XXXII. Palinodie. (1836.) Es kann nicht frommen, immerdar zu seufzen. Ich irrte, edler Gino. Nur zu lang Und schwer hab' ich geirrt. Das Leben, wähnt' ich, Sei arm und nichtig, abgeschmackt vor allen Die Zeit, die jetzt dahinrollt. Unerträglich Erschien und war mein Reden dem beglückten Geschlecht der Sterblichen, wenn man den Menschen So nennen darf und kann. Halb staunend, halb Erzürnt hervor aus ihrem duft'gen Eden Lachten die Herrlichen: verwahrlos't oder Vom Glück verlassen müss' ich sein. Der Freude Unfähig, oder unerfahren, hielt' ich Mein Loos für das gemeine und die Menschheit Für meine Leidensschwester. Endlich jetzt Durch der Cigarren Duftgewölk, beim Krachen Der leckeren Pastetchen, bei der Krieger Commandowort, Gefrornes und Getränke Herbeizurufen, während Tassen klirrten Und Löffel klapperten, erglänzte lebhaft Ins Auge mir das täglich neue Licht Der Tagesblätter. Da erkannt' und sah ich, Wie froh die Welt ist und wie sanft das Schicksal Der Sterblichen. Da sah ich den erhabnen Zustand und Werth der Güter dieser Erde, Den Pfad der Menschheit blumenüberstreut, Und wie hier nichts von Dauer, was mißfällt. So sah ich auch die staunenswerthen Werke, Die Studien, den Verstand, die Tugenden, Das tiefe Wissen meiner Zeit; und sah Wie von Marocco bis Catai, vom Nordpol Zum Nil, von Boston bis nach Goa keuchend Die groß' und kleinen Reiche in die Wette Der Spur Fortuna's folgen, schon sie haschen Am flatternden Gelock und sicher doch Am Zipfel ihrer Boa. Dies erkennend Und tiefnachdenklich in die großen Blätter Vergraben, hab' ich meines schweren, alten Irrthums und meiner selbst mich schämen müssen. Ein goldnes Alter, theurer Gino, spinnen Die Parzen jetzt. Ein jedes Zeitungsblatt, Wie auch an Sprachen und Format verschieden, Verkündet es der Welt in schönem Einklang Aus allen Landen. Allgemeine Liebe, Des Handels Weltverbindung, Schienenwege, Dampf, Presse, Cholera, die fernsten Völker Und Himmelsstriche werden sie verschmelzen; Und traun kein Wunder wär's, wenn Ficht' und Eiche Von Milch und Honig träuften oder tanzten Zu eines Walzers Klängen. So gewaltig Wuchs schon der Kolben und Retorten Macht, So in die Wette mit dem Himmel thun Die Dampfmaschinen Wunder, und noch größre Erlebt die Zukunft. Denn zum Bessern stets Und immer Bessern unaufhaltsam stürmt Dahin des Sem und Cham und Japhet Same. Von Eicheln zwar wird sich die Welt nicht nähren, Wenn Hunger nicht sie zwingt; das harte Eisen Wird sie nicht von sich thun. Wohl wird sie Gold Und Silber oft verachten und vorlieb Mit Wechselbriefen nehmen. Auch vom Blut Der theuren Ihren wird das edelmüth'ge Geschlecht nicht lassen; ja von Leichen wird Europa starren und das andre Ufer Des weiten Oceans, das der Gesittung Stets neue Nahrung giebt, so oft zum Kampf Es Bruderschaaren sendet, handelt sich's Um Pfeffer, Zimmet, Zuckerrohr und all Die andern Würzen, oder was nur immer Den Sinn der Menschen nach dem Golde lenkt. Wahrhafter Werth und Tugend, Treu' und Demuth Und Rechtsgefühl, sie werden stets in jedem Gemeinen Wesen fremd und ferne bleiben Den Weltgeschäften, oder ganz und gar Darniederliegen, trauernd und besiegt. Denn von Natur sind sie bestimmt, auf immer Zurückstehn. Frechheit und Tücke werden Stets herrschen nebst der Mittelmäßigkeit, Und obenauf sein. Herrschaft und Gewalt, Ob du sie Wen'gen wünschest oder Vielen, Mißbrauchen wird sie stets, wer sie besitzt, Wie er auch heiße. Diese Satzung gruben Natur und Schicksal einst in Diamant, Und nicht mit ihren Blitzen löschen sie Volta und Davy aus, und nicht mit seinen Maschinen England, nicht mit einem Ganges Von Leitartikeln diese neue Zeit. Stets wird der Gute trauern, stets der Wicht, Der Schuft frohlocken. Erd' und Himmel werden In Waffen immer gegen hohe Seelen Verschworen sein. Der wahren Ehre folgt Verleumdung, Haß und Neid. Der Starke zehrt Den Schwachen auf, der Hungerleider frohnt Und dient dem Reichen stets, in welcher Form auch Der Staat regiert wird; nah und fern den Polen Und der Ekliptik wird's unwandelbar So sein, so lang der Mensch auf Erden wohnt Und ihm des Tages Fackel nicht erlischt. Mit solch geringen Resten, solchen Spuren Vergangner Zeiten muß die goldne Zeit, Die jetzt heranbricht, noch behaftet bleiben. Denn tausend Widersprüche, tausend feindlich Entzweite Triebe birgt die menschliche Gemeinde von Natur; die zu versöhnen, Zu stillen ihren Haß vermochte nie Die Macht des Geistes, seit dem Tage, da Dies herrliche Geschlecht entstand, und kein Vertrag, kein Zeitungsblatt, wie weis' und mächtig Es sei, wird's je vermögen. Doch in Dingen, Die wicht'ger sind, wird uns ein niegesehnes Vollkommnes Glück erblühen. Weicher werden Von Tag zu Tag, ob seiden oder wollen, Die Kleider werden. Ihre groben Stoffe Verschmähn der Bauer und der Handwerksmann; Baumwolle muß die rauhe Haut umhüllen Und Bieberfelle ihren Rücken wärmen. Mehr zum Gebrauch geeignet oder sicher Den Augen wohlgefälliger werden Polster, Teppiche, Sessel, Tisch' und Schemel werden, Betten und aller Hausrath, und den Zimmern Zu flüchtig wandelbarem Schmucke dienen; Kessel von neuer Form und neue Pfannen Wird in der ruß'gen Küche man bewundern, Und von Paris bis nach Calais, von dort Bis London, Liverpool, so zauberschnell, Wie man's zu denken kaum noch sich getraut, Geht dann die Reise, nein, der Flug. Und unter Dem tiefen Bett der Themse führt ein Durchgang, Ein kühn unsterblich Werk, das schon vor Jahren Vollbracht sein sollte. Besser auch beleuchtet, Als heutzutage, wenn auch sichrer nicht Zur Nachtzeit, werden selbst die Winkelgassen Der großen Städte sein, auch hie und da In kleinen Städten selbst die großen Straßen. So Herrliches, ein so glückselig Loos Beschert der Himmel unsern Nachgebornen. O glücklich Alle, die, da ich dies schreibe, Wimmernd und nackt erst in die Arme nimmt Die Wehemutter! Schauen soll'n sie diese Ersehnten Tage, wo durch lange Forschung Es nun bekannt ward und ein jedes Kind Es mühlos einsaugt mit der Ammenmilch, Wie viele Centner Salz und wie viel Fleisch, Wie viele Malter Mehl das Vaterstädtchen Verschlingt in jedem Mond, wie viel Geburten Und wie viel Todesfälle jährlich bucht Der alte Pfarrer; wo die Zeitungsblätter, Mit Dampfeswunderkraft in der Secunde Millionenmal gedruckt, Gebirg und Ebne, Auch wohl des Meers unendliches Gebiet, Gleich einem luft'gen Kranichschwarm, der plötzlich Der weiten Niederung den Tag verdunkelt, Erfüllen werden, Zeitungen, die Seele, Der Lebenshauch des Alls und dieser Zeit Und jeder künft'gen einz'ge Wissensquelle! Gleich einem Knaben, der sich eifrig müht, Aus Blättchen oder Spänchen ein Gebäude, Das einen Tempel, Thurm, Palast bedeutet, Emporzuführen, und kaum ist's vollendet, Schon daran denkt, es wieder einzureißen, Weil er dieselben Blättlein oder Spänchen Nun wieder braucht zu einem neuen Bau: So sieht Natur auch ihrer Werke keines, Wie kunstreich es auch prangen mag, vollendet, Daß sie's sofort nicht zu zerstören strebt', Auf daß zu anderm Zweck die Theile dienten. Und vor dem schnöden Spiel, deß Sinn ihm ewig Verborgen bleibt, beeifert sich umsonst Der Mensch sich selbst und Andre zu beschützen, Viel tausend Mittel tausendfach verwendend Mit kluger Hand. Doch aller Mühe spottend Vollführt Natur, ein eigenwill'ger Knabe, Ihr grausam launenhaftes Spiel, und rastlos Ergötzt sie sich an Bilden und Zerstören. Daher bedrängt ein bunt unzähl'ger Schwarm Unheilbarer Gebrechen und Beschwerden Den armen Sterblichen, der unabwendbar Dem Untergang geweiht; von inn' und außen Rings ihn umlagernd, eifrig unablässig Bekämpft ihn eine feindlich dunkle Macht Seit der Geburt, verfolgt, ermüdet ihn, Selbst unermüdlich, bis er endlich da liegt, Erdrückt, vernichtet von der grausen Mutter. Dies höchste Elend alles Menschenlebens, O edler Freund, das Alter und den Tod, Die schon beginnen, wenn des Kindes Lippe Aus zarten Brüsten Lebenssäfte saugt, Kann, dünkt mich, auch dies muntre neunzehnte Jahrhundert nicht, so wenig wie das neunt' Und zehnte von uns nehmen, und nicht besser Gelingt es auch in aller künft'gen Zeit. Doch darf man wohl einmal beim rechten Namen Die Wahrheit nennen: überhaupt nicht anders Als elend wird der Erdgeborne sein Zu keiner Zeit, nicht nur im Bann des Staates, Nein, auch in jedem andern Lebenskreise, Da von Natur schon er unheilbar ist Kraft des Gesetzes, welchem Erd' und Himmel Gleich unterthan. Doch eine neue Auskunft, Fast götterwürdig, fanden die erhabnen Geister der heut'gen Zeit: wohl können sie Den Einzlen nicht auf Erden glücklich machen; Drum gaben sie den Menschen auf und sannen Auf allgemeines Menschheitsglück; und weil Dies leicht gefunden war, so machten sie Aus viel Unsel'gen und Betrübten ein Glücksel'ges, heitres Volk. Und dieses Wunder, Das keine Zeitung, Monatschrift, Pamphlet Noch aufgeklärt, bestaunt die große Heerde. O welch ein hoher Geist, welch übermenschlich Genialer Scharfblick unsrer Zeit! Welch sichres Philosophiren, welche Weisheit, Gino, Wird in noch viel erhabnern, räthselvollern Problemen mein und dein Jahrhundert all Den künft'gen überliefern! Wie beharrlich Verehrt's heut auf den Knieen, was es gestern Verhöhnt hat, stürzt es morgen schon, und lies't dann Die Trümmer wieder auf, um übermorgen Neu aufgerichtet fromm sie zu beräuchern! Wie werth der Achtung, des Vertrauens muß Uns des Jahrhunderts, ja auch nur des Jahrs Einträchtig Denken sein; wie ängstlich wir Bedacht sein, unsre Meinung der des Jahres, Wie sehr sie der des nächsten widerspreche, So anzuschmiegen, daß in keinem Punkt Wir von ihr weichen! O wie herrlich weit – Vergleichen wir die neue Zeit der alten – Hat's heut schon unsre Schulweisheit gebracht! Einst von den Deinen Einer, wackrer Gino, Ein rüst'ger Meistersinger, ja in allen Künsten und Wissenschaften und Talenten Für alle Einst'gen, Gegenwärt'gen, Künft'gen Die kritische Leuchte, sprach zu mir: O schweige Von deinem eignen Herzen! Darnach fragt Dies männliche Geschlecht nicht mehr, das einzig Noch Staatswirthschaft studirt und ernst gespannt Die Politik verfolgt. Dein eignes Innre Erforschen, wozu frommt's? Stoff zum Gedicht Such nicht in dir. Besinge, was der Zeit Vor allem Noth, und wie gereift die Hoffnung. Denkwürd'ger Ausspruch! Ein gewaltiges Gelächter schlug ich auf, als mir das Wort Hoffnung vor dem profanen Ohr erklang, Gleich einem Witz im Lustspiel, gleich dem Lallen Aus eines kaum entwöhnten Säuglings Munde. Doch nun bekehr' ich mich und wähle künftig Den andern Weg, durch zweifellose Proben Nun aufgeklärt, daß man der eignen Zeit Nicht widersprechen darf, sie nicht bestreiten, Wenn Lob und Ruhm sie spenden soll, vielmehr Ihr unterwürfig schmeicheln; so auf kurzem Und glattem Weg gelangt man zu den Sternen. Ich drum, sehnsüchtig nach den Sternen, wähle Nicht die »Bedürfnisse der Zeit« zum Stoff Für mein Gedicht; für diese, stets sich mehrend, Wird ja vollauf gesorgt schon durch Fabriken Und Handel; doch die Hoffnung will ich feiern, Für welche schon ein sichtbar Unterpfand Die Götter uns bescherten: als Beginn Des neuen Glücks zeigt ja schon Lipp' und Wange Der Jünglinge den ungeheuren Haarwuchs. Gruß dir, du Rettungszeichen, erster Lichtstrahl Der wunderbaren Zeit, die nun heraufglänzt! Sieh, wie vor dir sich Erd' und Himmel schon Mit Helle schmücken, wie der Blick der Mädchen Von Freude sprüht und in Gelag' und Festen Der bartumlockten Helden Ruhm ertönt! Wachse dem Vaterland heran, so männlich, Moderne Jugend! Wachsen wird Italien Im Schatten deiner Locken, wachsen ganz Europa von des Tajo Mündung bis Zum Hellespont, und ruhen kann die Welt. Und du beginne früh die bärt'gen Eltern Mit Lachen zu begrüßen, zartes Kind, Dem goldne Tage winken; fürchte dich Vorm harmlos schwarzen Vaterantlitz nicht. Lache, du zartes Kind; für dich ja reift Die Frucht so vielen Schwatzens einst heran; Du sollst die Freude herrschen, Stadt und Land, Das Alter und die Jugend gleich zufrieden Und Bärte wallen sehn zwei Spannen lang.