Die Kinderjahre 1790. Die Pappelweide zittert Vom Abendschein durchblinkt, Wo, von Schasmin umgittert, Die Laube traulich winkt, Und mit geflochtnem Pförtchen, Das auf den Weiher sieht, Ein ländlichstilles Gärtchen Die Halmenhütt' umblüht. Vom Opfer des Atriden Im goldnen Opernsaal Eilt' ich zu deinem Frieden, Umbüschtes Rhonethal! Nach Einsamkeit nur schmachtend Wähl' ich die Gartenthür, Der Landschaft Reiz betrachtend, Zur Opernloge mir. Dies Dach mit dunklem Moose, Dies frische Rebengrün, Dies Beet wo Malv' und Rose Und Nachtviole blühn; Die unbeschorne Hecke, Der Hopfenranke Wehn, Der Hof wo Bienenstöcke Im Fliederschatten stehn; Der Brunnenröhre Rauschen, Die Scheur' am Haselzaun, Wo Täubchen Küsse tauschen Und treue Schwalben baun: Dies alles zaubert, milder Als Abendsonnenblick, Die rosenfarbnen Bilder Der Kindheit mir zurück. Du, deren goldnem Stabe Die Nebelsäule weicht, Die aus dem dunklen Grabe Geschiedner Jahre steigt, O Phantasie! erhelle Der ersten Pfade Spur Und jede Blumenstelle Der väterlichen Flur. Ich seh' des Dorfes Weiden, Des Wiesenbaches Rand, Wo ich die ersten Freuden, Den ersten Schmerz empfand; Den Plaz, wo, unter Maien, Auf weißbeblümtem Plan, Beim Jubel der Schallmeien, Der Mondscheintanz begann; Den Hag, wo Nachbars Lotte Zur Veilchenlese kam, Den Teich, wo meine Flotte Von Tannenborke schwamm; Die alten Eichenstümpfe Am schilfumrauschten Moor, Die blaue Wassernymphe Gewiegt am schlanken Rohr; Die Au', wo ich, am Bache, Mir Zweigpalläste wob, Wo der papierne Drache Sich in die Lüft' erhob; Des Meierhofes Hügel Im stillen Fruchtbaumhain, Der Mühle rasche Flügel Am saatengrünen Rain; Die Sträuche, wo die Schlinge Den Zeisig oft betrog, Wo nach dem Schmetterlinge Mein leichter Strohhut flog; Das Rohrdach dessen Nester Ich ritterlich verfocht, Die Bank wo meine Schwester Cyanenkränze flocht; Das Beet, wo, frisch wie Hebe, Im weissen Lenzgewand, Sie an bemalte Stäbe Levkoj' und Nelke band; Die Schule, dumpf und düster, Umrankt von Wintergrün, Wo uns der ernste Küster Ein Weltgebieter schien. Ich seh' des Kirchhofs Bäume, Der Gräber hohes Gras, Wo ich so oft die Reime Der Leichensteine las; Das Flittergold im Kranze An junger Bräute Gruft, Im bleichen Vollmondsglanze Ein Spiel der Sommerluft; Den Steintisch, wo der Krieger, Ein Held bei Sorr und Prag, Von Roßbachs grossem Sieger, Von Kleist und Ziethen sprach; Die Tenne, wo der Schnitter Sein braunes Mädchen schwang Wenn froh des Bergmanns Zitter Zum Erntereih'n erklang; Den Brettersiz am Weiher, Seit grauer Väterzeit Dem Spiel der rothen Eier Am Ostertag geweiht; Die Laube von Hollunder, Wo, auf der Rasenbank, Ich einsam in die Wunder Der Feenwelt versank. Da glaubt' ich grüne Zwerge Mit diamantnem Speer Und vom Magnetenberge Die schauerliche Mähr; Die Hütte ward zum Schlosse, Der Teich zum Silbersee, Mein Steckenpferd zum Rosse, Die Nachtigall zur Fee. Da spottet' ich der Nebel Von Grillenfang und Gram, Selbst wenn im Kampf den Säbel Der stolze Feind mir nahm; Wenn ich der Schwester Freude, Den Hänfling, sterbend fand, Und, ach! das Roth am Kleide Der Bleisoldaten schwand. Da war, im Abendscheine, Ein stilles Veilchenthal Am Nachtigallenhaine Mir Ball- und Opernsaal! Der Seifenblase Schimmer Entzückte königlich, Wie nie die Demantflimmer Der Maskentänze, mich. Da fühlt' ich von Verlangen, Sah' ich am Himmelszelt Die goldnen Lampen prangen, Mein ahndend Herz geschwellt: Doch mehr denn Stern' und Sonne War in des Mondes Rund Der Jäger meine Wonne Mit Dornenbusch und Hund. Da schien der Geisterweihe Gefürchtetes Revier, Des Brockens ferne Bläue, Des Weltalls Grenze mir; Ich wußte von den Kreisen Der Erd' und ihrem Gleis Was ich vom Stein der Weisen Und von Heraldik weiß. Da floß mir keine Zähre, Neapels Götterau'n, Verklärung, Belvedere Und Kapitol zu schaun; Es war die Tufsteinhöle Zum Kunstsaal mir genug, Und meine Raphaele Fand ich im Ritterbuch. Da wurde, von den Flocken Des Januars umstürmt, Mit jubelndem Frohlocken Der Schneemann aufgethürmt! Den Kirchenhügel glitten, Gelenkt vom Eisenstab, Im zephyrleichten Schlitten Wir pfeilgeschwind hinab. Im öden Weltgewühle Hebt Wehmuth meine Brust, Denk' ich der Knabenspiele Und ihrer Götterlust! Zu schnell verrauschte Jahre Der Unbefangenheit, Was, zwischen Wieg' und Bahre, Gleicht eurer Seligkeit? O väterliche Fluren! Welch Tempe, welche Schweiz Trägt eurer Wonnespuren Unsäglich holden Reiz? Hoch auf beschneiten Gipfeln Und auf erzürntem Meer Weht sanft aus euren Wipfeln Erquickung zu mir her! Wenn mondlos mich die Hülle Der Mitternacht umwallt Und durch die Todtenstille Nur meine Klage schallt: Lacht mir von euren Gränzen Ein Stral von Seelenruh', Wie abendliches Glänzen Nach Ungewittern, zu. Durchsegle kühn die Meere Wie Cook und Magellan; Erfleug das Ziel der Ehre Auf nie beflogner Bahn; Erblick, ein Stolz der Musen, Dein Bild in Erz und Stein; Ruh' an Cytherens Busen In Amors Mirthenhain; Gieb Königen Geseze; Sei Herr von Perus Gold; Gebeut im Reich der Schäze Die uns Golkonda zollt; Vereine was auf Thronen Der Erdball staunend preist Und beide Lorbeerkronen Wie Friederich und Kleist: Umsonst! der Sorgen Heere Durchschwärmen, ohne Rast, Den Glanz am Ziel der Ehre, Den Goldsaal im Pallast! Bei Todis Zauberkehle Bleibst du in Gram verhüllt, Du strebst nach Ruh' der Seele Und greifst ein Schattenbild! Entflohn dem Kriegsgetümmel Trübt Unmuth deinen Blick; Umglänzt vom Alpenhimmel Verklagst du dein Geschick; Du spähst auf fernem Boden Des Friedens dunkle Spur: Betrogner, ach! sein Oden Umweht die Kindheit nur. Sie sieht im Frühlingshaine All' ihre Freuden blühn! Es wallt in Rosenscheine Ihr Blumenleben hin! Nie hat der Gott der Zeiten, Der Unschuld ewig hold, Das Buch der Möglichkeiten Vor ihrem Blick entrollt! Ach! bis zu Charons Kahne Schweift unsrer Wünsche Noth; Der Kindheit leichte Plane Begrenzt das Abendroth! Wir ahnden Sturm und Klippen Bei frühlingsheitrer Fahrt: Sie hängt mit Bienenlippen Nur an der Gegenwart!