« »Ah!« rief Casanova erstaunt. »Zählen Sie den Grafen auch zu Ihren Freunden? »Ich? Hm!« Der Chemiker schüttelte stolz den Kopf. »Es gibt Hunderte, die ihn fast wie einen Gott verehren, ich aber halte ihn für einen klugen Quacksalber, welcher es versteht, aus den Dukaten anderer Leute sechzehnkarätiges Gold für sich zu machen. Er ist jetzt hier und benachrichtigte mich durch seinen Diener, daß er mir in der gegenwärtigen Stunde einen Besuch machen werde. Ich bin wirklich neugierig, zu erfahren, was ihn zu mir führt.« »Es ist hier ein außerordentlich glücklicher Zufall vorhanden,« meinte der Baron von Langenau. »Eben der Graf ist es, dessentwegen wir zu Ihnen kommen. Er ist beauftragt, oder gibt wenigstens so an, die französischen Kronjuwelen gegen die Summe von hundert Millionen zu versetzen, und hat mit der Bitte um sofortige Auszahlung von hunderttausend Gulden den größten der Diamanten zur Caution gestellt. Ich sage Ihnen dies, weil ich weiß, daß Sie verschwiegen sind. Die Freundschaft zwischen diesem Grafen und dem König von Frankreich muß eine sehr innige und vertrauensvolle sein.« »Ja,« versetzte van Holmen, »oder es ist das Vertrauen des Grafen auf die Naivetät anderer Leute ein ebenso großes. Ich errathe den Wunsch, welchen Sie mir vorzutragen beabsichtigen, und Sie brauchen ihn also gar nicht auszusprechen. Hören Sie diesen Ton? Die Thür ist gegangen. Treten Sie in dieses Kabinet. Er soll von Ihrer Anwesenheit nichts merken.« Er öffnete eine hinter dem Rauchfange verborgene Thür und wies die beiden Männer in ein kleines Kämmerchen, welches von dem Laboratorium nur durch eine dünne Wand geschieden wurde, so daß man jedes Wort vernehmen konnte, welches in dem Laboratorium gesprochen wurde. Sie hörten das Geräusch einer auf- und zugehenden Thür und waren dann Zeugen eines für sie sehr interessanten Gespräches. »Sie sind van Holmen?« »Ja.« »Ich bin der Graf von Saint Germain.« »So!« Der Graf hatte jedenfalls erwartet, zu imponiren. Das einfache »So« des Chemikers schien ihn zu ärgern. »Sie kennen mich?« »Nein.« »Aber mich kennt doch alle Welt, und Fürsten bemühen sich um meine Gunst.« »So!« »Sie scheinen wenig oder gar nicht mit der Welt zu verkehren?« »Ja.« »Eben deßhalb komme ich zu Ihnen, um Ihnen ein sehr gutes Geschäft in Vorschlag zu bringen.« »So!« »Haben Sie Kenntniß von meinem berühmten Aqua benedetta? « »Nein.« »Dieser Wundertrank ist der größte Triumph des Menschengeistes; wer ihn gebraucht, wird nie alt und stirbt nicht.« »So!« »Ich habe dem König von Frankreich und der Marquise de Pompadour davon geben müssen; der Vorrath geht zur Neige, und der König bittet mich um Erneuerung. Ich bedarf zur Herstellung des Wassers ein vollständig eingerichtetes Laboratorium, und da ich meine Apparate nicht bei mir führe, so ersuche ich Sie, mir Ihr Laboratorium auf eine Stunde abzutreten. Ich werde den gegenwärtigen Zustand desselben respektiren und biete Ihnen als Lohn für Ihre Gefälligkeit diesen Diamanten an. Gehen Sie auf meinen Vorschlag ein?« »Ja.« »Ich erhielt den Stein in Wien von dem Grafen Zobor als Geschenk; er ist seine zwölfhundert Gulden werth.« »So.« »Sind Sie eben jetzt beschäftigt?« »Nein.« »So werde ich sofort beginnen. Von Ihren Vorräthen brauche ich nichts, da ich die Ingredientien zu meinem Aqua benedetta hier in dieser Manteltasche bei mir führe.« »So!« »Geht dieser Glockenzug nach Ihrem Wohnraume?« »Ja.« »So werde ich Sie durch die Glocke benachrichtigen, wenn ich fertig bin. Hier ist der Diamant. Ich werde binnen einer Stunde fertig sein, und Sie können gehen!« »So!« Eine Thür ging und ward hörbar von innen verschlossen. Nach kurzer Zeit öffnete sich ganz unvermuthet eine in dem Boden der Kammer angebrachte Fallklappe, deren Dasein die beiden Männer gar nicht bemerkt hatten, und aus ihr stieg der Chemiker empor, welcher lächelnd den beiden Andern Schweigen zuwinkte. »Ein geistreiches Gespräch, nicht wahr?« flüsterte er. »Jetzt fabrizirt er sein Universal-Lebenswasser. Ich werde ihn dabei beobachten.« Er stellte vorsichtig einen Stuhl an die Scheidewand, stieg auf denselben und öffnete geräuschlos einen unterhalb der Decke angebrachten Ventilator. Durch die entstandene Oeffnung war es möglich, Alles, was im Laboratorium vorging, zu beobachten. Er stand eine ziemliche Weile auf seinem Posten, ehe er herunterstieg. »Nun?« frug der Baron. »Nichts, gar nichts! Er beguckt sich die Töpfe und Tiegel. Ich bin fest überzeugt, daß sein Aqua benedetta nichts ist als eine ganz harmlose Mischung von destillirtem Wasser mit irgend einer wohlriechenden Flüssigkeit. Sein Besuch bei mir hat jedenfalls nur den Zweck der Reklame; aber es ist sehr leicht möglich, daß sein Aqua benedetta für ihn zu einem Aqua maledetta wird. Ich meine sehr, daß er einen großen Fehler begangen hat, mir den angeblichen Diamanten des Grafen Zobor zu schenken, denn ich werde denselben einer sehr genauen Analyse unterwerfen, und ich hoffe, daß Sie mich bis dahin nicht verlassen, um das Resultat meiner Untersuchung zu vernehmen.« »Wir bleiben gern, denn es liegt ja in unserm Interesse, so bald wie möglich zu wissen, woran wir sind.« Auch Casanova und Langenau bestiegen nach einander den Stuhl und bemerkten, daß es dem Grafen nicht einfiel, eine chemische Operation vorzunehmen. Erst nach Verlauf einer Stunde zog er ein Pulver hervor, welches er verbrannte. Ein außerordentlich lieblicher und feiner Duft verbreitete sich hierauf sogar in der Nebenkammer. »Jetzt wird er klingeln,« meinte van Holmen. »Der Duft soll mich glauben machen, daß er wirklich gearbeitet hat.« Er hatte Recht; die Glocke ertönte, und auf dieses Zeichen verschwand er in der Fallklappe und erschien darauf in dem durch den Grafen jetzt wieder von innen geöffneten Laboratorium. »Riechen Sie etwas?« frug derselbe. »Ja.« »Das ist der bei der Zubereitung des Elixirs entflohene Lebensduft. Das bloße Einathmen desselben wird Ihr Dasein auf ein ganzes Jahrzehnt verlängern.« »So!« »Sind Sie auch sternenkundig?« »Nein.« »Das ist eine ganz unverzeihliche Unterlassungssünde von Ihnen. Wer die Stoffe beherrschen will, aus denen unsere Erde zusammengesetzt ist, muß vor allen Dingen den unendlichen und allgegenwärtigen Stoff zu beherrschen trachten, der die Urmaterie des universalen Lebens bildet.« »So!« »Ich bin fertig, und Ihre Bezahlung haben Sie. Darf ich wiederkommen?« »Ja!« »Ich habe einige wichtige und complicirte Operationen vorzunehmen, welche eine längere Zeit erfordern, als dies heute nothwendig war. Doch wird meine Anwesenheit Ihnen zwar wohl eine kleine Unterbrechung Ihrer eigenen Arbeiten, aber keineswegs irgend einen Nachtheil bringen. Sie haben wohl bereits bemerkt, daß ich gewohnt bin, königlich zu bezahlen; die Berühmtheit gar nicht gerechnet, welche Ihr Laboratorium dadurch erlangen wird, daß ich in demselben meine Zaubermittel bereitet habe.« »So!« Das ununterbrochene »Ja« und »So« schien doch den Grafen stutzig zu machen. Er warf einen scharfen, forschenden Blick in das unbewegliche Angesicht des kleinen Chemikers und meinte dann: »Warum sprechen Sie nicht? Haben Sie das Gelübde gethan, nur einsilbige Worte in Anwendung zu bringen?« »Ja.« »Dann ist mit Ihnen ja keine Unterhaltung möglich. Ich gehe also. Gute Nacht! Aber ich werde noch im Laufe dieser Woche wiederkommen.« »So!« Der berühmte Meister des Lebenelixirs entfernte sich mit einem sehr gnädigen Neigen seines Hauptes; der Chemiker ließ nicht die mindeste Lust zu einer Verbeugung spüren und begleitete ihn bis an die Thür, welche er sorgfältig hinter ihm verschloß. Dann kehrte er in das Laboratorium zurück und befreite Casanova und den Baron aus der engen Kammer. »Das also war der hochberühmte Graf von St. Germain, der Abgott aller Astrologen, Magier und Alchymisten!« »Ja, das war er,« meinte Langenau. »Es ist Ihre Pflicht, sich hoch beglückt über diesen unendlich ehrenvollen Besuch zu fühlen!« »Hm, der Vorwand des Aqua benedetta diente natürlich nur als Einleitung. Wer weiß, welche chemischen Prozesse er vorzunehmen hat, die mit seinen hundert Millionen und den Krondiamanten in Beziehung stehen! Jetzt aber werde ich vor allen Dingen den Stein des Grafen Zobor einer Prüfung unterwerfen.« Das Feuer war bereits ausgegangen, ein Zeichen, daß die Thätigkeit St. Germain's gleich Null gewesen sei. Er schürte es wieder an, füllte verschiedene Flaschen, Tiegel und andere Gefäße mit ebenso verschiedenen Ingredientien und unterwarf den Stein einem Verfahren, zu welchem selbst Casanova das Verständniß und die Einsicht fehlten. Die Prozedur nahm eine lange Zeit in Anspruch, und der Morgen war längst angebrochen, als sie zu Ende ging. Die zwei Zuschauer befanden sich in einer außerordentlichen Spannung, denn das Ergebniß dieser streng wissenschaftlichen Untersuchung mußte auf ihr Vorhaben von bedeutendem Einfluß sein. »Endlich bin ich fertig!« entschied mit triumphirender Miene van Holmen. »Und Ihre Entscheidung lautet?« frug der Baron. »Sie wissen, woraus der Diamant besteht?« »Allerdings. Er besteht aus reinem Kohlenstoff.« »Und muß daher im Sauerstoffgas zu Kohlensäure verbrennen,« fügte Casanova hinzu. »Richtig. Sie haben bemerkt, daß ich mit diesem Diamanten den mir von dem Grafen angegebenen Werth von zwölfhundert Gulden riskirt habe; ich wollte ihn verbrennen, aber es ist mir nicht gelungen. Ich habe ihn dann mit andern Stoffen behandelt und jetzt dieses feine, grauweiße Pulver erhalten, von welchem sich ein dünner, durchsichtiger und äußerst harter Niederschlag geschieden hat. Ich will in diesem Augenblick sterben, wenn der Stein ein Diamant gewesen ist. Welche Zusammensetzung er eigentlich hatte, kann ich jetzt nicht sagen, denn um dies zu bestimmen, müßte ich sowohl das Pulver als auch den Niederschlag einem weiteren und sehr complicirten Verfahren unterwerfen; doch hege ich schon jetzt die Ueberzeugung, daß wir es mit einer allerdings meisterhaft hergestellten glasartigen Composition zu thun haben.« »Zieht der Versuch, einen Diamanten in Sauerstoffgas zu verbrennen, unbedingt den Verlust des ganzen Steines nach sich?« »Nein, denn man kann den Prozeß des Verbrennens unterbrechen, obgleich die seine Schwierigkeiten hat, denen nicht jeder Chemiker gewachsen sein dürfte.« »Getrauen Sie sich, den Krondiamanten, welchen der Graf deponirt hat, einer Prüfung zu unterwerfen, ohne daß der Werth desselben, wenn der Stein ächt sein sollte, bedeutend angegriffen wird?« »Ich getraue es mir.« »So nehmen Sie einstweilen unsern Dank für Ihre heutige Bemühung; sobald die Angelegenheit sich entschieden hat, wird –« »O bitte,« fiel van Holmen ein; »Sie sind mir weder Dank noch Honorar schuldig! Im Interesse unserer herrlichen Wissenschaft muß jeder ächte Jünger derselben bestrebt sein, allem Schwindel mit allen Kräften entgegen zu arbeiten. Ich bin reichlich belohnt, wenn meine Arbeit dazu beitragen kann, einen Schelm zu entlarven, dem es bei seinem ungewöhnlichen Talente mehr als Andern gelang, Unheil zu säen und dafür Reichthum und Ehren zu ernten!« Sie verließen den braven, kenntnißvollen Mann mit dem Gefühle der vollständigsten Hochachtung. Auf der Straße angekommen, blieb der Baron stehen. »Wir haben unser Werk erst begonnen,« meinte er. »Wollen wir das Eisen nicht schmieden, so lange es noch warm ist?« »Das versteht sich, Herr Baron,« antwortete Casanova. »Es ist zwar noch ziemlich früh am Morgen, aber einen Freund, wie es der Sekretär Calcoen Ihnen ist, darf man auch schon zu dieser Stunde aufsuchen.« »Sie errathen, wohin ich mich zu wenden beabsichtigte. Lassen Sie uns zunächst ihn aufsuchen!« Sie schritten nach der Wohnung des Sekretärs und trafen Frau Katje im Flur, welche, mit weißer Nachthaube auf dem Kopfe, emsig beschäftigt war, die roth und weißen Klinkerplatten des Fußbodens zu säubern. Sie begrüßte die beiden Männer, ein wenig erstaunt über den so frühen Besuch. »Ist Mynheer Calcoen bereits munter?« frug der Baron. »Bereits munter?« frug sie halb erstaunt und halb beleidigt. »Mynheer ist stets mit den Hühnern munter.« »So können wir ihn wohl sprechen?« »Da der Herr Baron dabei ist, ja, sonst aber nicht. Morgenstunde hat Gold im Munde; das ist eine gute Arbeitsregel.« Sie stiegen die Treppe empor und gingen nach dem Studierzimmer des Sekretärs. Er hatte die Füße auf dem Kohlenbecken, die Zeitung in der Linken und die langrohrige Thonpfeife in der Rechten. »Welch eine Ueberraschung!« rief er aus einer dichten Tabakswolke heraus. »Sie bringen mir sicher etwas höchst Wichtiges, Herr von Langenau.« »Zunächst den Herrn Casanova hier, von dem Sie jedenfalls – – –« »Gehört haben, nicht wahr? Wir haben uns sogar bereits gesprochen, und es sind also Komplimente zwischen uns nicht nöthig. Setzt Euch, Mynheers, und sagt, was Ihr mir bringt!« »Wir kommen in der bekannten Krondiamantenangelegenheit.« »Was? In dieser – – Aber ich denke, diese Angelegenheit ist tiefstes Geheimniß, und da stellen Sie mir auch Herrn Casanova als Eingeweihten vor.« »Sie wissen, welche wichtige Aufgabe ihn hieher geführt hat. Die hochmögenden Herren machen ihm die Lösung derselben sehr schwer und sind, wie ich beinahe glaube, eher geneigt, einem Betrüger hundert Millionen zu geben, als einem ehrlichen Manne zwanzig Millionen umzuwechseln. Ich habe keinem Grafen von St. Germain Discretion gelobt und kann also über mein Geheimniß sprechen, zu wem mir beliebt. Ich habe triftige Gründe, Herrn Casanova in das Vertrauen zu ziehen; das geschah gestern Abend beim Grafen d'Affri, und jetzt sind wir bereits in der Lage, Ihnen mit einem Resultate dienen zu können.« »Wirklich? Ich bin natürlich ganz Ohr!« »Der deponirte Krondiamant befindet sich wohl noch in Ihrer Hand?« »Nein. Ich habe ihn zur Verfügung der hochmögenden Herren gestellt, und er wurde dem Banquier Hope zur Aufbewahrung übergeben.« »Ist er geprüft worden?« »Von drei Kennern, welche ein untrügliches Auge besitzen.« »Und wie lautete ihr Urtheil?« »Er ist ächt.« »Ah! Wirklich?« »Ja. Die Herren Generalstaaten sind sehr geneigt, auf die Offerte des Grafen von St. Germain einzugehen.« »Dann muß ich Ihnen sagen, daß sich die drei Sachverständigen wohl dennoch geirrt haben. Wir haben heute Nacht einen Diamanten des Grafen, welchen wohl mancher feine Kenner für ächt gehalten hätte, chemisch untersuchen lassen.« »Bei wem?« »Bei van Holmen.« »Der ist sicher, und was er sagt, gilt als ein Schwur. Wie fand er den Stein?« »Er war unächt, trotzdem der Graf ihn als Geschenk von dem Grafen Zobor erhalten haben wollte und seinen Werth auf zwölfhundert Gulden angab.« »Ich bin erstaunt!« »Wir nicht, denn wir hatten es nicht anders erwartet. Die zwölfhundert Gulden bestehen jetzt nur noch in einem winzigen Häufchen Pulver, für welches kein Mensch die kleinste Münze bezahlt.« »Erzählen Sie, erzählen Sie, wenn ich es glauben soll!« Der Baron gab einen ausführlichen Bericht über die Erlebnisse bei dem kleinen Chemiker. Als er zu Ende war, starrte ihn der Sekretär mit offenem Munde an. Die Pfeife war dem guten Manne längst ausgegangen. Er legte sie weg und erhob sich. »Das ist höchst merkwürdig und muß beherziget werden. Wollt Ihr mit zu Adrian Hope?« »Wir sind bereit dazu.« In kurzer Zeit befanden sich die Drei auf dem Wege zum Banquier. Dort kamen Langenau und Casanova lange nicht zu Worte, denn der eifrige Mynheer Sekretär ließ es sich nicht nehmen, den Bericht selbst abzustatten. Hope hörte denselben mit der gespanntesten Aufmerksamkeit bis zu Ende. Dann erfolgte eine längere und sehr lebhafte Unterredung, nach deren Schluß die Drei den Banquier mit dem Versprechen der tiefsten Verschwiegenheit verließen. Noch unter der Thür reichte er Langenau und Casanova die Hand. »Leben Sie wohl, meine Herren! Wenn sich Ihre Vermuthung bestätigt, so werden wir einen raffinirten Betrüger entlarven, und Sie haben sich die Dankbarkeit der Hochmögenden erworben. In diesem Falle hege ich keinen Zweifel, daß die Umwechslung der zwanzig Millionen keinen Anstand finden wird, Mynheer Casanova. Mir würde es nur leid thun, daß wir dann gegen den Schwindler nicht nach den Gesetzen vorgehen könnten, weil wir Rücksicht auf Seine Majestät den König von Frankreich zu nehmen hätten.« Als sich Casanova mit dem Baron allein befand, meinte er: »Ich bin überzeugt, daß wir einem Siege entgegengehen, und werde Ihnen immer größern Dank schuldig!« »Sie haben keine Veranlassung, von Dank zu sprechen, denn ich handle wohl nur als Egoist,« lautete die Antwort. »Ich bin ihm eine Revanche schuldig und glaube nun auch, daß es, um den Grafen zu entlarven, des Boten nicht bedurft hätte, welchen d'Affri gestern an den Herzog schickte.« – – Er hatte mit dieser Meinung Recht, denn bereits am zweiten Tage erhielt der Graf von St. Germain durch einen unbekannten Boten folgendes Billet: »Graf d'Affri hier, Gesandter des Königs von Frankreich, hat von den Herren Generalstaaten Ihre Auslieferung verlangt. Der von Ihnen deponirte Krondiamant wurde untersucht und als Composition erkannt. Er bleibt hier in Verwahrung, bis ihn der König selbst reklamirt. Zwei Stunden nach Empfang dieser Zeilen wird man kommen, um Sie zu arretiren.« Wirklich kam nach zwei Stunden ein Polizeikommissär in die Wohnung des Grafen, fand ihn aber bereits abgereist. Die Verfolgung wurde natürlich nur höchst lässig betrieben, und so erfuhr man bald, daß er sich in England in Sicherheit befinde. Man hatte ihn aus Rücksicht auf Ludwig den Fünfzehnten entkommen lassen. – – – 3. Aqua maledetta 3. Aqua maledetta Es war zu Anfang des Jahres 1780. Auf der Straße von Kiel nach Eckernförde bewegte sich ein Schlitten, in welchem zwei Herren und zwei Damen saßen. Diese waren der bekannte Prinz Paranow mit seiner Gemahlin und der Baron von Langenau mit seiner Frau, dem früheren Hoffräulein Amély d'Hausset. Die beiden Herren hatten sich in Wien kennen gelernt und waren innige Freunde geworden. Kürzlich hatte der Prinz den Baron in Berlin besucht, und da von Langenau in einer wichtigen Mission nach Eckernförde gehen sollte, so beschloß Paranow, ihn zù begleiten, um diese Gelegenheit, eine interessante Bekanntschaft zu machen, nicht vorübergehen zu lassen. In Eckernförde nämlich residirte der Landgraf Karl von Hessen-Kassel, dänischer Feldmarschall und Statthalter der Provinzen Schleswig und Holstein. Er schrieb das Buch: » Mémoires sur la campagne de 1788 en Suéde. « Als eifriger Freimaurer that er sich besonders durch sein Streben hervor, die »stricte Observanz« wieder herzustellen, und als ein Freund der »geheimen Künste und Wissenschaften« verwandte er große Summen auf Dinge, welche man heute als voll ständig werthlos erkannt hat. Er war ein Spielball von Magiern, Zauberern, Adepten und Wunderkünstlern, denen er das größte Vertrauen schenkte, und die dasselbe zu ihren Zwecken ausbeuteten. Die Abergläubigsten sind ja stets die in religiösen Dingen Glaubenslosen. Auch Prinz Paranow hatte sich früher, wie es so in den Bestrebungen der Zeit lag, viel mit der Magie und Scheidekunst beschäftigt, war aber, nachdem er ihnen eine ganze Reihe von vergeblichen Opfern gebracht hatte, klug geworden und von ihnen zurückgetreten. Dennoch hegte er noch jetzt ein lebhaftes Interesse für Alles, was sich auf diese Disciplinen bezog, und fühlte eine unwiderstehliche Theilnahme für Jeden, der sich in den Banden befand, welche abzustreifen ihm nur nach großen Kämpfen und vieler Selbstüberwindung gelungen war. Daher wollte er auch den Marschall Karl von Hessen-Kassel kennen lernen und hatte sich dem Baron von Langenau nur deßhalb angeschlossen, um jetzt persönlich diese Bekanntschaft zu machen. Die Unterhaltung drehte sich natürlich um den Feldmarschall, auf den sowohl die Herren als auch die Damen außerordentlich neugierig waren. »Fahren wir direkt zu ihm?« frug Amély, welcher man es sehr leicht ansah, daß sie sich als Gemahlin Langenau's recht glücklich fühlte. »Nein,« antwortete der Baron. »Meine Mission weist mich an, erst das Terrain gehörig zu sondiren. Der Marschall ist in manchen Dingen höchst unberechenbar; er kennt mich jedenfalls und weiß, daß ich als nüchterner Verstandesmensch mit manchen abenteuerlichen Anschauungen, welche er hegt, nicht harmonire; daher steht zu erwarten, daß er mir nicht sehr viel Sympathie entgegenbringen wird. Ich machte das in Berlin bemerklich und gab zu verstehen, daß es vielleicht besser sei, einen Geeigneteren mit meiner Mission zu betrauen, doch zog man es vor, meine Vorstellungen nicht zu beachten.« »An wen werden Sie sich wenden?« frug der Prinz. »An den Grafen von Lamberg, welcher bereits angewiesen wurde, die vorbereitenden Schritte zu thun. Er ist ein sehr gewandter Diplomat und hat es wirklich fertig gebracht, den dänischen Legationsrath Morin, welcher jetzt in Eckernförde anwesend und ein Vertrauter des Marschalls ist, für unsere Intentionen zu gewinnen. Gelingt es mir, die Theilnahme des Marschalls für meine Person zu erregen, so zweifle ich keinen Augenblick an dem glücklichen Verlaufe meiner Sendung.« »Die sich natürlich auf die Verhältnisse Preußen's mit Schweden bezieht?« frug der Prinz. »Es gibt Beziehungen,« antwortete Langenau lächelnd, »für welche die Freundschaft keine Worte haben darf.« »Schön! Und ebenso gibt es Freundschaften, für welche die Politik kein Verständniß hat.« »Ich möchte nicht beistimmen. Doch verirren wir uns damit auf ein Gebiet, welches unserm vorigen Thema so fern liegt, daß wir schleunigst zurückkehren wollen. Wissen Sie, wer sich gegenwärtig bei dem Marschall befindet?« »Nun?« »Ein alter Bekannter von mir und auch von Ihnen. Der berühmte Graf von Saint Germain.« »Ich weiß es und will Ihnen offen gestehen, daß seine Anwesenheit ein Grund mehr für mich war, mich Ihnen anzuschließen. Ich bin sehr begierig, eine kleine Abrechnung mit ihm zu halten.« »Ah!« »Er hatte die Güte, mir in Wien einen Diamanten, welchen er selbst auf zehntausend Dukaten schätzte, für die Hälfte dieser Summe zu verkaufen. Der Stein stammte, wie ich später erfuhr, aus seiner mit dem Grafen Zobor gegründeten Manufactur und erwies sich als unächt. Ich habe ihn bei mir und werde den Fälscher ersuchen, ihn gegen die fünftausend Dukaten unverzüglich zurückzunehmen.« »Er wird es nicht thun.« »Er wird es!« »Dann müßte er im Besitze der betreffenden Summe sein, was ich aber nicht vermuthe.« »Es würde ihm nicht schwer fallen, eine Anweisung auf die Kasse des Marschalls zu erhalten.« »Auch diese Kasse ist leer; er hat dafür gesorgt.« »Dann mag er sehen, wie er die Summe sonst auftreibt, wenn er es vermeiden will, daß ich per Waffe mit ihm spreche!« »Das wirst Du nicht thun!« bat die Prinzessin ängstlich. »Keine Sorge, mein Herz! Meinen guten Degen besudele ich nicht mit seinem Blute, und Du weißt ja, daß ich kein schlechter Schütze bin. Ein Mann von seinem Genre besitzt wohl die nöthige Hinterlist, welche zum feigen Betruge erforderlich ist, aber nicht den Muth, sich einem furchtlosen Gegner Auge in Auge gegenüberzustellen. Er wird das Geld aufbringen, um jeden Kampf zu vermeiden, denn er selbst weiß natürlich am allerbesten, welche Wirkung sein Aqua benedetta eigentlich hat.« »Das wissen Andere außer ihm ja ebenso gut,« meinte Amély lächelnd. »Die Marquise Pompadour hat das Elixir getrunken, bis sie – starb, und daß auch Louis quinze trotz des Aqua todt ist, hat alle Welt erfahren. Man muß sich wundern, daß es noch Menschen gibt, welche im Stande sind, einem solchen Betrüger Glauben zu schenken!« Man hatte jetzt die Stadt erreicht. Paranow stieg mit der Prinzessin im Gasthofe ab, während der Baron von Langenau mit seiner Gemahlin zu dem Grafen von Lamberg fuhr, wo ein Logis für Beide bereitet worden war. Der Baron hatte sich als Diplomat ausgezeichnet und wurde von dem Grafen sehr freundlich empfangen. Beide hatten vor allen Dingen eine Unterredung, welche sich auf die Mission Langenau's bezog, und begaben sich dann zu dem Legationsrath Morin, um ihn zu bitten, den Baron bei dem Feldmarschall einzuführen. Der Letztere saß um die gleiche Stunde auf seinem Polsterstuhle, auf den ihn das leidige Podagra bannte, und blätterte in alten, vergilbten Manuscripten herum. Er blickte von Zeit zu Zeit unruhig nach der Uhr; er schien Jemand ungeduldig zu erwarten. Da endlich trat der Kammerdiener ein und meldete: »Der Herr Graf von Saint Germain!« »Eintreten.« Der Graf, welcher jetzt unter der Thür erschien, hatte ganz noch das Aussehen, wie damals, als er Zutritt bei Ludwig von Frankreich gefunden hatte. Er schien wirklich nicht zu altern, doch bei einer genaueren Untersuchung hätte es sich wohl herausgestellt, daß er es ausgezeichnet verstand, sein Aeußeres mittelst kosmetischer Mittel zu conserviren. Er verbeugte sich leicht vor dem Marschall und nahm auf dessen Wink auf einem Stuhle in der Nähe seines Gönners Platz. Allerdings zeigte das Gesicht des Marschalls in diesem Augenblick nicht die freundliche Miene eines Gönners, sondern einen Unmuth, welcher durch die Schmerzen, die ihm das Podagra verursachte, noch erhöht wurde. »Ich ließ Sie bereits vor einer Stunde zu mir bitten, Graf!« »Excellenz entschuldigen, daß ich Ihrer Aufforderung nicht sofort Folge leisten konnte! Eine wichtige Schmelzung, welche ich im Laboratorium begonnen hatte, hielt mich fest.« »Eine wichtige Schmelzung? Wissen Sie, mein Herr, welche Schmelzung mich in neuester Zeit wieder ganz außerordentlich beschäftigt?« »Ich höre, Excellenz!« »Das Schmelzen des Inhaltes meiner Kasse. Ueber fünf Jahre lang wohnen Sie bereits bei mir; über fünf Jahre lang stelle ich Ihnen selbst für meine Mittel ganz ungeheure Summen zur Verfügung, um Sie in den Stand zu setzen, die Versprechungen zu halten, die Sie mir gegeben haben; über fünf Jahre lang warte ich darauf, daß Sie Wort halten, und sehe keinen andern Erfolg, als daß mein Vermögen zur Neige geht und ich mich mit meinen Gläubigern herumschlagen muß; über fünf Jahre lang bin ich ein Muster von Geduld gewesen, aber mit den Mitteln geht auch meine Nachsicht zu Ende!« »Excellenz erschrecken mich! Meine Operationen führen sicher zum Ziele; sie befinden sich in einem solchen Gange, daß – – –« »Daß ich endlich selbst auch gehen muß!« fiel ihm der Marschall in die Rede. »Und doch fällt mir das Gehen schwer. Sie beabsichtigen, einen Lebenstrank herzustellen, der den Menschen ewig jung macht, und vermögen mir nicht einmal ein Mittel zu geben, welches mir das Podagra vertreibt!« »Gestatten Excellenz die Bemerkung, daß die Krankheit längst gehoben wäre, wenn nicht das rasche, heiße Temperament – – –« »Bah, die alte Einrede! Was hat mein Temperament mit dem Podagra zu schaffen? Beweise ich Ihnen etwa durch eine mehr als fünfjährige Nachsicht, daß mein Temperament so übermäßig schnell und hitzig ist? Ich habe heut wieder zweitausend Dukaten zu bezahlen und weiß wahrhaftig nicht, woher ich sie nehmen soll. Ich habe mich schon öfters auf Morin verlassen müssen, doch machte er mir erst kürzlich eine nichts weniger als zweideutige Aeußerung, daß er mir nicht mehr zur Verfügung stehen könne. Was nun?« Man sah es dem Grafen an, daß er sich in einer ungewöhnlichen Verlegenheit befand. Er schien mit einem Entschlusse zu ringen. »Sollten Ew. Excellenz Verhältnisse wirklich in der Weise derangirt sein, wie ich vernehmen muß?« »Derangirt, das ist noch viel zu wenig! Alle geworden sind sie, vollständig alle; ich habe gar keine Verhältnisse mehr. Es gibt Niemand, an den ich mich wenden könnte, als Sie, Graf. Können Sie mir fünfzigtausend Friedrichsd'or borgen?« Der Graf neigte den Kopf und blieb eine volle Minute still. Wer vermochte zu sagen, was in ihm vorging? Dann blickte er wieder auf und sah dem Marschall mit einem triumphirenden Lächeln in das Gesicht. »Borgen? Nein, schenken werde ich Ihnen diese fünfzigtausend Friedrichsd'or, auch hunderttausend oder eine Million, wenn Sie wollen!« »Ah! Ist's möglich?« rief der Marschall. Er dachte nicht an sein Podagra; es war augenblicklich verschwunden, und als hätte er diese schmerzvolle Krankheit niemals kennen gelernt, sprang er empor und trat heftig auf den Grafen zu. Dieser blickte ihm siegessicher entgegen. »Sehen nun Excellenz, daß ich wirklich ein Mittel gegen Ihre Krankheit habe? Nur eines Wortes hat es bedurf, und sie ist verschwunden!« »Und die Krankheit meiner Kasse?« »Sie auch!« »Erklären Sie sich deutlicher!« »Sie wissen, daß ich fünf Jahre lang vergeblich auf eine günstige Constellation der Gestirne gewartet habe.« »Leider!« »Heut genau um Mitternacht wird sie eintreten.« »Wirklich?« frug der Marschall mit einem tiefen Athemzuge der Erleichterung. »Ganz zuverlässig. Meine Berechnungen werden mich nicht täuschen.« »Gut! So haben wir endlich eine günstige Stellung der Gestirne, aber das Andere – –?« »Es ist Alles fertig, und ich bin vorbereitet.« »Was können Sie mir versprechen?« »Ewiges Leben und unendliche Reichthümer heut gerad um Mitternacht, Excellenz.« »Graf, ist das wirklich wahr?« Der Marschall befand sich vollständig in Ekstase. Alle Opfer, aller Zorn waren vergessen; er umarmte den Grafen und drückte ihn dann wieder auf den Stuhl nieder, von welchem sich der Adept vorhin in seiner Verlegenheit erhoben hatte. »So gewiß, als ich hier stehe,« klang die feste Antwort. »Nur unter günstigen Sternen ist der Trank zu bereiten, und es können Jahrhunderte vergehen, ehe sich die heutige glückliche Constellation wiederholt. Ich fertigte das Elixir zum ersten Male an dem Tage, nach welchem Moses die Finsterniß über Egypten verhängte; zum zweiten Male am Begräbnißtage Samuel's, des Hohenpriesters, und zum dritten Male in der Nacht, als Christus seine Bergpredigt beendigt hatte.« »Sie haben Christum gekannt?« Das Gesicht des Grafen zeigte ein eigenthümliches Lächeln. »Ich habe Alles und Alle gekannt, Excellenz. Könnten Sie Petrus, den Apostel, fragen, so würde er Ihnen gestehen, daß ich ihm sehr oft den guten Rath gegeben habe, seine Heftigkeit zu mäßigen. Und wie ich bereits vor dreitausend Jahren lebte, so werden Sie mich auch nach dreitausend Jahren wiedersehen, denn Sie werden heut um Mitternacht mit mir den Tropfen des ewigen Lebens trinken und den Tod nie kennen lernen.« Der Marschall erstarrte beinahe vor Hoffnung und Verwunderung. Der Graf hatte allerdings hier und da eine leise Andeutung fallen lassen, aber so offen wie jetzt hatte er noch nie von seiner dreitausendjährigen Vergangenheit gesprochen. »Graf, ich zweifle nicht, daß Sie die Wahrheit sagen; aber wenn Sie Ihr Versprechen wirklich erfüllen, so werde ich Sie belohnen, wie noch nie ein Mensch be – – –« »Lohn? Bah, Excellenz, wer könnte mich belohnen! Bin ich es nicht, von dem Sie Alles empfangen? Was können Sie mir schenken, der ich Ihnen ewige Jugend und unendlichen Reichthum verleihe! Doch jetzt muß ich fort, denn ich darf keinen einzigen der glücklichen Augenblicke versäumen, aber heut um Mitternacht werde ich Ihnen Glück und Leben bringen. Lassen Sie den Saal in der Weise bereiten, wie es stets bei unsern Beschwörungen geschah!« Er ging und ließ den Marschall in einer ganz unbeschreiblichen Aufregung zurück. Dieser wäre am liebsten mit seinen Gedanken und seinem Jubel allein geblieben, doch war ihm dieses nicht beschieden, denn nach einiger Zeit trat der Diener ein und machte eine Meldung, welche der Marschall in seiner Erregung allerdings gar nicht beachtete. Die Thür öffnete sich wieder, und es trat ein kleines, schmächtiges Männchen ein, dessen vollständig weiße Haare auf ein bedeutendes Alter schließen ließen. Es dauerte lange, ehe der Marschall den Eingetretenen gewahrte. »Wer sind Sie, und wer erlaubt Ihnen, hier Zutritt zu nehmen?« frug er mit zornig klingender Stimme. »Ich wurde angemeldet, Excellenz!« erklang die ruhige Antwort. »Ah so! Also wer sind Sie?« »Mein Name ist van Holmen.« »Van Holmen? Aus Haag?« »Ja.« »Ah! Setzen Sie sich!« Es war augenscheinlich, daß die Ankunft des Chemikers dem Marschall etwas ungelegen kam; doch sammelte er sich schnell und erklärte: »Sie wurden mir – allerdings nicht erst heut oder gestern – als ein Mann der Wissenschaft geschildert, zu dem man das unbeschränkteste Vertrauen hegen dürfe.« »Casanova!« schaltete van Holmen mit einer höflichen Verbeugung ein. »Wie? Sie wissen, mit wem ich von Ihnen sprach?« »Der berühmte Verbannte schrieb es mir.« »So! Ich erinnerte mich seiner Worte, als ich in die Lage kam, das unparteiische Urtheil eines Chemikers zu hören, der sich nicht von abenteuerlichen Anschauungen beeinflussen läßt, und sandte nach Haag in Holland, um Sie auffordern zu lassen, auf eine Woche zu mir zu kommen.« »Wie Excellenz sehen, bin ich dieser ehrenvollen Aufforderung gefolgt, obgleich ich mir eine große Vernachlässigung meiner eigenen Arbeiten zu Schulden kommen lasse.« »Sie sollen für Alles entschädigt werden. Natürlich wohnen Sie hier bei mir, doch mache ich die Bedingung, daß Sie sich bis morgen nur auf Ihr Zimmer beschränken.« »Darf ich nach der Angelegenheit fragen, Excellenz, welche dem an mich ergangenen Rufe zu Grunde liegt?« »Wir werden heut nicht darüber sprechen, da Sie sich vor allen Dingen ausruhen müssen; doch verspreche ich Ihnen, daß Sie morgen früh vollständig unterrichtet sein werden.« Der kleine Chemiker neigte den Kopf mit einem leichten Lächeln auf die Seite. »Darf ich es wagen, mich bereits für unterrichtet zu halten?« »Wie so?« »Excellenz, ich bin kein Charlatan,« antwortete er jetzt in ernstem Tone; »ich liebe es, stets zu wissen, was ich einmal wissen soll. Ich bin Ihrem Rufe gehorsam gefolgt, aber ich habe keine Zeit, morgen etwas in die Hand zu nehmen, was ich bereits schon heut beginnen kann.« »Ich werde Sie ja entschädigen!« »Das können Sie nicht. Sie können mir wohl ein Aequivalent geben für den Arbeitsertrag, welchen mir der versäumte Tag gebracht hätte, aber Sie können mir die verlorene Zeit nicht wieder bringen und auch den geistigen Ertrag, der mir entgeht, nicht ersetzen. Der Graf von Saint Germain ist nicht der Mann, dem zu Liebe ich nur eine Stunde meiner köstlichen Zeit verschwenden möchte. Er kann über fünf Jahre auf das Gelingen eines Experimentes warten, denn er hat ein Aqua benedetta, welches ihn unsterblich macht; ich aber bin ein sterbliches Menschenkind und muß daher so viel als möglich mit den Stunden geizen.« Der letzte Satz war mit einer Ironie gesprochen, welche dem Marschall nicht entgehen konnte. »Sie ahnen, weßhalb ich Sie rief?« frug er. »Ich ahne es nicht bloß, sondern ich weiß es. Sie verlangten mich nach Eckernförde, weil sich in Ihnen ein sehr gerechtfertigtes Mißtrauen regte gegen den Mann, der Ihnen so viel versprochen und gar nichts gehalten hat. Ich sollte seine Arbeit untersuchen, und mein Urtheil sollte Ihnen die Richtschnur Ihres Verhaltens gegen ihn sein.« »So ist es allerdings,« gestand der Marschall, der sich überrumpelt sah. »Dann bitte ich um den Grund, weßhalb ich nicht sofort beginnen soll!« »Ich will aufrichtig sein, mein Lieber! Ich habe vielleicht etwas zu schnell gehandelt, wenigstens gestehe ich, daß mein Vertrauen zu dem Grafen nicht im Geringsten erschüttert ist, denn – denn – – –« Es fiel dem alten, ehrlichen Haudegen schwer, eine Unwahrheit zu sagen. Van Holmen war gewandt genug, Alles sofort zu begreifen; darum fiel er ein: »Denn er hat Ihnen ein neues Versprechen gegeben, welches so unendlich verheißungsvoll und glänzend ist, daß dadurch alle Ihre Bedenken wieder in die Flucht geschlagen wurden. So ist es, und also mein Gutachten nicht mehr verlangt wird, so erlaube ich mir, ohne Verzug wieder in die Heimat zurückzukehren!« Noch ehe der Marschall ihn zu halten vermochte, hatte er die Thür geöffnet und das Zimmer verlassen. Zu gleicher Zeit öffnete sich die Thür des Vorzimmers, und es traten zwei Männer ein, von denen der Eine den Chemiker mit erst zweifelnder und dann freudiger Ueberraschung betrachtete. »Van Holmen! Ist's möglich?« »Herr Baron von Langenau! Sie auch hier in Eckernförde?« »Wie Sie sehen! Was thaten Sie beim Marschall?« »Etwas sehr Wichtiges. Ich überzeugte ihn, daß irgend Jemand lebt, der van Holmen heißt, und ging dann wieder.« »Was heißt das?« »Das heißt: der Marschall ließ mich kommen, um dem Grafen St. Germain auf die Finger zu sehen, hat aber wieder neues Vertrauen gewonnen, so daß ich als personne inutile die Pflicht habe, mich zu entfernen.« »Gehen Sie jetzt nicht, sondern warten Sie, bis ich zurückkehre. Sie begleiten mich dann in meine Wohnung.« »Melden Sie mich!« befahl der Andere der Beiden jetzt dem Kammerdiener. Dieser öffnete die Thür. »Der Herr Legationsrath Morin!« »Eintreten!« Morin folgte mit dem Baron dem Rufe. Der Marschall war noch so begeistert von seiner Unterredung mit dem Grafen, daß er, ohne Langenau zu beachten, auf Morin zustürmte und ihn bei beiden Händen ergriff. »Willkommen, Herr Rath, willkommen! Sie sehen mich außerordentlich freudig erregt in Folge einer glückverheißenden Nachricht, die mir zugegangen ist.« »Gestatten Sie mir, Excellenz, mich an Ihrer Freude zu betheiligen, Ihnen aber vorher den Herrn Baron von Langenau vorzustellen, welcher Berlin verlassen hat, um Ew. Excellenz von der freundlichen Gesinnung und Hochachtung seines Monarchen zu überzeugen!« »Ah! Recht so, Herr Baron! Zwar haben wir uns noch nicht gesehen, aber Sie sind mir aus Ihrem Wirken als ein Mann bekannt, auf den sein König sich verlassen kann. Nehmen Sie Platz, meine Herren, und hören Sie, Herr Rath, was ich Ihnen Erfreuliches mitzutheilen habe! Auch Sie, Herr Baron, werden meiner Neuigkeit Ihr Interesse nicht versagen. Ich weiß sogar, daß Sie erstaunen und eingestehen werden, daß Sie einst dem großen Manne Unrecht thaten.« »Darf ich fragen, wem Excellenz die Ehre erweisen, ihn einen großen Mann zu nennen?« frug höflich Langenau. »Den Grafen St. Germain.« »Ah so! Auch ich nenne ihn groß, doch ist er jedenfalls nur eine negative Größe.« »Welchen Sinn sollen diese Worte haben, Herr Baron?« »Denselben, mit welchem ich die Freude als eine positive, den Schmerz aber als eine negative Seelenbewegung bezeichne.« »So halten Sie den Grafen für eine Größe im Schlimmen?« »Nicht anders, leider!« »Ich bin in der glücklichen Lage, Sie vom Gegentheile überzeugen zu können. Sie haben doch gehört, daß er sich bei mir befindet?« »Ich weiß schon längst, daß er bei Ihnen ein Asyl vor der Rache und den Verfolgungen derer gefunden hat, welche von ihm betrogen worden sind, weil sie ihm glaubten.« »Das ist nicht nur streng, sondern sogar ungerecht und zugleich eine Beleidigung für mich,« entgegnete der Marschall mit finsterer Miene. »Doch sind Sie ein Mann, der meine Achtung besitzt, und ich werde sicher die Genugthuung haben, daß Sie Ihre Meinung auf richtig widerrufen. Ich muß Sie entschuldigen, denn auch ich begann bereits, wankelmüthig zu werden. Ich weiß recht wohl, daß man über mein Vertrauen und über die Opfer, welche ich dem Grafen gebracht habe, gelächelt hat; heut aber müssen die Spötter zu Schanden werden, und ich stehe im Begriffe, mir eine Satisfaction zu verschaffen, welche nicht glänzender genannt werden kann.« »Es soll mich um Excellenz willen freuen, wenn ich mein Urtheil über den Grafen als ein falsches erkenne. In diesem Falle bin ich bereit, ihm Alles zu vergeben, was er an mir und den Meinen verbrochen hat,« antwortete der Baron. »Ich verstehe! Ich traf Casanova, welcher mir Einiges von Ihnen und dem Grafen erzählte. Ich bin überzeugt, daß dem Letzteren damals in Haag Unrecht gethan worden ist. Er ist der berühmteste Mann des Jahrhunderts und befindet sich gegenwärtig entweder im Laboratorium oder in meiner Bibliothek. Er wird heute Nacht Punkt zwölf Uhr zwei Aufgaben lösen, an denen die Magie und Scheidekunst schon seit Jahrtausenden vergebens gearbeitet hat. Sie kommen zur guten Stunde, und ich lade Sie Beide ein, Zeugen unseres Triumphes zu sein.« Morin verneigte sich dankend und meinte: »Der Graf, den ich als Herrn von Bellamare kennen zu lernen die Ehre hatte, ist ein außerordentlicher Mann, eine Erscheinung, die sich aller unserer Berechnung entzieht.« »Wo trafen Sie ihn zum ersten Male?« frug Langenau. »In Venedig, wo ich Zeuge war, daß ein einfaches Papierschnitzel, welches er einem Bekannten schenkte, von einem Banquier mit zweihundert Dukaten eingelöst wurde. Er ließ eine Perle im Werthe von fünf Dukaten binnen acht Tagen so wachsen, daß man ihm sechzig dafür bot, und der Baron Stosch versicherte, ihn vor vielen Jahren in Bayonne gesehen zu haben, wo er eine viele Pfund schwere Bleitafel in reines Silber verwandelte. Er hatte seitdem nicht im Geringsten gealtert.« »Haben Sie ihn musiciren hören?« frug der Marschall. »Ja, auf dem Klaviere. Er spielt virtuos.« »Sie werden ihn heut noch mehr bewundern. Ohne daß ich ihm davon sage, lade ich für heut eine Gesellschaft auserlesener Herren und Damen zu mir, um mein bisheriges Vertrauen öffentlich durch den Erfolg zu rechtfertigen. Er wird sich bei dieser Veranlassung auf meine Bitte hin als Violinist produciren. Seine Meisterschaft ist hier ganz ohne Gleichen. Fürst Smirnoff, welcher ihn vor neun und vierzig Jahren auf der Violine spielen hörte, versicherte mir, daß seit dieser langen Zeit weder seine Fertigkeit noch sein Aussehen sich verändert habe. Auch werde ich Ihnen ein höchst merkwürdiges Manuscript zeigen.« »Darf man nach dem Namen dieses Manuscriptes fragen?« »Es ist ein Commentar von Raimundus Lullus und erklärt alle Dunkelheiten des Heber, Roger Bacon und Arnauld de Villeneuve. Das volume kostet mich beinahe viertausend Thaler.« »Von wem kauften Sie es?« »Von Saint Germain.« »Ist es ächt?« frug Langenau unwillkürlich. »Warum?« »Weil, so viel ich weiß, Raimundus Lullus sich nicht mit Magie beschäftigt hat, sondern erst von seinen Anhängern für einen Magier ausgegeben wurde.« »Sie erlauben mir hier eine andere Meinung. Uebrigens hat der Graf seiner Zeit wohl fünfzehntausend Thaler für dieses Manuscript bezahlt.« »Welches sind die beiden Aufgaben, welche er heut Abend lösen wird?« »Er wird ein Projectionspulver mischen, welches alle Metalle bei der bloßen Berührung in das reinste Gold verwandelt.« »Das würde eine weltumstürzende Erfindung sein. Und die andere?« »Ein Aqua benedetta, welches nicht nur, wie bisher, den Einfluß des Alters hebt, sondern auch den durch äußere Einflüsse erfolgenden Tod zur Unmöglichkeit macht.« »Sie meinen durch Verwundung zum Beispiel?« »Allerdings.« »Dann bin ich begierig, ob es ihm gelingen wird,« meinte Morin. »Ich bin davon überzeugt. Das Pulver steht schon seit fünf Jahren über dem Feuer. Ich mußte immer von einer Zeit auf die andere warten, da die geheimen Stunden niemals mit der Constellation der Gestirne harmoniren wollten, und schon verlor ich die Geduld, als mir der Graf vorhin die Versicherung gab, daß heute um Mitternacht alle magischen und astronomischen Voraussetzungen vorhanden seien. Sie kommen doch, meine Herren?« Morin sagte zu; Langenau überlegte. »Ich würde kommen, Excellenz, aber ich habe schon anderwärts zugesagt.« »So sagen Sie wieder ab! Bei wem?« »Bei dem Grafen von Lamberg, bei welchem ich mit meiner Frau wohne. Auch Prinz Paranow und seine Gemahlin, welche mit mir hier ankamen, sind geladen.« »Wer sonst noch?« »Weiter Niemand.« »So kommen Sie alle um elf Uhr zu mir. Prinz Paranow ist mir nicht unbekannt. Ich traf ihn in Wien und Warschau; er und die Prinzessin werden mir sehr willkommen sein. Der Graf von Lamberg ist öfters bei mir und wird sich nicht weigern, zu kommen. Und Ihre Frau Gemahlin – ah, hörte ich nicht einmal, daß es Amély d'Hausset sei, die wunderschöne Nichte der Frau von Hausset, welche erste Dame bei der Marquise von Pompadour war?« »Es ist so, Excellenz.« »Dann muß ich sie sehen, Herr Baron!« »Sie wird kommen, denn auch sie hat ein Interesse, zu sehen, ob die Experimente des Grafen gelingen.« »Welches Interesse meinen Sie?« »Sie erbte von ihrer Tante ein Kreuz, welches dieselbe einst in Gegenwart der Marquise von dem Grafen St. Germain zum Geschenk erhalten hatte. Ich ließ es untersuchen; es war unächt.« »Oder wurde von einem Juwelier untersucht, der nicht Kenner war. Es gibt der Diamanten gar verschiedene; sie sind farblos und wasserhell, oft gefärbt, grau, braungelb, rosa, blau, grün oder schwarz, und da ist eine Irrung sehr leicht möglich.« »Zugegeben, Excellenz. Aber auch Prinz Paranow kaufte einst von dem Grafen einen Diamanten für fünftausend Dukaten, dessen spezifisches Gewicht nur zwei und einhalb war, während dasjenige des Diamanten drei und fünf bis sechs Zehntel beträgt. Und die beiden Diamanten, welche ich in Haag durch van Holmen untersuchen ließ, phosphorescirten weder im Finstern, noch ließen sie sich im Sauerstoffgas verbrennen. Der größere von ihnen sollte zu den französischen Krondiamanten gehören; später stellte es sich jedoch heraus, daß es nur darauf abgesehen war, die Generalstaaten durch eine werthlose Composition um hunderttausend Gulden zu betrügen. Fragen Sie bei dem Banquier Adrian Hope an; er wird meine Aussage bestätigen, denn in seiner Verwahrung befindet sich noch heut der Stein, welcher angeblich viele Millionen werth sein sollte und doch bis jetzt von keinem Menschen reklamirt wurde.« »Wenn Sie mit dem Allen die Wahrheit erzählen, so hätte ich allerdings Ursache genug, vorsichtig zu sein; doch bin ich überzeugt, daß Sie sich täuschen. Noch vorhin erst hat mir der Graf gesagt, daß er bereits vor mehreren tausend Jahren gelebt habe.« »In Folge seines Aqua benedetta? « »Ja.« »Ludwig der Fünfzehnte, die Pompadour und die Gräfin Gergy haben von demselben getrunken und sind dennoch gestorben; sollte es seine Wirkung nur allein beim Grafen äußern? Er scheint ein außerordentlicher Kosmetiker zu sein. Uebrigens bitte ich um die Erlaubniß, daß ich heut das Kreuz meiner Frau, und der Prinz seinen Diamanten mitbringen darf. Wird ein Kenner bei der Gesellschaft sein?« »Banquier Larssen aus Stockholm ist einer der bedeutendsten Kenner von edlen Steinen; er wird mit anwesend sein. Er kam heut an, um eine nicht ganz geringfügige Summe zu erheben, die ich ihm leider verweigern muß, weil durch die fünfjährigen Experimente meine Mittel erschöpft worden sind. Ich muß ihm Gelegenheit geben, sich heut Abend zu überzeugen, daß ich mehr als ein Krösus sein werde.« Langenau mußte über das blinde Vertrauen des Marschalls lächeln. Um sich aber den Statthalter zu verpflichten, sagte er: »Haben Sie die Güte, immerhin anzunehmen, daß diese Hoffnung sich als trügerisch erweisen dürfte! Ich werde von hier nach Stockholm gehen und stand aus diesem Grunde im Begriff, einige verfügbare Summen bei Larssen zu deponiren. Es ist mir sehr lieb, ihn in dieser Beziehung schon hier sprechen zu können, und ich bitte um die Erlaubniß, mich ihm als Ihren Vertreter bezeichnen zu dürfen, Excellenz!« Der Marschall sah ihn freudig überrascht an. Ein von den Gläubigern belagerter Mann pflegt bei einem solchen Anerbieten auf alle Prüderie zu verzichten. »Mein Vertreter? Mit Vergnügen, Herr Baron! Aber die Summe beträgt zweitausend Dukaten!« »Ich halte dennoch meine Bitte fest!« Der Marschall reichte ihm die Hand. »Angenommen! Und ich hoffe, daß die Stunde kommen wird, in der es mir vergönnt ist, ebenso aufmerksam gegen Sie zu sein! Und nun darf ich doch die Ueberzeugung hegen, daß Sie heut Abend mit Graf Lamberg, Prinz Paranow und Ihren Damen kommen werden?« »Wir werden Sie nicht warten lassen, Excellenz! Doch eine Frage! Würde es nicht vielleicht gerathen sein, den Chemiker van Holmen, welchem wir im Vorzimmer begegneten, mit gegenwärtig sein zu lassen?« »Hm! Wenn Sie es wünschen, ja. Aber er ist bereits fort, und ich weiß ihn leider nicht zu finden.« »Er wartet im Vorzimmer auf mich. Der Mann befindet sich im Besitze meiner vollsten Hochachtung; er wird für die Zeit seines Aufenthaltes hier mein Gast sein.« Die beiden Männer erhoben sich und nahmen Abschied von dem Marschall, der nun sicher sehr freundliche Gesinnung gegen Langenau hegte, obgleich er in dem Urtheile über St. Germain nicht mit ihm übereinstimmen wollte. – – Es war am Abend, und bereits hatte es elf Uhr geschlagen. Alle hervorragenden Mitglieder des kleinen Hofes des Statthalters waren in dem Saale versammelt, welchen der Graf von St. Germain als den Schauplatz seiner Manipulation bestimmt hatte. Die Fenster waren dicht verhüllt und die Wände schwarz behangen. An dem von der Mitte der Decke herabhängenden Kronleuchter brannten nur einige Kerzen, so daß in dem Raume nur ein geheimnißvolles Halblicht herrschte, welches verhinderte, die Züge der Anwesenden genau zu erkennen. Ueber den Hintergrund des Saales war ein Vorhang gezogen; jedenfalls verdeckte er die Bühne, auf welcher der Graf erscheinen wollte. Ganz vorn am Eingange des Saales, um von dem Podium aus nicht sofort bemerkt zu werden, hatten Langenau, Paranow und van Holmen nebst den Gemahlinen der beiden Ersteren Platz genommen. Der Marschall hatte seine Gäste bewillkommnet und sich dann entfernt. Jetzt trat er wieder ein und wandte sich zu dem Baron: »Ich war bei dem Grafen,« flüsterte er. »Er hat bisher geglaubt, nur mich anwesend zu finden, und war außerordentlich erzürnt, als ich ihm meldete, daß eine ganze, zahlreiche Versammlung seine Triumphe mit zu feiern beabsichtige.« »Hat er nicht behauptet, daß nun die Aufgabe nicht gelöst werden könne?« »Er hatte jedenfalls die Absicht, dies zu sagen; ich ließ ihn aber nicht dazu kommen. Ich bemerkte ihm, daß mein Vertrauen verlacht werde und ich es deßhalb meiner Ehre schuldig sei, daß er öffentlich beweise, er sei kein Betrüger und werde nur deßhalb verkannt, weil der Verstand der Uneingeweihten seine Macht und Größe nicht zu würdigen verstehe.« Langenau konnte sich eines befriedigten Lächelns nicht enthalten. Der Same des Mißtrauens, welchen er in das Herz des Statthalters geworfen hatte, war also doch aufgegangen und hatte bereits eine Frucht angesetzt. »Weiß er von unserer Anwesenheit?« »Nein.« »Wollen Sie mir und sich selbst einen Gefallen erweisen?« »Sprechen Sie!« »Lassen Sie alle Ausgänge besetzen und stellen Sie auch Posten unter diejenigen Fenster, welche dem Grafen zugänglich sind.« »Herr Baron, das würde ein Mißtrauen verrathen, zu dem ich nicht fähig bin!« »Aber ich, Excellenz! Ich kenne den Grafen und kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß er seine Lage erkennt und versuchen wird, sich derselben zu entziehen. Ich habe keineswegs die Absicht, mich von ihm düpiren zu lassen, und gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich gehen werde, wenn ich nicht die Ueberzeugung habe, daß er nicht entkommen kann, sondern gezwungen ist, seine Rolle bis zu diesem oder jenem Ende fortzuspielen.« Diese Worte klangen so energisch, daß sie dem Statthalter imponirten. »Nun wohl! Wenn Sie mich in dieser Weise zwingen, so werde ich Ihren Wunsch erfüllen.« »Gebieten Sie Ihren Leuten, dem Grafen bei einem etwaigen Fluchtversuche zu sagen, daß er die Wahl habe zwischen der Mensur und der Bühne dort!« Der Marschall entfernte sich, und es dauerte lange Zeit, ehe er wieder zurückkehrte. Es war bereits ein Viertel über Zwölf, als es geschah, und trotz der unzulänglichen Beleuchtung des Saales war die Blässe zu erkennen, welche auf seinem Gesichte lag. »Es ist etwas geschehen?« frug Paranow. »Ja, Ihre Voraussicht hat sich bereits erfüllt, Herr Baron. Ich selbst ertappte den Grafen, als er im Begriffe stand, sich heimlich davonzuschleichen.« »Ah!« »Ich zwang ihn, zurückzukehren.« »Wird er erscheinen?« »Er muß,« knirschte der alte Haudegen. »Jetzt glaube ich, daß er ein Betrüger ist. Wenn er sich weigert, ist er verloren.« »Er ist auf alle Fälle verloren!« meinte Paranow kaltblütig. Noch während er sprach, durchzuckte ein greller Blitz den Raum, welcher hinter dem Vorhange lag, und der Vorhang ging in die Höhe. Mitten auf der Bühne stand der Graf, in ein langes, persisches Gewand gehüllt und begleitet von mehreren Bedienten, welche verschiedene Apparate und eigenthümlich geformte Gefäße trugen. Er hatte das Aussehen eines sehr gut conservirten Fünfzigers. Nachdem er die Gegenstände aufgestellt und geordnet hatte, schickte er die Domestiken fort und begann mit tiefer, monotoner Stimme: »Ich begrüße Euch mit dem Spruche der Weisen, mit dem Gruße der Magier, mit dem Abracadabra des unsterblichen Serenus Sammonicus!« Es trat eine athemlose Pause ein, während welcher er sein Auge über die Versammlung gleiten ließ, um die Anwesenden zu erkennen. Wegen des im Saale herrschenden Halbdunkels gelang ihm dies nur unvollständig. Dann fuhr er fort: »Wer in die Geheimnisse des Artechins und Sandivaye eingeweiht ist; wer die Theorie der planetarischen Stunden und die Talismane des Polyphilos und des Grafen von Trier kennt, der mag seinen Genius ersuchen, mit mir zum Merkur, vom Merkur zum Monde, vom Monde zum Jupiter und vom Jupiter zur Sonne zu gehen. Es ist dies der magische Kreis des Zoreaster, den die Wissenden Zenduscht nennen; er überspringt den Saturn und den Mars, und ich zeichne ihn Euch mit schwarzen Charakteren hier auf diese weiße Tafel.« Er nahm einen schwarzen Kreidestift und schrieb einige, Allen unverständliche Hieroglyphen auf die bezeichnete Tafel, dann wandte er sich wieder an die Versammlung: »Ich begrüße Euch nochmals im Namen der Genien des Agrippa und umschließe Sie mit dem heiligen Fünfeck des großen Salomo, dessen Kunst, den Tod zu bezwingen, ich heut von Neuem erfunden habe. Er mag erscheinen, um mir zu bezeugen, daß sein Geist Eins ist mit dem meinen. Man lösche die Lichter aus!« Es geschah, wie er befohlen hatte, und sofort erschien an der Hinterwand der Bühne ein Schatten, welcher die Arme wie zum Segen gegen den Grafen erhoben hatte. »Camera obscura!« meinte van Holmen geringschätzend. »Der Blitz vorhin war Colophonium mit Bärlappsamen. O sancta simplicitas! « Der Schatten verschwand, und nun brannte St. Germain die Kerzen eines dreiarmigen Leuchters an, welcher die Bühne hell erleuchtete. Dann begann er von Neuem: »Jetzt steigt hernieder, ihr Engel aus Sud und Nord, aus Ost und West; steigt herauf, ihr Geister des Feuers und der Erde! Dem Meister der geheimen Künste ist die Macht gegeben über Fels und Stein, über alle Erden und Metalle.« Er nahm eine Platte vom Tische und reichte sie vom Podium herab. »Ueberzeugt Euch, Ihr Hörer des großen Meisters der Gnomen, daß diese Platte von Silber ist!« Die Platte ging aus einer Hand in die andere, wurde als Silber erkannt und ihm dann zurückgegeben. Er nahm eine Phiole und hielt sie empor. »Dieses Pulver hat fünf Jahre lang über dem geheiligten Feuer gekocht; es enthält die Allmacht, welche Steine und Luft in Diamanten verwandelt; es wird diese silberne Platte augenblicklich in Gold verwandeln.« Er trat seitwärts, hielt die Platte so, daß die Lichtflammen zwischen sie und die Augen der Anwesenden kamen, und schüttete ein wenig von dem Pulver aus. »Wie klug!« meinte van Holmen. »Das Licht blendet uns; ein Tausch ist leicht vorzunehmen.« Der Graf trat wieder vor und gab die Platte herab. »Ueberzeugt Euch, Ihr Staunenden, daß sich das Silber in Gold verwandelt hat! Der Wirth dieses hochbegnadigten Hauses behalte sie!« Das Gold erregte allerdings das Staunen aller Versammelten mit Ausnahme derjenigen Personen, welche im Vordergrund saßen. Die Tafel kam schließlich in die Hände des Marschalls, welcher sie behielt. Jetzt stellte der Graf mehrere Dreifüße auf, unter denen er Spiritusflammen entfachte. »Jetzt naht der große Augenblick, an welchem die ganze Ewigkeit in einen Tropfen Wasser gebannt wird. Man bringe die Ingredientien!« Ein Diener brachte auf einem Präsentirteller mehrere Phiolen herbei; in der einen Hand trug er eine Pistole, welche der Graf jedoch zurückwies. »Was soll die Waffe?« frug Langenau. »Er will den Diener auf sich schießen lassen und dabei beweisen, daß das Aqua benedetta unverwundbar mache,« antwortete der Marschall. »Er muß sich doch wenigstens in dieser Sache sicher wissen.« »Ah!« meinte Peranow. »Darf ich um Ihre Kugel bitten, Baron?« »Wozu? Hier ist sie!« Er zog sie hervor und reichte sie dem Prinzen hin. Dieser wandte sich an den Marschall: »Ist der Diener, welcher die Phiolen brachte, ein Vertrauter des Grafen?« »Nein. Ich habe ihn vorhin auf Gradewohl zur Bedienung des Grafen, der sich einen Domestiken erbat, commandirt.« »Ist der Raum, in welchem er sich befindet, von der Bühne aus zu überblicken?« »Nein; er ist mit ihr durch eine schmale, jetzt geöffnete Thür verbunden.« »Und wie gelangt man hin?« »Durch die hintere Thür des Seitencorridors.« »Ich danke!« Er erhob sich und verließ leise den Saal. Die weichen Decken des Corridors dämpften seinen Schritt. Als er die bezeichnete Thür leise öffnete, fand er das kleine Zimmer leer. Der Diener befand sich jedenfalls zu irgend einer Handreichung draußen auf der Bühne. Paranow sah zwei Tische stehen; der eine war leer, und auf dem andern lag die Pistole, eine Kugel und Pulver neben ihr. Mit zwei raschen, leisen Schritten stand er dort und hatte die Kugel mit derjenigen vertauscht, welche so lange auf dem Herzen des Barons getragen worden war; sie paßte allem Anscheine nach ganz gut in den jetzt ungeladenen Lauf. Im nächsten Augenblick stand er wieder auf dem Corridor und kehrte in den Saal zurück. Er war sich dessen vollständig bewußt, was er gethan hatte, aber es war dem wilden Kroaten in seinem kampfes- und thatenreichen Leben jene zarte Bedenklichkeit verloren gegangen, welche jeden Anderen abgehalten hätte, das Gleiche zu thun. »Wo waren Sie?« frug Langenau, als er wieder Platz nahm. »Sie werden es erfahren,« antwortete er kurz und wandte sein Augenmerk der Bühne zu. Es brodelte und zischte über den Flammen; der Graf trat von einer zu der andern, und der Diener harrte hinter ihm seiner Befehle. Endlich schien das Werk gelungen zu sein. Er vereinigte die Flüssigkeiten in ein Flacon und verlöschte die Flammen. Dann ließ er aus dem Flacon einen Tropfen in einen mit Wasser gefüllten goldenen Löffel fallen und erhob denselben. »Heil dieser Stunde und Heil diesem Hause! Hier dieses Glas enthält das neue Aqua benedetta, die herrliche Kostbarkeit, von dem es genügt, alle Jahrhunderte einen einzigen Tropfen zu nehmen, um unsterblich, ewig gesund und unverwundbar zu sein. Der erste Tropfen gehört dem Erfinder – – –« Er führte den Löffel zum Munde und sog den Trank langsam ein. Dann fuhr er fort: »Der zweite Tropfen wird den Mann, bei welchem wir uns befinden und der die heilige Wissenschaft durch so großmüthige Opfer unterstützte, bei ewiger Jugend erhalten. Vorher aber muß ich beweisen, daß der einzige Tropfen mich wirklich gegen den Tod und jede Verwundung schützt, obgleich er erst in diesem Augenblick in meinen Körper übergegangen ist.« Er winkte dem Diener, welcher die Pistole mit Zubehör herbeibrachte. Der Graf wies ihn an das Publikum. »Man untersuche Pulver, Blei und Waffe, um sich zu überzeugen, daß keine Täuschung obwalte.« Die Prüfung wurde bald beendet; dann mußte der Diener vor den Augen Aller die Waffe sorgfältig laden. Der Graf postirte ihn an die eine Seite der Bühne, er selbst lehnte sich an die gegenüberliegende Wand und commandirte: »Eins – zwei – –« »Halt!« rief da mit lauter Stimme Paranow, indem er auf die Bühne zuschritt. »Auf ein Wort, Herr Graf von Saint Germain!« Der Graf erkannte den sich Nähernden und erbleichte. »Prinz Paranow!« »Derselbe! Kennen Sie diesen Stein?« Er zog den Diamanten hervor und hielt ihm denselben entgegen. »Ja.« »Er ist von Ihnen?« »Allerdings.« »Ist er ächt?« »Ja.« »So sind Sie bereit, ihn für fünftausend Dukaten wieder zurückzunehmen?« »Ich kaufe keine Steine!« »Auch nicht, wenn ich Sie fordere?« »Ich kann keine Forderung annehmen, denn ich bin unverwundbar!« antwortete er stolz. »Nun wohl, dann List gegen Betrug, wenn Brust gegen Brust nicht angenommen wird!« Er trat zurück. Der Graf schien durch dieses Intermezzo nicht im Mindesten aus der Fassung gebracht worden zu sein; er wandte sich zum Diener und zählte von Neuem: »Eins – zwei – – drei!« Der Schuß krachte; der Graf warf die Arme in die Luft und griff krampfhaft nach der Schnur, welche zur Direction des Vorhanges diente. Ein einziger, vielstimmiger Schreckensruf erschallte; dann stürzte der Vorhang nieder. »Folgt mir!« gebot Paranow und eilte nach der Thür, und über den Corridor nach der Bühne, hinter ihm der Marschall, Langenau und van Holmen. Der Diener stand bleich und rathlos vor St. Germain, welcher bewußtlos an der Erde lag, umgeben von einer Lache dampfenden Blutes. Van Holmen kniete vor den Verwundeten nieder, um ihn zu untersuchen. »Verloren,« entschied er. »Er wird nur erwachen, um zu sterben.« »Untersuchen Sie diese Kugel!« bat Paranow. Der Chemiker betrachtete sie genau und erhob sich dann ganz erschrocken. »Ach, jetzt ahne ich! Diese Kugel besteht aus Quecksilber mit einer Galmeimischung; allem Anscheine nach von Blei, wird sie bei dem Schusse sich doch hart vor dem Laufe zertheilen und unschädlich zur Erde fallen. Prinz, Sie waren hier und haben sie mit derjenigen vertauscht, welche Ihnen der Herr Baron geben mußte!« »So ist es!« Diese einfache und ruhige Antwort versetzte die Anderen in Entsetzen, doch der Prinz wehrte jeden Vorwurf mit einer gebieterischen Handbewegung ab. »Ruhig, meine Herren! Dieser König der Betrüger und Schwindler hat mehr verdient, als einen so plötzlichen, schmerzlosen Tod. Tausende fluchen ihm, der hundertmal der gerechten Strafe entging, weil man hohe Herren nicht compromittiren wollte, während ein armer Schlucker um eines Vergehens willen, zu welchem ihn der Hunger treibt, gehängt wird oder im Kerker verschmachten muß! Wir sind gerächt, meine Herren, und tiefes Dunkel mag diese Scene decken!« »Aber die Versammlung da draußen!« stöhnte der Marschall. »Mag an eine Ohnmacht glauben. Selbst wenn man unverwundbar ist, muß die anprallende Kugel eine Contusion hervorbringen, an der man einige Zeit zu laboriren hat.« Van Holmen hatte unterdessen Umschau gehalten. Er bückte sich und hob eine Papierrolle empor, um daran zu riechen. »Hierin stack der Blitz,« fagte er. »Und sehen Sie hier hinter der geöffneten Thür die Camera! Sie mußten sie bedienen? Nicht?« wandte er sich an den Diener, welcher verlegen nickte. »Und hier liegt hinter dem Armleuchter die Silberplatte, welche er nicht in Gold verwandelt hat! Es ist Ihr Geld, Herr –« »Marschall,« wollte er sagen; dieser aber war verschwunden. Er hatte sich jedenfalls nach dem Saale begeben, um seine Gäste zu beruhigen und sich ihrer zu entledigen. Jetzt bewegte sich der Graf. Unter convulsivischem Zucken der Gesichtsmuskeln öffnete er die Augen und richtete sie starr auf die Umstehenden. Nach und nach kehrte Bewußtsein in den Blick zurück; er wandte das Auge von Einem zum Anderen und flüsterte: »Paranow – – Langenau – – – Holmen – – oh, Aqua – – bene – – detta! « Van Holmen bog sich zu ihm nieder und sprach: »Sie haben das Edelste, die Wissenschaft, zum Gemeinsten benutzt, dessen der Mensch fähig ist, zum Betruge; daher erfüllt sich das, was ich Ihnen einst in Haag weissagte: Ihr Aqua benedetta ist für Sie zum Aqua maledetta geworden. Wollen Sie einen Priester?« Der Verwundete hatte jetzt die Besinnung vollständig wieder erlangt. »Betrug –« flüsterte er; »verloren – – todt – – – oh, Aqua – – male – – detta – – –! « Ein Blutstrom quoll ihm aus Nase und Mund. Er bäumte sich empor und sank dann zurück; der Tod hatte die kalten Arme um ihn gelegt, um ihm zu beweisen, daß mit ihm nicht zu spotten sei. – – – Am anderen Tage erzählte man sich in Eckernförde, der Graf von St. Germain sei leicht erkrankt, weil eine Kugel von seinem Körper abgeprallt sei. Später hörte man, daß er die Stadt verlassen habe, um eine Reise um die Erde anzutreten. Seine Anhänger und Bewunderer warteten lange auf ein Lebenszeichen von ihm; es gibt Leute, welche noch heut an sein Aqua benedetta glauben – er ist bis jetzt nicht von seiner Reise zurückgekehrt. – – – [Fußnoten] 1 »Es gibt keinen Menschen, der bei gesetzlicher Prüfung seiner Handlungen und Gedanken sich nicht wenigstens sechsmal hängenswerth fände; es ist daher Schade und sehr ungerecht, zu strafen. Seinem Freunde, dem Grafen von Saint-Germain. M. Eyquem de Montaigne.« 2 Dieses Mädchen wurde später als Frau von Genlis so berühmt. 3 Generalstaaten hießen ehmals die versammelten Abgeordneten der vereinigten Niederlande, weil sie sich mit Gegenständen, welche das gemeinschaftliche Wohl aller Provinzen betrafen, z.B. mit Krieg und Bündnissen, beschäftigten. Sie tagten in Haag. D.R. 4 Oeil de boeuf (Ochsenauge) bedeutet eigentlich ein kleines, rundes Fenster in dem Fries oder in den Dächern großer Gebäude. Weil in Fürstenschlössern die durch solche Fenster erhellten Räume nur von der niederen Dienerschaft bewohnt werden und daher häufig der Schauplatz der ärgerlichsten Familienklatschereien sind, so hat man mit oeil de boeuf in Frankreich überhaupt die Orte bezeichnet, wo Klatschereien erdacht und erzählt wurden. Davon erhielt denn auch das Vorzimmer im Schloß zu Versailles, in welchem zur Zeit Ludwig's XIV., XV. und XVI. die Hofleute versammelt waren, um ihre Aufwartung bei dem König zu machen, den Namen oeil de boeuf, da es der Sitz der Scandalchronik des Hofes war. D.R.