Der Skorpion, die Schildkröte und die Gans Eine Traumfabel. Am weidenreichen Spreegestade, Wo die gesicherte Najade Ihr lockigt Haupt noch stolzer trug, Seitdem in Sachsenland Held Heinrich Feinde schlug; Am Spreegestade kroch aus einem holen Baum Ein Skorpion, das glaubt man kaum. Giebts zu Berlin auch Skorpionen? Ich dachte, daß sie nur in heißen Ländern wohnen. Mein Leser, höre doch, ich sah ihn nur im Traum. Er kroch am Ufer hin und wieder, Und sah, von bittern Neid bewegt, Ins grüne Schilf scheelsüchtig nieder Auf ein Geschöpf, das sich mit breitem Schilde trägt, Und schmackhaft ist am Fleisch, und nach dem Tode glänzet In seinem Deckel schön polirt. Der Skorpion mit Gift zum Schadenthun geschwänzet Von der Natur, und nicht geziert Mit bunten Flecken, wie die Schlangen, Der Skorpion kroch an das Schilf Und sprach: dir Freundin sey geklaget mein Verlangen, Dort übern Strome will mein Bruder mich umfangen, Und schwimmen kann ich nicht; du aber kannst, ach hilf Mit deinen Rudern mir herüber! Die Kröte mit dem Schilde spricht: Gefälligkeit ist meine Pflicht, Und kein Geschäfte war mir lieber Als dies; mein Schild ist breit genug. Sie sprichts: er setzt sich auf und da sie nun getreulich Den giftigen Verräther trug, Schwamm eine Gans daher und schlug Mit beiden Flügeln auf, und schrie: das ist abscheulich! Jetzt flößt dir guten Schwimmerin Der, den du trägst, das Gift im Rücken. Verdammter! sprach hierauf die treue Trägerin, Mich panzert die Natur zu sehr vor deinen Tücken, Dein Gift floß schadlos in den Fluß; Sey du ihm nachgestürzt! Hier tauchte sie ihn nieder – Der Skorpion hat noch viel Schwestern und viel Brüder. O daß nicht jeder Mensch nach dem Verräther Kuß, Den er gegeben hat, also ersaufen muß!