Hugo von Hofmannsthal Die Frau im Fenster [Motto] La demente: »Conosci la storia di Madonna Dianora?« Il medico: »Vagamente. Non ricordo più« ... Sogno d'un mattino di primavera Prolog Prolog Es treten vor den noch herabgelassenen Vorhang der Dichter und sein Freund: Der Dichter trägt gleich den Personen seines Trauerspiels die florentinische Kleidung des fünfzehnten Jahrhunderts, völlig schwarz mit Degen und Dolch, in der Hand hält er den Hut aus schwarzem Tuch mit Pelz verbrämt; sein Freund ist sehr jung, hoch gewachsen und mit hellem Haar, er trägt die venezianische Kleidung der gleichen Zeit, als einzige Waffe einen kleinen vergoldeten Dolch rückwärts über der Hüfte, am Kopf eine kleine smaragdgrüne Haube mit einer weißen Straußenfeder; sie gehen langsam längs des Vorhanges, schließlich mag sich auch der Dichter auf einer kleinen im Proszenium vergessenen Bank niederlassen, sein Freund zuhörend vor ihm stehenbleiben. Ihr Abgang ist, ehe der Vorhang aufgeht, in die vorderste Kulisse. Nein, im Bandello steht sie nicht, sie steht Woanders, wenn du einmal zu mir kommst, Zeig ich dir, wo sie steht, die ganz kleine Geschichte von Madonna Dianora. Sie ist nicht lang, sie wird auch hier nicht lang: Geschrieben hab ich grad drei Tage dran, Drei Tage, dreimal vierundzwanzig Stunden. Bin ich nicht wie ein Böttcher, der sich rühmt, Wie schnell er fertig war mit seinem Faß? Allein ich lieb es, wenn sich einer freut, Weil er sein Handwerk kann; was heißt denn Kunst? Auf ein Geheimes ist das ganze Dasein Gestellt und in geheimen Grotten steht Ein Tisch gedeckt, der einzige, an dem Nie ein Gemeiner saß: da sitzen alle Die Überwinder: neben Herakles Sitzt einer in der Kutte, der mit Händen Von Wachs und doch von Stahl in tausend Nächten Den Thron erschuf, in dessen Rückenlehne Aus buntem Holz die herrlichsten Geschichten Zu leben scheinen, wenn ein Licht darauf fällt. Und neben diesem Zaubrer wieder sitzt Ein längst verstorbner Bursch aus einem Dorf: Er war der schönste und der gütigste; Die Furche, die er zog mit seinem Pflug, War die geradeste, denn mit der Härte Des unbewußten königlichen Willens Lag seine Hand am Sterz des schweren Pfluges. Und noch ein schwacher Schatten seiner Hoheit Lebt fort in allen Dörfern des Geländes: Wer König ist beim Reigenspiel der Kinder, Dem alle nachtun müssen was er tut Und folgen wenn er geht, den nennen sie, Und wissen nicht warum, mit seinem Namen Noch heute, und so lebt sein Schatten fort. Und neben diesem sitzen große Könige Und Heeresfürsten, die mit einer Faust Den Völkern, die sich bäumten, in die schaum- Bedeckten Zäume greifend und zu Boden Die wilden Nüstern zwingend in den Sattel Den eigenen goldumschienten Leib aufschwangen, Und andre, Städtegründer, die, den Lauf Der Flüsse hemmend, von getürmten Mauern Mit ihrer Gärten Wipfeln nach dem Lauf Der niedern Sterne langten, und mit Schilden, Darauf die Sonne fiel, hoch über Länder Und heilige Ströme hin, die Zeichen tauschten Mit ihren Wächtern in den Felsenburgen, Verächter dessen, was unmöglich schien. Und zwischen diesen Fürsten ist der Stuhl Gesetzt für einen, der dem großen Reigen Der Erdendinge, wandelnd zwischen Weiden, Zum Tanz aufspielte abends mit der Flöte, Der Flügel trug von Sturm und dunkeln Flammen. Und wieder ist ein Stuhl gesetzt für den, Der ging und alle Stimmen in der Luft Verstand und doch sich nicht verführen ließ Und Herrscher blieb im eigenen Gemüt Und als den Preis des hingegebenen Lebens Das schwerlose Gebild aus Worten schuf, Unscheinbar wie ein Bündel feuchter Algen, Doch angefüllt mit allem Spiegelbild Des ungeheuern Daseins, und dahinter Ein Namenloses, das aus diesem Spiegel Hervor mit grenzenlosen Blicken schaut Wie eines Gottes Augen aus der Maske. Für jeden steht ein Stuhl und eine Schüssel, Der stärker war als große dumpfe Kräfte: Ja von Ballspielern, weiß ich auch, ist einer, Der Zierlichste und Stärkste, aufgenommen, Dem keiner je den Ball zurückgeschlagen, Auch nicht ein Riese, und er spielte lächelnd Als galt es Blumenköpfe abzuschlagen. Doch hab ich einen Grund, nicht zu vergessen, Daß ich dies kleine Ding in einem Fenster In zweiundsiebzig Stunden Vers auf Vers Zu Ende trieb mit heißgewordenem Griffel. In einem fahlen Lichte siehst du Tage Wie diese drei in der Erinnerung liegen Dem Lichte gleich, in dem die Welt daliegt, Wenn du vor Tag aufwachst, ein leichter Regen Aus schlaffen Wolken fällt und deine Augen Noch voller Nacht und Traum das offene Fenster Und diese Bäume ohne Licht und Schatten Zu sehn befremdet und geängstigt sind Und doch sich lang nicht schließen können, so Wie wenn sie keine Lider hätten. Wenn du Zum zweiten Mal im hellen Tag erwachend Aus allen Spiegeln grün und goldnen Glanz Bewegter Blätter und den Lärm der Vögel Entgegennimmst, dann ist es sonderbar, Sich jener bleichen Stunde zu entsinnen: So waren diese zweiundsiebzig Stunden, Und wie der Taucher aus dem fahlen Licht Ans wirkliche, so tauchte ich empor Und holte Atem und berührte mit Entzückten Fingern einen frischen Quell, Den Flaum auf jungen Pfirsichen, die Köpfe Von meinen Hunden, die sich um mich drängten. Und da ich die Erinnrung an die drei Dem Leben fremden Tage nun nicht liebte, Versank sie und die Wellen trugen mich Du weißt wohin ... Es trugen wirklich mich Die Wellen hin, denn weißt dus oder nicht: Sie können von der unteren Terrasse Mit Angeln fischen, aus den Zimmern selber, Und steigst du aus den oberen Gemächern, Trägt dich ein Hügel, Bergen angegliedert. Dort gingen mir die schönen Tage hin Und nahmen einer aus des andren Händen Den leichten Weinkrug und den Ball zum Spielen. Bis einer kam, der ließ die Arme sinken Und wollte nicht den Krug und nicht den Ball, Und schmiegte seinen Leib in ein Gemach, Die Wange lehnend an die kühlste Säule Und horchend wie das Wasser aus dem Becken Herunter fällt und über Efeu sprüht. Denn es war heiß. Wir hatten ein Gespräch, Aus dem von dunkeln und von hellen Flammen Ein schwankes Licht auf viele Dinge fiel, Indes der heiße Wind am Vorhang spielend Den grellen Tag bald herhielt, bald versenkte. Und unter diesem schattenhaften Treiben Las ich mein Stück, sie wolltens, ihnen vor, Und mit den bunten Schatten dieser Toten Belud ich noch die schwere schwüle Luft. Und als ich fertig war und meine Blätter Zusammennahm, empfand ich gegen dies Wie einen dumpfen Zorn und sah es an, Wie der Ermüdete die Schlucht ansieht, Die ihm zuviel von seiner Kraft genommen Und nichts dafür gegeben: denn sie war Gestein und Schatten von Gestein, sonst nichts, Darin er klomm, und wußte nichts vom Leben. Dann gingen, nur ein Zufall, alle andern Aus diesem Zimmer, irgendwas zu holen, Vielmehr hinunter nach dem See, ich weiß nicht, Genug, ich blieb allein und lehnte mich In meinem Stuhl zurück und unbequem, Allein den Nacken doch an kühlen Stein Gelehnt und grüne Blätter nah der Stirn, Schlief ich auf einmal ein und träumte gleich. Dies war der Traum: Ich lag ganz angekleidet Auf einem Bett in einer schlechten Hütte. Es blitzte draußen und ein großer Sturm War in den Bergen und auf einem Wasser. Ein Degen und ein Dolch lag neben mir, Ich lag nicht lang, da schlug es an die Tür, Wie mit der Faust, ich öffnete, ein Mann Stand vor der Tür, ein alter Mann, doch stark, Ganz ohne Bart mit kurzem grauem Haar; Ich kannte ihn und konnte mich nur nicht Besinnen, wo ich ihn gesehn und wer Es war. Allein das kümmerte mich nicht. Und auch die Landschaft, Die jeden Augenblick einen Blitz auswarf, Mir völlig fremd und wild mit einem Bergsee, Beängstigte mich nicht. Der alte Mann Befahl mir, wie ein Bauer seinem Knecht: Hol deinen Dolch und Degen, und ich ging. Und als ich wiederkam, da hatte er Im Arm, gewickelt in ein braunes Tuch, Den Leib von einer Frau, die fester schlief Als eine Tote und mir herrlich schien. Nun ging der Mann mit seiner Last voran Und ich dicht hinter ihm herab zum See, Durch einen steilen Hohlweg voll Gerölle. Bald kamen wir ans Wasser, stampfend hing Dort eine schwere Plätte in dem Dunkel, Ich wußte, solche Plätten haben sie Hier in der Gegend, die gebrochenen Steine Aus dem Gebirg herabzuführen, weil Der See sich dann als Fluß hinab ergießt. Ich sah beim Blitz, woran die Plätte hing: Zwei Knechte hielten mit entblößten Armen Mit aller Kraft die wilden nackten Wurzeln Der großen Ufertannen fest, die Plätte Ging auf und nieder, doch ich konnte hören Am Niederstampfen, daß sie furchtbar schwer war. Der Alte stieg hinein, dann ich, er ließ Die Schlafende zu Boden gleiten, schob Das Tuch ihr untern Kopf, ergriff die Wurzeln Und schwang sich auf und stieß mit seinem Fuß Mit ungeheuerer Kraft das Schiff ins Freie. Die Knechte hingen schon mit ganzem Leib Am Steuerruder, dann bemerkte ich Das sonderbare Kleid der jungen Frau: Es war die braune Kapuzinerkutte, Nur um den Hals ein breiter weißer Kragen Von feinen Spitzen und ein schöner Gürtel Mit goldenen Schildern um den schmalen Leib. Und augenblicklich wußte ich, das ist Die Tracht, wie sie sie noch in sieben Dörfern Jenseits des Waldes tragen müssen wegen Des Pestgelübdes. Aber ihr Gesicht War wundervoll gemischt mich zu ergreifen: Mit Lidern, die ich kenne, deren Anblick In mir Erinnerungen löste, wie Ein Licht in einem Abgrund, oder Lippen So fein gezogen, doch so süß geschwellt Wie ich sie nie gesehen und über alles Verlangend wär zu sehn, auch nur zu sehen! Ich konnte alles sehn, die Blitze kamen So oft wie einer mit den Wimpern zuckt. Mit dieser war ich nun allein, doch nicht Allein, drei Schritte hinter meinem Rücken Stand mit der Kette um die dicken Hörner, Mit wilden Augen, ungeheurem Nacken Ein Stier, die Kette hielt ein Knecht dreimal Um seinen Arm gewunden. Dieser Knecht War klein und stämmig und mit rotem Haar. Und weiter vorne, wo die schwere Plätte Mit unbehau'nen Platten roten Steins Beladen war, saß noch ein andrer Gast: Erinnerst du dich des blödsinnigen Zerlumpten Hirten, der einmal beim Reiten Mit gellendem Geschnatter aus der Hecke Vorspringend uns die Pferde so erschreckte? Der wars, nur noch viel größer und viel wilder, Und von den Lippen floß ihm so wie jenem Die wirre Rede wie ein wütend Wasser In einer Sprache, deren Laute gurgelnd Einander selbst erwürgten. Und ich wußte – Ich wußte wieder! – Rätisch redet der, Ist aus den Wäldern, wo sie Rätisch reden, Und immerfort verstand ich was er meinte. Er gab mir Rätsel auf, er schrie: Wo sind Die tausend Jungfern, mehr als tausend Jungfern, Weihwasser geben sie einander, wo? Und sonderbar, in diesem Augenblick Triebs uns am Ufer hin, dort hing ein Haus Mit fahlen Mauern hart am jähen Ufer, Von dessen steilem Schindeldach der Regen Herunterschoß, da wußte ich sogleich: Die Schindeln meinte er. Dann fing er an Und sprach die Zaubersprüche, die sie haben Ihr Vieh zu schützen, doch ich hörte ihm Schon nicht mehr zu und könnt ihn auch nicht sehen. Die Blitze hatten aufgehört, der Sturm War nicht so laut, doch nunmehr trieben wir Mit einer so entsetzlichen Gewalt, Daß nicht mehr Stampfen, nur das dumpfe Schleifen Durchs Wasser hin zu hören war, und plötzlich Sah ich vor uns aus der pechschwarzen Nacht Ein graues riesiges Gebild, ich wußte, Es waren Wolken, aber gleich dahinter Die Klippen, wußte, Wirbel sind zur Linken, Die Spitze aber rechts, hier wendet sichs, Weil sich der See verengt und in das Bette Des Flusses wild hinunter will. Ich schrie: Nach links! Die Knechte lachten, kam mir vor. Ich warf den Dolch nach ihnen, pfeifend flog er Und schnitt dem einen hart am Ohr vorbei, Sie stemmten sich nach rechts, das Schiff ging links Und fing zu drehen an, da hub der Stier Zu stampfen an und schlug mit seinen Hufen Den Rand des Schiffes und er brüllte dröhnend, Indes der Hirt ein wunderliches Lied Anfing mit einem Abzählreim, so wie's Die Kinder machen, und der Reim ging aus Auf mich. Indessen weiter trieben wir Und es war heller, kam mir vor, wir trieben In einem tiefen eingerißnen Tal, Ich fühlte, daß es nur der Anfang war ... Was jetzt kommt ging in einem, schneller als Ich es erzählen kann, ging alles dies Und tausend Dinge mehr noch durcheinander Und dauerte doch endlos lang, begann An jeder Klippe, jeder Biegung neu; Ich wußte immerfort, das Gleiche war Ja schon einmal, das hab ich schon erlebt Und dennoch warfs der Abgrund immer neu Und immerfort verändert wieder aus. Die Strömung riß uns hin, zuweilen kam Aus einem Seitental ein jäher Wind Und immer schneller lief es zwischen Felsen. Mit welchen Sinnen ich den Weg erriet, Die Plätte in dem tiefen Streif zu halten, Kaum breiter als sie selbst, das weiß ich nicht, Denn alle Sinne waren überwach, So überschwemmt vom Leben wie ichs nicht Dir sagen kann ... Ich konnte mit geschlossenen Augen fühlen Den Weg im Wasser, den wir nehmen mußten. Ich wußte, welchen feuchten Pfad die Aale Hinglitten, wenn sie sich aus dem Getöse Zu flüchten eine still geschloßne Bucht Mit flachem Ufer suchen. Alle Schwärme Der schattenhaft hingleitenden Forellen Fühlt ich hinan die klaren Bäche steigen Bis an die Falten des Gebirges, fühlen Könnt ich ihr Gleiten über freigespültes Hier rot hier weißlich schimmerndes Gestein ... Die Lager wußt ich, tiefer als die Wurzeln Der starken Eichen, wo im weichen Ton Ein Glimmerndes mit funkelnden Granaten Im tiefen Bette eingewühlt da liegt, Wie schöne Mäntel eingesunkener Schläfer. Dem Wind, wenn er mich anblies, fühlt ich an, Ob er hervorgeflogen aus dem Dickicht Der Lärchen war, ob von den leeren Halden Und weißen Brüchen nackter harter Steine. Und unaufhörlich, wenn bei mir im Schiff Der Stier mit vorgestreckten Nüstern brüllte, So spürte ich, wie auf den fernen Triften Im dunkelsten Gebirg die jungen Kühe Sich auf die Knie erhoben, völlig dann Auf ihre Füße sprangen und durchs Dunkel Hinliefen und die Luft der Nacht einsogen. Indessen war der Fluß, auf dem wir fuhren, Breiter geworden und ein Tag brach an Von so ersticktem Halblicht wie der Tag Aussehen mag am Grund von tiefem Wasser. Am Ufer waren Bauten: starke Mauern In breiten Stufen, welche Bäume trugen. Von diesen wußt ich alles: jeden Stein, Wie er gebrochen war und wie gefügt, Und spürte, wie die andern auf ihm lagen, Und wie du deine Hände spürst, wenn du sie Ins Wasser hältst, so spürte ich die Schatten Der Tausende von Händen, die einmal Hier Steine schichteten und Mörtel trugen, Von Tausenden von Männern und von Frauen Die Hände, manche von ganz alten Männern, Von Kindern manche, spürte wie sie schwer Und müde wurden und wie eine sich Schlafsüchtig öffnete und ihre Kelle Zu Boden fallen ließ und dann erstarrte Im letzten Schlaf. Und unter meinen Füßen Die Fische und auf ihren feuchten Triften Die jungen Kühe, die den Boden stampften, Auf stundenweiten Triften, und der Wind, Von dem ich wußte wie er kam und ging, Und neben mir der Narr mit wildem Mund! Er schwieg nicht einen Augenblick: Ja ja, Schrie er einmal, die Frauen und die Pferde, Die wissen nicht, wo sich die Grube heben, Ein Mann der weiß sein Grab, der weiß sein Grab. Dann kam viel vor vom Volk und Zorn des Volkes Und tausend andres und ich wußte alles, Und immerfort bei allen seinen Reden, Dem fremden wirren Zeug, war mir, als ob sichs Auf mich bezöge und mein Leben. Und Auch jene namenlosen andern Dinge Im Wasser, an den Ufern, in der Luft Bezogen sich auf mich und diese Frau, Die mir zu Füßen schlief, und wie ihr Anblick Mir durch den Leib schnitt gleich sehnsüchtger Lust, So griffen unaufhörlich diese Reden Des Narren, ja die Fische, die sich schnellten, Die schattenhaften Hände, die dort bauten, Die Tiere, die verlangend brüllten, in mich Hinein und lösten dunkle Teile los In meinem Innern und entbanden Schauer Völlig vergessener Tage, schwankende Durchblicke, namenlose Möglichkeiten. – Dich schwindelt schon, und doch, indem ich rede, Fühl ich als rieselte es ab von mir, Und wenig ist es, unaufhörlich gehts Verloren, ist fast nichts, was ich erzähle! Wie wenn sich einer, aus den stärksten Wellen Des wilden Bades tauchend, einen Zweig Umklammernd schnell ans Ufer hebt und steht In Wind und Sonne, so ist es mit dem Verglichen, was ich träumte. Wie lang dies dauerte, das weiß ich nicht; Nur unaufhörlich wars, wie aus dem Berge Ein Wasserfall. Wir legten dann einmal An einem öden Ufer an und dort So gegen Abend stieg der mit dem Stier Hinaus und trieb sein Tier hinein ins Land, Doch weiß ich nicht, war dies am ersten Abend, Denn eine zweite Nacht kam jedenfalls Noch wunderbarer als die erste, denn Der Wind fing wieder an, doch zwischen Wolken, Seltsamen Wolken, hingen da und dort Die Sterne, und durch dies Gewebe bebte Ein sanftes Blitzen von grüngoldnem Licht. Auch der verrückte Hirte muß uns dann Verlassen haben, denn am Ende, weiß ich, War er nicht da und auch die Knechte nicht, Das Schiff glitt lautlos hin, ich hatte leicht Die eine Hand am Steuerruder liegen, So trieben wir noch einen solchen Tag Mit halbem fahlem Licht wie unterm Wasser, Und immer bebten meine Pulse voll Mit allem Lebenden der ganzen Landschaft. Dann kam ein Abend ... oder wars ein Morgen? Rings lag ein Nebel, doch ein lichter Nebel, Ein Morgen muß es doch gewesen sein, Da bog der Fluß sich um und eine Mulde Lag an dem einen Ufer und ein Gitter Von einem Garten lief bis an das Wasser, Und ungewiß im Nebel wie der Eingang Zu einer Höhle tat der runde Mund Von einem großen Laubengang sich auf. Im Nebel gingen Menschen hin und her, Ein Diener lief herab und schrie: Er ists! Die andern kamen, Freunde, alle Freunde, Auch du, auftauchend aus dem dichten Nebel Wie Schwimmer und dahinter liebe Bäume, Die Bäume meines Hauses und der Gang, Der offne Bogengang von meinem Haus, Und wie sich alle diese lieben Hände Vom Ufer auf den Rand der Plätte legten, Da dehnte sich die liebliche Gestalt, Die mir zu Füßen lag, so wie ein Kind Vor dem Erwachen; ja sie hatte sich Die letzte Nacht gewendet, daß sie jetzt Mit dem Gesicht auf beiden Händen lag. Nun fühlte ich mit einem grenzenlosen Entzücken, wie der starre Schlaf sie ließ, Das Leben fühlte ich durch zarte Schultern Zum Nacken hin und in die Kehle fließen Und wie es nach den Hüften niederlief: Und wiederum war alles dies zugleich: – Dies Fühlen, das mir ihren jungen Leib In mich hinein so legte wie in eine Bewußte fühlende belebte Gruft, Und wundervolles anderes Bewußtsein Von eurer Nähe, aller meiner Freunde. Und wie mein alter Diener neben dir Mit einer Stimme, die von Regung bebte, Dies flüsterte: Nach zweiundsiebzig Stunden Ist er zurück! da fühlte ich das Beben In meiner eigenen Kehle, und im Innern Empfand ich dein Gefühl, mit dem dus hörtest, Und bückte mich mit mehr als trunkenen Händen, Die Schultern der Erwachenden empor Zu ziehn, da werd ich selber an den Schultern Emporgezogen und – bin wach! um mich Die Freunde, denen ich das Stück gelesen, Du nicht natürlich, und sie hielten mich, Denn ich war vorgesunken auf dem Stuhl, Wie einer, der sich bückt, was aufzuheben. In meinen Augen war noch zu viel Traum, In meinen Ohren hatt ich noch das Wort Von meinem Diener: Zweiundsiebzig Stunden, Und fragte nur: So seid ihr schon zurück? Sie waren noch nicht fortgewesen, nur Im Nebenzimmer wieder umgekehrt, Mich mitzunehmen. Nicht so viele Zeit Als einen Krug zu füllen unterm Brunnen, Und diese Fahrt! Ich nahm es für ein Zeichen, Für eine dumpfe Widerspiegelung Des andern traumerfüllten Einsamseins, Das wirklich zweiundsiebzig Stunden währte. Zwar wirklich? haben wir ein Maß für wirklich? ... Du meinst, es war auch ein Bild im Einzelnen? Ein großes Gleichnis? Nun, kann sein, auch nicht! Gleichviel, bei solchem Treiben der Natur Ist eine tiefre Bildlichkeit im Spiel, Denn ihr ist alles Bild und alles Wesen. Allein es war ein Wink: sie gibt das Leben Von tausend Tagen wenn sie will zurück, Indessen du dich bückst um eine Frucht. Nun müssen wir wohl gehn, ich hör schon rückwärts, Wie sie zusammenstellen Haus und Garten Aus Holz und Leinwand, Schatten eines Traumes! – Es war mir beinah lieber, wenn nicht Menschen Dies spielen würden, sondern große Puppen, Von einem ders versteht gelenkt an Drähten. Sie haben eine grenzenlose Anmut In ihren aufgelösten leichten Gliedern Und mehr als Menschen dürfen sie der Lust Und der Verzweiflung selber sich hingeben Und bleiben schön dabei. Da müßte freilich Ein dünner Schleier hängen vor der Bühne. Auch anderes Licht. Doch komm, wir müssen gehen. Personen Personen. Messer Braccio. Madonna Dianora. Die Amme. [Stücktext] [Stücktext] Die Gartenseite eines ernsten lombardischen Palastes. Rechts die Wand des Hauses, welche einen stumpfen Winkel mit der den Hintergrund bildenden mäßig hohen Gartenmauer umschließt. Das Haus besteht bis zur anderthalbfachen Manneshöhe aus unbehauenen Quadern. Dann kommt ein kahler Streif, dann ein Marmorsims, der sich unter jedem Fenster zu einer Medaille mit dem halberhabenen Gesicht eines ruhigen Löwen erweitert. Man sieht zwei Fenster, jedes hat einen kleinen eckigen Balkon, dessen Steingeländer nach vorne Spalten hat, so daß man die Füße der Menschen sieht, die in diesen Erkern stehen. In beiden Fenstern ist ein Vorhang gegen das dahinterliegende Zimmer. Der Garten ist nur ein Rasenplatz mit ungeordneten Obstbäumen. Die Ecke zwischen Mauer und Haus ist mit dunklem Buchsgesträuch angefüllt. Die linke Seite der Bühne bildet eine dichte Weinlaube, von Kastanienbäumen getragen; man sieht nur ihren Eingang, sie verläuft schief nach links rückwärts. Auch gegen den Zuschauer hin ist der Garten verlaufend zu denken. Hinter der rückwärtigen Mauer befindet sich (für den Zuschauer auf der Galerie) ein schmaler Weg, dahinter die Mauer des Nachbargartens, der zu keinem Haus zu gehören scheint. Und im Nachbargarten und weiter rückwärts, so weit man sieht, nichts als die Wipfel unregelmäßig stehender Obstbäume, angefüllt mit Abendsonne. am rückwärtigen Fenster. Ein Winzer ists und noch der letzte nicht, noch nicht der letzte, der vom Hügel steigt! Da sind noch ihrer drei, und da, und dort ... So hast du denn kein Ende, heller Tag? Wie hab ich dir die Stunden aus den Händen gewunden, aus den halbgeöffneten, und sie zerbröckelt und die kleinen Stücke hineingeworfen in ein treibend Wasser, wie ich jetzt mit zerrißnen Blüten tu. Wie hab ich diesen Morgen fortgeschmeichelt! Ein jedes Armband, jedes Ohrgehäng nun eingehängt, nun wieder abgelegt, und wiederum genommen, oder dann doch wieder abgelegt und ganz vertauscht. Und einen schweren Schwall von klarem Wasser im Bade durch mein Haar und langsam dann, ganz langsam ausgewunden und dann langsam mit stillen, steten Schritten auf und ab den schmalen Mauerweg dort in der Sonne: doch wars noch immer feucht: es ist so dicht. Dann suchte ich im Laubengang nach Nestern mit jungen Meisen: leiser als ein Lufthauch bog ich die schwanken Reben auseinander und saß im bebenden Gebüsch und fühlte auf meinen Wangen, auf den Händen wandern, unsäglich langsam wandern mit den Stunden die kleinen Flecken von erwärmtem Licht und schloß die Augen halb und konnt es fast für Lippen nehmen, die so wanderten. Doch kommen Stunden, wo all der Betrug nichts fruchtet, wo ich nichts ertragen kann, als in der Luft dem Rudern wilder Gänse mit hartem Blick zu folgen oder mich zu beugen auf ein wildes schnelles Wasser, das meinen schwachen Schatten mit sich reißt. Geduldig will ich sein, ich bin es ja: Madonna! einen hohen steilen Berg will ich hinaufgehn und bei jedem Schritt mich niederknieen und den ganzen Berg abmessen hier mit dieser Perlenschnur, wenn dieser Tag nur schnell hinuntergeht! Denn er ist gar zu lang, ich meß ihn schon mit tausendfachen kleinen Ketten ab; nun red ich wie im Fieber vor mich hin, nur statt die Blätter wo am Baum zu zählen, und bin schon wieder viel zu früh am End! ... Ja, da! Der Alte ruft den Hund herein! So liegt sein kleiner Garten schon im Schatten: er fürchtet sich und sperrt sich ein, allein! Für ihn ist jetzt schon Nacht, doch freuts ihn nicht. Nun gehen auch die Mädchen nach dem Brunnen: von jeder kenn ich jetzt schon ganz die Weise, wie sie den Träger mit den leeren Eimern abnimmt. – Die letzte ist die hübscheste ... Was tut der Mensch, ein fremder Mensch, am Kreuzweg? Der geht wohl heut noch weit; er hebt den Fuß auf einen Stein und nimmt die Tücher ab, in die der Fuß gewickelt ist, – ein Leben! Ja, zieh dir aus der Sohle nur den Dorn, denn du mußt eilen, eilen müssen alle; hinunter muß der fieberhafte Tag und dieser Flammenschein von unsern Wangen. O was uns stört und was uns lastet, fort! Fort wirf den Dorn, ins Feld, wo in den Brunnen das Wasser bebt und Büschel großer Blumen der Nacht entgegenglühn; ich streif die Ringe von meiner Hand, und die entblößten Finger sind froh wie nackte Kinder, die des Abends zum Bach hinunter dürfen, um zu baden. – Nun geben sie vom Brunnen, nur die letzte verweilt sich noch ... Wie schönes Haar sie hat; allein was weiß sie, was sie daran hat! Sie ist wohl eitel drauf, doch Eitelkeit ist nur ein armes Spiel der leeren Jahre: Einmal, wenn sie hinkommt, wo ich jetzt bin, wird sies liebhaben, wird es über sich hinfallen fühlen, wie ein Saitenspiel mit leisem Flüstern und dem Nachgefühl geliebter Finger fiebernd angefüllt. Sie löst ihr Haar auf und läßt es links und rechts nach vorne fallen. Was wollt ihr hier bei mir? Hinab mit euch! Ihr dürft entgegen! Wenn es dunkel ist und seine Hand sich an der Leiter hält, wird sie auf einmal statt der leeren Luft und kühler fester Blätter hier vom Buchs euch spüren, leiser als den leichten Regen, der abends fällt aus dünnen goldnen Wolken. Läßt das Haar über die Brüstung hinabfallen. Seid ihr so lang und reicht doch nicht ein Drittel des Weges, rührt mit euren Spitzen kaum dem Löwen an die kalten Marmornüstern! Sie lacht, hebt sich wieder. Ah! eine Spinne! Nein, ich schleudre dich nicht weg, ich leg die Hand nun wieder still hier aufs Geländer, und du findest weiter den Weg, den du so eifrig laufen willst. Wie sehr bin ich verwandelt, wie verzaubert! Sonst hätt ich nicht die Frucht berührt im Korb, war nur am Rand des Korbes dies gelaufen: nun nimmst du deinen Weg auf meiner Hand, und mich in meiner Trunkenheit erfreuts. Ich könnte gehn am schmalen Rand der Mauer und würd so wenig schwindlig als im Garten. Fiel' ich ins Wasser, mir wär wohl darin: mit weichen, kühlen Armen fing's mich auf, und zwischen schönen Lauben glitt' ich hin mit halbem Licht und dunkelblauem Boden und spielte mit den wunderlichen Tieren, goldflossig und mit dumpfen guten Augen. Ja, müßt ich meine Tage eingesperrt in einem halbverfallenen Gemäuer im dicken Wald verbringen, war mir doch die Seele nicht beengt, es kämen da des Waldes Tiere, viele kleine Vögel, und kleine Wiesel rührten mit der Schnauze und mit den Wimpern ihrer klugen Augen die Zehen meiner nackten Füße an, indessen ich im Moos die Beeren äße! ... Was raschelt dort? Der Igel ists, der Igel vom ersten Abend! Bist du wieder da, trittst aus dem Dunkel, gehst auf deine Jagd? Ja! Igel, käm nur auch mein Jäger bald! Aufschauend. Nun sind die Schatten fort, die Schatten alle: die von den Pinien, die von den Mauern, die von den kleinen Häusern dort am Hügel, die großen von den Weingerüsten, der vom Feigenbaum am Kreuzweg, alle fort, wie aufgesogen von der stillen Erde! Nun ist es wirklich Nacht, nun stellen sie die Lampe auf den Tisch, nun drängen sich im Pferch die Schafe fester aneinander, und in den dunklen Ecken der Gerüste, wo sich die dichten Weingewinde treffen, da hocken Kobolde mit einem Leib wie hübsche Kinder, doch boshaften Seelen, und auf den Hügeln treten aus der Lichtung vom Wald die guten Heiligen heraus und schauen hin, wo ihre Kirchen stehen, und freun sich an den vielen Kapellen. Nun, süßes Spielzeug, darfst du auch heraus, feiner als Spinnweb, fester als ein Panzer! Sie befestigt ein Ende der seidenen Strickleiter an einem Eisenhaken innen am Boden des Balkons. Nun tu ich so als wär es höchste Zeit, und lasse dich hinab in meinen Brunnen, mir einen schönen Eimer aufzuziehn! Sie zieht die Strickleiter wieder herauf. Nun ist es Nacht: und kann so lange noch, so endlos lang noch dauern, bis er kommt! Ringt die Finger. Kann! Mit leuchtenden Augen. Aber muß nicht! aber freilich kann ... Sie macht in ihre Haare einen Knoten. Währenddem ist die Amme an das vordere Fenster getreten und gießt die roten Blumen, die dort stehen. sehr heftig erschreckend. Wer ist da, wer? ach Amme, du bist es! So spät hab ich dich hier noch nie gesehen ... Ist denn etwas geschehn? ... Nichts, gnädige Frau! Siehst du denn nicht, ich habe meine Blumen vergessen zu begießen, und am Weg vom Segen heim fällts mir auf einmal ein, und da bin ich noch schnell heraufgegangen. So gieß nur deine Blumen. Aber, Amme, wie sonderbar du aussiehst! Deine Wangen sind rot, und deine Augen glänzen so ... Amme gibt keine Antwort. Sag, predigt immer noch der Bruder, der ... kurz. Ja, gnädige Frau. Aus Spanien ist er, sag? Amme gibt keine Antwort. Pause. verfolgt ihren eigenen Gedankengang. Sag, Amme, wie war ich als Kind? Stolz, gnädige Frau, ein stolzes Kind, nichts als stolz. sehr leise. Wie sonderbar, und Demut ist so süß ... Wie? Ich habe nichts gesagt, gnädige Frau ... Ach so. Sag, mit wem hat er Ähnlichkeit, der spanische Geistliche. Er ist anders als die anderen Leute. Nein, nur so im Aussehen ... Mit meinem Mann, mit dem gnädigen Herrn? Nein, gnädige Frau. Mit meinem Schwager? Nein. Mit Ser Antonio Melzi? Nein. Messer Galeazzo Suardi? Nein. Messer Palla degli Albizzi? Mit diesem hat die Stimme ein wenig Ähnlichkeit. Ja, ich hab gestern zu meinem Sohn gesagt, die Stimme erinnert ein bißchen an Messer Pallas Stimme. Die Stimme ... Aber die Augen erinnern ein wenig an Messer Guido Schio, den Neffen unseres gnädigen Herrn. Dianora schweigt. Er ist mir gestern auf der Stiege begegnet. Er ist stehngeblieben. auffahrend. Messer Palla? Nein, unser gnädiger Herr. Er befahl mir, ihm von der Wundsalbe zu machen, die aufgebraucht ist. Seine Wunde ist noch immer nicht ganz geheilt. Ach ja, der Biß vom Pferd. Hat er sie dir gezeigt? Ja, am Rücken der Hand ist es zugeheilt, innen aber ist ein kleiner dunkler Fleck, so sonderbar, wie ich ihn nie bei einer Wunde gesehen habe ... Von welchem Pferd er das nur hat? Von dem schönen großen Rotschimmel, gnädige Frau. Ja, ja, ich entsinn mich schon. Es war an dem Tag, wo Francesco Chieregatis Hochzeit war. Sie fängt hell zu lachen an. Amme sieht sie an. Ich hab an etwas anders denken müssen. Er erzählte es dann bei Tisch, er trug die Hand in einem Tuch. Wie war es nur eigentlich? Was, gnädige Frau? Das mit dem Pferd. Weißt du es nicht, gnädige Frau? Er erzählte es bei Tisch. Ich konnte es aber nicht hören. Messer Palla degli Albizzi saß neben mir und war so lustig, und alle lachten, und ich konnte es nicht gut hören, was mein Mann erzählte. Wie der gnädige Herr in den Stand getreten ist, hat der Rotschimmel die Ohren zurückgelegt, geknirscht und auf einmal nach der Hand geschnappt. Und dann? Dann hat ihn der Herr mit der Faust hinter die Ohren geschlagen, daß das große starke Pferd getaumelt hat wie ein junger Hund. Dianora schweigt, sieht verträumt vor sich hin. Oh, er ist stark, unser Herr. Er ist der stärkste Herr vom ganzen Adel ringsum und der klügste. Nicht wahr? Erst aufmerkend. Wer? Unser Herr. Ach, unser Herr. Lächelt. Pause. – – Und seine Stimme ist so schön, und deswegen hören ihm alle so gern zu, in der großen halbdunklen Kirche. Wem, gnädige Frau? Dem spanischen Ordensbruder, wem denn? Nein, gnädige Frau, es ist nicht wegen der Stimme, daß man ihm zuhört. Gnädige Frau ... Dianora gibt schon wieder nicht acht. Gnädige Frau, ist das wahr, was sich die Leute erzählen, das von dem Gesandten? Von welchem Gesandten? Von dem Gesandten, den die Leute von Como an unsern Herrn geschickt haben. Was erzählen denn die Leute? Ein Schafhirt, sagen sie, hats gesehen. Was hat er denn gesehen? Unser Herr war zornig über den Gesandten und hat den Brief nicht nehmen wollen, den ihm die von Como geschrieben haben. Dann hat er ihn doch genommen, den Brief, halb gelesen, und in Fetzen gerissen und die Fetzen dem Menschen, dem Gesandten, vor den Mund gehalten und verlangt, er solle sie verschlucken. Der ging aber rückwärts wie ein Krebs und machte gerade solche stiere Augen wie ein Krebs, und alle lachten, am meisten aber der Herr Silvio, dem gnädigen Herrn sein Bruder. Dann hat ihm der Herr sein Maultier aus dem Stall ziehen und vors Tor stellen lassen; und wie der zu langsam in den Sattel kam, nach den Hunden gepfiffen. Der Gesandte ist fort mit seinen zwei Knechten. Unser Herr ist mit sieben Leuten hinaus auf die Jagd, mit allen Hunden. Gegen Abend aber sollen sie einander begegnet sein, an der Brücke über die Adda, dort wo das Varesanische anfängt, unser Herr, der von der Jagd am Heimweg war, und der Mensch aus Como. Und der Schafhirt kommt auch vorbei und treibt seine Herde neben der Brücke in ein Maisfeld, nur daß sie ihm nicht von den Pferden zusammengetreten werden. Da hört er unsern Herrn rufen: »Da ist der, der nicht essen wollte, vielleicht will er trinken!« Und vier von unsern Leuten hängen sich an die zwei Knechte, zwei andre nehmen den Gesandten jeder bei einem Bein, heben ihn aus dem Sattel und schleudern ihn, der sich wehrt wie ein Wahnsinniger, übers Geländer. Einem hat er mit den Zähnen ein Stück vom Ärmel mitsamt dem Fleisch darunter herausgerissen. Die Adda hat an der Stelle recht steile Ufer, sie war ganz dunkel und reißend von dem vielen Regen im Gebirg. Er ist nicht wieder herausgekommen, hat der Schafhirt gesagt. Amme hält inne, sieht sie fragend an. finster. Ich weiß nicht. Sie schüttelt den sorgenvollen Ausdruck ab, ihr Gesicht nimmt wieder seinen verträumten, innerlich glücklichen Ausdruck an. Sag mir etwas von dem, was er predigt, der Spanier. Ich weiß nicht, wie ichs sagen sollte, gnädige Frau. Nur etwas weniges. Predigt er denn von so vielerlei Dingen? Nein, fast immer von denselben. Von was? Von der Ergebung in den Willen des Herrn. Dianora sieht sie an, nickt. Gnädige Frau, du mußt verstehen, das ist alles. Wie, alles? während des Redens mit den Blumen beschäftigt. Er sagt, es liegt darin alles, das ganze Leben, es gibt sonst nichts. Er sagt, es ist alles unentrinnbar, und das ist das große Glück, zu erkennen, daß alles unentrinnbar ist. Und das ist das Gute, ein anderes Gutes gibt es nicht. Die Sonne muß glühen, der Stein muß auf der stummen Erde liegen, aus jeder lebendigen Kreatur geht ihre Stimme heraus, sie kann nichts dafür, sie kann nichts dawider, sie muß. Dianora denkt nach wie ein Kind. Amme geht vom Fenster weg. Pause. Wie abgespiegelt in den stillsten Teich liegt alles da, gefangen in sich selber. Der Efeu rankt sich in den Dämmer hin und hält die Mauer tausendfach umklommen, hoch ragt ein Lebensbaum, zu seinen Füßen steht still ein Wasser, spiegelt, was es sieht, und aus dem Fenster über diesen Rand von kühlen, festen Steinen beug ich mich und strecke meine Arme nach dem Boden. Mir ist, als wär ich doppelt, könnte selber mir zusehn, wissend, daß ichs selber bin – Pause. Ich glaube, so sind die Gedanken, die ein Mensch in seiner Todesstunde denkt. Sie schaudert, macht das Kreuz. ist schon früher wieder an ihr Fenster gekommen, hat eine Schere in der Hand, schneidet dürre Ästchen von den Blumenstöcken. Nun aber bin ich fertig mit den Blumen, und eine gute Nacht, gnädige Frau! erschreckend. Wie? Amme, gute Nacht, leb wohl. Mich schwindelt. Amme geht weg. sich aufrüttelnd. Amme! Amme kommt wieder. Wenn der Bruder morgen predigt, geh ich mit dir. Ja, morgen, gnädige Frau, wenn uns der liebe Gott das Leben schenkt. lacht. Ja freilich. Gute Nacht. Lange Pause. Nur seine Stimme hat dieser fremde Mönch, da laufen ihm die Leute zu und hängen sich an ihn, wie Bienen an die dunklen Blütendolden, und sagen: »Dieser Mensch ist nicht wie andre, er macht uns schauern, seine Stimme löst sich auf und sinkt in uns hinein, wir sind wie Kinder, wenn wir seine Stimme hören.« O hätt ein Richter seine helle Stirn, wer möchte dann nicht knieen an den Stufen und jeden Spruch ablesen von der Stirn! Wie süß, zu knieen auf der letzten Stufe und sein Geschick in dieser Hand zu wissen! In diesen königlichen guten Händen! – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Und seine Fröhlichkeit! wie wundervoll zu sehn, wenn solche Menschen fröhlich sind! – – – – Er nahm mich bei der Hand und zog mich fort, und wie verzaubert war mein Blut, ich streckte die linke Hand nach rückwärts und die andern hängten sich dran, die ganze lange Kette von Lachenden! Die Lauben flogen wir hinab und einen tiefen steilen Gang, kühl wie ein Brunnenschacht, ganz eingefaßt von hundertjährigen Zypressen, dann den hellen Abhang: bis an meine Knie berührten mich die wilden warmen Blumen, wie wir hinliefen wie ein heller Windstoß, und dann ließ er mich los und sprang allein hinan die Stufen zwischen den Kaskaden: Delphinen sprang er auf die platte Stirn, an den im Rausch zurückgeworfnen Armen der Faune hielt er sich, stieg den Tritonen auf ihre nassen Schultern, immer höher, der wildeste und schönste Gott von allen! Und unter seinen Füßen flog das Wasser hervor und schäumte durch die Luft herab und sprühte über mich, und ich stand da, und mir verschlang der Lärm des wilden Wassers die ganze Welt. Und unter seinen Füßen kam es hervor und sprühte über mich! Pause, Man hört Schritte in der Ferne. Ss! Schritte! nein, es ist noch viel zu früh und doch! und doch! Langes Warten. Sie kommen! Pause. Kommen nicht. O nein, sie kommen nicht. Und wie sie schlürfen. Nun schlürfen sie den Weinberg dort hinab, und taumeln. Dort sind Stufen. Ein Betrunkner! Bleib auf der Landstraße, betrunkner Mensch! Was willst du zwischen unsern Gärten hier? Heut ist kein Mond, wär Mond, wär ich nicht hier! Die kleinen Sterne flimmern ruhelos und zeigen keinen Weg für deinesgleichen. Geh heim, auf einen Trunknen wart ich auch, doch nicht vom schlechten Wein, und seine Schritte sind leichter als der leichte Wind im Gras und sichrer als der Tritt des jungen Löwen. Pause. Doch sind es martervolle Stunden! Nein! Nein, nein, nein, nein, so schön, so gut, so schön! Er kommt: o weit im Wege ist er schon! Der letzte Baum dort drunten sieht ihn schon, vielmehr er könnt ihn sehen, wäre nicht der lange Streifen schattenhafter Sträucher dazwischen – und wenns nicht so dunkel war. Pause. Er kommt! so sicher, als ich jetzt die Leiter an diesen Haken binde, kommt! so sicher, als leise raschelnd jetzt ich sie hinunter, hinunter gleiten lasse, als sie jetzt verstrickt ist im Gezweig, nun wieder frei, so sicher, als sie hängt und leise bebt, wie ich hier hänge, bebender als sie ... Sie bleibt lange so über die Brüstung gebeugt liegen. Auf einmal glaubt sie zu hören, wie hinter ihr der Vorhang zwischen ihrem Balkon und dem Zimmer zurückgeschlagen wird. Sie dreht den Kopf und sieht, wie ihr Mann in der Türe steht. Sie springt auf, ihre Züge verzerren sich in der äußersten Todesangst. Messer Braccio steht lautlos in der Tür. Er hat ein einfaches dunkelgrünes Hausgewand an, ohne alle Waffen; niedrige Schuhe. Er ist sehr groß und stark. Sein Gesicht ist so, wie es auf den alten Bildnissen von großen Herren und Söldnerkapitänen nicht selten vorkommt. Er hat eine übermäßig große Stirn und kleine dunkle Augen, dichtes kurzgeringeltes schwarzes Haar und einen kleinen Bart rings um das Gesicht. Dianora will sprechen, kann nicht, sie bringt keinen Laut aus der Kehle). Messer Braccio winkt, sie soll die Leiter einziehn. Dianora tut es automatisch, rollt sie zusammen, läßt das Bündel wie bewußtlos vor ihren Füßen niederfallen. Braccio sieht ihr ruhig zu; dann greift er mit der rechten Hand nach der linken Hüfte, auch mit der linken Hand, sieht hinunter, bemerkt, daß er keinen Dolch hat. Macht eine ungeduldige Bewegung mit den Lippen, wirft einen Blick in den Garten hinunter, einen Blick nach rückwärts. Hebt seine rechte Hand einen Augenblick und besieht das Innere. Geht mit starken ruhigen Schritten ins Zimmer zurück. Dianora sieht ihm unaufhörlich nach: sie kann die Augen nicht von ihm abwenden. Wie der Vorhang hinter ihm zufällt, fährt sie sich mit den Fingern über die Wangen, ins Haar. Dann faltet sie die Hände und spricht lautlos mit wildem Durcheinanderwerfen der Lippen ein Gebet. Dann wirft sie die Arme nach rückwärts und umschließt mit den Fingern den Steinrand, eine Bewegung, in der etwas von tödlicher Entschlossenheit und wie eine Ahnung von Triumph liegt. Braccio tritt wieder aus der Tür, mit der Linken trägt er einen Sessel, stellt ihn in die Türöffnung und setzt sich seiner Frau gegenüber. Sein Gesicht ist unverändert. Von Zeit zu Zeit hebt er mechanisch die rechte Hand und sieht die kleine Wunde auf der Innenfläche an. Der Ton ist kalt, gewissermaßen wegwerfend. Er deutet mit dem Fuß und den Augen nach der Leiter. Wer? Dianora hebt die Achseln, läßt sie langsam wieder fallen. Ich weiß es! Dianora hebt die Achseln, läßt sie langsam wieder fallen. Ihre Zähne sind aufeinandergepreßt. indem er die Bewegung mit der Hand macht, streift seine Frau nur mit dem Blick, sieht dann wieder in den Garten. Palla degli Albizzi. zwischen den Zähnen hervor. Wie häßlich auch der schönste Name wird, Wenn ihn ein Mund ausspricht, dem es nicht ziemt! Braccio sieht sie an, als ob er reden wollte, schweigt aber wieder. Pause. Wie alt bist du? Dianora schweigt. Pause. Fünfzehn und fünf. Du bist zwanzig Jahre alt. Dianora schweigt. fast schreiend. Meines Vaters Name war Bartholomeus Colleoni ... Du kannst mich ein Vaterunser und den Englischen Gruß sprechen lassen und mich dann töten, aber nicht so stehen lassen wie ein angebundenes Tier! Braccio sieht sie an wie verwundert, gibt keine Antwort, sieht seine Hand an. fährt langsam rückwärts mit den Händen an ihr Haar, schließt vorne die Ellenbogen, starrt ihn an, läßt die Arme vorne fallen, scheint seinen Plan zu verstehen. Ihre Stimme ist nun völlig verändert, wie eine zum Reißen gespannte Saite. Ich möchte eine Dienerin, die mir Stockend, die Stimme droht ihr abzureißen. vorher die Haare flicht, sie sind verwirrt. Du hilfst dir öfter ohne Dienerin. beißt die Lippen zusammen, schweigt, streicht die Haare an den Schläfen zurück; faltet die Hände. Ich habe keine Kinder. Meine Mutter hab ich einmal gesehen, bevor sie starb; der Vater führte mich und meine Schwester hinein, es war ein strenges hochgewölbtes Gemach, ich konnte nicht die Kranke sehn, das Bette war zu hoch, nur eine Hand hing mir entgegen, und die küßte ich. Vom Vater weiß ich, daß er einen Harnisch von grünem Gold mit dunklen Spangen trug und daß ihm zweie halfen, wenn er morgens zu Pferde stieg, denn er war schon sehr alt. Meine Schwester Medea hab ich wenig gekannt. Sie war kein frohes Kind. Ihr Haar war dünn, und Stirn und Schläfen schienen viel älter als der Mund und ihre Hände; sie hatte immer Blumen in der Hand. Sei diesen Seelen gnädig, wie der meinen, und heiß sie freundlich mir entgegenkommen. Ich kann nicht niederknien, es ist kein Raum. Braccio steht auf, schiebt seinen Stuhl ins Zimmer, ihr Platz zu machen, sie beachtet ihn nicht. Noch eins; laß mich nachdenken: Bergamo, wo ich geboren ward, das Haus zu Feltre, wo die Oheime und die Vettern waren ... Dann setzten sie mich auf ein schönes Pferd mit einer reichen Decke, meine Vettern und viele andre ritten neben mir, und so kam ich hierher, von wo ich jetzt hingehen soll ... Sie hat sich zurückgelehnt und sieht über sich die flimmernden Sterne auf dem schwarzen Himmel; schaudert. Ich wollte etwas andres ... Sucht. Von Bergamo, wo sie mich gehen lehrten, bis hierher, wo ich stehe, hab ich mich vielfach verschuldet, öfter als ich weiß, am öftesten durch Hoffart, und ein Mal, das ich noch weiß, sei für die vielen andern, die schwerer sind, gebeichtet und bereut: Als ich Denkt nach. drei Tage nach Sankt Magdalena mit dem hier, meinem Mann, und vielen andern Herrn nach Haus ritt von der Jagd, lag an der Brücke ein alter Bettler mit gelähmten Füßen: Ich wußte, daß er alt und elend war, auch war etwas in seinen müden Augen, das meinem toten Vater ähnlich sah ... Trotzdem! nur weil der welcher neben mir ritt, die Hand am Zaum von meinem Pferde hatte, wich ich nicht aus und ließ den scharfen Staub von meines Pferdes Füßen ihn verschlucken, ja, ritt so dicht an ihn, daß mit den Händen er sein gelähmtes Bein wegheben mußte: dessen entsinn ich mich, und ich bereue es. Der neben dir ritt, hielt dein Pferd am Zaume? Sieht sie an. erwidert den Blick, versteht ihn, sehr hart. Ja. Damals so wie öfter. Damals so wie öfter. Und wie furchtbar selten doch! Wie dünn ist alles Glück! ein seichtes Wasser: Man muß sich niederknieen, daß es nur Bis an die Schultern reichen soll. Wer hat von meinen Leuten, deinen Dienerinnen gewußt um diese Dinge? Dianora schweigt. Braccio, wegwerfende Handbewegung. Falsch, sehr falsch verstehst du jetzt mein Schweigen. Was weiß ich, wer darum wußte? Ich habs nicht verhehlt. Doch meinst du, ich bin eine von den Frauen, die hinter Kupplerinnen und Bedienten ihr Glück versteckt, dann kennst du mich sehr schlecht. Merk auf, merk auf! Einmal darf eine Frau so sein, wie ich jetzt war, zwölf Wochen lang, einmal darf sie so sein! Wenn sie vorher des Schleiers nie bedurfte, ganz gedeckt vom eignen Stolz, so wie von einem Schild, darf sie den Schleier einmal auch wegreißen und Wangen haben, brennend wie die Sonne. Die's zweimal könnte, wäre fürchterlich; mich trifft das nicht, du weißts, du mußt es wissen! Wer es erraten, fragst du mich um das? Dein Bruder muß es wissen. So wie du, dein Bruder! so wie du! Frag den, frag den! Ihre Stimme hat jetzt etwas Sonderbares, fast kindlich Hohes. Im Juli am Sankt Magdalenentag, da war Francesco Chieregatis Hochzeit: das garstige Ding an deiner rechten Hand ist von dem Tag, und ich weiß auch den Tag. Wir aßen in den Lauben, die sie haben, den schönen Lauben an dem schönen Teich: da saß er neben mir, und gegenüber saß dein Bruder. Wie sie nun die Früchte gaben und Palla mir die schwere goldne Schüssel voll schöner Pfirsiche hinhielt, daß ich mir nehmen sollte, hingen meine Augen an seinen Händen und ich sehnte mich, demütig ihm vor allen Leuten hier die beiden Hände überm Tisch zu küssen. Dein Bruder aber, der lang nicht so dumm wie tückisch ist, fing diesen Blick mit seinem und muß erraten haben, was ich dachte, und wurde blaß vor Zorn: da kam ein Hund, ein großes dunkles Windspiel hergegangen und rieb den feinen Kopf an meiner Hand, der linken, die hinunterhing: da stieß dein dummer Bruder mit gestrecktem Fuß in Wut mit aller Kraft nach diesem Hund, nur weil er nicht mit einem harten Dolch nach mir und meinem Liebsten stoßen konnte. Ich aber sah ihn an und lachte laut und streichelte den Hund und mußte lachen. Sie lacht ein übermäßig helles Lachen, das jeden Augenblick in Weinen oder Schreien übergehen könnte. Braccio scheint zu horchen. horcht auch, ihr Gesicht hat den Ausdruck der entsetzlichsten Spannung. Bald kann sie es aber nicht ertragen und fängt wieder zu reden an, in einem fast deliranten Ton. Wer mich nur gehen sah, der mußt es wissen! Ging ich nicht anders? saß ich nicht zu Pferd wie eine Selige? ich konnte dich und deinen Bruder und dies schwere Haus ansehn, und mir war leicht, als schwebte ich ... Die vielen Bäume kamen mir entgegen, mit Sonne drin entgegen mir getanzt ... Die Wege alle offen in der Luft, die schattenlosen Wege, überall ein Weg zu ihm ... Erschrecken war so süß! Aus jedem dunklen Vorhang konnte er, aus dem Gebüsch, Gebüsch ... Die Sprache verwirrt sich ihr vor Grauen, weil sie sieht, daß Braccio den Vorhang hinter sich völlig zuzieht. Ihre Augen sind übermäßig offen, ihre Lippen bewegen sich unaufhörlich. in einem Ton, den der Schauspieler finden muß; weder laut noch leise, weder stark noch schwach, aber undurchdringlich. Kam ich, dein Mann, nun nicht zu dieser Zeit in dein Gemach, um eine Salbe mir für meine wunde Hand zu holen – was, mit Vorsatz, hättest du sodann getan? sieht ihn wirr an, begreift die neuerliche Frage nicht, greift sich mit der rechten Hand an die Stirne, hält ihm mit der linken die Strickleiter hin, schüttelt sie vor seinen Augen, läßt sie ihm vor die Füße fallen (ein Ende bleibt angebunden), schreiend. Getan? gewartet! so! gewartet, so! Sie schwingt wie eine Trunkene ihre offenen Arme vor seinem Gesicht, wirft sich dann herum, mit dem Oberleib über die Brüstung, streckt die Arme gegen den Boden; ihr Haar fällt vornüber. Messer Braccio hat mit einer hastigen Bewegung ein Stück seines Unterärmels abgerissen und um die rechte Hand gewunden. Mit der Sicherheit eines wilden Tieres auf der Jagd faßt er die Leiter, die daliegt wie ein dünner dunkler Strick, mit beiden Händen, macht eine Schlinge, wirft sie seiner Frau über den Kopf und zieht den Leib gegen sich nach oben. Indessen ist der Vorhang schnell gefallen.