An Herrn Gleim. Bey Besteigung des Spiegelberges ohnweit Halberstadt (Zu Halberstadt den 26ten des Herbstmonaths 1761.) Gieb mir die Hand! bald ist der Berg erstiegen; Uns stürzt der Wagen, wenn er höher fährt Komm Freund! Das grössere Vergnügen Ist kleiner Mühe werth! Wir schreiten fort. Die Diestel muß sich beugen. So bringt ein Weiser, edel im Entschluß Die Schwierigkeiten, die sich zeigen Großmüthig unterm Fuß. Mir klopft das Herz, bald hörst du seine Schläge Ich athme schwer. Freund, ob ich zaudern will Fragst du? – Steht denn auf ihrem Wege, Die Tugend jemahls still? Nun stehn wir oben. Siehe doch, mein lieber! Das öde Thal ist noch nicht ohne Reiz; Dem kleinen Goldbach 1 gegenüber Sucht sich der Heerde Geiz Am Fuß des Berges noch die magern Halmen Des Grases, das im Frühlings Ueberfluß Dort grünte. O, der singe Psalmen Der Brod nicht suchen muß! Doch wenig Brod bey Freunden deines gleichen Bey innrer Ruh, ist lieblicher dem Gaum Als Tafeln unzufriedner Reichen, Als ihrer Freunde Traum. Sieh doch, ein Völckchen Hühner! ruhig lagen Im hohen welkgewordnen Grase sie. Flieht nicht vor uns, wir Dichter jagen Den frommen Vogel nie, Der ohne Lippe mit dem Schnabel küssen Die Gattin kann, von gleichgeschaffner Art. Gott, den die Hügel hören müssen Hat alles Fleisch gepaart. Auch dich erschuf sein Wille nicht zum Feinde Der Mädchen, aber keines bindet dich; Du liebest zärtlich deine Freunde, Als Freundin liebe mich! Fußnoten 1 Der Goldbach fließt nah am Spiegelberge.