Dritter Abschnitt »Es hat,« sprach Lothar, als die Serapionsbrüder aufs neue versammelt waren, »es hat gar keinen Zweifel, daß unserm Cyprian, gerade wie an dem Tage des heiligen Serapion, der uns zum neuen Bunde zusammenführte, auch heute was Besonderes in Sinn und Gedanken liegt. Er sieht blaß aus und verstört, er vernimmt nur mit halbem Ohr unser Gespräch, er scheint, während er doch nun gewiß mit lebendigem gesunden Leibe hier unter uns sitzt, geistig sich ganz wo anders zu befinden.« »So mag er«, nahm Ottmar das Wort, »denn nun gleich mit dem Wahnsinnigen heranrücken, dessen Namenstag er vielleicht heute feiert.« »Und«, setzte Theodor hinzu, »in exzentrischen Funken sein Innres entladen, wie er nur Lust hat. Dann, ich weiß es, wird er wieder fein menschlich gesinnt und kehrt zurück in unsern Kreis, in dem er es sich doch nun einmal gefallen lassen muß.« »Ihr tut mir unrecht,« sprach Cyprian, »statt daß mich irgendein wahnsinniges Prinzip verstören sollte, trage ich eine Nachricht mit mir, die euch alle erfreuen wird. – Wißt, daß unser Freund Sylvester heute, von seinem ländlichen Aufenthalt rückkehrend, hier eingetroffen ist.« Die Freunde jauchzten laut auf, denn allen war der stille gemütliche Sylvester, dessen innere Poesie in schönen milden Strahlen gar herrlich herausfunkelte, recht von Herzen lieb und wert. »Kein würdigerer Serapionsbruder ist zu finden«, sprach Theodor, »als unser Sylvester. Er ist still und in sich gekehrt, es kostet Mühe, ihn zum hellen Gespräch zu entzünden, das ist wahr, aber nie ist wohl ein Dichter empfänglicher gewesen für ein Werk des andern, als eben er. Ohne daß er selbst viel Worte machen sollte, liest man auf seinem Gesicht in deutlichen sprechenden Zügen den Eindruck, den die Worte des Freundes auf ihn gemacht, und indem seine innige Gemütlichkeit ausströmt in seinen Blicken, in seinem ganzen Wesen, fühle ich mich selbst in seiner Nähe gemütlicher, froher, freier!« – »In der Tat«, begann Ottmar, »ist Sylvester deshalb ein seltener Mensch zu nennen. Es scheint, als wenn unsere neuesten Dichter recht geflissentlich über jene Anspruchslosigkeit hinwegstürmten, die doch eben das Eigentümlichste der wahren Dichternatur sein möchte, und selbst die besser Gesinnten sollen sich hüten, nicht, indem sie nur ihr Recht behaupten wollen, das Schwert zu zücken, welches jene gar nicht aus der Hand legen. Sylvester geht umher waffenlos wie ein unschuldiges Kind. – Oft haben wir ihm vorgeworfen, er sei zu lässig, er schaffe vermöge seiner reichen Natur viel zu wenig. Aber muß denn immer und immer geschrieben werden? Setzt sich Sylvester hin und faßt das innere Gebilde in Worten, so treibt ihn gewiß ein unwiderstehlicher Drang dazu an. Er schreibt gewiß nichts auf, das er nicht wahrhaft im Innern empfunden, geschaut, und schon deshalb muß er unter uns sein als wahrer Serapionsbruder.« »Ich hasse«, sprach Lothar, »die mystische und angenehme Zahl Sieben ausgenommen, alle ungerade Zahlen und meine, daß fünf Serapionsbrüder unmöglich gedeihen können, sechs dagegen sehr anmutig um diesen runden Tisch sitzen werden. Sylvester ist heute angekommen, und nächstens wirft der unruhige, unstete Vinzenz hier wirklich Anker. Wir kennen ihn alle, wir wissen, daß er, die innere Gutmütigkeit abgerechnet, die er mit Sylvester teilt, sonst den schneidendsten Kontrast gegen diesen bildet. Ist Sylvester still und in sich gekehrt, so sprudelt Vinzenz über in witziger, schalkischer Keckheit. Er hat das unversiegbare Talent, alles, das Gewöhnlichste und Außerordentlichste, in den bizarresten Bildern darzustellen, und kommt noch hinzu, daß er alles mit hellem, beinahe schneidendem Ton und einem höchst drolligen Pathos vorträgt, so gleicht sein Gespräch oft einer Galerie der buntesten Bilder einer magischen Laterne, die in stetem rastlosen Wechsel den Sinn fortreißen, ohne irgendeine ruhige Anschauung zuzulassen.« »Du hast«, nahm Theodor das Wort, »unsern Vinzenz sehr treffend geschildert. Zu vergessen ist aber nicht die Sonderbarkeit, daß er bei seinen herrlichen lichtvollen Kenntnissen, bei seinem steten, in Brillantfeuer auflodernden Humor an allem Mystischen mit ganzer Seele hängt und es auch reichlich in seine Wissenschaft hineinträgt. Euch ist doch bekannt, daß er sich nun der Arzneikunde ganz hingegeben?« »Allerdings,« erwiderte Ottmar, »und dabei ist er der eifrigste Verfechter des Magnetismus, den es gibt, und gar nicht leugnen mag ich, daß das Scharfsinnigste und Tiefste, was über diese dunkle Materie zu sagen, ich aus seinem Munde vernahm.« »Ho ho!« rief Lothar lachend, »bist du, lieber Ottmar, denn bei allen Magnetiseurs seit Mesmers Zeit in die Schule gegangen, daß du so entscheidend das Scharfsinnigste und Tiefste zu erkennen vermagst, was darüber gesagt werden kann? – Doch gewiß ist es, daß eben unser Vinzenz, kommt es einmal darauf an, Träume und Ahnungen in ein System hineinzubannen, vermöge seines hellen Blicks besser in die Tiefe zu schauen vermag als tausend andre. Und dabei behandelt er die Sache mit einer jovialen Heiterkeit, die mir gar wohl gefällt. – Mich plagte vor einiger Zeit, als Vinzenz auf seinen Streifereien sich gerade mit mir an einem Orte befand, ein unerträglicher nervöser Kopfschmerz. Alle Mittel blieben fruchtlos. Vinzenz trat hinein, ich klagte ihm mein Leid. ›Was‹, rief er mit seiner hellen Stimme, ›was? – du leidest an Kopfschmerz? Nichts mehr als das? – Leichte Sache! Die Kopfschmerzen banne ich dir weg in zehn Minuten, wohin du willst, in die Stuhllehne, ins Tintenfaß, in den Spucknapf – durchs Fenster hinaus.‹ – Und damit begann er seine magnetischen Striche! – Es half zwar ganz und gar nichts, ich mußte aber herzlich lachen, und Vinzenz rief vergnügt: ›Siehst du wohl, Freund, wie ich deines Kopfschmerzes Herr worden im Augenblick?‹ – Ich mußte leider klagen, daß der Kopfschmerz ebenso arg sei als vorher, Vinzenz versicherte aber, der jetzige Schmerz sei nur ein trügerisches Echo, das mich täusche. Das böse Echo dauerte aber noch mehrere Tage. Ich bekenne euch bei dieser Gelegenheit, meine würdigen Serapionsbrüder, daß ich an die Heilkraft des sogenannten Magnetismus ganz und gar nicht glaube. Die scharfsinnigen Untersuchungen darüber kommen mir vor wie die Abhandlungen der englischen Akademiker, denen der König aufgegeben, zu erforschen, woher es rühre, daß ein Eimer mit Wasser, in den man einen zehnpfündigen Fisch getan, nicht mehr wiege, als der andere bloß mit Wasser gefüllte. Mehrere hatten das Problem glücklich gelöst, und schon wollten sie mit ihrer Weisheit vor den König treten, als einer klugerweise anriet, die Sache selbst erst zu versuchen. Da behauptete denn der Fisch sein Recht, er fiel ins Gewicht, wie er sollte, und siehe, das Ding selbst, worüber die Weisen mittelst scharfsinnigen Nachdenkens die herrlichsten Resultate herausgebracht, existierte gar nicht.« »Ei ei,« sprach Ottmar, »ungläubiger, unpoetischer Schismatiker! wie kam es, da du gar nicht an den Magnetismus glaubst, wie kam es denn, daß du vor einiger Zeit – doch das muß ich euch, Cyprian und Theodor, ganz umständlich erzählen, damit alle Schmach des schnöden Unglaubens, den Lothar eben geäußert, zurückfalle auf sein eignes Haupt. – Ihr werdet vernommen haben, daß unser Lothar vor einiger Zeit an einer Kränklichkeit litt, die hauptsächlich ihren Sitz in den Nerven hatte, ihn unbeschreiblich angriff und ihm seinen ganzen Humor verdarb und ihm alle Lebenslust wegzehrte. – Ganz Teilnahme, ganz Mitleid, trete ich eines Tages in sein Zimmer. Da sitzt Lothar im Lehnstuhl, Nachtmütze über die Ohren gezogen, blaß, übernächtig, Augen zugedrückt, und vor ihm, den Gott eben nicht mit besonderer Größe gesegnet, sitzt ein Mann von gleicher kleiner Statur und haucht ihn an und fährt ihm mit den Fingerspitzen über den gekrümmten Rücken und legt ihm die Hand auf die Herzgrube und frägt mit leiser lispelnder Stimme: ›Wie ist Ihnen nun, bester Lothar?‹ Und Lothar öffnet die Äugelein und lächelt gar weinerlich und seufzt: ›Besser – viel besser, liebster Doktor!‹ – Kurz, Lothar, der an die Heilkraft des Magnetismus nicht glaubt, der alles für leeres Hirngespinst erklärt – Lothar, der alle Magnetiseurs verhöhnt, der in ihrem Treiben nur leidige Mystifikationen erblickt – Lothar ließ sich magnetisieren.« Cyprian und Theodor lachten herzlich über das etwas groteske Bild, das ihnen Ottmar vor Augen gebracht. »O schweige,« sprach Lothar, »o schweige doch von solchen Dingen, Ottmar! – der Mensch ist vermöge seines eigentümlichsten Organismus leider so schwach, das physische Prinzip wirkt so schädlich ein auf das psychische, daß jeder abnorme Zustand, jede Krankheit in ihm eine Angst erzeugt, die, ein momentaner Wahnsinn, ihn zu den abenteuerlichsten Unternehmungen antreibt. Sehr gescheite Männer nahmen, als die Heilmittel der Ärzte nicht nach ihrem Sinn anschlagen wollten, zu alten Weibern ihre Zuflucht und brauchten mit aller Religion sympathetische Mittel und was weiß ich sonst noch! – Daß ich mich damals, in heftigen Nervenzufällen, zum Magnetismus hinneigte, beweiset meine Schwäche, sonst nichts weiter.« »Erlaube,« nahm Cyprian das Wort, »erlaube, lieber Lothar, daß ich die Zweifel, die du heute gegen den Magnetismus zu hegen beliebst, nur für das Erzeugnis einer augenblicklichen Stimmung halte. Was ist der Magnetismus, als Heilmittel gedacht, anders als die potenziierte Kraft des psychischen Prinzips, die nun vermag, das Physische ganz zu beherrschen, es ganz zu erkennen, jeden, auch den leisesten abnormen Zustand darin wahrzunehmen und eben durch die volle Erkenntnis dieses Zustandes ihn zu lösen. Unmöglich kannst du die Macht unseres psychischen Prinzips wegleugnen, unmöglich dein Ohr verschließen wollen den wunderbaren Anklängen, die in uns hinein, aus uns heraustönen, der geheimnisvollen Sphärenmusik, die das große unwandelbare Lebensprinzip der Natur selbst ist.« »Du sprichst«, erwiderte Lothar, »nach deiner gewöhnlichen Weise, du gefällst dich in mystischer Schwärmerei. Ich gebe dir zu, daß die Lehre vom Magnetismus, die ganz in das Gebiet des Geisterhaften hineinstreift, den unendlichsten Reiz hat für jeden poetisch Gesinnten. Ich selbst kann gar nicht leugnen, daß mich die dunkle Materie bis in die tiefste Seele hinein angeregt hat und noch anregt, doch höre mein eigentliches Glaubensbekenntnis in kurzen Worten. – Wer mag frevelig und vermessen eindringen wollen in das tiefste Geheimnis der Natur, wer mag erkennen, ja nur deutlich ahnen wollen das Wesen jenes geheimnisvollen Bandes, das Geist und Körper verknüpft und auf diese Weise unser Sein bedingt. Auf diese Erkenntnis ist aber doch der Magnetismus ganz eigentlich basiert, und solange dieselbe unmöglich, gleicht die aus einzelnen Wahrnehmungen, die oft nur Illusionen sind, hergeleitete Lehre davon dem unsichern Herumtappen des Blindgebornen. Es ist gewiß, daß es erhöhte Zustände gibt, in denen der Geist, den Körper beherrschend, seine Tätigkeit hemmend, mächtig wirkt und in dieser Wirkung die seltsamsten Phänomene erzeugt. Ahnungen, dunkle Vorgefühle gestalten sich deutlich, und wir erschauen das mit aller Kraft unseres vollen Fassungsvermögens, was tief in unserer Seele regungslos schlummerte; der Traum, gewiß die wunderbarste Erscheinung im menschlichen Organism, dessen höchste Potenz meines Bedünkens eben der sogenannte Somnambulismus sein dürfte, gehört ganz hieher. Aber gewiß ist es auch, daß solch ein Zustand irgendeine Abnormität in dem Verhältnis des psychischen und physischen Prinzips voraussetzt. Die lebhaftesten stärksten Träume kommen, wenn irgendein krankhaftes Gefühl den Körper angreift. Der Geist nutzt die Ohnmacht seines Mitherrschers und macht ihn, den Thron allein einnehmend, zum dienenden Vasallen. So soll ja auch der Magnetismus nur durch irgendeinen krankhaften Zustand des Körpers indiziert werden. Mag es ferner sein, daß die Natur oft einen psychischen Dualismus verstattet und daß der geistige Verkehr in doppelter Wechselwirkung die merkwürdigsten Erscheinungen hervorbringt, aber nur die Natur, meine ich, soll eben jenen Dualismus verstatten, und jeder Versuch, ihn ohne jenes Gebot der Königin nach Willkür hervorzurufen, dünkt mir, wo nicht frevelig, doch gewiß ein gefährliches Wagestück. Ich gehe weiter. Ich will, ich kann nicht leugnen, die Erfahrung ist mir entgegen, daß das willkürliche Hervorrufen jenes potenziierten Seelenzustandes, ist er durch irgendeine Abnormität im Organism indiziert, möglich ist, daß ferner das fremde psychische Prinzip auf höchst mysteriöse Weise in irgendein Fluidum, oder wie man es sonst nennen mag – in das vom Magnetiseur ausgehende Agens überhaupt verkörpert und ausströmend (bei der magnetischen Manipulation), die geistige Potenz des Magnetisierten erfassen und jenen Zustand erzeugen kann, der von der Regel alles menschlichen Seins und Lebens abweicht und selbst in seiner hochgerühmten Verzückung alles Entsetzen des fremdartigen Geisterreichs in sich trägt. Ich kann, sage ich, das alles nicht leugnen, aber immer und ewig wird mir dies Verfahren als eine blindlings geübte heillose Gewalt erscheinen, deren Wirkung, allen Theorien zum Trotz, nicht zu berechnen bleibt. Irgendwo heißt es, der Magnetismus sei ein schneidendes gefährliches Instrument in der Hand eines Kindes, ich bin mit diesem Ausspruch einverstanden. – Soll der Mensch sich unterfangen, auf das geistige Prinzip des andern nach Willkür wirken zu wollen, so scheint mir die Lehre der Barbarinischen Schule der Spiritualisten, die ohne alle Manipulation nur Willen und Glauben in Anspruch nahm, bei weitem die reinste und unschuldigste. Das Fixieren des festen Willens ist eine bescheidene Frage an die Natur, ob sie den geistigen Dualismus verstatten wolle oder nicht, und sie allein entscheidet. Ebenso möchte das eigne Magnetisieren am Bacquet ohne alle Einmischung des Magnetiseurs wenigstens insofern minder gefährlich genannt werden, als dann keine vielleicht feindlich wirkende Kraft eines fremden geistigen Prinzips denkbar. – Aber! – leichtsinnig, ja wohl in arger Selbsttäuschung befangen und nur unwillkürlich in Ostentation geratend, handhaben jetzt so viele jene dunkelste aller dunklen Wissenschaften, darf man überhaupt den Magnetismus eine Wissenschaft nennen. Ein fremder Arzt äußerte, wie Bartels in seiner ›Physiologie und Physik des Magnetismus‹ erzählt, seine Verwunderung, daß die deutschen Ärzte die magnetisierten Individuen so willkürlich behandelten und so dreist an ihnen experimentierten, als wenn sie einen physikalischen Apparat vor sich hätten. Leider ist dem so, und deshalb will ich – mag ich – wenigstens an die Heilkraft des Magnetismus lieber gar nicht glauben, als dem Gedanken Raum geben, daß das unheimliche Spiel mit einer fremden Gewalt vielleicht einmal selbst mein eignes Leben rettungslos verstören könnte.« »Aus allem,« nahm Theodor das Wort, »aus allem, was du nicht ohne Tiefe und Wahrheit über den Magnetismus gesprochen, folgt nun eben nichts anderes, als daß du uns vorhin das Geschichtlein von dem zehnpfündigen Fisch wider deine Überzeugung aufgetischt hast, daß du an die Kräfte des Magnetismus wirklich glaubst, daß du aber wenigstens dir aus purem Grauen fest vorgenommen, keinem Magnetiseur in der Welt irgendeine Manipulation auf den Ganglien deines Rückens oder sonst zu gestatten. Übrigens stimme ich, was die Furcht vor fremden psychischen Prinzipien betrifft, mit dir überein, und es sei mir erlaubt, deinem Glaubensbekenntnis als Note und erklärendes Beispiel die Erzählung hinzuzufügen, auf welche Weise ich in den Magnetismus hineingeriet. – Ein Universitätsfreund, der Arzeneikunde beflissen, war der erste, der mich mit der geheimnisvollen Lehre von dem Magnetismus bekannt machte. Wie ihr mich in meinem ganzen Wesen kennt, möget ihr euch wohl vorstellen, daß ich von allem, was ich darüber vernahm, in dem tiefsten Gemüt ergriffen wurde. Ich las alles, was ich darüber nur erhaschen konnte, zuletzt auch Kluges bekannten ›Versuch einer Darstellung des animalischen Magnetismus als Heilmittel‹. Dies Buch machte zuerst einige Zweifel in mir rege, da es ohne sonderliche wissenschaftliche Erörterung des Gegenstandes sich nur mehrenteils auf Beispiele bezieht und dabei ohne Kritik das Bewährte mit dem völlig Märchenhaften, ja mit dem, was sich rein als Märchen dargetan hat, durcheinander wirft. Mein Freund widerlegte alle Einreden, die ich ihm entgegenstellte, und bewies mir zuletzt, daß das bloß theoretische Studium in mir gar nicht den Glauben erwecken könne, der unerläßlich sei, sondern daß sich dieser erst finden werde, wenn ich selbst magnetischen Operationen beigewohnt. Dazu fehlte es damals auf der Universität aber an aller Gelegenheit; hätte sich auch ein hoffnungsvoller Magnetiseur finden lassen, so gab es doch durchaus keine Personen, die einige Inklinationen zum Somnambulismus, zur Clairvoyance zeigten. Ich kam nach der Residenz. Dort stand der Magnetismus eben im höchsten Flor. Alle Welt sprach von nichts anderm, als von den wunderbaren magnetischen Krisen einer vornehmen gebildeten, geistreichen Dame, die nach einigen nicht eben bedeutenden Nervenzufällen beinahe von selbst erst somnambul und dann die merkwürdigste Clairvoyante geworden, die es, nach dem Ausspruch aller des Magnetismus eifrigst Beflissenen, jemals gegeben und künftig geben könne. Es gelang mir, die Bekanntschaft des Arztes zu machen, der sie behandelte, und dieser, in mir einen wißbegierigen Schüler erkennend, versprach mich hinzuführen zu der Dame, wenn sie eben in der Krisis befangen. Es geschah so. ›Kommen Sie‹, sprach der Arzt eines Tages, ›um sechs Uhr nachmittags zu mir, kommen Sie, soeben fiel, ich weiß es, meine Kranke in den magnetischen Schlaf.‹ – In der gespanntesten Erwartung trat ich hinein in das elegante, ja üppig verzierte Gemach. Die Fenster waren mit rosaseidnen Gardinen dicht verzogen, so daß die durchfallenden Strahlen der Abendsonne alles in rötlichem Schimmer magisch beleuchteten. Die Somnambule lag, in ein sehr reizendes Negligé gekleidet, ausgestreckt auf dem Sofa mit dicht geschlossenen Augen, leise atmend wie im tiefsten Schlaf. Um sie her im weiten Kreise waren einige Andächtige versammelt, ein paar Fräulein, die die Augen verdrehten, tief seufzten, die gar zu gern selbst auf der Stelle somnambul geworden wären, zur Erbauung des jungen Offiziers und eines andern jungen wohlgebildeten Mannes, die beide auf diesen wichtigen Moment sehnsuchtsvoll zu hoffen schienen, ein paar ältliche Damen, die mit vorgebogenem Haupt, die Hände gefaltet, jeden Atemzug der somnambulen Freundin belauschten. – Man erwartete den eigentlichen höchsten Zustand des Hellsehens. Der Magnetiseur, der sich nicht erst mit seiner Somnambule in Rapport setzen durfte, da dieser Rapport, wie er versicherte, beständig fortdauere, nahte sich ihr und begann mit ihr zu sprechen. Sie nannte ihm die Augenblicke, in denen er heute vorzüglich lebhaft an sie gedacht und erwähnte manches andern Umstandes, der sich heute mit ihm begeben. Endlich bat sie ihn, den Ring, den er in einem roten Maroquin-Futteral bei sich in der Tasche trage und den er sonst nie bei sich gehabt, abzulegen, da das Gold, vorzüglich aber der Diamant feindlich auf sie wirke. Mit allen Zeichen des tiefsten Erstaunens trat der Magnetiseur zurück und zog das beschriebene Futteral mit dem Ringe hervor, den er erst heute Nachmittag von dem Juwelier erhalten, dessen Existenz der Somnambule also nur lediglich durch den magnetischen Rapport kund worden. Dies Wunder mit dem Ringe wirkte auf die beiden Fräuleins so stark, daß mit einem tiefen Seufzer jede nach einem Lehnstuhl flüchtete und mittelst einiger wohlgeführten Striche des Magnetiseurs in magnetischen Schlaf verfiel. Das verhängnisvolle Futteral abgelegt, machte nun der Magnetiseur vorzüglich mir zu Gefallen mit seiner Somnambule einige Kunststücke. Sie nieste, wenn er Tabak nahm, sie las einen Brief, den er ihr auf die Herzgrube legte u.s.f. Endlich versuchte er mich durch seine Einwirkung in Rapport zu setzen mit der Somnambule. Es gelang vortrefflich. Sie beschrieb mich von Kopf bis zu Fuß und versicherte, daß sie es vorher gewußt, wie der Magnetiseur den Freund, dessen deutliche Ahnung sie schon lange in sich getragen, heute mitbringen werde. Sie schien mit meiner Gegenwart sehr zufrieden zu sein. Plötzlich hörte sie auf zu sprechen und richtete sich in die Höhe mit halbem Leibe, ich glaubte ein Zittern der Augenlider, ein leises Zucken des Mundes wahrzunehmen. Der Magnetiseur berichtete den wißbegierigen Anwesenden, daß die somnambule Dame in den fünften Grad, in den Zustand der von der äußern Sinnenwelt unabhängigen Selbstanschauung übergehe. Dadurch wurde die Aufmerksamkeit der beiden jungen Männer abgelenkt von den entschlafenen Fräuleins, eben in dem Augenblick, als sie begannen interessant zu werden. Die eine hatte schon wirklich versichert, daß die Frisur des jungen Offiziers, mit dem sie sich in Rapport gesetzt, sehr angenehm leuchte, die andere aber behauptet, daß die Generalin, die den untern Stock des Hauses bewohnte, eben schönen Karawanentee trinke, dessen Aroma sie durch die Stubendecke verspüre, prophezeite auch hellsehend, daß sie in einer Viertelstunde aus dem magnetischen Schlaf erwachen und ebenfalls Tee trinken, ja sogar etwas Torte dazu genießen werde. – Die somnambule Dame fing abermals an zu reden, aber mit ganz verändertem, seltsam und, wie ich gestehen muß, über die Maßen wohlklingendem Organ. Sie sprach indessen in solch mystischen Worten und sonderbaren Redensarten, daß ich gar keinen Sinn herausfinden konnte, der Magnetiseur versicherte indessen, sie sage die herrlichsten, tiefsten, lehrreichsten Dinge über ihren Magen. Das mußte ich nun freilich glauben. Von dem Magen abgekommen, wie wiederum der Magnetiseur erklärte, nahm sie noch einen höhern Schwung. Zuweilen war es mir, als kämen ganze Sätze vor, die ich irgendwo gelesen. Etwa in Novalis' »Fragmenten« oder in Schellings »Weltseele«. Dann sank sie erstarrt zurück in die Kissen. Der Magnetiseur hielt ihr Erwachen nicht mehr fern und bat uns, das Zimmer zu verlassen, da es vielleicht feindlich auf sie wirken könne, erwacht sich von mehreren Personen umgeben zu sehen. So wurden wir nach Hause geschickt. Die beiden Fräulein, auf die weiter niemand geachtet, hatten für gut gefunden, schon früher zu erwachen und sich sachte davonzuschleichen. – Ihr könnt gar nicht glauben, wie gar besonders die ganze Szene auf mich wirkte. Abgesehen von den beiden albernen Mädchen, die aus der uninteressanten Stellung als untätige Zuschauerinnen gern hinaus wollten, konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren, daß die somnambule Dame auf dem Sofa eine vorbereitete, wohl durchdachte, wacker eingeübte Rolle mit vieler Kunst darstelle. Den Magnetiseur kannte ich als den offensten, redlichsten Mann, der eine Komödie der Art aus der tiefsten Seele verabscheuen mußte, zu genau, um auch nur dem leisesten Argwohn Raum zu geben, daß er seinerseits, auch wohl leidiger Bekehrungssucht halber, eine Täuschung der Art unterstützen solle. War eine solche Täuschung wirklich vorhanden, so mußte sie lediglich das Werk der Dame sein, deren Kunst die Wissenschaft, die Einsicht, die Beobachtungsgabe des Arztes, der vielleicht zu sehr von der neuen Lehre eingenommen, überbot. Nicht fragen durfte ich mich selbst, welchen Zweck eine solche Selbstqual, denn diese bleibt doch jener fingierte gewaltsame Zustand, welchen Zweck sie haben könne. Gab es denn nicht von den vom Teufel besessenen Ursulinerinnen, von jenen miauenden Nonnen, von den in gräßlichen Verrenkungen sich windenden Verzückten bis auf jenes Weib im Würzburger Hospital, die sich, den wütendsten Schmerz nicht achtend, Glasscherben, Nadeln in die Aderlaßwunde bohrte, damit der Arzt über die fremdartigen Dinge in ihrem Körper erstaunen sollte, ja bis auf die berüchtigte Manson in der neuesten Zeit, gab es denn nicht jederzeit eine Menge Weiber, die Gesundheit, Leben, Ehre, Freiheit daran setzten, nur, damit die Welt sie für außerordentliche Wesen halte, von dem Wunder ihrer Erscheinung spreche? – Doch zurück zu meiner somnambulen Dame! – Ich wagte es, dem Arzt wenigstens ganz leise meine Zweifel anzudeuten. Er versicherte aber lächelnd, diese Zweifel wären nur die letzten ohnmächtigen Streiche des Besiegten. Die Dame habe mehrmals geäußert, daß meine Gegenwart wohltätig auf sie wirke, er habe daher gegründete Ursache, meine fortgesetzten Besuche zu wünschen, die mich ganz überzeugen würden. – In der Tat fing ich an, da ich die Dame mehrmals besucht, mich mehr zum Glauben hinzuneigen, und dieser Glaube stieg beinahe bis zur Überzeugung, als sie im somnambulen Zustande, nachdem ich durch den Magnetiseur mich mit ihr in Rapport gesetzt, mir auf unbegreifliche Weise Dinge aus meinem eignen Leben erzählte und vorzüglich einer Nervenkrankheit gedachte, in die ich verfiel, als mir der Tod eine geliebte Schwester entrissen. – Sehr mißfiel es mir aber, daß sich die Zahl der Besucher immer mehrte, und daß der Magnetiseur die Dame zur weissagenden Sybille emporzuheben sich mühte, da er sie über Gesundheit und Leben fremder Personen, die er mit ihr in Rapport gesetzt, Orakelsprüche tun ließ. – Eines Tages fand ich unter den Anwesenden einen alten berühmten Arzt, der allgemein als der ärgste Zweifler, als der schlimmste Gegner der magnetischen Kur bekannt war. Die Dame hatte, ehe er gekommen, im magnetischen Schlaf vorausgesagt, daß dieser Zustand diesmal länger dauern als sonst, und daß sie erst nach zwei vollen Stunden erwachen werde. Bald darauf geriet sie in den höchsten Grad des Hellsehens und begann ihre mystischen Reden. Der Magnetiseur versicherte, daß in diesem höchsten Grad der wahren Verzückung die Somnambule, ein rein geistiges Wesen, den Körper ganz abgestreift habe und für jeden physischen Schmerz unempfindlich sei. Der alte Arzt meinte, zum Besten der Wissenschaft, zur Überzeugung aller Ungläubigen sei es jetzt an der Zeit, eine durchgreifende Probe zu machen. Er schlage vor, die Dame mit einem glühenden Eisen an der Fußsohle zu brennen und abzuwarten, ob sie gefühllos bleiben würde. Der Versuch schiene grausam, wäre es aber nicht, da sogleich lindernde, heilende Mittel angewandt werden könnten, und er habe deshalb ein kleines Eisen und die nötigen Heilmittel zur Stelle gebracht. Er zog beides aus der Tasche. Der Magnetiseur versicherte, daß die Dame den Schmerz beim Erwachen gar nicht achten werde, den sie zum Besten der hohen Wissenschaft erleide, und rief nach einer Kohlpfanne. Man brachte das Gefäß herbei, der Arzt steckte sein kleines Eisen in die Glut. In dem Augenblick zuckte die Dame wie in heftigem Krampf, seufzte tief auf, erwachte, klagte über Übelbefinden! – Der alte Arzt warf ihr einen durchbohrenden Blick zu, kühlte ohne Umstände sein Eisen ab in magnetisiertem Wasser, das gerade auf dem Tische stand, steckte es in die Tasche, nahm Hut und Stock und schritt von dannen. Mir fielen die Schuppen von den Augen, ich eilte fort, unwillig, erbost über die unwürdige Mystifikation, die die feine Dame ihrem wohlwollenden Magnetiseur, uns allen bereitet. Daß weder der Magnetiseur, noch diejenigen Andächtigen, denen die Besuche bei der Dame als eine Art mystischen Gottesdienstes galten, durch das Verfahren des alten Arztes auch nur im mindesten aufgeklärt wurden, versteht sich ebensosehr von selbst, als daß ich meinerseits nun den ganzen Magnetismus als eine chimärische Geisterseherei verwarf und gar nichts mehr davon hören wollte. Meine Bestimmung führte mich nach B. – Auch dort wurde viel vom Magnetismus gesprochen, irgendeines praktischen Versuchs aber nicht erwähnt. Man behauptete, daß ein würdiger berühmter Arzt, hoch in den Jahren wie jener Arzt in der Residenz, der grausamerweise antisomnambulistische Eisen in der Tasche führte, Direktor des dortigen, herrlich eingerichteten Krankenhauses, sich entschieden gegen die magnetische Kur erklärt und den ihm untergeordneten Ärzten geradehin untersagt habe, sie anzuwenden. Um so mehr mußt' ich mich verwundern, als ich nach einiger Zeit vernahm, daß jener Arzt selbst, jedoch ganz insgeheim, den Magnetismus im Krankenhause anwende. Ich suchte, als ich näher mit dem würdigen Mann bekannt worden, ihn auf den Magnetismus zu bringen. Er wich mir aus. Endlich, als ich nicht nachließ, von der dunklen Wissenschaft zu sprechen, und mich als ein Sachkundiger bewies, fragte er, wie es mit der Ausübung der magnetischen Kur in der Residenz stehe. Ich nahm gar keinen Anstand, ihm die wunderbare Geschichte von der somnambulen Dame, die plötzlich aus himmlischer Verzückung zurückkehrte auf irdischen Boden, als sie was weniges gebrannt werden sollte, offen und klar zu erzählen. ›Das ist es eben, das ist es eben‹, rief er, indem Blitze in seinen Augen leuchteten, und brach schnell das Gespräch ab. Endlich, nachdem ich mehr sein wohlwollendes Vertrauen gewonnen, sprach er sich über den Magnetismus in der Art aus, daß er sich von der Existenz dieser geheimnisvollen Naturkraft und von ihrer wohltätigen Wirkung in gewissen Fällen durch die reinsten Erfahrungen überzeugt, daß er aber das Erwecken jener Naturkraft für das gefährlichste Experiment halte, das es geben, und das nur Ärzten, die in der vollkommensten Ruhe des Geistes über allen leidenschaftlichen Enthusiasmus erhaben, anvertraut werden könne. In keiner Sache sei Selbsttäuschung möglicher, ja leichter, und er halte jeden Versuch schon dann nicht für rein, wenn der Person, die zur magnetischen Kur geeignet, vorher viel von den Wundern des Magnetismus vorgeredet worden und sie Verstand und Bildung genug habe, zu begreifen, worauf es ankomme. Der Reiz, in einer höhern Geisterwelt zu existieren, sei für poetische oder von Haus aus exaltierte Gemüter zu verlockend, um mit der heißen Sehnsucht nach diesem Zustande nicht unwillkürlich allerlei Einbildungen Raum zu geben. Sehr lustig sei die geträumte Herrschaft des Magnetiseurs über das fremde psychische Prinzip, wenn er sich ganz hingebe den Phantasien überspannter Personen, statt ihnen als Zaum und Zügel den krassesten Prosaismus über den Hals zu werfen. Übrigens stelle er gar nicht in Abrede, daß er sich in seinem Krankenhause selbst der magnetischen Kuren bediene. Er glaube aber, daß bei der Art, wie er sie aus reiner Überzeugung anwenden lasse, durch besonders dazu erwählte Ärzte unter seiner strengsten Aufsicht, wohl nie ein Mißbrauch möglich, sondern dagegen nur wohltätige Einwirkung auf die Kranken und Bereicherung der Kenntnis dieses geheimnisvollsten aller Heilmittel zu erwarten sei. Aller Regel entgegen wolle er, wenn ich festes Stillschweigen verspräche, um den Andrang aller Neugierigen zu verhüten, mich einer magnetischen Kur beiwohnen lassen, sollte sich ein Fall der Art ereignen. Der Zufall führte mir bald eine der merkwürdigsten Somnambulen unter die Augen. Die Sache verhielt sich in folgender Art. Der Arzt des Kreises fand in einem Dorfe ungefähr zwanzig Stunden von B. bei einem armen Bauer ein Mädchen von sechzehn Jahren, über deren Zustand sich die Eltern unter bitteren Tränen beklagten. Nicht gesund, sprachen sie, nicht krank sei ihr Kind zu nennen. Sie fühlte keinen Schmerz, kein Übelbefinden, sie äße und tränke, sie schliefe oft ganze Tage lang, und dabei magre sie ab und würde von Tage zu Tage immer matter und kraftloser, so daß an Arbeit seit langer Zeit gar nicht zu denken. Der Arzt überzeugte sich, daß ein tiefes Nervenübel der Grund des Zustandes war, in dem sich das arme Kind befand, und daß die magnetische Kur recht eigentlich indiziert sei. Er erklärte den Eltern, daß die Heilung des Mädchens hier auf dem Dorfe ganz unmöglich, daß sie aber in B. von Grund aus geheilt werden solle, wenn sie sich entschlössen, das Kind dorthin in das Krankenhaus zu schaffen, wo sie auf das beste gepflegt werden und Medizin erhalten solle, ohne daß sie einen Kreuzer dafür bezahlen dürften. Die Eltern taten nach schwerem Kampf, wie ihnen geheißen. Noch ehe die magnetische Kur begonnen, begab ich mich mit meinem ärztlichen Freunde in das Krankenhaus, um die Kranke zu sehn. Ich fand das Mädchen in einem hohen lichten Zimmer, das mit allen Bequemlichkeiten auf das sorgsamste versehen. Sie war für ihren Stand von sehr zartem Gliederbau, und ihr feines Gesicht wäre beinahe schön zu nennen gewesen, hätten es nicht die erloschenen Augen, die Totenbleiche, die farblosen Lippen entstellt. Wohl mochte es sein, daß ihr Übel nachteilig auf ihr Geistesvermögen gewirkt, sie schien von dem beschränktesten Verstande, faßte nur mühsam die an sie gerichteten Fragen und beantwortete sie in dem breiten unverständlichen, abscheulichen Jargon, den die Bauern in der dortigen Gegend sprechen. Zu ihrem Magnetiseur hatte der Direktor einen jungen, kräftigen Eleven der Arzneikunde gewählt, dem die Offenheit und Gutmütigkeit aus allen Zügen leuchtete und von dem er sich überzeugt hatte, daß das Mädchen ihn leiden mochte. Die magnetische Kur begann. Von neugierigen Besuchen, von Kunststücken u. dergl. war nicht die Rede. Niemand war zugegen außer dem Magnetiseur als der Direktor, der mit der gespanntesten Aufmerksamkeit, mit sorglicher Beachtung der kleinsten Umstände die Kur leitete, und ich. Anfänglich schien das Kind wenig empfänglich, doch bald stieg sie schnell von Grad zu Grad, bis sie nach drei Wochen in den Zustand des wirklichen Hellsehens geriet. Erlaßt es mir, all der wunderbaren Erscheinungen zu erwähnen, die sich nun in jeder Krise darboten, es sei genug euch zu versichern, daß ich hier, wo keine Täuschung möglich, mich im innersten Gemüt von der wirklichen Existenz jenes Zustandes überzeugte, den die Lehrer des Magnetismus als den höchsten Grad des Hellsehens beschreiben. In diesem Zustande ist, wie Kluge sagt, die Verbindung mit dem Magnetiseur so innig, daß der Clairvoyant es nicht bloß augenblicklich weiß, wenn die Gedanken des Magnetiseurs zerstreut und nicht auf des Clairvoyants Zustand gerichtet sind, sondern daß er auch in der Seele des Magnetiseurs dessen Vorstellungen auf das deutlichste zu erkennen vermag. Dagegen tritt der Clairvoyant nun gänzlich unter die Herrschaft des Willens seines Magnetiseurs, durch dessen psychisches Prinzip er nur zu denken, zu sprechen, zu handeln vermag. Ganz in diesem Fall befand sich das somnambule Bauermädchen. – Ich mag euch nicht mit all dem ermüden, was sich in dieser Hinsicht mit der Kranken und ihrem Magnetiseur begab, nur ein und für mich das schneidendste Beispiel! – Das Kind sprach in jenem Zustande den reinen, gebildeten Dialekt ihres Magnetiseurs und drückte sich in den Antworten, die sie ihm mehrenteils anmutig lächelnd gab, gewählt, gebildet, kurz, ganz so aus, wie der Magnetiseur zu sprechen pflegte. Und dabei blühten ihre Wangen, ihre Lippen auf in glühendem Purpur, und die Züge ihres Antlitzes erschienen veredelt! – Ich mußte erstaunen, aber diese gänzliche Willenlosigkeit der Somnambule, dies gänzliche Aufgeben des eignen Ichs, diese trostlose Abhängigkeit von einem fremden, geistigen Prinzip, ja diese durch das fremde Prinzip allein bedingte Existenz erfüllte mich mit Grausen und Entsetzen. Ja, ich konnte mich des tiefsten herzzerschneidendsten Mitleids mit der Armen nicht erwehren, und dies Gefühl dauerte fort, als ich den wohltätigsten Einfluß der magnetischen Kur bemerken mußte, als die Kleine, in der vollsten kräftigsten Gesundheit aufgeblüht, dem Magnetiseur und dem Direktor, ja auch mir dankte für alles Gute, das sie genossen, und dabei ihren Jargon sprach, breiter, unverständlicher als jemals. Der Direktor schien mein Gefühl zu bemerken und es mit mir zu teilen. Verständigt haben wir uns darüber niemals und das wohl aus guten Gründen! – Nie hab' ich seitdem mich entschließen können, magnetischen Kuren beizuwohnen, was hätte ich weiter für Erfahrungen gemacht nach jenem Beispiel, das bei der vollkommnen Reinheit des Versuchs mich über die wunderbare Kraft des Magnetismus ganz ins klare setzte, zugleich aber an einen Abgrund stellte, in den ich mit tiefem Schauer hinabblickte. – So bin ich denn nun ganz Lothars Meinung worden.« – »Und,« nahm Ottmar das Wort, »und füge ich noch hinzu, daß auch ich eurer Meinung ganz beipflichte, so sind wir ja alle, rücksichts des wunderbaren Geheimnisses, von dem die Rede, unter einen Hut gebracht. Irgendein tüchtiger Arzt, Verfechter des Magnetismus, wird uns zwar sehr leicht ganz und gar widerlegen, ja uns tüchtig ausschelten, daß wir, ununterrichtete Laien, es wagen, ein dunkles Gefühl der klaren Überzeugung entgegenzustellen, ich glaube indessen, daß wir schwer zu bekehren sein werden. – Doch wollen wir auch nicht vergessen, daß wir dem Magnetismus schon deshalb nicht ganz abhold sein können, weil er uns in unsern serapiontischen Versuchen sehr oft als tüchtiger Hebel dienen kann, unbekannte geheimnisvolle Kräfte in Bewegung zu setzen. Selbst du, lieber Lothar, hast dich dieses Hebels schon oft bedient, und verzeih' mir, sogar in dem erbaulichen Märchen vom Nußknacker und Mausekönig ist die Marie zuweilen nichts anders als eine kleine Somnambule. – Aber wohin gerieten wir, von unserm Vinzenz sprechend!« – »Der Übergang war natürlich,« sprach Lothar, »der Weg bahnte sich von selbst. Tritt Vinzenz in unsere Brüderschaft ein, so wird gewiß noch viel von geheimnisvollen Dingen verhandelt werden, auf die er recht eigentlich ganz versessen ist. – Doch Cyprian hat schon seit mehreren Minuten nicht auf unser Gespräch gemerkt, vielmehr ein Manuskript aus der Tasche gezogen und darin geblättert. – Es ist in der Ordnung, daß wir ihm jetzt Raum geben, sein Herz zu erleichtern.« »In der Tat«, sprach Cyprian, »war mir euer Gespräch über den Magnetismus langweilig und lästig, und ist's euch recht, so lese ich euch eine serapiontische Erzählung vor, zu der mich Wagenseils Nürnberger Chronik entzündet. Vergeßt nicht, daß ich keine antiquarische kritische Abhandlung jenes berühmten Kriegs von der Wartburg habe schreiben wollen, sondern nach meiner Weise jene Sache zur Erzählung, wie mir gerade alles hell in der Seele aufging, nutzte.« Cyprian las: Der Kampf der Sänger Zur Zeit, wenn Frühling und Winter am Scheiden stehn, in der Nacht des Äquinoktiums, saß einer im einsamen Gemach und hatte Johann Christoph Wagenseils Buch »Von der Meistersinger holdseliger Kunst« vor sich aufgeschlagen. Der Sturm räumte draußen tosend und brausend die Felder ab, schlug die dicken Regentropfen gegen die klirrenden Fenster und pfiff und heulte des Winters tolles Ade durch die Rauchfänge des Hauses, während die Strahlen des Vollmondes an den Wänden spielten und gaukelten, wie bleiche Gespenster. Das achtete aber jener nicht, sondern schlug das Buch zu und schaute tiefsinnend, ganz befangen von dem Zauberbilde längst vergangener Zeit, das sich ihm dargestellt, in die Flammen, die im Kamin knisterten und sprühten. Da war es, als hinge ein unsichtbares Wesen einen Schleier nach dem andern über sein Haupt, so daß alles um ihn her in immer dichterem und dichterem Nebel verschwamm. Das wilde Brausen des Sturms, das Knistern des Feuers wurde zu lindem harmonischen Säuseln und Flüstern, und eine innere Stimme sprach: »Das ist der Traum, dessen Flügel so lieblich auf- und niederrauschen, wenn er wie ein frommes Kind sich an die Brust des Menschen legt und mit einem süßen Kuß das innere Auge weckt, daß es vermag, die anmutigsten Bilder eines höheren Lebens voll Glanz und Herrlichkeit zu erschauen.« – Ein blendendes Licht zuckte empor wie Blitzstrahl, der Verschleierte schlug die Augen auf, aber kein Schleier, keine Nebelwolke verhüllten mehr seinen Blick. Er lag auf blumigen Matten in der dämmernden Nacht eines schönen dichten Waldes. Die Quellen murmelten, die Büsche rauschten wie in heimlichem Liebesgeplauder, und dazwischen klagte eine Nachtigall ihr süßes Weh. Der Morgenwind erhob sich und bahnte, das Gewölk vor sich her aufrollend, dem hellen lieblichen Sonnenschein den Weg, der bald auf allen grünen Blättern flimmerte und die schlafenden Vögelein weckte, die in fröhlichem Trillerieren von Zweig zu Zweig flatterten und hüpften. Da erschallte von ferne her lustiges Hörnergetön, das Wild rüttelte sich raschelnd auf aus dem Schlafe, Rehe, Hirsche guckten aus dem Gebüsch den, der auf den Matten lag, neugierig an mit klugen Augen und sprangen scheu zurück in das Dickicht. Die Hörner schwiegen, aber nun erhoben sich Harfenklänge und Stimmen, so herrlich zusammentönend wie Musik des Himmels. Immer näher und näher kam der liebliche Gesang, Jäger, die Jagdspieße in den Händen, die blanken Jagdhörner um die Schultern gehängt, ritten hervor aus der Tiefe des Waldes. Ihnen folgte auf einem schönen goldgelben Roß ein stattlicher Herr im Fürstenmantel, nach alter deutscher Art gekleidet, ihm zur Seite ritt auf einem Zelter eine Dame von blendender Schönheit und köstlich geschmückt. Aber nun kamen auf sechs schönen Rossen von verschiedener Farbe sechs Männer, deren Trachten, deren bedeutungsvolle Gesichter auf eine längst verflossene Zeit hinwiesen. Die hatten den Pferden die Zügel über den Hals gelegt und spielten auf Lauten und Harfen und sangen mit wunderbar helltönenden Stimmen, während ihre Rosse gebändigt, gelenkt durch den Zauber der süßen Musik, den Waldweg entlang auf anmutige Weise in kurzen Sprüngen nachtanzten dem fürstlichen Paar. Und wenn mitunter der Gesang einige Sekunden innehielt, stießen die Jäger in die Hörner, und der Rosse Gewieher ertönte wie ein fröhliches Jauchzen in übermütiger Lust. Reichgekleidete Pagen und Diener beschlossen den festlichen Zug, der im tiefen Dickicht des Waldes verschwand. – Der über den seltsamen, wundervollen Anblick in tiefes Staunen Versunkene raffte sich auf von den Matten und rief begeistert: »O, Herr des Himmels, ist denn die alte prächtige Zeit erstanden aus ihrem Grabe? – wer waren denn die herrlichen Menschen!« Da sprach eine tiefe Stimme hinter ihm: »Ei, lieber Herr, solltet Ihr nicht die erkennen, die Ihr fest in Sinn und Gedanken traget?« Er schaute um sich und gewahrte einen ernsten stattlichen Mann mit einer großen schwarzen Lockenperücke auf dem Haupt und ganz schwarz nach der Art gekleidet, wie man sich ums Jahr eintausendsechshundertundachtzig tragen mochte. Er erkannte alsbald den alten gelehrten Professor Johann Christoph Wagenseil, der also weiter sprach: »Ihr hättet ja wohl gleich wissen können, daß der stattliche Herr im Fürstenmantel niemand anders war, als der wackere Landgraf Hermann von Thüringen. Neben ihm ritt der Stern des Hofes, die edle Gräfin Mathilde, blutjunge Witwe des in hohen Jahren verstorbenen Grafen Kuno von Falkenstein. Die sechs Männer, welche nachritten, singend und die Lauten und Harfen rührend, sind die sechs hohen Meister des Gesanges, welche der edle Landgraf, der holdseligen Singerkunst mit Leib und Seele zugetan, an seinem Hofe versammelt hat. Jetzt geht das lustige Jagen auf, aber dann versammeln sich die Meister auf einem schönen Wiesenplan in der Mitte des Waldes und beginnen ein Wettsingen. Da wollen wir jetzt hinschreiten, damit wir schon dort sind, wenn die Jagd beendigt ist.« – Sie schritten fort, während der Wald, die fernen Klüfte von den Hörnern, dem Hundegebell, dem Hussa der Jäger widerhallten. Es geschah so, wie der Professor Wagenseil es gewollt, kaum waren sie auf dem in goldnem Grün leuchtenden Wiesenplan angekommen, als der Landgraf, die Gräfin, die sechs Meister aus der Ferne sich langsam nahten: »Ich will,« begann Wagenseil, »ich will Euch nun, lieber Herr, jeden der Meister besonders zeigen und mit Namen nennen. Seht Ihr wohl jenen Mann, der so fröhlich um sich schaut, der sein hellbraunes Pferd, den Zügel angezogen, so lustig hertänzeln läßt? – seht, wie der Landgraf ihm zunickt – er schlägt eine helle Lache auf. Das ist der muntre Walther von der Vogelweid. Der mit den breiten Schultern, mit dem starken krausen Bart, mit den ritterlichen Waffen, auf dem Tiger im gewichtigen Schritt daherreitend, das ist Reinhard von Zwekhstein. – Ei, ei – der dort auf seinem kleinen Schecken, der reitet ja statt hieher waldeinwärts! Er blickt tiefsinnig vor sich her, er lächelt, als stiegen schöne Gebilde vor ihm auf aus der Erde. Das ist der stattliche Professor Heinrich Schreiber. Der ist wohl ganz abwesenden Geistes und gedenkt nicht des Wiesenplans, nicht des Wettsingens, denn seht nur, lieber Herr, wie er in den engen Waldweg hineinschiebt, daß ihm die Zweige um den Kopf schlagen. – Da sprengt Johannes Bitterolff an ihn heran. Ihr seht doch den stattlichen Herrn auf dem Falben mit dem kurzen rötlichen Bart? Er ruft den Professor an. Der erwacht aus dem Traume. Sie kehren beide zurück. – Was ist das für ein tolles Gebraus dorten in dem dichten Gebüsch? – Ei, fahren denn Windsbräute so niedrig durch den Wald? Hei! – Das ist ja ein wilder Reiter, der sein Pferd so spornt, daß es schäumend in die Lüfte steigt. Seht nur den schönen bleichen Jüngling, wie seine Augen flammen, wie alle Muskeln des Gesichts zucken vor Schmerz, als quäle ihn ein unsichtbares Wesen, das hinter ihm aufgestiegen. – Es ist Heinrich von Ofterdingen. Was mag denn über den gekommen sein? Erst ritt er ja so ruhig daher, mit gar herrlichen Tönen einstimmend in den Gesang der anderen Meister! – O seht doch, seht den prächtigen Reiter auf dem schneeweißen arabischen Pferde. Seht, wie er sich hinabschwingt, wie er, die Zügel um den Arm geschlungen, mit gar ritterlicher Courtoisie der Gräfin Mathilde die Hand reicht und sie hinabschweben läßt von dem Zelter. Wie anmutig steht er da, die holde Frau anstrahlend mit seinen hellen blauen Augen. Es ist Wolfframb von Eschinbach! – Aber nun nehmen sie alle Platz, nun beginnt wohl das Wettsingen!« – Jeder Meister, einer nach dem andern, sang nun ein herrliches Lied. Leicht war es zu erkennen, daß jeder sich mühte, den zu übertreffen, der vor ihm gesungen. Schien das aber nun auch keinem recht gelingen zu wollen, konnte man gar nicht entscheiden, wer von den Meistern am herrlichsten gesungen, so neigte die Dame Mathilde sich doch zu Wolfframb von Eschinbach hin mit dem Kranz, den sie für den Sieger in den Händen trug. Da sprang Heinrich von Ofterdingen auf von seinem Sitze; wildes Feuer sprühte aus seinen dunklen Augen; sowie er rasch vorschritt bis in die Mitte des Wiesenplans, riß ihm ein Windstoß das Barett vom Kopfe, das freie Haar spießte sich empor auf der totenbleichen Stirn. »Haltet ein,« schrie er auf, »haltet ein! Noch ist der Preis nicht gewonnen: mein Lied, mein Lied muß erst gesungen sein, und dann mag der Landgraf entscheiden, wem der Kranz gebührt.« Darauf kam, man wußte nicht, auf welche Weise, eine Laute von wunderlichem Bau, beinahe anzusehen wie ein erstarrtes unheimliches Tier, in seine Hand. Die fing er an zu rühren so gewaltig, daß der ferne Wald davon erdröhnte. Dann sang er drein mit starker Stimme. Das Lied lobte und pries den fremden König, der mächtiger sei als alle andere Fürsten und dem alle Meister demütiglich huldigen müßten, wollten sie nicht in Schande und Schmach geraten. Einige seltsam gellende Laute klangen recht verhöhnend dazwischen. Zornig blickte der Landgraf den wilden Sänger an. Da erhoben sich die anderen Meister und sangen zusammen. Ofterdingens Lied wollte darüber verklingen, stärker und stärker griff er aber in die Saiten, bis sie wie mit einem laut aufheulenden Angstgeschrei zersprangen. Statt der Laute, die Ofterdingen im Arm getragen, stand nun plötzlich eine finstre entsetzliche Gestalt vor ihm und hielt ihn, der zu Boden sinken wollte, umfaßt und hob ihn hoch empor in die Lüfte. Der Gesang der Meister versauste im Widerhall, schwarze Nebel legten sich über Wald und Wiesenplan und hüllten alles ein in finstre Nacht. Da stieg ein in milchweißem Licht herrlich funkelnder Stern empor aus der Tiefe und wandelte daher auf der Himmelsbahn, und ihm nach zogen die Meister auf glänzenden Wolken, singend und ihr Saitenspiel rührend. Ein flimmerndes Leuchten zitterte durch die Flur, die Stimmen des Waldes erwachten aus dumpfer Betäubung und erhoben sich und tönten lieblich hinein in die Gesänge der Meister. – Du gewahrst es, vielgeliebter Leser, daß der, welchem dieses alles träumte, eben derjenige ist, der im Begriff steht, dich unter die Meister zu führen, mit denen er durch den Professor Johann Christoph Wagenseil bekannt wurde. – Es begibt sich wohl, daß, sehen wir fremde Gestalten in der dämmernden Ferne daherschreiten, uns das Herz bebt vor Neugier, wer die wohl sein, was sie wohl treiben mögen. Und immer näher und näher kommen sie. Wir erkennen Farbe der Kleidung, Gesicht, wir hören ihr Gespräch, wiewohl die Worte verhallen in den weiten Lüften. Aber nun tauchen sie unter in die blauen Nebel eines tiefen Tals. Dann können wir es kaum erwarten, daß sie nur wieder aufsteigen, daß sie bei uns sich einfinden, damit wir sie erfassen, mit ihnen reden können. Denn gar zu gern möchten wir doch wissen, wie die ganz in der Nähe geformt und gestaltet sind, welche in der Ferne sich so verwunderlich ausnahmen. – Möchte der erzählte Traum in dir, geliebter Leser, ähnliche Empfindungen erregen. Möchtest du es dem Erzähler freundlich vergönnen, daß er dich nun gleich an den Hof des Landgrafen Hermann von Thüringen nach der schönen Wartburg bringe. Die Meistersänger auf der Wartburg Es mochte wohl ums Jahr eintausendzweihundertundacht sein, als der edle Landgraf von Thüringen, eifriger Freund, rüstiger Beschützer der holdseligen Sängerkunst, sechs hohe Meister des Gesanges an seinem Hofe versammelt hatte. Es befanden sich allda Wolfframb von Eschinbach, Walther von der Vogelweid, Reinhard von Zwekhstein, Heinrich Schreiber, Johannes Bitterolff, alle ritterlichen Ordens, und Heinrich von Ofterdingen, Bürger zu Eisenach. Wie Priester einer Kirche lebten die Meister in frommer Liebe und Eintracht beisammen, und all ihr Streben ging nur dahin, den Gesang, die schönste Gabe des Himmels, womit der Herr den Menschen gesegnet, recht in hohen Ehren zu halten. Jeder hatte nun freilich seine eigne Weise, aber wie jeder Ton eines Akkords anders klingt und doch alle Töne im lieblichsten Wohllaut zusammenklingen, so geschah es auch, daß die verschiedensten Weisen der Meister harmonisch miteinander tönten und Strahlen schienen eines Liebessterns. Daher kam es, daß keiner seine eigne Weise für die beste hielt, vielmehr jede andre hoch ehrte und wohl meinte, daß seine Weise ja gar nicht so lieblich klingen könne ohne die andern, wie denn der Ton dann erst sich recht freudig erhebt und aufschwingt, wenn der ihm verwandte erwacht und ihn liebend begrüßt. Waren Walthers von der Vogelweid, des Landherrn, Lieder gar vornehm und zierlich und dabei voll kecker Lust, so sang Reinhard von Zwekhstein dagegen derb und ritterlich mit gewichtigen Worten. Bewies sich Heinrich Schreiber gelehrt und tiefsinnig, so war Johannes Bitterolff voller Glanz und reich an kunstvollen Gleichnissen und Wendungen. Heinrich von Ofterdingens Lieder gingen durch die innerste Seele, er wußte, selbst ganz aufgelöst in schmerzlichem Sehnen, in jedes Brust die tiefste Wehmut zu entzünden. Aber oft schnitten grelle häßliche Töne dazwischen, die mochten wohl aus dem wunden zerrissenen Gemüt kommen, in dem sich böser Hohn angesiedelt, bohrend und zehrend wie ein giftiges Insekt. Niemand wußte, wie Heinrich von solchem Unwesen befallen. Wolfframb von Eschinbach war in der Schweiz geboren. Seine Lieder voller süßer Anmut und Klarheit glichen dem reinen blauen Himmel seiner Heimat, seine Weisen klangen wie liebliches Glocken- und Schalmeiengetön. Aber dazwischen brausten auch wilde Wasserfälle, dröhnten Donner durch die Bergklüfte. Wunderbar wallte, wenn er sang, jeder mit ihm, wie auf den glänzenden Wogen eines schönen Stroms, bald sanft dahergleitend, bald kämpfend mit den sturmbewegten Wellen, bald, die Gefahr überwunden, fröhlich hinsteuernd nach dem sichern Port. Seiner Jugend unerachtet mochte Wolfframb von Eschinbach wohl für den erfahrensten von allen andern Meistern gelten, die am Hofe versammelt. Von Kindesbeinen an war er der Sängerkunst ganz und gar ergeben und zog, sowie er zum Jüngling gereift, ihr nach durch viele Lande, bis er den großen Meister traf, Friedebrand geheißen. Dieser unterwies ihn getreulich in der Kunst und teilte ihm viele Meistergedichte in Schriften mit, die Licht in sein inneres Gemüt hineinströmten, daß er das, was ihm sonst verworren und gestaltlos geschienen, nun deutlich zu erkennen vermochte. Vorzüglich aber zu Siegebrunnen in Schottland brachte ihm Meister Friedebrand etliche Bücher, aus denen er die Geschichten nahm, die er in deutsche Lieder faßte, sonderlich von Gamurret und dessen Sohn Parcivall, von Markgraf Wilhelm von Narben und dem starken Rennewart, welches Gedicht hernach ein anderer Meistersänger, Ulrich von Türkheimb, auf vornehmer Leute Bitten, die Eschinbachs Lieder wohl nicht recht verstehen mochten, in gemeine deutsche Reime brachte und zum dicken Buche ausdehnte. So mußt' es wohl kommen, daß Wolfframb wegen seiner herrlichen Kunst weit und breit berühmt wurde und vieler Fürsten und großer Herren Gunst erhielt. Er besuchte viele Höfe und bekam allenthalben stattliche Verehrungen seiner Meisterschaft, bis ihn endlich der hocherleuchtete Landgraf Hermann von Thüringen, der sein großes Lob an allen Enden verkünden hörte, an seinen Hof berief. Nicht allein Wolfframbs große Kunst, sondern auch seine Milde und Demut gewannen ihm in kurzer Zeit des Landgrafs volle Gunst und Liebe, und wohl mocht' es sein, daß Heinrich von Ofterdingen, der sonst in dem hellsten Sonnenlicht der fürstlichen Gnade gestanden, ein wenig in den Schatten zurücktreten mußte. Demunerachtet hing keiner von den Meistern dem Wolfframb so mit rechter inniger Liebe an, als eben Heinrich von Ofterdingen. Wolfframb erwiderte dies aus dem tiefsten Grunde seines Gemüts, und so standen beide da, recht in Liebe verschlungen, während die andern Meister sie umgaben wie ein schöner lichter Kranz. Heinrich von Ofterdingens Geheimnis Ofterdingens unruhiges zerrissenes Wesen nahm mit jedem Tage mehr überhand. Düstrer und unsteter wurde sein Blick, blässer und blässer sein Antlitz. Statt daß die andern Meister, hatten sie die erhabensten Materien der Heiligen Schrift besungen, ihre freudigen Stimmen erhoben zum Lobe der Damen und ihres wackern Herrn, klagten Ofterdingens Lieder nur die unermeßliche Qual des irdischen Seins und glichen oft dem jammernden Wehlaut des auf den Tod Wunden, der vergebens hofft auf Erlösung im Tode. Alle glaubten, er sei in trostloser Liebe; aber eitel blieb alles Mühen, ihm das Geheimnis zu entlocken. Der Landgraf selbst, dem Jünglinge mit Herz und Seele zugetan, unternahm es, ihn in einer einsamen Stunde um die Ursache seines tiefen Leids zu befragen. Er gab ihm sein fürstliches Wort, daß er alle seine Macht aufbieten wolle, irgendein bedrohliches Übel zu entfernen oder durch die Beförderung irgendeines jetzt ihm hoffnungslos scheinenden Wunsches sein schmerzliches Leiden zu wandeln in fröhliches Hoffen, allein sowenig wie die andern vermochte er den Jüngling, ihm das Innerste seiner Brust aufzutun. »Ach, mein hoher Herr,« rief Ofterdingen, indem ihm die heißen Tränen aus den Augen stürzten, »ach, mein hoher Herr, weiß ich's denn selbst, welches höllische Ungeheuer mich mit glühenden Krallen gepackt hat und mich emporhält zwischen Himmel und Erde, so daß ich dieser nicht mehr angehöre und vergebens dürste nach den Freuden über mir? Die heidnischen Dichter erzählen von den Schatten Verstorbener, die nicht dem Elysium angehören, nicht dem Orkus. An den Ufern des Acheron schwanken sie umher, und die finstern Lüfte, in denen nie ein Hoffnungsstern leuchtet, tönen wider von ihren Angstseufzern, von den entsetzlichen Wehlauten ihrer namenlosen Qual. Ihr Jammern, ihr Flehen ist umsonst, unerbittlich stößt sie der alte Fährmann zurück, wenn sie hinein wollen in den verhängnisvollen Kahn. Der Zustand dieser fürchterlichen Verdammnis ist der meinige.« – Bald nachher, als Heinrich von Ofterdingen auf diese Weise mit dem Landgrafen gesprochen, verließ er, von wirklicher Krankheit befallen, die Wartburg und begab sich nach Eisenach. Die Meister klagten, daß solch schöne Blume aus ihrem Kranze so vor der Zeit, wie angehaucht von giftigen Dünsten, dahinwelken müsse. Wolfframb von Eschinbach gab indessen keinesweges alle Hoffnung auf, sondern meinte sogar, daß eben jetzt, da Ofterdingens Gemütskrankheit sich gewendet in körperliches Leiden, Genesung nahe sein könne. Begäbe es sich denn nicht oft, daß die ahnende Seele im Vorgefühl körperlichen Schmerzes erkranke, und so sei es denn auch wohl mit Ofterdingen geschehen, den er nun getreulich trösten und pflegen wolle. Wolfframb ging auch alsbald nach Eisenach. Als er eintrat zu Ofterdingen, lag dieser ausgestreckt auf dem Ruhebette, zum Tode matt, mit halbgeschlossenen Augen. Die Laute hing an der Wand ganz verstaubt, mit zum Teil zerrissenen Saiten. Sowie er den Freund gewahrte, richtete er sich ein wenig empor und streckte schmerzlich lächelnd ihm die Hand entgegen. Als nun Wolfframb sich zu ihm gesetzt, die herzigen Grüße von dem Landgraf und den Meistern gebracht und sonst noch viel freundliche Worte gesprochen, fing Heinrich mit matter kranker Stimme also an: »Es ist mir viel Absonderliches begegnet. Wohl mag ich mich bei euch wie ein Wahnsinniger gebärdet haben, wohl mochtet ihr alle glauben, daß irgendein in meiner Brust verschlossenes Geheimnis mich so verderblich hin- und herzerre. Ach! mir selbst war ja mein trostloser Zustand ein Geheimnis. Ein wütender Schmerz zerriß meine Brust, aber unerforschlich blieb mir seine Ursache. All mein Treiben schien mir elend und nichtswürdig, die Lieder, die ich sonst gar hoch gehalten, klangen mir falsch, schwach – des schlechtesten Schülers unwert. Und doch brannte ich, von eitlem Wahn betört, dich – alle übrigen Meister zu übertreffen. Ein unbekanntes Glück, des Himmels höchste Wonne stand hoch über mir, wie ein golden funkelnder Stern – zu dem mußt' ich mich hinaufschwingen oder trostlos untergehen. Ich schaute hinauf, ich streckte die Arme sehnsuchtsvoll empor, und dann wehte es mich schaurig an mit eiskalten Flügeln und sprach: ›Was will all dein Sehnen, all dein Hoffen? Ist dein Auge nicht verblindet, deine Kraft nicht gebrochen, daß du nicht vermagst den Strahl deiner Hoffnung zu ertragen, dein Himmelsglück zu erfassen?‹ – Nun, – nun ist mein Geheimnis mir selbst erschlossen. Es gibt mir den Tod, aber im Tode die Seligkeit des höchsten Himmels. – Krank und siech lag ich hier im Bette. Es mochte zur Nachtzeit sein, da ließ der Wahnsinn des Fiebers, der mich tosend und brausend hin und her geworfen, von mir ab. Ich fühlte mich ruhig, eine sanfte wohltuende Wärme glitt durch mein Inneres. Es war mir, als schwämme ich im weiten Himmelsraum daher auf dunklen Wolken. Da fuhr ein funkelnder Blitz durch die Finsternis, und ich schrie laut auf: ›Mathilde!‹ – Ich war erwacht, der Traum verrauscht. Das Herz bebte mir vor seltsamer süßer Angst, vor unbeschreiblicher Wonne. Ich wußte, daß ich laut gerufen: ›Mathilde!‹ Ich erschrak darüber, denn ich glaubte, daß Flur und Wald, daß alle Berge, alle Klüfte den süßen Namen widertönen, daß tausend Stimmen es ihr selbst sagen würden, wie unaussprechlich bis zum Tode ich sie liebe; daß sie – sie der funkelnde Stern sei, der, in mein Innerstes strahlend, allen zehrenden Schmerz trostloser Sehnsucht geweckt, ja daß nun die Liebesflammen hoch emporgelodert, und daß meine Seele dürste – schmachte nach ihrer Schönheit und Holdseligkeit! – Du hast nun, Wolfframb, mein Geheimnis und magst es tief in deiner Brust begraben. Du gewahrst, daß ich ruhig bin und heiter und traust mir wohl, wenn ich dich versichere, daß ich lieber untergehen als in törichtem Treiben mich euch allen verächtlich machen werde. Dir – dir, der Mathilden liebt, dem sie mit gleicher Liebe hingeneigt, mußt' ich ja eben alles sagen, alles vertrauen. Sowie ich genesen, ziehe ich, die Todeswunde in der blutenden Brust, fort in fremde Lande. Hörst du dann, daß ich geendet, so magst du Mathilden es sagen, daß ich –« Der Jüngling vermochte nicht weiter zu sprechen, er sank wieder in die Kissen und kehrte das Gesicht hin nach der Wand. Sein starkes Schluchzen verriet den Kampf in seinem Innern. Wolfframb von Eschinbach war nicht wenig bestürzt über das, was ihm Heinrich eben entdeckt hatte. Den Blick zur Erde gesenkt, saß er da und sann und sann, wie nun der Freund zu retten von dem Wahnsinn törichter Leidenschaft, die ihn ins Verderben stürzen mußte. – Er versuchte allerlei tröstende Worte zu sprechen, ja sogar den kranken Jüngling zu vermögen, daß er nach der Wartburg zurückkehre und, Hoffnung in der Brust, keck hineintrete in den hellen Sonnenglanz, den die edle Dame Mathilde um sich verbreite. Er meinte sogar, daß er selbst sich Mathildens Gunst auf keine andere Weise erfreue als durch seine Lieder, und daß ja ebensogut Ofterdingen sich in schönen Liedern aufschwingen und so um Mathildens Gunst werben könne. Der arme Heinrich schaute ihn aber an mit trübem Blick und sprach: – »Niemals werdet ihr mich wohl auf der Wartburg wiedersehen. Soll ich mich denn in die Flammen stürzen? – Sterb' ich denn nicht fern von ihr den schöneren, süßeren Tod der Sehnsucht?« – Wolfframb schied, und Ofterdingen blieb in Eisenach. Was sich weiter mit Heinrich von Ofterdingen begeben Es geschieht wohl, daß der Liebesschmerz in unserer Brust, die er zu zerreißen drohte, heimisch wird, so daß wir ihn gar hegen und pflegen. Und die schneidenden Jammerlaute, sonst uns von unnennbarer Qual erpreßt, werden zu melodischen Klagen süßen Wehs, die tönen wie ein fernes Echo zurück in unser Inneres und legen sich lindernd und heilend an die blutende Wunde. So geschah es auch mit Heinrich von Ofterdingen. Er blieb in heißer sehnsüchtiger Liebe, aber er schaute nicht mehr in den schwarzen hoffnungslosen Abgrund, sondern er hob den Blick empor zu den schimmernden Frühlingswolken. Dann war es ihm, als blicke ihn die Geliebte aus ferner Höhe an mit ihren holdseligen Augen und entzünde in seiner Brust die herrlichsten Lieder, die er jemals gesungen. Er nahm die Laute herab von der Wand, bespannte sie mit neuen Saiten und trat hinaus in den schönen Frühling, der eben aufgegangen. Da zog es ihn denn nun freilich mit Gewalt hin nach der Gegend der Wartburg. Und wenn er dann in der Ferne die funkelnden Zinnen des Schlosses erblickte und daran dachte, daß er Mathilden niemals wiedersehen, daß sein Lieben nur ein trostloses Sehnen bleiben solle, daß Wolfframb von Eschinbach die Herrliche gewonnen durch die Macht des Gesanges, da gingen all die schönen Hoffnungsgebilde unter in düstere Nacht, und alle Todesqualen der Eifersucht und Verzweiflung durchschnitten sein Inneres. Dann floh er, wie von bösen Geistern getrieben, zurück in sein einsames Zimmer, da vermochte er Lieder zu singen, die ihm süße Träume und in ihnen die Geliebte selbst zuführten. Lange Zeit hindurch war es ihm gelungen, die Nähe der Wartburg zu vermeiden. Eines Tages geriet er aber doch, selbst wußte er nicht wie, in den Wald, der vor der Wartburg lag und aus dem heraustretend man das Schloß dicht vor Augen hatte. Er war zu dem Platz im Walde gekommen, wo zwischen dichtem Gesträuch und allerlei häßlichem stachlichten Gestrüpp sich seltsam geformtes, mit bunten Moosen bewachsenes Gestein erhob. Mühsam kletterte er bis zur Mitte herauf, so daß er durch die Schlucht die Spitzen der Wartburg in der Ferne hervorragen sah. Da setzte er sich hin und verlor sich, alle Qual böser Gedanken bekämpfend, in süßen Hoffnungsträumen. Längst war die Sonne untergegangen; aus den düstern Nebeln, die sich über die Berge gelagert, stieg in glühendem Rot die Mondesscheibe empor. Durch die hohen Bäume sauste der Nachtwind, und von seinem eisigen Atem angehaucht, rüttelte und schüttelte sich das Gebüsch wie in Fieberschauern. Die Nachtvögel schwangen sich kreischend auf aus dem Gestein und begannen ihren irren Flug. Stärker rauschten die Waldbäche, rieselten die fernen Quellen. Aber wie nun der Mond lichter durch den Wald funkelte, wogten die Töne eines fernen Gesanges daher. Heinrich fuhr empor. Er gedachte, wie nun die Meister auf der Wartburg ihre frommen Nachtlieder angestimmt. Er sah, wie Mathilde im Davonscheiden noch den geliebten Wolfframb anblickte. Alle Liebe und Seligkeit lag in diesem Blick, der den Zauber der süßesten Träume wecken mußte in der Seele des Geliebten. – Heinrich, dem das Herz zerspringen wollte vor Sehnsucht und Verlangen, ergriff die Laute und begann ein Lied, wie er vielleicht noch niemals eins gesungen. Der Nachtwind ruhte, Baum und Gebüsch schwiegen, durch die tiefe Stille des düstern Waldes leuchteten Heinrichs Töne, wie mit den Mondesstrahlen verschlungen. Als nun sein Lied in bangen Liebesseufzern dahinsterben wollte, schlug dicht hinter ihm plötzlich ein gellendes schneidendes Gelächter auf. Entsetzt drehte er sich rasch um und erblickte eine große finstere Gestalt, die, ehe er sich noch besinnen konnte, mit recht häßlichem höhnenden Ton also begann: »Ei, habe ich doch hier schon eine ganze Weile herumgesucht, um den zu finden, der noch in tiefer Nacht solche herrliche Lieder singt. Also seid Ihr es, Heinrich von Ofterdingen? – Nun wohl hätte ich das wissen können, denn Ihr seid doch nun einmal der allerschlechteste von all den sogenannten Meistern dort auf der Wartburg, und das tolle Lied ohne Gedanken, ohne Klang, konnte wohl nur aus Euerm Munde kommen.« Halb noch in Entsetzen, halb in aufglühendem Zorn rief Heinrich: »Wer seid Ihr denn, daß Ihr mich kennt und glaubt, mich hier mit schnöden Worten necken zu können?« Dabei legte Ofterdingen die Hand an sein Schwert. Aber der Schwarze schlug nochmals ein gellendes Gelächter auf, und dabei fiel ein Strahl in sein leichenblasses Antlitz, daß Ofterdingen die wildfunkelnden Augen, die eingefallnen Wangen, den spitzigen rötlichen Bart, den zum grinsenden Lachen verzogenen Mund, die schwarze reiche Kleidung, das schwarzbefiederte Barett des Fremden recht deutlich gewahren konnte. »Ei,« sprach der Fremde, »ei, lieber junger Gesell, Ihr werdet doch keine Mordwaffen gegen mich gebrauchen wollen, weil ich Eure Lieder tadle? – Freilich möget ihr Sänger das nicht wohl leiden und verlanget wohl gar, daß man alles hoch preisen soll, was von euch berühmten Leuten kommt, sei es nun auch von Grund aus schlecht. Aber eben daran, daß ich das nicht achte, sondern Euch geradezu heraussage, daß Ihr statt ein Meister höchstens ein mittelmäßiger Schüler der edlen Kunst des Gesanges zu nennen seid, ja, eben daran solltet Ihr erkennen, daß ich Euer wahrer Freund bin und es gut mit Euch meine.« »Wie könnt Ihr,« sprach Ofterdingen, von unheimlichen Schauern erfaßt, »wie könnt Ihr mein Freund sein und es gut mit mir meinen, da ich mich gar nicht erinnere, Euch jemals gesehen zu haben?« – Ohne auf diese Frage zu antworten, fuhr der Fremde fort: »Es ist hier ein wunderlich schöner Platz, die Nacht gar behaglich, ich werde mich im traulichen Mondesschimmer zu Euch setzen, und wir können, da Ihr doch jetzt nicht nach Eisenach zurückkehren werdet, noch ein wenig miteinander plaudern. Horcht auf meine Worte, sie können Euch lehrreich sein.« Damit ließ sich der Fremde auf den großen bemoosten Stein dicht neben Ofterdingen nieder. Dieser kämpfte mit den seltsamsten Gefühlen. Furchtlos wie er sonst wohl sein mochte, konnte er sich doch in der öden Einsamkeit der Nacht an diesem schaurigen Orte des tiefen Grauens nicht erwehren, das des Mannes Stimme und sein ganzes Wesen erweckte. Es war ihm, als müsse er ihn den jähen Abhang hinab in den Waldstrom stürzen, der unten brauste. Dann fühlte er sich aber wieder gelähmt an allen Gliedern. – Der Fremde rückte indessen dicht an Ofterdingen heran und sprach leise, beinahe ihm ins Ohr flüsternd: »Ich komme von der Wartburg – ich habe dort oben die gar schlechte schülermäßige Singerei der sogenannten Meister gehört; aber die Dame Mathilde ist von solch holdem und anmutigen Wesen wie vielleicht keine mehr auf Erden.« »Mathilde!« rief Ofterdingen mit dem Ton des schneidendsten Wehs. »Hoho!« – lachte der Fremde, »hoho, junger Gesell, liegt es Euch daran? Doch laßt uns jetzt von ernsthaften oder vielmehr von hohen Dingen reden: ich meine von der edlen Kunst des Gesanges. Mag es sein, daß ihr alle dort oben es recht gut meint mit euern Liedern, daß euch das alles so recht schlicht und natürlich herauskommt, aber von der eigentlichen tiefern Kunst des Sängers habt ihr wohl gar keinen Begriff. Ich will Euch nur einiges davon andeuten, dann werdet Ihr wohl selbst einsehen, wie Ihr auf dem Wege, den Ihr wandelt, niemals zu dem Ziel gelangen könnet, das Ihr Euch vorgesteckt habt.« Der Schwarze begann nun in ganz absonderlichen Reden, die beinahe anzuhören wie fremde seltsame Lieder, die wahre Kunst des Gesanges zu preisen. Indem der Fremde sprach, ging Bild auf Bild in Heinrichs Seele auf und verschwand, wie vom Sturm verhaucht; es war, als erschlösse sich ihm eine ganz neue Welt voll üppiger Gestalten. Jedes Wort des Fremden entzündete Blitze, die schnell aufloderten und ebenso schnell wieder erloschen. Nun stand der Vollmond hoch über dem Walde. Beide, der Fremde und Heinrich, saßen in vollstem Licht, und dieser bemerkte nun wohl, daß des Fremden Antlitz gar nicht so abscheulich war, als es ihm erst vorgekommen. Funkelte auch aus seinen Augen ein ungewöhnliches Feuer, so spielte doch (wie Heinrich bemerken wollte) um den Mund ein liebliches Lächeln, und die große Habichtsnase, die hohe Stirne dienten nur dazu, dem ganzen Gesicht den vollsten Ausdruck tüchtiger Kraft zu geben. »Ich weiß nicht,« sprach Ofterdingen, als der Fremde innehielt, »ich weiß nicht, welch ein wunderliches Gefühl Eure Reden in mir erwecken. Es ist mir, als erwache erst jetzt in mir die Ahnung des Gesanges, als wäre das alles, was ich bisher dafür gehalten, ganz schlecht und gemein, und nun erst werde mir die wahre Kunst aufgehen. Ihr seid gewiß selbst ein hoher Meister des Gesanges und werdet mich wohl als Euern fleißigen, wißbegierigen Schüler annehmen, warum ich Euch gar herzlich bitte.« Der Fremde schlug wieder seine häßliche Lache auf, erhob sich vom Sitze und stand so riesengroß, mit wildverzerrtem Antlitz vor Heinrich von Ofterdingen, daß diesem jenes Grauen wieder ankam, das er empfunden, als der Fremde auf ihn zutrat. Dieser sprach mit starker Stimme, die weit durch die Klüfte hallte: »Ihr meint, ich sei ein hoher Meister des Gesanges? – Nun, zuzeiten mag ich's wohl sein, aber mit Lehrstunden kann ich mich ganz und gar nicht abgeben. Mit gutem Rat diene ich gern solchen wißbegierigen Leuten, wie Ihr einer zu sein scheint. Habt Ihr wohl von dem in aller Wissenschaft tief erfahrnen Meister des Gesanges, Klingsohr geheißen, reden hören? Die Leute sagen, er sei ein großer Negromant und habe sogar Umgang mit jemanden, der nicht überall gern gesehen. Laßt Euch das aber nicht irren, denn was die Leute nicht verstehen und handhaben können, das soll gleich was Übermenschliches sein, was dem Himmel angehört oder der Hölle. Nun! – Meister Klingsohr wird Euch den Weg zeigen, der Euch zum Ziele führt. Er hauset in Siebenbürgen, zieht hin zu ihm. Da werdet Ihr erfahren, wie die Wissenschaft und Kunst dem hohen Meister alles, was es Ergötzliches gibt auf Erden, gespendet hat in hohem Maße: Ehre – Reichtum – Gunst der Frauen. – Ja, junger Gesell! Wäre Klingsohr hier, was gält' es, er brächte selbst den zärtlichen Wolfframb von Eschinbach, den seufzenden Schweizerhirten, um die schöne Gräfin Mathilde?« »Warum nennt Ihr den Namen?« – fuhr Heinrich von Ofterdingen zornig auf, »verlaßt mich, Eure Gegenwart erregt mir Schauer!« – »Hoho,« lachte der Fremde, »werdet nur nicht böse, kleiner Freund! – An den Schauern, die Euch schütteln, ist die kühle Nacht schuld und Euer dünnes Wams, aber nicht ich. War es Euch denn nicht wohl zumute, als ich erwärmend an Eurer Seite saß? – Was Schauer, was Erstarren! mit Blut und Gut kann ich Euch dienen: – Gräfin Mathilde! – ja, ich meinte nur, daß die Gunst der Frauen erlangt wird durch den Gesang, wie ihn Meister Klingsohr zu üben vermag. Ich habe zuvor Eure Lieder verachtet, um Euch selbst auf Eure Stümperei aufmerksam zu machen. Aber daran, daß Ihr gleich das Wahre ahntet, als ich von der eigentlichen Kunst zu Euch sprach, habt Ihr mir Eure guten Anlagen hinlänglich bewiesen. Vielleicht seid Ihr bestimmt, in Meister Klingsohrs Fußtapfen zu treten und dann würdet Ihr Euch wohl mit gutem Glück um Mathildens Gunst bewerben können. Macht Euch auf! – zieht nach Siebenbürgen. – Aber wartet, ich will Euch, könnt Ihr nicht gleich nach Siebenbürgen ziehen, zum fleißigen Studium ein kleines Buch verehren, das Meister Klingsohr verfaßt hat und das nicht allein die Regeln des wahren Gesanges, sondern auch einige treffliche Lieder des Meisters enthält.« Damit hatte der Fremde ein kleines Buch hervorgeholt, dessen blutroter Deckel hell im Mondenschein flimmerte. Das überreichte er Heinrich von Ofterdingen. Sowie dieser es faßte, trat der Fremde zurück und verschwand im Dickicht. Heinrich versank in Schlaf. Als er erwachte, war die Sonne sehr hoch aufgestiegen. Lag das rote Buch nicht auf seinem Schoße, er hätte die ganze Begebenheit mit dem Fremden für einen lebhaften Traum gehalten. Von der Gräfin Mathilde. Ereignisse auf der Wartburg Gewiß, vielgeliebter Leser, befandest du dich einmal in einem Kreise, der, von holden Frauen, sinnvollen Männern gebildet, ein schöner, von den verschiedensten in Duft und Farbenglanz miteinander wetteifernden Blumen geflochtener Kranz zu nennen. Aber wie der süße Wohllaut der Musik, über alle hinhauchend, in jedes Brust die Freude weckt und das Entzücken, so war es auch die Holdseligkeit einer hochherrlichen Frau, die über alle hinstrahlte und die anmutige Harmonie schuf, in der sich alles bewegte. In dem Glanz ihrer Schönheit wandelnd, in die Musik ihrer Rede einstimmend, erschienen die andern Frauen schöner, liebenswürdiger als sonst, und die Männer fühlten ihre Brust erweitert und vermochten mehr als jemals die Begeisterung, die sonst scheu sich im Innern verschloß, auszuströmen in Worten oder Tönen, wie es denn eben die Ordnung der Gesellschaft zuließ. So sehr die Königin sich mit frommem kindlichen Wesen mühen mochte, ihre Huld jedem zuzuteilen in gleichem Maße, doch gewahrte man, wie ihr Himmelsblick länger ruhte auf jenem Jüngling, der schweigend ihr gegenüberstand und dessen vor süßer Rührung in Tränen glänzende Augen die Seligkeit der Liebe verkündeten, die ihm aufgegangen. Mancher mochte wohl den Glücklichen beneiden, aber keiner konnte ihn darum hassen, ja vielmehr jeder, der sonst mit ihm in Freundschaft verbunden, liebte ihn nun noch inniger um seiner Liebe willen. So geschah es, daß an dem Hofe Landgraf Hermanns von Thüringen in dem schönen Kranz der Frauen und Dichter die Gräfin Mathilde, Witwe des in hohem Alter verstorbenen Grafen Kuno von Falkenstein, die schönste Blume war, welche mit Duft und Glanz alle überstrahlte. Wollframb von Eschinbach, von ihrer hohen Anmut und Schönheit tief gerührt, sowie er sie erblickte, kam bald in heiße Liebe. Die andern Meister, wohl auch von der Holdseligkeit der Gräfin begeistert, priesen ihre Schönheit und Milde in vielen anmutigen Liedern. Reinhard von Zwekhstein nannte sie die Dame seiner Gedanken, für die er stehen wolle im Lustturnier und im ernsten Kampf; Walther von der Vogelweid ließ alle kecke Lust ritterlicher Liebe aufflammen, während Heinrich Schreiber und Johannes Bitterolff sich mühten, in den wunderbarsten kunstvollsten Gleichnissen und Wendungen die Dame Mathilde zu erheben. Doch Wolfframbs Lieder kamen aus der Tiefe des liebenden Herzens und trafen, gleich funkelnden scharfgespitzten Pfeilen hervorblitzend, Mathildens Brust. Die anderen Meister gewahrten das wohl, aber es war ihnen, als umstrahle Wolfframbs Liebesglück sie alle wie ein lieblicher Sonnenschimmer und gäbe auch ihren Liedern besondere Stärke und Anmut. Der erste finstre Schatten, der in Wolfframbs glanzvolles Leben fiel, war Ofterdingens unglückliches Geheimnis. Wenn er gedachte, wie die andern Meister ihn liebten, unerachtet gleich ihm auch ihnen Mathildens Schönheit hell aufgegangen, wie nur in Ofterdingens Gemüt sich mit der Liebe zugleich feindseliger Groll eingenistet und ihn fortgebannt in die öde freudenlose Einsamkeit, da konnte er sich des bittern Schmerzes nicht erwehren. Oft war es ihm, als sei Ofterdingen nur von einem verderblichen Wahnsinn befangen, der austoben werde, dann aber fühlte er wieder recht lebhaft, daß er selbst es ja auch nicht würde haben ertragen können, wenn er sich hoffnungslos um Mathildens Gunst beworben. »Und,« sprach er zu sich selbst, »und welche Macht hat denn meinem Anspruch größeres Recht gegeben? Gebührt mir denn irgendein Vorzug vor Ofterdingen? – Bin ich besser, verständiger, liebenswürdiger als er? Wo liegt der Abstand zwischen uns beiden? – Also nur die Macht eines feindlichen Verhängnisses, das mich so gut als ihn hätte treffen können, drückt ihn zu Boden, und ich, der treue Freund, gehe unbekümmert vorüber, ohne ihm die Hand zu reichen.« – Solche Betrachtungen führten ihn endlich zu dem Entschluß, nach Eisenach zu gehen und alles nur mögliche anzuwenden, Ofterdingen zur Rückkehr nach der Wartburg zu bewegen. Als er indessen nach Eisenach kam, war Heinrich von Ofterdingen verschwunden, niemand wußte, wohin er gegangen. Traurig kehrte Wolfframb von Eschinbach zurück nach der Wartburg und verkündete dem Landgrafen und den Meistern Ofterdingens Verlust. Nun erst zeigte sich recht, wie sehr sie ihn alle geliebt, trotz seines zerrissenen, oft bis zur höhnenden Bitterkeit mürrischen Wesens. Man betrauerte ihn wie einen Toten, und lange Zeit hindurch lag diese Trauer wie ein düstrer Schleier auf allen Gesängen der Meister und nahm ihnen allen Glanz und Klang, bis endlich das Bild des Verlornen immer mehr und mehr entwich in weite Ferne. Der Frühling war gekommen und mit ihm alle Lust und Heiterkeit des neu erkräftigten Lebens. Auf einem anmutigen, von schönen Bäumen eingeschlossenen Platz im Garten des Schlosses waren die Meister versammelt, um das junge Laub, die hervorsprießenden Blüten und Blumen mit freudigen Liedern zu begrüßen. Der Landgraf, Gräfin Mathilde, die andern Damen hatten sich ringsumher auf Sitzen niedergelassen, eben wollte Wolfframb von Eschinbach ein Lied beginnen, als ein junger Mann, die Laute in der Hand, hinter den Bäumen hervortrat. Mit freudigem Erschrecken erkannten alle in ihm den verloren geglaubten Heinrich von Ofterdingen. Die Meister gingen auf ihn zu mit freundlichen herzlichen Grüßen. Ohne das aber sonderlich zu beachten, nahte er sich dem Landgrafen, vor dem, und dann vor der Gräfin Mathilde, er sich ehrfurchtsvoll neigte. Er sei, sprach er dann, von der bösen Krankheit, die ihn befallen, nun gänzlich genesen und bitte, wolle man ihn vielleicht aus besonderen Gründen nicht mehr in die Zahl der Meister aufnehmen, ihm doch zu erlauben, daß er so gut wie die andern seine Lieder absinge. Der Landgraf meinte dagegen, sei er auch eine Zeitlang abwesend gewesen, so sei er doch deshalb keinesweges aus der Reihe der Meister geschieden, und er wisse nicht, wodurch er sich dem schönen Kreise, der hier versammelt, entfremdet glaube. Damit umarmte ihn der Landgraf und wies ihm selbst den Platz zwischen Walther von der Vogelweid und Wolfframb von Eschinbach an, wie er ihn sonst gehabt. Man merkte bald, daß Ofterdingens Wesen sich ganz und gar verändert. Statt daß er sonst, den Kopf gebeugt, den Blick zu Boden gesenkt, daherschlich, trat er jetzt, das Haupt emporgerichtet, starken Schrittes einher. So blaß als zuvor war das Antlitz, aber der Blick, sonst irr umherschweifend, fest und durchbohrend. Statt der tiefen Schwermut lag jetzt ein düstrer stolzer Ernst auf der Stirn, und ein seltsames Muskelspiel um Mund und Wange sprach bisweilen recht unheimlichen Hohn aus. Er würdigte die Meister keines Wortes, sondern setzte sich schweigend auf seinen Platz. Während die andern sangen, sah er in die Wolken, schob sich auf dem Sitz hin und her, zählte an den Fingern, gähnte, kurz, bezeigte auf alle nur mögliche Weise Unmut und Langeweile. Wolfframb von Eschinbach sang ein Lied zum Lobe des Landgrafen und kam dann auf die Rückkehr des verloren geglaubten Freundes, die er so recht aus dem tiefsten Gemüt schilderte, daß sich alle innig gerührt fühlten. Heinrich von Ofterdingen runzelte aber die Stirn und nahm, sich von Wolfframb abwendend, die Laute, auf ihr einige wunderbare Akkorde anschlagend. Er stellte sich in die Mitte des Kreises und begann ein Lied, dessen Weise so ganz anders als alles, was die andern gesungen, so unerhört war, daß alle in die größte Verwunderung, ja zuletzt in das höchste Erstaunen gerieten. Es war, als schlüge er mit seinen gewaltigen Tönen an die dunklen Pforten eines fremden verhängnisvollen Reichs und beschwöre die Geheimnisse der unbekannten dort hausenden Macht herauf. Dann rief er die Gestirne an, und indem seine Lautentöne leiser lispelten, glaubte man der Sphären klingenden Reigen zu vernehmen. Nun rauschten die Akkorde stärker, und glühende Düfte wehten daher, und Bilder üppigen Liebesglücks flammten in dem aufgegangenen Eden aller Lust. Jeder fühlte sein Inneres erbeben in seltsamen Schauern. Als Ofterdingen geendet, war alles in tiefem Schweigen verstummt, aber dann brach der jubelnde Beifall stürmisch hervor. Die Dame Mathilde erhob sich schnell von ihrem Sitz, trat auf Ofterdingen zu und drückte ihm den Kranz auf die Stirne, den sie als Preis des Gesanges in der Hand getragen. Eine flammende Röte fuhr über Ofterdingens Antlitz, er ließ sich nieder auf die Knie und drückte die Hände der schönen Frau mit Inbrunst an seine Brust. Als er aufstand, traf sein funkelnder stechender Blick den treuen Wolfframb von Eschinbach, der sich ihm nahen wollte, aber, wie von einer bösen Macht feindlich berührt, zurückwich. Nur ein einziger stimmte nicht ein in den begeisterten Beifall der übrigen, und das war der Landgraf, welcher, als Ofterdingen sang, sehr ernst und nachdenklich geworden und kaum vermochte, etwas zum Lobe seines wunderbaren Liedes zu sagen. Ofterdingen schien sichtlich darüber erzürnt. Es begab sich, daß am späten Abend, als schon die tiefe Dämmerung eingebrochen, Wolfframb von Eschinbach den geliebten Freund, den er überall vergebens gesucht, in einem Lustgange des Schloßgartens traf. Er eilte auf ihn zu, er drückte ihn an seine Brust und sprach: »So bist du denn, mein herzlieber Bruder, der erste Meister des Gesanges worden, den es wohl auf Erden geben mag. Wie hast du es denn angefangen, das zu erfassen, was wir alle, was du selbst wohl nicht ahntest? – Welcher Geist stand dir zu Gebot, der dir die wunderbaren Weisen einer andern Welt lehrte? – O du herrlicher hoher Meister, laß dich noch einmal umarmen.« »Es ist,« sprach Heinrich von Ofterdingen, indem er Wolfframbs Umarmung auswich, »es ist gut, daß du es erkennest, wie hoch ich mich über euch sogenannte Meister emporgeschwungen habe, oder vielmehr wie ich allein dort gelandet und heimisch worden, wohin ihr vergebens strebt auf irren Wegen. Du wirst es mir dann nicht verargen, wenn ich euch alle mit eurer schnöden Singerei recht albern und langweilig finde.« »So verachtest du uns,« erwiderte Wollframb, »die du sonst hoch in Ehren hieltest, nunmehro ganz und gar und magst nichts mehr mit uns insgemein haben? – Alle Freundschaft, alle Liebe ist aus deiner Seele gewichen, weil du ein höherer Meister bist als wir es sind! – Auch mich – mich hältst du deiner Liebe nicht mehr wert, weil ich vielleicht mich nicht so hoch hinaufzuschwingen vermag in meinen Liedern als du? – Ach, Heinrich, wenn ich dir sagen sollte, wie es mir bei deinem Gesange ums Herz war.« – »Magst mir,« sprach Heinrich von Ofterdingen, indem er höhnisch lachte, »magst mir das ja nicht verschweigen, es kann für mich lehrreich sein.« »Heinrich!« begann Wolfframb mit sehr ernstem und festen Ton, »Heinrich! es ist wahr, dein Lied hatte eine ganz wunderbare unerhörte Weise, und die Gedanken stiegen hoch empor, bis über die Wolken, aber mein Inneres sprach, solch ein Gesang könne nicht herausströmen aus dem rein menschlichen Gemüt, sondern müsse das Erzeugnis fremder Kräfte sein, so wie der Negromant die heimische Erde düngt mit allerlei magischen Mitteln, daß sie die fremde Pflanze des fernsten Landes hervorzutreiben vermag. – Heinrich, du bist gewiß ein großer Meister des Gesanges geworden und hast es mit gar hohen Dingen zu tun, aber! – verstehst du noch den süßen Gruß des Abendwindes, wenn du durch des Waldes tiefe Schatten wandelst? Geht dir noch das Herz auf in frohem Mut bei dem Rauschen der Bäume, dem Brausen des Waldstroms? Blicken dich noch die Blumen an mit frommen Kindesaugen? Willst du noch vergehen in Liebesschmerz bei den Klagen der Nachtigall? Wirft dich dann noch ein unendliches Sehnen an die Brust, die sich dir liebend aufgetan? – Ach, Heinrich, es war manches in deinem Liede, wobei mich ein unheimliches Grauen erfaßte. Ich mußte an jenes entsetzliche Bild von den am Ufer des Acheron herumschwankenden Schatten denken, das du einmal dem Landgrafen aufstelltest, als er dich um die Ursache deiner Schwermut befragte. Ich mußte glauben, aller Liebe habest du entsagt, und was du dafür gewonnen, wäre nur der trostlose Schatz des verirrten Wanderers in der Wüste. – Es ist mir, – ich muß es dir geradezu heraussagen, – es ist mir, als wenn du deine Meisterschaft mit aller Freude des Lebens, die nur dem frommen kindlichen Sinn zuteil wird, erkauft hättest. Eine düstre Ahnung befängt mich. Ich denke daran, was dich von der Wartburg forttrieb, und wie du hier wieder erschienen bist. Es kann dir nun manches gelingen – vielleicht geht der schöne Hoffnungsstern, zu dem ich bis jetzt emporblickte, auf ewig für mich unter, – doch Heinrich! – hier! – fasse meine Hand, nie kann irgendein Groll gegen dich in meiner Seele Raum finden! – Alles Glücks unerachtet, das dich überströmt, findest du dich vielleicht einmal plötzlich an dem Rande eines tiefen bodenlosen Abgrundes, und die Wirbel des Schwindels erfassen dich, und du willst rettungslos hinabstürzen, dann stehe ich festen Mutes hinter dir und halte dich fest mit starken Armen.« Heinrich von Ofterdingen hatte alles, was Wolfframb von Eschinbach sprach, in tiefem Schweigen angehört. Jetzt verhüllte er sein Gesicht im Mantel und sprang schnell hinein in das Dickicht der Bäume. Wolfframb hörte, wie er leise schluchzend und seufzend sich entfernte. Der Krieg von Wartburg So sehr die andern Meister anfangs die Lieder des stolzen Heinrichs von Ofterdingen bewundert und hoch erhoben hatten, so geschah es doch, daß sie bald von falschen Weisen, von dem eitlen Prunk, ja von der Ruchlosigkeit der Lieder zu sprechen begannen, die Heinrich vorbringe. Nur die Dame Mathilde hatte sich mit ganzer Seele zu dem Sänger gewendet, der ihre Schönheit und Anmut auf eine Weise pries, die alle Meister, Wolfframb von Eschinbach, der sich kein Urteil erlaubte, ausgenommen, für heidnisch und abscheulich erklärten. Nicht lange währte es, so war die Dame Mathilde in ihrem Wesen ganz und gar verändert. Mit höhnendem Stolz sah sie herab auf die andern Meister, und selbst dem armen Wolfframb von Eschinbach hatte sie ihre Gunst entzogen. Es kam so weit, daß Heinrich von Ofterdingen die Gräfin Mathilde unterrichten mußte in der Kunst des Gesanges, und sie selbst begann Lieder zu dichten, die gerade so klingen sollten, wie die, welche Ofterdingen sang. Seit dieser Zeit war es aber, als schwände von der berückten Frau alle Anmut und Holdseligkeit. Alles vernachlässigend, was zur Zierde holder Frauen dient, sich alles weiblichen Wesens entschlagend, wurde sie zum unheimlichen Zwitterwesen, von den Frauen gehaßt, von den Männern verlacht. Der Landgraf, befürchtend, daß der Wahnsinn der Gräfin wie eine böse Krankheit die andern Damen des Hofes ergreifen könne, erließ einen scharfen Befehl, daß keine Dame bei Strafe der Verbannung sich an das Dichten machen solle, wofür ihm die Männer, denen Mathildens Schicksal Schrecken eingejagt, herzlich dankten. Die Gräfin Mathilde verließ die Wartburg und bezog ein Schloß unfern Eisenach, wohin ihr Heinrich von Ofterdingen gefolgt wäre, hätte der Landgraf ihm nicht befohlen, noch den Kampf auszufechten, den ihm die Meister geboten. »Ihr habt,« sprach Landgraf Hermann zu dem übermütigen Sänger, »Ihr habt durch Eure seltsame unheimliche Weise den schönen Kreis, den ich hier versammelt, gar häßlich gestört. Mich konntet Ihr niemals betören, denn von dem ersten Augenblick an habe ich es erkannt, daß Eure Lieder nicht aus der Tiefe eines wackern Sängergemüts kommen, sondern nur die Frucht der Lehren irgendeines falschen Meisters sind. Was hilft aller Prunk, aller Schimmer, aller Glanz, wenn er nur dazu dienen soll, einen toten Leichnam zu umhüllen? Ihr sprecht von hohen Dingen, von den Geheimnissen der Natur, aber nicht, wie sie, süße Ahnungen des höhern Lebens, in der Brust des Menschen aufgehen, sondern wie sie der kecke Astrolog begreifen und messen will mit Zirkel und Maßstab. Schämt Euch, Heinrich von Ofterdingen, daß Ihr so geworden seid, daß Euer wackrer Geist sich gebeugt hat unter die Zucht eines unwürdigen Meisters.« »Ich weiß nicht,« erwiderte Heinrich von Ofterdingen, »ich weiß nicht, mein hoher Herr, inwiefern ich Euern Zorn, Eure Vorwürfe verdiene. Vielleicht ändert Ihr indessen Eure Meinung, wenn Ihr erfahrt, welcher Meister mir dasjenige Reich des Gesanges, welches dessen eigentlichste Heimat ist, erschlossen. In tiefer Schwermut hatte ich Euern Hof verlassen, und wohl mocht' es sein, daß der Schmerz, der mich vernichten wollte, nur das gewaltsame Treiben war der schönen Blüte, die, in meinem Innern verschlossen, nach dem befruchtenden Atem der höheren Natur schmachtete. Auf seltsame Weise kam mir ein Büchlein in die Hände, in welchem der höchste Meister des Gesanges auf Erden mit der tiefsten Gelehrsamkeit die Regeln der Kunst entwickelt und selbst einige Lieder hinzugefügt hatte. Je mehr ich nun in diesem Büchlein las, desto klarer wurde es mir, daß es wohl gar dürftig ausfalle, wenn der Sänger nur vermöge, das in Worte zu fassen, was er nun gerade im Herzen zu empfinden glaubt. Doch dies nicht genug – ich fühlte nach und nach mich wie verknüpft mit unbekannten Mächten, die oft statt meiner aus mir heraus sangen, und doch war und blieb ich der Sänger. Meine Sehnsucht, den Meister selbst zu schauen und aus seinem eignen Munde die tiefe Weisheit, den richtenden Verstand ausströmen zu hören, wurde zum unwiderstehlichen Triebe. Ich machte mich auf und wanderte nach Siebenbürgen. Ja! – vernehmt es, mein hoher Herr! Meister Klingsohr selbst ist es, den ich aufsuchte und dem ich den kühnen überirdischen Schwung meiner Lieder verdanke. Nun werdet Ihr wohl von meinen Bestrebungen günstiger urteilen.« »Der Herzog von Österreich«, sprach der Landgraf, »hat mir gar viel zu dem Lobe Eures Meisters gesagt und geschrieben. Meister Klingsohr ist ein in tiefen geheimen Wissenschaften erfahrener Mann. Er berechnet den Lauf der Gestirne und erkennt die wunderbaren Verschlingungen ihres Ganges mit unserer Lebensbahn. Ihm sind die Geheimnisse der Metalle, der Pflanzen, des Gesteins offenbar, und dabei ist er erfahren in den Händeln der Welt und steht dem Herzog von Österreich zur Seite mit Rat und Tat. Wie das alles aber nun mit dem reinen Gemüt des wahren Sängers bestehen mag, weiß ich nicht und glaube auch wohl, daß eben deshalb Meister Klingsohrs Lieder, so künstlich und wohl ausgedacht, so schön geformt sie auch sein mögen, mein Gemüt ganz und gar nicht rühren können. – Nun, Heinrich von Ofterdingen, meine Meister, beinahe erzürnt über dein stolzes hochfahrendes Wesen, wollen mit dir um den Preis singen einige Tage hindurch, das mag denn nun geschehen.« Der Kampf der Meister begann. Sei es aber nun, daß Heinrichs durch falsche Lehren irre gewordener Geist sich gar nicht mehr zu fassen vermochte in dem reinen Strahl des wahrhaftigen Gemüts, oder daß besondere Begeisterung die Kraft der andern Meister verdoppelte: – genug! – jeder, wider Ofterdingen singend, jeder ihn besiegend, erhielt den Preis, um den dieser sich vergebens mühte. Ofterdingen ergrimmte über diese Schmach und begann nun Lieder, die, mit verhöhnenden Anspielungen auf den Landgrafen Hermann, den Herzog von Österreich Leopold den Siebenten bis über die Sterne erhoben und ihn die hellfunkelnde Sonne nannten, welche allein aller Kunst aufgegangen. Kam nun noch hinzu, daß er ebenso die Frauen am Hofe mit schnöden Worten angriff und die Schönheit und Holdseligkeit der Dame Mathilde allein auf heidnische ruchlose Art zu preisen fortfuhr, so konnt' es nicht fehlen, daß alle Meister, selbst den sanften Wolfframb von Eschinbach nicht ausgenommen, in gerechten Zorn gerieten und in den heftigsten schonungslosesten Liedern seine Meisterschaft zu Boden traten. Heinrich Schreiber und Johannes Bitterolff bewiesen, den falschen Prunk von Ofterdingens Liedern abstreifend, die Elendigkeit der magern Gestalt, die sich dahinter verborgen, aber Walther von der Vogelweid und Reinhard von Zwekhstein gingen weiter. Die sagten, Ofterdingens schnödes Beginnen verdiene schwere Rache, und die wollten sie an ihm nehmen, mit dem Schwerte in der Hand. So sah nun Heinrich von Ofterdingen seine Meisterschaft in den Staub getreten und selbst sein Leben bedroht. Voller Wut und Verzweiflung rief er den edelgesinnten Landgrafen Hermann an, sein Leben zu schützen, ja noch mehr, die Entscheidung des Streites über die Meisterschaft des Gesanges dem berühmtesten Sänger der Zeit, dem Meister Klingsohr, zu überlassen. »Es ist,« sprach der Landgraf, »es ist nunmehr mit Euch und den Meistern so weit gekommen, daß es noch um anderes gilt als um die Meisterschaft des Gesanges. Ihr habt in Euern wahnsinnigen Liedern mich, Ihr habt die holden Frauen an meinem Hofe schwer beleidigt. Euer Kampf betrifft also nicht mehr die Meisterschaft allein, sondern auch meine Ehre, die Ehre der Damen. Doch soll alles im Wettsingen ausgemacht werden, und ich gestatte es, daß Euer Meister Klingsohr selbst entscheide. Einer von meinen Meistern, das Los soll ihn nennen, stellt sich Euch gegenüber, und die Materie, worüber zu singen, möget ihr beide dann selbst wählen. – Aber der Henker soll mit entblößtem Schwerte hinter euch stehen, und wer verliert, werde augenblicklich hingerichtet. – Gehet, – schaffet, daß Meister Klingsohr binnen Jahresfrist nach der Wartburg komme und den Kampf auf Tod und Leben entscheide.« – Heinrich von Ofterdingen machte sich davon, und so war zurzeit die Ruhe auf der Wartburg wiederhergestellt. Die Lieder, welche die Meister wider Heinrich von Ofterdingen gesungen, waren damals der Krieg von Wartburg geheißen. Meister Klingsohr kommt nach Eisenach Beinahe ein Jahr war verflossen, als die Nachricht nach der Wartburg kam, daß Meister Klingsohr wirklich in Eisenach angelangt und bei dem Bürger, Helgrefe geheißen, vor dem St. Georgentore eingezogen sei. Die Meister freuten sich nicht wenig, daß nun wirklich der böse Streit mit Heinrich von Ofterdingen geschlichtet werden solle, keiner war aber so voller Ungeduld, den weltberühmten Mann von Angesicht zu Angesicht zu schauen, als Wolfframb von Eschinbach. »Mag es sein,« sprach er zu sich selbst, »mag es sein, daß, wie die Leute sagen, Klingsohr bösen Künsten ergeben ist, daß unheimliche Mächte ihm zu Gebote stehen, ja ihm wohl gar geholfen zur Meisterschaft in allem Wissen; aber wächst nicht der edelste Wein auf der verglühten Lava? Was geht es den dürstenden Wanderer an, daß die Trauben, an denen er sich erlabt, aus der Glut der Hölle selbst emporgekeimt sind? So will ich mich an des Meisters tiefer Wissenschaft und Lehre erfreuen, ohne weiter zu forschen und ohne mehr davon zu bewahren, als was ein reines frommes Gemüt in sich zu tragen vermag.« Wolfframb machte sich alsbald auf nach Eisenach. Als er vor das Haus des Bürgers Helgrefe kam, fand er einen Haufen Leute versammelt, die alle sehnsüchtig nach dem Erker hinaufblickten. Er erkannte unter ihnen viele junge Leute als Schüler des Gesanges, die hörten nicht auf, dieses, jenes von dem berühmten Meister vorzubringen. Der eine hatte die Worte aufgeschrieben, die Klingsohr gesprochen, als er zu Helgrefe eingetreten, der andere wußte genau, was der Meister zu Mittag gespeiset, der dritte behauptete, daß ihn der Meister wirklich angeblickt und gelächelt, weil er ihn als Sänger erkannt am Barett, das er genau so trage wie Klingsohr, der vierte fing sogar ein Lied an, von dem er behauptete, es sei nach Klingsohrs Weise gedichtet. Genug, es war ein unruhiges Treiben hin und her. Wolfframb von Eschinbach drang endlich mit Mühe durch und trat ins Haus. Helgrefe hieß ihn freundlich willkommen und lief herauf, um ihn seinem Begehren gemäß bei dem Meister melden zu lassen. Da hieß es aber, der Meister sei im Studieren begriffen und könne jetzt mit niemanden sprechen. In zwei Stunden solle man wiederum anfragen. Wolfframb mußte sich diesen Aufschub gefallen lassen. Nachdem er nach zwei Stunden wiedergekommen und noch eine Stunde gewartet, durfte Helgrefe ihn hinaufführen. Ein seltsam in bunter Seide gekleideter Diener öffnete die Türe des Gemachs, und Wolfframb trat hinein. Da gewahrte er einen großen stattlichen Mann, in einen langen Talar von dunkelrotem Samt mit weiten Ärmeln, und mit Zobel reich besetzt, gekleidet, der mit langsamen gravitätischen Schritten die Stube entlang hin und her wandelte. Sein Gesicht war beinahe anzusehen, wie die heidnischen Bildner ihren Gott Jupiter darzustellen pflegten, solch ein gebieterischer Ernst lag auf der Stirne, solch drohende Flammen blitzten aus den großen Augen. Um Kinn und Wangen legte sich ein wohlgekräuselter schwarzer Bart, und das Haupt bedeckte ein fremdgeformtes Barett oder ein sonderbar verschlungenes Tuch, man konnte das nicht unterscheiden. Der Meister hatte die Arme vor der Brust übereinandergeschlagen und sprach mit hellklingender Stimme im Auf- und Abschreiten Worte, die Wolfframb gar nicht verstand. Sich im Zimmer umschauend, das mit Büchern und allerlei wunderlichen Gerätschaften angefüllt war, erblickte Wolfframb in einer Ecke ein kleines, kaum drei Fuß hohes altes, blasses Männlein, das auf einem hohen Stuhl vor einem Pulte saß und mit einer silbernen Feder auf einem großen Pergamentblatt emsig alles aufzuschreiben schien, was Meister Klingsohr sprach. Es hatte eine feine Weile gedauert, da fielen endlich des Meisters starre Blicke auf Wolfframb von Eschinbach, und mit dem Sprechen innehaltend, blieb er in der Mitte des Zimmers stehen. Wolfframb begrüßte den Meister nun mit anmutigen Versen im schwarzen Ton. Er sagte, wie er gekommen sei, um sich zu erbauen an Klingsohrs hoher Meisterkunst, und bat, er solle nun ihm antworten im gleichen Ton und so seine Kunst hören lassen. Da maß ihn der Meister mit zornigen Blicken von Kopf bis zu Fuß und sprach dann: »Ei, wer seid Ihr denn, junger Gesell, daß Ihr es wagt, hier so mit Euren albernen Versen hereinzubrechen und mich sogar herauszufordern, als sollt' es ein Wettsingen gelten? Ha! Ihr seid ja wohl Wolfframb von Eschinbach, der allerungeschickteste, ungelehrteste Laie von allen, die sich dort oben auf der Wartburg Meister des Gesanges nennen? – Nein, mein lieber Knabe, Ihr müßt wohl noch etwas wachsen, ehe Ihr Euch mit mir zu messen Verlangen tragen könnt.« Einen solchen Empfang hatte Wolfframb von Eschinbach gar nicht erwartet. Das Blut wallte ihm auf vor Klingsohrs schnöden Worten, er fühlte lebhafter als jemals die ihm inwohnende Kraft, die ihm die Macht des Himmels verliehen. Ernst und fest blickte er dem stolzen Meister ins Auge und sprach dann: »Ihr tut gar nicht gut, Meister Klingsohr, daß Ihr in solchen bittern, harten Ton fallet, statt mir liebreich und freundlich, wie ich Euch begrüßte, zu antworten. Ich weiß es, daß Ihr mir in aller Wissenschaft und wohl auch in der Kunst des Gesanges weit überlegen seid, aber das berechtigt Euch nicht zu der eitlen Prahlerei, die Ihr als Eurer unwürdig verachten müßtet. Ich sage es Euch frei heraus, Meister Klingsohr, daß ich nunmehr das glaube, was die Welt von Euch behauptet. Die Macht der Hölle sollt Ihr bezwingen, Umgang mit bösen Geistern sollt Ihr haben, mittelst der unheimlichen Wissenschaften, die Ihr getrieben. Daher soll Eure Meisterschaft kommen, weil Ihr aus der Tiefe die schwarzen Geister ins helle Leben heraufbeschworen, vor denen sich der menschliche Geist entsetzt. Und so ist es nur dieses Entsetzen, was Euch den Sieg verschafft, und nicht die tiefe Rührung der Liebe, welche aus dem reinen Gemüt des Sängers strömt in das verwandte Herz, das, in süßen Banden gefangen, ihm untertan wird. Daher seid Ihr so stolz, wie kein Sänger es sein kann, der reinen Herzens geblieben.« »Hoho,« erwiderte Meister Klingsohr, »hoho, junger Gesell, versteigt Euch nicht so hoch! – Was meinen Umgang mit unheimlichen Mächten betrifft, davon schweigt, das versteht Ihr nicht. Daß ich daher meine Meisterschaft des Gesanges dem zu verdanken haben soll, das ist das abgeschmackte Gewäsch einfältiger Kinder. Aber sagt mir doch, woher Euch die Kunst des Gesanges gekommen? Glaubt Ihr, daß ich nicht wußte, wie zu Siegebrunnen in Schottland Meister Friedebrand Euch einige Bücher borgte, die Ihr undankbar nicht zurückgabt, sondern an Euch behieltet, alle Eure Lieder daraus schöpfend? Hei! – hat mir der Teufel geholfen, so half Euch Euer undankbares Herz.« Wolfframb erschrak beinahe vor diesem häßlichen Vorwurf. Er legte die Hand auf die Brust und sprach: »So wahr mir Gott helfe! – Der Geist der Lüge ist mächtig in Euch, Meister Klingsohr – wie hätte ich denn meinen hohen Meister Friedebrand so schändlich betrügen sollen um seine herrliche Schriften. Wißt, Meister Klingsohr, daß ich diese Schriften nur so lange, wie Friedebrand es wollte, in Händen hielt, daß er sie dann von mir wieder nahm. Habt Ihr denn nie Euch aus den Schriften anderer Meister belehrt?« »Mag,« fuhr Meister Klingsohr fort, ohne auf Wolfframbs Rede sonderlich zu achten, »mag dem sein, wie ihm wolle, woher möget Ihr denn nun Eure Kunst haben? Was berechtigt Euch, sich mir gleichzustellen? Wißt Ihr nicht, wie ich zu Rom, zu Paris, zu Krakau den Studien fleißig obgelegen, wie ich selbst nach den fernsten Morgenländern gereiset und die Geheimnisse der weisen Araber erforscht, wie ich dann auf allen Singschulen das Beste getan und wider alle, die in den Streit mit mir gegangen, den Preis errungen, wie ich ein Meister der sieben freien Künste worden? – Aber Ihr, der Ihr, entfernt von aller Wissenschaft und Kunst, in dem öden Schweizerlande gehauset, der Ihr ein in aller Schrift unerfahrner Laie geblieben, wie solltet Ihr denn zur Kunst des wahren Gesanges kommen?« Wolfframbs Zorn hatte sich indessen ganz gelegt, welches wohl daher rühren mochte, daß bei Klingsohrs prahlerischen Reden die köstliche Gabe des Gesanges in seinem Innern heller und freudiger hervorleuchtete, wie die Sonnenstrahlen schöner funkeln, wenn sie siegend durch die düstern Wolken brechen, die der wilde Sturm herangejagt. Ein mildes anmutiges Lächeln hatte sich über sein ganzes Antlitz gelegt, und er sprach mit ruhigem, gefaßten Ton zu dem zornigen Meister Klingsohr: »Ei, mein lieber Meister, wohl könnt' ich Euch entgegnen, daß, hab' ich gleich nicht zu Rom und Paris studiert, suchte ich gleich nicht die weisen Araber auf in ihrer eignen Heimat, ich doch nächst meinem hohen Meister Friedebrand, dem ich nachzog bis ins tiefe Schottland, noch viele gar kunstreiche Sänger vernahm, deren Unterricht mir vielen Nutzen brachte, daß ich an vielen Höfen unserer hohen deutschen Fürsten gleich Euch den Preis des Gesanges gewann. Ich meine aber, daß wohl aller Unterricht, alles Vernehmen der höchsten Meister mir gar nichts geholfen haben würde, wenn die ewige Macht des Himmels nicht den Funken in mein Innres gelegt hätte, der in den schönen Strahlen des Gesanges aufgeglommen, wenn ich nicht mit liebendem Gemüt alles Falsche und Böse von mir fern gehalten und noch hielte, wenn ich nicht mich mühte in reiner Begeisterung, nur das zu singen, was meine Brust mit freudiger, süßer Wehmut ganz und gar erfüllt.« Selbst wußte Wolfframb von Eschinbach nicht, wie es geschah, daß er ein herrliches Lied im güldnen Ton begann, das er erst vor kurzem gedichtet. Meister Klingsohr ging voller Wut auf und ab; dann blieb er vor Wolfframb stehen und blickte ihn an, als wolle er ihn durchbohren mit seinen starren, glühenden Augen. Als Wolfframb geendet, legte Klingsohr beide Hände auf Wolfframbs Schultern und sprach sanft und gelassen: »Nun, Wolfframb, weil Ihr es denn nicht anders wollt, so laßt uns um die Wette singen in allerlei künstlichen Tönen und Weisen. Doch laßt uns anderswohin gehen, das Gemach taugt zu dergleichen nicht, und Ihr sollt überdem einen Becher edlen Weins mit mir genießen.« In dem Augenblick stürzte das kleine Männlein, das erst geschrieben, hinab von dem Stuhle und gab bei dem harten Fall auf den Boden einen feinen ächzenden Laut von sich. Klingsohr drehte sich rasch um und stieß mit dem Fuße den Kleinen in den unter dem Pulte befindlichen Schrank, den er verschloß. Wolfframb hörte das Männlein leise weinen und schluchzen. Nun schlug Klingsohr die Bücher zu, welche ringsumher offen herumlagen, und jedesmal, wenn ein Deckel niederklappte, ging ein seltsamer schauerlicher Ton, wie ein tiefer Todesseufzer, durch die Zimmer. Wunderliche Wurzeln nahm nun Klingsohr in die Hand, die in dem Augenblick anzusehen waren wie fremde unheimliche Kreaturen und mit den Faden und Ästen zappelten, wie mit Armen und Beinen, ja oft zuckte ein kleines verzerrtes Menschengesichtlein hervor, das auf häßliche Weise grinste und lachte. Und dabei wurd' es in den Schränken ringsumher unruhig, und ein großer Vogel schwirrte in irrem Fluge umher mit goldgleißendem Fittich. Die tiefe Abenddämmerung war eingebrochen, Wolfframb fühlte sich von tiefem Grauen erfaßt. Da nahm Klingsohr aus einer Kapsel einen Stein hervor, der sogleich im ganzen Gemach den hellsten Sonnenglanz verbreitete. Alles wurde still, und Wolfframb sah und hörte nichts mehr von dem, was ihm erst Entsetzen erregt. Zwei Diener, so seltsamlich in bunter Seide gekleidet, wie der, welcher erst die Türe des Gemachs geöffnet, traten hinein mit prächtigen Kleidern, die sie dem Meister Klingsohr anlegten. Beide, Meister Klingsohr und Wolfframb von Eschinbach, gingen nun zusammen nach dem Ratskeller. Sie hatten auf Versöhnung und Freundschaft getrunken und sangen nun widereinander in den verschiedensten künstlichsten Weisen. Kein Meister war zugegen, der hätte entscheiden können, wer den andern besieget, aber jeder würde den Klingsohr für überwunden gehalten haben, denn so sehr er sich in großer Kunst, in mächtigem Verstande mühte, niemals konnte er nur im mindesten die Stärke und Anmut der einfachen Lieder erreichen, welche Wolfframb von Eschinbach vorbrachte. Wolfframb hatte eben ein gar herrliches Lied geendet, als Meister Klingsohr, zurückgelehnt in den Polsterstuhl, den Blick niedergeschlagen, mit gedämpfter düstrer Stimme sprach: »Ihr habt mich vorhin übermütig und prahlerisch genannt, Meister Wolfframb, aber sehr würdet Ihr irren, wenn Ihr etwa glaubtet, daß mein Blick, verblendet durch einfältige Eitelkeit, nicht sollte die wahre Kunst des Gesanges erkennen können, ich möge sie nun antreffen in der Wildnis oder in dem Meistersaal. Keiner ist hier, der zwischen uns richten könnte, aber ich sage Euch, Ihr habt mich überwunden, Meister Wolfframb, und daß ich Euch das sage, daran möget Ihr auch die Wahrhaftigkeit meiner Kunst erkennen.« »Ei, mein lieber Meister Klingsohr,« erwiderte Wolfframb von Eschinbach, »wohl mocht' es sein, daß eine besondere Freudigkeit, die in meiner Brust aufgegangen, meine Lieder mir heute besser gelingen ließ, als sonst, aber ferne sei es von mir, daß ich mich deshalb über Euch stellen sollte. Vielleicht war heute Euer Inneres verschlossen. Pflegt es denn nicht zu geschehen, daß manchmal eine drückende Last auf einem ruht, wie ein düstrer Nebel auf heller Wiese, vor dem die Blumen nicht vermögen, ihre glänzenden Häupter zu erheben. Aber erklärt Ihr Euch heute auch für überwunden, so habe ich doch in Euern schönen Liedern gar Herrliches vernommen, und es kann sein, daß morgen Ihr den Sieg erringet.« Meister Klingsohr sprach: »Wozu hilft Euch Eure fromme Bescheidenheit!« sprang dann schnell vom Stuhle auf, stellte sich, den Rücken Wolfframb zugekehrt, unter das hohe Fenster und schaute schweigend in die bleichen Mondesstrahlen, die aus der Höhe hinabfielen. Das hatte wohl einige Minuten gedauert, da drehte er sich um, ging auf Wolfframb los und sprach, indem ihm die Augen vor Zorn funkelten, mit starker Stimme: »Ihr habt recht, Wolfframb von Eschinbach, über finstre Mächte gebietet meine Wissenschaft, unser inneres Wesen muß uns entzweien. Mich habt Ihr über wunden, aber in der Nacht, die dieser folgt, will ich Euch einen schicken, der Nasias geheißen. Mit dem beginnt ein Wettsingen und seht Euch vor, daß der Euch nicht überwinde.« Damit stürmte Meister Klingsohr fort zur Türe des Ratskellers hinaus. Nasias kommt in der Nacht zu Wolfframb von Eschinbach Wolfframb wohnte in Eisenach dem Brothause gegenüber bei einem Bürger, Gottschalk geheißen. Das war ein freundlicher frommer Mann, der seinen Gast hoch in Ehren hielt. Es mochte wohl sein, daß, unerachtet Klingsohr und Eschinbach auf dem Ratskeller sich einsam und unbelauscht geglaubt, doch manche, vielleicht von jenen jungen Schülern des Gesanges, die dem berühmten Meister auf Schritt und Tritt folgten und jedes Wort, das von seinen Lippen kam, zu erhaschen suchten, Mittel gefunden hatten, das Wettsingen der Meister zu erhorchen. Durch ganz Eisenach war das Gerücht gedrungen, wie Wolfframb von Eschinbach den großen Meister Klingsohr im Gesange besieget, und so hatte auch Gottschalk es erfahren. Voller Freude lief er herauf zu seinem Gast und fragte, wie das nur habe geschehen können, daß sich der stolze Meister auf dem Ratskeller in ein Wettsingen eingelassen. Wolfframb erzählte getreulich, wie sich alles begeben, und verschwieg nicht, wie Meister Klingsohr gedroht, ihm in der Nacht einen auf den Hals zu schicken, der Nasias geheißen und mit dem er um die Wette singen solle. Da erblaßte Gottschalk vor Schreck, schlug die Hände zusammen und rief mit wehmütiger Stimme: »Ach du Gott im Himmel, wißt Ihr's denn nicht, lieber Herr, daß es Meister Klingsohr mit bösen Geistern zu tun hat, die ihm untertan sind und seinen Willen tun müssen. Helgrefe, bei dem Meister Klingsohr Wohnung genommen, hat seinen Nachbarsleuten die wunderlichsten Dinge von seinem Treiben erzählt. Zur Nachtzeit soll es oft sein, als wäre eine große Gesellschaft versammelt, obschon man niemand ins Haus gehen sehen, und dann beginne ein seltsames Singen und tolles Wirtschaften, und blendendes Licht strahle durch die Fenster! Ach, vielleicht ist dieser Nasias, mit dem er Euch bedroht, der böse Feind selbst, der Euch ins Verderben stürzen wird! – Zieht fort, lieber Herr, wartet den bedrohlichen Besuch nicht ab; ja, ich beschwöre Euch: zieht fort.« – »Ei,« erwiderte Wolfframb von Eschinbach, »ei, lieber Hauswirt Gottschalk, wie sollt' ich denn scheu dem mir gebotenen Wettsingen ausweichen, das wäre ja gar nicht Meistersängers Art. Mag nun Nasias ein böser Geist sein oder nicht, ich erwarte ihn ruhig. Vielleicht übertönt er mich mit allerlei acherontischen Liedern, aber vergebens wird er versuchen, meinen frommen Sinn zu betören und meiner unsterblichen Seele zu schaden.« »Ich weiß es schon,« sprach Gottschalk, »ich weiß es schon, Ihr seid ein gar mutiger Herr, der eben den Teufel selbst nicht fürchtet. Wollt Ihr denn nun durchaus hier bleiben, so erlaubt wenigstens, daß künftige Nacht mein Knecht Jonas bei Euch bleibe. Das ist ein tüchtiger frommer Mensch mit breiten Schultern, dem das Singen durchaus nicht schadet. Solltet Ihr nun etwa vor dem Teufelsgeplärre schwach und ohnmächtig werden, und Nasias Euch was anhaben wollen, so soll Jonas ein Geschrei erheben, und wir rücken dann an mit Weihwasser und geweihten Kerzen. Auch soll der Teufel den Geruch von Bisam nicht vertragen können, den in einem Säckchen ein Kapuziner auf der Brust getragen. Den will ich ebenfalls in Bereitschaft halten, und sobald Jonas geschrien, dermaßen räuchern, daß dem Meister Nasias im Singen der Atem vergehn soll.« Wolfframb von Eschinbach lächelte über seines Hauswirts gutmütige Besorglichkeit und meinte, er sei nun einmal auf alles gefaßt und wolle es schon mit dem Nasias aufnehmen. Jonas, der fromme Mensch mit breiten Schultern und gewappnet gegen alles Singen, möge aber immerhin bei ihm bleiben. Die verhängnisvolle Nacht war hereingebrochen. Noch blieb alles still. Da schwirrten und dröhnten die Gewichte der Kirchuhr, es schlug zwölfe. Ein Windstoß brauste durch das Haus, häßliche Stimmen heulten durcheinander und ein wildes krächzendes Angstgeschrei, wie von verscheuchten Nachtvögeln, fuhr auf. Wolfframb von Eschinbach hatte allerlei schönen frommen Dichtergedanken Raum gegeben und des bösen Besuchs beinahe vergessen. Jetzt rannen doch Eisschauer durch sein Innres, er faßte sich aber mit Macht zusammen und trat in die Mitte des Gemachs. Mit einem gewaltigen Schlage, von dem das ganze Haus erdröhnte, sprang die Türe auf, und eine große, von rotem Feuerglanze umflossene Gestalt stand vor ihm und schaute ihn an mit glühenden, tückischen Augen. Die Gestalt war von solch greulichem Ansehen, daß wohl manchem andern aller Mut entflohen, ja daß er, von wildem Entsetzen erfaßt, zu Boden gesunken, doch Wolfframb hielt sich aufrecht und fragte mit ernstem, nachdrücklichen Ton: »Was habt Ihr des Orts zu tun oder zu suchen?« Da rief die Gestalt mit widrig gellender Stimme: »Ich bin Nasias und gekommen, mit Euch zu gehen in den Kampf der Sängerkunst.« Nasias schlug den großen Mantel auseinander, und Wolfframb gewahrte, daß er unter den Armen eine Menge Bücher trug, die er nun auf den Tisch fallen ließ, der ihm zur Seite stand. Nasias fing auch alsbald ein wunderliches Lied an von den sieben Planeten und von der himmlischen Sphären Musik, wie sie in dem »Traum des Scipio« beschrieben, und wechselte mit den künstlichsten seltsamsten Weisen. Wolfframb hatte sich in seinen großen Polsterstuhl gesetzt und hörte ruhig mit niedergeschlagenen Blicken alles an, was Nasias vorbrachte. Als der nun sein Lied endlich geschlossen, begann Eschinbach eine schöne fromme Weise von geistlichen Dingen. Da sprang Nasias hin und her und wollte dazwischen plärren und mit den schweren Büchern, die er mitgebracht, nach dem Sänger werfen, aber je heller und mächtiger Wolfframbs Lied wurde, desto mehr verblaßte Nasias' Feuerglanz, desto mehr schrumpfte seine Gestalt zusammen, so daß er zuletzt, eine Spange lang, mit seinem roten Mäntelchen und der dicken Halskrause an den Schränken auf- und abkletterte, widrig quäkend und miauend. Wolfframb, nachdem er geendet, wollte ihn ergreifen, da schoß er aber plötzlich auf, so hoch wie er zuvor gewesen, und hauchte zischende Feuerflammen um sich her. »Hei, hei,« rief Nasias dann mit hohler entsetzlicher Stimme, »hei, hei! spaße nicht mit mir, Geselle! – Ein guter Theologe magst du sein und dich wohl verstehen auf die Spitzfindigkeiten und Lehren Eures dicken Buchs, aber darum bist du noch kein Sänger, der sich messen kann mit mir und meinem Meister. Laßt uns ein schönes Liebeslied singen, und du magst dich dann vorsehen mit deiner Meisterschaft.« Nasias begann nun ein Lied von der schönen Helena und von den überschwenglichen Freuden des Venusberges. In der Tat klang das Lied gar verlockend, und es war, als wenn die Flammen, die Nasias um sich sprühte, zu lüsterne Begierde und Liebeslust atmenden Düften würden, in denen die süßen Töne auf und nieder wogten, wie gaukelnde Liebesgötter. So wie die vorigen Lieder hörte Wolfframb auch dieses ruhig mit niedergesenktem Blicke an. Aber bald war es ihm, als wandle er in den düstern Gängen eines lieblichen Gartens und die holden Töne einer herrlichen Musik schlüpften über die Blumenbeete hin und brächen wie flimmerndes Morgenrot durch das dunkle Laub, und das Lied des Bösen versinke in Nacht vor ihnen, wie der scheue Nachtvogel sich krächzend hinabstürzt in die tiefe Schlucht vor dem siegenden Tage. Und als die Töne heller und heller strahlten, bebte ihm die Brust vor süßer Ahnung und unaussprechlicher Sehnsucht. Da trat sie, sein einziges Leben, in vollem Glanz aller Schönheit und Holdseligkeit hervor aus dem dichten Gebüsch, und in tausend Liebesseufzern die herrlichste Frau grüßend, rauschten die Blätter und plätscherten die blanken Springbrunnen. Wie auf den Fittichen eines schönen Schwans schwebte sie daher auf den Flügeln des Gesanges, und sowie ihr Himmelsblick ihn traf, war alle Seligkeit der reinsten, frömmsten Liebe entzündet in seinem Innern. Vergebens rang er nach Worten, nach Tönen. Sowie sie ver schwunden, warf er sich voll des seligsten Entzückens hin auf den bunten Rasen. Er rief ihren Namen in die Lüfte hinein, er umschlang in heißer Sehnsucht die hohen Lilien, er küßte die Rosen auf den glühenden Mund, und alle Blumen verstanden sein Glück, und der Morgenwind, die Quellen, die Büsche sprachen mit ihm von der unnennbaren Lust frommer Liebe! – So gedachte Wolfframb, während daß Nasias fortfuhr mit seinen eitlen Liebesliedern, jenes Augenblicks, als er die Dame Mathilde zum erstenmal erblickte in dem Garten auf der Wartburg, sie selbst stand vor ihm in der Holdseligkeit und Anmut wie damals, sie blickte ihn an wie damals, so fromm und liebend. Wolfframb hatte nichts vernommen von dem Gesange des Bösen; als dieser aber nun schwieg, begann Wolfframb ein Lied, das in den herrlichsten, gewaltigsten Tönen die Himmelsseligkeit der reinen Liebe des frommen Sängers pries. Unruhiger und unruhiger wurde der Böse, bis er endlich auf garstige Weise zu meckern und herumzuspringen und im Gemach allerlei Unfug zu treiben begann. Da stand Wolfframb auf von seinem Polsterstuhl und befahl dem Bösen in Christus und der Heiligen Namen, sich davonzupacken. Nasias, heftige Flammen um sich sprühend, raffte seine Bücher zusammen und rief mit höhnischem Gelächter: »Schnib, Schnab, was bist du mehr denn ein grober Lai, darum gib nur Klingsohr die Meisterschaft!« – Wie der Sturm brauste er fort, und ein erstickender Schwefeldampf erfüllte das Gemach. Wolfframb öffnete die Fenster, die frische Morgenluft strömte hinein und vertilgte die Spur des Bösen. Jonas fuhr auf aus dem tiefen Schlafe, in den er versunken, und wunderte sich nicht wenig, als er vernahm, daß schon alles vorüber. Er rief seinen Herrn herbei. Wolfframb erzählte, wie sich alles begeben, und hatte Gottschalk den edlen Wolfframb schon zuvor hoch verehrt, so erschien er ihm jetzt wie ein Heiliger, dessen fromme Weihe die verderblichen Mächte der Hölle besiege. Als nun Gottschalk in dem Gemach zufällig den Blick in die Höhe richtete, da wurde er zu seiner Bestürzung gewahr, daß hoch über der Türe in feuriger Schrift die Worte standen: »Schnib, Schnab, was bist du mehr denn ein grober Lai, darum gib nur Klingsohr die Meisterschaft!« So hatte der Böse im Verschwinden die letzten Worte, die er gesprochen, hingeschrieben wie eine Herausforderung auf ewige Zeiten. »Keine ruhige Stunde,« rief Gottschalk, »keine ruhige Stunde kann ich hier verleben, in meinem eignen Hause, solange die abscheuliche Teufelsschrift, meinen lieben Herrn Wolfframb von Eschinbach verhöhnend, dort an der Wand fortbrennt.« Er lief auch stracks zu Maurern, die die Schrift übertünchen sollten. Das war aber ein eitles Mühen. Eines Fingers dick strichen sie den Kalk über, und doch kam die Schrift wieder zum Vorschein, ja, als sie endlich den Mörtel wegschlugen, brannte die Schrift doch wiederum hervor aus den roten Ziegelsteinen. Gottschalk jammerte sehr und bat Herrn Wolfframb, er möge doch durch ein tüchtiges Lied den Nasias zwingen, daß er selbst die abscheulichen Worte weglösche. Wolfframb sprach lächelnd, daß das vielleicht nicht in seiner Macht stehen möge, Gottschalk solle indessen nur ruhig sein, da die Schrift, wenn er Eisenach verlasse, vielleicht von selbst verschwinden werde. Es war hoher Mittag, als Wolfframb von Eschinbach frohen Mutes und voll lebendiger Heiterkeit, wie einer, der den herrlichsten Hoffnungsschimmern entgegenziehet, Eisenach verließ. Unfern der Stadt kamen ihm in glänzenden Kleidern, auf schön geschmückten Rossen, begleitet von vieler Dienerschaft, der Graf Meinhard zu Mühlberg und der Schenk Walter von Vargel entgegen. Wolfframb von Eschinbach begrüßte sie und erfuhr, daß der Landgraf Hermann sie nach Eisenach sende, um den berühmten Meister Klingsohr feierlich abzuholen und zu geleiten nach der Wartburg. Klingsohr hatte zur Nachtzeit sich auf einen hohen Erker in Helgrefens Hause begeben und mit großer Mühe und Sorgfalt die Sterne beobachtet. Als er nun seine astrologischen Linien zog, bemerkten ein paar Schüler der Astrologie, die sich zu ihm gefunden, an seinem seltsamen Blick, an seinem ganzen Wesen, daß irgendein wichtiges Geheimnis, welches er in den Sternen gelesen, in seiner Seele liege. Sie trugen keine Scheu, ihn darum zu befragen. Da stand Klingsohr auf von seinem Sitze und sprach mit feierlicher Stimme: »Wisset, daß in dieser Nacht dem Könige von Ungarn, Andreas dem Zweiten, ein Töchterlein geboren wurde. Die wird aber Elisabeth heißen und ob ihrer Frömmigkeit und Tugend heilig gesprochen werden in künftiger Zeit von dem Papst Gregor dem Neunten. Und die heilige Elisabeth ist erkoren zum Weibe Ludwigs, des Sohnes eures Herrn Landgrafen Hermann!« Diese Prophezeiung wurde sogleich dem Landgrafen hinterbracht, der darüber tief bis in das Herz hinein erfreut war. Er änderte auch seine Gesinnung gegen den berühmten Meister, dessen geheimnisvolle Wissenschaft ihm einen solchen schönen Hoffnungsstern aufgehen lassen, und beschloß, ihn mit allem Prunk, als sei er ein Fürst und hoher Herr, nach der Wartburg geleiten zu lassen. Wolfframb meinte, daß nun wohl gar darüber die Entscheidung des Sängerkampfes auf Tod und Leben unterbleiben werde, zumal Heinrich von Ofterdingen sich noch gar nicht gemeldet. Die Ritter versicherten dagegen, daß der Landgraf schon Nachricht erhalten, wie Heinrich von Ofterdingen angekommen. Der innere Burghof werde zum Kampfplatz eingerichtet, und der Scharfrichter Stempel aus Eisenach sei auch schon nach der Wartburg beschieden. Meister Klingsohr verläßt die Wartburg Entscheidung des Dichterkampfs In einem schönen hohen Gemach auf der Wartburg saßen Landgraf Hermann und Meister Klingsohr im traulichen Gespräch beisammen, Klingsohr versicherte nochmals, daß er die Konstellation der vorigen Nacht, in die Elisabeths Geburt getreten, ganz und gar erschaut, und schloß mit dem Rat, daß Landgraf Hermann sofort eine Gesandtschaft an den König von Ungarn abschicken und für seinen eilfjährigen Sohn Ludwig um die neugeborne Prinzessin werben lassen solle. Dem Landgrafen gefiel dieser Rat sehr wohl, und als er nun des Meisters Wissenschaft rühmte, begann dieser von den Geheimnissen der Natur, von dem Mikrokosmus und Makrokosmus so gelehrt und herrlich zu sprechen, daß der Landgraf, selbst nicht ganz unerfahren in dergleichen Dingen, erfüllt wurde von der tiefsten Bewunderung. »Ei,« sprach der Landgraf, »ei, Meister Klingsohr, ich möchte beständig Eures lehrreichen Umgangs genießen. Verlaßt das unwirtbare Siebenbürgen und zieht an meinen Hof, an dem, wie Ihr es einräumen werdet, Wissenschaft und Kunst höher geachtet werden, als irgendwo. Die Meister des Gesanges werden Euch aufnehmen wie ihren Herrn, denn wohl möget Ihr in dieser Kunst ebenso reich begabt sein, als in der Astrologie und andern tiefen Wissenschaften. Also bleibt immer hier und gedenkt nicht zurückzukehren nach Siebenbürgen.« »Erlaubt,« erwiderte Meister Klingsohr, »erlaubt, mein hoher Fürst, daß ich noch in dieser Stunde zurückkehren darf nach Eisenach und dann weiter nach Siebenbürgen. Nicht so unwirtbar ist das Land, als Ihr es glauben möget, und dann meinen Studien so recht gelegen. Bedenkt auch weiter, daß ich unmöglich meinem Könige Andreas dem Zweiten zu nahe treten darf, von dem ich ob meiner Bergwerkskunde, die ihm schon manchen an den edelsten Metallen reichen Schacht aufgetan, einen Jahrgehalt von dreitausend Mark Silber genieße und also lebe in der sorgenlosen Ruhe, die allein Kunst und Wissenschaft gedeihen läßt. Hier würde es nun, sollt' ich auch wohl jenen Jahrgehalt entbehren können, nichts als Zank und Streit geben mit Euern Meistern. Meine Kunst beruht auf andern Grundfesten als die ihrige und will sich nun auch dann ganz anders gestalten von innen und außen. Mag es doch sein, daß ihr frommer Sinn und ihr reiches Gemüt (wie sie es nennen) ihnen genug ist zum Dichten ihrer Lieder, und daß sie sich wie furchtsame Kinder nicht hinauswagen wollen in ein fremdes Gebiet, ich will sie darum gar nicht eben verachten, aber mich in ihre Reihe zu stellen, das bleibt unmöglich.« »So werdet Ihr«, sprach der Landgraf, »doch noch dem Streit, der sich zwischen Euerm Schüler Heinrich von Ofterdingen und den andern Meistern entsponnen, als Schiedsrichter beiwohnen?« »Mit nichten,« erwiderte Klingsohr, »wie könnt' ich denn das, und wenn ich es auch könnte, so würde ich es doch nie wollen. Ihr selbst, mein hoher Fürst, entscheidet den Streit, indem Ihr nur die Stimme des Volks bestätigt, die gewißlich laut werden wird. Nennt aber Heinrich von Ofterdingen nicht meinen Schüler. Es schien, als wenn er Mut und Kraft hätte, aber nur an der bittern Schale nagte er, ohne die Süßigkeit des Kerns zu schmecken! – Nun! – bestimmt getrost den Tag des Kampfs, ich werde dafür sorgen, daß Heinrich von Ofterdingen sich pünktlich gestelle.« Die dringendsten Bitten des Landgrafen vermochten nichts über den störrischen Meister. Er blieb bei seinen Entschlüssen und verließ, vom Landgrafen reichlich beschenkt, die Wartburg. Der verhängnisvolle Tag, an dem der Kampf der Sänger beginnen und enden sollte, war gekommen. In dem Burghofe hatte man Schranken gebauet, beinahe als sollte es ein Turnier geben. Mitten im Kreise befanden sich zwei schwarz behängte Sitze für die kämpfenden Sänger, hinter denselben war ein hohes Schafott errichtet. Der Landgraf hatte zwei edle, des Gesanges kundige Herren vom Hofe, eben dieselben, die den Meister Klingsohr nach der Wartburg geleiteten, den Grafen Meinhard zu Mühlberg und den Schenken Walter von Vargel, zu Schiedsrichtern erwählt. Für diese und den Landgrafen war den Kämpfenden gegenüber ein hohes reichbehängtes Gerüst errichtet, dem sich die Sitze der Damen und der übrigen Zuschauer anschlossen. Nur den Meistern war, den kämpfenden Sängern und dem Schafott zur Seite, eine besondere, schwarz behängte Bank bestimmt. Tausende von Zuschauern hatten die Plätze gefüllt, aus allen Fenstern der Wartburg, ja von den Dächern guckte die neugierige Menge herab. Unter dem dumpfen Schall gedämpfter Pauken und Trompeten kam der Landgraf, von den Schiedsrichtern begleitet, aus dem Tor der Burg und bestieg das Gerüst. Die Meister in feierlichem Zuge, Walther von der Vogelweid an der Spitze, nahmen die für sie bestimmte Bank ein. Auf dem Schafott stand mit zween Knechten der Scharfrichter aus Eisenach, Stempel, ein riesenhafter Kerl von wildem trotzigen Ansehen, in einen weiten blutroten Mantel gewickelt, aus dessen Falten der funkelnde Griff eines ungeheuren Schwerts hervorblickte. Vor dem Schafott nahm Pater Leonhard Platz, des Landgrafen Beichtiger, gesendet, um dem Besiegten beizustehen in der Todesstunde. Ein ahnungsbanges Schweigen, in dem jeder Seufzer hörbar, ruhte auf der versammelten Menge. Man erwartete mit innerm Entsetzen das Unerhörte, das sich nun begeben sollte. Da trat, mit den Zeichen seiner Würde angetan, des Landgrafen Marschall Herr Franz von Waldstromer, hinein in den Kreis und verlas nochmals die Ursache des Streits und das unwiderrufliche Gebot des Landgrafen Hermann, nach welchem der im Gesange Besiegte hingerichtet werden solle mit dem Schwert. Pater Leonhard erhob das Kruzifix, und alle Meister, vor ihrer Bank mit entblößten Häuptern knieend, schworen, sich willig und freudig zu unterwerfen dem Gebot des Landgrafen Hermann. Sodann schwang der Scharfrichter Stempel das breite blitzfunkelnde Schwert dreimal durch die Lüfte und rief mit dröhnender Stimme, er wolle den, der ihm in die Hand gegeben, richten nach bestem Wissen und Gewissen. Nun erschallten die Trompeten, Herr Franz von Waldstromer trat in die Mitte des Kreises und rief dreimal stark und nachdrücklich: »Heinrich von Ofterdingen – Heinrich von Ofterdingen – Heinrich von Ofterdingen!« – Und als habe Heinrich unbemerkt dicht an den Schranken auf das Verhallen des letzten Rufs gewartet, so stand er plötzlich bei dem Marschall in der Mitte des Kreises. Er verneigte sich vor dem Landgrafen und sprach mit festem Ton, er sei gekommen, nach dem Willen des Landgrafen in den Kampf zu gehen mit dem Meister, der sich gegenüberstellen werde, und wolle sich unterwerfen dem Urteil der erwählten Schiedsrichter. Darauf trat der Marschall vor die Meister hin mit einem silbernen Gefäß, aus dem jeder ein Los ziehen mußte. Sowie Wolfframb von Eschinbach sein Los entwickelte, fand er das Zeichen des Meisters, der zum Kampf bestimmt sein sollte. Todesschrecken wollte ihn übermannen, als er gedachte, wie er nun gegen den Freund kämpfen sollte, doch bald war es ihm, als sei es ja eben die gnadenreiche Macht des Himmels, die ihn zum Kämpfer erwählt. Besiegt würde er ja gerne sterben, als Sieger aber auch eher selbst in den Tod gehen, als zugeben, daß Heinrich von Ofterdingen unter der Hand des Henkers sterben solle. Freudig mit heitrem Antlitz begab er sich auf den Platz. Als er nun dem Freunde gegenübersaß und ihm ins Antlitz schaute, befiel ihn ein seltsames Grauen. Er sah des Freundes Züge, aber aus dem leichenblassen Gesicht funkelten unheimlich glühende Augen ihn an, er mußte an Nasias denken. Heinrich von Ofterdingen begann seine Lieder, und Wolfframb wollte sich beinah entsetzen, als er dasselbe vernahm, was Nasias in jener verhängnisvollen Nacht gesungen. Er faßte sich jedoch mit Gewalt zu sammen und antwortete seinem Gegner mit einem hochherrlichen Liede, daß der Jubel von tausend Zungen in die Lüfte emportönte und das Volk ihm schon den Sieg zuerkennen wollte. Auf den Befehl des Landgrafen mußte jedoch Heinrich von Ofterdingen weitersingen. Heinrich begann nun Lieder, die in den wunderlichsten Weisen solche Lust des Lebens atmeten, daß, wie von dem glutvollen Blütenhauch der Gewächse des fernen Indiens berührt, alle in süße Betäubung versanken. Selbst Wolfframb von Eschinbach fühlte sich entrückt in ein fremdes Gebiet, er konnte sich nicht auf seine Lieder, nicht mehr auf sich selbst besinnen. In dem Augenblick entstand am Eingange des Kreises ein Geräusch, die Zuschauer wichen auseinander. Wolfframb durchbebte ein elektrischer Schlag, er erwachte aus dem träumerischen Hinbrüten, er blickte hin, und o Himmel! eben schritt die Dame Mathilde in aller Holdseligkeit und Anmut, wie zu jener Zeit, als er sie zum erstenmal im Garten auf der Wartburg sah, in den Kreis. Sie warf den seelenvollsten Blick der innigsten Liebe auf ihn. Da schwang sich die Lust des Himmels, das glühendste Entzücken jubelnd empor in demselben Liede, womit er in jener Nacht den Bösen bezwungen. Das Volk erkannte ihm mit stürmischem Getöse den Sieg zu. Der Landgraf erhob sich mit den Schiedsrichtern. Trompeten ertönten, der Marschall nahm den Kranz aus den Händen des Landgrafen, um ihn dem Sänger zu bringen. Stempel rüstete sich sein Amt zu verrichten, aber die Schergen, die den Besiegten fassen wollten, griffen in eine schwarze Rauchwolke, die sich brausend und zischend erhob und schnell in den Lüften verdampfte. Heinrich von Ofterdingen war verschwunden auf unbegreifliche Weise. Verwirrt, Entsetzen auf den bleichen Gesichtern, lief alles durcheinander; man sprach von Teufelsgestalten, von bösem Spuk. Der Landgraf versammelte aber die Meister um sich und redete also zu ihnen: »Ich verstehe wohl jetzt, was Meister Klingsohr eigentlich gemeint hat, wenn er so seltsam und wunderlich über den Kampf der Sänger sprach und durchaus nicht selbst entscheiden wollte, und mag es ihm wohl Dank wissen, daß sich alles so fügte. Ist es nun Heinrich von Ofterdingen selbst gewesen, der sich in den Kampf stellte, oder einer, den Klingsohr sandte statt des Schülers, das gilt gleich. Der Kampf ist entschieden euch zugunsten, ihr meine wackern Meister, und laßt uns nun in Ruhe und Einigkeit die herrliche Kunst des Gesanges ehren und nach Kräften fördern!« – Einige Diener des Landgrafen, die die Burgwacht gehabt, sagten aus, wie zur selben Stunde, als Wolfframb von Eschinbach den vermeintlichen Heinrich von Ofterdingen besiegt hatte, eine Gestalt, beinahe anzusehen wie Meister Klingsohr, auf einem schwarzen schnaubenden Rosse durch die Burgpforten davongesprengt sei. Beschluß Die Gräfin Mathilde hatte sich indessen nach dem Garten der Wartburg begeben, und Wolfframb von Eschinbach war ihr dahin nachgefolgt. Als er sie nun fand, wie sie unter schönen blühenden Bäumen auf einer blumigen Rasenbank saß, die Hände auf den Schoß gefaltet, das schöne Haupt in Schwermut niedergesenkt zur Erde, da warf er sich der holden Frau zu Füßen, keines Wortes mächtig. Mathilde umfing voll sehnsüchtigen Verlangens den Geliebten. Beide vergossen heiße Tränen vor süßer Wehmut, vor Liebesschmerz. »Ach, Wolfframb,« sprach Mathilde endlich, »ach, Wolfframb, welch ein böser Traum hat mich berückt, wie habe ich mich, ein unbedachtsames verblendetes Kind, hingegeben dem Bösen, der mir nachstellte? Wie habe ich mich gegen dich vergangen! Wirst du mir denn verzeihen können!« Wolfframb schloß Mathilden in seine Arme und drückte zum erstenmal brennende Küsse auf den süßen Rosenmund der holdseligsten Frau. Er versicherte, wie sie fortwährend in seinem Herzen gelebt, wie er der bösen Macht zum Trotz ihr treugeblieben, wie nur sie allein, die Dame seiner Gedanken, ihn zu dem Liede begeistert, vor dem der Böse gewichen. »O,« sprach Mathilde, »o mein Geliebter, laß es dir nur sagen, auf welche wunderbare Weise du mich errettet hast aus den bösen Schlingen, die mir gelegt. In einer Nacht, nur kurze Zeit ist darüber verstrichen, umfingen mich seltsame, grauenvolle Bilder. Selbst wußt' ich nicht, war es Lust oder Qual, was meine Brust so gewaltsam zusammenpreßte, daß ich kaum zu atmen vermochte. Von unwiderstehlichem Drange getrieben, fing ich an, ein Lied aufzuschreiben, ganz nach der Art meines unheimlichen Meisters, aber da betäubte ein wunderliches, halb wohllautendes, halb widrigklingendes Getön meine Sinne, und es war, als habe ich statt des Liedes die schauerliche Formel aufgeschrieben, deren Bann die finstre Macht gehorchen müsse. Eine wilde entsetzliche Gestalt stieg auf, umfaßte mich mit glühenden Armen und wollte mich hinabreißen in den schwarzen Abgrund. Doch plötzlich leuchtete ein Lied durch die Finsternis, dessen Töne funkelten wie milder Sternenschimmer. Die finstre Gestalt hatte ohnmächtig von mir ablassen müssen, jetzt streckte sie aufs neue grimmig die glühenden Arme nach mir aus, aber nicht mich, nur das Lied, das ich gedichtet, konnte sie erfassen, und damit stürzte sie sich kreischend in den Abgrund. Dein Lied war es, das Lied, das du heute sangst, das Lied, vor dem der Böse weichen mußte, war es, was mich rettete. Nun bin ich ganz dein, meine Lieder sind nur die treue Liebe zu dir, deren überschwengliche Seligkeit keine Worte zu verkünden vermögen!« – Aufs neue sanken sich die Liebenden in die Arme und konnten nicht aufhören von der überstandnen Qual, von dem süßen Augenblick des Wiederfindens zu reden. Mathilde hatte aber in derselben Nacht, in welcher Wolfframb den Nasias völlig überwand, im Traum das Lied deutlich gehört und verstanden, welches Wolfframb damals in der höchsten Begeisterung der innigsten frömmsten Liebe sang und dann auf der Wartburg, im Kampf seinen Gegner besiegend, wiederholte. – Wolfframb von Eschinbach saß zur späten Abendzeit einsam, auf neue Lieder sinnend, in seinem Gemach. Da trat sein Hauswirt Gottschalk zu ihm hinein und rief freudig: »O mein edler, würdiger Herr, wie habt Ihr mit Eurer hohen Kunst doch den Bösen besiegt. Verlöscht von selbst sind die häßlichen Worte in Eurem Gemach. Tausend Dank sei Euch gezollt. – Aber hier trage ich etwas für Euch bei mir, das in meinem Hause abgegeben worden zur weiteren Förderung.« Damit überreichte Gottschalk ihm einen zusammengefalteten, mit Wachs wohlversiegelten Brief. Wolfframb von Eschinbach schlug den Brief auseinander. Er war von Heinrich von Ofterdingen und lautete also: »Ich begrüße Dich, mein herzlicher Wolfframb, wie einer, der von der bösen Krankheit genesen ist, die ihm den schmerzlichsten Tod drohte. Es ist mir viel Seltsames begegnet, doch – laß mich schweigen über die Unbill einer Zeit, die hinter mir liegt wie ein dunkles, undurchdringliches Geheimnis. Du wirst noch der Worte gedenken, die Du sprachst, als ich mich voll törichten Übermuts der innern Kraft rühmte, die mich über Dich, über alle Meister erhöbe. Du sagtest damals, vielleicht würde ich mich plötzlich an dem Rande eines tiefen bodenlosen Abgrunds befinden, preisgegeben den Wirbeln des Schwindels und dem Absturz nahe; dann würdest Du festen Mutes hinter mir stehen und mich festhalten mit starken Armen. Wolfframb! es ist geschehen, was Deine ahnende Seele damals weissagte. An dem Rande des Abgrundes stand ich, und Du hieltst mich fest, als schon verderbliche Schwindel mich betäubten. Dein schöner Sieg ist es, der, indem er Deinen Gegner vernichtete, mich dem frohen Leben wiedergab. Ja, mein Wolfframb, vor Deinem Liede sanken die mächtigen Schleier, die mich umhüllten, und ich schaute wieder zum heitern Himmel empor. Muß ich Dich denn deshalb nicht doppelt lieben? – Du hast den Klingsohr als hohen Meister erkannt. Er ist es; aber wehe dem, der nicht begabt mit der eigentümlichen Kraft, die ihm eigen, es wagt, ihm gleich entgegenzustreben dem finstern Reich, das er sich erschlossen. – Ich habe dem Meister entsagt, nicht mehr schwanke ich trostlos umher an den Ufern des Höllenflusses, ich bin wiedergegeben der süßen Heimat. – Mathilde! – Nein, es war wohl nicht die herrliche Frau, es war ein unheimlicher Spuk, der mich erfüllte mit trügerischen Bildern eitler irdischer Lust! – Vergiß, was ich im Wahnsinn tat. Grüße die Meister und sage ihnen, wie es jetzt mit mir steht. Lebe wohl, mein innig geliebter Wolfframb. Vielleicht wirst Du bald von mir hören!« Einige Zeit war verstrichen, da kam die Nachricht nach der Wartburg, daß Heinrich von Ofterdingen sich am Hofe des Herzogs von Österreich, Leopolds des Siebenten, befinde und viele herrliche Lieder singe. Bald darauf erhielt der Landgraf Hermann eine saubere Abschrift derselben nebst den dabei gesetzten Singweisen. Alle Meister freuten sich herzinniglich, da sie überzeugt wurden, daß Heinrich von Ofterdingen allem Falschen entsagt und trotz aller Versuchung des Bösen doch sein reines frommes Sängergemüt bewahrt hatte. So war es Wolfframbs von Eschinbach hohe, dem reinsten Gemüt entströmende Kunst des Gesanges, die im glorreichen Siege über den Feind die Geliebte rettete und den Freund vom böslichen Verderben. Die Freunde urteilten über Cyprians Erzählung auf verschiedene Weise. Theodor verwarf sie ganz und gar. Er behauptete, Cyprian habe ihm das schöne Bild von dem im tiefsten Gemüt begeisterten Heinrich von Ofterdingen, wie es ihm aus dem Novalis aufgegangen, durchaus verdorben. Der herrliche Jüngling erscheine, so wie er ihn dargestellt, unstet, wild, im Innersten zerrissen, ja beinahe ruchlos. Vorzüglich aber tadelte Theodor, daß die Sänger vor lauter Anstalten zum Gesange gar nicht zum Singen kämen. Ottmar pflichtete ihm zwar bei, meinte indessen, daß wenigstens die Vision im Vorbericht serapiontisch zu nennen. Cyprian möge sich nur hüten, irgendeine alte Chronik aufzuschlagen, da solche Leserei ihn, wie Figura zeige, sehr leicht in ein fremdes Gebiet verlocke, in dem er, ein nicht heimischer Fremdling und mit keinem sonderlichen Ortsinn begabt, in allen nur möglichen Irrwegen umherschwanke, ohne jemals den richtigen Steg und Weg finden zu können. Cyprian schnitt ein verdrießliches Gesicht, sprang heftig auf, trat vor den Kamin und war im Begriff, sein zusammengerolltes Manuskript in das lodernde Feuer zu werfen. Da erhob sich Lothar, schritt rasch auf den verstimmten Freund los, drehte ihn bei den Schultern herum, laut auflachend, und sprach dann, einen feierlichen Ton annehmend: »Widerstehe, o mein Cyprianus, tapfer dem bösen Dichterhochmutsteufel, der dich eben zupft und dir allerlei häßliche Dinge in die Ohren raunt. Ich will dich anreden mit der Beschwörungsformel des wackern Junkers Tobias von Rülp. ›Komm, komm!! Tuck Tuck! – Mann! es streitet gegen alle Ehrbarkeit, mit dem Teufel Knicker zu spielen. Fort mit dem garstigen Schornsteinfeger!‹ – Ha! Dein Gesicht heitert sich auf – du lächelst? – Siehst du nun wohl, wie ich Macht habe über den Bösen? – Aber nun will ich heilenden Balsam träufeln auf die Wunden, die dir der Freunde scharfe Reden geschlagen. Nennt Ottmar den Vorbericht serapiontisch, so möchte ich dasselbe von der Erscheinung Klingsohrs und des feurigen Teufels Nasias behaupten. Auch dünkt mir der kleine wimmernde automatische Sekretär kein zu verwerfender Schnörkel. Tadelt Theodor die Art, wie du den Heinrich von Ofterdingen dargestellt, so fandest du wenigstens zu deinem Bilde die Vorzeichnung im Wagenseil. Meinte er aber, daß die Sänger vor lauter Anstalten zum Gesange nicht zum Singen kommen, so weiß ich in der Tat nicht recht, was er damit sagen will. Er weiß es vielleicht selbst nicht. Ich will nämlich nicht hoffen, daß er von dir verlangt, du hättest einige Verslein als die von den Sängern gesungenen Lieder einschieben sollen. Eben daß du das nicht tatest, sondern es der Phantasie des Lesers überließest, sich die Gesänge selbst zu dichten, gereicht dir zum großen Lob. – Verslein in einer Erzählung wollen mir nämlich deshalb nicht behagen, weil sie in der Regel matt und lahm dazwischen hinken und das Ganze nur fremdartig unterbrechen. Der Dichter, die Schwäche des Stoffs an irgendeiner Stelle lebhaft fühlend, greift in der Angst nach den metrischen Krücken. Hilft er sich aber damit auch wirklich weiter, so ist solch ein Schreiten im gleichförmig wackelnden Klippklapp doch niemals der starke frische Schritt des Gesunden. Es ist aber wohl überhaupt eine eigne Mystifikation unserer Neueren, daß sie ihr Heil lediglich in dem äußern metrischen Bau suchen, nicht bedenkend, daß nur der wahrhaft poetische Stoff dem metrischen Fittich den Schwung gibt. Der somnambule Rausch, den wohlklingende Verse ohne weitern sonderlichen Inhalt zu bewirken imstande sind, gleicht dem, in den man wohl verfallen mag bei dem Klappern einer Mühle oder sonst! – Es schläft sich herrlich dabei! – Dies alles im Vorbeigehen gesagt für unsern musikalischen Freund Theodor, den oft der Wohlklang leerer Verse besticht und den oft selbst ein sonettischer Wahnsinn befällt, in dem er ganz verwunderliche automatische Ungeheuerchen schafft. – Nun zurück zu dir, o mein Cyprianus! – Brüste dich nicht mit deinem ›Kampf der Sänger‹, denn auch mir will das Ding nicht recht gefallen, aber gerade den Feuertod verdient es nicht! – Folge den Gesetzen des Landes, die die Mißgeburt verschonen, welche einen menschlichen Kopf hat. Und nun meine ich sogar, daß dein Kind nicht allein keine Mißgeburt zu nennen, sondern noch dazu nächst dem menschlichen Kopf auch nicht übel geformt ist, nur etwas schwächlich in den Gliederchen! –« Cyprian schob das Manuskript in die Tasche und sprach dann lächelnd: »Aber, Freunde, kennt ihr denn nicht meine Art und Weise? Wißt ihr denn nicht, daß, wenn ich mich über etwanigen Tadel meiner Schöpfungen was weniges erbose, dies nur darum geschieht, weil ich ihre Schwäche und die Richtigkeit des Tadels recht lebhaft im Innern fühle! – Doch aber nun kein Wort mehr von meiner Erzählung.« – Die Freunde kamen im Gespräch bald auf den mystischen Vinzenz und seinen Wunderglauben zurück. Cyprian meinte, dieser Glauben müsse in jedem wahrhaft poetischen Gemüt wohnen, und ebendeshalb habe auch Jean Paul über den Magnetismus solche hochherrliche Worte ausgesprochen, daß eine ganze Welt voll hämischer Zweifel dagegen nicht aufkomme. Nur in der Poesie liege die tiefere Erkenntnis alles Seins. Die poetischen Gemüter wären die Lieblinge der Natur, und töricht sei es zu glauben, daß sie zürnen solle, wenn diese Lieblinge darnach trachteten, das Geheimnis zu erraten, das sie mit ihren Schleiern bedecke, aber nur wie eine gute Mutter, die das köstliche Geschenk den Kindern verhüllt, damit sie sich desto mehr freuen sollen, wenn, ist ihnen die Enthüllung gelungen, die herrliche Gabe hervorfunkelt. »Doch nun,« fuhr Cyprian fort, »vorzüglich dir, Ottmar, zu Gefallen, ganz praktisch gesprochen: wem, der die Geschichte des Menschengeschlechts mit tieferm Blick durchspäht, kann es entgehen, daß, sowie eine Krankheit gleich einem verheerenden Ungeheuer hervortritt, die Natur selbst auch die Waffen herbeischafft, es zu bekämpfen, zu besiegen. Und kaum ist dies besiegt, als ein anderes Untier neues Verderben bereitet, und auch wieder neue Waffen werden erfunden, und so bewährt sich der ewige Kampf, der den Lebensprozeß, den Organismus der ganzen Welt bedingt. – Wie, wenn in dieser alles vergeistigenden Zeit, in dieser Zeit, da die innige Verwandtschaft, der geheimnisvolle Verkehr des physischen und psychischen Prinzips klarer, bedeutender hervortritt, da jede Krankheit des Körpers sich ausspricht im psychischen Organismus, wie, wenn da der Magnetismus die im Geist geschaffene Waffe wäre, die uns die Natur selbst darreicht, das im Geist wohnende Übel zu bekämpfen?« – »Halt, halt,« rief Ottmar, »wo geraten wir hin! – Schon viel zu viel schwatzten wir zuvor von einer Materie, die für uns doch ein fremdes Gebiet bleibt, in dem wir nur einige durch Farbe und Aroma verlockende Früchtlein pflücken zum poetischen Verbrauch, oder woraus wir höchstens ein hübsches Bäumchen verpflanzen dürfen in unsern kleinen poetischen Garten. Wie freute ich mich, daß Cyprians Erzählung das ermüdende Gespräch unterbrach, und nun laufen wir Gefahr, tiefer hineinzufallen als vorher. – Von was anderm! – Doch still! – erst geb' ich euch einen kleinen Pezzo von unseres Freundes mystischen Bemühungen, der euch munden wird. – Die Sache ist kürzlich diese. – Vor geraumer Zeit war ich in einen kleinen Abendzirkel geladen, den unser Freund mit einigen Bekannten gebildet. Geschäfte hielten mich auf, es war sehr spät geworden, als ich hinging. Desto mehr wunderte ich mich, daß, als ich vor die Stubentüre trat, drinnen auch nicht das kleinste Geräusch, nicht der leiseste Laut zu vernehmen war. ›Sollte denn noch niemand sich eingefunden haben?‹ So dacht' ich und drückte leise die Türe auf. Da sitzt mein Freund mir gegenüber mit den andern um einen kleinen Tisch herum. Und alle, steif und starr wie Bildsäulen, schauen totenbleich, im tiefsten Schweigen herauf in die Höhe. – Die Lichter stehen auf einem entfernten Tisch. Man bemerkt mich gar nicht. Voll Erstaunen trete ich näher. Da gewahre ich einen goldnen funkelnden Ring, der sich in den Lüften hin und her schwingt und dann sich im Kreise zu bewegen beginnt. Da murmelt dieser – jener: ›Wunderbar – in der Tat – unerklärlich – seltsam etc.‹ Nun kann ich mich nicht länger halten, ich rufe laut: ›Aber um des Himmels willen, was habt ihr vor!‹ Da fahren sie alle in die Höhe, aber Freund Vinzenz ruft mit seiner gellenden Stimme: ›Abtrünniger! – obskurer Nikodemus, der wie ein Nachtwandler hineinschleicht und die herrlichsten Experimente unterbricht! – Wisse, daß sich eben eine Erfahrung, die Ungläubige ohne weiteres in die Kategorie der fabelhaften Wunder stellten, auf das herrlichste bewährt hat. Es kam darauf an, bloß durch den fest fixierten Willen die Pendulschwingungen eines Ringes zu bestimmen. – Ich unternahm es, meinen Willen zu fixieren, und dachte fest die kreisförmige Schwingung. Lange, lange blieb der an einem seidnen Faden an der Decke befestigte Ring ruhig, doch endlich bewegte er sich in scharfer Diagonale nach mir her und begann eben den Kreis, als du uns unterbrachst.‹ ›Wie‹, sprach ich, ›wie wär' es aber, lieber Vinzenz, wenn nicht dein fester Wille, sondern der Luftzug, der hineinströmte, als ich die Türe öffnete, den halsstarrig still hängenden Ring zur Schwingung vermocht?‹ – ›O Prosaiker, Prosaiker‹, rief Vinzenz; aber alle lachten!« – »Ei,« sprach Theodor, »die Pendulschwingungen des Ringes haben mich einmal halb wahnsinnig ge macht. So viel ist nämlich gewiß, und jeder kann es versuchen, daß die Schwingungen eines goldnen einfachen Ringes, den man an einem feinen Faden über die flache Hand hält, sich ganz entschieden nach dem innern Willen bestimmen. Nicht beschreiben kann ich aber, wie tief, wie spukhaft diese Erfahrung auf mich wirkte. Unermüdlich ließ ich den Ring nach meinem Willen in den verschiedensten Richtungen sich schwingen. Zuletzt ging ich ganz phantastischerweise so weit, daß ich mir ein förmliches Orakel schuf. Ich dachte nämlich im Innern: ›Wird dies oder jenes geschehen, so soll der Ring die Diagonale vom kleinen Finger zum Daumen beschreiben, geschieht es nicht, aber die Fläche der Hand quer durchschneiden u.s.w.‹« »Allerliebst,« rief Lothar, »du statuiertest also in deinem eignen Innern ein höheres geistiges Prinzip, das, auf mystische Weise von dir beschworen, sich dir kundtun sollte. Da hast du den wahren spiritum familiarem, den Sokratischen Genius. – Nun gibt es nur noch einen ganz kleinen Schritt bis zu den wirklichen Gespenster- und Spukgeschichten, die sehr bequem in der Einwirkung eines fremden psychischen Prinzips ihren Grund finden können.« »Und,« nahm Cyprian das Wort, »und diesen Schritt tue ich wirklich, indem ich euch auf der Stelle den wackersten Spuk auftische, den es jemals gegeben. – Die Geschichte hat das Eigentümliche, daß sie von glaubhaften Personen verbürgt ist, und daß ich ihr allein die aufgeregte oder, wenn ihr wollt, verstörte Stimmung zuschreiben muß, die Lothar vorhin an mir bemerken wollte.« Cyprian stand auf und ging, wie er zu tun pflegte, wenn irgend etwas so sein ganzes inneres Gemüt erfüllte, daß er die Worte ordnen mußte, um es auszusprechen, im Zimmer einigemal auf und ab. Die Freunde lächelten sich schweigend an. Man las in ihren Blicken: »Was werden wir nur wieder Abenteuerliches hören!« Cyprian setzte sich und begann: