Die Schlucht Tret' ich, die Brust zu lüften, aus dem Haus Aufatmend in den Wintertag hinaus, So lockt mich, eh' ich fünfzig Schritte tat, Vom Fahrweg links hinweg ein Schattenpfad Zu einem Gittertor. Da tret' ich ein, Und mich empfängt ein lichter Erlenhain, Sich wölbend über eines Bächleins Lauf. Links steigt der Abhang dichtbelaubt hinauf, Rechts breitet sich ein sanfter Wiesengrund (Der Lieblingstummelplatz für meinen Hund) Und drüber, auf des Tales Rand erhöht, Ein weiß Kapellchen. Ihm zur Seite steht Ein dunkles Paar Zypressen, hingestellt Als Wächter dieser traumhaft stillen Welt. Rings unten auf dem dichtbegras'ten Plan Und zu den schattigen Halden hoch hinan Wird, wenn die ersten lauen Lüfte wehn, Ein märchenbunter Lenzesflor erstehn, Von Primeln schimmert's golden, Veilchen blühn, Aus wilden Myrten äugelt Immergrün, Doch jetzt ist Winter. Sacht schreit' ich empor, Bis wo sich auftut hoch und schmal ein Tor: Zwei schlanke Stämme, wuchernd dicht umrankt Von Epheu, der bis in die Wipfel langt. Hier ist der Eingang, wo die Schlucht sich engt Und ew'ge Wildnis dämmernd dich umfängt. Vom Bach, der rauschend in die Tiefe fährt, Wird üppig grüne Pflanzenbrut genährt, Hängt sich in wirren Ranken links und rechts Um nackte Zweige jedes Baumgeschlechts, Hirschzungen, Farn und Brombeer, urwalddicht, Schwach trieft herein von oben her das Licht. Hier kannst nach Herzenslust du einsam sein, Denn selten nur verirrt sich hier hinein Ein Wintergast. Und wo die Kluft sich schließt, Siehst du den Bach, der rauschend sich ergießt Aus braunem Felsspalt und zerstiebt im Fall Und füllt die Schlucht mit seines Sturzes Schall. Das Bänklein hier, vom hellen Gischt umsprüht, Lockt nur zur Rast, wenn schwer der Sommer glüht. Doch jetzt ist Winter; aber weich die Luft In dieser moderkühlen Felsengruft, Und würzig weht dich an um Weihnacht auch Des immergrünen Unkrauts feuchter Hauch. Hier ist's, wo manche Stund' an manchem Tag Ich still verweilend der Betrachtung pflag, Der Welt und ihrem Lärmen weit entrückt, Von Geistergruß im Innersten beglückt, Tief in den Frieden der Natur versenkt, Die Seel' und Leib aus reinen Quellen tränkt. Denn der Gealterte – was kann die Welt Ihm geben, das dem Glück die Wage hält Einsamer Einkehr in sich selbst! Der Wahn, Antwort auf Schicksalsfragen zu empfahn, Des Weltgeheimnisses zweideut'gen Sinn Je zu enträtseln, – längst schwand er dahin. Des bunten Lebens vielgestalt'ger Zug, Der uns vorbeiflieht, schon bekannt genug Dünkt uns sein Wechselbild; schon tausendmal Rührt' er an unser Herz in Lust und Qual. Nur was aus Tiefen unsrer eignen Brust Aufsteigt, uns wie ein Traum nur halbbewußt, Veraltet nie, ein unerschöpfter Quell Begieriger Betrachtung, dunkelhell. Denn ob die Fordrung niemals sich erfüllt Der Selbsterkenntnis, nie doch wird gestillt Die Sehnsucht, aus dem weiten Weltenrund Zu flüchten in des eignen Wesens Grund Und zu genießen rein und ungestört, Was unentreißbar einzig uns gehört, Sich uns enthüllend in der Zwiesprach nur Mit unsrer alten Mutter, der Natur. Wie bist du hier mir nah, du heil'ge Macht, Im dunklen Zauber dieser Waldesnacht! Im Wasserfall, der schäumend niederschießt, Hör' ich die alte Weisheit: Alles fließt. Und wie aus tausend Keimen Leben dringt Und rankend sich empor zum Äther schwingt, Ob auch der Winter draußen starr und wild In Eis und Schnee die Bergesgipfel hüllt, So fängt die Brust, die schon erstorben schien, Mit tausend neuen Trieben an zu blühn, Und aus der immergrünen Schlucht hinaus Kehr' ich gestärkt an Haupt und Herz nach Haus.