Aphrosine Ein Erzählung In einer königlichen Stadt, Die großen Prunk und große Sünder Und Häuser hatte, wie Berlinathen sie hat, Zog Aphrosine zwey zugleich gebohrne Kinder Nunmehr ins zehnte Jahr, und sparte keinen Fleiß Und keine Sorgfalt, sie zur Tugend aufzuziehen. Denn Madchen, die so roth und weiß Wie Lilien und Rosen blühen, Sind ohne Furcht und Sitten, nichts. Schön waren diese Töchter beyde: Die Feinheit ihres Angesichts Gab ihrer Mutter Trost im schweren Wittwenkleide; Doch ihres Busens Liebling war Die lieblichlächelnde Dorine; Ihr zarter Wuchs, ihr dunkles Haar Und ihre geistbelebte Miene Und feuerreiches Augenpaar, Zwang jeden Menschen, der sie sahe, Zur staunenden Bewunderung; Und da dies schon anitzt geschahe, Da noch ihr Auge viel zu jung Zum Herzbestricken war; was wäre nicht geschehen, Wenn sie mit reifgewordner Macht Den Jüngling siegend angesehen, Und ihrer äußern Reize Pracht Mit innren Reizungen vermehret? Die Mutter sahe schon voraus Von einem Eydam sich verehret, Der ihre Tochter in ein goldgeschmücktes Haus, Palästen ähnlich, führen würde. Die zwote Tochter, Aphrosis, War etwas minder schön, doch fromm war sie gewiß. Sie machte stets die große Bürde Der schmerzlichsten Bekümmerniß In ihrer Mutter Herzen leichter; Wenn ihre beyde Wangen feuchter Von Thränen waren, als vom Fall Des Abendthau's die Sonnenblume, Dann sang die Tochter süß, gleich einer Nachtigall, Ein heilig Lied zum Götterlob und Ruhme, Und küßete der Mutter Thränen vom Gesicht, Das gute Kind! Sie wußt es nicht, Ihr Vater gieng vor sieben Jahren An einen schilfbewachsnen Fluß, Und tödtete mit einem Bogenschuß Zween Wasservögel, die dem Flußgott heilig waren; Und stieg itzt in ein kleines Boot, Um seine Beute sich zu hohlen, Und fand im Wasser seinen Todt, Nachdem er Weib und Kind den Göttern anbefohlen, Als ihm die schnelle Fluth empfieng; Die Fischer kamen ihm, ach! allzuspät zu Hülfe, Starr brachten sie ihn aus den Schilfe, Der armen Gattinn, und seit diesem Tage gieng Dies bange Weib mit jeder Abendsonne Zum Ufer, wo sein Grabmal war. Hier, sprach sie: hier liegt meine Wonne, Und gab ihr aufgelöstes Haar Den Lüften Preis, und füllete die Lüfte Mit ihrem klagenden Geschrey. Sie brachte frische Blumendüfte Zum Todtenopfer, wenn der May Die Fluren und den Garten krönte, Goß Milch und Wein aufs Grab und söhnte Den Flußgott jährlich aus mit eines Böckchens Blut. Einst blieb sie ungewöhnlich lange; Der Sturmwind heulete; da war den Kindern bange; Sie sahen mit verzagtem Muth Durchs Fenster, legten sich heraus mit halben Leibe Und stürzeten zugleich herab: O! Wehe dem betrübten Weibe! Sie kam, und dieser Anblick gab Ihr Stiche, die das Herze treffen müssen; Denn, ach! Dorine lag zerschmettert und entstellt, Gleich einem Apfel, der vom Wipfel abgerissen, Von Ast zu Ast, stark auf den Boden fällt; Sie warf sich über ihre Leiche, mit Verlangen Zu sterben, und sie frug nach Aphronisen nicht. Ein Wunderwerk war mit dem Kinde vorgegangen; Im Fallen hatte sie der Sturmwind aufgefangen, Und unbeschädiget, mit heiterm Angesicht, Drey Häuser weit davon, so sanft herabgelassen, So leicht, als wärs ein Myrtenblatt. Sie kam, die Mutter zu umfassen, Die leichenblaß und sterbensmatt Auf hartem Pflaster lag und in Dorinens Blute. Und seht, den Augenblick erschien im Flügelhute Der Götterbothe, der Merkur, Und sagte zur Verzweiflungsvollen: Sey ruhig, klage nicht. Die Götter wollen Der Menschen Bestes nur. Er sprach es und verschwand, und Aphrosine sahe Im späten Alter sich gelabt, Von Aphronis, an der das Wunderwerk geschahe. Die Götter hatten sie mit Tugenden begabt, Und überdies mit glänzendem Verstande: Dadurch ward sie berühmt in ihrem Vaterlande; Und jedermann rief ihrer Mutter zu: Heil dir, du frohe Mutter, du.