Nur ein Laie Heut traf ich einen Gelehrten an, Schien mir soweit kein übler Mann, Ein Professor der Universität, Allwo er hoch in Ehren steht, Chemie und auch Physik doziert Und fleißig experimentiert. Und da im Laboratorium Die Schüler lauschen in Ehrfurcht stumm, Nistet' Allwissenheitsbewußtsein Sich allgemach in seine Brust ein, Und heiter sprach er fort und fort Über all und jedes das letzte Wort. Nun kam die Rede natürlich auch Hier in Italien auf Sitt' und Brauch Des Volks, sein Wesen und seinen Sinn, Und unter anderm warf ich hin: Versagt wohl sei ihm manche Gabe, Die hohen Preis im Norden habe, Doch was von jeher mir gefiel An diesen Menschen: sie haben Stil. Der Professor zog die Brauen hinauf: Wie meinen Sie das? Und ich darauf: Stil hat, was mit ureigner Kraft Die rechte Form seinem Wesen schafft, Von innen her gestaltet wird, Durch keinen fremden Zwang beirrt Der Bildung oder Konvention. So lebt hier jeder Muttersohn Aus hohem oder niederm Haus Sich unverlegen harmlos aus Und läßt im Guten wie im Schlimmen Nur vom Naturtrieb sich bestimmen. Und da das südlich heiße Blut In Lieb' und Haß, in Scherz und Wut Die Adern ihnen höher schwellt, Als Kindern einer kühlern Welt, Ergeht sich auch in Ernst und Spiel Ihr Tun und Reden in größerm Stil, In Formen, die sich trefflich schicken, Poeten und Maler zu entzücken. Und er darauf: Der Form entspricht Nur leider oft der Inhalt nicht. Man sieht's an jeder hohlen Blase. Hier in Italien herrscht die Phrase. (Woher erfuhr's der große Mann? Kam gestern erst hier bei uns an.) Doch wer da pflegt in allen Fällen Zunächst die Fakta festzustellen, Wie mir's Bedürfnis wurde, kraft Meiner exakten Wissenschaft, Der findet in dieses Volks Natur Von höherem Inhalt keine Spur, Der auch zu höherer Form berechtigt. Auch ihre Kunst ist mir verdächtig, Und ich behaupte frank und frei, 's ist wenig Woll' und viel Geschrei. Selbst die sistinische Madonne, Die aller Kunstbeflissnen Wonne, Hat mich enttäuscht, muß ich gestehn. Ich hab' genau sie angesehn. Nun ja, ein artiges Gesicht, Doch Göttliches entdeckt' ich nicht, Nichts von dem überirdischen Geist, Den man so enthusiastisch preist. Ich kann's nicht anders definieren: Die Mutter und das Kind posieren. Ja, dieser Raffael überhaupt, An den die Welt kritiklos glaubt! Er wird von der Ästhetik jetzt Doch gar zu töricht überschätzt. Ich hasse jeden Aberglauben, Auch in der Kunst, und sprech' ich hier Als Laie nur, ich lasse mir Gleichwohl mein gutes Recht nicht rauben, Zu sagen, wie ein Ding mir scheint, Und ob sich alle Welt vereint, So oder so es anzuschauen: Ich kann nur meinen Augen trauen. – Nach diesem letzten stolzen Trumpf Genoß er lächelnd den Triumph, Daß niemand der Madonna wegen Wagt' eine Lanze einzulegen. Ich aber sprach: Sie haben recht! Es lebt im heutigen Geschlecht Zuviel Respekt noch vor der Phrase. Ein jeder folge seiner Nase! Und wenn ein kühner Geist, wie Sie, Dem Gott gesunde Sinne lieh, An Raffael nichts finden kann, So sag er's dreist. Selbst ist der Mann, Auch wenn er fremd Gebiet durchstreift. Man gleicht dem Geist, den man begreift, Und lehrreich ist's, wenn man von Laien Erfährt, wes Geistes Kind sie seien.