Ich war so glücklich Mittsommertag. Um sieben Uhr früh schon Spritzen die Sprenger Das glühende Pflaster. Und um sieben Uhr früh Bin ich unterwegs Nach dem Bahnhofe. Die schönste Rose, die zu erlangen ist In der Stadt, Eine mächtige Marschall Niel, Kauf' ich mir im Blumenladen. Daß sie nicht welkt, Umschlägt sie die Verkäuferin Mit weißem Seidenpapier. Und nun glänzt es Durch die zarte Umhüllung Wie schmelzende Butter. Welcher Wirrwarr Auf dem großen Bahnhofe. An allen Schaltern Gedränge; Viele Sprachen umtönen mich; Rote Reisebücher stechen aus allen Händen. In den Hallen und Sälen und Fluren Wartende, Sich Treffende, Schwatzende, Sich Durcheinanderschlingende, Schuppsende, Entwirrende. Und im Mittelbau Wart' auch ich, Umbrandet Von Menschenwogen. Und meine Augen Wandern immerfort wieder Nach dem Haupteingange: Jetzt, jetzt muß sie kommen. Mit schrillem, durchdringenden Tone Schlägt eine Uhr drei Viertel. Nur noch sieben Minuten Und – da ist sie, da ist sie. Ihr gelbbraunes Jäckchen Erkenn' ich aus tausenden. O Glück, ich fing dich, ich halte dich, O Tag, du bist so schön. Rasch steckt die Rose An der Brust des liebsten Mädchens. Nun die Fahrkarten, Und in's Koupe. Dem Schaffner ein Trinkgeld, Wir bleiben allein. Nicht fern unsrer Thür, Steht der dicke, rotmützige, Biergesichtige Zugführer. Er spielt mit seiner elfenbeinernen Pfeife, Sie ab und zu An die Lippen bringend, in die Lippen setzend, Ohne das Zeichen zu geben. Er schielt zuweilen nach uns hin Und lächelt, Lächelt ein wenig malitiös, Und gutmütig zugleich. Hol' ihn der Kuckuck. Jetzt giebt er den Befehl zur Abfahrt. Endlich! Die Lokomotive schreit. Langsam setzen wir uns in Bewegung. Haltepunkt um Haltepunkt verliert sich hinter uns. Wir nähern uns dem Ziele. Vor'm Spiegel wird Alles in Ordnung gebracht: In's zerzauste Haar Die verloren gegangene Und wiedergefundene Nadel geheftet; Das Hütchen zurecht gerückt. »Nichts vergessen?« Und: »Bitt' schön, möcht'st du mir net g'schwind Den Handschuh zumachn?« Wir steigen aus. Arm in Arm, o die Seligkeit! Im fremden Städtchen Ist Jahrmarkt. Wir besuchen den Trödel: Wir reiten im Carroussel Auf Löwen und Schwänen; Wir bestaunen »die Wunderdame«; Wir lassen uns photographieren: »Immer herein die Herrschaften; In zwei Minuten ist Alles fix und fertig.« Die Bilder sind herrlich; Nur das linke Auge Des Mädchens fehlt; Statt dessen zeigt sich ein weißer Fleck, Erbsengroß. Und nun in den Wald. Welch ein wundersamer der ist: In gleichen Zwischenräumen Stehn uralte Eichen, So weit auseinander, Daß die äußersten Spitzen jeder An die äußersten der nächsten stoßen. Englischer Rasen, merkwürdig: hier, Breitet sich zwischen ihnen. Wie ein anderweltlicher Hain Mutet er mich an. Und unter einem dieser Riesen, Beim Eintreten ist's natürlich schon, Schlag' ich um des Mädchens Schultern Den Arm. Sie beugt das Haupt zurück. Und ihr den Strohhut In den Nacken schiebend, Küss' ich sie lang, lang und innig. Was geht den Frauen und Mädchen Über »die Landpartie«? Nichts. Selbst dem kleinen Herzensintrabbringer, Der sonst so zärtlich behandelt wird, Wird dann der Rücken gekehrt. Doch nicht ganz: Am sanften Abhange, Am Saume der Hölzung, Ruhen wir. Wohlriechender Wegerich, Hundszunge und Ehrenpreis, Zittergras und Salbei Sind unser Teppich. Goldamseln umhüpfen uns. Und Alles ist wie ein Traum. Auf dem Rückweg Entdecken wir im Holz Eine offen stehende Kapelle, Das Kirchlein »Maria Eich.« Wir treten ein in die Kühle, In das Halbdunkel. Geheimnisvoll leuchtet die ewige Lampe. Das Mädchen Verneigt sich und bekreuzt sich Vor der schwertdurchbohrten Mutter Gottes. Und unsere Sünden Sind uns vergeben. Wir hängen ein selbstgeflochtenes Kränzel Um den Ringgriff der Eingangspforte, Und pilgern dann In's Städtchen zurück. Im Garten unseres Gasthauses Ist Concert. Wir sitzen abseits, unbemerkt. Kastanien, die vor unserer Laube Ihre dicken Stämme zeigen, Strecken ihre Dächer über uns. Durch sie durch sehn wir, Im Sechsuhrnachmittagssonnenschein, Gärten und flache Wiesen, Hinter ihnen vereinzelte Häuser, In denen das Nachtessen Bereitet wird: Gradauf steigt bläulicher Kaminqualm. Plötzlich nehm' ich das Mädel Auf meine Arme, meine Hände, Und halte sie hoch: Wie Salome das Haupt des Täufers Auf der emporgehobnen Schüssel; Wie ein eiliger Kellner, Der die dampfende Terrine: »Heiß, heiß!« durch die ihn einkeilende Menge Steuern will; Wie einer, der ein krankes Reh trägt, Das die Meute, mit gereckten Köpfen, Mit hängenden, schwitzenden Zungen, Mit an ihm hinaufstrebenden Pfoten Gierig umläutet. Euch, ihr Götter, bring' ich das Opfer nicht, Ihr neidischen! Gelt, ihr möchtet das bischen Glück Mir gerne nehmen! Bleibt's g'sund, sagt der Münchener; Da lur up, sagt der Holsteiner; Begegnet mir im Mondschein, sage ich. Das Mädchen lacht und zappelt, zappelt und lacht. Vor uns liegt Die ruhige, bescheidene, Schornsteinrauchfriedliche Landschaft. Keine Seele heut, Im bösen Regenwetter, Besucht das Schloß. Nur von einem uralten, weißhaarigen, Papageiisch plappernden Diener begleitet, Wandern wir, Das Mädel und ich, Durch die hallenden Säle. Hat der Greis solch Vertrauen zu mir: Auf meine Bitte, geht er. Nun sind wir allein. Und ich zeig' ihr die Wunder: Verschossene und immer noch prächtige Gobelins, Schlachten- und Jagdbilder, Kaiserinnen, Fürstinnen, Prinzen, Marschälle, Würdenträger, Einen verewigten Hofnarren; Alles in Reifröcken, Perrücken, Zöpfen, Mit Zierdegen und Kniehosen, In Schmuckpanzern des achtzehnten Jahrhunderts. Und selbst ein Lieblingsmops Ist abkonterfeit. Einmal, in einem weiten Saale, Den sich die Einsamkeit der Einsamkeiten Zum Schlaf erkoren hat, Verweilen wir länger: Zwei verblichene, winziglehnige, weiße Seidensessel stehn hier, auf einer Erhöhung, Nur diese beiden, sonst ist's leer. Ihnen gegenüber, von Pesne gemalt, Spannt Amor den Bogen. Wir setzen uns. Dann spring' ich auf, und auf dem eisglatten Täfelboden Tänzel' ich, Ein wenig den Spielhahn nachäffend, Schuhplattlerartig; Dann, zur Abwechslung, im ernsten, gemessenen, Höchstwohlanständigen Menuettschritt. Und Alles vor ihr. Und sie lehnt sich, Nur der Fächer fehlt, Erst lächelnd, dann lachend zurück, Und hält das Köpfchen schief, Und ist ganz, ganz eine junge Durchlaucht, Und ich bin ganz, ganz ihr Affe-Kammerherr. Und Amor kichert und hat, Seit wie langer Zeit, Wieder »a Freid.« Nun haben wir Alles beschaut, Zuletzt mit andächtigem Staunen Die riesigen, wurmstichigen Prunkbetten. Genug der Herrlichkeit. Wir steigen die reichbreite, reichgeländergeschmückte Marmortreppe hinab. Ritterlich biet' ich meiner Schönen die Hand. Und sie geruht, Auf meinen hingehaltenen Zeigefinger Ihr Händchen zu legen. Acht Pagen halten ihr Die schwere gold- und silberdurchwirkte Schleppe. Tief, sehr tief neigen sich Die zu beiden Seiten der Stufen stehenden Kavaliere vor uns. Hinter uns: das »Cortège« Bis auf den fantastisch gekleideten Leibmohren, Der das Schoßhündchen trägt. Im Haupteingange Ist die Wache in's Gewehr getreten. Der Osffzier, mit der Blechhaube, Streckt sein Sponton. Der Trommler wirbelt. Wir aber, wieder Menschen des neuen Jahrhunderts, Das Mädel und ich, Gehn im Regen zurück In unsern Gasthof, In den Gasthof »Zum teutschen Dichter.« Den Namen so einladend findend, Wählten wir den »teutschen Dichter.« Hier unterdessen ward uns ein Zimmer bereitet. Das Essen wartet: Eine Hirnpflanzlsuppe, Zwei Kalbshaxen mit Erdäpfeln – Sonntags genannt Kartoffeln – Und mächtige Schüsseln, so war es gewünscht, Mit Preißelbeeren und Gurkensalat. »Wohl bekomm's!« Und sehr wohl bekommt es uns. Roter Tirolerwein In hübschen Krystallflaschen, Ist nicht vergessen worden. Der Abend brachte die Sonne. »Wollen wir ausgehn? Kommst du mit?« »»Scho recht, scho recht.«« »Scho recht, scho recht.« Könnt' ich die Worte noch einmal hören, Von ihr gesprochen. Welche Hingabe lag in ihnen, Welcher Eifer, Welche fröhlichste, unbedingte Bereitwilligkeit zu Allem: Dies Ichgehmitdirdurchdickunddünn, Dies Sofortbeiderhandsein, Dies »Ja, ja, i thu glei mit.« Könnt' ich die Worte noch einmal hören, Von ihr gesprochen: »Scho recht, scho recht.« Der Abend brachte die Sonne. Hinaus, und unser Gang Gilt dem Garten des Schlosses. Wie am Morgen, Sind wir auch nun allein. Kaum etwas auf der weiten Erde Birgt solche Poesie, Wie ein verlassener, Halb verwilderter, Lindenverwachsener, Vögeldurchsungener Sommergarten. Die Wasser sprangen. Für wen? »Siehst du, uns zu Ehren, nur für uns.« Hingerissen von den Linien Des im italienischen Stil Ausgeführten Palastes, Erklär' ich sie meiner Begleiterin. Sie aber, dies für außerordentlich Langweilig erachtend, Ruft plötzlich in hellster Freude: »A Goas, a Goas; kumm, Lisi.« Und kniet, Fast verschwindend im wuchernden Grase, Neben die einsame, angepflockte Ziege, Die den Störenfried erst verwundert betrachtet, Dann die Hörner einsetzt. »Der Teifi, der Teifi,« Und das Mädchen sucht, Halb in Angst, halb im Scherz, Schutz in meinen Armen. Und noch einmal bückt sie sich im Grase, Feldblumen pfiückend. Ablassend von der Bestaunung Des tief mein Schönheitsgefühl Befriedigenden Linienschwungs des Schlosses, Wend' ich mein Auge Dem Dirnlein zu, Das im Auf- und Niedertauchen Nacken, Hals und Haupt hebt, Nacken, Hals und Haupt untersinken läßt. Dann schreiten wir – Sie trägt den vollen Strauß, Aus dem ich mir nur Eine Taglichtnelke erbeten habe – In die dunkelnden Baumgänge hinein. Immer schwächer tönt zu uns Das Plätschern und Plauschen der Springbrunnen; Immer lauter wird das Lärmen Der Amseln. Und wir schreiten zu, Mit kräftigem Schritt, Blutlebendig, lebenbeglückt. Leben, hurra! Keiner begegnet uns; Kein abscheuliches, hingeworfenes, verfaulendes Butterbrotpapier stört uns. Wir sind wir allein, Wie sich's gehört: Der König und die Königin!