Ecce homo! An das klopfende Herz ihres Volkes Legen die Dichter Ihr lauschendes Ohr Und hören sie rauschen Von Ferne Die Taufbronnen des neuen Heils, Die Jordansströme Der neuen Zeit. Nicht an die Weisen Und Schriftgelehrten, An die Männer Von Weihwasser und Weihrauch, Wendet um Rath sich Die neue Menschheit; Es lehrt als Priester Der neuen Zeit Der Sohn des Volkes Im schlichten Gewande. Alfred Meissner Ich sah ihn Tag für Tag, Als wäre nichts geschehn, Still mit dem Glockenschlag An seine Arbeit gehn; Das Halstuch roth wie Blut, Von Locken wirr umflogen, Den Kalabreserhut Tief in die Stirn gezogen. Ein jeder Zoll Genie, Ein Volksmann, ein Poet, Scheint er mir öfters, wie Ein biblischer Prophet. Das ganze Viertel kennt Und ehrt in ihm den Führer, Der oft im Parlament Auftrat, ein wilder Schürer. Weh jeder Tyrannei, Wenn er bis Mitternacht Am Pult der Druckerei Geschrieben und gedacht! Wem seine Blitze sprühn, Vergisst das Athemholen, Denn seine Worte glühn Im Hirn wie rothe Kohlen. Ein rechter Proletar! Ein wahres Zorngedicht! Wer seine Mutter war? Er weiss es selber nicht! Vielleicht ein Kind der Lust, Das, weil die Noth es taufte, Das Herz aus seiner Brust Um schnödes Gold verkaufte. Vielleicht auch nur, ja nur, Ein Weib in Goldbrokat, Das trotz Moraldressur In eine Pfütze trat. Vielleicht liegt sie schon todt In einer eklen Gosse, Vielleicht bespritzt mit Koth Ihn ihre Staatskarosse. Ein armes Findelkind, Im ersten Morgengrau, Umweht vom Winterwind, Fand ihn die Zeitungsfrau. Er that's ihr lächelnd an, Der rosige Rebeller, Und auf nahm ihn ihr Mann In seinen Schusterkeller. Hier wuchs er in die Welt, Ein Bursch mit blondem Haar, Sein einzig Tummelfeld Das Grossstadt-Trottoir. Wohl schwoll der Stiefelkram, Doch auch das Taufregister, Und nach und nach bekam Er sieben Milchgeschwister. Und knapper ward das Brot, Der Junge musste ran! Und bleich im Dienst der Noth Hub nun sein Elend an. Er stand im Setzersaal, Die Hand am Letternkasten, Und half das Volksjournal Des Nachts zusammenhasten. Die Uhr vom Thurm her klang Wie tief in eine Gruft, Ein fetter Oelgestank Schwamm ranzig durch die Luft. Man hörte wie im Traum Die Winkelhaken klirren Und im Maschinenraum Die Lederriemen schwirren. Um ging von Hand zu Hand Ein Bräu aus Schnaps und Bier, Als Etikett drauf stand: Gesundheit-Elixir! In schmutzgen Zoten sprach Frech das Maschinenmädel, Das Gaslicht aber stach Ihm grell auf seinen Schädel. Er aber: Griff auf Griff That er mit düsterm Blick, Durchs offne Fenster pfiff Der Wind ihm ins Genick. Er strich um ihn herum Und blies ihm in die Ohren: »So recht! So recht! Warum Bist Du nicht »hoch« geboren? Warum beim Stümpfchen Talg Hat Dich das Glück geheckt Und nicht als Wechselbalg In Eiderdun gesteckt? Dann stündest Du nicht hier, Behängt mit schmutzgen Lappen, Dann wärst Du auch kein Thier Und pochtest auf Dein Wappen. Du wärst auch nicht wie nun An Leib und Seele krank, Du brauchtest nichts zu thun Und sagtest: Gottseidank! Auch hättest Du dann Geld, Wie Rothschild ganze Frachten, Und könntest diese Welt Noch mehr als jetzt verachten!« So stand er düster da Und rang mit seinem Groll Und sein College sah, Wie ihm die Ader schwoll. Zu tief sass es, zu tief, Er grollte, sann und dachte, Bis sie, die in ihm schlief, Die Urkraft, jäh erwachte. Und heiss ins Hirn empor Kam ihm das Blut gespritzt, Wie wenn ein Meteor Nachts durch den Himmel blitzt. Denn plötzlich riesengross Sah er ein Schreckbild thronen – Es war sein eignes Loos, Das Loos von Millionen! Da deutlich, schwarz auf weiss, Stand's da und sah ihn an, Dass ihm das Blut wie Eis Kalt durch die Adern rann. Es war nur ein Fragment, Ein abgerissner Fetzen, Ein neustes Testament, Und er, er sollt es setzen! »Ein armer Bettler kroch Vor seines Bruders Haus Und bat, o reich mir doch Ein Stückchen Brot heraus! Vor meinen Augen flirrt's Ich habe nichts zu essen, Der liebe Herrgott wird's Dir sicher nicht vergessen! Sein Bruder aber schrie Und strich sein Doppelkinn: Was willst du, tolles Vieh? Scheer dich wo anders hin! Das sauft nur immer Wein Und ekelt sich vor Wasser – Da hier, friss diesen Stein ... Doch, sag ›Schöndank!‹ du Prasser! Da schrie der Aermste auf, Zu teuflisch war der Hohn, Und eine Stunde drauf Lag er im Wasser schon. Derweil nach dem Diner Hielt lammfromm vor dem Städtchen Sein Bruder, Herr P.P., Sein Mittagspromenädchen! O, nun zum ersten Mal Verstand er Wort für Wort, Fürs Volk war das Journal Und dies war ja ein Mord! Es war ein Mord und mehr, Es war die alte Fabel, Wie einst – o lang ist's her – Der Kain schlug den Abel! Mit Augen, thränenroth, Verschlang er, was er las, Bis knöchern ihm der Tod Im weichen Herzen sass. Den Otternkranz im Haar, Umtanzten ihn die Furien, So sinnverwirrend war Kein Zerrbild aus Lemurien! Und tage- wochenlang Lief er umher wie wild, In seine Träume schlang Sich jenes wüste Bild. Er sah es riesengross In jedem Winkel thronen, War's doch sein eignes Loos, Das Loos von Millionen! In Stoppeln stand sein Bart, Sein Herz war wie verdorrt, Er – lachte nur und ward Ein Anderer hinfort! Sein Weichmuth bis ins Gras, Ihn kniff's wie eine Zange Und hochauf schwoll sein Hass Wie eine Tigerschlange. Da winkte wie ein Ziel Ihm fern ein goldner Schein Und mehr als einmal fiel Ihm der Messias ein. Er grübelte und sah: Noch wird das Volk geknutet, Das Herz von Golgatha Hat sich umsonst verblutet! Nun sprach das Ideal Ihm tief zu Herz und Hirn, Sein blutig Kainsmal Stand roth auf seiner Stirn. Er floh das Volksgewühl Und schlief nur wenig Stunden Und liess dann sein Gefühl Sich zu Gedanken runden: »Ein Fluch auf diese Zeit! Was grad wuchs, biegt sie krumm! Mein Herzblut aber schreit: Warum, o Gott, warum? Wozu denn Herr und Knecht? Was arm, was reich auf Erden? Für das zertretne Recht Will ich der Anwalt werden! Drum her, o her zu mir, Die ihr beladen seid! Mein Reich ist ja von hier! Mein Reich ist diese Zeit! Ihr, die hier wild in sich Den Schrei der Wuth ersticken, Kommt alle her, denn ich, Ja ich will euch erquicken! Ich will ins Morgenroth Der nahen Zukunft sehn Und euer Schrei nach Brot Wird in Erfüllung gehn. Der Knechtschaft Dorngesträuch, Mein Schwert soll es zerkrachen, Ich will aus Sklaven euch Zu freien Menschen machen! Ihr aber, die ihr faul Auf euerm Geldsack sitzt, Indess das Volk, der Gaul, Vor euerm Karren schwitzt: Lasst euern Wanst gedeihn, Lasst eure Hunde bellen, Ich werde »Feuer!« schrein, Bis euch die Ohren gellen! Ich stosse von dem Thron Das Wörtchen »mein und dein«, Das brave Volk wird schon Auf seinem Posten sein. Drum tanzt nur! Der Vulkan Wird bald in Feuer kreissen, Dann wird es Zahn um Zahn Und Aug um Auge heissen!« Was er nur halb durchdacht, Er rief es wildverstört Und manche stille Nacht Hat seinen Fluch gehört. Die Furcht vor Gold und Rang Verschwur er hoch und theuer, Ein wilder Wissensdrang Rann ihm durchs Hirn wie Feuer. Wohl stand er hart in Frohn, Ein armer Proletar, Doch blieb sein halber Lohn Beim Bücher-Antiquar. An jedem Wahltag strich Er ruhlos um die Thüren Und haschte Zettel sich, Flugblätter und Broschüren. O, wenn er las und schrieb, Schlug ihm das Herz so warm, Und unverstanden blieb Ihm sein Collegenschwarm. Wenn der in Saus und Braus Sich Sonntags amüsirte, Dann sass er still zu Haus Am Werktisch und studirte. Die Schusterkugel warf Aufs Buch ihr Licht herab Und seitlich hub sich scharf Sein schwarzer Schatten ab. Man sah ihn, wenn er kroch, Bis an die Decke schwanken, Doch höher reichten noch Des Schwärmers Traumgedanken. Er träumte, seine Saat Ging auf im Zeitverlauf Und schon schloss ein Mandat Ihm auch den Reichstag auf. Sein Wort flog wie ein Ball, Er stand auf der Tribüne, Halb Rousseau, halb Lassalle, Und sprach von Schuld und Sühne. Er sprach, und wenn er schwieg, Klang's linksher wie Hurrah, Denn hüben war's ein Sieg Und drüben ein Eclat. Und flog's dann durch das Land, Wo heisse Stirnen tropften, Dann gab man sich die Hand Und tausend Herzen klopften. Und wieder schlug's ihm dann Vertrauter ans Gehör, Er war ein schlichter Mann, Ein Zeitungsredakteur. Er sass am Pult und schrieb, Es waren grosse Züge, Und jeder Satz ein Hieb, Ein Hieb ins Herz der Lüge. Er schrieb, und lag das Blatt Dann auf dem Tisch der Noth, Dann war die Armuth satt Und schrie nicht mehr nach Brot. Ein Balsam war sein Wort, Es stand ein Held auf Wache Und war ein rechter Hort Für jede gute Sache. Die Hände vorm Gesicht, So sass er träumend da, Bis bleich das Morgenlicht Durchs Kellerfenster sah. Dann, müd und überwacht, Ging's in die neue Woche – O, er war Tag und Nacht Ein Pegasus im Joche! So rollte abgrundwärts Von dannen Jahr um Jahr Und heller ward sein Herz Und dunkler ward sein Haar. Wie Chopins Melodien, Er war nicht zu verkennen, In seinen Augen schien Ein blauer Stern zu brennen. Er stand nicht mehr bestaubt Am Werktisch um Gewinnst, Das Glück wob ihm ums Haupt Sein lichtes Goldgespinnst. Erschallen liess er frank, Ein Herold, seine Rufe Und jubelte und schwang Von Stufe sich zu Stufe. Er flehte: Herz, sei hart Und rühr's nicht an, das Gold! Bis er es endlich ward, Was er so heiss gewollt. O, nur ein Mann, ein Wort, Ein Volkssoldat auf Wache, Ein echter, rechter Hort Für jede gute Sache! Sein Bild hängt nun bekränzt Die Noth an ihre Wand, Auf seinem Haupt erglänzt Des Freimuths Krondemant. Sein Wort klirrt wie von Erz Und nennst du seinen Namen, Dann schlägt dem Volk das Herz Und heimlich spricht es: Amen! An seinen Werken schweisst Das ringende Geschlecht, Sein Wahlspruch aber heisst: Die Freiheit und das Recht! So kämpft als Paladin Der Schusterssohn von weiland Und alles schaut auf ihn, Wie auf den neuen Heiland. Doch stösst ein Volkstribun Allorts auf einen Stein, Kein Wunder drum, wenn nun Auch viele »Kreuzigt!« schrein. Dies Wort war ja von je Ein gute Wehr und Waffen – So lehrt's das Abc Der Junker und der Pfaffen! Das Volk, hat's ein Idol, Dann will's zum Brot auch Salz: Die Herren wissen wohl, Es geht an ihren Hals! Drum zetern sie: Er ist Ein Teufelsflammenschürer, Ein wilder Antichrist, Ein schlauer Volksverführer! Er aber lacht sie aus, Er weiss, der Sieg ist sein; Und treiben sie's zu kraus, Dann donnert er darein: »Ja, tanzt nur! Der Vulkan Wird bald in Feuer kreissen, Dann wird es Zahn um Zahn Und Aug um Auge heissen!« So klingt – bald Moll, bald Dur – Sein grosses Tongedicht; Ob er ein Schwärmer nur? Je nun, ich glaub es nich! Ein rechter Demokrat Grollt auch im Festungsgraben, Zu einem Manne der That Scheint er das Zeug zu haben. Einstweilen stürzt sein Zorn Ihn noch nicht in den Streit; Er freut sich, wie das Korn, Das er gesät, gedeiht. Schon kann er's hoch und dicht Mit beiden Händen greifen, Doch noch ist's Austtag nicht, Er lässt es reifen, reifen .... Ich seh ihn Tag für Tag, Als wäre nichts geschehn, Still mit dem Glockenschlag An seine Arbeit gehn; Das Halstuch roth wie Blut, Von Locken wirr umflogen, Den Kalabreserhut Tief in die Stirn gezogen.