Marianne (1869) 1. Wie hast du nur hinweg dich stehlen können Aus dieser Lichtwelt, ohne – böses Kind! – Mir einen Scheideliebesblick zu gönnen! Hast, da ich arglos ferne war, geschwind Dich fortgeschlichen, ohn' ade zu sagen, Und ich, in Tränen, suche nun mich blind! Sonst, wenn du frühe schon an Sommertagen Spazieren gingst und ließest dich hinab Die Treppe nur bis in den Garten tragen, Da klopftest du, bis ich dir Einlaß gab, Und botst das Mäulchen mir, bewegtest winkend Schalkhaft das kleine Händchen auf und ab. Und ich, von deinen Lippen Freude trinkend, Zog dich ans Herz und gab dich zögernd frei, Mich aller Väter glücklichsten bedünkend. Nun brachst du scheidend mir das Herz entzwei. Ich durfte nicht dir von den Lippen küssen Den letzten Seufzer, ach, den letzten Schrei. Warst du so klug, mein Liebling, um zu wissen, Daß dieser Abschied, dieser jammervolle, Mein Leben hätte mit hinweggerissen? Das Graun, daß ich dahin dich geben solle Dem Reich der Nacht, mich hätte selbst verleitet, Dir nachzuschleichen unter deine Scholle? O Kind, du hast das Schlimmre mir bereitet, Daß des versäumten Abschieds mahnend Bild Auf Schritt und Tritt gespenstisch mich begleitet; Daß mir nun ist, als könn' ich ins Gefild Des Lebens keinen festen Schritt mehr tun, Eh' ich den letzten bangen Wunsch gestillt. Und wenn ein wenig kaum die Schmerzen ruhn Und Lebenshoffnung sich hervor will wagen, Bebt plötzlich mir das Herz, als sollte nun Mein Kind erst kommen, gute Nacht! zu sagen.