Akkorde Wie kommt es, daß die Saiten widerklingen, Wenn sie berührt ein gleichgestimmter Ton, Daß alte Träume aus dem Nebel dringen, Der sie umgraute lange Jahre schon, Wie kommt's, daß unser Herz erschüttert Zuweilen ein alltäglich Wort, Daß alte Träume neu erstehen, Verschollne Lieder uns umwehen, Sprecht, warum dann das Herz erzittert? – Weil angeschlagen ein Akkord! Ihr alle habt es doch schon oft empfunden, Daß ungerufen, durch ein fremdes Wort Geweckt, aus lange schon vergeßnen Stunden Ein Ton erklang im tiefsten Herzenshort; Ein andrer Klang reiht sich dann leise Dem ersten an, man weiß nicht wie; Die angeschlagnen Saiten klingen, Die wirren Töne sich verschlingen Zu einer altbekannten Weise Und längst geliebten Melodie. Zwar übertäubt die schüchtern leisen Klänge Am hellen Tag das bunte Einerlei Der Sterbeseufzer und Triumphgesänge, Verzweifelt Lachen und des Schmerzes Schrei – Im Herzen klingt's, du fragst erschrocken: »Was wollet ihr, wo kommt ihr her?« Da schallt ein fremder Laut dazwischen, Wie im Konzert ein rohes Zischen, Die zarten Herzenstöne stocken, Du lauschst, doch hörst du jetzt nichts mehr. Doch wenn du abends müde dich geflüchtet Fort aus des Alltagslebens ödem Plan Und der Verstand tyrannisch nicht mehr richtet Die Seele durch die plattgetretne Bahn, In solcher Zeit der Dämmerungen, Da blüht und grünt das Tote fort, Der Kinderzeit verträumte Freuden Verklärn des Augenblickes Leiden, Und bilden in dir engverschlungen Den herzbeglückendsten Akkord. Münster 1887