Der verwitterte St. Stephansturm 1 Turm, der du viele hundert Jahr' Aufstrebtest stolz ins Reich der Lüfte, Um dessen Haupt der Felsenaar Wie um den Mast die Möwe schiffte, Auch dich zerfraß der Zeiten Zahn. Um dir noch Leben zu erzwingen, Strich man dich Sterbenden noch an Und band den Leib mit Eisenringen. So hatte man Eid von Vivar, Den greisen, noch aufs Roß gebunden, Als er schon eine Leiche war, Das Stahlkleid über alte Wunden. So lagen Ringe schwer von Erz Dem treuen Heinrich in der Sage Ums alte, gramerfüllte Herz, Auf daß aus ihm nicht brach die Klage. Wo ist die Glocke, riesiggroß, Die oft die Luft gesetzt in Wogen, Guß aus des Christenfeinds Geschoß, Das deinen Nacken nicht gebogen? Die Glocke rühren nimmer sie, Sie ruhet hinter morschen Gittern; Es möcht' die Donnermelodie Zu sehr den alten Leib erschüttern. Daß deinem Haupt ein Kreuz man bot, Auf daß dein Wuchs noch höher reiche, Das ist ein Strecken vor dem Tod, Das ist das Wachstum einer Leiche. Von Hagel, Sturm und Regenguß, Von Blitz und Bomben oft getroffen, Gesteinigt wie dein Stephanus, Siehst wohl auch du den Himmel offen. Was soll Scheinleben dir und Zwang? Mein Turm! zerspreng die Eisenringe! Einstürzend unterm Glockenklang Ein Schwanenlied den Sternen singe! Dann aus dem Schutte, Turmes Geist! Flieg' eine Wolk' in Himmels Fernen, Vom Felsenaare noch umkreist, Mit ihm verschwindend unter Sternen! Fußnoten 1 In einer Korrespondenz aus Wien heißt es: »Ich war auch auf dem armen Stephansturm; ich nenne ihn arm, denn er ist mit eisernen Ringen umgeben, die ihn noch an das Leben ketten sollen, und doch sieht man an den brödelichten, verwitterten Steinen, die man jetzt zu besserer Erhaltung teilweise mit Ölfarbe anstreicht, daß er ausgelebt hat. Auf seiner Spitze über dem Adler soll ein großes goldnes Kreuz zu stehen kommen, wodurch er um einige Schuhe höher wird als das Straßburger Münster. Die große Glocke, aus Kanonen der Türken gegossen, darf der Erschütterung wegen nicht mehr geläutet werden.«