Prolog zu einer Theatereröffnung in Zürich 1 1864 Halb sorg- halb lustbewegt ziehn wir das Tuch, Das leichte, das ein leichtes Spiel verhüllt, Empor zum niedern Himmel dieser kleinen Gemalten Welt, ein Spiegel eurer großen. Von Lust bewegt sind wir, voll anzustimmen Das endlos stete, wechselvolle Lied Des alten Menschenschicksals, dessen Rad, Wie eine Mühl am Bächlein, ewig dreht An ros'ger Welle herzentströmten Blutes. Laut mitzusingen diesen alten Sang, Schon wiegend uns in den gemeßnen Rhythmen, Ziehn wir entschlossen rasch den Vorhang weg, Doch sorgerfüllt auch, weil wir fremd euch sind Und ungewiß des Beifalls eurer Augen. Dort, wo die Gärtner ihre Blumen pflegen, Sagt man vom Flor, der einen Sommer lang Nur blüht, um dann dem Mutterschoß der Erde Entrafft zu werden: Das ist Sommerflor! Uns, die wir kommen, wann die Schwalben ziehen, Und gehen, wann der holde Mai erschien, Um winterlang an dieser Lampen Licht Ein kurzes Blütenleben zu entfalten, Uns nennt man füglich armen Winterflor. Ja, wenn der Sonnenwagen höher steigt Und abendlich der trüben Lampen spottet, Dann wandern schon wir wieder in der Ferne, Und keines weiß, ob es je wiederkehrt. Denn dieses Haus, auf alten Pfeilern ruhend, Es bietet dennoch keinen festen Stab, An dem ein Kunstgesetz mag dauernd ranken Und Wurzel fassen in des Volkes Leben, In seiner Sitte und der reichen Sage Des Landes, drin der Teil einhergeschritten. Ja, dieses Volk, in reg empfundnem Triebe, Eilt aller Kunst voran und übt sich frei, Gesetzlos spielend, auf den freien Fluren; Da sieht man oft auf kaum ergrünter Wiese Ein leicht Gerüst, drauf unter Frühlingswolken In bunter Tracht, voll Eifer, es tragieren, Von seiner eignen Menge ernst umringt. Und schließt die Handlung, so begehn die Spieler, Vereint in einem Zuge mit den Hörern, Des Orts Gemarkung feierlichen Schritts; So freut das Volk der trauten Heimat sich. Wir aber, fremd, verdrängen Schar um Schar Uns, niemals heimisch, jede wischt die Spur Der andern eilig aus, und wen'ge nur Hört man, schon halb vergessen, flüchtig nennen. Wie man uns sagt, war hier in diesen Mauern In alter Zeit ein Schauplatz höhrer Art: Die bunte Leinwand unsrer Szene birgt Die Pfeiler eines Gotteshauses, drin Das kniende Volk in priesterlichem Pomp Das hehre Spiel der Wandlung Gottes sah. Verschollen sind und Asche längst die Priester! Doch seht, hier dicht am Kreuzgang, der noch steht, Und eingebaut in seine got'schen Bogen, Der nächste Nachbar klangerfüllter Bühne, Ist das Theater der Gerechtigkeit! Da sieht das Volk geschworne Richter sitzen, Die ernst und tief der Menschen Schuld erwägen, Sieht die erstaunliche Beredsamkeit Und Kunst der Todesfurcht, womit die Schuld'gen Den Dialog mit ihrem Kläger führen Und die gelaßnen Zeugen grimmig schelten, Bis sie besiegt die Maske von sich werfen, Um Gnade flehend, oder auch mit Ruh, Die beßrer Sache würdig, untergehn. Und eine Handlung, graun- und schicksalsvoll, Verdrängt die andre vor entsetzter Menge. Wohl auch Gelächter füllt den bangen Raum, Wenn schlimme Toren um unsäglich Schnödes Sich noch vor Schwert und Waage trüglich streiten Und possenhaft dem Richterspruch erliegen. Und wagen dennoch wir das Musenspiel An solchem Ort, in solcher Nachbarschaft? Wenn wir's gestehn, sie schrecken uns nicht weg, Sie mahnen uns, den tiefern Ernst zu suchen, Der unserm Spiel sein höhres Recht verleiht. Uns klingt das Lied des Dichters in den Ohren Von jenen Kranichen des Ibykus, Und schauernd fühlen wir den Mut in uns, Das Herz bewegt, das Trauerspiel zu wagen Von Menschenschuld und Sühne des Gewissens; Uns reizt der Wettkampf auch mit der Natur, Wenn sie durch Leidenschaft den höchsten Stil gewinnt. Doch wie es euch gefällt! Nicht wir sind es, Die euch belehren dürfen über euren Sinn. Gefällt es euch, in heitrem Wechsel stets Aus weiter Welt das Neuste herzuholen: Wohlan, wir selbst sind hier durch diesen Sinn Und eures Urteils aufmerksam gewärtig. Wir spielen eure Welt, wie wir's verstehn Und wie der Geist uns treibt, und müßten spielen, Auch wenn kein Augenstern uns freundlich glänzte, Und dünken uns dabei recht was zu tun! Vergönnt uns diesen Stolz; er ist das Maß Der Fordrung, die wir ehrlich selbst uns stellen. Dem Guten schenket Nachsicht, das wir geben, Das Beste noch bedarf der Freundlichkeit; Und wo wir fehlen, schenkt den Tadel nicht, Doch seid gerecht: dies ist des Schauers Pflicht. Und richtet er mit ungeschickter Hand, So wird er selbst des Spieles Gegenstand! Fußnoten 1 Das Theater in Zürich wird nur im Winter benutzt, unter jährlichem Wechsel der Schauspieler. Es ist in Schiff und Chor der ehemaligen Barfüßerkirche eingebaut; an den zum Teil noch erhaltenen Kreuzgang stößt anderseits der Schwurgerichtssaal.