63. Matz Höcker An die Damen, An die Kunstrichter, Und an das ganze menschliche Geschlecht. Eine Chrie, von dem Verfasser selbst, unter beständigen Gesticulationen der linken Hand, in einer zahlreichen Gesellschaft verlesen 1 . Ein Schulmeister bin, Matz Höcker genannt, Bin fleißig gewesen, ist Gott bekannt, Drum darf, Gottlob! mich jezund nicht entblöden, Mit meiner gnädigen Herrschaft zu reden. Herr K ... hat solches angestellt, Zu Nuz und Frommen der teutschen Welt, Und weil mei'm Nebenmenschen allzeit gerne diene, Warum nit auch hierinn, Herr K ... Ihne? Also denn, gnädige Frauen verzeihn, (Die Herrn schliesse hier mit ein, Wie es die Mode thut mit sich führen,) Wenn mich verfehle im deklamiren, Und anbei noch was schüchtern thu, Wegen meiner zerrißnen Schuh. Und nit viel Capriolen darf schneiden, Weil meine Finanzen es nit wohl leiden, Wie der Philosophus Socrates that, Als er gedanzt beim Kallias hat. Ich weiß zwar wohl viele Junggesellen, Die heut zu Tag sich als Schulmeister stellen, Weil's meinen, in dem schwarzen Habit Kein Menschenkind ihre Pferdsfüß sieht, Und dürften sagen unbescholten, Vom Lehr- Nehr- Wehrstand was sie wollten 2 . ᾽Εν παροδω so denk ich nicht, Kommt alles doch zulezt ans Licht, Und werden am End doch müssen büssen, Alle die Herren mit den Pferdefüssen. Bin auch in s' manchen Städten gewesen, Hab alt und junge Bücher gelesen, Hab alles g'sehen und alles gehört, Bin jezo verständig und gelehrt. Will also gnädigen Frauen es wagen Meine Betrachtungen vorzutragen, Mit treuem Herzen und frohem Muth, Daß es der Welt nüzen thut. D' Bücher nu 'nd die Gesellschaften heuer Sind oder gar schlecht oder gar theuer; Bin hie und da doch rumgekommen, Habs aller Orten so vernommen. Der Nachdruck und die Bulerei'n, Sagt man, die sollen Schuld dran sein; Und weilen die Bücher doch s' Oel sollen geben Zur Gesellschaft und bürgerlichem Leben, Meint ich, die hohe Obrigkeit Steurte der Landplag zur rechter Zeit, Sonst die Gelehrten, die recht studieren, Alle müssen Hungers krepiren. Hab auch Bücher ohn' Ende gesehn, Alle gedruckt und gestochen schön, Süsser Wörter und Strich' die Menge, Brachten mir allen Verstand ins Gedränge, Daß ich am Ende, wie 'ne W – laus Gar nit wüßte ein oder aus. Habe des Specks so viel gefressen, Verlohr allen App'tit zum Essen, Dankte Gott und meinem Bart, Daß ich im Dorf Schulmeister ward. Hab auch an ei'm gewissen Ort konditschonirt 3 , 'N fürnehmen Häusern konversirt, Fund die Konversationen doch Schlimmer als die Bücher noch. All im dämmernden Wirrwarr schweben Und im Zweifel über Tod und Leben; Trauten unserm Herrngott gar Nicht mehr zu ein einzig gut Haar. Liessen in einer halben Sekunde Vierzigtausend Widersprüch' aus ihrem Munde, Hatten weder Freund noch Feind, Weil's nimmer wissen, woran sie seind. Schauten an ihre Nebenchristen, Wie die Akturen die Staatisten, Denkt keiner an den andern nicht, Denkt nur immer an das, was er spricht, Sucht den andern durch Lächeln und Lügen Wieder um Lügen und Lächeln zu betrügen. Meint jeder, er sei der Mann allein, Des andern Hirn sei von Holz oder Stein, Und seine Faulheit mehr Nuzen brächte, Als des andern sein schlaflose Nächte. Nun denk ich wohl oft, wie wohl ist mir Doch jezt in meinem Dorfe dafür. Kämen nur nit manche faule Mähren, Mir meine Bäuerlein auch 'fzuklären Und einzublattern ihnen Wind, Dass gleich mit allem fertig sind, Und Gott und Menschen lernen verachten, Drüber mit Leib und Seele verschmachten. Ach, gnädige Herren, groß und klein, Bitte, wöllet uns lassen allein, Uns verspotten nach Herzens Begehren, Nur unsre Leutlein nit spötteln lehren. Raumt aus bei euch so viel ihr wollt, All euern Mist und all euer Gold, Treu, Redlichkeit und Aberglauben, Wollen euch gern die Vernunft erlauben, Euch respektiren hoch und sehr. Gnädige Herren, was wollt ihr mehr? Dürft ich euch aber, um vergnügter zu leben, In aller Unterthänigkeit einen Rath doch geben, Bindt euch mit mehr Menschen an, Jeder vom andern lernen kann. Gott allein die Bekehrung g'höret, Ein Mensch den andern zum Teufel bekehret. Gott woll' mir verzeihen die Sünd, Konnte kein ander Wort finden geschwind. Hätt' ich viel Geld zusammen geschrieben, Gieng ich aufs Dorf, ein Maidel zu lieben, Weil man eure grünen Augen in der Stadt Und Wallnußgesichter doch nicht gern hat. Und wär ich ein altes Maidel geblieben, Gieng ich aufs Dorf, einen Schulbuben lieben, Kauft ihm Kleider und Näscherei'n, Würde gewiß erkanntlich sein; Liesse die Gecken darüber lachen, Die sonst nixs g'scheiders wissen zu machen, Und sich kultiviren krumm und blind, Bis sie selbst zum Gelächter sind. Hier die Romanen, und all Gottesgaben Ihren wahren Grund doch haben; Und ihr rezensirt doch stets wie'n Huhn, Wenn selbst nit wöllet erfahren thun. Hier d' Metaphysik und die Dogmatik, Und die Moral, die Aesthetik und Statik, Aller Theorie Betrug Finden muß aufzubeissen genug. Hier würd' euch der Kützel vergehen, Daß ihr beständig was neues wollt sehen, Immer wie Wickelkindelein Ueberrumpelt und eingelüllt sein, Immer an Licht und Schimmer euch weiden, Gar keinen Schatten dazwischen mehr leiden, Allzeit leben im süssen Traum, Keinem Gefühl lassen Zeit und Raum. Ach, so machtens nit unsre Vorfahren, Die schwer zu küzeln und glücklicher waren, Aber auch nicht im höchsten Glück Nahmen ihr butterweich Herze zurück. Liessen alles seine Zeit dauren, Wußten zu lachen, und wußten zu trauren, Liebten ewig, haßten schwer, Hatten das Herz nie dürftig und leer. Hier findt ihr auch noch Wörter regieren. Die ihr längst thätet verbannisiren, Und euern Umgang gemacht so arm, Wie eine Dorfgeig' mit einem Darm. Hier nimmt der Leib und seine Glieder Sein' alten freiherrlichen Rechte wieder. Hier ist unserer Dirnen Brust Noch der Augen und Ohren Lust. Hier steht man ohne Respekt auf den Füssen, Darf Nahrung und Kleid nit verbrämen, versüssen, Rücket den Strohhut über das Ohr, Als ein Biedermann herzhaft hervor, Denkt nit an die verwandten Ideen, Darf dem Schelm auf d' Perüke sehen. Hier ists nit wie in euern Gassen, Wo nichts wird gethan, noch gelassen, Ohne daß gleich Rezensenten schön Rund umher auffangende stehn. Wers nit versteht, nit nach mag grübeln, Schweigt lieber still, wird ihm niemand verübeln; Weg zur Kunst ist verborgen und tief, Besser redt spat, als urtheilt schief. Bei euch wird die Liebe so geistlich getrieben, Plato selbst wird konfus bei eu'erm Lieben; Ihr pfeift stets feiner und höher hinaus, Und pfeift sie am Ende zum Schornstein 'raus. Ist das ein ewiges Reimen und Singen, Ein ewiges lächerliches Feilschen und Dingen, Jeder des andern im Herzen lacht, Wenn er ihn treuherzig gemacht. Die Herrn wollen nur ihren Stil exerciren, Die Dames wollen für schön passieren, Und käm' man bis auf den Herzens-Grund, Sie liebten sich beide wie Katz und Hund. Gott schütz und bewahr vor der Art zu lieben, Solchen Roman hat der Böse geschrieben; Der kalte Wohlstand drüber heckt, Wie'n Schornsteinfeger mit Ruß bedeckt, Den er weiß sorgsam abzuschaben, Und überlässet das Feuer den Knaben. Bei uns ein Handdruck, ein Stoß mit'm Knie Ist unsre ganze Poesie. Dafür ist uns auch das Leben nit theuer, Und springen für 'nander durchs Feuer. Wir fragen nit erst warum, wozu, Du Bub, du Maidel, liebest du? Das heißt in Engel des Lichts sich stellen, Das nennet sich Lieb, und führet zur Höllen. Die Absicht reiner Lieb ist klar, Daß da nur Lieb', nit Absicht war. Wenn also den Herren Magnaten Ich darf in Unterthänigkeit helfen und rathen, Schlagt euer galantes Wörterbuch zu: Wer liebt, der schwäze nit viel, der thu! Erlaubt euch dafür mit dreisteren Wörtern Natürlich unschuldige Ding zu erörtern, Und schreiet nit gleich, wie die Venus schrie, Als der General Diomed blessirte sie. Wenn manchmal Wörter voll Feuer und Leben Sich mitten unter euch wie Raketen begeben, Und brennen auf die Leidenschaft los; Der Pulvergestank ist drum nit so groß. Die Damen selbst sich zu allem gewöhnen, Und dürfen alsdann so viel doch nit gähnen. Denn heurig' Poeten fliegen doch nicht, (Die Luft ist so dünn,) oder kriegen die Gicht, So lang sich die Kränz'gens die Sprache so lähmen Ihr alle ihre Wörter und Schnellkraft nehmen. Nehmt einem Mahler die Farben weg, Und laßt ihn was mahlen aus Wasser und Dreck! Hätten die alten Nationen Sich so lassen die Oehrlein schonen, Kaiser Alexanders Kopfküssen Homer Sein Sprach gieng gewiß durch kein Nadelöhr. Ueberhaupt wollet ihr immer nur scherzen! Was vom Herzen kömmt, das gehet zu Herzen. Nun aber treibt ihr dess nur Scherz, Denkt weder Poet noch Leser ans Herz. Poet will nur was in Beutel schreiben, Leser will nur seine Zeit vertreiben. Seid gleich gut Freund mit jedermann, Seid gleich aus'nander, seht euch nit mehr an. Soll der Poet denn sich winden und richten Nach euern schaalen Alltagsgeschichten? Das übrig', und mögt' die Welt untergahn, Hat gar nichts zu sagen, geht euch nit an. Drum kann's nit fehlen, Kopfweh und Schlummer Ist eure einzige Freud, euer einziger Kummer. Nun aber, gnädige Frauen, nun Will wieder zu ihnen mich wenden thun; Hat mir jener Ort am Herzen gelegen, Um dort den Sauertaig auszufegen. Wollen verzeihen die Paranthesis, Welche so groß war, wie Herr ** seine gewiß. Haben auch Sie in Flecken und Städten Gar viel Schulmeister und Poeten, Welche alle, jung und alt, Ich in hohen Ehren halt. Hab' auch im Homerus gelesen, Daß ein gewisser Bettler gewesen, Welcher nach vieler Gefährlichkeit Unter Freund und Feinden, in Lumpen gekleidt, Durch den Oceanus ist geschwommen, Und ist zu seiner Frau Liebste gekommen, Hat da eine Menge Buler g'sehn, Thäten all seinem Weibe schön, Auf sein' Rechnung pokulirten, Und ein' Studentenhaushaltung führten. Dacht der arme Mann bei sich, Blieb' ihr Herz nur g'treu für mich, Könnt ihnen meinethalb meine Reben Roh und gekeltert zu saufen geben, Liegt an Haus und Meubeln mir nichts. Und wie er dachte, sieh so geschichts. Immer und immer dem armen Weibe Trauerte das Herz im Leibe, Sah ihr Gesicht gleich aus so froh Wie ein Berlinisches Allegro. Fußnoten 1 So eben erhalten wir die Nachricht, daß dieser redliche, einfache, und wegen seiner geraden Art zu denken und außerordentlichen Lebhaftigkeit im Umgange überall hochgeschätzte und beliebte Mann, die sonderbare ihm aber ganz ähnliche Idee gefaßt, seinen kleinen Schuldienst zu verlaßen und nach Philadelphia als Prediger zu gehen. 2 Siehe die Schrift: Die Schleuder eines Hirten-Knaben. Von Höcker. H.D.I. 3 In Paris, einer Stadt, die nun freilich mit den Gesinnungen und ganzen Gedenkart unsers treuherzigen Schulmeisters einen grausamen Contrast machen mußte.