Der erste Nachtigallen-Ausflug Ein Kinderlied. Der Tag kaum durch die Wolken drang, Als schon die junge Nachtigall Im Neste zarten Flügel schwang Und sang mit Freudeschall: »Heran, willkommen, schöner Tag, Der endlich mich ins Freie ruft, Mir endlich, die so lang' hier lag, Zuerst verleihet Luft! Werd' heut zuerst die Welt durchwehn Und singen hoch auf freiem Baum, Viel neuer Art Gespielen sehn Und neuen Wunderraum.« »Trau nicht,« sprach Mutter Nachtigall, »Trau nicht, o Kind, dem Wunderraum! Es giebt auch treulos süßen Schall Und Körnchen unterm Baum, Die uns ein Volk hinstreuet klug Und trüglich singt als Nachtigall, Streut Körner aus voll List und Trug Und lockt mit süßem Schall Und macht uns Fuß und Flügel fest Und dann uns ein in Kerker schließt, In Kerker, mehr als Kluft und Nest, Als Winter ärger ist. Bist da in Wüsten, Fels und Stein, Bist schwester-, gatte-, mutterlos, Siehst keinen Baum, siehst keinen Hain – Und schmuck- und federlos; Die Stimme stirbt Dir, Lied und Schall, Schwingst nie die freien Flügel mehr!« »Ach Mutter!« sprach die Nachtigall, »Du zögerst auch zu sehr! Bin ja kein Kind mehr, bin so klug Als jede, jede Nachtigall.« »Beginn nur, Liebe, Deinen Flug!« Und schlug mit Freudenschall Die Flügel! »Nur entferne nie, Entfern, o Kind, Dich nie von mir!« Sie flog: die junge Neugier, sie Flog kaum noch hinter ihr, Als schnell schon Wunder an sie zog; Es sah so bunt und war ein Netz Und lag voll Kornes. Schnell hinflog Sie ab, seitab, ins Netz. Die Mutter kommt. Um Fuß und Haupt Liegt tödtlich, ach! ihr Kind verstrickt; Sie schwirrt umher, kann, kindberaubt, Nur jammern, ach! und pflückt, Pflückt angstbetäubt am Netze – zieht Des Todes Netz nur fester zu. Todt sinkt ihr Frühlingskind! Sie flieht Und flüchtet neu herzu Und weinet. – Kinder, kennten sie Der Eltern liebevolles Herz Und früher Lehren Treue, nie Vergrämten sie zu Schmerz Sich selbst – und die's so wohl gemeint, Sie mit so vieler Liebemüh Erzogen! – Sieh, die Arme weint, Und – ach, da sinket sie!