XXIII. Nachtgesang eines wandernden Hirten in Asien. (1831.) Was machst du, Mond, am Himmel? Sag, was machst du, Du ewig stiller Mond? Am Abend erst erwachst du Und wanderst durch die Oede, und dann ruhst du. Bist du's nicht satt, von Neuen Die immergleichen Pfade hinzugehen? Entleidet dir's noch nicht, kann dich noch freuen, Die Thäler hier zu sehen? Wie ähnlich doch dem deinen Ist eines Hirten Leben! Früh muß er sich erheben, Die Heerde treiben übers Feld und sieht Heerden und Au'n und Quellen; Dann ruht er müde bei des Abends Schimmer, Und Andres hofft er nimmer. Sag mir, o Mond: uns Andern Was frommt uns dieses Leben Und euer Leben euch? Sag, wohin zielt Mein kurzes Schweifen hier Und dein unsterblich Wandern? Ein Greis, grau und gebrechlich, Nur halb bekleidet, barfuß, Den Rücken unter schwerer Last gebeugt, Der über Berge keucht, Durch Klüft' und Klippen, tiefen Sand und Hecken, Im Sturm, im Ungewitter, wenn die Luft Glüht oder eisig glastet, – Er läuft und läuft und hastet, Setzt über Ström' und Sümpfe, Fällt hin, steht wieder auf, eilt mehr und mehr, Zerfetzt, blutrünstig, bis er endlich anlangt, Wohin der Weg und dessen Vielfache Mühsal einzig hingelenkt, Zum unermessnen Abgrund, Und stürzt hinab, zu ewigem Vergessen. O keuscher Mond, dies eben Ist unser Menschenleben. Schwer tritt ein Mensch ans Licht, Und tödlich oft ist das Geborenwerden. Von Leiden und Beschwerden Wird er empfangen. Gleich zu Anbeginne Mühn sich die Eltern beide, Das Kind zu trösten, daß es nun soll leben, Und wächs't es dann, so pflegen Und hegen sie's und suchen, wie sie können, Es leichter ihm zu machen, Das Unglück, daß dem Leide Der Mensch verfallen ist trotz seinem Streben. Nichts Bessres weiß zu geben Der Eltern Lieb' und Treu' uns Armen, Schwachen. Allein warum entfachen Den ersten Lebensfunken, Wenn Trostes wir bedürfen, daß wir leben? Warum, wenn Leben Pein, Verdammt man uns zum Sein? O reiner Mond, das eben Ist unser Menschenleben. Du aber bist nicht sterblich Und wirst kaum Acht auf meine Klage geben. Doch du, einsame, ew'ge Wandlerin, Gedankenvolle, du vielleicht verstehst, Was dieses Erdenleben, Dies unser Leiden soll und unser Bangen, Was unser Tod bedeute, dieses letzte Erblassen unsrer Wangen, Dies von der Erde Schwinden und Entschweben Aus jedem Kreise, der uns traut umfangen. Du sicherlich verstehst All das Warum der Dinge, was der Morgen Für Frucht bringt und der Tag Und dieser stumm endlose Lauf der Zeit; Du weißt, du sicher, welchem holden Lieb Der Lenz zulächeln mag, Wem gilt des Sommers Glut, und was bezwecken Des Winters eis'ge Schrecken; Du weißt ja tausend Dinge, deren Kunde Dem schlichten Hirten tief verborgen blieb. Oft wenn ich dich betrachte, Wie stumm du dastehst überm öden Plan, Deß ferner Umkreis an den Himmel grenzt, Oder wie du mir folgst, Wenn ich die Heerde treibe sacht voran Und seh' die Stern' erglänzen dicht und dichter, Frag' ich mich in Gedanken: Wozu so viele Lichter? Was soll das weite Luftmeer, jener tiefe Endlose Aether? Was bedeutet diese Gewalt'ge Einsamkeit? Und ich, was bin ich? So grübl' ich bei mir selbst; und für dies Haus, So grenzenlos und herrlich, Für seine zahllos wimmelnden Bewohner, Dann für so vieles Mühn, so vieles Regen Der Wesen all', die Erd' und Himmel faßt, Umkreisend ohne Rast, Um doch zum Ausgang stets zurückzukehren, Vermag ich weder Grund Noch Zweck zu ahnen. Aber dir gewiß, Göttliche Jungfrau, ist dies Alles kund. Mir ist nur das bewußt, Daß von dem ew'gen Kreisen Und meinem schwachen Sein Vielleicht ein Andrer Lust Und Vortheil hat; mir ist das Leben Pein. O meine Heerde dort, wie bist du glücklich, Weil du dein Elend schwerlich wohl verstehst. Wie muß ich dich beneiden, Nicht bloß, weil von Beschwerden Beinah befreit du gehst Und aller Mühn und Fährden Und jeder höchsten Angst so bald vergissest, Nein, mehr noch, weil dich Langweil nie befällt. Wenn du im Schatten lagerst, auf der Wiese, Still und zufrieden bist du Und bringst in solcher Art Den langen Sommer ungelangweilt hin. Und ich auch sitz' im Schatten hier im Feld, Doch Ueberdruß befällt Mein Herz, und stachelnd wühlt in mir ein Weh, Daß ich, hier ruhend, ferner bin als je Von Ruh' und Rast und Frieden. Und dennoch wünsch' ich Nichts Und hatte nie zum Weinen Grund bis heut. Was dich ergötzt und freut, Ich weiß es nicht; doch hast du dein Behagen. Mir ist nicht Viel beschieden An Glück; doch darum klag' ich nicht allein. Nur, wenn du sprechen könntst, möcht' ich dich fragen, Warum, o liebe Heerde, In Muße jedes Thier Sich fröhlich mag begnügen, Und mir's zur Last wird, hier so still zu liegen? Vielleicht, wenn ich mit Flügeln Mich über Wolken schwingen Und einzeln all die Sterne könnte zählen, Oder dem Donner gleich auf Bergen schweifen, Wär' ich beglückter, meine traute Heerde, Wär' ich beglückter, heller Mond dort oben. Doch irrt vielleicht der Sinn, Der neidisch blickt nach andern Loosen hin. Vielleicht in Wieg' und Hürde, Und ob man niedrig sei, ob hoch erhoben, Ist Allen gleich das Leben eine Bürde.