Abend 1 In Gold und Purpur eingehüllt, O Sonne! willst du scheiden? Und ich, von Freuden überfüllt, Soll plötzlich dich nun meiden? Du hast mein Herz mit Lust entzündet, Du allerschönste Königin! Wenn mir dein strahlend Antlitz schwindet, Ist nicht das Feuer tot und hin? O reiche mir noch einen Strahl, Der bindend, helfend auf mich falle, Daß ich aus diesem Dämmertal An deiner Hand hinüberwalle! Ich will dein treuer Page bleiben, Dein Spiegel, wie das klare Meer, Als Schäfer deine Lämmer treiben, Die Morgenwolken, vor dir her. Als leichte, leichte Wolke nur Laß mich an deinem Hofe weilen, Als deines Glanzes schwächste Spur Vor deinem Zuge kündend eilen! Ich präg als Lehrer neue Lieder Den Lerchen, deinen Kindern, ein. Du willst mich nicht? du tauchest nieder? Ich bin im Schatten und allein! Ich wende mich verlassen ab, Die Welt ist eine tote Kohle! Was sonst die Klarheit wiedergab, Stäubt, Asche, unter meiner Sohle. Doch wie ich mich gen Osten kehre, Steigt mir ein Wunder zaubrisch auf: In einem weichen Rosenmeere Beginnt der Mond den Elfenlauf. Groß, magisch, wie ein Riesenstern, Seh ich ihn überm Grünen hangen: Er ist nicht kalt, er ist nicht fern, Nein, warm und nah, wie zum Erlangen! Ist er der Sonne Ährenleser, Der nach verlornen Strahlen jagt? Ist er der Sonne Reichsverweser, Bis wieder sie im Osten tagt? Es webt von Silber und Kristall Ein Netz sich über alle Räume, Wie feiner Elfenglöcklein Schall Erklingt das spröde Laub der Bäume: Das sind des Mondes Zitterstrahlen, Die schlagen an die Blätter an – Auf all dem Meer von Schein und Strahlen Mein Auge schifft als leichter Kahn. Und weil mein Herz am Westen noch, Am Abendrote hängt mit Sehnen, Fühl ich ein neues süßes Joch Von Osten über mich sich dehnen. Ich schwebe zwischen toten Wonnen Und neuem Hoffen wunderbar Wie eine Knospe eingesponnen, Die erst noch am Ersterben war! Es ist auf Erden keine Nacht, Die nicht noch ihren Schimmer hätte! So groß ist keines Unglücks Macht: Ein Blümlein hängt in seiner Kette. Und ist das Herz vom rechten Schlage, So baut es sich ein Sternenhaus Und macht die Nacht zum hellen Tage, Wo sonst nur Asche, Schutt und Graus! Der du im Unsichtbaren schwebst, Doch immer in mir widerklingend! Der du die goldnen Brücken webst, Von Welten sie zu Welten schwingend, Du hast ein Liebesband gewoben Mir um das Herz so alt und krank, Du hast mich aus dem Staub erhoben – Du großer Weber, habe Dank!