Der Sänger bey der Heerde, in Welschland, eine Erzählung Im Lande, wo Horaz Gesänge Umher erschallen ließ, wo unter grüne Gänge Zu jeder Jahreszeit der Jüngling hoffend geht, Der mit dem Mädchen sich versteht: In Welschland war ein Hirtenknabe, Der niemals las, und niemals schrieb, Und von der Kindheit an, bey stillen Schaafen blieb, Ganz unbekannt mit der in ihm verborgnen Gabe. Einst stand er hingelehnt an seinem Hirtenstabe, Da kam ein Pächter, las ihm seinen Tasso vor; Der Schäfer stand, war lauter Ohr, Und ließ das Heldenlied sich in die Seele dringen, Und fing den nächsten Tag den Schäfern auf der Flur Ein neues Lied an vorzusingen. Er sang die Schönheit der Natur, Sang den Citronenwald, fruchtbare Feigenbäume, Den Weinstock und ein blühend Thal. Er zählte Sylben, und fand Reime, Ohn daß ein Lehrer ihm die Wahl Des schönen Ausdrucks wieß. Die Zärtlichkeit befahl In ihm oft den Gesang. Er dichtete sich Träume, Und bracht sie in das Lied, das er der Hirtin sang, So rührend, daß er sie zu seiner Liebe zwang. Mit jedem Tag ward ein Gesang Dem Schäfervolk bekannt. Oft prieß er in dem Liede Etruriens Glückseligkeit; Denn eben zu derselben Zeit War weit umher ein tiefer Friede! Der Ruf von diesem Sänger flog Bis an des Herzogs Hof. Bewunderung beweg Den Fürsten, daß er schnell befohlen, Den schäfrischen Ovid in den Pallast zu holen. Er kam in seiner Hirtentracht, Und, wie man sagt, hat er in zweymal dreißig Tagen Zwey hundert Lieder ihm gemacht. Doch länger konnt er nicht ertragen Des Hofes Schmeicheley, die Falschheit unter Pracht Verdeckt, und schön verhüllt, wie Gift in bunter Schlange. Der Hirt, zu redlich, kam und trat Vor seinen Herzog mit Gesange, Worin er um Erlaubniß bat, Auf seine stille Trift sich wieder zu begeben. Herr Herzog! sang er, gieb du mir Nur so viel Brodt, daß ich mit Laura könne leben, Die ganze Welt hab ich in ihr. Der Herzog war ein römischer August; Mit einer Meyerey belehnt er seinen Hirten; Der sang, sich seines Glücks bewußt, Noch dreyßig volle Jahr, und starb an Laurens Brust, Sein graues Haupt bekränzt mit frischgebrochnen Myrten. Wie glücklich, wenn ich einst bekränzt, und mit Gesang, Aus meiner Freunde Arm, geh meinen letzten Gang!