Phantasie Wenn der Morgen sich röthet, wenn des Abends Goldgewölke die Fichtenhöhn beleuchten, Wenn die heiligen Sterne schimmern, denk' ich Dein, o Geliebte! Dann vernehm' ich, mit Geistesohr, die Laute Deiner Grazienlippen; sanfter hallt nicht Aeols Harfengetön' in Philomelens Wehmuthsakkorde. Dann erscheinen mir, im Erinnrungstraume, Hirtenfluren, umragt von Alpengipfeln, Wo, nach Blumen zu spähn, du in des Aufgangs Glorie wandelst. Dann beseligt mich, bei der Eiswelt Wundern, Dein Entzücken, und deiner Frühlingswange Dunkler flammende Röthe, bei des Montblancs Abendverklärung. Dann durchgleiten wir, in umschäumter Barke, Des lemanischen Halbmonds grüne Fluthen; Froher spiegelt sich Phöbus nirgends, froher Nirgends Diana. Dort bei Meillerie weihtest du dem Jüngling, Den ein feindlicher Stern aus Amors Himmel In den Tartarus öder Felsen bannte, Thränen des Mitleids. Hier, bei Juliens Dorf, am Burggemäuer, Windest glänzenden Epheu du zum Kranze, Den, mit sinnendem Ernst, wir fromm der Unschuld Genius opfern. Schon birgt hinter dem Jura sich die Sonne, Und mit bläulichem Scheine flimmt der Glühwurm; Horch! des wirthlichen Dörfchens dumpfe Glocken Mahnen zur Heimkehr. Sonnen sinken und steigen; Lenze werden Blühn und sterben: Doch keine Morgenröthe, Doch kein kehrender Frühling, ach! vereint auf Erden uns wieder. Unsre Pfade sind fern und weit geschieden! Blüthen wehn auf den einen, dürre Blätter Auf den andern herab: Doch beid', o Wonne! Leiten zum Grabe. Wenn das meine sich längst, nur von Aurorens Thränen einsam bethaut, mit Halmen deckte, Werden Mirten, o Freundin, dir der Locken Fülle noch kränzen! Dich, Vertraute der höhern Welt, beschwör' ich Beim unsterblichen Einklang edler Seelen: Laß im reinsten der Herzen dann des Freundes Bild nicht erbleichen!