An die jüngste Demoiselle St*hl 1764. Die Du von eines Thronensitzers Mund geküßt, Noch so bescheiden bliebst, so liebreich wie Du bist, O Freundin! die sich nicht verändern, Nicht stolzer machen ließe, weil Ein großer Herr von vielen Ländern Dich liebte, Dir von seinem Glanz den halben Theil Und seinen ganzen Namen gäbe, Und schwüre, daß er Dir nur zu gefallen lebt, Geführt am starken Liebesseil, Sprich: ob das möglich ist, was uns Dein Vater saget, Daß einen sonst ganz sanft geschaffnen Königssohn Die Herrschsucht und der Geiz nach weitern Gränzen haget, So bald er auf dem goldnen Thron Die Schwindel bringende zu steile Höh bestiegen, Alsdann vereinet sich die Ehre mit der Macht, Der junge Herrscher wünscht den Nachbar zu bekriegen, Am Tage denket er den Plan zu Feldeszügen Und träumet vor dem Zug die Schlacht, Wirbt Jünglinge zu seinen Fahnen, Legt Schatzung auf die Unterthanen, Und glaubet keinen Gott als sich, Macht durch Befehl und schnelle Strafen Sein Ansehn drohend fürchterlich, Und wird doch niemals froh wie Einer bei den Schafen Und Ziegen seines Landes lebt, Der nie nach größerm Raum des kleinen Ackers strebt, Zufrieden ist mit seinem Garten Und von dem unverschnittnen hohen Apfelbaum Die reifen Früchte bricht und nicht des Weines Arten Zu unterscheiden weiß wie Fürsten mit dem zarten Zur Kitzelung gewöhnten Gaum. O Freundin, als die Welt noch keine Fürsten brauchte, Als noch der Frühlingswind in keine Blumen hauchte, Die ein gedingter Arm begossen und gepflanzt, Und noch die Menschen vor einander Sich nicht gefürchtet und verschanzt, Da machte noch kein Alexander Sich selbst zum Gott, und kein Geschrei Des Treffens riß die Wolken von einander, Da war ein Sterblicher dem andern noch getreu, Die Männer winkten sich am Pfluge Freundschaft zu, Die Mädchen waren Schäferinnen, Und sangen auf der Trift und wußten so wie Du Durch süßen Blick die Herzen zu gewinnen.