Buch der Natur Spielmannslied Im Frührot stand der Morgenstern Vor einem hellen Frühlingstag, Als ich, ein flüchtig Schülerkind, Im silbergrauen Felde lag; Die Wimper schwankte falterhaft, Und ich entschlief an Ackers Rand. Der Sämann kam gemach daher Und streute Körner aus der Hand. Gleich einem Fächer warf er weit Den Samen hin im halben Rund, Ein kleines Trüppchen fiel auf mich Und traf mir Augen, Stirn und Mund, Erwachend rafft ich mich empor Und stand wie ein verblüffter Held. Vorschreitend sprach der Bauersmann: »Was bist du für ein Ackerfeld? Bist du der steinig harte Grund, Darauf kein Sämlein wurzeln kann? Bist du ein schlechtes Dorngebüsch, Das keine Halme läßt hinan? Du bist wohl der gemeine Weg, Der wilden Vögel offner Tisch! Bist du nicht dies und bist nicht das, Am End nicht Vogel und nicht Fisch?« Unfreundlich schien mir der Gesell Und drohend seiner Worte Sinn; Ich ging ihm aus den Augen sacht Und floh behend zur Schule hin. Dort gab der Pfarr den Unterricht Im Bibelbuch zur frühen Stund; Von Jesu Gleichnis eben sprach Erklärend sein beredter Mund. – Die Jahre schwanden, und ich zog Als Zitherspieler durch das Land, Als ich in einer stillen Nacht Die alte Fabel wiederfand Vom Sämann, der den Samen warf; Da ward mir ein Erinnern licht, Ich spürte jenen Körnerwurf Wie Geisterhand im Angesicht. Was bist du für ein Ackerfeld? Hört wieder ich, als wär's ein Traum; Ich seufzte, sann und sagte dann: O Mann, ich weiß es selber kaum! Ich bin kein Dornbusch und kein Stein Und auch kein fetter Weizengrund; Ich glaub, ich bin der offne Weg, Wo's rauscht und fliegt zu jeder Stund. Da wächst kein Gras, gedeiht kein Korn, Statt Furchen ziehn Geleise hin, Von harten Rädern ausgehöhlt, Und nackte Füße wandern drin; Das kommt und geht, doch fällt einmal Ein irrend Samenkörnlein drauf, So fliegt ein hungrig Vöglein her Und schwingt sich mit zum Himmel auf.