Vermischte Gedichte Fürst Bismarck in München (24.-26. Juni 1892) Epistel an einen Freund Du weißt es aus der Zeitung schon: auch wir In München hatten unsre Bismarcktage, Denkwürd'ge Tage wahrlich, eingezeichnet Mit Goldschrift in die Chronik unsrer Stadt, Von jener Nacht an, wo die Tausende Die späte Mitternacht herangeharrt, Nur um mit brausendem Jubel ein Willkommen Ihm zuzujauchzen, bis zum dritten Tag, Da das Geleit man gab dem Scheidenden, Begierig jeder, einmal noch sein Antlitz Zu schaun, zu hören seiner Stimme Klang, Und überglücklich gar, wem es vergönnt, Die Hand zu drücken, die ein Menschenalter Die eherne Wage hielt der Weltgeschicke Und um Germanias Haupt den Lorbeer wand. Mein Häuschen, weißt du ja, liegt nachbarlich Dem Haus des Freundes, des berühmten Malers, Drin der erlauchte Wandrer Herberg fand. Und so von früh bis spät vor meiner Tür Sah ich die Volksflut hin und wieder wogen Und aller Blicke scharf hinüberspähn, Ob am Balkone dort der hohe Gast Erscheinen möchte, dann in stürmischem Zuruf Ausströmend alle Lieb' und allen Dank; Indessen jene dunklen Ehrenmänner, Die, weil sie zwergenhaft, dem Riesen grollen, Bei Tag verstummten, um im Diebesschatten Der Nacht ohnmächtig in den Freudenchor Des Volks ihr hämisches Gezisch zu mischen, Bis wütend eines Rächers derbe Faust Die Schandgesellen züchtigte. Du lasest Wohl von den festlich bunten Zügen auch: Studenten, Künstlern, schlichten Handwerksleuten, Die mit Musik und Fackeln Nacht für Nacht Vorüberwallten, manch treuherz'gen Spruch Hinsendend zur Altane, wo der Gast An seiner Gattin Seite lauschend saß, Bis er dann plötzlich die gewalt'gen Glieder Erhob und aufrecht, mit entblößtem Haupt, Die Menge streifend mit dem Löwenblick, In stockender Rede sonder Prunk und Pomp, Doch sein Gepräg auf jedem Wort, dem Volk Darbrachte seine Seele, dankbewegt, Indes der Fackelschein die bleiche Stirn Umspielte, wie das elfenbeinerne Haupt Des Zeus, das von ambrosischen Locken freilich Umwallt war, während unser Donnerer Nur mit dem Schütteln seiner buschigen Brauen Heut noch erschüttern könnte den Olymp. Dann, als verstummt die laute Festlichkeit Und in des Hausherrn reichgeschmückte Werkstatt Der Ehrenmüde sich zurückgeflüchtet, Ruht' er behaglich noch ein Stündlein aus, Hausväterlich den Wolkensammler spielend, Um ihn ein Kreis Vertrauterer. Und lieblich War's anzuschaun, wie er so ritterlich Zu schönen Fraun sich neigte. Dennoch stets Umwittert' ihn ein seltsam fremder Hauch. So menschlich sich uns gab der Übermensch, Bedacht, es allen wohl zu machen, heimlich Blieb eine Spannung in uns rege, wie Genüber einem Gast aus andrer Welt. Ich selbst, sonst ohne Menschenfurcht, gewohnt, Vor irdischer Größe nicht den Blick zu senken, Vor diesem Hohen wandelte mich doch Ein Schauer andachtsvoller Ehrfurcht an. Dies Antlitz, sagt' ich mir, das hier dich grüßt In Fleisch und Blut, – wenn lange schon der Odem, Der es beseelt, ins All zurückgeschwebt, Der letzte Blick aus diesem Herrscherauge Versprüht ist und der Mund, auf dessen Wort Der Erdkreis lauschte, stumm für ewig ward, Dann, wie das Sphinxhaupt, das im Wüstenbrand Noch unverschüttet auf zur Sonne ragt, Ob auch jahrtausendalter Flugsand rings Emporgeweht ist, wird dies Heldenhaupt In mächt'gem Umriß noch die Blicke bannen, Die Stirn, die weltenweite Pläne barg, Von der Geschichte Nebelglanz umhaucht. So vor dem schicksalsvollen Manne klopfte Das Herz mir in der Brust, und nur beklommen Von meinen Lippen löste sich das Wort. Was hatt' ich ihm zu sagen, der Poet, Der Mann der Träume, diesem Genius Der Tat? der Zeichendeuter, der die Schrift In Menschenherzen zu entziffern sucht, Ihm, der des Volkes Herz zu lenken wußte Zu glorreich hohen Zielen? War's nicht auch, Wenn sinnend er das Ohr der Rede neigte, Als lausch er doch nur halben Anteils hin, Da Geisterstimmen, ihm allein vernehmbar, Ihm Zauberlieder sangen, wundersam Wie ferner Schwertklang, freud'ger Glockenton, An seiner Größe Siegeslaufbahn mahnend? Wie? oder wünscht' er nur sich weit hinweg Aus allem Festlärm in sein Waldasyl, Zwiesprach zu halten mit dem eignen Herzen Und nachzusinnen seines Volks Geschick? Nur halb der Unsre schien er, halb gehört' er Sich selber an, in strenger Einsamkeit. Und so, wie mir, erging's den andern auch, Die ihn umringten, ja der Hausherr selbst, Dem alle Geister muntrer Rede sonst Gehorchen, heute war er seltsam still. Weißt du, was plötzlich in den Sinn mir kam? Das Märlein von Admet, dem Thrakerkönig, In dessen schimmernder Hofburg Herkules Zuweilen vorsprach, als verehrter Hausfreund In Zwischenakten seiner Ruhmestaten Sich menschlicher Gesellschaft zu erfreun. Damals, wenn des Gewaltigen Schritt erklang Drauß vor der Halle, wohl erbebte da Den andern Gästen insgeheim das Herz. Denn nicht geheuer schien den Sterblichen Des Halbgotts Nähe. Trat er dann herein, Mit güt'gem Nicken erst des Hauses Herrin, Die liebliche Alceste, dann die andern Begrüßend, atmete die Tafelrunde Ein wenig auf, weil sie ihn furchtbarer Gedacht, der nun so höflich sich betrug, Und fühlte sich geehrt und endlich gar Ermutigt zu bescheidnem Scherzeswort, Wozu er menschenfreundlich lächeln mocht', Indes er übermenschlich aß und trank. Doch ganz vertraulich trat ihm keiner nah. Die Keule, die Nemeas Löwen schlug, Jetzt als ein Wanderstab im Winkel lehnend, Streiften verlegne Blicke nur. Das Fell Des Ungeheuers, das die nackten Schultern Des Siegers als ein Reisekleid umhing, Wer hätte dran zu zupfen sich getraut, Als etwa des Admet unmündig Kind? Alceste nur, der Hausfraunpflicht gedenk, Trat lächelnd näher, dem durchlaucht'gen Gast Den bauchigen Krug mit kühlem Bier zu füllen, Indes sein Leibarzt ihm die frische Pfeife Darbot – doch halt! Wohin verirr ich mich? Wir sind in Thracien nicht, in Bayerns Hauptstadt, In Lenbachs Haus, und unser Heros, hat Er Taten auch vollbracht herkulischer Art, Die Hyderköpfe deutscher Stammeszwietracht Ausbrennend, manchen Diplomatenstall Ausmistend und im fernen Westen uns Des Friedens Hesperidenäpfel pflückend, Nicht eine Keule führt er, nur den langen Berühmten Stift, und seine Glieder hüllt Kein Löwenfell, ein Gehrock züchtig ein, Auch nach der Göttertafel im Olymp, Wo jenem von der lilienarmigen Hebe Nektar kredenzt ward, wandelte den Unsern Wohl schwerlich die geringste Sehnsucht an, Da seines Gastfreunds blonde junge Hausfrau Mit echtem Hofbräu ihm den Humpen füllte, Bis warnend dann sein Arzt den Finger hob: Durchlaucht, 's ist Schlafenszeit. – Alsbald gehorsam Erhob er sich, mit freundlicher Gebärde Uns gute Nacht zuwinkend. Und wir blieben Noch still beisammen, in Gedanken, daß Wir eine Stunde lebten, die man noch Uns neiden wird in fernster Enkelzeit.