An Gottfried Keller Zum 19. Juli 1889 Mittsommerabend. Auf der Schattenbank In meinem Gärtchen saß ich, nach der Glut Des Tags mich kühlend im gelinden Hauch Des Lüftchens, das vom nachbarlichen Hain Zu mir herüberflog. Ein zartes Rot Umglomm die Zwillingsgiebel meines Hauses, Die Sphinxe dort und Adler leicht vergoldend, Und auf dem First, einsam ins Abendglühn Ausschauend, saß der schwarze Amselkönig, Stumm und gedankenvoll, wie alte Leute Die Nacht durchwachen, wenn die junge Brut Schon lang zu Nest gebracht ist. Hinterm Gitter Der Ahornwipfel schwamm in feuchtem Glanz Des frühen Mondes Silberkahn herauf, Und stille war's ringsum. Wie ruhig floß Des Lebens tiefer Strom an mir vorbei, In seiner Welle so viel Holdes spiegelnd, Das all mein eigen war! Und doch – warum Verschloß dem Zauber dieser Stunde sich Voll Unmut diese Brust? Laß mich's gestehn: Ich hatte dieses Tages Feierstunde Mir selbst vergällt, da ich ein Buch gelesen, Der neusten eines, der so laut gepriesnen, Die uns Gealterten der kecke Nachwuchs Mitleidig höhnend vor die Nase hält: »Da seht! Nur das allein ist wahre Kunst! Wie hier die Welt sich spiegelt, als ein Haufe Wüstheit und Unrat, Jammer, Aberwitz Und Niedertracht, so ist's um sie bestellt, Und so nur, ob es auch zum Himmel stinkt, Sie darzustellen, ist des Dichters Recht Und heil'ge Pflicht, nicht wie ihr allzu lang Euch selbst betrügend sie uns vorgetäuscht. Denn Wahrheit ist der Zukunft Feldgeschrei, Schönheit ein gleißend Götzenbild und Anmut Ein Tand, der Jungfräulein, nicht Männern ziemt. Das lernt von uns, ihr altersschwachen Herrn, Und seid ihr klug, so macht ihr's, wie im Land Der Wilden jene Greise, die, sobald Sie fühlen, daß ihr letztes Stündlein naht, In große strohgeflochtne Flaschen kriechen, In der Familiengruft sich selbst bestattend, Und von den Enkeln sorgsam zugekorkt Bescheiden warten, bis ihr lahmes Herz Den letzten Schlag will tun.« O liebster Freund, Auch dich betörte jener alte Wahn. Denn seit du deine »lieben Fensterlein« Auftatst »dem goldnen Überfluß der Welt«, Den du mit Farb' und Stift zu bannen suchtest Und dann mit Meisterzügen auf die Blätter Der Büchlein, die das Herz uns aufgeregt In Heiterkeit und Tiefsinn, Lust und Leid, Hast unermüdlich du Begnadeter Der Schönheit heil'gem Dienste dich geweiht. »Nicht jener Schönheit, die voll Eitelkeit Und Selbstsucht sich mit Pfauenfedern schmückt Und wie der Pfau von allen Dächern kräht; Und nicht der Schönheit, die das Aug verdrehend Mit matter Salbung schale Heuchler pred'gen, Die auf den Gassen mit der Halbheit buhlen, Der Dinge Wesen schwächlich übertünchend Und mit dem unerschöpften Redeschwall Die Kraft zur schönen Tat im Keim ersticken! Die Schönheit ist's, die Friedrich Schiller lehrt, Die süß und einfach da am liebsten wohnt, Wo edle Sitte sich dem Reiz vermählt Und der Gedanken strenge Zucht gedeiht! Die Schönheit ist's, die nicht zum Ammenmärchen Die Welt uns wandelt und das Menschenschicksal – Nein, die das Leben tief im Kern ergreift Und in ein Feuer taucht, draus es geläutert In unbeirrter Freude Glanz hervorgeht, Befreit vom Zufall, einig in sich selbst Und klar hinwandelnd wie des Himmels Sterne!« – So sprachst du, Meister Gottfried, damals schon Vor drei Jahrzehnten, da in deiner Stadt Man jenes hehren Genius Fest beging, Der dichtend wob der Morgenröte Duft Um die gemeine Deutlichkeit der Dinge Und adelte des Lebens Nichtigkeit Mit ewigen Gedanken. Er auch nahm Der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit, Daß er ein Wecker uns und Tröster ward. Das ist nun abgetan. Trostlosigkeit Ward Glaubenssatzung, und die jünste Welt Spottet der Toren, die in Ehrfurcht noch Zu ihm emporschaun. Und die Nacht brach ein. Der Giebel Purpurglanz erblaßte jäh, Und um mich schwirrt' in ungewissem Fluge Der Fledermäuse graue Schattenbrut. Mein Haupt sank auf die Brust. Auf einmal – horch! Von rechts her klang ein leiser Donnerhall, Und in die halbgeschloßne Wimper drang Ein wetterleuchtender Schein. Ich blickt' empor Und lauschte. Von der Gitterpforte kam's, Als tue sie sich auf und eine Schar Von späten Gästen trete zaudernd ein. Entgegen wollt' ich ihnen, doch die Glieder Lähmte der süße Schreck. Und an die Bank Gefesselt, sah ich einen langen Zug Sich zu mir winden auf dem Gartenpfad, Sanft überglüht vom fernen Wetterschein, Fremdartige Gestalten. Doch je näher Sie kamen, je vertrauter schienen sie, Wie alte Freund', in deren Zügen wir Freudig zurecht uns finden allgemach. Voran ein stattlich schönes Frauenbild Mit dunklen Augen, Hand in Hand mit ihr Ein schlanker Juvenil in grünem Kleid, Sinnend das Antlitz, doch nicht kummervoll; Denn aus dem Blick ihm leuchtete die Freude Des Wiederfindens. Und zu der Gesellin Sprach er ein leises Wort, ich hört' es wohl: Dies ist noch alles, Judith, wie es war. Dort in dem Wäldchen um die Glyptothek So manche Sommernacht verträumt' ich ja; Doch dazumal stand dieses Haus noch nicht. – Und schalkhaft nickend, sprach die Schöne: Nur Zuviel, du Grüner, hast du hier geträumt! – So schritten flüsternd sie an mir vorbei, Als würden mein sie nicht gewahr. Nach diesem Ein zweites Paar, sich eng umschlungen haltend, Wie eingehüllt in süßer Leidenschaft Magischen Schleier. Um die schmale Stirn Des Mädchens flogen krause Löckchen spielend Im Abendwind. Ei, Vrenchen, grüß dich Gott! Was führt dich her? – Und ihr Begleiter blitzte Mich finster an, als spräch' er: Sie ist mein! Rühr sie nicht an! Zwei Arme sind wir, reich An Lieb' und Todeswonnen. – Und sich neigend Auf ihre glänzenden Augen küßt' er sie. Doch vorwärts drängte sie die Folgeschar, Seltsam, doch wohlbekannt. Ha, edler Landvogt Salomon Andolt, führst du deine fünf Verschmähten Bräute durch die Nacht spazieren? Es lächelt rotverschämt der Distelfink, Und dem Hanswurstel raunt Figura Leu Ein Wort ins Ohr – der Nachtwind trägt's davon. Und jetzt – das hagre, feierlich gestrenge Gesicht des alten Mädchens, ehrerbietig Umstaunt von ihren drei Gesellen dort – O edle Züs, dich hab' ich gleich erkannt! Kramst du die Schätze deiner Bildung aus, Was Sehenswertes berge diese Stadt? Sie hängen dir am Mund; es rührt sie nicht Mein Rosenflor. Doch still bewundern ihn Dort jene Zwei. Küngold und Dietegen, Seid ihr's? Verweilet doch! – Auch diese wandeln Wortlos vorbei, und immer dichter schwillt Der Zug heran, durch alle Gartenpfade Hör' ich's von Flüstern, leisverhaltnem Lachen Und schwebender Gestalten Regung schwirren. Jetzt aber wie ein Führerruf erklingt's, Und alsobald sich an den Händen fassend, Beginnt das spukhaft liebliche Gesinde Auf meiner Wiese sich im Tanz zu drehn, So zierlich, wie ein Wölkchen zarter Mücken Am schwülen Sommertag in Lüften spielt. Dazwischen, doch den Reigen nicht verwirrend, Schwingt dann und wann ein übermüt'ger Fant Sein Hütchen, sich in tollem Sprung ergötzend, Indes abseits ein Grüppchen heil'ger Fraun Und ernster Büßer in Gesprächen sich Ergeht, empor zur Mondessichel spähend. Vernähm' ich doch ihr Wort! Doch unversehns Springt auf die Schulter mir, erhobnen Schweifs, Ein muntres Kätzchen, reibt an meiner Schläfe Das seidenweiche Fell und schnurrt mir zu: Hab guten Abend, Freund! – Der Tausend, Spiegel, Bist du es wirklich, mein vielteurer Liebling? Wie geht dir's nur? Was macht der edle Pineiß, Der dir den Schmer abkaufen wollt' und schlimm In seiner Tücke Netz sich selber fing? Und Spiegelchen: Da kommt er – siehst du ihn? – Mit der Beghine. Immer fleißig, fleißig Hext er, was Zeug hält! – Und der lose Dieb, Ein schadenfröhliches Miau anstimmend, Schwingt sich hinweg und mischt sich in den Reigen, So ehrbar tanzend, wie die kleine Heil'ge, Die dort mit Sankt Vitalis unermüdlich Die schlanken Füßchen hebt. Doch endlich wird Der bunte Schwarm des Drehns und Schleifens satt Und steht hochatmend stille, Paar an Paar. Mir aber war noch Zung' und Hand gebannt, So schwer mich's auch verdroß, daß undankbar Und völlig ungesittet ich erschien. Da trat vom Wiesenplan heran zu mir Die schöne Judith, und die blassen Lippen Zum Lächeln schürzend, sprach sie: Lieber Herr, Als ungebetne Gäste drangen wir Hier bei Euch ein und stehen nun beschämt, Verzeihung hoffend. Doch auf nächt'ger Reise Zu unserm Herrn und Meister, der auch Euch Vor allen lieb und wert, erblickten wir Den freien Rasengrund vor Eurem Haus, Und die mutwill'ge Jugend dort beschlich Die Lust zu einem Tänzchen hier im Kühlen. Die ist gebüßt, und jetzo unverweilt Geht's fürder südwärts. Hättet Ihr etwa Uns einen Gruß und Botschaft mitzugeben? Und ich – denn plötzlich löste sich das Band Von meiner Zunge –: Schöne Judith, sprach ich, Wohl kenn' ich Euch und, werter grüner Heinrich, Auch Euch; was sprecht Ihr von Verzeihung? Sprecht Von Dank! Was konnte Lieberes mir geschehn, Als endlich auch zu sehn von Angesicht, Die ich so lange warm im Herzen trug? Doch sagt, wie kommt's, daß ihr so dichtgeschart Auf Reisen gingt? Woher denn bracht ihr auf? Wollt ihr nicht zu verweilen euch verstehn, Daß meine Hausfrau, die euch liebt gleich mir, Euch auch begrüßen und ein wenig euch Bewirten mag? Da wiegte sie ihr Haupt: Ihr sprecht gar liebreich, aber töricht, Herr. Wir werden nicht erquickt durch irdische Kost, Durch freundliche Gedanken derer nur, Die uns befreundet. Denn wir wohnen längst Dort oben auf dem Mond mit Tausenden Verklärter Geister, denen Dichterkraft Unsterblich Dasein lieh. Dort ist die Luft Zu leicht, daß Menschen darin atmeten; Uns Dichterkindern gnügt sie. Dorten haust Ein herrliches Geschlecht einträchtiglich. Tell zieht den Hut vorm Fähnlein jene sieben Aufrechten, mit Frau Amrain Hand in Hand Geht Base Terzky, unser Vrenchen dort Und Sali plaudern mit dem Montagu Und seiner Liebsten, und ob jedes auch Die eigne Sprache spricht, verstehn sich alle Gar leicht und gut. Denn aus den Augen glänzt Des Genius Flamme jeglichem von uns, Und was da schön und wahr, ist Eines Bluts. Nun hörten wir, daß unserm Meister ihr Ein Fest zu feiern euch gerüstet habt, Und dachten: mitzufeiern zieme wohl Vor allen uns. Und raschen Aufgebots Uns sammelnd, sind wir nun herabgeschwebt, Bei Nacht zu reisen übern Bodensee, Wie Söhn' und Töchter gern am Jubelfest Dem lieben Vater überraschend nahn. Wenn er dann aufwacht morgen, stehen wir An seinem Lager, daß er, der nicht viel Des eignen Ruhms gedenkt, im Herzen doch Sich freuen mag, welch adliges Geschlecht Unsterblich atmender Kinder er gezeugt, Und hauchen unsrer Lebenskraft auch ihm Ein wenig zu, daß um sein alternd Haupt Ein frischer Morgenglanz verjüngend schwebe Und er empfinde, was die Welt ihm dankt. Nun sprecht, und was bestell' ich ihm von Euch? Und ich: Was könnt' ich ihm zu wissen tun, Das ihm nicht längst bekannt? Auch trägt ein Mann Gerechte Scheu, dem liebsten Freunde laut Von seiner Lieb' und Treue vorzuplaudern, Wie einem Mägdlein man sein zärtlich Herz In art'gen Versen wohl zu Füßen legt. Bring, wenn du magst, ihm von den Rosen dort Den schönsten Strauß, und er, der ein Poet, Wird, was ich ihm sub rosa beichten will, Unschwer verstehn. Und kränzet auch euch selbst! Doch sag mir eins: ist's wahr? was Dichter schufen, Lebt dort im Mond ein zweites Leben fort? So sucht euch wohl auch manch Gelichter heim, Das nicht die reinlichste Gesellschaft ist Und doch, entsprungen kräftiger Phantasei In kranken Dichterhirnen, Ausgeburten Des Wahns und üppiger Triebe, zügellos Sein Wesen treibt und kecklich nach dem Kranz Zu greifen sich erdreistet ew'gen Ruhms? Wie nur mit solchen dort vertragt ihr euch? Und aus der Schar, die hinter Judith stand, Trat vor ein hoher Mann, Herr Salomon Landolt, der Landvogt, und mit Stirnerunzeln Sprach er: Es steht ein großes Siechenhaus Dort oben, da wird alles eingepfercht, Was uns von solcherlei Gesindel naht. Da hinter sichern Gittern sehn wir sie Unschädlich toben, ihrer Schäden sich Berühmen und mit Neidgrimmassen scheel In unsern Frieden schaun, den das Gebell Der armen Hauptverwirrten nicht verstört. Doch nun mit Gunst, Herr – Und er grüßte leicht Und schritt hinweg mit seinen Freundinnen, Stolz wie der Hahn vor seiner Hennenschar. Doch Judith brach von einem Rosenzweig Die schönste Blume, purpursammetfarbig, Mit fester Hand und sprach: Die leg' ich morgen Dem Vater auf sein Kissen. Und so wollen Wir scheiden. Lebet wohl und zürnet nüt! – Und ihrem Heinrich an der Schulter lehnend, Folgt sie Herrn Andolt und die andern ihr, Zuletzt das Spiegelchen, den glatten Schweif Zierlich bewegend. Hundert Fragen brannten Mir auf den Lippen noch. Doch unaufhaltsam Sah ich die Gäste schon der Pforte nahn Und, ohne daß der Riegel klirrte, leis Wie Raucheswölkchen durch das Gitter wallen. Ich schämte mich, daß mir der Fuß versagte, Auch bis zum Weichbild meines Hauses nur Sie zu geleiten – da erklang herab Vom heitren Firmament ein Donnerton, Und wie von einem Himmelsstrahl geschmolzen Fiel von den Gliedern mir die Fessel ab. Aufsprang ich von der Bank und späht' umher – Nichts war zu schauen mehr vom Nachtbesuch, Kein Halm auf meiner Wiese schien geknickt Von rascher Füße Tanz, nur dort am Strauch – Fehlt wirklich jene purpursamtne Rose, Die ich zuvor noch sah? So war's kein Traum? – Ich fühlte einzler schwüler Tropfen Fall Dort aus dem Wölkchen, das so still im Blau Gen Süden segelt', und nachdenklich schritt ich Ins Haus zurück. Nun drängte mich das Herz, Dir dies Gesicht zu künden, Freund, auf daß Du wissest, wenn du eine Rose morgen Erwachend finden wirst auf deinem Pfühl, Daß sie dir Grüße bringt vom Isarstrand.