Brief an Richard Dehmel Ich reite viele Stunden jeden Tag, Durch tiefen toten Sand, durch hohes Gras, Durch gutes helles Wasser und durch schwarzes Im Wald, das quillt und gurgelt unterm Huf. Zuweilen reit ich auf die Sonne zu, Die Kupferscheibe in den schwarzen Büschen, Zuweilen gegen feuchten Wind, manchmal Auf einem heißen steilen Weg, manchmal Auf einem Damm in heller stiller Luft, Daß ich die krummen Äste zählen kann Der Apfelbäume auf der fernen Straße Und einen Tümpel leuchten seh, weit weit! Und meinen Fuchs und meine rote Kappe Und weiße Handschuh sieht man auch weit weit Und meine dunklen Hüften, Arm' und Schultern Am gelben Damm bei dieser hellen Luft Wie fliegend Glas, das überm Feuer flirrt. Zuweilen reiten viele neben mir Und viele vor mir, alles ist voll Lärm, Die grünen Mulden dröhnen, und die Luft Ist voller Klirren, und ich seh vor mir (Mit feuchten Augen von dem starken Wind) Die vordersten hinjagen auf dem Hang: Ein Knäuel Braun' und Rappen, zwei, drei Schimmel, Nur weiße Flecken, und in dem Gedränge Der dunklen Reiter blinken gold die Helme Und so die Klingen, wie ein Netz von Adern Lebendgen Wassers blinkt im stärksten Mond (Darüber, weißt du? schwebt es milchig weiß Und viele Unken schreien, wundervoll). Zuweilen aber reit ich ganz allein, So still! ich höre, wie die Mücke schwirrt, Wenn sie dem Fuchs vom Hals zur Schulter fliegt; Lang schau ich einer Nebelkrähe nach Und folg der schwarzen auf dem grauen Weg Durch dürre Wipfel hin und her, und seh Fasanenhähnchen auf einander losgehn Im niedern Gras, wo viele Anemonen, Schneeweiße, stehn; sitz ab und laß den Fuchs Mit nachgelaßnen Gurten ruhig grasen Und riech dann noch, wenn ich zu Haus den Handschuh Abstreif, gemengt mit dem Geruch vom Pferd Den Duft von wildem kühlem Thymian ... Und fühl in alledem so nichts vom Leben! Wie kann das nur geschehn, daß man so lebt Und alles ist, als obs nicht wirklich wäre? Nichts wirklich als das öde Zeitverrinnen Und alles andere wie nichts: das Wasser, Der Wind, das schnelle Reiten in dem Wind, Das Atmen und das Liegen in der Nacht, Das Dunkelwerden, und die Sonne selbst, Das große Untergehn der großen Sonne Wie nichts, die Worte nichts, das Denken nichts! Kann denn das sein, daß nur soweit ich seh Das Leben aus der Welt gesogen ist, Aus allen Bäumen, Bergen, Hunden, aus Unzähligen Geschöpfen, so wie Wasser Aus einem heimlich aufgeschnittnen Schlauch? Gleichviel, es ist. Und nun schickst du mir her Bin Buch, so rot wie die Mohnblumen sind, Die vielen in den vielen grünen Feldern – Ihr Rot ist mir so nichts, und das Erschauern Der grünen Felder unterm Abendwind Ist mir so nichts – was ist darin vom Leben! – Und in dem Buch da ists, da ists, es ist. Es macht mich schauern, springt von einem Wesen Zum andern, ist in allem, reißt das eine Zum andern, sucht sich, sehnt sich nach sich selber, Berauscht sich an sich selber, »flicht, o Gott! In eins die bang beseligten Gestalten«, Und ist in einem Pfauen so enthüllt! So grauenhaft in Träumen und Narzissen, So grauenhaft und süß enthüllt! in Puppen! Wie kann das wieder sein? Gleichviel. Es ist.