Ein Festzug in Zürich 1856 Als einst die Luft von Lindenblust Durchduftet und die Bürgerlust Darob erwacht und munter war, Da regt' sich junger Männer Schar Und strebte menschlich nach dem Ziel, Sich darzustellen recht im Spiel. Auch hatt zu jenen Stunden Sich bald ein Fest gefunden; Denn fertig ward das Eisenband, Das mit dem deutschen Nachbarland Am blauen See die alte Stadt Wegsam und neu verbunden hat, Und wurde just der Tag erharrt, An dem sich tat die erste Fahrt. Es waren zu dem Feste Geladen schnell die Gäste, Schon rüst't sich jeglicher Gesell. Da lehnt auch Meister Heinrich schnell, Der Cramer ehrlich zubenannt, Das blanke Schlachtbeil an die Wand; Den Gurt, mit Kupfer hell verziert, Woran ihm Stahl und Messer klirrt, Den weißen Schurz tut er von sich Und greift zum Stifte; säuberlich Nimmt er Papier und träumt und sinnt Und gleich zu zeichnen drauf beginnt. Denn wißt und seid des Meisters froh, Seit manchem Jahre treibt er's so: Wenn sich ein Spiel begeben will, So steht sein Eifer nimmer still, In Reim und Bildnis gleich gewandt, Entwirft und ordnet seine Hand, Bis frisch die Arbeit ist getan Und fröhlich klar des Festes Plan! Bald sieht man ihn nun walten, Die Scharen zu gestalten, Wie jedes Mannes Stand und Tracht Er weislich zu Papier gebracht. Jetzt aus der Vorzeit fernen Aun Läßt er beglänzte Bilder schaun; Dann mischt er kecklich alt und neu, Vergangner Zeiten Ehr und Treu, Und stolzes Fahnenrauschen Muß nun mit Torheit tauschen, Und Schwank und Schalkheit sind zu sehn, Wie sie dem Ernst zur Seite gehn. Auch hat er schon den Lauf der Welt Mit zarten Kindern dargestellt: Der Ahnen kriegrisch Prangen Kam rosig da gegangen; Dann hüpften Fächer, Degen, Gepudert allerwegen; Als Gärtner, Fischer, Jägersmann Dann sind die Kleinen angetan, Der Jahreszeiten Wechseltanz Sieht man in Kinderaugenglanz Und goldner Locken jungem Flug Vorüberwallen Zug auf Zug. Das Märchen ward lebendig, Titania lilienhändig Schien selber mitzuwirken In solchen Lenzbezirken, Und einem Wandelgarten Von tausend Blumenarten Glich dann die volkerfüllte Stadt Doch jetzo weiß er andern Rat. Was Heut und Morgen sturmbeschwingt Uns auf dem Eisen fliegend bringt Vom alten trauten Nachbarort Wie von der Erde fernstem Port, Das kommt zumal nun Troß um Troß, Zu Fuß, zu Wagen und zu Roß, Und durch des Volkes wogend Meer Rauscht es von allen Seiten her. Befremdlich wie die Aventür Tritt's aus den Häusern jäh herfür: Hier trabt der braune Wüstensohn Und dort des Zaren Kind vom Don, Der Kriegerfürst vom Kaukasus, Der Häuptling vom Lorenzofluß, Und was am Nil sich regt und drängt, Auf Asiens Strömen treibt und mengt, Wie durch die Luft gefahren Ist's hier nun zu gewahren. Dann aus Italiens Myrtenland Kommt uns der Schönheit Volk zur Hand, Der Schnitterinnen brauner Chor, Korallen rot an Hals und Ohr; Hispan'scher Majas üpp'ge Schar, Die dunkle Ros' im schwarzen Haar, Von blühnden Knaben dargestellt, Die trüglich volle Brust geschwellt: Das drängt sich durch und bleibet stehn Und wendet sich im Weitergehn Mit Scherzen hier und dort mit Schlägen, Wenn sich zu grober Witz will regen. Zuletzt mit Fiedel, Horn und Baß Schnurrt es vertraulich durch die Gaß, Vom Elsaß und vom Schwabenland Die Bauernhochzeit wohlbekannt. Und alles woget kunterbunt, Verworren noch zu dieser Stund, Und jeder strengt sich eifrig an, Daß er das einzle sehen kann, Eh später es der große Zug Zu flüchtig ihm vorübertrug. Da gilt es nun zu preisen Das Wandern und das Reisen Der Landesart in alle Welt, Die solch ein Bild zusammenstellt; Denn leicht wird hier und dort erkannt Gar manches echte Prunkgewand: Des Scheiches Mantel goldbestickt, Er ward aus Syrien hergeschickt; Des Japanesen Doppelschwert, Des Mandarinen Drachenkleid Und seiner Liebsten Staatsgeschmeid, Es brachten's unsre Söhne wert, Heimkehrend über manches Meer; Aus mexikan'schen Bergen her Stammt dort der Sattel silberreich Und was der Señor schlank und bleich Von fremder Tracht am Leibe trägt; Echt ist auch, was da unbewegt Der Kurde läßt an Waffen Bewundern und begaffen. Lang ist der letzte schon enteilt Zum Sammelplatz, und harrend weilt Des Volkes farblos dunkles Meer; Da plötzlich, wie die Sonne hehr Aufgeht, erschallt Fanfarenton, Die Menschenflut bewegt sich schon Und lichtet ordnend eine Bahn, Und langsam zieht das Fest heran. Da kommt es nun, da ist es nun! Jetzt kann das Auge satt sich ruhn Auf Farbe, Glanz und Wohlgestalt; Beglückt ist, wer im Reihen zieht Und wer am Wege steht und sieht. Das ist des Augenblicks Gewalt, Der läßt, als wär er erst das Leben, Den Sinn in seinem Banne schweben, Indes er rasch vorüberrinnt Und unversehns ein End gewinnt. Fern ist der Lärm, die Straße leer, Drauf schleicht die Sorge still einher, Des Menschen traute Muhmenfrau In Kapp und Schleiern spinnegrau, Doch dem, der sie sein eigen nennt Und wie den eignen Atem kennt, Bin zieres Weiblein, weiß und fein, Das, was da wird, schafft ganz allein Mit dir bei leisem Sternenschein. Zur Stund jedoch läßt man sie stehn, Es will das Volk sie nicht besehn; Der letzte läuft gar eilig fort, Sie bleibt allein am stillen Ort, Sitzt auf ein hölzern Bänklein nun Und denkt: Man kann ein Schläflein tun! Sie hüllt das Haupt in ihr Gewand Und schlummert ein, den Stab zur Hand. Die Sorge schläft, der Abend sinkt, Und neue Lust den Scharen winkt; Denn als die kühlern Lüfte wehn, Ruft dort, wo hoch die Linden stehn, Auf räum'gem Bühel, dessen Fuß Bespült der grüne Limacus, Ein nächtlich Mahl zur Stelle, Wo Meister und Geselle Durch die Jahrhunderte entlang Erhuben schon den Becherklang. Das ist der schönste Bürgersaal; Vom Himmel flimmert sanft der Strahl Der alten Sterne hoch herein, Und Lindenblüte schwimmt im Wein. Gelagert hat die Freude sich; Auch jenes graue Weiblein schlich, Das sich indes ermuntert hat, Herbei zur bunten Lagerstatt. Sie drängt sich zwischen Mann und Mann, Rührt leise den und jenen an; Der zuckt die Schulter halb bedacht, Doch nimmt sich weiter nicht in acht; Der schaut im Glas ihr Angesicht, Führt's träumerisch zum Munde dicht, Und in sich selbst versunken Hat er den Wein getrunken. Kein Ohr ist, das sich borge Dem leisen Ruf der Sorge, Kein waches Aug zu finden; Der dunkle Dom der Linden Summt wie ein großes Bienenhaus, Wo Sang und Klang schwirrt ein und aus. Da, horch, erdröhnt das Feuerhorn! Und wie der Wind sich dreht im Korn, Wend't alles Volk den Kopf herum; Die Spieler und das Publikum, Was oben schmaust, was unten steht, Am Strand und auf den Brücken geht, Kehrt mit erschreckt neugier'gem Sinn Den Blick nach einer Richtung hin. Grad überm Fluß ragt, in sich fest Verschränkt, ein altes Häusernest Mit Treppleinwerk und Holzgesperr, Ein Dachgewirr hoch drüber her; Der braune Rauch quillt draus hervor, Und schon schlägt auch die Flamm empor; Aus Fenstern, Löchern, Luken Sieht man sie glühn und zucken, Bis breit die Feuerkrone sitzt, Darin es knattert, loht und blitzt; Sie wirft den taghell roten Schein Hinüber in den Lindenhain, Wo Tisch und Glas verlassen steht Und keines Gastes Kleid mehr weht; Denn jeder weilt schon eingereiht Am Ort, wo seine Pflicht gebeut. Sie sind, so wie sie waren, Zur Lohe hin gefahren, Und einer schaut den andern an, Wie er so seltsam angetan. Nie sah man solchen Mummenschanz Sich tummeln in des Feuers Glanz Mit raschem Tun und Schaffen. Hier schleppen dunkle Pfaffen Langbeinig Bett und Kasten fort, Und starke Nonnen tragen dort Mit rauhem Ruf die Leiter her Und richten sie, die schwank und schwer, Mühsam empor; mit langem Schlauch Ein perlbesäter Hindumann, Der Maharadja, klimmt hinan Und schwindet hoch in Qualm und Rauch. Am Ufer schöpft australisch Volk Vereint mit dem Kosakenpolk; Die bräunliche Zigeunerin Fährt mit dem Windlicht her und hin, Sie schlägt den dicken Mönch aufs Ohr, Der sie zu müß'gem Scherz erkor, Und schickt ihn zu den Spritzen; Tscherkessenhelme blitzen, Und mit den kahlen Köpfen Und rückenlangen Zöpfen Tun dort Chinesen enggeschart Des Pumpwerks Arbeit heiß und hart. So schießt von allen Seiten bald Das Wasser in den Flammenwald Und stirbt in seiner wilden Glut, Das klare Labsal hold und gut. Doch seht! auf höchstem Giebel ragt Ein Wendrohrführer unverzagt: Der Irokes' mit roter Haut, Den grauslich man von unten schaut! Der Bäcker ist's von Unterstraß, Ein lust'ger Mann voll Schwank und Spaß; Wenn er im Herbst den Neuen trinkt Und der ihn gar zu trübe dünkt, Bringt ihm die Zipfelmütz Gewinn: Er zieht sie nieder bis zum Kinn, Trinkt durch die Maschen dann getrost Und nennt es seigen seinen Most; Stumm sitzt er da, dem Fremdling graut, Der den verkappten Zecher schaut. Auch wie ein Frosch, ein grüner Mann, Sagt man, daß jener hüpfen kann Auf gradem Strich die Dielen lang Und quakt und quirlt den Froschgesang; Dann bellt er wie ein heisrer Fuchs, Bewegt die Ohren als ein Luchs; Mit feiner Kinderstimme singt Er Schelmenliedlein, leicht beschwingt, Und klemmt die Äuglein froh gelaunt, Wenn lachend ihn die Welt bestaunt. Jetzt, mit dem Element im Kampf, Verbirgt ihn bald der krause Dampf, Bald steht er schwarz im hellen Schein Auf kräftig ausgespreiztem Bein; Umstoben von der Funkenglut, Lenkt er des Wassers Silberflut Und schleudert mächtig Strahl auf Strahl In den empörten Flammensaal. Sein indian'scher Kriegerschmuck Erzittert vom gewalt'gen Druck, Der Geierfittich schräg im Schopf Raucht halb versengt auf seinem Kopf. Das ist ihm nun die wahre Lust, Ein Jauchzer steigt aus seiner Brust Hoch über allen Lärm und Drang. Zugleich ertönt ein andrer Sang: Das Angstgeschrei erheben Bedrohte Menschenleben, Ein Schrei zuerst – dann gellt es fort Markschütternd am verlaßnen Ort, Im Gassenwinkel, wo der Glast Ein dunkles Fensterloch umfaßt Und drin ein rotes Pünktlein schwimmt, Ein einsam Lämpchen irrend glimmt. Kaum ist die Leiter dort getürmt, Des Todes Warte rasch erstürmt, So ruft es hier vom höchsten Sitz Um Hilf in all den Menschenwitz, Der unten dicht und emsig schwärmt Und selber nun voll Schrecken lärmt. Zwei fremde Männer, wohlbestellt, Die friedsam wandernd sich gesellt, Die Sommerfrische zu begehn Und auch das Fest am Weg zu sehn, Die ruhten da behaglich aus Im wirrgebauten Herbergshaus, Und ihr bescheidenes Quartier Ragt oben an die Wolken schier. Wie nun das Haus von innen brennt, Sind sie von aller Welt getrennt. Vergessen liegen sie im Traum: Von einem blitzzerspellten Baum Voll Angst der eine träumt, derweil Der andere mit banger Eil Auf einem glatten Eise flieht, Das krachend er zersplittern sieht. Sie wachen auf, ganz sinnverstört Vom Knall und Schall, den sie gehört; Noch zittert das Gemach vom Klang: Es hat ein starker Wasserstrang Das Fenster eingeschlagen. Und eh sich ihre Blicke fragen, So klappert auch die Tür im Schloß, Wie wenn ein später Schlafgenoß Mit Rütteln gröblich Einlaß heischt; Sie sperren auf – Entsetzen kreischt Aus bleichem Mund, es starrt das Haar, Denn wo unlängst die Treppe war, Rollt eine Säule Rauchs empor, Aus der die Flammenzunge sticht; Ein Feuerriese von Gestalt, Scheint's aus dem Abgrund aufgewallt, Sich lagernd vor die Schwelle dicht. Sie werfen zu das schwache Tor Und schieben flugs den Riegel vor, Denn schreckenvoll war das Gesicht! Und wieder rüttelt an der Tür Der Hauch der Glut mit Ungebühr. Was noch vom Fensterwerk bestand, Reißt auf nun bebend ihre Hand; Sie lehnen angstvoll sich hinaus, Da faßt sie gleich ein neuer Graus! Ein breit Gesims versperrt dem Blick Den Weg nach unten und zurück. Sie schrein erbärmlich, ungesehn, Bis jene, die entfernter stehn, Erschaun die bittre Not der zwei Und wo ertönt das Hilfsgeschrei. Nun rauscht es unten stärker auf Vom Rufen, Hin- und Hergelauf. Je größer die Gefahr zur Frist Und schwieriger die Rettung ist, Schwillt brausender es durch die Reihn: Soll wie in einer Narrenstadt, Die weder Witz noch Sitte hat, Der Fremdling schmählich untergehn Und seine Sippe klagend schrein: Hätt dieses Nest er nie gesehn –? Mitnichten! Denn schon eilt herbei Die Schar der edlen Steigerei, Das Auge kühn und ungetrübt, In neuen Künsten wohlgeübt, Bewehrt, gegürtet schlank und schlicht, Vor jeder Brust ein leuchtend Licht! Ergraut schon ist ihr Obermann, Der sechzig Jahre zählen kann, Ein Herr, ein sogenannter Und jugendlich gewandter, Von der Muralti altem Haus; Vornehm und ruhig sieht er aus. Ein Leiterbau wird aufgericht't, Ein schwanker, bis er ebner Schicht Fast zum verlornen Fenster trägt; Doch jenem scheint vom Tageslauf Die wackre Mannschaft aufgeregt, Drum steigt er wohlbedacht vorauf Und klimmt zum obersten Geschoß So rüstig, wie ein Lenzgenoß Zu Berge steigt im Sonnenschein. Und mit ihm steiget Glied an Glied Fritz Waser auf, der Messerschmied, Der schon sich Brau und Hand verbrannt, Als er den Feind im Haus berannt. Der eine alt, der andre jung, Tun sie den gleichen schweren Schwung Und schwingen mutig sich hinein, Wo die zwei Wandrer, starr wie Stein, Lautlos in Wolken Rauches stehn. Die wissen nicht, wie es geschehn, Daß die Errettung treulich nah; Wie lieblich tönt den Männern da, Als Hoffnung schon verloren, Der Heilsruf in den Ohren! Ein hanfner Schlauch wird festgehakt, Das Wallerpaar frisch eingepackt, Und hurtig reisen sie zu Tal. Ein Freudenschall die Luft durchzieht, Da man im schwebenden Kanal Das Eingeschobne fahren sieht, Und fröhliches Gelächter schwellt Des Volkes Brust; behutsam stellt Es auf die Beine rund und heil Die zitternden Gestalten. Ein Ritter erst und dann ein Graf Vom kaiserlichen Land Tirol Entstiegen so dem dunklen Hohl, Um zu entgehn dem Todesschlaf, Und des Geschickes Walten Jetzt fromm zu loben ist ihr Teil. Und wie sie sprachlos aufwärts schaun, Betrachten sie mit Lust und Graun, Der sie entflohn, die Höllenglut Und denken mit befreitem Mut An Weib und Kind und Heimatland; Auch preisen sie nun mit Verstand Die Zucht und Ordnung dieser Stadt Und werden nicht des Preisens satt. Die guten Bürger hören gern So weises Wort der fremden Herrn Und hätten fast indessen Das Löschen drob vergessen. Doch nun geschieht der letzte Kampf; Erstickend stirbt im Wasserdampf Und zischend wie ein böser Drach Das rote Feuer allgemach, Bis friedlich herrscht die Ruh der Nacht Und mit der Sorge ganz allein Bei leiser Sterne Zitterschein Weit über Stadt und Türmen wacht. Befriedigt ruhn die Männer aus Beim Labetrunk in manchem Haus, Durchnäßt, ermüdet und berußt: Das war das End der Bürgerlust. Wie viele Jahre sind dahin! Mir liegt der bunte Tag im Sinn Wie an der Jugend fernem Saum Ein halbvergeßner Junitraum. Der Meister Heinrich lobesan, Der immerfrohe Bäckersmann Mit seiner Mütz und der Muralt: Sie sind schon längst dahin gewallt, Von wannen keiner wiederkehrt Und keine Botschaft man erfährt. Nur Waser glüht den Stahl noch hart, Und stahlgrau ist sein langer Bart!