Episteln Andreas an Anna. 1. Liebes Mädchen! sahst du nicht, wie gestern Ich auf hohem Berge lang gelegen, Blickend auf das weiße Kreuz im Tale, Das die Flügel deines Fensters bilden! Glaubt' ich schon, du kämst durchs Tal gewandelt, Sprang ich auf, da war's ein weißes Blümlein, Das sich täuschend mir vors Auge stellte. Lange harrt' ich, aber endlich breiten Auseinander sich des Fensters Flügel, Und an seinem weißen Kreuze stehst du, Berg und Tal ein stiller Friedensengel. Vöglein ziehen nah an dir vorüber, Täublein sitzen auf dem nahen Dache, Kommt der Mond, und kommen alle Sterne, Blicken all dir keck ins blaue Auge. Steh' ich einsam, einsam in der Ferne, Habe keine Flügel hinzufliegen, Habe keine Strahlen hinzusenden, Steh' ich einsam, einsam in der Ferne! Gehst du, sprech' ich mit verhaltnen Tränen: »Ruhet süß, ihr lieben, lieben Augen! Ruhet süß, ihr weißen, weißen Lilgen! Ruhet süß, ihr lieben, lieben Hände!« Sprachen's nach die Sterne an dem Himmel, Sprachen's nach die Blumen in dem Tale. Weh! o weh! du hast es nicht vernommen! 2. Sage mir, mein liebes Mädchen: Was bedeutet dieser Traum? Vor dem Fenster meiner Zelle Steht halbwelk ein Rosmarin. Träumte mir: es sei aus ihm heut Schnell ein Rosenstock gesprossen, Voll der düftereichsten Rosen, Hätt' sich auch ein Lorbeer grünend Um den Rosenstock gewunden. »Rosmarin ist Wehmut, Trennung, Rosen deuten Lieb' und Freude, Lorbeer deutet Ruhm und Sieg.« Darum fülle, blaues Auge! Dich fortan nicht mehr mit Tränen, Laß allein mein dunkles Auge Still umwölkt in Tränen stehn. Darum blicke, blaues Auge! Nimmer trübe an den Himmel, Sieh! sonst blickt er wieder trüb. Und wohin kann ich noch schauen Als gen Himmel, wenn ich nimmer In dein Auge schauen kann? 3. Blick' aus deinem Fenster, Liebe! Schaue über die blauen Berge: Denn dort will ich an den Himmel Dir ein licht' Gemälde malen. Steigen aus der Näh' und Ferne Hohe Berge an den Himmel, Stürzen helle, kühle Quellen In ein blumicht, grünes Tal. Stützt der Wanderer im Tale Auf den Stab sich, einzuatmen Jugend, Freiheit, Liebe, Kraft. Steht gelehnt an einen Felsen, Unter Laub und Rebenblüte Dort ein kleines Haus verborgen, Steh' ich vor dem kleinen Haus. Kommt vom Bache, Kräuter tragend, Dort ein liebes, junges Wesen, Bist du es – die Meine längst. Ist kein Lauscher mehr zu fürchten, Drück' ich dich, du süßes Wesen! An ein treues Herz voll Liebe, Offen vor des Himmels Aug'. Aber weh! o wehe, Mädchen! Siehst du dort nicht jenen Raben? Ächzend fliegt er durch den Himmel Und verlöscht mit schwarzem Fittich Mein Gemälde, weh! o weh! 4. Bin ich wie ein Kind, das seine Mutter Erst verloren, weinend in der Nacht steht: Sieh! so bin ich, seit ich fern gezogen. Stund im Traum' ich heut auf unserm Berge, Blick' ich in das tiefe Tal hernieder. Such' dein Haus ich, aber find' es nimmer. Seh' ich eine einsame Kapelle Auf der Stelle, wo's gestanden, stehen, Tret' ich in die heilige Kapelle. Hallet lange jeder meiner Tritte Im verlassenen Gewölbe wieder; Blicken ernst und fragend mich die heil'gen Bilder an von den geweihten Wänden. Tret' ich vor den Hochaltar zu beten, Knieest du in einem weißen Kleide Bleich auf schwarzem Teppich am Altare, Lilien und Tulpen um dich her. Steht der Rosenstock zu deinen Füßen, Blütenreich vom Lorbeer schön umwunden, Kehr' ich nie aus der Kapelle wieder. 5. Nicht im Tale der süßen Heimat, Beim Gemurmel der Silberquelle – Bleich getragen aus dem Schlachtfeld Denk' ich dein, du süßes Leben! All die Freunde sind gefallen, Sollt' ich weilen hier der eine? Nein! schon naht der bleiche Bote, Der mich leitet zur süßen Heimat. Flecht ins Haar den Kranz der Hochzeit, Halt bereit die Brautgewande Und die vollen, duft'gen Schalen: Denn wir kehren alle wieder In das Tal der süßen Heimat. 6. Anna Komm, Bräut'gam! kommt, ihr Gäste! Schon steht im Hochzeitkleid Die bleiche Braut bereit, Erwartend euch zum Feste. Herbei! herbei! zum Tanz Die bleiche Braut zu führen, – Seht! ihre Haare zieren So Ros' als Lilienkranz. So Mond und Sterne kränzen Lichtvoll das dunkle Tal, Lampen im Hochzeitsaal, Die Leichensteine glänzen. Und weil nach Tanz und Lauf Der Ruh' wir nötig hätten; – Schloß ich zu Schlummerstätten Die stillen Gräber auf. Seht! eure Betten kränzet Der Rosen stolze Art, Doch eine Lilie zart Am Bett der Braut erglänzet. Die Hochzeit ist bereit, Komm, Bräut'gam! kommt, ihr Gäste! Es öffnen sich zum Feste Die schwarzen Tore weit!