97. Die Demuth Ich wuchs empor, wie Weidenbäume Von manchem Nord geschlenkt Ihr niedrig Haupt in lichte Wolken heben, Wenn nun der Frühling lacht. Ich kroch empor wie das geschmeide Ephen Durch Schutt und Mauern Wege findt, An dürren Stäben hält und höher Als Sie, zum Schutt an ihren Füßen Hinunter sieht. Ich flog empor, wie die Rakete Verschlossen und vermacht, die Bande Zerreißt und schnell, sobald der Funken Sie angerührt, gen Himmel steigt. Ich kletterte wie junge Gemsen, Die nun zuerst die Federkraft In Sehn'n und Muskeln fühlen, wenn sie Die steile Höh' erblicken, empor. Hier häng ich itzt aus Dunst und Wolken Nach dir furchtbare Tiefe, nieder – Giebts Engel hier? O komm ein Engel Und rette mich! O wenn ich diesen Felsengang stürzte, Wo wär, ihr Engel Gottes! mein Ende? Wo wär ein Ende meiner Thränen Um dich, um dich verlorne Demuth? Dich der Christen und nur der Christen Einziger, allerhöchster Seegen Heiliger Balsam! der die Wunden Des schwingeversengenden Stolzes heilt. Einzige Lindrung edler Gemüther, Wenn in der trostlosen, heißen, öden, Heißen, öden, verzehrenden Wüste Eitler Ehre sie sich verirrt. Wann sie schmachteten und nicht fanden Wo sie den Durst der Hölle stillten Der ihr Gebein verzehrte. Wann sie, verzweifelnd um Schatten, wählten Wege nach Morgen, nach Mittag, nach Abend Und nicht fanden, nicht fanden, nicht fanden Wo ein Schatten sie kühlete. Wenn sie auf unmitleidigen Sand hin- ab sich stürzten und strekten und weinten. Ach die Thränen rolleten auf und nieder So heiß war der Sand. Komm der Christen Erretter und Vater, Komm du Gott in verachteter Bildung! Komm und zeige der Demuth geheime Pfade mir an. Führe mich weit und nieder hinunter In ihre dunkeln Schattenthale Voll lebendiger springender Brunnen, Wo die Einsamkeit oder die Freude Also lispelt: »Komm' gerösteter Laurentius Unglükseeliger Sterblicher! Ruh' von deinem Streben nach Unglük, Ruhe hier aus. Oder wenn von glüklicherm Streben Du zu ruhen, Beruf in dir fühlest, Wenn deine Flügel sinken, Wenn deine Federkraft sich zurüksehnt, Du die Gebeine nur fühlst, der Geister All entledigt – Gerippe – Ruhe hier aus! Horch! hier singen die Nachtigallen, Auch Geschöpfe, wie du, und beßer, Denn ein Gott hat sie singen gelehrt Und sie dachten doch nie daran, ob sie Beßer sängen als andre. Hier, hier Sterblicher! sieh hier rauschen Quellen in lieblichen Melodien, Jede den ihr bezeichneten Weg hin Ohne Gefahr. Sieh hier blühen die Blumen wie Mädgen In ihrer ersten Jugend-Unschuld, Unverdorbene Lilien-Mädgen; Ja sie blühen und lächeln und buhlen Ungesehen und unbewundert Mit den Winden der lauen Luft! Lerne von ihnen, für wen blühn sie? Für den Gott, der sie blühen machte All in ihrer unnachahmlichen Blumen Naivetät. Sieh den Weg an! irrte hier jemals Ein animalischer Fuß? Blüh'n doch, blühen dem guten Schöpfer Der sie gemacht. Hier, hier Sterblicher! hier wo Jesus, Als er ein Knabe war, Hier wo Jesus, dein Jesus geschlummert Bis ins dreißigste Jahr. Hier wo Er aus dem Getümmel der tollen Plumpen Bewundrer sich hergestohlen, Hier seinen reinen Athem dem Vater, Seufzend über die Thorheit und Mühe Menschlicher Grillen, zurükgeschikt hat; Hier, hier Sterblicher! hier wo Jesus Von seinen Gottesthaten geruht, Hier, hier ruhe von den Spielen Deiner dir anvertrauten Kindskraft.