Neunter Gesang Jetzo kam Eloa zurück von dem Throne des Richters. Voll von tiefen Gedanken und langsamer schwebt' er des Tempels Zinne vorüber, trat in der Väter Versammlung und sagte: »Eh ich rede, betet mit an; denn ich will anbeten, Eh ich rede!« Da sanken sie All' auf ihr Angesicht nieder, Beteten still den Unendlichen an. Mit eben der Stille Standen sie auf. Eloa verstummte noch. Endlich redt' er. »O Du, welchen der Name nicht nennt, der Gedanke nicht denket, Erster! Zu ihm erhub ich mich, wollte von Antlitz zu Antlitz Schaun, der Gericht hielt, schaun den Unausgesöhnten im Dunkeln, In der furchtbaren Herrlichkeit, Gott! Ich kam an die Sonnen; Und die dämmerten! kam zu des Himmels Pole; da rangen Trübe Schimmer mit Nächten! Ich ging zu dem Throne; da wurd' es Dunkler um mich, und nun noch dunkler, und nun ... Doch ich suche Namen und finde sie nicht, wie es um den Unendlichen Nacht war! Keine Namen dem Schauer, der von dem Unendlichen ausging! Und ich stand, und ich hörte von fern die Ströme der Hölle Rauschen unter der tiefen verstummenden Schöpfung. Ich schwebte Langsam weiter. Da rufte der erste der Todesengel Gegen mich her: ›Weß Schweben ist dieses Endlichen Schweben?‹ Und ich bebte zurück, sank auf mein Angesicht nieder, Betet' ihn an und verstummt' und betet' ihn an, der Gericht hielt.« Also sagt' er und wandte sich weg und verhüllte sein Antlitz. Jesus war sein Haupt zu dem Herzen niedergesunken, Und es schien, als schlummert' er. Selbst der lästernden Menge Ungestüm legte sich, wie an dem unbestürmten Gestade Endlich das Weltmeer ruht. Die den Göttlichen liebten, umirrten Golgatha oder die äußerste Fern', aus der den Versöhner Noch mit weinendem Blick sie zu sehn vermochten. Doch Jeder Mied den Andern, damit sie sich nicht die tiefe Wunde Tiefer grüben, sprächen sie sich. Nur der Jünger der Liebe Und des Leidenden Mutter verließen sich nicht. Sie standen Unten am Kreuz. Der Jünger, der schwur, daß er Jesus nicht kenne, War die schlaflose Nacht und den Morgen umhergezittert, Hatte Ruhe gesucht und keine Ruhe gefunden. Also irret ein Sohn bei Geripp und Scheiter am Meere, Dem sein Vater nicht ferne von ihm an einem der Felsen Umkam; sprachlos irrt er umher und sieht unverwendet Nach dem Felsen, auf dem sein Vater geschmettert und todt liegt. Endlich rufet er jammernd gen Himmel: er habe den Vater, Ach, er hab' ihn verlassen, im tiefen Meere verlassen! Petrus ermattet itzt ganz und bleibt auf einer der Anhöhn Nah an Golgatha stehn und läßt die bleicheren Hände, Die er nicht mehr zu ringen vermag, hinsinken. Sein Schutzgeist, Seraph Ithuriel, sieht ihn und gießet ihm einige Tropfen Ruh in das Herz. Nur dieses vermag er jetzo zu geben, Ob er gleich ein Unsterblicher ist. Der traurende Jünger Fühlt die Lindrung und kommt so weit zu sich selbst, daß er aufsieht Und mit wünschendem Auge nach seinen Freunden umhersucht, Daß er zu ihnen gehe, sie ihn bestrafen und trösten. Aber er stand noch immer und sah nach Jerusalem nieder. Denn zu dem Hügel hinauf, dem Todeshügel, zu sehen, Dieses vermocht' er nicht. Sein Aug' arbeitet mit scharfem Untersuchenden Blick, die stolze Stadt zu erkennen. Aber sie lag, so weit sie Gefilde deckte, so hoch sie Thürmte, gehüllt in traurende schwerbelastende Dämmrung, Fürchterlich da. Kaum daß noch von seiner Zinne der Tempel, Und von den steigenden Thürmen der Sion sterbenden Schimmer Sinken ließen. So lag Jerusalem. Petrus wandte Nach der Seite sein Auge, von der ein dumpfes Gemurmel Kam, Gespräche der Fremdlinge, die zu dem Feste gekommen Waren und jetzo eilten, am Kreuz den Propheten zu sehen. Petrus geht zu ihnen herab. Nach seinen Geliebten Suchet er unter den stilleren Haufen. Er suchte vergebens. Jetzo hält ein Gespräch ihn. Ein Mann in fremdem Gewande, Glänzend gekleidet und schwarz von Gesicht, fragt einen der Greise, Dessen Auge Vertraulichkeit ist, und dem ein geliebter, Zarter, bebender Sohn an dem Arm hängt: »Aber so sag denn,« Sprach der Fremdling, »was hat er, daß sie ihn tödten, verbrochen?« – »Was er verbracht? Sie tödten ihn, weil er den Kranken Genesung, Gehende Füße den Lahmen, den Tauben Ohren, den Blinden Augen gab, die Besess'nen – ich war der Elenden einer – Ihren Qualen entriß, ach, weil er die Todten erweckte, Weil er in mächtigen Reden die Pforten des ewigen Lebens Unseren Seelen eröffnete, weil er ein göttlicher Mann war. Aber (er sah, indem er sich wendete, Petrus) Du siehst hier, Fremdling, einen seiner Geliebten, die der Prophet sich Auserwählete, daß sie ihn sähen und hörten, und die er Von der wahren Verehrung des Ewigen Alles gelehrt hat. Unterrichte Du selbst« – er kehrt zu Petrus sich – »lehre Diesen Fremdling und mich, warum sie den Göttlichen tödten. Laß, Mann Gottes, laß Dich erbitten und wende Dein Antlitz Nicht von mir weg! Du kennest ihn, Du warst sein Erwählter! Brüder lieben sich so nicht, als Du und Johannes ihn lieben.« Petrus wandte noch immer sich weg, nicht, weil er erkannt war, Denn itzt war er zu sterben bereit. Das Wort von Johannes Und ihm selber durchdrang sein innerstes Mark ihm. »Ihr Freunde,« Sprach er endlich mit stammelnder Wehmuth, »was ich zu sagen Jetzo vermag, das ist: Es stirbt der beste der Menschen!« Mit dem eilenden Worte verlor er sich unter die Menge. Aber Samma und Joel und Candacens Vertrauter, Welchen nachher Philippus von Gottes Geiste gerufen, In die Quelle des Heils eintauchte, gingen mit Staunen Hin nach Golgatha. Petrus entdeckt' in der Ferne Lebbäus, Wie er in Trübem an einem verdorrenden Baume gebückt stand, Und ging gegen ihn hin. Nun kam er nahe; Lebbäus Aber erkannt' ihn noch nicht. Ihn redete Petrus mit leisem, Brechenden Laut an: »Hast Du ihn auch an dem Kreuze gesehen? Zwar auch Du bist elend, doch darfst Du zu ihm Dein Auge Offen erheben; aber ich ... O, lindre mein Elend! Hier, hier blutet sie mir, hier blutet die brennende Wunde! Einen Laut nur, den einzigen Trost nur von meinem Geliebten! Aber Du schweigst?« Noch schwieg er. Vergebens rang sein Gefühl sich, Nun zur Stimme zu werden. Doch waren sein bebendes Antlitz, Seine Thränen nicht sprachlos. Allein die Tröstung berührte Simon's Seele nur leise. Mit schwerem Herzen entweicht er, Ueberläßt sich von Neuem der Menge Wogen und treibt so Mit dem Strome. Da er itzt einem der eilenden Haufen, Weggedrungen, entkommt, da sieht er auf einmal Andreas, Seinen Bruder, vor sich. Er wollt' ihn fliehen; allein er Winket ihm zu, daß er sich mit ihm noch weiter entferne. Nunmehr wendet Petrus sich um: »Mein Bruder, mein Bruder!« Und umarmt ihn, nicht feurig wie sonst: mit müder Umarmung Faßt er ihn um und weint an des Bruders Halse. »Mein Bruder, Ach, mein Bruder!« erwidert mit sanfter Wehmuth Andreas. »Gerne wollt' ich, allein ich kann, ich kann's nicht verschweigen! Simon, es blutet mein Herz mit Deinem Herzen! Den besten Unter den Menschen, den treusten, den liebevollsten der Freunde, Gottes Sohn, den hast Du vor seinen Feinden verleugnet!« Göttliche Traurigkeit, Dem, den er verleugnete, heilig, Voller herzlicher Dank, geweiht der Treue des Bruders, Waren in Simon's Augen; allein der Mund verstummte. Und sie hielten und sahen sich kaum. Dann gingen sie seitwärts Hand in Hand und sahen sich kaum. Zuletzt entsanken Ihre Hände sich, und sie verließen einander. Des Trostes Stets noch bedürftig, noch immer voll heißes Durstes nach Troste, Ging der einsame Petrus. Nicht lang', so schreckt' ihn der Anblick Zweener Männer, die er verehrte. Zwar wollt' er entrinnen; Aber sie waren zu nah. »Kennt uns des göttlichen Lehrers Theurer Jünger nicht mehr?« sprach Joseph von Arimathäa. »Simon, wir sind auch Jünger. Wir waren es heimlich; doch jetzo Sind wir bereit, uns zu ihm vor allem Volk zu bekennen. Nikodemus, mein Freund, Du kennst den Edlen, er that's schon Vor der Versammlung des Raths. Mit unerschüttertem Muthe Sprach er für Jesus; ich aber, ach, ich bekannt' ihn so spät erst, Nur durch das Weggehn, als Nikodemus der Sünder Versammlung, Sich nicht mehr zu entweihn, verließ.« – »So hemme denn, Joseph, Theurer Joseph, den Schmerz,« sprach Nikodemus, »der immer Deine sanfte Seele noch quält. Du gingst ja mit mir weg! Du bekanntest ihn ja!« Mit thränenhellerem Blicke Richtete Joseph sein Auge gen Himmel: »Erhör, o, erhöre, Du Gott Jesu und Abraham's Gott, warum ich Dich anfleh'! Den ich so schwach, da er lebte, bekannte, laß Den mich, Du Helfer, Wenn er todt ist, mit Muth vor Aller Auge bekennen!« Hier schweigt Joseph. Indem sein Gebet zu des Ewigen Throne Stieg, und zu ihm die Erhörung mit ihren Gnaden herabkam, Wandte sich Nikodemus zu Petrus: »Du blickest, o Simon, Wehmuthsvoll von uns weg. Wir fühlen's, was Du empfindest; Ach, wir empfinden den Tod, der den heiligsten unter den Menschen Jetzt zu tödten beginnt und vielleicht den gefürchteten Schlag bald, Bald den letzten gethan hat! Allein, o liebender Jünger, Sag es uns auch, geuß diesen Balsam in unsere Seelen, Daß uns dies Dein Auge voll Wehmuth zugleich nicht mit anklagt, Daß wir vordem den göttlichen Mann insgeheim nur bekannten. Doch wir verdienen es wol.« Wie ein Baum, ergriffen von Sturme, Nach der einen Seite durch bleibendes Brausen gebogen Steht, so stand mit gewandtem Gesicht der bebende Petrus. Aber itzt unterlag er der Angst, verhüllte sich, flohe, Suchte Ruh in größerer Qual. Denn er kehrte mit Eile Zu dem Todeshügel zurück. Er war zu des Hügels Fuße mit schwerem Schritt gekommen. Ihm athmet sein Leben Schneller, und jetzo wagt er es, zu dem Kreuze die Augen Aufzuheben, allein nicht bis zu des Sterbenden Haupte. Unten am Kreuz erblickt er, nicht fern von einander, Johannes Und die Mutter des großen Geopferten, Beide vor Jammer Eingewurzelt, Beide verstummt, und thränenlos Beide. Auch nicht fern umgaben das Kreuz nicht wenige Treue, Welche von Galiläa gefolgt dem Göttlichen waren. Wie geringer Geburt, wie unbeladen vom Glücke, Wie unmerklich der Welt sie auch waren, so hat der Geschichten Ewigste doch aus dem redlichen Haufen einige Namen, Einige theure Namen erhalten der glaubenden Nachwelt. Engel nannten sie früher mit neuen Namen am Throne. Magdale Maria, Maria, die Mutter Joses' Und Jakobus', Maria, die Mutter der Zebedäiden, Und Du, deren Schwester, die jetzt den besten der Menschen, Ihren einigen Sohn, am langsamtödtenden Kreuz sah, Auch Maria genannt: Die waren von Denen, die näher Kamen zum Kreuz als Viele, die auch den Göttlichen liebten! Magdale Mirjam war zu der Erde niedergesunken. Sehnsuchtsvoll, zu sterben, nun auch zu sterben, entriß sie Jeder Hoffnung, jeder Erinnrung der Wunder des Mittlers Sich mit Ungestüm, ward von ihrer Traurigkeit Strome Unaufhörlich ergriffen und fortgeschleudert. So lag sie Auf dem Hügel und füllte mit ihrer Klage den Himmel. Sie zu trösten geneigt, obgleich selbst trostlos, redet Joses' sanfte Mutter sie an und verstummt im Reden. Bleich steht in der dämmernden Nacht der Zebedäiden Klagende Mutter. Sie ringt die Hände gen Himmel und blicket Starr hinauf und staunt, daß die göttliche Rache noch säume. Ganz von Schmerze betäubt und so vor Traurigkeit sprachlos, Daß die schwache Lindrung der Seufzer, auch die ihr versagt war, Kniete nicht fern von Maria, der Mutter des göttlichen Dulders, Ihre Schwester und sah in der Nacht den Blutenden schweben. Keiner beklagt wehmüthiger diese Beängsteten, Keiner Herzlicher als der gerettete mitgekreuzigte Jüngling. Aber auch der Unsterblichen Blicke, den Vätern entgehen Dieser Traurenden Schmerzen nicht ganz, ob sie am Versöhner Gleich mit jeder von ihren erhabnern Empfindungen hangen. Abraham hatte die Rettung des mitgekreuzigten Jünglings So mit Freuden des ewigen Lebens erfüllt, daß er Alles, Was der Sterbende that, mit inniger Liebe bemerkte. Jetzo bewegt' ihn das Mitleid, mit dem der geheiligte Jüngling Auf die frommen Leidenden sah, so sehr, daß er schnell sich Seinem verstummten Erstaunen entriß und zu Moses sich wandte, Welcher, verstummt wie er, bei ihm stand. Der erhabene Vater Von dem zwölfgestämmten Judäa sprach zu dem Stifter Jener Hütte, die, lang' des Allerheiligsten Vorbild, Opferte, zu dem Schreiber des gottgebotnen Gesetzes: »Was wir sehen, o Sohn, was diese wenigen Stunden Uns enthüllen, davon wird Ewigkeiten Dein Vater Sich mit Dir besprechen. Itzt, da das verstummende Staunen Mich verlassen hat, wollen wir diesem grenzlosen Meere Einige Tropfen entschöpfen. Du sahst auf Horeb des Mittlers Herrlichkeit, ich in Mamre's geweihetem Haine. Da war er Sanfter, da tönte des Göttlichen Mund melodische Gnaden. Ebenso sanft, so süßbetäubend erklang mir die Stimme Von dem geretteten Sünder, von meinem Kinde.. Mein Jubel Ström' in die Jubel der Himmel, daß Du die Sünder erlösest, Gottgeopferter! Wie dem nahen Grabe der Jüngling Sanft zulächelt! wie ihn die Erbarmungen Gottes beseelen! Wie der Friede des ewigen Lebens sich über ihn breitet! Wie gerührt er zugleich, obschon des besseren Lebens Ruhe so nah, und wie voll Mitleid die Leidenden anblickt! Aber, daß meine Kinder den Allerheiligsten tödten, Keine Reue sie schmelzt, sie nicht, wie Jener, zurückfliehn: Ach, was würd' ich darüber, wofern ich noch sterblich am Grabe Stünde, was würde darüber ihr grauer Vater empfinden! Was mir Gabriel gern verschweigen wollte, nicht konnte, Laß den trüben Trauergedanken, doch schnell und geflügelt, Vor Dir über, o Sohn, dann zurück zur Vergessenheit gehen: Der mit diesen Wunden zum Weltgerichte wird kommen, Hat prophetisch gesprochen den Gottverlaßnen ihr Urtheil. Auch sie haben es über sich selbst gesprochen. Der Heide Wollt' ihn nicht verdammen; sie aber thaten es, riefen: ›Ueber uns komme sein Blut und über unsere Kinder!‹ Ach, hat nur kein Engel des Todes die schrecklichen Worte Nicht mit eisernem Griffel in ewige Felsen gegraben Und vor Gott sie gestellt! Ich seh', ich sehe die Völker Aller Enden, so weit der Aufgang strahlt und der Abend, Alle Menschen zum Kreuz des Gottversöhners versammelt, Aber meine Kinder nicht mit!« Ihm erwiderte Moses: »Vater Isak's und Jakob's und jener Treuen, die dennoch, Ob zu dem Bilde das Volk gleich lief, Jehovah verehrten, David's Vater und Der, die den Gottversöhner geboren, Und Deß Vater, der nun Söhnopfer blutet, o, hebe, Abraham, auf Dein Aug' und sieh! Zwar, was ich Dir sage, Weißt Du Alles; doch ist es gut die gesehene Wahrheit Wieder zu sehen. Sie sind ein Volk des Gerichts und der Gnade! Er, der thun wird, was er gethan hat, der Unerforschte, Der mit der Rechten Erbarmung, Gericht mit der Linken herabwinkt, Hat sie auf einen Felsen gestellt, dem Menschengeschlechte, Allen Söhnen des Staubes, zum strahlenhellen Beweise, Daß es in ihrer Gewalt sei, Tod oder Leben zu wählen. Wer nun unter ihnen den warnenden Felsen entdeckt hat, Wenn ein solcher Pilger der Erdewanderschaft dennoch Nicht aufschauet und lernt, der verwirft sich selber. Sein Blut sei Ueber ihm selbst, wenn er nun jenseit des Grabs zu dem andern Größeren Tod hinunter geführt wird!« So endete Moses. Abram begann von Neuem: »Du hast das dankende Lächeln, Sohn, gesehn, mit dem ich Dich hörte. Vielleicht, wenn sie lange Als ein furchtbares Mal gestanden, zu sündigen haben Aufgehört – denn es trägt des Vaters Sünde der Sohn nicht – Dann, o Moses, vielleicht, dann werden sie (sanftes Entzücken Ueberfällt mich, und Friede von Gott umlächelt mein Auge), Ach, dann werden sie zu dem Gottversöhner, zum Retter Aller Menschen, zu ihm, der sie des Tags in der Wolke Und in seiner Flamme die Nacht nach Kanaan führte, Der an dem Kreuze für sie auch blutete, wiederkommen! Kommt, kommt wieder, o, kommt zu Dem, der Euch retten will, wieder, Meine Kinder, zu Ihm, zu Ihm, den Ihr tödtetet, wieder! Zu dem geschlachteten Lamm! kommt wieder zum ewigen Leben!« Betend schaut' er gen Himmel. Ihn sah der Geliebte, die Tröstung Seines Alters, sein Sohn. Der Jüngling kam zu dem Vater. Denn ihm war die Jünglingsgestalt nach dem Tode gegeben, Daß er dem Himmel auf ewig den Gottgeopferten bilde. Isak sprach: »Ich sah in Deinem Antlitz, o Vater, Deine Gedanken von fern. Ach, unsere Kinder tödten, Den, der für sie sich heiliget, tödten sie! Ewiger Richter, Du erbarmst Dich noch ihrer und trägst sie auf Adlersflügeln, Wie Du aus Aegyptus sie trugst, zu ihrem Erretter! Seligkeit gießet diese Betrachtung, Entzückungen gießt sie Mir in die Seele! Noch eine durchströmt mich mit heiligem Schauer. Ach, Du weißt es noch wol, als Du auf jenem Gebirge – Heilig, auf immer heilig ist mir die Stätte des Opfers – Als Du dort zum Altare mich führtest. Dein freudiger Sohn ging Neben Dir her und wollte mit Dir dem Ewigen opfern. Aber, da ich nunmehr auf dem Opferholze gebunden Lag, und der heilige Brand bei mir aufflammte, mein Auge Thränend gen Himmel blickte, Du mich das letzte Mal küßtest, Dann Dich wandtest und nun den blinkenden Dolch, den Verderber, Ueber Deinem Geliebten emporhieltst, da ... Doch von dieser Stunde Trauren schweig' ich! Jahrhunderte Freuden bekrönen Sie mit Seligkeit! Ach, Dein Isak wurde gewürdigt, Gottes Opfer, das Opfer, das nun auf Golgatha blutet, Vorzubilden! Entzückung und sanfte Traurigkeit rinnen Durch mein unsterbliches Leben!« Er sprach's, und Abraham's Stimme Hauchte mit leisem Lispel ihn an. Sie sprach zu dem Sohne: »Laß uns zu dem Geopferten beten!« Dann knieten sie Beide Dicht an einander. Ein Arm war um den andern geschlungen, Ihre Hände nach Golgatha hin gefaltet, und Abram Betet': »O Du – allein mit welchem göttlichen Namen Soll ich zuerst Dich nennen, Du großer Sündeversöhner? Oder hörst Du Dich lieber die Wonne der Glaubenden nennen? Sohn des Vaters, was hab' ich, seitdem Dich in Bethlehem's Hütte Eine sterbliche Mutter gebar, was hab' ich empfunden! O Du weinendes Kind, mit welchem Donner durchhalltest Du die Himmel, als Du an dem Staube der Sterblichen weintest! Unbegriffen von Engeln, doch ihrer Jubelgesänge Höchste Begeisterung, hülltest Du Dich in niedriges Leben! Kaum, daß sie Dich noch erkannten; Du aber thatst es und gingest Auf dem erhabenen einsamen Wege daher und dachtest Deinen Tod. Du bist zu dem großen Ziele gekommen, Jenem Ziele, nach dem Du seit Ewigkeiten herabsahst, Lange, lange zuvor, eh ich war! Unendlicher, Du nur Konntest diesen Tod, den Erretter, zum Ziele Dir wählen, Meinen Erretter und aller Söhne des ersten Gefallnen! Und nun blutest Du, nun, ihn zu sterben! Wir halten, o Gottmensch, Unser Mitleid zurück! Denn Du bist über das Mitleid Aller Endlichen weit erhoben; allein wir empfinden Diesen großen gefürchteten Schlag, mit welchem der Tod Dich Trifft, der die weite grenzlose Schöpfung herab und hinauf bebt, Wir empfinden ihn mit! Erbarme Dich unser, erhabner, Ewiger Mittler, damit wir ihn nicht zu mächtig empfinden! O Du Menschlicher! mehr, noch mehr erbarme Dich Jener, Die an dem Staube dort stehn und dem Staube verwandter als wir sind!« Abraham betete so. Sie schwiegen Beide. Darauf kehrt Isak sich um und fragt: »Wer sind die kommenden Seelen, Welche der Cherub gegen das Kreuz herführet?« Indem war Schon die schimmernde Schaar dem Kreuze näher gekommen. Wie ein Morgen erhuben sie sich. Sie hatten vor Kurzem Ihre Leiber, die sinkenden Hütten, verlassen. Es waren Seelen aus jedem Geschlecht der Menschen. Von Wende zu Wende Wurde jetzo gebracht der schnellverzehrenden Flamme Oder dem Grabe der Leib. Sie waren das kleinere Leben, Ihrem Herzen getreu und rein, wie ein Sterblicher rein ist, Durchgewandelt; allein kein gottgesendetes Licht war, Ihnen zu leuchten, gekommen. Sie führte der denkende Cherub, Wie sie voll des ersten Erstaunens über das neue Höhere Leben waren und still zum Allmächtigen flehten, Tausend Seelen. Zu ihnen kehrt der Cherub sein Antlitz. Abraham und die Väter vernehmen's, was er herabruft Zu den Seelen, indem an dem nächtlichen Kreuze sie schweben. »Was Ihr sehet, erwägt's mit allen forschenden Kräften, Die Euch zu der Betrachtung ließ die fromme Bewundrung. Keiner, welchen ein Weib gebar, kann ohne den Mittler, Der an dem Kreuze vor Euch dort blutet, den Ewigen schauen. Seelen, ich künd' Euch an das Geheimniß der Ewigkeit. Jesus Wird der Name genannt des Göttlichen, der für die Menschen, Für die Verbrecher, des Todes Erben, dem Richter sich opfert. Siehe, des Ewigen Sohn und einer sterblichen Mutter – Ach, dort steht sie am Kreuz – ward Jesus der Erde geboren. Leiden und Beten und Wunderthun und Lehren und Leiden War sein Leben; und nun – der ganzen Ewigkeit Wonne Hänget daran – nun stirbt er für alle Erdegebornen, Stirbt für Euch! Wär' er von dem Anbeginne der Welten Nicht erkoren gewesen zum Gottversöhner, so stürbt Ihr Nun den ewigen Tod, den alle Sünder einst sterben, Denen sein Heil verkündiget wird, und die es verwerfen! Gott, der Euer künftiges Leben vor Eurer Geburt sah, Weiß, Ihr hättet das Heil des Erlösenden angenommen, Hätt' er das Leben, das Euch an der Erde Staube bestimmt ward, Mit den Tagen vereint der göttlichen Botschaft von Jesus. Seelen, um Jesus' willen hat Euch das Wesen der Wesen Los von der Strafe der Missethat gesprochen! Ihr seid nun Rein vor Gott! Den Ihr zu erkennen rangt, nicht erkanntet, Er hat Eure Thränen gesehn; das Flehen, der Sünde, Die Ihr fühltet, wie wenig Ihr auch die tödtende kanntet, Euch zu entreißen, dies innige Flehn, unsterbliche Seelen, Hat er in seinem Himmel erhört! Es betete da schon Der am Kreuze für Euch, daß Euch sein Vater erhörte Und in Euch der Missethat tiefbrennende Wunde Heilete! Denn Ihr wart zu dem ewigen Tode verwundet! Sinkt auf das Antlitz und dankt dem Wiederbringer der Unschuld, Eurem Mittler, dem Geber des ewigen Lebens, dem Dulder Jesus, des Ewigen Sohne, dem Sohn der sterblichen Mutter!« Unaussprechlich gerührt, von sanfter Wehmuth, von Staunen Und von Seligkeit voll, sank jede der Seelen nieder, Betete zu dem Sohne, dem wunderbaren Erretter, Zu dem Sterbenden, der, eh Welten wurden, sie liebte. Salem, Johannes' Engel, und Selith, der Hüter Maria's, Sprachen, als sie vor sich die dankenden Seelen erblickten, So mit einander: »Wie diese Begnadeten, Selith, es fühlen, Daß sie es sind! Wie in ihnen den Frieden des ewigen Lebens Seine Wunden, des liebenden Mittlers Wunden erschaffen! Ach, sie sind nun auf immer der Trübsal des sterblichen Lebens, Sind auf immer dem Schmerze der Staubbewohner entrissen! Aber unsre Geliebten, so überschwänglich begnadigt, Sonst mit Frieden von Gott, mit jeder Ruhe beschattet, Zwar noch Pilger, allein die der Sterblichkeit Bürde nicht fühlten! Aber nun ... Wie haben der Mutter, des Freundes Entzückung Diese Wangen voll Tod, die grabverlangenden Blicke, Diese strömenden Wunden getrübt! O Selith, ich fühl' auch, Fühle das Schwert, das durch die Seele den Weinenden gehet!« »Salem, ich sah viel Leidende, sah viel duldende Menschen; Aber keinen so elend als sie! Doch mischt sich Bewundrung In mein Mitleid. Was vor ein Anblick ist diesem zu gleichen, Menschen, die der Ewige liebt, so leiden zu sehen? Aber was mir mein Erstaunen mit Beruhigung mildert, Ist die Tröstung, die Gott dann oft den Leidenden sandte, Wenn sie nun kaum noch hofften, und wenn die blutende Wunde Ihnen am Tiefsten in den zerrissenen Seelen itzt brannte. Und, o Salem, wofern die Begier, die beiden Geliebten Wieder in Gottes Ruhe zu sehen, Selith nicht täuschte, Sah ich, sah jetzt eben im sanften Auge des Mittlers Kommende Tröstung für sie!« So redete Selith und irrte Nicht in seinen Gedanken. Des Gottversöhners Erbarmung Konnte gegen Johannes sich nicht und die Mutter in Jammer Länger nicht halten. Er sah auf sie mit Blicken herunter, Welche mit neuem Leben ihr sinkendes Leben durchströmten. Und er neigte, sie anzureden, sein göttliches Antlitz Gegen sie nieder. Da hörte mit bebendem Warten die Mutter Freudigbang, als ob sie vom Tod erwacht', in die Höhe. Und zu ihr kam die Stimme des ewigen Sohnes herunter: »Meine Mutter, er ist Dein Sohn!« Darauf zu dem Jünger: »Sie ist Deine Mutter!« Die beiden Liebenden wandten Sich mit Staunen und Dank und Thränen gegen einander. Aber der Sterbende schwebte, von Gottes Gericht belastet, Litt, was zu denken die Seel' erbebt, was zu sagen die Sprache, Selbst der Himmel, die Gott an dem Throne besingt, verstummet. Stille voll Tiefsinn schwieg um den Todeshügel. Die Erde Zitterte unaufhörlich in ihren Tiefen; doch wurden Ihre verborgneren Schauer noch in den Thalen nicht hörbar, Wo Jerusalem lag. Erst einmal war die Erschüttrung Zu der Empörerin aufgestiegen. Dunkles Gefühl nur, Etwas, das von fern herdroht, noch versenkt in der Zukunft Meere, doch rauscht schon Fluth des Gehobnen, Ahndung von Rache Wegen des Blutes, das jetzo floß, befiel in dem ganzen Weiten Drang um Golgatha her mit Graun des Volks Herz. Aber der Erde geheimes Entsetzen bebt' in den Klüften Eines finstern Felsengebirgs, zu welchem, daß einsam In der Erd' Abgrund er trauerte, ferne vom Oelberg Abbadona geflohn war. Er saß an dem Hange des Felsen, Sah dem stürzenden Strome, der ihm bei den Füßen herabfiel, Starrend nach und begleitete mit hinhörendem Ohre Jeden Donner des schäumenden Stroms, der hinab von den Höhen Ueberhangender Berge von Abgrund rauschte zu Abgrund. Schnell empfindet er unter sich wandelndes Beben; dann stürzen Neben ihm Felsen bin. Abbadona schreckte der Erde Lautes Trauren! So nannt' er ihr Zittern. »Jammert die Erde, Daß der Staub ihr Kinder gebar? und ist sie ermüdet, Ihrer Söhne Verwesung in ihrem Schooße zu tragen, Ihnen ein ewiges Grab, das stets von neuem Gebeine Schwillt, inwendig fürchterlich ist, ob es außen der Frühling Gleich mit der Blume beduftet? Ach, oder klagt sie den großen, Göttlichen Mann, den am Berg in Mitternächten ich sahe? Leiden sahe, was nie ein Endlicher litt? Was ist wol Jetzt sein Schicksal? Und warum weil' ich, ihn wieder zu suchen? Ist mir die Hand des ernsten Gerichts auf der oberen Erde Etwa näher als hier? Ihr kann ich nirgends entfliehen! Flöh' ich auch aus der Schöpfung, sie würde doch mich ergreifen! Ja, ich such' ihn! Ich will der furchtbaren Duldungen Ausgang Sehen, will ganz die erstaunungsvolle Begebenheit wissen! Aber wenn ihn nur nicht so vieler Himmlischer Schaaren Stets umgäben! Als ich vor ihm jüngst flohe, wie schreckte Mich ihr schleuniger Anblick! Und, wagt' ich der Himmlischen Schimmer Nachzuahmen und kühn in einen Engel des Lichtes Mich zu verwandeln, würden mich nicht die Blitze des Richters Schnell enthüllen? die Engel mich nicht in meiner Gestalt sehn? Aber Satan thut es ja, er, so mit größern Verbrechen Gott erzürnt hat als ich! der unnachlassende Sünder Thut es! Dazu verhehl' ich in meinem Herzen voll Jammers Keinen niedrigen Zweck, warum ich mich also verstelle! Aber soll ich es, soll sich Abbadona verstellen? Geh, Verworfner, in Deinem Elend! Also beschließ' ich, Nicht zu gehn und das Ende des wunderbarsten der Leiden Nicht zu wissen? Denn wie vermöcht' ich der Cherubim Herschaun, Das zu empfinden und nicht zu fliehn?« So denket er, schwingt sich, Zweifelnd noch, aus der Tief' empor. Kaum hat er der Erde Oberen Staub betreten, als er mit Erstaunen zurückbebt. Denn er sahe vor sich in schreckenden Nächten die Erde Liegen. »Am Mittag,« dacht' er, »in diesen belastenden bangen Finsternissen! Ist sie nun auch dem ernsten Gerichte Reif geworden? und soll sie vergehn? Des Ewigen Schrecken Ruhen auf ihr! Die Hand des Allmächtigen hat sie ergriffen! Und warum? Hat ihr Schooß den wunderbaren Erdulder In sich begraben, und fordert von ihren Söhnen ihn Gott nun? Aber kann er sterben? Wohin ich blicke, verwirrt mich Jeder neue Gedanke! Viel besser eil' ich und such' ihn, Seh' ihn und lerne dadurch, als daß ich einsam hier grüble.« Als er so sich entschloß, da stand er am waldichten Gipfel Eines Gebirgs und sucht' in der überhüllenden Dämmrung, Lange sucht' er die heilige Stadt mit fliegenden Blicken; Sah sie endlich, wie Trümmern, auf denen bewölkender Dampf schwimmt, Ferne liegen. Und nun – es bebeten ihm die Gebeine, Da er es that – nahm er die Gestalt der Engel des Lichts an, Seine Jünglingsgestalt, worin er im Thale des Friedens Schimmerte. Aber sie ward ein fernnachahmendes Bild nur. Zwar floß glänzendes Haar auf seine Schultern hernieder, Unter den glänzenden Locken erklangen ihm goldene Flügel, Und die Klarheit des werdenden Tages deckte des Seraphs Leuchtendes Antlitz; doch fast entrann die Thräne den Augen. Endlich flog er den bebenden Flug. Wo am Dicksten die Nacht lag, Diesem Gefilde nähert' er sich. Zu dem Todeshügel Strömt' am Dicksten die Nacht vom schweigenden Himmel herunter. Als er an dem Gestade des todten Meeres heraufschwebt, Höret er fürchterliches Gebrüll der steigenden Wasser, Mit der Wogen Gebrüll gequälter Verzweiflungen Jammern. So, wenn die Erde bebt und gerichtbelasteter Städte Eine, nun eine der großen Verbrecherinnen, verurtheilt, Mit der sinkenden sinkt, so winseln dann mit dem schnellen Dumpfen Donnerschlage der unterirdischen Rache Todesstimmen herauf. Noch einmal bebet die Erde, Und noch einmal ertönen mit ihr entheiligte Tempel, Stürzende Marmorhäuser und ihrer zu sichern Bewohner Todesstimmen. Es flieht der bleiche rufende Wandrer. Abbadona vernimmt mit des todten Meeres Getöse So das Gebrüll der beiden Gerichteten, kennt sie, entsetzt sich, Flieht mit wankendem Fluge die jammerhallenden Ufer. Und nun nähert' er sich der Cherubim Kreise. Ein schnelles, Unbezwingbares Schrecken ergriff ihn, als er den vollen, Himmelglänzenden Kreis der Ungefallnen erblickte. Bald wär' ihm die lichte Gestalt in entstellendes Dunkel Wieder zerflossen! Die äußersten Engel, vertieft in das Anschaun Deß, so den wunderbaren, den fündeversöhnenden Tod starb, Sahen den Kommenden nicht. Allein Eloa erblickt' ihn, Schnell erkannt' er ihn, denkt: »Du Gottverlassner! ... Der bange, Jammernde Seraph, will er den Gekreuzigten sehen? Er sah ihn Schon an dem Oelberg leiden! Er suchet ihn wieder! Wie elend Ist er! Geschmolzen von dieser gebeugten daurenden Reue! Fast seit seiner Erschaffung in diese Thränen ergossen! Gott, Weltrichter, Du wirst mit ihm es Alles vollenden, Was Du beschlossest! Und ich, wie könnt' ich über sein Schicksal Noch erstaunen? Ist nicht, durch den die Unsterblichen wurden, Jesus Christus am Kreuz, den ewigen Tod zu erdulden Und zu sterben der Menschen Tod?« Er fällt auf sein Antlitz Betend nieder und liegt und weint zu dem großen Erdulder. Jetzt erhub er sich, winkte der Engel einem. Der Seraph Stand vor ihm da. So sprach Eloa: »Fleug zu den Engeln Und den Vätern, sage zu ihnen: Mit zweifelndem Zittern Nahet sich Abbadona. Wofern er in Eure Versammlung Noch zu kommen es wagt, so laßt den Traurenden kommen. Denn er naht sich mit Thränen, zu sehn den sterbenden Mittler. Keiner gebiet' ihm, zu fliehen! Laßt ihm die quälende Lindrung! Denn es umgeben das Kreuz schuldvollere Sünder, als er ist!« Abbadona umzitterte noch die Versammlung der Engel, Zweifelte, schwebt' und stand und glitt an dem Boden. Er wäre Gerne geflohn; allein er ermannte sich durch den Gedanken: Keinen Geringeren als den Versöhner könnte der große Festliche Kreis der Engel umgeben. Nun wagt' er es, schwebte In den schreckenden Kreis. So wie die Engel ihr Antlitz Wendeten und ihn erblickten, so sahen sie bange Verstellung, Todtes Lächeln und Glanz, der keine Seligkeit strahlte, Tausendjährigen Gram, unüberwindliches Trauren, Abbadona. Sie ließen mit stillem Mitleid ihn fortgehn. Und er näherte sich dem nachtbelasteten Hügel, Sah die Gekreuzigten, wandte sich. »Nein, ich will sie nicht sehen, Nicht der Sterbenden Antlitz! Ihr Gram verwundet zu tief mich! Führt zu trübe Bilder vor meinem Geiste vorüber! Klaget zu laut vor dem Richter mich an! Denn, ach, der gewandte, Kurze, fliegende Blick auf ihre Wunden durchflammt mich Schon mit wüthender Angst! Mitunglückselige Menschen Und so sehr mitschuldige, daß durch schwarze Verbrechen Eure Brüder Euch zwingen, sie vor dem Antlitz der Sonne, Feierlich vor der Versammlung unzählbarer Mengen zu tödten! Nein, es soll sie mein Auge nicht sehn, die Ihr jetzt der Verwesung, Grausam oder gerecht, zusendet! Dem trüben Gedanken, Qualenvoller, entreiß Dich dem ängstlichen Todesgedanken! Den ich suche, wo find' ich ihn auf? Ja, diese Versammlung Aller Himmel ist nicht umsonst heruntergestiegen! Sie umgiebt ihn! Er ist auf dieser heiligen Stätte! Aber wo? In Gethsemane war das furchtbarste Dunkel, Wo er war; doch hier strömt's auf den Hügel der Schädel, Und da kann er nicht sein. O, wenn ihn ein Engel mir zeigte! Wenn ich fragen dürfte, mir dann ein Engel ihn zeigte! Unglückseliger! Wenn sie mich nur an dieser Erschüttrung, Dieser schleunigen Wehmuth nicht kennen, zu fliehn mir gebieten! Nein, sie bemerken mich nicht, vertieft in große Gedanken Von dem göttlichen Manne, zu dem sie der Richtende sandte! Ach, wo ist er? Ist er vielleicht in des deckenden Tempels Allerheiligstem? Betet er dort von Neuem? und soll ihn, Wie er leidet, kein Endlicher mehr, nicht den blutigen Schweiß sehn, Welcher ihm von dem Angesicht rinnt? Doch der Himmlischen Augen Sind ja mehr auf den Hügel als auf den Tempel gerichtet, Wenn ich anders es seh', wohin sie blicken. Verworfner! Ja, so bist Du erniedrigt, Du darfst Dein Auge, der Scham voll, Nicht zu den Gottgetreuen erheben, obgleich Du es wagtest, Ihnen selber in ihrer verklärten Gestalt Dich zu zeigen! Auf dem Hügel der Schädel? Vielleicht, daß er dort, wo Verbrecher, Diese lautesten Zeugen des Falls der Sterblichen, bluten, Was er auf Erden zu dulden beschloß, vollendet? Vielleicht liegt Unter Gebein der Göttliche dort und fleht zu dem Richter? Ach, so muß ich denn wieder zum Todeshügel mein Antlitz Wenden!« Er wandt' es, doch schwebet' er bang mit säumendem Fluge; Seitwärts schwebt' er hinab und suchte lange mit scharfen Schnellen Blicken unter den Kreuzen. Er findet Johannes Und begleitet des Jüngers Blick mit geheftetem Auge. Und der Geopferte für die Verbrecher hing in die Nacht hin, Schien mit brechendem Aug' ein Grab zu der Ruhe zu suchen. Als von dem ersten Entsetzen sich Abbadona emporwand, Dacht' er: »Es ist nicht möglich! ist nicht möglich! er ist's nicht! Sterben? es ist nicht möglich! Allein, Ihr Himmel, was wag' ich Mir zu überreden? Ich täusche mich nicht! Ich seh' ihn! Ja, er ist es dennoch! Ach, den ich sah an dem Oelberg, Leiden sahe, was nie ein Endlicher litt, Dein Opfer, Unerbittlicher Richter, er ist es!« Er sank zu dem Hügel Tiefer hinab. »Hier will an der Erde Staub ich,« so dacht' er, »Auf das Ende des unerforschlichsten aller Gerichte Warten und, wenn's ein Endlicher kann, den göttlichen Dulder Sterben sehn! Was ist es in mir, das wie Ruh mich besänftigt? Ist es der Angst Betäubung? ist es wirkliche Hoffnung? Ach, der Hoffnungen beste, vernichtet zu werden? O, täusche, Einzige Hoffnung, täusche mich nicht! Mich däucht ja, ich dürfe Um die Vernichtung dem Richter itzt flehn! Es däucht mich, er werde Jetzt mich erhören! O, wenn der göttliche Dulder sein Haupt nun, Richter der Welt, an dem Kreuze geneigt hat, und Du ein Vergelter, Daß wir die Sünd' erschufen, ach, zu der Sünde verführten, Einige dieser Verbrecher als Todesopfer dem Schatten Deines Getödteten weihst und an seinem Grabe vernichtest: Ach, dann sondre mich auch, den Verworfensten unter den Sündern, Abbadona mit aus, daß Du dem Todten mich opferst! Ach, dann bin ich nicht mehr, dann fühl' ich der nächtlichen Qualen Flamme nicht mehr! Ich war einmal; dann bin ich vergangen, Aus der Wesen Reihe verlöscht, bin auf immer vergangen, Von den Engeln, von allen Erschaffnen, von Gott vergessen! Sieh, ich neig' entgegen mein Haupt, Gott, Deiner Allmacht! Würdige, Richter der Welt, mich, daß sie mit geheimer Berührung Oder mit fallendem Strahl aus Deiner Schöpfung mich tilge!« Also wünscht, so wähnet er, hoffen zu dürfen; er freut sich, Und er entsetzt sich über die Hoffnung. Er schwebt' an dem Staube, Blickte zum blutigen Kreuz hinauf, zu dem sterbenden Mittler, Dachte mit jedem fliegenden Blick, der Göttliche würde, Nun, nun sterben. Und trüberes Graun, vernichtet zu werden, Ueberströmte mit jedem Gedanken ihn. Sichtbar verdunkelt, Stand er und strebet' und rang, die lichte Gestalt zu behalten. Da er also strebt' und sich in der Bangigkeit wandte, Sah er nicht ferne von sich bei einem der Kreuze, zur Rechten Jenes höheren Kreuzes, das mitten schreckender aufstieg, Dort auf einmal in Strahlen den mitgeschaffnen, geliebten, Furchtbaren Abdiel schweben. Die ringsumglänzenden Engel Hüllet' ihm Dunkelheit ein. Die Schöpfung ward ihm zu enge. So ergriff ihn die Angst, es würde sein Freund ihn erkennen. Was in ihm Unsterbliches war, die geistigen Kräfte Alle ruft er zurück, daß Abdiel ihn nicht erkenne. Eilend, als wär' er von Gott aus fernen Welten zu andern Fernen Welten gesandt und dürft' auf der Erde nicht weilen, Wandt' er zu Abdiel sich und sprach die geflügelten Worte: »Sag, Geliebter, Du weißt es vielleicht: Wenn ist es dem Mittler, Daß er sterbe, gesetzt? Mir ward, daß ich eilte, geboten, Und ich wünsche doch auch, die heilige, gottgewählte, Schreckliche Stunde, wo ich auch sei, anbetend zu feiren!« Abdiel stand gewendet. Allein nun kehrt er sein Antlitz Auf den Verlornen und sagt mit Ernste, den Wehmuth mildert: »Abbadona!« So steigt ins Gesicht des blühenden Jünglings, Welchen der rufende Blitz erschlug, die Farbe des Todes Schleunig herauf; so strömte des Abgrunds Nacht in das Antlitz Abbadona's empor. Die Heiligen sahen ihn alle Dunkel werden. Er floh aus ihrem schreckenden Kreise. Als er am fernen Himmel bei Palmenbüschen hinabsank, Kam an der anderen Seite des Wäldchens ein bebender Todter Dunkler als Abbadona herauf. Die Himmlischen sahn ihn. Und es sprach zu dem Andern der Himmlischen einer: »Wer ist er, Jener Verworfne, der dort von den Palmen gegen uns herkommt? Wie die Hand des Gerichts ihm seine Stirne gebrandmarkt, Wie der ewige Tod den Gottverlassnen entstellt hat! Aber er wagt's, in unsre Versammlung zu fliehn! Doch ich staune Jetzt, Geliebter, nicht mehr. Erkennst Du den hohen Obaddon, Der dem Todten gebeut? Ach, es ist der Geist des Verräthers!« Nunmehr brachte den bangen Verworfnen der Todesengel Näher zum Kreuz herüber; nun sahn ihn die Himmlischen alle! Dunkel, ein Flecken der Nacht, die über die Erd' herabhing, Angstvoll, als wenn, wohin er auch schwebete, über ihm Blitze Sich zu entzünden, unter ihm sich die Erde zu öffnen, Jene des Rächenden Feuer auf ihn herunter zu schleudern, Diese mit gleichem Ergrimmen ihn zu verschlingen bereit sei: Also näherte sich dem Kreuze der Geist des Verräthers. Und er sahe – das mußt' er – zum Todesengel Obaddon Unverwendet empor. So wie die Rechte des Seraphs Und in der schreckenden Rechten das flammende Schwert sich bewegte Und den Flug ihm gebot, so flog der gerichtete Sünder. Jetzo blieb Obaddon auf einer hangenden Wolke Mit dem Bebenden stehn und sprach mit gebietender Stimme: »Schau, Verworfner! Da liegt Bethania! Kaiphas' Hütte Hier! dort unten das Haus, wo Du seines Todes Gedächtniß Auch empfingst! Da ist Gethsemane! jener Dein Leichnam! Bebest Du? aber fleuch nicht!« Er streckte das flammende Schwert aus. »An dem Kreuz, das umnachteter über die andern heraufragt, Der ist Jesus Christus! Er stirbt, sich wegen der Menschen Gott zu opfern, ihr Leben und ihren Tod zu versüßen, Diesem Tode, den Du jetzt leidest, dem ewigen Tode Sie zu entreißen und sie zu erhöhn zu der Gottheit Anschaun! Diese Wunden, aus denen das gottversöhnende Blut quillt, Glänzen, wenn er mit ihnen dereinst, ein Richter der Welt, kommt! Und nun wende Dich, Todter!« Mit niedergebückter Verzweiflung Wendete sich der Todte. Von ihm entlastet Obaddon Schnell der Heiligen Kreis. Schon schweben sie unter Gestirnen. Und die unübersehbare Weite der schweigenden Schöpfung Schreckt den Verräther. Ein schneller, ihm qualenvoller Gedanke Von dem allgegenwärtigen Richter erschüttert ihn. Lange Bebet er, eh er es wagt, zu dem Todesengel zu sagen: »Fürchterlichster der Engel, vernichte mit dem entflammten, Blitzewerfenden Schwerte mich! Ach, zu dem ewigen Richter, Führe zu seinem Throne mich nicht!« – »Gehorch und verstumm Du!« Also gebot ihm der Todesengel, und zürnender führt' er. Endlich stand auf der Sonnen einen (das flammende Schwert wies) Judas Ischariot still, bei ihm der Engel des Todes. Und er zeigt dem Verräther von fern den Himmel der Gottheit, Ihrer sichtbarsten Herrlichkeit Stätte, die Stätte des Anschauns. Ob der Richter itzt gleich in heiliger Dunkelheit thronte, Und die Halleluja des ewigen Lebens, die Feier Seiner Gerechten um ihn, und ihre Wonne verstummten: Dennoch war der Himmel nicht minder Himmel, der Gottheit Würdiger Sitz; und selbst für die ersten der Seligen hatt' er Nichts von seiner den Menschen undenkbaren Wonne verloren. »Dies,« so sagt' Obaddon zum Gottverworfenen, »dies ist Gottes Himmel, der seligsten Offenbarungen Schauplatz, Welcher Die, so ihn lieben, der Unaussprechliche würdigt. Gott hat vor den Endlichen jetzt sein Antlitz verborgen. Auf dem Throne, den Nacht – fall nieder, beb und verzweifle – Heilige Nacht, wie sie Dein neues Auge noch nie sah, Schreckend umhüllt, dort schauen wir sonst die Herrlichkeit Gottes! Jener himmlische Hügel, er heißet Sion. Auf ihm wird Er, so vom Anbeginne der Welt für die Menschen erwürgt ist, Oft den vollendeten Frommen mit seinen Gnaden erscheinen. Zwölfe jener goldenen Stühle, die Du auf dem Sion Gleich den Sonnen erblickest, sind des Erlösenden Jüngern Von dem großen Belohner bestimmt. Auf diesen, Verräther, Richten die Jünger dereinst die Welt. Du warest ein Jünger! Jammere nicht, daß vernichtet Du werdest; Du jammerst vergebens! Schau! So viele Dein Auge der Herrlichkeiten des Himmels Jetzt zu entdecken vermag: so viele Qualen hat Gott Dir Hier, Gerichteter, zugemessen! Vergebens bestrebst Du Dich, Ohnmächtiger, nicht zu dem Himmel hinüber zu blicken! Lerne die Allmacht kennen des Richtenden! Felsen im Meer gleich, Die kein Sturm nicht bewegt, sollst Du hier stehen und schauen! Daß er in diesen Himmel, zu dieser ewigen Ruhe, Die ihn lieben, erhöh', stirbt Jesus Christus am Kreuze!« Mit den Worten verließ Obaddon ihn, schwebte zum Himmel Weiter hinüber und blieb auf der Sonnen einen des Himmels, Anzubeten. Er kommt zurück von dem ernsten Gebete Zu dem Verworfnen, der stehet und schaut und ewigen Tod fühlt. »Wende, Todter, Dich! komm! Ich führe Dich jetzt zu der Hölle, Deiner ewigen Wohnung!« So sprechen Donner, so sprach es Mit zerschmetternder Stimme der Todesengel und eilte. Und schon näherten sie der Hölle sich, hörten von ferne Ihr Getöse, das an der äußersten Schöpfung Gestade Brüllend schlug und unter den nächsten Sternen verhallte. In dem Raume, den Gott ihr in dem Unendlichen abmaß, Wälzt sie sich, keiner Ordnung gehorsam, auf und nieder, Keinem Gesetz der langsamen oder schnellen Bewegung, Fleugt sie eilend einher; so hatte Gott ihr geboten, Ihrer Bewohner neue Verbrechen durch wildere Flammen, Durch geschärftere Pfeile des ewigen Todes zu rügen. Damals flog sie mit wüthender Eil' herauf. Der Verworfne Und sein mächtiger Führer verlassen die Grenzen der Welten, Schweben hinab zu der Hölle Thor. Der Engel des Todes, Der es hütet, erkennt Obaddon, sieht den Verbrecher, Der sich neben ihm krümmt und noch zu entfliehen sich martert. Aber unter dem flammenden Schwerte gebückt, muß er eilen. Und der herrschende Seraph, des Abgrunds Hüter, eröffnet Mit weitschmetterndem Krachen die diamantene Pforte. Lägen Gebirge darin, sie würden den furchtbaren Eingang Nicht ausfüllen; sie würden nur rauher ihn machen. Obaddon Bleibt hier stehn mit dem Todten. Es führet kein Weg zu der Hölle Schreckenden Tiefen. Es wälzen sich nah bei der Pforte die Felsen Unabsehlich hinab, durch träufelndes Feuer gespaltet. Sprachlos, schwindelnd, bleich, mit weitvorquellendem Auge Blickt das Entsetzen hinunter. Der göttlichen Rache Vollender Stand an diesem Grab – hier schläft der Tod nicht – mit Dir still, Judas Ischariot, Du Verräther! Da sagte der Seraph Weggewendet, allein das niedersinkende Schwert wies In die Tiefe: »Dies ist der Gerichteten Wohnung und Deine! Daß sie nicht, die Erdegebornen, die Sünder, den Tod hier Leiden, den ewigen Tod, stirbt Jesus Christus am Kreuze!« Also sagt er und stürzt den Verworfnen hinab in den Abgrund, Eilet, entschwingt der Hölle sich, fliegt durch die Welten. Itzt kömmt er Zu dem Altar des Geopferten Gottes, zu Golgatha wieder, Steht und wartet auf neue Befehle der zürnenden Allmacht.