Johann Gottfried Herder Der Cid Geschichte des Don Ruy Diaz, Grafen von Bivar Nach spanischen Romanzen Yo soy Ruy Diaz el Cid Campeador! El poëma del Cid Geschichte des Don Ruy Diaz, Grafen von Bivar 1. [Traurend tief saß Don Diego] 1. Traurend tief saß Don Diego, Wohl war keiner je so traurig; Gramvoll dacht er Tag' und Nächte Nur an seines Hauses Schmach. An die Schmach des edlen alten Tapfern Hauses der von Lainez, Das die Inigos an Ruhme, Die Abarcos übertraf. Tief gekränket, schwach vor Alter, Fühlt' er nahe sich dem Grabe, Da indes sein Feind Don Gormaz Ohne Gegner triumphiert. Sonder Schlaf und sonder Speise, Schläget er die Augen nieder, Tritt nicht über seine Schwelle, Spricht mit seinen Freunden nicht, Höret nicht der Freunde Zuspruch, Wenn sie kommen, ihn zu trösten; Denn der Atem des Entehrten, Glaubt' er, schände seinen Freund. Endlich schüttelt er die Bürde Los des grausam-stummen Grames, Lässet kommen seine Söhne, Aber spricht zu ihnen nicht; Bindet ihrer aller Hände Ernst und fest mit starken Banden; Alle, Tränen in den Augen, Flehen um Barmherzigkeit. Fast schon ist er ohne Hoffnung, Als der jüngste seiner Söhne, Don Rodrigo, seinem Mute Freud und Hoffnung wiedergab. Mit entflammten Tigeraugen Tritt er von dem Vater rückwärts; »Vater«, spricht er, »Ihr vergesset, Wer Ihr seid und wer ich bin. Hätt ich nicht aus Euren Händen Meine Waffenwehr empfangen, Ahndet ich mit einem Dolche Die mir jetzt gebotne Schmach.« Strömend flossen Freudentränen Auf die väterlichen Wangen; »Du«, sprach er, den Sohn umarmend, »Du, Rodrigo, bist mein Sohn. Ruhe gibt dein Zorn mir wieder, Meine Schmerzen heilt dein Unmut. Gegen mich nicht, deinen Vater, Gegen unsres Hauses Feind Hebe sich dein Arm!« – »Wo ist er?« Rief Rodrigo, »wer entehret Unser Haus?« Er ließ dem Vater Kaum, es zu erzählen, Zeit. 2. [Angehört den Schimpf des Hauses] 2. Angehört den Schimpf des Hauses, Geht gedankenvoll Rodrigo, Denkt an seine jungen Jahre, Denkt an seines Feindes Macht. In Asturiens Gebürgen Zählet Gormaz tausend Freunde, Er, in Königs Rat der erste, Er, der erste in der Schlacht. Aber wenn er die dem Vater Zugefügte Schmach bedenket, Was bedeutet alles andre? Recht will er vom Himmel nur. Bravheit ist er seiner Ehre Schuldig; schadet der die Jugend? Für sie stirbt aus echtem Stamme Selbst das neugeborne Kind. Eilig langet er den Degen Sich herab, den einst Mudarra Führte, jener tapfre Bastard; (Traurig hing der Degen da, Als ob er, vor Alter rostend, Seines Herren Tod betraure). Eh er noch ihn an sich gürtet, Redet er den Degen an: »Dir gesagt sei es, du edler Degen, daß ein Arm dich fasset Gleich des Bastards Arm, und fühlest Du, daß ihm noch Stärke fehlt; Rückwärts wird er niemals weichen, Wenn er dich im Kampfe führet, Edler, du von gutem Stahle! Doch von besserm ist sein Herz. Wert wird dessen, dem du dientest, Der sein, dem fortan du dienest; Würd er jemals unwert deiner, Nun, so dienst du keinem mehr. Tief in seine Eingeweide Birgt er dich – – Hinaus ins Freie!« Rief er, »denn die Stund ist kommen, Der gerechtsten Rache Zeit.« Heimlich, daß es niemand wußte, Ging er aus des Vaters Hause; Und noch war es keine Stunde, Traf er seinen stolzen Feind. 3. [Auf dem Platze des Palastes] 3. Auf dem Platze des Palastes Traf Rodrigo auf Don Gormaz. Einzeln, niemand war zugegen, Redet' er den Grafen an: »Kanntet Ihr, o edler Gormaz, Mich, den Sohn des Don Diego, Als Ihr Eure Hand ausstrecktet Auf sein ehrenwert Gesicht? Wußtest Ihr, daß Don Diego Ab von Layn Calvo stamme? Daß nichts reiner und nichts edler Als sein Blut ist und sein Schild? Wußtet Ihr, daß, weil ich lebe, Ich, sein Sohn, kein Mensch auf Erden, Kaum der mächtge Herr des Himmels Dies ihm täte ungestraft?« – »Weißt du«, sprach der stolze Gormaz, »Was wohl sei des Lebens Hälfte, Jüngling?« »Ja«, sprach Don Rodrigo, »Und ich weiß es sehr genau. Eine Hälfte ist, dem Edlen Ehr erzeigen, und die andre, Den Hochmütigen zu strafen, Mit dem letzten Tropfen Bluts Abzutun die angetane Schande.« – Als er dies gesagt, Sah er an den stolzen Grafen, Der ihm diese Worte sprach: »Nun, was willst du, rascher Jüngling?« – »Deinen Kopf will ich, Graf Gormaz«, Sprach der Cid, »ich habs gelobet!« »Streiche willst du, gutes Kind«, Sprach Don Gormaz, »eines Pagen Streiche hättest du verdient.« O Ihr Heiligen des Himmels, Wie ward Cid auf dieses Wort! 4. [Tränen rannen, stille Tränen] 4. Tränen rannen, stille Tränen Rannen auf des Greises Wangen, Der, an seiner Tafel sitzend, Alles um sich her vergaß, Denkend an die Schmach des Hauses. Denkend an des Sohnes Jugend, Denkend an des Sohns Gefahren Und an seines Feindes Macht. Den Entehrten flieht die Freude, Flieht die Zuversicht und Hoffnung; Alle kehren mit der Ehre Froh und jugendlich zurück. Noch versenkt in tiefer Sorge, Sieht er nicht Rodrigo kommen, Der, den Degen unterm Arme Und die Händ auf seiner Brust, Lang ansieht den guten Vater, Mitleid tief im Herzen fühlend, Bis er zutritt, ihm die Rechte Schüttelnd: »Iß, o guter Greis!« Spricht er, weisend auf die Tafel; Reicher flossen nun Diego Seine Tränen: »Du, Rodrigo, Sprachst du, sprichst du mir dies Wort?« »Ja, mein Vater! Und erhebet Euer edles, wertes Antlitz!« »Ist gerettet unsre Ehre?« »Edler Vater, er ist tot.« »Setze dich, mein Sohn Rodrigo! Gerne will ich mit dir speisen. Wer den Mann erlegen konnte, Ist der Erste seines Stamms.« Weinend knieete Rodrigo, Küssend seines Vaters Hände; Weinend küßte Don Diego Seines Sohnes Angesicht. 5. [Heulen und Geschrei und Rufen] 5. Heulen und Geschrei und Rufen, Rossetritt und Menschenstimmen Mit Geräusch der Waffen tönte Zu Burgos vor Königs Hof. Niederstieg aus seiner Kammer Don Fernando, er, der König; Alle Großen seines Hofes Folgten ihm bis an das Tor. Vor dem Tore stand Ximene, Aufgelöst das Haar in Trauer; Und in bittern Tränen schwimmend, Sank sie zu des Königs Knie. Gegenseits kam Don Diego Mit dreihundert edlen Männern, Unter ihnen Don Rodrigo, Er, der stolze Kastellaner. Auf Maultieren ritten alle, Er allein auf einem Roß. Bisamhandschuh trugen alle, Er allein den Reiterhandschuh; Alle reich in Gold und Seide, Er allein in Waffenwehr. Und das Volk, den Zug ersehend, Und der Hof, als an sie kamen, Alle riefen: »Schaut den Knaben, Der den tapfern Gormaz schlug!« Rings umher sah Don Rodrigo Ernst und fest: »Ist euer einer, Den des Grafen Tod beleidigt, Freund, Verwandter, wer er ist, Sei's zu Fuße, sei's zu Rosse, Stell er sich!« Sie riefen alle: »Dir mag sich der Teufel stellen, Er nur, wenn es ihm beliebt!« Ab von ihren Mäulern stiegen Die dreihundert edle Knappen, Ihres Königs Hand zu küssen; Sitzen blieb auf seinem Roß Don Rodrigo. »Steige nieder, Sohn Rodrigo«, sprach der Vater, »Deines Königs Hand zu küssen!« »Wenn Ihr es befehlt, o Vater, Eurethalben tu ichs gern.« 6. [Mit zerrißnem Trauerschleier] 6. Mit zerrißnem Trauerschleier Sprach Ximene jetzt zum König; Tränen schwollen ihre Augen, Wie war sie in Tränen schön! Schön wie die betaute Rose Glänzte sie in ihren Tränen; Schöner blühten ihre Wangen, Glühend in gerechtem Schmerz. Ihre Worte singt der Sänger, Doch nicht ihre Blick und Seufzer. »König«, sprach sie, »edler König, Schaffe mir Gerechtigkeit! Er erstach mir meinen Vater, Er erstach ihn, eine Schlange, Meinen Vater, der, o König, Denk es, dir dein Reich beschützt! Meinen Vater, der von Helden Stammte, die mit ihren Fahnen Einst Pelagius, dem ersten Christenkönig, folgeten. Meinen Vater, der den Christen- Glauben selbst mit Macht beschirmte, Ihn, das Schrecken der Almanzors, Ihn, der Ehre deines Reiches Ersten Sproß, in deiner Krone, Ihn, den ersten Edelstein. Recht nur fleh ich, nicht Erbarmen; Recht muß beistehn jedem Schwachen. Unwert ist ein ungerechter Fürst, daß ihm der Edle diene, Daß die Königin ihn liebe, Keines ihrer Küsse wert. Und du wildes Tier, Rodrigo, Auf, durchbohr auch diesen Busen, Den ich hier in tiefster Trauer Dir eröffne! Mord auch mich! Warum nicht die Tochter töten, Der du ihren Vater raubtest? Warum nicht die Feindin morden, Die dirs jetzt und ewig sein wird? Rache fordert sie des Himmels Und der ganzen Erde Rache Gegen dich!« – Rodrigo schwieg. Und des Rosses Zaum ergreifend, Kehret langsam er den Rücken Allen Feldherrn, allen Kriegern, Wartend, ob ihm einer folge; Aber keiner folget' ihm. Als Ximene dieses sahe, Rief sie lauter noch und lauter: »Rache, Krieger, blutge Rache! Ich selbst bin des Rächers Preis!« 7. [An der Tafel saß Fernando] 7. An der Tafel saß Fernando, Zu Burgos im Königspalast, Als Ximene tief in Trauer Und in Tränen vor ihm kniete. Mit bescheidener Gebärde Sprach sie jammernd diese Worte: »König, eine arme Waise Komm ich, suchend Euren Schutz. Eben starb auch meine Mutter Gramvoll, die mir unsres Hauses Schmähung nachließ; denn der Mörder Unsres Hauses lebet noch. Täglich darf er sich mir zeigen, Der großsinnig-stolze Lainez, Reitet täglich mir vor Augen, Seinen Falken auf der Hand, Der mir meine Tauben würget, Alt und jung. Schau her, o König, Sieh das Blut auf meiner Schürze, Meiner jüngsten Taube Blut! Oft hab ichs ihm untersaget; Und was gab er mir für Antwort? Lies, o König! Diese Zeilen Sandt er heute mir zum Hohn«: »An Doña Ximena. Du klagest, einzige, verehrte, schöne Ximene, Daß täglich Dir mein Falk die Tauben Komme zu rauben. Sein Herr begleitet ihn – Oh, dürft er kühn Die einmal sehn, der auf so harte Art Vom Schicksal und vom Falk er angemeldet ward!« Als der König dies gelesen, Stand er auf von seiner Tafel, Schrieb sofort an Don Diego; Heimlich sandt er ihm den Brief. Wissen will den vollen Inhalt Don Rodrigo. »Nein, bei Gott nicht Und bei seiner heilgen Mutter«, Sprach er, »laß ich Euch, o Vater, Euch allein nach Hofe ziehn!« 8. [Eingefallen in Kastilien] 8. Eingefallen in Kastilien Waren Könige der Mauren Fünf. Verwüstung, Lärm und Feuer, Mord und Tod zog ihnen vor. Über Burgos schon hinüber, Montes d'Oca, Belsorado, San Domingo und Naxara Steht verheeret alles Land. Weggetrieben werden Herden, Schafe, Christen, Christenkinder, Männer, Weiber, Knaben, Mädchen; Jene weinen, diese fragen: »Mutter, wohin ziehen wir?« Ruhmreich sammlen schon die Mauren Ihren Raub, zurückzukehren; Denn niemand begegnet ihnen, Niemand, auch der König nicht. Zu Bivar auf seinem Schlosse Hörte diese Not Rodrigo; Noch war er nicht zwanzig Jahre, Doch an Mut war er ein Mann. Auf sein Roß, es hieß Babieca, Stieg er, wie hoch in den Wolken Gott auf seinen Donnerwagen, Und durchrannte rings das Land. Die Vasallen seines Vaters Bot er auf; sie waren alle Angelangt zu Montes d'Oca Und erwarten ihren Feind. Guter Himmel! Von den Mauren Zog fortan nicht einer weiter Aber die geraubten Herden, Männer, Weiber, Christenkinder, Alle ziehen ihres Weges Froh und frei. Die fünf gefangnen Mohrenkönige – dem König Don Fernando schickt Rodrigo Die Gefangnen zum Geschenk. 9. [Auf dem Throne saß Fernando] 9. Auf dem Throne saß Fernando, Seiner Untertanen Klagen Anzuhören und zu richten, Strafend den und jenen lohnend Denn kein Volk tut seine Pflichten Ohne Straf und ohne Lohn – Als mit langer Trauerschleppe, Von dreihundert edlen Knappen Still begleitet, ehrerbietig Vor den Thron Ximene trat. Auf des Thrones tiefste Stufe Kniete sie demütig nieder; Tochter sie des Grafen Gormaz, Hub sie so zu klagen an: »Sechs Monate sind es heute, Sechs Monate, großer König, Seit von eines jungen Kriegers Hand mein edler Vater fiel. Viermal kniet ich Euch zu Füßen, Viermal gabt Ihr, großer König, Euer Wort mir, mir zusagend Rächende Gerechtigkeit. Noch ist sie mir nicht geworden; Jung und frech und übermütig Spottet Eurer Reichsgesetze Don Rodrigo von Bivar. Und Ihr schützt ihn, edler König, Ihr! Denn wer von Euren Männern Seiner sich bemächtigt hätte, Übel wär es ihm gelohnt. Gute Kön'ge sind auf Erden Gottes Bild; die ungerechten Sind undankbar ihren treuen Dienern, nähren Faktionen, Haß, Verfolgung, ewge Feindschaft, Seufzer und Verzweifelung. Denkt daran, o großer König, Und verzeihet einer Waise, Der die Klag auf ihren Lippen Schmerzlich Euch ein Vorwurf wird!« »Was Ihr spracht, sei Euch verziehen«, Sprach der König; »doch, Ximene, Gnug geredet und nicht weiter! Euch erhalt ich den Rodrigo; Wie um seinen Tod Ihr jetzo Werdet bald Ihr um sein Leben Und um seine Wohlfahrt flehn.« 10. [Nie erscholl ein Ruhm gerechter] 10. Nie erscholl ein Ruhm gerechter, Größer nie als Don Rodrigos; Denn fünf Könige der Mauren, Mauren aus der Moreria, Waren ihm Gefangene. Und nachdem er mit Vereidung In Vasallenpflicht und Zinspflicht Sie genommen, sandt er alle Wieder in ihr Land zurück. Als nach sieben langen Jahren (Nie wär er von ihr gewichen) Don Fernando jetzt die feste Stadt Coimbra, fest durch Mauern Und durch Türme, überwand, Weihet' er der Mutter Gottes Die prachtvollste der Moscheen; Hier in diesem heilgen Tempel Hielt Rodrigo Ritterwacht. Hier mit eignen Königshänden Gürtet ihm das Schwert der König, Und die Königin, sie führet Selber ihm den Zelter zu. Die Infantin, Doña Uraca, Schnallt' ihm an die goldnen Sporen; »Mutter«, sprach sie, »welch ein Ritter! Einen schönern sah ich nie! Glücklich ist das Bauermädchen, Die ihn ohne Scheu des Vorwurfs Unanständig-niedrer Sitte Lang anschauen nach Gefallen, Ohne Scheu ihn sehen darf. Glücklicher ist die Gemahlin, Die ihm zuführt seine Mutter, Ihm, dem Schönsten, den ich sah.« Also sprach die Königstochter; Doch nicht mit der Rosenlippe, Tief nur im verschwiegnen Busen Sprach also ihr stilles Herz. 11. [Edler Ritter Don Rodrigo] 11. »Edler Ritter Don Rodrigo, Jung und kühn und klug und tapfer, Strafe dich mit Schmach der Himmel, Daß du mir mein Herz bekämpft, Kühner, ohne zu bedenken, Wer du bist und wer ich bin Daß du eine Stadt bezwungen, Daß fünf Könige der Mauren Du in deine Fesseln zwangest, Daß den stolzen Grafen Gormaz Du in früher Jugend schlugest, Macht dich dieses so verwegen? Welcher Spanier, o Ritter, Tät es nicht und wohl noch mehr? Edel zwar bist du geboren, Auszuüben schöne Taten; Dem, der einzig seine Pflicht tut, Dem ist keinen Dank man schuldig, Und gebührt er dir, so wisse, Diese Pflicht ist nicht die meine, Sie ist meines Vaters Pflicht. Wenn ein Mangel an Vermögen Mich dir anzunähern scheinet, Mich, die meine Königsabkunft Über dich so hoch erhebt, O, so wisse: Königstöchter Sind deswegen arm an Gütern, Weil der Adel ihres Stammes Ihnen mehr als Reichtum gilt. Armut ist an mir kein Flecke; Sie ist meiner Hoheit Ruhm. Reich, das weiß ich, ist Ximene, Darum ists, daß du sie liebest; Nein, nicht darum; denn, Rodrigo, Unrecht will ich dir nicht tun. Sie auch liebt dich – Nun, so liebet! Mir macht es den kleinsten Kummer, Daß der Cid Ximenen liebt. Eines reichen Grafen Tochter Gnüget dir, du kleiner Ritter; Ich bin arm – bedarf ein edler Diamant, bedarf er Gold? Schön bist du, wie einst Narcissus; Weise – Salomon war weiser; Edel – deren gibt es viele; Tapfer – Spanien erziehet Keine Memme, Don Rodrigo! Reich – das sind so viele Narren; Weit berühmt – das waren viele Mehr als du, und starben dennoch, Eingehüllet in die Tücher Menschlicher Vergessenheit. Ritter, wenn dein eigner Spiegel Dir nur deine Schönheit vorhält, So tritt her vor meinen Spiegel! Er erniedert deinen Stolz. Geh dann hin zu deinesgleichen, Ritter, eine Königstochter Blicke nur mit Ehrfurcht an!« Also sprach die eifersüchtge Königstochter Doña Uraca; Und der Cid, er stand und schwieg. Denn sie liebt' ihn tief im Herzen; Und als sie nun ausgeredet, Fuhr sie fort, mit ihrer Nadel Ihm zu nähn die schönste Schärpe, Die er – nicht begehrete. 12. [In dem blühnden Ostermonat] 12. In dem blühnden Ostermonat, Da die Erde neu sich kleidet, Da die weißbehaarte Mutter Sich wie eine Fee verwandelt In die schönste junge Nymphe, Da lustwandelte der König Von Kastilien, Don Fernando, Er mit seinem ganzen Hofe Vor Burgos im schönen Tal. Und von seinem ganzen Hofe Nahm er keinen als Rodrigo Hin zu einer Silberquelle, Glänzend schöner als Kristall. Mit ihm sprach er an der Quelle; Aller Augen sahn ihn sprechen; Aber keines Ohr vernahm, Was zu Cid der König sprach. Dies sprach er: »Ich lieb Euch, Ritter! Jung seid Ihr und brav und tapfer, Aber noch nicht welterfahren, Und am wenigsten versteht Ihr Euch aufs weibliche Geschlecht. Alle wollen sie regieren, Und regieren denn auch wirklich; Leider wir sind nur ihr Werkzeug; Unsre männlichsten Gedanken, Oft zerstörte sie – ein Weib. Gleich als hätte Gott zuletzt noch In sein schönes Haus, die Schöpfung, Deshalb nur die Frau geführet, Daß durch sie und für sie alles, Alles je geschehen sollte, Sonder Schein, daß sie es tut. Junger Mann, die Frauen kennen Ist dir nützlich; dieses Wissen Übersteiget jedes andre; Doch – zu weithin forsche nicht! Dir sonst könnt es auch so gehen Wie dort jenem alten Weisen: Weil er ihn nicht fassen konnte, Stürzet' er sich in den Schlund. Das Geheimnis ist – der Weiber Macht auf unsre Männerherzen. Dies Geheimnis steckt in ihnen Tief verborgen, Gott dem Herren, Glaub ich, selber unerforschlich. Wenn an jenem großen Tage, Der einst aufsucht alle Fehle, Gott der Weiber Herzen sichtet, Findet er entweder alle Sträflich oder gleich unschuldig; So verflochten ist ihr Herz. Ungeheur ist die Entfernung Zwischen einem Mann und Mädchen Und durchaus zum Vorteil dieser; Junger Mann, weißt du, warum? Darum: Männer gehen vorwärts; Und das Weib – es sieht sie kommen. Er veranschlagt; sie begegnet Seinen Planen – weißt du, wie? Sieh dort jenen leichten Vogel, Der von Zweig zu Zweige hüpfet! Necken wird er lang den Jäger, Der ihm folget Schritt vor Schritt; Vor dem Angesicht des Eigners Wird er seine schönsten Früchte Naschen, weil er ohne Waffen Ihn da vor sich stehen sieht. Und was haben gegen Weiber Wir, die Männer, wohl für Waffen? Deshalb dann regieren sie. Und hiebei ist keine Ausnahm; Jede gleicht hierin der andern. Junger Mann, der Weisheit Regel Rät, sich zu vermählen – nie.« Also sprach zu Cid der König, Der dadurch ihn prüfen wollte; Hört, was er antwortete! 13. [An dem Rand der Silberquelle] 13. An dem Rand der Silberquelle, Als der König ausgesprochen, Nahm der Cid also das Wort: »Freilich bin ich jung, o König, Für die Regeln alter Weisheit; Aber, das Gesetz der Ehre Zu verstehen, nicht zu jung. Denn aus gutem Blut erzeuget Und genährt in guter Schule, Spricht die Ehre mir: Erhalten Muß ein Edler sein Geschlecht; Muß dem Vaterlande dienen, Muß in Rat und Tat dem Herren Hold und treu sein und gewärtig, Muß ihm beistehn mit Gewicht; Dazu also einen Namen, Einen hohen Baum sich pflanzen, In des Schatten auch der Fremde Ruh und Schutz und Rettung sucht. Muß der Kirche, muß dem Staate Kinder geben, die ihm gleichen; Dies ist mein Gesetz der Ehre, Das Vermählung mir gebeut. Wer das heilge Band der Ehe Flieht, o König, der verleugnet Feige, wie ein Überläufer, Väter und Religion. Er zerreißt den Zaum der Ehre, Trennt das Band, das ihn an Menschen, Das an sein Geschlecht ihn knüpfet Und an andere Geschlechter; Dafür wird er hart gestraft. Den entlaufenen Verächter Straft Verachtung aller Edeln; Jedermann erscheint er nutzlos Und unwürdig seines Stamms. Was das Regiment der Frauen Anbetrifft, o großer König, So ist meine Meinung dies: Sie regieren wie die Diener Über fehlerhafte Herren. Wer zur Decke seiner Mängel Ihrer nicht vonnöten hat, Gegen eine Welt von Feinden Ist er stark und stehet sicher. Sonderlich im Punkt der Ehre Gab kein Weib dem Mann Gesetze, Durft auch nie ihm solche geben; Das Vergnügen ist ihr Feld, Und da mögen sie regieren; Sie verstehn darauf sich besser, Besser, dünkt mich, als die Männer Dies ist meine Meinung, Herr. Und was anlangt ihre Gleichheit, Unterwerf ich mich der Meinung Meines Lehnherrn. Alle taugen Nicht, sobald der Mann nicht taugt. Also nehm ichs gegen alle Auf, zu Roß und auch zu Fuße; Nur behaupt ich: jedes Weibes Fehler ist des Mannes Schuld. Eine Bitte noch, o König, Vor dem Ende des Gespräches: Zur Vermählung mit Ximenen, Waise jetzt des Grafen Gormaz, Bitt aus königlicher Gnade Ich mir die Bewilligung.« An dem Rand der Silberquelle Gingen jetzt sie auseinander, Don Fernando und der Cid. 14. [In der stillen Mitternacht] 14. In der stillen Mitternacht, Wo nur Schmerz und Liebe wacht, Nah ich mich hier, Weinende Ximene, – Trockne deine Träne! Zu dir. In der dunkeln Mitternacht, Wo mein tiefster Schmerz erwacht, Wer nahet mir? Vielleicht belauscht uns hier Ein uns feindselig Ohr; Eröffne mir – Dem Ungenannten, Dem Unbekannten Eröffnet sich zu Mitternacht Kein Tor. Enthülle dich! Wer bist du? Sprich! Verwaisete Ximene, Du kennest mich. Rodrigo, ja, ich kenne dich, Du Stifter meiner Tränen, Der meinem Stamm sein edles Haupt, Der meinen Vater mir geraubt Die Ehre tats, nicht ich. Die Liebe wills versöhnen. Entferne dich! Unheilbar ist mein Schmerz. So schenk, o schenke mir dein Herz! Ich will es heilen. Wie? Zwischen dir und meinem Vater, ihm, Mein Herz zu teilen? – Unendlich ist der Liebe Macht. Rodrigo, gute Nacht. 15. [Als der König Don Fernando] 15. Als der König Don Fernando Von Rodrigo und Ximenen Beider Wort und Treu empfangen, Zu vergessen allen Haß Und deshalb sich vor dem guten Frommen Bischof Luyn Calvo Zu vermählen – denn die Liebe, Sie allein verzeihet ganz –, Gab er, um den Cid Ximenen Gleichzumachen an Vermögen: Valduerna und Saldaña, Belforado und San Pedro De Cardeña gab er ihm. Herrlich ging am Hochzeittage Auf die Sonne. Don Rodrigo, Abgelegt die Waffenrüstung, Kleidet sich mit seinen Brüdern Hochzeitlich und fröhlich an. Echt walloner Pantalone, Mit Scharlach gezackte Schuhe, Fein an Leder; zween Stifte Hefteten sie fest und enge An den kleinen, netten Fuß. Jetzo zog er an die Weste, Eng anliegend, ohne Borten, Dann die schwarze Atlasjacke, Wohlgepufft, mit weiten Ärmeln; (Wenig hatte sie sein Vater Nur getragen.) Auf den Atlas Fiel von ausgezacktem Leder, Breit, anständig, das Collet. Und ein Netz von goldnen Fäden, Eingewirkt in grüne Seide, Schloß sein Haar ein. Auf dem Hute Von Cortrayer feinem Tuche Hob sich eine Hahnenfeder Wunderbarlich hoch und rot. Schön befranst bis auf die Hüfte Reichet ihm die Jazerine, Und um seine Schultern spielet Ausgeplüscht ein Hermelin. Und der unverzagte Degen, Tizonada war sein Name, Er, das Schrecken aller Mauren, Hängt in schwarzen Sammetbändern An dem festen, tapfern Gurt. Ausgezackt, gefaßt mit Silber War der Gurt; ein feines Schnupftuch Wohlgefaltet hing an ihm. So gekleidet, ging der edle Cid, begleitet von den Brüdern, Hin zum weiten Kirchenplatz, Wo der König und der Bischof Und die Herrn des Hofes alle Mit Ximenen ihn erwarten, Mit Ximenen, seiner Braut. Sittsam stand sie da, Ximene; Von elastisch feiner Leinwand Puffte ihre Flügelhaube; Von dem feinsten Londner Tuche, Wohl garniert, war ihre Kleidung, Die von Schultern zu den Füßen Barg und zeigte ihren Wuchs. Auf zwei rosigen Pantoffeln Stand als Königin sie da. Ihren Hals umschlang ein Halsband; An ihm hingen acht Medaillen, Einer Stadt an Werte gleich; Und die reichste unter ihnen, Den San Michael darstellend, Schwer von Perlen und Juwelen, Hing Ximenen an der Brust. So begaben die Verlobten Zum Altar sich; vorm Altare, Eh der Braut die Hand er reichte, Sah er mit dem Blick der Liebe Und sprach zu ihr, tiefbeschämt: »Fräulein, einen Mann von Ehre Leider hab ich Euch getötet; Denn es wollt es Ehr und Pflicht. Diesen Mann geb ich Euch wieder, Und was Ihr mit ihm verloret, Vater, Freund, Verwandte, Diener, Alles geb ich Euch, mit allem Mich Euch, Euren Ehgemahl.« Auszog er den kühnen Degen Vorm Altare, kehrt' zum Himmel Seine Spitze; »Mich zu strafen«, Sprach er, »diene dieser da, Wenn mein Leben lang den Eidschwur Ich verletze, Euch zu lieben Und Euch alles zu ersetzen, Wie ich Euch vor Gott gelobt. – Und nun auf, mein guter Onkel, Luyn Calvo, segnet uns!« 16. [Vom Altar und aus der Kirche] 16. Vom Altar und aus der Kirche Zog die Hochzeitfeier prächtig. Stattlich an Ximenens Seite Ging der König, der Vermählten Vormund; an Rodrigos Seite Ging der fromme, gute Bischof; Dann der Herren langer Zug. Wohl durch einen Ehrenbogen Ging der Zug hin zum Palaste; Ausgehängt aus allen Fenstern Hingen goldgestickt Tapeten, Und den Boden deckten Zweige, Frische Kräuter, Rosmarin. Auf den Straßen, auf den Gassen, Längs hinan bis zum Palaste Tönet in getrennten Chören, Unter Saitenspiel und Cymbeln, Glückwunsch, Freud und Lustgesang. Alvar Fañez (unter allen Freunden Cids ihm stets der erste), Jetzt, von Dienern reich begleitet Und geschmückt mit schönen Hörnern, Zeigt er prächtig sich als Stier. Antolin auf einem Esel, Ihn gleich einem Rosse tummelnd, Martin Pelaëz mit Blasen Voller Erbsen, die er auswarf, Allem Volk zur lauten Lust. Herzlich lacht darob der König, Gab dem Pagen, der den Damen Zum Erschreck den Teufel spielte, Eine Handvoll Maravedis Auszuwerfen unters Volk. Also führete der König Sich zur rechten Hand Ximenen, Und die Königin empfing sie; Hinter ihr die Herrn vom Hofe; Froh und freier ward der Zug. Weizen warf man aus den Fenstern, Daß der Hut des Königs selber, Daß Ximenens Busenkrause Dicht und voll von Weizen lag. Körn nach Körnchen las der König Selbst ihn aus Ximenens Krause Vor der Köngin Angesicht. Alvar Fañez, der es ansah, Rief als Stier: »Wohl möcht ich lieber Statt des Kopfes meines Königs Jetzt besitzen seine Hand.« »Gebt ihm einen Korb voll Weizen«, Sprach der König, »und Ximene, Angelanget im Palaste, Ihr umarmt ihn für den Scherz!« Aber von Ximenens Seele War das taumelnde Gelächter Weit entfernt; sie ist zu glücklich, Als daß sie sich lustig zeige. Mehr spricht ihr gerührtes Schweigen Als die lautste Fröhlichkeit. 17. [Zu dem hochverehrten Sitze] 17. Zu dem hochverehrten Sitze Pedros, den der Bischof Victor Damals einnahm, trat der Deutschen Kaiser, Heinrich war sein Name, Klagend trat er so vor ihn: »Gegen König Don Fernando Von Leon und von Kastilien, Heilger Vater, klag ich hier. Jede Christenmacht erkennet Mich für ihren Herrn und Kaiser; Er verweigert mir die Ehre, Er verweigert uns Tribut. Zwingt ihn dazu, heilger Vater, Zu Erhaltung wie des Glaubens So auch unsrer beider Reichs!« Drohende Befehle sandte Victor jetzt zu Don Fernando, Einen Kreuzzug ihm ankündend, Wenn er nicht dem heilgen Stuhle Und dem Kaisertum der Deutschen Ehr und Gaben willigte. Lange stand Kastiliens König In Gedanken, wohl erwägend, Wenn die Sache fürder schritte, Die Gefahren seines Reichs. Alle rieten nachzugeben, Nachzugeben größrer Macht. Nur der Cid – er war abwesend, In der ersten Zeit der Liebe Schlummernd an Ximenens Brust – Aber als er von der Botschaft Und von Königs Rat gehöret, Eilt' er und sprach zu ihm so: »Ach, zum Unglück Eures Reiches Wäret Ihr geboren, König, Wenn, so lang Ihr lebt, ein andrer Hier geböt in Eurem Reich. Nimmermehr soll es geschehen, So lang Ihr lebt und ich lebe! Denn, o König, jede Ehre, Die Euch Gott gab, zu erhalten, Ist uns, Euren Dienern, Pflicht. Wer Euch anders riet, o König, Riet Euch sonder Überlegung Und vermindert Euren Ruhm. Fodert sie heraus, die Droher! Die Ausfodrung ist des Königs, Die Ausführung ist des Kriegers. Fodert sie! Ich nehm es auf. Denkt, o König, und bedenket, Wir erwarben Euch Kastilien, Wir mit Ehre, Gut und Blut; Eher gäb ich auch mein Leben Hin, eh diese fremden Wespen Zehren sollen unsre Beute, Ernten unsrer Siege Frucht. Denn, o König, gebt Ihr ihnen Etwas, oh, so bleibt Euch – nichts.« Und so führt der unverzagte Cid zehntausend wackre Männer Durch die Alpen hin ins Feld. Ihm entgegen zog Graf Raimond Von Savoyn mit vielen Rossen; Doch der Cid, er schlug den Grafen, Macht' ihn selber zum Gefangnen, Und nur gegen seiner Tochter Geiselschaft gab er ihn los. Auf der Welt das schönste Fräulein, Ward sie Königes Geliebte, Und der Sohn, den sie erzeugten, Ward der Kirche Kardinal. Auch der König der Franzosen Sandt dem Cid ein Heer entgegen, Das er schnell zerstreuete; Da er dann mit seinen Tapfern In Italien also waltet, Daß in Eile Papst und Kaiser, Beide des Tributs vergessend, Botschaft senden zu Fernando, Nur den Cid hinwegzuziehn. Und so kehrete der Feldherr Stolz zurück mit seinen Tapfern. Seine königliche Rechte Reicht, ihm dankend Don Fernando. Oh, wie war der Cid so fröhlich Über seines Königs Dank! 18. [Gen Zamora, wo der König] 18. Gen Zamora, wo der König Eben Hof hielt mit den Edeln, Kamen maurische Gesandte Zum Rodrigo von Bivar. Von fünf Königen der Mauren, Die er einst in Pflicht genommen, Waren sie die Abgesandten, Ihm zu reichen den Tribut. Hundert Pferd Araberstammes, Edle Rosse, drunter zwanzig Weiße, zart wie Hermelin, Zwanzig apfelfarbne, graue, Dreißig rote, dreißig braune, Allesamt mit reichen Decken Überlegt und stolz gezäumet. Für Doña Ximena brachten Reichen Schmuck sie an Juwelen, Zwei kostbare Hyazinthen; Auch zwei Kisten Seidenstoffe, Ihren Knappen zur Livrei. Ehrerbietig, wie Vasallen, Naheten sie ihrem Lehnherrn, Nannten ihn: Gebieter, Cid. »Freunde«, sprach der Cid, »ihr irret; Wo mein Herr, der König, Hof hält, Bin ich selber ein Vasall. Der Tribut, den ihr mir bringet, Er gehöret meinem Herrn.« »Sagt«, erwiderte der König, »Euren Herren, daß ihr Lehnherr Kein Monarch zwar sei, doch leb er Mit Monarchen. Ich besitze Nichts, was ich nicht ihm verdanke, Meinem Feldherrn, eurem Cid.« Also kehrten die Gesandten Rückwärts, ohne recht zu wissen, Wer Vasall und König sei. 19. [Sehnlich wartete Ximene] 19. Sehnlich wartete Ximene In den Sälen ihres Palasts, Sehnlich harrt' sie auf Rodrigo; Denn die Stunde der Entbindung Naht, die grausamsüße Stunde, Ihres Lebens, wie sie hoffet, Freudenreichster Augenblick. Eines Morgens, es war Sonntag, Meldeten sich ihr die Schmerzen, Und es badet sich in Tränen Ihr bescheidnes Angesicht. Seufzend nimmt sie ihre Feder, Manche, manche zarte Klage, Mehr als tausend liebevolle Bitten schreibt sie dem Gemahl, Den sie wohl erweichen könnten, Wenn die Ehre nicht in Felsen Wandelte der Helden Herz. Nochmals nimmt sie jetzt die Feder, Und mit neuer Klag und Seufzen Schreibt sie auch an ihren König, An den edelsten der Welt: »Guter, weiser, großer König, Sieghaft und gerecht und bieder, Eure Dienerin Ximene Klaget vor Euch, über Euch. Scherz nur war es, Don Fernando, Eurer königlichen Laune, Die mir den Gemahl einst gab; Denn wohl wenig junge Frauen Waren weniger vermählet, Als ich bin – verzeiht, o König! Und allein durch Eure Schuld. Diesen Brief schreib ich in Burgos, Wo mein Leben ich verwünsche Und auch Euch viel Böses will; Denn von den Geboten Gottes, Welches gibt Euch Recht, o König, Ehgenossen also lange Sie zu trennen und so oft? Welches gibt Euch Macht, o König, Mir aus einem zarten Manne, Artig, liebenswert, bezaubernd, Aller Welt zum wüsten Schrecken Einen Löwen zu erziehn? Sechs Monate, Tag' und Nächte, Haltet Ihr ihn fest im Zügel, Und wohl einmal kaum im Jahre Sieht er seine Gattin, mich. Und wie kommt er? Blutgebadet Bis zu Füßen seines Pferdes; Wenn ich dann mit meinen Armen Ihn umfange, schläft er ein; Träumet wie ein Wildbeseßner Schlachten, Kämpfe. Kaum noch taget An dem Firmamente drunten Der Aurora frühster Strahl, Ohne mich nur anzuschauen, Ob ich wache, ob ich schlafe, Springt er auf. Mit welchen Tränen, Großer Gott, empfing ich ihn! Vater wollt er mir und alles, Vater und Gemahl mir sein! Alles fehlet der Verlassnen Jetzo, Vater und Gemahl. Tut Ihr dies, um ihn zu ehren, König, des bedarf er nicht. Längst war er der Vielberühmte; Eh am Kinn der Bart ihm sproßte, Waren Könige der Mauren Fünf ihm schon Gefangene. Königlicher Herr, den letzten Augenblick erwart ich bald; Bald wird er Euch Nachricht geben Und ich fürchte fast, die Tränen, Die dem Vater ich vergossen, Schadeten vielleicht dem Kinde, Das an meinem Herzen schläft. Guter König, also schreibet Mir in Eures Herzens Sprache: Wollt Ihr den Gemahl mir senden? Oder wollt Ihr, daß die Gattin Eures ehrenvollsten Feldherrn Ihm den Erstgebornen bringe, Einen Waisen, vaterlos? Nachschrift. Und noch eins, o guter König: Werfet meinen Brief ins Feuer, Daß nicht Eurer Höfling einer Ihn belache! Denkt daran! Und auch daran, Don Fernando, Daß statt meines Ehgemahles Mir nur seine alte Mutter Blieb, die mir zur Seite schläft.« 20. [Zehn Uhr wars am frühen Morgen] 20. Zehn Uhr wars am frühen Morgen, Als der König seinen Schreiber Rief und foderte Papier. Mit vier Punkten und dem Zuge Paraphiert er Kreuz und Namen, Und also antwortet er: »Edle, sittsame Ximene, Meinen Gruß Euch ehrerbietig, Meine Hochachtung und Gunst! Ihr beklagt um den Gemahl Euch Gegen mich, Doña Ximene. Wenn ich ihn zum Nachteil Eurer, Mir zur Lust zurückbehielte, Klagtet Ihr mit vollem Recht; Aber da die Heidenkriege, Die auf meinen Grenzen stürmen, Ihn rückhalten, ist es meine Oder ist es seine Schuld? Daß er nicht in Euren Armen Stets geschlafen, dies beweiset, Edle Doña, Euer Brief. Also glaub ich auch der Furcht nicht, Daß Ihr einen vaterlosen Säugling in dem Schoße tragt. Drängt ihn nicht, zurückzukommen, Euren Ehgemahl! Er hörte, Auch an Eurer Seite hört' er Mit Unlust die Kriegsschalmei. Und wenn er nicht Feldherr wäre; Saget mir, was wärt Ihr beide? Edelmann und Edelfrau. Hatt er Könige der Mauren Fünf als Jüngling zu Vasallen, Wollte Gott, er hätte deren Fünfmal fünf! Denn um so minder Hätte Feinde jetzt mein Reich. Kann er also nicht, Ximene, Bei Euch sein im Augenblicke, Wo Ihr ihn so sehnlich wünscht, So erlaubt mir, edle Mutter, Daß ich seinen Platz vertrete! Denn ich glaub es, nur der König Ist für ihn des Platzes wert. Euern Brief sollt ich verbrennen? Sehen sollen ihn die Lacher Meines Hofes, tief beschämt. Daß Ihr meinen nicht verbrennet, Zeichne ich ihn zum Kontrakte Und verbinde mich, Ximene: Ists ein Sohn, den Ihr gebäret, Geb ich Zelter ihm und Degen Mit zweitausend Maravedis, Ihm, dem Ritter, zum Geschenk; Ist es eine Tochter, setz ich Vierzig Mark an gutem Silber Vom Geburtstag an ihr aus. Und so lebet wohl, Ximene! In der Stunde Eurer Schmerzen Helf Euch die hilfreiche Mutter, Aller Himmel Königin! Nachschrift. Eben kommt, ich hör ihn kommen, Euer ernster, lauter Feldherr, Mir die Lektion zu lesen, Daß ich nicht zu Felde bin.« 21. [Ehren, Glück und Macht und Güter] 21. Ehren, Glück und Macht und Güter, Aller Ruhm und Pracht der Erde, Eine leichte Wasserblase Seid ihr, auf dem Lüftchen schwebend, Einen kurzen Augenblick. Don Fernando, er, der Große – Und mit Recht so zubenamt –, Spaniens Monarch und Kaiser, Liegend auf dem Todesbette, Seine letzte Stund erwartend, Denkt er nur der Ewigkeit. Ausgeteilet hatt er alle Reich und Güter seinen Söhnen. Welche Stimme schallt auf einmal In den traurigen Gewölben Des Palastes? Der Infantin Doña Uraca Stimme ruft. Weinend tritt sie vor den König, Traurend tief im Trauerschleier, Nahet sich dem Bett des Vaters, Fällt aufs Knie vor seinem Bette; Die verehrte Hand ihm küssend, Flehet sie ihn also an: »O mein Vater, unter allen Göttlich-menschlichen Gesetzen Nennet mir, was Euch verbindet, Eure Töchter für die Söhne Zu enterben! Ausgeteilet Habt Ihr Eure Reich und Länder Meinen Brüdern und vergaßet, Vater, und vergaßet mich. Also bin ich Eure Tochter Nicht, Señor; denn wenn ichs wäre, Wär ich auch nur Euer Bastard, Hätte, meiner zu gedenken, Euch erinnert die Natur. Hab ich, königlicher Vater, Diese Schmach um Euch verdienet, Nun, so nennet meine Schuld! Nennet Ihr sie nicht, was werden Fremde Völker von Euch sagen, Sagen alle edle Männer, Wenn sie von dem Unrecht hören, Das Ihr, stets gerechter König, Einer Unbescholtnen tut? Männer, in die Welt eintretend, Bringen, Güter zu erwerben, Kräfte sich und Ansehn mit; Was sie sich erwerben könnten, Müßigen zu hinterlassen, Hieße das nicht, edler Vater, Seine Söhn erniedrigen? Aber sagt: was kann die Tochter, Was kann sich ein Weib erwerben? Hingeworfen auf die Erde, Hat sie nichts als des Gehorsams, Als des Dienens niedern Lohn. Wenn Ihr mich enterbet, Vater, Ohne Land und ohne Boden Muß mich in die Fremde flüchten, Muß – verzeiht ein hartes Wort mir! Eure Härte zu verbergen, Muß die Tochter Euch verleugnen, Weil Ihr sie verleugnetet. Wohl, so geh ich dann als Pilgrim In die Welt. In meinen Adern Wallet königliches Blut; Dessen fürcht ich zu vergessen, Weil mein Vater es vergaß.« Also sprach mit lautem Weinen Die Infantin Doña Uraca. Als sie ausgeredet hatte, Wartete sie auf die Antwort Ihres Vaters, der im Sterben War, des Königs letztes Wort. 22. [Königen den Mund zu schließen] 22. Königen den Mund zu schließen, Darf es oft nur eines Weibes Freier Rede. Don Fernando, Eine Beute jetzt des Todes, Hörend seiner Tochter Klagen, Hatte Kraft genug, zu seufzen Über ihre stolze Kühnheit, Aber kaum genug der Kräfte Zu antworten. Lange sucht' er Worte, bis er also sprach: »Tochter, flössen Eure Tränen, Die Ihr jetzt um eitle Güter Weinet, so um Euren Vater, Sie verlängerten, ich glaub es, Selber noch mein Leben jetzt; Aber da Ihr, stolze Tochter, Hier vor meinem Todesbette Nur um Erdengüter weint, So bedenkt, was nehm ich jetzo Sterbend mit mir aus der Welt? Und ich dank es meinem Schöpfer, Daß er mir, Euch zuzureden, Euch zu reinigen die Seele, Kraft noch und Vermögen schenkt. Graden Weges geht zum Himmel Jetzo, hoff ich, meine Seele; In dem Feuer Eurer Worte Litt sie ihre Läutrung schon; Denn bedenket es, o Tochter: War die Stunde meines Scheidens, Mich noch also zu betrüben, Ein erlesner Augenblick? Eurer Brüder Reich' und Güter Neidet Ihr und wollt nicht sehen, Daß mit dem Besitz ich ihnen Auch auflege Pflicht und Last? Pflicht, die Länder zu beschützen, Last, sie weise zu regieren. Alles des bedürft Ihr nicht. Sie vielleicht sind arm bei vielem, Ihr bei wenigem die Reiche; Denn Personen Eures Standes, Denen niemand gleich sich schätzt, Was bedürfen sie für Reichtum Als, ihr Leben hinzuleben, Eines Klosters Einsamkeit! Freilich seid Ihr meine Tochter, Denk ich, aber eine Eitle; Wohl dacht ich an Eitelkeiten, Als ich Euch erzeugete. Euch trug eine edle Mutter; Aber eine böse Amme (Denn das zeugen Eure Reden) Säugte Euch mit schlechter Milch. Drohet Ihr, in fremde Lande Euch zu flüchten: wer, o Tochter, So der Zunge läßt den Zügel, Reißet auch der Ehre Zaum; Längst hatt er ihn schon zerrissen, Als er so verwegen sprach. – – Leichter wird mirs, der Verwirrung Eures Kopfes zu gedenken, Tochter, als daß meines Blutes Also Euer Herz verdarb. Euch, die Schwestern, sollten Eure Brüder – dieses war mein Wille – Unterhalten; jetzt befehl ich, Um mit mir den Segen aller Meiner Kinder mitzunehmen, Jetzt befehl ich – höret mich: Arm will ich Euch nicht verlassen, Seit Ihr, was Ihr sprachet, spracht. Edel ist Dein Blut, Uraca, Doch ich kenne Dein Geschlecht. Also meine Stadt Zamora Laß ich dir, die wohlverwahrte, Wohlbevölkerte. Dich werden Tapfre Männer in ihr schützen Und dir solche Ehr erzeigen, Daß der Ehre zu gedenken Du durch sie gezwungen wirst. Ob mich deine jüngste Schwester Gleich mit keinen Bitten anging, Setz ich ihr, wie dir Zamora, Das Gebiet von Toro aus. Dieses ist mein ernster Wille; Und wenn meiner Söhne einer, Euer Erbteil Euch zu rauben, Je gedenkt, dem geb ich meinen Schwersten väterlichen Fluch!« Alle, die den König also Reden hörten, sprachen: »Amen! Fluch dem Räuber seiner Schwestern! Schrecklich treff ihn Tod und Fluch!« Don Garzia, Don Alfonso Sprachen Amen; doch Don Sancho, Er allein in der Versammlung Vor dem Bett des Vaters – schwieg. Geschichte Cids, Grafen von Bivar, unter König Don Sancho 23. [Lärm und Schlachten, Blut und Feuer] 23. Lärm und Schlachten, Blut und Feuer, Kriegesstimmen allenthalben, Trommeln, Pauken und Drommeten Schallen in Kastilien laut. Denn kaum hatte mit den Brüdern Seines Vaters Sarg Don Sancho. Mitbegleitet an die Gruft, Steigt er auf sein Roß, und blasen, Blasen läßt er allenthalben Gegen seine Brüder Krieg. Die Vasallen seines Reiches Bot er auf; nicht seine Rechte An der Brüder Land zu prüfen, In das Treffen sie zu führen, Rief er sie bei Ehr und Pflicht. »Ach, Rodrigo«, sprach Ximene, »Also hast du sie beschlossen, Meine Leiden! Eins von beiden Soll ich missen, Eins aufgeben – Wohl mein Leben Oder mindstens die Geduld. Meiner Treue mich zu rühmen Stehet mir nicht an; der Liebe Ist treu sein die schönste Pflicht. Nur wie dürft Ihr mir, der Treuen, Mir, der Liebenden, Rodrigo, Von so langem Abschied sagen? Ach, beschlossen ists, beschlossen, Eins von beiden Soll ich meiden, Eins aufgeben – Wohl mein Leben Oder mindstens die Geduld. Wenn ich Euch verehrend liebe, Denkt Ihr nicht daran, Rodrigo, Daß die Zeit ja alles, alles Rückwärts führe? Daß im Herzen Auch der tiefsten Liebe Wurzel Sterbe, wenn man sie nicht pflegt? Zwar ist dies Euch keine Drohung; Denn in Worten wie in Taten Kann Ximene den Rodrigo Nie beleidgen. Eifersüchtig Könnte sie als Kind nur – sterben. Ja, es ist, es ist beschlossen! Eins von beiden aufzugeben, Die Geduld oder mein Leben. Undankbare Männerherzen! Euch entflammt der Weiber Leichtsinn; Die Beständigkeit des Weibes Tötet Eurer Liebe Glut. Kennten wir Euch recht, Ihr Männer, Würden wir Euch je vertraun? Sprich mir auf dein Herz, Rodrigo: Denkst du noch an jene Schwüre, An die süße Schmeicheleien, An die Tränen und Gelübde, Die du einst mir treu gelobt? Alles ist dir aus der Seele, Aus dem Herzen dir verschwunden; Wie ein Lüftchen überm Sande Hat die Zeit es fortgeweht.« – Zärtlich küssete Ximenens Angesicht der tapfre Feldherr, Schwur ihr auf den Griff des Degens, Schwur ihr, treu zurückzukommen, Sei's lebendig oder tot. 24. [Lange führeten die Brüder] 24. Lange führeten die Brüder, König Sancho in Kastilien, In Galizien Don Garzia, An der Reiche Grenzen Krieg. Endlich trafen sie zusammen; Und von beiden Seiten fielen Tapfre Männer, bis Don Sancho, Sancho selbst gefangen ward. Nahe wars, daß, der mit Unrecht Krieg begonnen, ihn mit Schande Endigte; denn unter allen Streitenden war König Sancho Wohl an Leibeskraft der Stärkste, Doch der Feigeste an Mut. Alvar Fañez, er, der erste Freund des Cid, kaum sieht den König Er gefangen, drängt er stürmend An den Platz des Unglücks ein. »Laßt den König, ihr Verräter!« Ruft er wütend, und sie flohen, Die harten Asturier. Frei stand also König Sancho. Doch die Schlacht, sie war verloren; Übrig waren dem Befreiten Kaum sechshundert Kastilianer. Wie? Sechshundert Kastilianer? Für die ganze weite Erde Sind sie gnug, wenn Cid sie führt! An kommt er. Auf seinem Rosse, Als ihn Sancho kommen siehet, Ruft er laut zu seinem Heer: »Auf, von neuem in das Treffen! Bald ist jetzt das Schlachtfeld unser, Denn der Cid ist da! Willkommen, Cid! Ihr kommt zu rechter Zeit.« Ernst antwortet ihm Rodrigo: »Und Ihr, Herr, zu sehr unrechter Trafet Ihr auf diesen Platz. Besser wäret Ihr am Grabe Eures Vaters stehngeblieben, Betend, mit gefaltnen Händen, Als im ungerechten Kriege Mit dem Bruder einzuernten Eures Vaters harten Fluch. Ungern nehm ich Don Garcia Jetzt gefangen; für die Ehre, Für den Dienst muß ich es tun, Muß ihn nehmen oder sterben Als ein Kriegsmann. Euch, o König, Bringet hier in diesem Felde Weder Sieg noch Niederlage Ruhm; Euch schändet dieser Krieg.« Eben trat Garcia singend Auf den Kampfplatz, tief unwissend, Was geschehn war und geschah. Stracks erklangen die Drommeten, Die Drommeten und die Zinken; Neue Brüderschlacht begann. Und in Mitte seiner Edlen Ward Garcia bald gefangen. »Ach, was tut Ihr, edler Cid?« »König, was für Euch ich täte, Wenn Ihr mein Gebieter wäret. Jetzt will es das Schicksal also; Unterzieht Euch ihm, wie ich!« 25. [Als Don Sancho seinen Bruder] 25. Als Don Sancho seinen Bruder, Den gefangenen Garzia, In den festen Turm von Luna Eingesperret – wie ein Sperber, Der den ersten Raub gekostet, Jetzt nach reicherm, größerm Raube Dürstet und nach wärmerm Blut, Warf auf seine jüngste Schwester Sancho sich; er schleppt' Elviren, Wie die schwache Taube wehrlos, Aus dem ihr verliehnen Toro Gen Burgos ins Kloster hin. Jetzt entblößet Don Alfonso, König von Leon, die Spitze Seines Degens und verkündet Laut der Welt und offenbar: Aus Ehrfurcht für seinen Vater Und sich selber zu beschützen, Unternehm er diesen Krieg; Doch nicht gegen seinen Bruder, Einzig gegen den Beschützer Eines niederträchtgen Räubers; Der Beschützer heiße Cid. Denn sprach er, ›die Bösen müßten Abstehn von den Freveltaten, Wenn zu solchen kein Rechtschaffner Ihnen diente; denn der Beste Wird im Dienst der Bösen schlecht.‹ »Rede jetzt«, sprach König Sancho, »Perle meines Reiches, rede! Ziehet er nicht gegen mich?« »Gott ists, der uns alle richtet!« Sprach der Cid. »Doch wollt Ihrs wissen, König und mein Herr, so sag ich: Euer Bruder, weil er recht hat, Eilet er vorjetzt – zum Unglück.« »Auf! Zu Waffen!« rief Don Sancho, »Fliegt, ihr Fahnen! Fliegt, Paniere! Seht, es kommen die Leoner! Löwen der Standarten kommen, Doch nicht Löwen, die sie tragen; Und wir haben für sie Türme, Türm und Schlösser zum Gefängnis.« »Auf!« He! Cid ihm in die Rede, »Auf, weil man an mich dann will!« »Gott genad ihm, wer an dich will, Braver Cid, du Blume Spaniens, Spiegel echter Ritterschaft!« Also zogen sie zum Kriege; Don Alfonso ward gefangen, Und gefangen ward Don Sancho, Jener von den Kastilianern, Von den Leonesen dieser, Und noch wankt das Glück der Schlacht. Als der Cid auf seinem Rosse Lossprengt auf den Haufen Krieger, Der Sancho umschlossen hielt, »Fangen oder hangen!« rief er. »Nicht das eine, nicht das andre, Guter Cid!« ward ihm zur Antwort. »Fangen oder hangen!« rief er, Und sein König stand befreit. Don Alfonso blieb gefangen, Ward gesperret in ein Kloster, Wo ihn bald, zum Dank der Ehre, Die dem Cid er laut erzeigt, Doña Uraca ihn ins Freie Fördert, daß er gen Toledo Hin zu Ali Maimon floh. 26. [Auf Zamora geht der Feldzug] 26. Auf Zamora geht der Feldzug, Auf die feste Stadt Zamora. Zahllos ist das Heer der Krieger, Zahllos Königes Entwürfe. Tapfrer Cid, du edler Feldherr, Vor Zamora ziehest du? Unterweges spricht der König Zu ihm: »Freilich, ausgehauen Ist die Stadt wie aus dem Felsen, Der ihr anliegt wie ein Panzer. Dick wie eines Mannes Länge Ist die Dicke ihrer Mauern; Und die Türme dieser Mauern, Ihre Festen aufzuzählen, Foderte wohl einen Tag. Abzuleiten den Duero, Der sie einschließt wie ein Mädchen, Ist ganz über Menschenmacht. Übergäbe mir Zamora Meine Schwester, Cid, so hätt ich Eine Festung, in ganz Spanien Wär ihr keine Feste gleich. Guter Cid, von meinem Vater Als ein Kleinod mir vererbet, Eidlich mußten wir versprechen, Lebenslang Euch hoch zu ehren Und zu folgen Eurem Rat; Guter Cid, du unsres Hauses Säule, tu es mir zuliebe, Bringe Botschaft nach Zamora, Fodre es von meiner Schwester, Fodre es zum Tausch um alles – Doch vergiß nicht beizufügen, Wenn sie mir die Bitte weigert, Daß ich nehme, was ich bat!« »Freilich weiß ich nicht«, antwortet Ihm der Cid, »je mehr die Mauren Von Zamora ich betrachte, Desto kühner, desto stolzer Scheinen sie mir dazustehn.« »Recht«, spricht Sancho, »recht geredet! Dieses sind die ersten Mauern, Die nicht deinem Anblick zittern.« Und je näher Cid der Stadt kam, Ging sein muntres Roß Babieca Langsam und hing seinen Kopf. 27. [Trauer war noch in Zamora] 27. Trauer war noch in Zamora Um den Tod des großen Königs Don Fernando, tiefe Trauer. Überhängt mit schwarzen Tüchern Waren Kirchen und Altäre; Kein Gesang, kein Ton der Freude, Auch kein Instrument der Liebe Ließ sich hören auf den Gassen. Die Infantin Doña Uraca, Schmerzlich bitter weinte sie Um den Tod des großen Vaters, Um den Gram, den sie ihm sterbend Noch in seiner letzten Stunde Zugefügt, um seine Güte, Um das Unglück ihrer Schwester, Der vertriebnen Doña Elvira, Um das Unglück ihrer Brüder, Don Garzia, Don Alfonso; Und – wer sollt und könnt es glauben? Noch beweint im tiefsten Herzen Einen andern Wunsch Uraca. Den Verlust wird sie beweinen, Wenn sie jeden längst vergaß. Denn dem Glück, geliebt zu werden, Gleicht kein ander Glück auf Erden; Die geliebte Schäferin, Sie allein ist Königin. In dergleichen Gramgedanken Tief versenket saß Uraca, Als auf einmal vor den Toren Von Zamora Cid erscheint. 28. [Grad einreiten in Zamora] 28. Grad einreiten in Zamora Will der Cid, als ihn die Wache, Ihn mit seinen funfzehn Kriegern Anhält draußen vor dem Tor. Laut und lauter wird der Lärmen, Lauter das Geschrei der Straßen, Bis es zur Infantin drang. Und in ihren Trauerkleidern Eilet schnell sie auf die Mauer, Als – das Schrecken von Kastilien – Sie den Cid da vor sich sieht. Ihre schönen Augen netzen Tränen; an die Mauer drücket Sie die Brust, enthüllt ihr Antlitz, Und vorbreitend ihre Arme, Rufet sie ihm furchtbar zu: »Da du uns zu Feinden haben wolltest, Warum klopfest du an unsre Tore? Da durch dich wir hier im Jammer leben, Warum kommst du und was willst du weiter? Da, der Freundschaft Maske weggeworfen, Du dem Unrecht deinen Arm geliehen – Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo! Deine Ehre ist verloren! Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid! Seit er seinen Eid an mir gebrochen, Den er zuschwur einer Königstochter, Mich zu schirmen, mich, die einst ihn liebte Und noch jetzt sein Bild in diesen Mauern Ehrt, in Mauern, die er kommt zu stürmen, Seit, von seinem neuen Glücke trunken, Er vergaß die schönen Jugendtage, Die an meines Vaters Hof er lebte – Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo! Deine Ehre ist verloren! Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid! Dem mein Vater Ritterwaffen reichte, Meine Mutter selbst den Zelter zuführt', Ich anschnallete die goldnen Sporen, Knieend auf dem Marmor. Er bemerkte Damals nicht, was jedes Mädchen merket; Er vergisset, was er war, und denkt nur, Was er ist. Auch ich, so manches dacht ich, Was der Himmel mir um meiner Fehler Willen nicht vergönnte. Meine Eltern Hoben ihn; er stürzte mich hernieder. Weil ich denn um seinetwillen weine Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo! Deine Ehre ist verloren! Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid! Ich, ein Weib, dazu noch jung und zärtlich, Kann ihm zwar kein Leid vom Himmel wünschen; Hat er mich mit seinem Stolz beleidigt, Hat er innig mir das Herz verwundet, Kommen von ihm alle meine Leiden, So komm auf ihn meine Güt und Gnade! Ich verzeih ihm. Er darf mich beleidgen Ohne Strafe; denn des jungen Ritters, Seiner, in der prächtgen Kirche zu Coimbra, Werd ich stets gedenken. – Aber dennoch, Daß er nicht den Bruch des Eids verhindert, Den Don Sancho meinem Vater zuschwur, Daß er seinem Raube nicht gewehret, Der dem Don Garzia, Don Alfonso Ihre Reiche nahm; der eine schmachtet Im Gefängnis, der andre mußte Zu Ungläubgen fliehen, zu den Heiden. Daß Don Sancho meiner armen Schwester, Die im Kloster jetzt von Milde lebet, Toro, ihr rechtmäßig Erbteil, raubte Und der Cid auch dieses ihm nicht wehrte; Daß mein Bruder nicht und auch der Cid nicht Tief erröten, mich hier zu bekämpfen, Mich, die Schwester, mich, ein schwaches Weib nur, Die zu Waffen nichts sonst hat als Tränen – Deshalb – Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo! Deine Ehre ist verloren! Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid!« Also sprach, gepreßt den Busen An die Mauer, Doña Uraca; So antwortet sie dem Cid. Er, betroffen von der Antwort, Hält verworren; dann auf einmal Lenkt er um sein Roß Babieca: »Rückwärts!« höret man ihn murmeln, »Rückwärts!« zwischen seinen Lippen, Reitend nach dem Lager stumm. Und so kommt er von Zamora Wohl von manchem Pfeil verwundet, Der, auch ohne Spitz und Eisen, Tief im Herzen bohrend glüht. 29. [Stillversunken in Gedanken] 29. Stillversunken in Gedanken, Gab der Cid, als von Zamora Jenes Tages er zurückkam, Stracks gab er dem König Sancho Rechenschaft von seiner Botschaft, Der ihm diese Worte sprach: »Solches ist der Könge Schicksal, Wenn sie mit zu wenig Klugheit Zu viel Ehr erzeigen einem, Einem stolzen Untertan. Ihr, Graf von Bivar, ich weiß es, Jenen kecken Zamoranern Rietet Ihr den Ungehorsam Und das Widerstreben an. Eure Weisheitsregeln kenn ich; Fortan sind sie nicht die meine, Und zu meinen Füßen läge Augenblicks hier Euer Kopf, Hätt ich es nicht meinem Vater, Ich mit allen meinen Brüdern, Auf sein Haupt zuschwören müssen, Euch zu ehren. Fort dann, fort Aus Kastilien! Weg aus allen Meinen Reichen!« »Auch aus denen, Die ich Euch erobert habe? Oder nur aus denen Reichen, Die ich, König, Euch erhielt?« »Fort aus allen!« Don Rodrigo, Der gedankenvoll erst dastand, Lächelte, sah ruhig um sich Und – bestieg sein Roß Babieca. Todesstille herrscht im Lager; Denn der Cid – er ist hinweg! 30. [Ein Geräusch von Waffenrüstung!] 30. Ein Geräusch von Waffenrüstung! Pferdetritt', Galopp, Galoppe! Zween Zamoraner Ritter Sind es, von der ersten Bravheit. Längs dem Ufer des Duero Reiten sie mit grünen Schilden; Füchse reiten sie, die Degen Sind von braunem, scharfem Stahl. Wohlgewaffnet, auf dem Sattel Fest und leicht, wie Hasen sprengen Sie hinauf dort jenen Hügel, Und im Augenblicke stehn sie Vor den Kastilianerfahnen Also nah, daß man sich hört. Einer ist ein alter Ritter, Arias Gonzalo sein Name, Weitbekannt. Zwei Gegner sind ihm Wie ein Haar aus seinem Bart. Neben ihm der junge Ritter Ist sein jüngster Sohn; er scheute Wohl auch nicht den dritten Mann. Unverzagt, sobald sie hörbar Reden konnten, rufen sie: »Sind im königlichen Lager Zwei der Ritter, die mit zweien Zamoranern ihre Lanzen Brechen wollen, sind wir da, Sie zu lehren: König Sancho Sei kein Edelmann, indem er Seiner Schwester das zu rauben Kommt, was ihr der Vater gab. Tun dabei Verzicht auf jede Ritterehr und Königsladung, Nie zu sitzen einem Edlen An der Seite, nie von Frauen Zu empfangen Lieb und Gunst; Tun Verzicht auf dieses alles, Wenn mit zweien Lanzenstößen Wir den Platz von unsern Gegnern Nicht geleert. Wenn zwei sich fürchten, Mögen drei und vier und zwanzig Selbst auch mit dem Teufel kommen, Nur mit einem nicht – dem Cid!« Als zwei Kastilianergrafen Hörten diese kühne Fodrung, Wie die Löwen brüllten sie: »Wartet, Ritter, zwei Miauten, Anzulegen uns die Waffen!« Indes sie sich also rüsten, Sprach der alte Zamoraner, So sprach er zu seinem Sohn: »Rückwärts sieh dich um, o Jüngling! Auf den Mauern, auf den Türmen Von Zamora sehen Frauen Und Jungfrauen auf uns her; Nicht auf mich, der alt und grau ist, Aber auf den jungen Ritter, Den mannhaften, schauen sie. Führest du dich wohl, so gäb ich Für mein Landgut nicht die Bänder, Die man dir verehren wird. Gegenteiles stürb ich lieber, Als die Spötterein zu hören, Die sich rüsten deinem Ohr. Fest im Bügel! Halt die Lanze Grade vor dich! Auf den Schild! Halt dein Roß zum Angriff fertig! Wer im Kampf den ersten Stoß tut, Hat das halbe Werk getan. Sieh, da kommen siel Wohlauf dann! Siegen oder sterben, Sohn!« Sieg war Ausgang ihres Kampfes. Allen Damen in Zamora Hoch zur Freude wirft der Jüngling Seinen Feind mit einem Stoß Um und um; des Alten Gegner Flog vor seiner starken Lanze Zehn Schuh weit von seinem Roß. In die edle Stadt Zamora Zogen jetzt als Überwinder Ein der Vater und Sohn. 31. [Sehr verlegen war Don Sancho] 31. Sehr verlegen war Don Sancho Vor Zamora, sehr verlegen. Nahen konnten seine Krieger Nicht der Stadt; doch aus Zamora Naheten oft seinem Lager Stolze Ritter, trotzigkühn. Endlich traten alle edlen Kastilianer vor den König: »Großer König, nimmer werden Wir Zamora nehmen, nimmer, Hilft uns Gott nicht und der Cid! Euch, o König, ausgenommen, Wiegen alle wir zusammen Ihn nicht auf. Er überwiegt.« Also sendete der König Don Diego von Ordoña, Aufzusuchen und ins Lager Rückzuführen ihn, den Cid. Wenn ein Herr auch unrecht zürnet, Muß ihm der Vasall gehorchen; Wenn ein König sich entschuldigt, Muß er treu ihm sein und hold. Als Don Sancho von Rodrigos Rückkehr hörte, zog er freudig Ihm entgegen, weit hinan. Wenn ein König unrecht zürnte, Muß er sich zur Ehrerstattung Zwingen mit Erniedrigung. Kaum ersahe Cid den König, Sprang er schnell von seinem Pferde; Um so mehr beschämt es diesen, Daß Cid sich erniedrigte. »Bald nun nehmen wir Zamora«, Sprach der König. – »Und ich sage Nochmals: nehmt Euch vor Zamora, König, nehmet Euch in acht!« Pfeifen, Trommeln, Klarinetten Künden an dem Kriegeslager Cids Zurückkehr. Des Don Sancho Ohren ärgerte der Lusthall; Doch sein Mund – er sprach kein Wort. 32. [Hüte, hüt dich, König Sancho] 32. Hüte, hüt dich, König Sancho, Vor Verrätern! Vor Verrätern Hüte jeder sich, am meisten Wer Gewalt und Unrecht tut. Aus dem Tore von Zamora Eilt heran Bellido Dolfoz, Seht, wie er sein Roß dort spornet! Seht, er eilt zu Königs Zelt. »Großer König, Gott beschütze Eure Waffen!« spricht Bellido. »Gott beschütz Euch!« spricht der König, »Edler Mann, was führt Euch her?« »Eur Vasall bin ich geboren, Hoher König«, sprach Bellido, »Unter Euren Fahnen stritt ich, Unter ihnen blieb mein Herz. Als ich dieses in Zamora Frei bekannte und Zamora Riet, an Euch, an Euch, den Herrn, Willig sich zu übergeben, Droht mir Gonzalo, der alte Arias drohet mir den Tod. Da ich drinnen nichts vermochte, Komm ich, Euer pflichtverbundner Kastilianer, hier ins Lager, Sichern Weges Euch, o König, Einzuführen in die Stadt. Einen engen Gang der Mauer Kenn ich, eine kleine Öffnung-« Als er also im Gespräch war, Zeigte auf dem nächsten Bollwerk Sich der edelste der Krieger, Arias Gonzalo, und rief: »Sei es Euch gesagt, o König, Euch gesagt, ihr Kastilianer: Ein Verräter ist entwichen Aus der Stadt, er heißt Bellido. Vier Verräterein beging er; Wenn er Euch die fünfte zufügt, Keinem edlen Zamoraner Rechnets an! Ihr seid gewarnt.« Hüt dich, hüt dich, König Sancho, Vor Verrätern! Vor Verrätern Hüte jeder sich, am meisten Wer Gewalt und Unrecht tut! »Glaubet nichts davon, o König«, Sprach Bellido, »was der Alte, Euch Mißtrauen zu erregen, Dorther von der Mauer ruft! Wohl weiß er, daß ich die Öffnung Und den Gang der Mauer kenne; Und dann weiß er auch sein Schicksal.« »Ja, Bellido«, sprach der König, »Ich kenn ihn als einen stolzen, Einen unbiegsamen Mann. Ungern küßt' er mir die Hand einst. Auf, wohlauf dann zu der Öffnung, Zum geheimen Mauergang!« »Jetzt, o König, würde jeder Uns mit seinen Augen folgen –« »Wohl dann, so gescheh es später!« »Und am besten wärs, o König, Erst die Lage zu besehen; Ihr und ich, wir gehn allein.« Eh sie gingen, stellt der König All sein Heer hin in die Waffen; Schwören sollten alle Führer, Nichts zu schonen in Zamora, Keinem Flehn zu geben nach. Als der Cid so schwören sollte, Sprach er: »Meine Männer werden Wie des Mannes Freunde kämpfen, Der nichts fürchtet; allenthalben Werden sie mich vorwärts sehn. Aber, abgelegt die Waffen, Schwör ich bei dem Himmel droben, Gegen die erhabne Schwester Meines Königes den Degen Nie zu zucken! Hört den Schwur!« Einen Wurfspieß in die Rechte Nahm der König, und sie gingen. Längs dem Ufer des Duero Sah man lang sie vorwärts gehn, Bis auf einmal sich Bellido Hob und mit dem Dolch den König Zehnmal in den Rücken stieß. Fallen sah man den Monarchen, Todverwundet, doch nicht tot. Vor Verrätern, vor Verrätern Hüte jeder sich, am meisten Wer Gewalt und Unrecht tut! Unbewaffnet, wie er dastand, Schwang sich auf sein Roß Rodrigo, Einzuholen den Verräter. An die Pforte von Zamora Sprengt' er, ach, als sich die Pforte Eben hinter dem Verräter Schloß. »Oh, zeuge mirs die Erde Und der ganze weite Himmel«, Rief er, »wie ich mich verwünsche Jetzt um einen Augenblick! Hätt ich Sporen, ach, ich wäre Vorgekommen dem Verräter, Hätt ihn hier am Tor ergriffen, Ihm gegeben seinen Lohn!« Todverwundet trug den König Man ins Lager; alle sprachen Zu ihm, und ein einzger nur Sprach die Wahrheit, die ihm diente, Ein bejahrter Rittersmann: »König, denkt an Eure Seele, Sonst an nichts mehr auf der Welt!« Sterbend seufzete Don Sancho, Als der edle Graf von Cabra Diese Worte zu ihm sprach: »Ach, der Könge hartes Schicksal, Daß, wenn man sie nicht mehr fürchtet, Dann nur ihnen Wahrheit spricht!« »Auch zu andern, andern Zeiten Sagt man ihnen wohl die Wahrheit; Aber sie, sie hören nicht«, Sprach der Cid; er sprach es leise, Daß er seines Königs Seele Scheidend nicht beleidigte. 33. [Sterbend noch die letzten Blicke] 33. Sterbend noch die letzten Blicke Hingekehret gen Zamora, Liegt der König bleich und tot. Um den blutgen Körper stehen Ringsum seine besten Ritter; Alle schweigen, tief verstummt. Traurig, doch mit edler Stimme, Bricht der Cid das tote Schweigen Und geleitete die Seele Seines Herrn mitleidig so: »Unglück-unglückselge Stunde, Als Ihr wider meinen Willen Hieher vor Zamora zogt! König, wer Euch das geraten, Scheute weder Gott noch Menschen, Hieß Euch das Gelübde brechen Eurer heilgen Ritterpflicht. Jetzt erscheint Ihr vor dem Richter, Der Euch die, die Ihr bekriegtet, Ernst als Eure Schwester zeigt, Die ihr Leben, die ihr Erbteil, Das Ihr ihr abdringen wolltet, Gegen Euch verteidigte. Ihr, das Schrecken aller Eurer Brüder, Schwestern, Untertanen, Was seid jetzt Ihr? Eine Handvoll Staubes, die indes wir ehren, Ehren wolln mit aller Macht. Krieger, eh der Tag sich endet, Muß ein Ritter vor Zamora, Auszufodern alle wegen Schändlicher Verräterei!« Sprach es; doch niemand erhob sich; Alle, scheint es, alle fürchten Arias Gonzalo und seiner Vier berühmten Söhne Mut. Alle heften ihre Blicke Auf den Cid, der weiterspricht: »Krieger«, sprach er, »meinen Eidschwur Wisset ihr, mich nie zu rüsten Gegen dies Zamora; doch Einen Mann will ich euch nennen, Als wählt ich ihn für mich selbst.« Don Diego von Ordoña, Der dem königlichen Leichnam, Wie abwesend in Gedanken, Traurigstumm zu Füßen saß, Er, der Ritterschaft von Lara Blühnder Ruhm, erhob die Stimme Mit unmutgem Laute so: »Hat«, sprach er, »der Cid geschworen, Was er wohl nicht schwören sollte, So entbrech er sich, uns einen Herzunennen, den er wählt! Viele Ritter hat Kastilien Wie den er uns nennen würde, Und – doch ohn ihn zu verachten – Ritter selbst wie er, der Cid. Wer die Fodrung gen Zamora Bringt und sie besteht, bin ich!« Damit griff er zu den Waffen Und hinaus, hin vor die Mauer. Da, mit aufgehobnen Händen Und mit fürchterlicher Stimme – Seine Augen flammten Feuer Zorns und Ehre – sprach er so; »Ihr, meineidige Verräter, Niederträchtge Zamoraner, Memmen! Denn das seid ihr alle, Seit ihr einer feigen Memme, Einem niedrigen Verräter, Meuchelmörder meines Königs, Dem Bellido Zuflucht gabt; Denn Verräter ist der selber, Welcher die Verräter schützt. Ins Gesicht nenn ich euch solche, Eure Vorfahrn, euren Abstamm Und das Brot, das ihr genießet, Und das Wasser, das ihr trinkt! Daß ihrs seid, will ich beweisen: Komme einer gegen einen, Einer nach dem andern fünf! Diego Ordoño ist mein Name, Unbescholtnen Bluts, aus Lara; Und ich werf euch Zamoranern Nicht, weil ihr ihn nicht verdienet, Meinen Handschuh hin; ein Pferdhaar Werf ich euch hin statt des Handschuhs, Gieß aus dieser Tintenflasche Schwarze Tint euch ins Gesicht.« Arias Gonzalo, der Edle, Gab herunter von der Mauer Ihm zur Antwort, kalt und fest: »Ist es, was du redest, Wahrheit, Lara, oh, so wär ich lieber Nie geboren; doch ich nehme Deine Fodrung an und hoffe, Dir mit Gott es zu beweisen, Daß du, ein Verleumder, lügst!« Damit stieg er von der Mauer, Und versammlend alle edlen Zamoraner, sprach er so: »Tapfre Krieger, Zamoraner, Die das ganze Weltall ehrt, Findet unter euch sich einer In den Schandverrat verflochten, Nenn er sich und tret hervor! Lieber will in meinem Alter Ich auf fremder Erde sterben, Tief versteckt in Dunkelheit, Als um niederträchtgen Mordes Willen auf geschloßnem Felde Überwinder sein im Kampf.« »Feur vom Himmel falle nieder Und verzehr uns«, riefen alle Zamoraner, »wenn ein einzger Von uns auf die mindste Weise Teilhat an der Freveltat! Fechten könnet Ihr mit gutem, Redlichem Gewissen, Graf.« 34. [Auf die Foderung des edlen] 34. Auf die Foderung des edlen Don Diego Ordoño Lara, Mehr von ihres Bruders Tode Als vom Vorwurf auf Zamora Tief betroffen und verwirrt, Rief in größter Eil zusammen Doña Uraca ihren Rat. Niederträchtge nur verschonet Feige Niederträchtigkeit; Auf die edelsten Gemüter Spritzet sie zuerst ihr Gift. »Warum zögert dann der Alte?« Murmelt in der Ratsversammlung Der und jener. »Nicht aus Kleinmut; Zögert er wohl aus geheimem Mitbewußtsein des Verrats?« Niederträchtiger, du lügest! Murmelnd bleibe die Verleumdung, Daß er wohl aus Mitbewußtsein Zögre, dir in deinem Bart! In den Saal der Ratsversammlung Tritt mit allen seinen Söhnen Majestätisch ein der Graf, Ganz in schwarze Trauerkreppe Eingekleidet, als beweinten Die begrabne Ehre sie. Vor der königlichen Tochter Ließ der Greis aufs Knie sich nieder, Und also sprach er zu ihr: »Königstochter und ihr edlen Helden dieser Ratsversammlung! Don Diego Ordoño Lara – Seinen Namen nur zu nennen, Ist zum Ritterruhm ihm gnug –, Statt des Cids ist er erschienen, Uns des Mordes an dem Könge Von Kastilien laut zu zeihn. Diese Schmach von uns zu wälzen, Stell ich mich und meine Söhne. Nicht mehr ist es Zeit zu sprechen, Zeit ist es, das Schwert zu zücken; Schon zu lange säumten wir.« In dem Augenblick zerriß er, Er und seine vier Begleiter Ihren Trauerschmuck; in blanken Waffen standen sie gerüstet, Alle fünf gerüstet da. Niedersenkten sich die Häupter Der erst murmelnden Versammlung; Aus dem Auge der Infantin Flossen Tränen. Arias sprach: »Und nun, edelste Infantin, Würdigt mich und meine Söhne, Anzunehmen sie als Kämpfer Für die Ehre von Zamora, Mich, den Greis, als ihren Rat! Ihren Mangel an Erfahrung Heb und stütze Eure Gnade; Des zum Zeichen reichet ihnen Eure königliche Hand! Eine leichte Gunst wie diese Ist der Sporn für edle Krieger; Für gemeine ists der Sold.« Huldreich reichte die Infantin Den vier jungen edlen Kriegern Ihre königliche Hand. Feuer drang in ihre Adern, Stärke drang in ihre Glieder Aufbrach die Versammelung. 35. [Und mit Tränen in den Augen] 35. Und mit Tränen in den Augen, Unaussprechlich rührend flehte Die Infantin Doña Uraca, Den ungleichen Kampf zu meiden, An den väterlichen Greis. »Trätet Ihr dem Cid entgegen«, Sprach sie, »ach, der edle Cid Wüßte sein und unsre Ehre, Beide rettend, zu verbinden; Aber Lara, unversöhnlich Dürstet er nach unserm Blut. Und Ihr, in so hohen Jahren, Nach so viel bestandnen Kämpfen, Wollt Ihr Eurer mich berauben, Edler Greis? Oh, so bedenkt, Was Ihr meinem Vater schwuret: Nie mich zu verlassen, nie! Ach, hätt es gewollt der Himmel, Daß der Cid –« »Wie dann, Infantin? Daß der Cid –« »Vom Undankbaren Freilich sprechen wir zu viel. Doch versprecht mir –« »Was versprechen?« – »Wenigstens zuletzt zu kämpfen –« »Ich – zuletzt? Wie dann, Infantin? Habe nicht ich auf der Mauer, Ich den Schimpf empfangen, ich? « – »Unbiegsamer, lasset Eure Jungen Söhne vor Euch streiten –« »Wenn sie fallen, denkt, Infantin, So verlieret Ihr mit ihnen Ihrer Dienste sechzig Jahr –« »Und wenn Ihr fallt?« – »Eine Stunde Oder zwei von meinem Leben, Die verlier ich und nicht mehr. Und mein Tod, wenn er dem Kampfe Meiner Söhne kühn vorangeht, Ihnen schaffet er den Sieg.« Alle Damen, alle Krieger, Arias, Söhne selbst, vor allen Doña Uraca, alle flehen An den väterlichen Greis, Zuzuschauen erst dem Kampfe – Er, gezwungen von den Bitten, nicht im mindsten überzeuget, Wirft, ohn einig Wort zu sagen, Wirft die Waffen weg im Zorn. 36. [Nah der Mauer von Zamora] 36. Nah der Mauer von Zamora War zum grausen Todeskampfe Zubereitet schon der Platz. Schon durchritt ihn Don Diego, Mit der Stärke des Alciden, Seine jungen Feind erwartend. Schweigt, unglückliche Drommeten! Eines Vaters Eingeweide Wenden sich bei eurem Hall. Wer den väterlichen Segen Erst empfing: es war Don Pedro, Er, der Brüder ältester. Als er vor Diegos Antlitz Kam, begrüßt' er ihn bescheiden Als den ältern Kriegesmann: »Möge Gott, Euch vor Verrätern Schützend, Eure Waffen segnen, Don Diego! Ich erschein hier, Von dem Schimpfe des Verrates Mein Zamora zu befrein –« »Schweig!« erwidert Don Diego, »Denn Verräter seid ihr alle!« Und so trennen beide sich, Raum zu nehmen; beide rennen Mächtig los; es sprühen Funken – Ach, das Haupt des jungen Kriegers Trifft Diego; er zerspaltet Seinen Helm, durchbohrt sein Hirn – Pedro Arias stürzt vom Rosse In den Staub hin. Don Diego Hebt den Degen und die Stimme Fürchterlich hin gen Zamora. »Sendet einen andern!« rief er, »Dieser liegt.« Es kam der andre, Kam der Dritte; der auch fiel. Schweigt, unglückliche Drommeten! Eines Vaters Eingeweide Wenden sich bei eurem Hall. Tränen flossen, stille Tränen, Auf des guten Greises Wangen, Als er seinen jüngsten Sohn, Seines Lebens letzte Hoffnung, Waffnete zum Todeskampf. »Auf«, sprach er, »mein Sohn Fernando! Mehr, als du an meiner Seite Noch im letzten Kampf geleistet, Mehr verlang ich nicht von dir. Eh du in die Schranken eintrittst, So umarm erst deine Brüder Und dann blick auf mich zurück –« »Weint Ihr, Vater?« »Sohn, ich weine. So weint' über mich mein Vater Einst, beleidiget vom König Zu Toledo. Seine Tränen Gaben mir des Löwen Stärke, Und ich bracht ihm – welche Freude! – Seines stolzen Feindes Haupt.« Mittag war es, als der letzte Sohn des Grafen, Don Fernando Arias, in die Schranken trat; Dem Besieger seiner Brüder, Seinem stolzen Blick begegnet Er mit Ruh und Festigkeit. Dieser, spielend mit dem jungen Krieger, nahm den ersten Streich auf, Auf die Brust; er war nicht tödlich. Aber bald lag mit den Trümmern Ihrer Rüstungen der Kampfplatz Überdeckt. Gebrochen lagen Schon die Schranken; beide Rosse Keichen, durch und durch in Schweiß. Als man ihnen Morgensterne, Kolben brachte, deren Eisen Blitzt in ihrer beider Hand. Und der erste Schlag des Eisens In der stärkern Hand Ordoños Traf – des edlen Jünglings Haupt. Todverwundet, seinem Rosse Griff er um den Hals und hält sich An der Mähn ihm; Hölleneifer Gibt zum letzten Streich ihm Kraft. Diesen Streich, er tut ihn tapfer; Aber weil das Blut des Hauptes Sein Gesicht bedeckt, so trifft er, Ach, die Zügel nur des Rosses, Sie durchhaund. Es bäumt das Roß sich, Wirft den Reiter aus den Schranken »Sieg!« schrien alle Zamoraner; Das Gericht des Kampfes schwieg. Arias Gonzalo, zum Kampfplatz Eilend, fand den Kampfplatz leer, Sah den jüngsten Sohn verblühen, Ihn verblühn wie eine Rose, Eh sie sich entfaltete. Schweigt, unglückliche Drommeten! Eines Vaters Eingeweide Wenden sich bei eurem Hall. Geschichte des Cid unter König Alfonso dem Sechsten 37. [Fliegt, getreue Boten, flieget] 37. »Fliegt, getreue Boten, flieget Zu Alfonso, meinem Bruder!« Sprach Uraca. »Er vergisset Seines Glückes in Toledo, Da sein Glück ihn nicht vergißt. Sagt ihm, daß der Feind nicht mehr ist, Daß sein Bruder, Don Garcia, Aus dem Kerker in das Grabmal Seiner Ahnen wanderte. Sagt ihm, daß die Kastilianer, Die Asturier, die Leoner Ihn erwarten, ihren König, Wie die Schwester ihren Bruder, Sagt es ihm und flieget schnell!« »Was zu tun?« sprach Don Alfonso; »Ali Maimon, dieser gute Sarazene, tat mir Guts. Was dem Flüchtling man erzeiget, Tut man das auch einem König? Ob mein neuer Stand dem Mauren Wohlgefalle, weiß der Himmel. Eines, weiß ich, ist mir nötig, Mit Vorsicht geheime Flucht.« »In der Rundung dieser Mauern Ist ein Ort«, sprach der Gesandte, »Niedersteigen wir zur Nacht. Auf rückwärts beschlagnen Pferden Eilen sicher wir davon.« Angekommen in Zamora, Zog Alfonso dann nach Burgos, Und die Reichsversammlung sprach: »Erbe seid Ihr aller Thronen Unsres großen Don Fernando; Niemand streitet sie Euch jetzt. Aber, ohn Euch zu mißfallen, Fodern wir von Euch den Eidschwur, An dem Morde des Don Sancho Teilgenommen nie zu haben, Mittel- und unmittelbar; Solchen Eidschwur uns zu leisten Förmlich, wie es uns gefällt, Und bekräftigen ihn zu lassen Von zwölf Eurer Edelsten.« »Dieser Wunsch sei euch gewähret«, Sprach Alfonso; »morgen schwör ich In der Kirche der Gadea Vor dem heiligen Altar. Heut begehr ich nur zu wissen, Wer von euch mir diesen Eidschwur Abzunehmen dann gedenkt?« »Ich«, sprach Cid. – »Ihr, Don Rodrigo? Denket Ihr daran, daß morgen Ihr ein Untertan mir seid?« »Noch nicht! Daran werd ich denken, Herr, wenn Ihr mein König seid.« 38. [Vorm Altare der Gadea] 38. Vorm Altare der Gadea Knieend, seine Hand geleget Auf das Evangelium Und ein Eisenschloß und eine Leimrut, so, das Haupt entblößt, So erwartet Don Alfonso Seinen Eidschwur von dem Cid. Fürchterlich war dieser Eidschwur; Schrecklich wars, ihn anzuhören, Grausenvoll dem, der ihn tat: »Feig ermordet müß ich werden Von dem niedrigsten der Menschen, Wie Don Sancho von Bellido, Mein Gedächtnis sei entehrt, Ausgerissen aus der linken Seite soll das Herz mir werden, Und verschlucken müß ich es, Wenn ich nicht die Wahrheit sage, Daß am Morde meines Bruders Ich durch Wollen, Rat und Wissen Habe nicht den kleinsten Teil.« »Sprechet Amen!« rief der Cid. Und also zu dreien Malen Wiederholte Don Alfonso Den ihm vorgesagten Eidschwur »Sprechet Amen!« rief der Cid. Unverwandt, mit Feuerblicken, Flammend von des Zornes Flamme, Sah, als er den Eid ablegte, Sah Alfonso an den Cid. 39. [Künftig rat ich Euch mehr Vorsicht] 39. »Künftig rat ich Euch mehr Vorsicht, – Euch betrifft jetzt meine Rede, Don Rodrigo von Bivar! – Zittert über jenen Eidschwur, Den mit Schimpf Ihr von mir nahmt! Jenes Schloß und jene Leimrut, Zeugen meines Schwures, waren Zeugen meiner tiefen Schmach. Künftig rat ich Euch zu wissen, Daß ich Euer König bin. Seid Ihr tapfer – wohl, so zeiget Euch auch ohne Leidenschaften! Unterwürfigkeit gebühret Dem Vasallen auch im Recht. Zeiget Ihr im Felde Kühnheit, Kopf und Herz, so zeigt an Hofe Höfliche Bescheidenheit! Mit den Worten nimmt die Zunge Weg die Hälfte des Verdienstes, Das der Arm sich kühn erwarb. Viel zu viel habt Ihr gesprochen, Viel zu viel Euch angemaßet; Doch – Ihr dientet meinem Vater; Sonst – Und dann, was sagt der Eid? Durch die Hand des schlechtsten Menschen Sterben? Nur des schlechtsten Menschen – Nie die Hand des Edelmanns Waget an den König sich. Kurz, des Unbenehmens halben Und Bescheidenheit zu lernen, Weis ich Euch aus meinen Landen, Don Rodrigo, auf ein Jahr.« »Und ich nehme vier der Jahre«, Sprach der Cid, »um so viel lieber, Da von Hofe die Entfernung Mir der König selbst gebeut.« Ohne ihm die Hand zu küssen, Ging Rodrigo von Alfonso; Seine dreimalhundert Männer Mit gespitzten, scharfen Lanzen, Mit Wolfsrachen auf den Schilden, Alle zogen sie mit ihm. 40. [Um zehn Uhr am frühen Morgen] 40. Um zehn Uhr am frühen Morgen Putzt Ximene ihre Töchter, Doña Sol und Doña Elvira; Schönre Kinder sah man nie. Schmückte sie mit artgem Kopfputz Und mit feinen Linnenkleidchen, Übersät mit seidnen Blumen, Die Ximene selbst gestickt. Ließ dann ihre edlen Knappen Anziehn ihren reichsten Anzug; Denn die Liverei der Diener Zeigt des Herrn Reichtum und Stand. So geputzet schickt Ximene Ihre Kinder der Infantin, Die zu sehen sie begehrt. Sie selbst ging nicht mit den Kindern; Denn des Cids Gemahlin hält sich Nach der Vorschrift des Gemahls. Seinen Rang beliebt zu machen Bei Geringeren, bei Höhern Ihn behaupten, war sein Wort. Auch die wildsten Herzen rühret Schon der Anblick dieser Kinder Und erfreut den Schauenden. Tränen fließen der Infantin, Wenn die Kleinen ihr zulächeln. Man weiß nicht, ob sie sie hasse Oder liebe. Wie im Unmut Stößt sie sie zurück und zieht sie Liebender zu sich heran. Fast verschlingt sie sie mit Küssen, Und wenn sie sie still betrachtet, Steigen Seufzer ihr empor; Nennt sie bald die schönsten Kinder, Die die Erde sah, und findet Dann in ihren Zügen etwas, Das das Bild des Vaters stört. Dann verändert ihren Putz sie, Als ob er durch ihre Hände Schöner würde; oh, wie manches Ging im Herzen der Infantin, Ihr selbst unbemerket, vor! »Wem gehören diese Kinder?« Fragt Alfonso. – »Einem Krieger, Der verbannt ist, den die ganze Christenheit mit Wunsch zurückruft Und die Maurenwelt mit Wünschen Von sich treibet. Das Gerücht geht, Daß der Cid in allen Städten Furcht verbreite. Seht die Kleinen, Seht die Liebenswürdgen, Bruder! Die sind nicht so fürchterlich.« »Kinder«, sprach Alfonso lächelnd, »Bittet was von mir! Was wünscht ihr?« »Euer Wohlsein, großer König, Wünschen wir«, antworten beide. »Hört Ihr«, sprach des Königs Schwester, »Was sie wünschen? Ihren Vater Bitten sie zurück.« »Das hör ich«, Sprach der König, »daß Uraca Den Verbannten noch ein wenig Lieb hat.« – »Nein, ich schwör Euch, Bruder, Daß ich ihn von Herzen hasse.« – »Nehmt in acht Euch«, sprach Alfonso, »Daß Ihr nicht aus lauter Hasse Ihn bis zur Anbetung liebt!« 41. [Eines Sonntags in der Kirche] 41. Eines Sonntags in der Kirche Des San Pedro de Cardeña, Nach der Messe, sprach Alfonso Mit dem Cid Campeador. Neue Plane der Erobrung In den Ländern, einst verloren Durch des Gotenkönigs Schuld, Den die Liebe scharf anklaget Und doch auch die Lieb entschuldigt – Neue Plane der Erobrung. Legt Alfonso seinem Feldherrn Vor, der dann mit stillem Ernst So antwortet: »Zu erobern, König, ist wohl nicht das Hauptwerk; Das Eroberte erhalten, Dieses ist das Schwerere. Ihr seid neu auf Eurem Throne, Traget noch ein junges Zepter; Euer Reich Euch zu versichern, König, sei jetzt Euer Werkt Nichts gefährlicher war öfters Fürsten als Abwesenheit.« Statt des Königes erwidert Abt Bermudo: »Seid des Feldziehns, Edler Cid, Ihr etwa müde, Daß Ihr itzt so friedlich denkt? Oder gab Euch die Gemahlin Solche Lehren? Wohl, so gehet, Mehr zu lernen, nach Bivar! Spanien hat zu edlen Kriegen Mehr Feldherren als den Cid.« Cid sprach: »Bruder, Eure Kutte Steht Euch schief.« – »Die Kutte, Feldherr, Weiß ich in dem Chor zu tragen, Wie im Feld einst die Standarte. Hab ich Könige der Mauren Nicht besiegt, so hab ich Söhne, Die gar wohl für mich es können; Auch bin ich, ein Pferd zu spornen, Manns genug.« »Wohin zu spornen?« Sprach der Cid; »etwa zur Flucht?« »Fast auch glaub ich«, sprach der König, Unterbrechend diese Reden, »Daß nicht Furcht zwar, aber Liebe Euch so friedlich denken macht.« »Weder eines noch das andre, Mein Monarch! Kein ander Weibsbild Sah man je an meiner Seite Als die Tizonada hier.« »Cid, Ihr duldet an Euch Fehler, Die auch Steinen Stimme gäben; Möchtet Ihr nicht selbst die Kirche Hier zum blutgen Felde machen? Und – um welche Kleinigkeit!« »Herr!« antwortete der edle Feldherr, »mir ists unerträglich, Daß ein Mann, der in den Kleidern Wohl Ölflecken, aber keines Tropfen Bluts Blutflecken hat, Daß der Mann vom Feldziehn sprechen Und dem König und dem Feldherrn Unverschämt einsprechen darf. Seine Stell ist vor dem Chorpult, Seine Pflicht, für die zu beten, Die im Felde Streiche tun.« Besser wär es dir gewesen, Edler Cid, du hättest allen Sarazenen Hohn gesprochen, Als der Kutte dieses Abts. 42. [Wenn Ihr, um Euch hoch zu heben] 42. »Wenn Ihr, um Euch hoch zu heben, Meines Arms Euch zu bedienen Wisset, Ritter von Bivar, So erwartet Ihr vergeblich Künftighin auf diesem Wege Euren Gang zum Firmament. Fürchterlich ist Euer Gradsinn; Auf den Knien vor mir zu bleiben, Ziemet Stolzen, wie Ihr seid; Vor mir Euer Haupt zu blößen, Dessen Stolz sich gnug entblößte Samt der hassenswerten Ursach Eures so gestiegnen Ruhms. Welches edle Unternehmen Hielt Euch seit dem letzten Winter Meinem Hofe so entfernt? Warum tragt Ihr, da zum Hofmann Edel Ihr geboren wurdet, Warum tragt Ihr Bart und Haare Wie ein Wüsteneremit? Mir antworten auf die Frage Werdet Ihr wohl nicht, das weiß Doch ich weiß auch, Heucheleien Gibt es von verschiedner Art. Und ob Ihr mir sagen wolltet, Daß dem Feldherrn, sich zu putzen, Weder Zeit noch Lust gebeut, So geruht, mir auch zu sagen, Warum Ihr denn meine Plane, Sie enthüllend, scheitern machtet, Ihr wißt es, zu Alcala? Feinde, werdet Ihr mir sagen, Hab ich; ja, so sagt der Beste Und wohl auch der Schlechteste. Feinde, das darf ich Euch sagen, Feinde habt Ihr allenthalben – Keinen Freund. Und ohne Freunde Ist der Redlichste auf Erden Wohl auch der Unnützeste. An den Grenzen meines Reiches, Sagt man, fürchten Euch die Mauren, Andre lieben Euch, und alle Ehren Euch als einen Gott. Wohl, prägt ihnen ferner Achtung Ein für Euch, auch mir entgegen! Einer, dessen Freund Ihr nicht seid, Ali Maimon in Toledo, Bleibt mein Bundsgenoß und Freund. Nach dem unglückselgen Tode Meines Bruders küßten alle Mir die Hand – Ihr nicht, der Cid. Ihr dagegen ließet schwören Und verhöhntet mich, den König, Mit dem Eidschwur auf die Bibel Und die Leimrut und das Schloß. Stolz betruget Ihr Euch damals; Und um diesen Stolz zu beugen, Sag ich Euch, was damals viele, Viele sagten: ›Den Verräter, Den Bellido, hätte freilich Cid erfassen, töten können, Als ein Mann von Ehr auch sollen; Zeit hatt er genug dazu. Doch er tat es nicht; denn immer Tut der Cid nur, was er – will.‹ Keiner, der mir angehörte, Mann und Weib, es dachte keiner, Daß an meines Bruders Tode Teil ich hätte; nur der Cid. Seinen Tod sandt ihm der Himmel, Sagten alle, Ungehorsams Wegen gegen seinen Vater; Nur der Cid argwohnete. Dessen dann und anderswegen Bann ich Euch zum zweitenmale Fern aus allen meinen Reichen Und bemächtige mich Eurer Güter; wem anheim sie fallen, Dies entscheide mein Gericht. Auch verbiet ich Euch auf alles, Was ich Euch gesagt, die Antwort.« Also sprach, von schlechten Menschen Angereget, Don Alfonso; So sprach er zum Ruhm und Spiegel Aller Tapferkeit, zu Cid. 43. [Euch anworten muß ich, König] 43. »Euch anworten muß ich, König; Denn ich hab Euch zu antworten, Und ich kenne, wer die Antwort Mir verbieten darf, nur einen, Und der Ein ist nicht auf Erden: Gott! – Kein Braver darf sich fürchten; Aber Unschuld geht zugrunde Durch unzeitig Schweigen, Herr. Hätten, Ehre zu zerstören, Worte Macht, so war es besser, Einen Dolch auf mich zu zücken, Als zu reden, wie Ihr spracht. Aber das Gesetz entehret, Nicht der König. Ihr vermöget Mich so wenig zu entehren, König, als der schlechtste Mann. Ich auf Knien vor Euch liegen? Als ein Sklav? – Und mich zu heben, Eures Arms bedarf ich nicht; Keines Menschen Arms als dieses, Und der ist der meinige. Laßt sich die vor Euch bedecken, Die Euch schmeicheln! Sie tun wohl. Ich auch werde mich bedecken, Ich, der nie Euch schmeichelte. Daß ich nicht bei Hof erschienen, Und was ich beim Friedensbündnis Für Euch tat zu Alcala, Hievon schweig ich. Wer die Guttat Nicht empfand, die ihn verbindet, Dem wird sie umsonst erklärt; Des Wohltäters Rede löschte, Gleich dem Schwamm, die Wohltat aus. Es erfreu Euch, Don Alfonso, Daß den Cid die Mauren achten! Wenn sie ihn nicht mehr verehren, Fürchten sie Euch schwerlich mehr. Euer gutes Herz, o König, Bring Euch lieber in Gedanken, Was ich Guts für Euch getan! Hätt ich Euch, o König, wollen Mit dem Flecken der Verachtung Vor mir sehen auf dem Thron, Wahrlich, ich hätt. Eure Ehre Durch den Schwur nicht hergestellt. Wer mir von Bellido redet, Kann mich wahrlich tief betrüben, Aber nicht beleidigen; Freilich hätt ich ihn ergriffen, Fehleten mir nicht die Sporen – Ach, in solchen Fällen seufzet Jedes edle brave Herz; Indem es den Fehl gestehet, Fühlt es schmerzlicher die Schuld. Endlich, da ich mein Vermögen, König, Eurem Dienst geopfert, Da ich, was durch meine Waffen Ich erworben, Euch verehret, Was wollt Ihr mir nehmen, Herr? Weder Ihr noch Eure Räte Können finden, wo nichts ist. Aber von nun an, o König, Von nun an will ich erwerben, Ich für mich und nicht für Euch. Nicht weil Ihrs befahlet, König, Frei entfern ich mich, beleidigt, Weil Ihr also zu mir spracht. Ehrenlos, wer von dem König Solche Reden duldete! Sei mit Euch des Himmels Jungfrau, Eure Waffen zu beglücken, Daß Ihr nie vermißt, o König, Einen Degen, der Euch fehlt!« Also sprach der Cid zum König, – Dies sind seine echten Worte – Eh er in die Bannung zog. 44. [Undankbar-grausamer König] 44. »Undankbar-grausamer König, Undankbarer Don Alfonso!« Also rief in ihrem Schlosse, Rief Ximene zu Bivar; »Mir gehörts, dich anzuklagen; Denn allein der Weiber Herzen Geben der Empfindung Laut. Unglück, Unglück dir, o König, Daß du meinen Cid beleidigt – Zwar mit Worten nur, du durftest Es nicht anders; mit dem Degen, Mit ihm redet mein Gemahl, Müßig wär er in der Scheide Nicht geblieben, wärst, o König, Wärest du ein Edelmann. Du verbannst ihn – welche Einfalt! Überall in der Verbannung Schafft sich Cid ein Vaterland. Lässest beißen ihn vom Neide; Der zerbeißt an ihm die Zähne, Mein Cid ist bedeckt mit Stahl. Lässest ziehn ihn mit dem Degen; Wohl, du wirst zurück ihn wünschen, Wünschen in der ersten Schlacht. Eher schätzet man das Gute Nicht, als bis man es verlor. Was denkst du, das ihn gereue? Reut ihn etwas, oh, so ist es, Feinde sich gemacht zu haben Um Freundschaft der Könige; Ihrer Ohnmacht aufzuhelfen, Furchtbar sich gemacht zu haben; Deine Staaten zu vergrößern, Tat er alles, was er tat. Ohn ihn wären deine Reiche Nur Asturiens Felsen noch. Und wie hat er dir gedienet? Hätt er es getan wie jene Hofeskrieger, die dir schmeicheln, Dich erheben, dich belügen, Jetzt noch wär er dir gar teuer, Seine Dienste wohlbelohnt. Sahst du ihn dagegen aber Lieber geben als empfangen Undankbare Fürsten drücket, Drückt und dränget nichts so schrecklich Als großmütger Untertanen Edelmut – auch gegen sie. Geht dann, gehet, Don Alfonso, Euer Bann sei denen Srafe, Die am Hofe, Müßiggänger, Fürchterlich sind – nicht den Mauren, Aber manchem edeln Mann, Dessen Weib sie seitwärts locken, Locken wie die jungen Hirsche, Wenn der Mann für Lieb und Ehre Kämpfet und zu Felde liegt. Unglück, Unglück dir, o König! Gunst und Wahrheit waren einmal Nur beisammen in der Welt. Du, du gehst umringt von Hunden, Hunden, die dir heute schmeicheln, Morgen bei dem ersten Fehltritt Dich anfallen, dich zerreißen. So umgeben ist ein König, Der, von Günstlingen verblendet, Seiner Seele Blick verlor.« Also sprach in ihrem Zorne Cids Gemahlin, nie ablassend So zu reden, als wenn Tränen Hemmten ihrer Klage Ton. 45. [Als der gute Cid, der Feldherr] 45. Als der gute Cid, der Feldherr, – Dessen Leben Gott bewahre, Gott mit aller seiner Macht! – Als er ab nun reisen wollte Mit Ximenen und den Töchtern, Mit dem Hofe seiner Edeln, Fand er alle seine Güter In den Kriegen aufgezehrt, Fand er keinen Maravedi, Zu bestreiten seinen Zug. Jene prächtgen Hyazinthen, Die die Könige der Mauren Einst verehrt dem großen Cid, Legt anitzt Doña Ximena In die Hände des Gemahles Zum Versatze, zum Verkauf. Doña Sol und Doña Elvira, Die zwei liebenswürdgen Kleinen, Als den Schmuck sie glänzen sahn Und von dem Verkaufe hörten, Bitter flossen ihre Tränen, Seufzer stiegen aus dem Herzen Der unschuldgen Kleinen auf. »Ach, die schönen Prachtjuwelen Zum Versatze, zum Verkauf!« »Gleichen«, sprach der Cid, »die Kinder, Die um das, was glänzt, nur seufzen, Gleichen sie nicht Königen? Weiber, Könige und Kinder, Eben ihrer Schwachheit wegen Werden sie uns achtenswert; Denn der Schwachheit nachzugeben, Ist des Starken Pflicht; Ximene, Geben wir den Kleinen nach!« »Und behalten die Juwelen!« Riefen froh die kleinen Mädchen; Die des Vaters Bart sonst scheuten, Ihn zu küssen, klimmen an ihn, Küssen ihn mit Herzenslust. Kommen ließ der Cid zwei Juden, Neben sich an Tafel sitzen Mit viel Zeremonien; Will von ihnen tausend Goldstück Auf die Sicherheit von zweien Großen Kasten, angefüllet Mit all seinem Silberwerk; Jedoch unter der Bedingung, Nicht vor Jahresfrist die Kasten Zu eröffnen und nur dann erst Sich zu halten an den Inhalt, Wenn er sie nicht ausgelöst. Mehr gesichert durch den edlen Namen Cids als durch die Kasten, Zahlten ihm die zwei Beschnittne Tausend Goldstück, gingen beide Die Bedingung ein; doch nahmen Sie mit sich die schweren Kasten, Die der Cid – so wollt es jetzo Seine Not – mit Sand gefüllt. Tat dem Herzen Cids dies wehe? Nicht im mindsten. Herzhaft tat ers, Voll Vertrauen auf sein Glück. »Auf, Ximene! Jetzt zur Kirche! Weihn wir jetzt zur Hülfe Gottes Meine Waffen, mein Panier!« 46. [Laut von Priestern und von Kriegern] 46. Laut von Priestern und von Kriegern Ward die Messe Cids gesungen Und das heilige Geheimnis Mit Drommeten laut begrüßt; Zimbeln klangen, Pauken schallten, Daß die heiligen Gewölbe Bebten; aller Krieger Herzen, Der dreihundert Unverzagten, Füllt ein neuer Heldenmut Zu dem Kampf entgegen Mauren, Mauren in Valencia. Als geweihet war die Fahne, Nahm der Cid sie in die Hand; Also sprach er: »Arme Fahne Eines armen und verbannten Kastilianers, nach dem Segen, Den auf dich der Himmel legte, Mangelt dir nur Spaniens Achtung; Und die sag ich dir vorher.« Hiemit rollt er auf die Fahne, Hebt sie schwingend in die Lüfte: »Sieg und Ruhm wird dich begleiten, Fahne, bis vielleicht du fliegest Neben Königes Panier. Don Alfonso, Don Alfonso, Unter der Sirenen Sange Schlummerst du; dir drohet Unglück, Wenn du, wenn du nicht erwachst. Krieger«, sprach er, »ists nicht also? Wir sind aufgeweckt. Entehret Wären wir, die etwas wert sind, Dort, wo keiner etwas taugt. Achtung und Verdienst, sie haben Nur an ihrer Stelle Wert. Eingewiegt von den Sirenen, Schlummert dort der tapfre König; Nutzen wir den tiefen Schlummer, Die Boshaften zu erschrecken, Nicht am Hofe sondern fern! Fürchterlicher ist den Bösen Nichts als derer, die sie hassen, Fern erworbner schöner Ruhm. Tausend edle Herzen seufzen, Ingeheim verfolgt von Bösen; Glücklich, wenn, sie zu enthüllen Vor dem Angesicht des Weltalls, Sich, wie uns, der Anlaß beut. Edle Fahne, in den Lüften Flattre stolz, die Zuflucht aller, Die das Laster seufzen macht!« Nieder senkt' er jetzt die Fahne: »Tapfre Krieger, meine Freunde! Rache des Vasallen gegen Seinen angebornen Herrn, Auch gerecht erscheint sie immer Nur als Aufruhr und Verrat. Die Beleidigung verschmerzen, Ist das Merkmal höhrer Seelen, Ob sie sie gleich tief gefühlt. Gölt es Rache, mir entflöhen Meine Feinde nicht; ich folgte Ihnen nach zum Firmament. Hier, o Krieger, in des Friedens Und der Liebe heilger Wohnung, Hier blas ich jetzt in die Lüfte Das Gedächtnis meiner Schmach. Jegliches Gefühl der Rache Geb ich atmend hin den Winden; Einzig trag ich meine Waffen, Die ich für mich selbst anlegte, Einzig trag ich für Kastilien Sie und für die Christenheit. Hab ich Stärke gnug, so pflanz ich Meine Fahne gen Toledo, Und was dort ich dann erwerbe, Heiße Neu-Kastilien. Unterdes für jetzt, ihr Freunde, Da uns eine Herberg fehlet, Ist uns baldigst die Erobrung Eines kleinen Schlosses not. Wer auf mehr als Ehre wartet, Der verlasse mein Panier!« Hiermit hob er auf die Fahne: »Edle Fahne, schwinge, schwinge Dich entfaltend durch die Lüfte! Klarinetten und Drommeten, Tönt! Ihr Trommeln und ihr Pauken, Euer Samtgehall erschrecke Nur die Schwachen und die Bösen Und der falschen Heuchler Zunft!« 47. [Kön'ge wollen ihre Diener] 47. Kön'ge wollen ihre Diener Nur an ihrem Platze sehen; Den Erhabneren darüber. Drücken sie, wie Buhlerinnen Den verächtlich-stolz behandeln, Der sich, ihnen zu gefallen, Nicht verächtlich machen ließ, Oder wie die großen Götter, Deren hoher Zorn im Donner Nur das Binsenrohr verschont. Als des Cids ruhmreichen Abzug Don Alfonsos Ohr vernahm, Sprach, in Mitte seines Hofes, Sprach er also: »Weggewandt Hat sich heut von unsern Fahnen Wohl der tapferste der Ritter, Der je maurisch Blut vergoß! Schien zuweilen seine Freiheit Schrankenlos und nah der Kühnheit, Ihm vielleicht war diese Freiheit Zu erlauben, seiner Treue, Seiner alten Liebe wegen, Die für unser Haus er trug. Jetzo geht er, und auf lange – Ein einfacher Mann; und tausend, Tausend Herzen gehn mit ihm. Ein einfacher Mann; verliert er Mit dem Hofe, wo er nichts war, Etwas? Einzig schon sein Name Macht ihm einen andern Hof, Wo er alles ist. Vom Schlosse, Wenn ein hoher Stein sich losreißt, Folgen bald ihm andre nach. Könige sind nie in Ruhe. Dieser will und der den Degen; Und an alles soll der König Denken, prüfen, widerstehn – Sagt ich dem gesamten Hofe, Daß der Cid mir für euch alle Gilt, nähm ich euch das Vergnügen Seines Falles, und ihr nähmet Meine Red als Vorwurf auf Oder sprächet: das sind Launen, Launen sinds der Könige. Summa: Cid, der erste Krieger, Edel, auf der Ehre Gipfel, Treu, verständig, mannhaft, klug – Ohne Beugung vor dem Herren, Was kann er vom Herrn erwarten? Also bleib es, wie es ist! Damit auch die fremden Völker, – Hört es alle, die umherstehn! – Damit auch die fremden Völker Sagen, daß König Alfonsos Ahndung keiner seiner Diener, Selbst der Cid auch nicht, entging.« 48. [Dasteht nun der Cid gerüstet!] 48. Dasteht nun der Cid gerüstet! Unwissend, was werden solle, Schwört der Maure bei Mahoma. Daß er Cid beleidigt habe, Reuet jetzt König Alfonso; Doch der Cid, er steht in Waffen. Es geht nach Valencia. Dasteht nun der Cid gerüstet; Aufgestützt auf seinen Degen, Spricht zuletzt er mit Ximenen; Babieca beißt die Zügel, Heiß-erwartend ihren Reiter, Und des Cids Paniere rauschen In der Luft, erwartend ihn. »Warum weinet Ihr, Ximene? Ist so schwach denn unsre Liebe, Daß sie nicht ertragen könne Einige Abwesenheit? Jeder Edle ist dem König Dienste schuldig; dem gerechten Leistet man sie pflichtenmäßig, Undankbaren schenkt man sie. Mut und Sinn ist Euer Erbteil. Tochter eines Heldenstammes, Die Gemahlin eines Kriegers, Frei von jeder Weibesschwachheit, So, Ximene, laß ich Euch. Jeden Augenblick des Tages Wendet wohl an, nähend, stickend, Singt am Abend mit den Töchtern, Und, um Euer Haus zu ordnen, Wachet mit Auroren auf! Zu Vergnügungen verlaß ich Euch die Sorge für die Herden, Für die Wolle, fürs Gefieder; Nie, Ximene, nie seid müßig, Arbeit ist des Blutes Balsam, Arbeit ist der Tugend Quell. Eure reiche Kleidung schließet Ein bis auf mein Wiederkommen! Nicht, darin mir zu gefallen, Sondern mir zur Ehre dann. In Abwesenheit des Mannes Kleidet einfach sich die Frau. Junge Mädchen – fern vom Feuer, Wie den Werg! Doch laßt die Töchter, Wenn Gefahren Ihr entfernet, Sie nichts merken von Gefahr! Lasset sie an Eurer Seite Schlafen und hinaus ins Grüne Nie ausgehen ohne Euch! Töchter ohne ihre Mutter Sind wie Lämmer ohne Hirt. Zeigt den Hausgenossen Würde, Euren Frauen seid gesprächig, Gegen Fremde seid bescheiden, Gegen Euch und Eure Kinder Unnachgebend, streng und fest! Keiner Freundin, auch der besten, Zeiget einen meiner Briefe, Wie ich keinem meiner Freunde Einen Eurer Briefe zeige! Denn das Band der Ehgenossen Ist ein zart-vertraulich Band. Nie erwirbt man sich Hochachtung, Wo man alles von sich wissen, Alles übersehen läßt. Die geschwätzige Gemahlin Zieht den Mann in ihr Geschwätz, Macht dabei sich selbst verächtlich; Und doch ruhet auf der Achtung Eines Hauses seine Macht. Sollt es Euch bisweilen Mühe Kosten, meiner Briefe Inhalt Zu verbergen – denn der Freude Botschaft, sie verbirgt sich schwer – So entdeckt es, sie zum Schweigen Zu gewöhnen, Euren Töchtern! Ihrem Vater zu gefallen, Schweigen, weiß ich, sie gewiß, Nehmet Rat von keinem Manne! Fragt, was ich Euch raten würde, Wär ich da, und folgt dem Rat! Und in schweren Dingen – schreibet! Nie verläßt Euch meine Feder, Wie mein Degen und mein Herz. Zweiundzwanzig Maravedis Laß ich Euch zur Tagesausgab; Haltet Euch darnach! Der wahre Adel steht nicht im Ersparen, Doch auch im Vergeuden nicht. Seid Ihr geldbedürftig, lasset Keinen als nur mich es wissen; Keinen Eurer Leute setzet Je zum Pfande; suchet lieber Geldessummen auf mein Wort! Auf mein bloßes Wort, Ximene! Dieses, wie des Himmels Peste, Weiß man, ist fest und gewiß. Wie ich mich für andre schlage, Glaubt, so werden sich auch andre Froh bemühn für mich und Euch. Lebet wohl! Und einen Kuß noch! Einen nur! Ich bringe keinen Aus den Schlachten dir zurück. Lebe wohl, meine Ximene! – Fort! Die Krieger möchten sagen, Ich sei hier dein Bräutigam.« Geschichte Cids auf seinem Feldzuge in Valencia 49. [Handelt ungerecht der König] 49. Handelt ungerecht der König, Will der Cid nicht also handeln; Er verließ sein Weib in Tränen Und in Tränen seine Töchter, Alle von ihm hochgeliebt; Brach in Länder ein der Mauren, Überwand sie in Gefechten, Er erobert' ihre Schlösser, Legte ihnen Zins und Pflicht auf. Als er Alcocer erobert, Schlossen ihn die Mauren ein; Zahlreich waren ihre Heere, Keinen Ausfall waget' er. Da trat zu ihm Alvar Fañez, Der sich nannte von Minaya; »Galt es dazu unsre Mühe«, Sprach er zu den Kriegsgenossen, »Daß wir unser Land verließen, Um uns hier den Bart zu kämmen? Brot, das müßig wir hier zehren, Krieger, ist kein Ehrenbrot. Auf! Hinaus unter die Mauren!« »Alvar Fañez von Minaya«, Sprach der Cid, »du redest tapfer, Du sprichst wie ein Ehrenmann. Nimm die Fahne!« »Und beim Schöpfer Schwör ich dir«, antwortet dieser, »Wo du sie vielleicht nicht selber Hintrügst, aus Bedenklichkeit, Trag ich sie.« Der Ausfall glückte; Alvar Fañez von Minaya Drang fort in die Maurenländer. Zwar beklagten sich die Mauren, Da sie Königes Alfonsos Schutz genössen, über Unrecht; Aber welcher Überwundne Klaget über Unrecht nicht? 50. [Briefe ließ der König schreiben] 50. Briefe ließ der König schreiben, Stolze Briefe an den Cid, Voll von mancherlei Verleumdung Seiner Feinde, der Spione. Was dem Grafen Consuegra Cid antwortete, vernehmt. »Edle Männer von Villalon, Tapfre Ritter von Valduerna, Guten Leute von Villalva, Gute Christen von Sansueña, Böse Spürer des Betragens Andrer, lest – und leset recht! Don Rodrigo ist mein Name, Wohl auch Cid Campeador. So ergeben meinem König Als mein Weib Ximene mir, Leb ich als ein schlichter Kriegsmann, Der kaum zweimal in der Woche Ab die Kriegeswaffen legt; Schlafe nirgends als im Zelte, Tue keinem Freunde übel, Stünd es auch in meiner Macht; Haue nur mit meinem Degen, Aber nie mit Zung und Feder, Esse sitzend auf der Erde, Weil mir eine Tafel fehlt; Lasse niemand mit mir speisen Als die Braven und die Guten, Anzuspornen durch die Sitte Meiner Freunde Heldenmut. Unsre Tischgespräche scharren Nie auf die begrabnen Toten, Greifen nie dem Urteil Gottes Über die Lebendgen vor. Ich, der Cid, ich spreche selten, Kümmre wenig mich um andre, Frage nichts, als ob Babieca Sei gewartet und gezäumt, Aufzusitzen gleich nach Tafel, Neu zu eilen ins Gefecht. Lege nieder mich zum Schlafe, Nicht zu wachen und zu sinnen, Wie auf Wegen des Betruges Ich erschleiche fremdes Gut; Wach ich auf, so gehts zu Felde, Hier – ein feindlich Schloß zu nehmen, Oder – liegen es zu lassen, Wie das Glück will, wie es fällt. Bin ich einsam, so gedenk ich An mein Weib, und das mit Seufzen; Weinend mußt ich sie verlassen, Klagend wie die Turteltaube; Und wohl einsam und wohl traurig Lebet jetzt sie in der Fremde; Doch sie lebet glücklich dort. Übrigens, ihr hohen Herren, Kann und darf der Cid antworten Jedem, wer es sei, der frägt; Er darf seine Seel enthüllen Ohne Lug und ohne Scham.« 51. [Von der Tafel seiner Tapfern] 51. Von der Tafel seiner Tapfern Rief der Cid, doch unvermerket, Einen Krieger, der im letzten Treffen übel sich erzeigt, Martin Pelaëz; er rief ihn Seitwärts und sprach so ihm zu: »Essen beide wir zusammen Heut an dieser sondern Tafel! Denn das Mahl mit jenen Tapfern, Die mit hohem Ruhm dort sitzen, Steht für heute uns nicht zu. Esset Ihr von Eurem Schemel, Ich von diesem! Beide werden Wir hier wohl beisammen sein.« Fort fuhr er in dem Gespräche: »Jene, die an hoher Tafel Dort mit Alvar Fañez speisen, Sind Dämonen, leiden keinen Neben sich, der seine Ehre Nur im mindesten befleckt. Ehre duldet keine Flecken, Jeder Fehl an ihr ist Brandmal, Brandmal auf der schönsten Stirn. Diesen Makel und sein Elend Wegzutilgen, das vermögen Spaniens reiche Schätze nicht.« Und sprach weiter: »Eine Quelle, Abzuwaschen solchen Flecken, Quillet in des Feindes Brust. Feindes Blut tilgt die Schande Des Verzagten. Lieber sterben, Junger Mann, als scheun sich müssen Und sich nicht erkühnen dürfen, Mit den Braven umzugehn! An die Taten Eures Vaters, Meines guten Freundes Pedro Pelaëz, laßt uns gedenken! Ha, wie spaltete sein Schwert! Die Beispiele solcher Männer Sollen uns aufmuntern, Jüngling, Das zu tun, was jeder brave Mann gehalten ist zu tun. Bitten dürfen wir denn jene Alte Teufel, daß sie wieder Uns an ihre Tafel nehmen. Sprecht mir, junger Mann, die Worte, Mir mit Mund und Herzen nach: ›Lieber unterm Fuß der Heidenrosse Sterben und zerquetscht, zertreten werden, Als daß einer der lebendgen Christen Ehrlos uns vertreib aus der Gesellschaft!‹ Setzt Euch fest auf diese Worte, Jüngling, Daß, wenn wir auf jene Ebne kommen, Sie der Wind nicht etwa Euch entnehme. Auf, zum Schwert! Eur Pferd habt Ihr verloren. Sorget nicht! Ich geb Euch gleich ein andres.« Leise sprach er diese und andre Worte Zu dem Jüngling. Es ward aufgestanden; Da ergriff er bei der Hand ihn rufend, Rufend aus mit seiner Eisenstimme: »Lieber unterm Fuß der Heidenrosse Sich zertreten lassen, als bei Christen Leben und entehrt sein!« Also rief er. Indem tönten die Drommeten, Klarinetten, Zimbeln klangen; Auf, ins Feld! Es geht zum Siege, Krieger, gen Valencia! Von den Reden Cids entflammet, Tat an diesem Tage Wunder Pelaëz vorm Auge Cids. 52. [Da die Königin des Himmels] 52. »Da die Königin des Himmels, Die gebenedeite Jungfrau, Uns Valencia zu erobern Hülfreich beigestanden hat, Pedro, so geht zu den Mauren, Schafft den Leidenden Erquickung Und dem Totenheer ein Grab! Sagt den Überwundnen allen, Männern und den Weibern saget, Daß die Stolzesten im Kriege, Wir die Sanftesten im Frieden, Menschlich und großmütig sein. Regt sie an, zu mir zu kommen, Daß ich selbst mit ihnen spreche, Und für ihre Schätz und Weiber Bleibe keinem eine Furcht! Denn mir fehlen für die Schätze Kasten, und für ihre Weiber Fehlt ein Frauenharem mir. Eine nur ist meine Gattin, Eine, meine echte Frau. Alvar Fañez! Auf, zu meiner Armen, leidenden Ximene! Führt sie her und meine Kinder, Nehmt auch etwas Gold mit Euch, Daß sie sich das Nötge kaufen Und anständig hier erscheinen, Diese schöne Stadt zu sehen Und Rodrigo, ihren Freund! Ferner dreißig Mark an Golde Nimm mit dir, dem heilgen Pedro Lege sie auf den Altar! Auch zweitausend Silberstücke Stelle den ehrhaften Juden Israel und Benjamin Bittend zu, mir zu verzeihen Mein allereinzge Lüge, Die ich lebenslang beging! Die verpfändeten zwei Kasten, Die verschlossen sie annahmen, Glaubten sie voll guten Goldes, Und sie waren voller Sand. Dennoch war es keine Täuschung: Denn mein Wort war in den Kasten, Und mein Wort ist gutes Gold. Antolinez, Ihr begleitet Alvar Fañez. Seine Zunge Ist ein wenig träg, und Eure, Sie gefällt im Sprechen sich. Auf! Erzählet der Ximene Unsre Abenteuer alle! Helft ihr denn auch im Gesange; Denn sie liebt in frohen Stunden Die Gitarr und den Gesang. An den Hof des Königs ziehet Dann auch beide miteinander! Überreicht ihm die Geschenke, Mit der ehrerbietgen Bitte, Daß er Gattin mir und Kinder Gnädig lasse mit euch ziehn. Was in deiner Kriegersprache Du zu sagen hast, vergiß nicht, Alvar Fañez, auch kein Wort! Wohl, daß einem Held am Hofe, In der Schule seines Lehrherrn, Du dabei zu lachen gibst; Andre werden meine Plane So wie deine Worte meistern Und bespötteln. Mach es also, Daß dem Neide nichts auch bleibe Als das Gift in seiner Brust! Zieht dann, meine Freunde, ziehet! Wenn hieher zurück ihr kehret, Findet ihr mich Überwinder Andrer Mauren, meiner Feinde, Oder – findet mich nicht mehr.« 53. [Angekommen itzt zu Burgos] 53. Angekommen itzt zu Burgos, Küssete die Hand dem König Alvar Fañez von Minaya, Antolinez neben ihm. »Untertänige Geschenke Überbring ich, großer König, Von dem stolzesten Vasallen, Den Ihr aus dem Reich gebannt. Und mich selbst in dieser Sendung Nicht zu täuschen, so erlaubet, Daß ich Euch die Worte sage, Die er zu mir selbst gesagt; Denn wo Cid nicht ist, bin ich. Also sprach er: ›Aus Valencia Send ich, was von dem Vasallen Seinem Oberherrn gebührt. Das Andenken an die Härte, Die Ihr, König, mir erwiesen, Längst ist es aus meiner Brust. Vielmehr segn ich alles, alles, Was daher zu meinem Ruhme Und für Euer Reich entsprang. Überreichen wird Euch Fañez Hundert ritterliche Pferde Mit den Decken und Geschirr, Hundert Sklaven, die sie führen, Und im Kasten dreißig Schlüssel Von den Städten und den Schlössern, Die hiemit Euch der Verräter, Die der Cid Euch übergibt. Stolz bezahl ich meine Schulden, König, mit den Gütern reicher Überwundner Könige. Einem Armen und Vertriebnen, Dem Ihr nichts, o König, ließet, Blieb nichts übrig, als auf Kosten Andrer Euch befriedigen. Alvar Fañez, mein Gesandter, Ist ein Krieger, der sich selber Sein Gut zu erwerben weiß; Er begehret nicht Geschenke, Nur daß Ihr ihm, König, zusprecht, Wie es seiner Ehre ziemt. Was ich nie von Euch erlangte, Wahrlich, das verdienet Er. Ehrenworte kosten wenig, Und sie sind so reich einträglich Einem guten Könige; Sie gewinnen ihm die Herzen, Wenn bei ungerechten Worten Sich das treuste ihm entzieht. Daß der Cid Euch treu blieb, König, Traut, o trauet nicht dem Beispiel! Viele sind vielleicht an Mute, Wenige ihm an Großmut gleich. Edel hielt ers, Euch zu dienen; Andre könntens edel halten, Sich zu rächen für die Schmach. Wer den Dolch Bellido reichte, Kann ihn dreißig andern reichen, Wenn er sie dafür bezahlt. Fing Bellido nicht mit Schmeicheln Seinen Trug an bei Don Sancho, Den sein Dolchstich endete? Wer einmal den Schmeichlern wohltut, Leget sich die harte Not auf, Immer ihnen schönzutun. Schmeichler sind es, die sich rächen; Aus dem Honig ihrer Lippen Machet Euch ein Bollwerk, König, Und Ihr werdet es erfahren, Wie dies Euch verteidige. Werdet Ihr vielleicht mir sagen: Aus dem ungestümen Munde Cids ergehen nichts als Lehren? Freilich ging wohl mancher König Irre durch zu viele Lehren; Aber der war stets verloren, Dem kein Rat gefällig war.« Spottend hob ein Graf die Stimme, Sprach mit höhnischem Gelächter: »Klar ists, lieber heut als morgen Wünscht der Cid sich her nach Burgos, Um hier fortzupredigen.« Alvar Fañez stieß im Zorne Rückwärts sich den Helm, und knirschend Rief er: »Wer hier wagt zu mucken Wo der Cid nicht ist, bin ich!« Alles schwieg; und Antolinez, Er begann mit süßer Rede; Seine sanften Worte rührten So die Seele des Monarchen, Daß er augenblicks Ximenen Frei es stellte, zum Gemahle Hinzuziehn, zum großen Cid. 54. [Angekommen in Valencia] 54. Angekommen in Valencia, Angelangt nach langer Trennung In der schönen Stadt, gewonnen Durch die Tapferkeit des Cid, Lebten jetzt Doña Ximena, Sie, die Mutter, und die Töchter Mit dem Cid, der hoch sie liebte, In Verehrung Freud und Glück, Als schnell eine Botschaft ankam: Miramamolin der Große Nahe sich mit mächtgen Heeren; Funfzigtausend Mann auf Rossen, Die zu Fuße nicht zu zählen; Ihm Valencia zu entreißen, Nah er mächtig sich dem Cid. Wohlerfahren in den Waffen, Rüstet dieser stracks die Festen Aus mit Vorrat und mit Volk, Muntert, auf dann seine Ritter; Freudig, auf gewohnte Weise, Führte dann Doña Ximena, Sie und seine beiden Töchter Auf des Schlosses höchsten Turm. Allda sahen sie zum weiten Meer hinaus die Mauren kommen, Sahn mit großer Eil und Sorgfalt Sie aufschlagen ihre Zelte Unter Kriegsgeschrei und Trommeln, Kriegsgeschrei und Paukenhall. Großes Schrecken faßt die Mutter Wie die Töchter; denn sie hatten Solche Heere nie zu Felde, Nie auf einem Platz gesehn. »Fürchtet nichts, ihr Lieben alle«, Sprach der Cid, »so lang ich lebe, Nah euch keine Sorg und Angst! Morgen – und ihr sehet alle Diese Mauren überwunden; Töchter, und von ihrer Habe Mehrt sich euer Heiratsgut. Je mehr ihrer, desto besser, Desto reicher wird die Beute Für die Kirche zu Valencia, Die, dem Volk zu hoher Freude, Morgen euch zu Füßen liegt.« Jetzt bemerkend, daß die Mauren Nah sich an die Tore drängten, Sonder Ordnung im Gewühl, Sprach er: »Alvar Salvadorez, Leget an Euch Eure Rüstung, Nehmt mit Euch zweihundert Reiter, Wohlgeübt auf ihren Rossen, Und macht auf die Heiden Jagd, Daß Ximene und die Mädchen An dem Jagen sich erfreun!« Kaum gesprochen, so geschah es: Im Getümmel, im Getrappel Flohn die Mauren zu den Zelten; Wer nicht fliehen konnte, blieb. Doch hier wandten sie sich alle, Und weil Alvar Salvadorez Vorwärts sich zu weit gewagt, Fiel er in die Hand der Mauren, Bis ihn tages drauf mit reichem Ruhm befreite der Cid. 55. [Wohlgeordnet seine Völker] 55. Wohlgeordnet seine Völker, Die zu Fuß und die zu Rosse, Zog der Cid jetzt aus Valencia; Aus dem Tor der Wasserschlange Zogen sie hinaus ins Feld. Seine Fahne trug Bermudez; Hieronymus, der Bischof, Zog in Rüstung mit dem Heer Gegen den Barbarenkönig, Miramamolin genannt, Der dem Cid die schöne Beute, Sein erworbnes Reich Valencia, Mit wohl funfzigtausend Reitern Trotzig abzunehmen kam. Als einander gegenüber Mauren nun und Christen standen, So viel Mauren, Christen wenig, War alles in Furcht und Angst, Bis auf seinem Roß Babieca Cid erschien, in reichen Waffen, Und mit lauter Stimme rief: »Gott mit uns, und San Jago!« Sprengte dann ein in die Feinde, Hieb und tötete; gebadet War sein Arm in Heidenblut; Wer sich ihm zu nahen wagte, Jeder Maur, galt einen Hieb. Endlich fand den Maurenkönig Selbst er auf im Schlachtgetümmel; Dreimal traf er; dreimal schützte Den Barbaren nur die Rüstung, Bis er sich, erst hintern Hügel Schleichend, dann in ein Kastell zog Und dem Cid das Feld verließ. Von dem Volk, mit ihm gezogen, Blieben wenig ihm der Tausend; Was nicht tot lag, ward gefangen, Und das Lager, reich an Silber, Reich an Pferden, ward erbeutet; Und im allerreichsten Zelte, Das die Christenheit je sah, Fand sich Alvar Salvadorez. Hoch erfreuet war der Cid; Hoch erfreuet kehrten alle Nach Valencia; Mutter, Töchter, Die vom Turm die Schlacht geschauet, Froh empfingen sie den Cid. 56. [Dankend Gott und San Jago] 56. Dankend Gott und San Jago Für den Schutz, den sie ihm schenkten, Für die Kraft, die sie ihm liehen, Auszufechten solche Schlachten, Zu bezwingen so viel Mauren, Zu gewinnen Städt und Festen, Wie kein andrer sie gewann; Denn Gott und der Erzapostel Hielten ob ihm ihre Hand, Lebte Cid jetzt hochgefürchtet, Hochgefürchtet und verehrt, In Valencia mit Ximenen Und mit seinen beiden Töchtern, Doña Sol und Doña Elvira, Die er über alles liebt'. Ringsum in Kastilien gingen Von ihm Wunderneuigkeiten, Also daß zwei junge Grafen, Reiche Grafen Carrion, Vor den König Don Alfonso Bittend traten, daß er beide – Brüder waren sie – vermähle Mit den edlen Töchtern Cids. Don Alfonso, kein Bedenken Findend an der reichen Heirat, Lud den Cid, ihn in Requeña Zu besuchen, sprach mit ihm Viel von seinen Wundertaten, Von den Schlachten, von den Siegen; Rechenschaft gab ihm der Cid. »Aber Ihr seid alt geworden, Guter Cid«, sprach Don Alfonso. »Großer König«, sprach der Feldherr, »So viel Sorg und Kriegesarbeit Macht schon alt; kaum hatt ich Ruhe. Kaum Erholung einen Tag. Alles indes überstanden, Ist Valencia Euch gewonnen, Voll Vermögen, voll von Gütern, König, Euer Eigentum.« »Guter Cid, genießt das Eure!« Sprach Alfonso; »mir genüget Eurer Taten Ruhm, die Ehre Eines Feldherrn und Vasallen, Wie kein Christenreich ihn hat; Gerne wünscht ich Euren Töchtern Standesmäßige Gemahle; Und da haben sich zwei Grafen, Reiche Grafen Carrion, Brüder, sie von mir erbeten; Übel wäre nicht die Heirat, Und ich steh für die Gefahr.« Sprach der Cid: »Sie sind die Eure, Guter König, und Ximenens Wille ist gewiß der meine; Die ich über alles liebe, Meine Töchter, schenk ich Euch.« Traten zu ihm beide Grafen, Küsseten dem Cid die Hände; Nach Kastilien zog der König, Nach Valencia zog der Cid. 57. [Mit ihm zogen beide Grafen] 57. Mit ihm zogen beide Grafen, Ihm zu seinen Schwiegersöhnen, Seinen Töchtern zu Gemahlen Von dem Könige geschenkt. Hocherfreuet war Ximene, Hocherfreuet beide Töchter. Alvar Fañez übergab sie Den Gemahlen, und der gute Erzbischof verlobte sie. Feste werden angeordnet, Ritterkämpfe, Prachtturniere. Mohren, Christen, alle freuen Auf das Fest sich, auf die Spiele. Ach, ein böser Unfall störte Alle Freuden, alle Lust. Hört! Ein ungeheurer Löwe, Den der Cid an seinem Hofe Längst schon hielt, entkam dem Wächter, Und als wär er angewiesen, Lief er auf die beiden Grafen – Eben schlummerte der Cid –, Warf die Tafel um und brüllte Schrecklich. Sein Geschrei erweckte Schnell den Schlummernden; er sprang Auf den Stuhl, erhob die Stimme; Und der Löwe, der ihn ansah, Der die Eisenstimme kannte, Wandte sich und ging zurück. Blaß von Todesfurcht und Schrecken, Schleichen jetzt die Grafen seitwärts, Wähnend, daß zu ihrem Schimpfe Dieser Scherz bereitet sei. Darin stärket sie ihr Oheim, Der zur Heirat sie begleitet; Und so werden eins sie alle, Abschied schnell vom Cid zu nehmen, Wegzuziehn mit ihren Weibern Und zu rächen an den Töchtern, Was am Vater sie nicht könnten – O des schändlichen Beginnens! O des bübischen Verrats! Ehrerbietig treten beide Vor den Cid, Abschied zu nehmen, Heimzuziehn mit ihren Bräuten Und die Hochzeit dort zu feiren; Also wünschte es ihr Vater. – Cid, befremdet und betroffen, Hielt in seinem großen Herzen Beide – nicht für niederträchtig, Nur für launig und unhöflich; Doch der Mutter Herz wehklaget, Und es schlägt das Herz der Töchter, Unter Seufzern, unter Tränen Scheidend; Cid begleitet sie. 58. [Auf geradem Wege zogen] 58. Auf geradem Wege zogen Erst die Grafen; wohl empfangen Von des edlen Cids Vasallen, Freundlich auch von jedermann. Wer des Helden Namen kannte, Wer des Helden Töchter sah, War ihr froher Untertan. Auch die Schwiegersöhne heucheln Freundlich ihrem guten Vater, Der beklommen von den Töchtern Und mit Seufzen Abschied nahm; Denn ein Strom gepreßter Tränen Gießt sich auf der Töchter Wangen: »Warum geht Ihr, guter Vater? Wem verlaßt Ihr Eure Töchter?« Warum gehst du, edler Cid? Seitwärts ab vom Wege lenken Jetzt die Grafen in die Wüste, Voraussendend ihren Zug. Und als tief sie im Gebürge Waren, einsam von den Menschen, Hießen sie die edlen Doñas Niedersteigen von den Mäulern. O der niedrigen Verräter! O des schändlichen Verrats! Rache jetzt an Cid zu nehmen, An Cid, der sie nie beleidigt, Auch des Kastilianeradels Neid und Haß und bittern Groll Auszugießen, einzuprägen Unauslöschbar auf sein Haus, Reißen sie den Schmuck der Kleider Ab vom Busen der Vermählten, Schleppen sie an ihren Haaren, Geben Streiche ihren Wangen, Ihren Rücken Riemenstreiche Daß ihr Blut zur Erde fließt. »Habt das jetzt für euren Vater, Für den großen Cid, den edeln, Der den Kastilianeradel, Der den Hof verachtend schmähte, Der auf uns den Löwen ließ!« Also ließen sie die beiden, Die Unschuldgen, angebunden Tief im Wald an einem Baum. Und wie nach vollführtem Siege Ziehen fürder sie die Straße. »Wo ist unsre Herrschaft blieben?« Fragt der Zug. Die Grafen sprechen: »Doña Sol und Doña Elvira, Beide sind sie wohlversorgt.« O der niedrigen Verräter! O des schändlichen Verrats! Doch vom Himmel und im Herzen Ihres edlen großen Vaters. War die Rettung der Verlaßnen Wunderbar vorherbestimmt. »Reitet«, sprach der Cid beim Abzug Zu Ordoño, seinem Neffen, »Reitet querhin durch die Wüste! Zu Valencia sehn wir uns.« 59. [Angstgeschrei und Weh und Seufzen] 59. Angstgeschrei und Weh und Seufzen, Ächzen wie der Sterbenden Drang hinauf von den Verlaßnen, Auf gen Himmel und erreichte Bald Ordoños horchend Ohr. Den Verlassenen zu Hülfe Eilt' er tiefer in die Wüste, Und als er die Edlen sah, Wütend rauft er sich die Haare, Wütend flucht er den Verrätern – Feig entflohen waren sie. Decket dann mit seinen Kleidern Die Verlassenen, Halbtoten, Löset ihre harten Bande, Eilt, Erquickungen zu suchen, Rettung, Obdach, Sicherheit. Bald auch fand er einen Landmann, Treu dem Cid und ganz ergeben; In des Hütte trugen beide Schweigend die Verlassenen, Wo des Landmanns Weib und Töchter Freundlich ihrer sich annahmen Und sie treu verpflegeten. Don Ordoño sprach: »Señoras , Unter dieser guten Leute Sichern Obhut weilet hier! Ich geh jetzt mit einer Nachricht Ach, wo werd ich Worte finden, Sie dem Vater, sie der Mutter Zu verkündigen? Dem Cid!« Wo die Taten Rache fodern, Schweigen Worte. Cid erwidert Nichts und schlug sich an die Brust: »Wohl hast du mir das gesaget, Gutes Herz! Doch so abscheulich, Schändlich, häßlich, niederträchtig, Nicht der Teufel handelt so.« Aber welche Tränenquellen Werden jetzt der Mutter Augen! Standhaft tröstet sie der Cid, Sendet Boten ab zum König, Schnelle Boten, um Erlaubnis, Kommen selbst vor ihn zu dürfen, Gen Toledo, wo er war. 60. [Gnädig nahm ihn auf der König] 60. Gnädig nahm ihn auf der König, Als er ankam mit den Rittern, Gnädig, wie es Cid verdient: »Meine Dienste wißt Ihr, König, Für Fernando, Euren Vater, Für den unglückselgen Sancho Und, Alfonso, auch für Euch.« Alsobald gebot der König; Und die beiden Grafen reichten, Schimpflich und doch nicht beschämet, Die Tizona und Colado Ihrem edlen Herrn zurück. »Hab ich«, sprach der Cid, »euch wieder, Angedenken meines Lebens, Dich, Tizona, einst gewonnen Von Bukar, dem Mohrenkönig, Als Valencia ich bezwang, Dich, Colado, den der edle Graf von Barcelona trug, Als den Aragonierkönig Wir mit Ruhm besiegeten! Nehmt die Degen, Don Bermudez Und Alvar Fañez Minaya; Bis zum Schluß der Reichsversammlung Wahrt vor jedem Niederträchtgen, Wahret sie in eurer Hand!« Jetzt mit fürchterlichem Aufruf Griff der Cid an seinen Bart, Nannt in Gegenwart des Königs Und der ganzen Reichsversammlung, Nannt die Grafen und den Oheim, Der den Anschlag angegeben, Niederträchtige Verräter. Als ein Mann von Ehre trug er Ritterlich die Klage vor. Sich entschuldgen wollen beide; Doch umsonst ist die Entschuldgung, Auf der Lippe stockt das Wort. »Sprechet«, rief der Cid noch lauter, »Ist es Wahrheit, was ich sage? Tod oder Bekenntnis.« – »Der«, Sprach im Spott Garzia Cabra, »Der mit seiner Eisenstimme Und mit seinem langen Bart Will euch, Grafen, hier erschrecken; Geh er hin zu seinen Mauren« – »Schweigt!« antwortete der König; »Recht gilt hier es und Gericht. Fechten müßt ihr, Angeklagte, Drei mit drei, ihr beiden Grafen Und der Oheim in Person; Anderseits, wen von den Rittern Gegenüber euch zu stellen Der Beleidigte sich wählt.« Auf der Stelle wählte Cid Drei von seinen wackern Männern, Don Bermudez und zwei Vettern, Stellend sie dem Feinde dar; Nahm darauf vom König Abschied, Nach Valencia zog er heim. 61. [Niederträchtige Verräter] 61. Niederträchtige Verräter Bleiben immer hinterlistig; Können sie mit Ritterehre Nicht entgehn dem bösen Kampf, Wollen sie ihn von Toledo Fernhin ziehen auf die Ebne Ihres Städtchens Carrion. Schon versammlet sind dort alle Große, stattliche Verwandte, Selbst aus königlichem Stamm, Alle reich in goldner Rüstung, Alle prächtig im Gefolge, Übermütig, frech und stolz. Und ihr Anschlag ist, die Ritter Cids voran hinwegzublasen, Ehe noch der Kampf beginnt. Kaum wird diesen solches merkbar, Wenden sie sich an den König: »Unter des Gesetzes Schutz Und in deinem sind wir, König, Dir vertraut, dir anbefohlen; Wenn wir hinterlistig fallen, Rächen wird uns unser Cid.« So gewarnet, nimmt der König Aller dreier Leib und Leben Öffentlich in seinen Schutz; Weist die hinterlistgen Grafen Gen Toledo, untersagend Das Gefecht in Carrion. Oh, wie sank das Herz den Frechen! Vorm Colado, vor Tizona Zittert jetzt ihr Übermut. Feld und Platz sind abgemessen, Aufgerichtet stehn die Schranken. Wo bleibt Fernan Gonzalez? Denn Bermudez steht erwartend Endlich tritt er auf, erbebend, Stößt zuerst mit seiner Lanze, Und schon liegt er tief am Boden Mit durchbohrtem Schild und Harnisch; Bittend fleht' er um sein Leben, Als er die Tizona sah Aufgehoben. »Stirb, Verräter!« Rief Bermudez. »Schenk, o schenke Mir mein Leben!« sprach der Feige, »Ich erkenne mich besieg.« Martin Antolin von Burgos Hob die Lanz und den Colado Gegen Diego Gonzalez. Mächtig schrie er um Erbarmen Unter Püffen, unter Streichen Des Colado, bis sein Roß ihn Günstig aus den Schranken riß. »O wie schändlich«, riefen alle, »Schändlich ist auch der besiegt.« Nuño Gustioz tritt entgegen Dem verräterischen Oheim, Suer Gonzalez, durchbohret Ihm auf einmal Helm und Schild; Blutend liegt er an dem Boden. Schon setzt Nuño ihm die Lanze Ins Gesicht; da ruft des Vaters Klägliches Geschrei: »Erbarmen! Lieget er denn nicht besiegt?« Ja, besiegt und niederträchtig Feige, sind sie überwunden, Die Stolzen, Vermessenen. Nichts blieb itzt dem König übrig, Als das Urteil auszusprechen »Niedriger Verräterei«. Ehrlos werden ihre Namen, Eingezogen ihre Güter, Und kein Mann von Ehre nennet Ohne Scham die Niedrigen. Als der Cid von seinen Siegern Froh die gute Botschaft hörte, Dankt' er Gott; doch blieb im Herzen Ihm die bittere Erinnrung Lebenslang ein wunder Ort. Seit der Schmach, die ihm begegnet, Trug er fortan schwarze Rüstung, Übersät mit goldnen Kreuzen, Und war stiller als vorher. 62. [Eingeschlummert, matt vor Alter] 62. Eingeschlummert, matt vor Alter, Saß auf seinem hölzern Stuhle Cid, der Feldherr; neben ihm Saß Ximene mit den Töchtern, Stickend eine feine Leinwand. Ihnen winkte mit dem Finger Sie, des Vaters süßen Schlummer Nicht zu stören; alles schwieg – Als zwei persische Gesandte, Den ruhmvollen Cid zu grüßen, Kommen mit Geräusch und Pracht; Denn der Ruf von seinen Taten, Von der Größe seines Wertes, Drang durch Mauren und Araber Hin ins ferne Persien. Von des Helden Ruhm ergriffen, Sandt der Sultan ihm Geschenke, Seidenstoffe, Spezerein. Angelanget mit Kamelen, Traten vor ihn die Gesandten. »Ruy Diaz«, sprach der eine Mit hinabgesenktem Blick, »Ruy Diaz, tapfrer Feldherr! Unser mächtiggroßer Sultan Beut dir seine Freundschaft an. Bei dem Leben Mahoms schwur er: Hätt er dich in seinem Lande, Wohl die Hälfte seines Reiches Gäb er gerne dir als Freund. Seine Achtung dir zu zeigen, Sendet er dir die Geschenke.« Ihm antwortete der Cid: »Sagt dem Sultan, Eurem Herren, Daß die Ehre seiner Botschaft Ich empfange unverdient. Was ich tat, es war nur wenig; Was ich bin, ward oft verleumdet. Hätt er sich bei uns erkundet, Wer ich sei, er hätte wahrlich Mir die Ehre nicht erzeigt. Indes wär er Christ, ich machte Ihn zum Richter meines Werts.« Also sprach der Cid und zeigte Ihnen darauf seine Schätze, Die Gemahlin und die Töchter, Zwar nicht überdeckt mit Perlen, Ohne Schmuck und Edelsteine, Doch des Herzens Güt und Unschuld Sprach aus jeglichem Gesicht. Über seiner Töchter Schönheit Waren beide hoch erstaunt, Und noch mehr, noch mehr erstaunet Über seine schlichte Sitten, Über sein einfaches Haus. Auch in Spanien besiegte Bald sein Ruhm die ärgsten Neider; Seine schönen, edlen Töchter, Doña Sol und Doña Elvira, Fand der Lohn; an zwei Infanten Aragoniens und Navarras Wurden glücklich sie vermählt. 63. [Matt von Jahren, matt von Kriegen] 63. Matt von Jahren, matt von Kriegen, Obwohl überdeckt mit Ruhme, Als der Cid Bukar entgegen, Der, Valencia ihm zu rauben, Auf ihn drang mit starker Heerskraft, Dreißig Könige mit ihm. Als Cid gegen sie hinauszog, Sprach er zu Ximenen so: »Wenn ich überdeckt mit Todeswunden Auf dem Schlachtfeld falle, so bestatte Mich beim heilgen Pedro de Cardeña, Nahe dem Altare; und, Ximene, Sei wohl auf der Hut, daß dich der Mauren Keiner dann in Furcht und Schwachheit sehe! Wenn man diesseit über meinem Leichnam Ruhepsalmen singt, so rufe jenseit Man zu Waffen, daß mein Tod den Feinden Neuen Mut nicht und den Sieg nicht gebe. In der Rechte laß mir die Tizona Auch in meiner Gruft, daß sie kein andrer, Kein Unwürdger führe! Will es Gott so Und du siehst Babieca aus dem Schlachtfeld Ohne mich heimkehren, öffn ihm freundlich Gleich die Pforte, streichle ihn, Ximene! Wer dem Herrn so treu wie er gedient hat, Ist auch Lohns wert nach des Herren Tode. Hilf, Ximene, hilf mir in die Waffen! Sieh, dort blinket schon die Morgenröte, Und es geht auf Leben oder Tod jetzt. Gib mir, Liebe, gib mir deinen Segen! Und was ich erworben, sei der Himmel Gnädig deiner Kraft, es zu erhalten!« Ausgesprochen diese Worte, Schwang er mühsam sich vom Eckstein Auf sein gutes Pferd Babieca; Das sah seinen Herren traurig, Traurig hing es seinen Kopf. 64. [Matt von Kriegen, matt von Kämpfen] 64. Matt von Kriegen, matt von Kämpfen Lag der Cid auf seinem Lager, Denkend an die nahe Zukunft, An Gefahren der Ximene, Als er neben sich am Bette Leuchten sahe welchen Glanz! Einen Mann an seiner Seite Sah er; heiter war sein Antlitz, Glänzend, und sein Haar gekräuselt, Weiß wie Schnee; er saß ehrwürdig Da, in süßem Himmelsduft. »Schlummerst du, mein Freund Rodrigo?« Sprach er. »Auf, ermuntre dich!« »Und wer bist du«, sprach der Feldherr, »Der im Wachen mit mir spricht?« »Pedro bin ich, der Apostel, Dessen Haus dir so beliebt ist, Hergesandt auf deine Sorgen, Komm ich, zu verkünden dir, Daß dich Gott nach dreißig Tagen Rufet in die andre Welt, Wo dich alle deine Freunde, Wo die Heilgen dich erwarten. Um die Freunde, die du lässest, Um Ximenen sei nicht bange! Aufgetragen meinem Vetter, Dem Sant-Jago, ist ihr Sieg. Mache fertig dich zur Reise Und bestelle froh dein Haus!« Dies gehöret, sprang Rodrigo Munter auf von seinem Lager, Will dem heiligen Apostel Dankend froh zu Fuße fallen. Doch die himmlische Erscheinung War hinweg; er stand allein. 65. [Tausend hundert zweiunddreißig] 65. Tausend hundert zweiunddreißig Am dreizehnten Tag des Maimonds War es, als der gute Feldherr Von Bivar die Welt verließ. Tages drauf, als ihm San Pedro Prophezeiend war erschienen, Ließ er seine Freunde kommen, Und Ximenen ihm zur Seite, Sprach er seinen letzten Willen Ernst und ruhig also aus: »Zu San Pedro de Cardeña, Wie du mir versprachst, Ximene, Wird mein Körper heimgeführt. Jedem meiner edlen Männer Gib fünfhundert Maravedis! Denn sie waren treu ergeben, Treu dem Cid bis in den Tod. Alvar Fañez von Minaya, Du, mein Freund, wirst sie verteilen. Was dir bleibt, meine Ximene, Wend es an zu frommen Werken, Und für deine Güt und Liebe Habe meinen treusten Dank! In das Kloster zu Cardeña Wirst du meinen Leib begleiten; Mein Vertrautester, Gil Diaz, Don Jeronimo, der Bischof, Alvar Fañez und Bermudez, Meine Treugeliebten alle, Werden, dir und mir gefällig, Wohl mit dir die Reise tun.« So empfahl er Gott die Seele, Nahm Abschied von seinen Freunden Und empfing das Sakrament. 66. [Tages noch vor seinem Tode] 66. Tages noch vor seinem Tode Ließ Cid seine Freunde kommen, Und als Feldherr sprach er so: »Ich weiß, daß der Maurenkönig, Daß Bukar mit seinen Heeren, Der Valencia hart umschließt, Gierig meinen Tod erwartet; Bergt dem Sarazenen ihn! Und die kostbarn Spezereien, Die Balsame, die der Sultan Mir aus Persien gesandt, Sandt er wohl für meinen Leichnam. – Wohl, ihr Freunde, laßt ihn waschen, Balsamiert ihn mit der Myrrhe, Kleidet ihn von Haupt zu Fuß; Sant-Jago wird euch begleiten, Und kein Klaggesang erschalle, Keine Träne wein um mich! Vielmehr, wenn ich ausgeatmet, Lasset die Drommeten tönen, Laßt die Pauken, laßt die Zimbeln, Laßt die Klarinetten rufen Feldgeschrei zur nahen Schlacht! Und wenn ihr dann nach Kastilien Meinen Leichnam hinbegleitet, Wiß es ja kein Mohrenseewolf; Alle lasset hier zurück! Sattelt meinen Freund Babieca, Kleidet mich in meine Waffen, Gürtet an mir die Tizona, Und so setzt mich auf mein Roß! Neben mir dann geht Gil Diaz, Don Jeronimo, der Bischof, Und mein tapfrer Freund Bermudez; Ihr, Alvar Fañez Minaya, Ziehet stracks hin auf Bukar; Daß Euch Gott den Sieg verleihn wird, Sagte mir San Pedro selbst.« Also sprach der Feldherr ruhig; Und des Sultans Ehrenbalsam War gesandt ihm zum Triumph. 67. [Fahnen, gute alte Fahnen] 67. Fahnen, gute alte Fahnen, Die den Cid so oft begleitet In und siegreich aus der Schlacht, Rauschet ihr nicht in den Lüften? Traurig, daß euch Stimm und Sprache, Daß euch eine Träne fehlt; Denn es brechen seine Blicke, Er sieht euch zum letztenmal. Lebet wohl, ihr schönen Berge, Teruel und Albarazin, Ewge Zeugen seines Ruhmes, Seines Glückes, seines Muts; Lebet wohl, ihr schönen Höhen, Und du, Aussicht auf das Meer hin! Ach, der Tod, er raubt uns alles, Wie ein Habicht raubt er uns! Seht, es brechen seine Augen, Er blickt hin zum letztenmal. Was hat er gesagt, der gute Cid? Er liegt auf seinem Lager. Wo ist seine Eisenstimme? Kaum noch kann man ihn verstehen, Daß er seinen Freund Babieca, Ihn noch einmal sehen will. Babieca kommt, der treue Mitgefährt des wackern Helden In so mancher, mancher Schlacht. Als er die ihm wohlbekannten Guten alten Fahnen siehet, Die sonst in den Lüften wehten, Hingebeugt aufs Sterbelager, Unter ihnen seinen Freund, Fühlt er seinen Lauf des Ruhmes Auch geendet, steht mit großen Augen stumm da wie ein Lamm; Sein Herr kann zu ihm nichts sprechen, Er auch nichts zu seinem Herrn. Traurig sieht ihn an Babieca, Cid ihn an zum letztenmal. Gerne hätt sich Alvar Fañez Mit dem Tode jetzt geschlagen; Ohne Sprache sitzt Ximene; Cid, er drückt ihr noch die Hand. Und nun rauschen die Paniere Stärker; durch das offne Fenster Weht ein Wind her von den Höhen – Plötzlich schweigen Wind und Fahnen Edel; denn der Cid entschläft. Auf, nun auf! Drommeten, Trommeln, Pfeifen, Klarinetten tönet, Übertönet Klag und Seufzen! Denn der Cid befahl es da. Ihr geleitet auf die Seele Eines Helden, der entschlief. 68. [Ausgeatmet hat der gute] 68. Ausgeatmet hat der gute Cid, der von Bivar sich nannte. Zu vollbringen seinen Willen Ist Gil Diaz jetzt bedacht. Balsamieret wird sein Leichnam. Frisch und schön, als ob er lebte, Sitzt er da mit hellen Augen, Mit ehrwürdig-weißem Bart; Eine Tafel stützt die Schultern, Eine Tafel Kinn und Arme, Unbewegt auf seinem Stuhle Sitzt er da, der edle Greis. Als zwölf Tage nun vergangen, Schalleten die Kriegsdrommeten, Weckten auf den Maurenkönig, Der Valencia hart umschloß. Mitternacht wars, und man setzte Auf sein gutes Pferd Babieca Grad und fest den toten Herrn; Schwarz und weiße Niederkleider, Ähnlich dem gewohnten Harnisch, Den Cid an den Beinen trug; Durchgenäht mit goldnen Kreuzen War die Kleidung; ihm am Halse, Eingefaßt mit der Devise, Wellenförmig hing sein Schild. Von gemaltem Pergamente Stand ein Helm ihm auf dem Haupte; Ganz in Eisen eingekleidet Schien er da auf seinem Roß, In der Rechte die Tizona. Neben ihm zu einer Seite Ging Jeronimo, der Bischof, An der andern ging Gil Diaz; Beide führten den Babieca, Der sich seines Herrn erfreute, Der noch einmal auf ihm saß. Sacht geöffnet ward die Pforte, Die hin gen Kastilien führet, Trabetor wird sie genannt. Durch sie zog Pedro Bermudez Mit erhobner Fahne Cids, Neben ihm vierhundert Ritter Zur Bedeckung ihr voran. Jetzt nun folgete Cids Leiche, Hundert Ritter um sie her; Hinter ihr Doña Ximena, Wohlbegleitet von sechshundert Edlen Männern, ihrem Schutz. Schweigend ging der Zug und langsam, Leis, als wären es kaum zwanzig; Aus Valencia waren alle Längst schon, als der Tag anbrach. Alvar Fañez war der erste; Wütig stürzt er auf die Mauren, Die Bukar hieher gelagert; Ungeheuer war die Zahl. Traf zuerst auf eine schwarze Mohrin, die aus türkschem Bogen Giftge Pfeile tödlich schoß, Also meisterhaft, daß man sie Einen Stern des Himmels nannte; Sie und ihre Schwestern alle, Hundert schwarze Weiber, streckte Alvar Fañez in den Staub. Dies gesehn, erschraken alle Sechsunddreißig Mohrenkönge; Furchterblasset stand Bukar. Wohl sechshunderttausend Ritter Dünkt ihnen das Heer der Christen, Alle weiß und hell wie Schnee. Und der Schrecklichste vor allen, Reitend vor auf weißem Rosse, Größer als die andern alle, In der Hand eine weiße Fahne, Auf der Brust ein farbicht Kreuz, Sein Schwert glänzete wie Feuer, Als er anlangt bei den Mauren, Breitet ringsum er den Tod. Alle fliehen nach den Schiffen, Viele stürzen sich ins Meer; Wohl zehntausend waren ihrer, Die die Schiffe nicht erreichten, Die des Meeres Flut verschlang. Von den Mohrenköngen blieben Zwanzig; nur Bukar entrann. Also siegt' auch nach dem Tode, Weil San Jago ihm voranging, Cid; gewonnen ward an Beute Großer Reichtum, alle Zelte Voll von Golde, voll von Silber; Auch der Ärmste wurde reich. Sodann setzten nach, dem Willen Cids die freundlichen Begleiter Nach San Pedro de Cardeña Ruhig ihre Reise fort. 69. [Boten sandte jetzt Ximene] 69. Boten sandte jetzt Ximene Auf der Reise nach Kastilien, Boten an Cids Anverwandte, Boten auch an ihre Töchter Und an ihre Schwiegersöhne, Zwei gekrönte Könige: Daß sie kämen und den Feldherrn, Ihren Freund und Vater, ehrten, Ihm erzeigend noch die letzte Trauervolle Liebespflicht. Alvar Fañez war der Meinung, Daß man in den Sarg ihn legte, Diesen dann mit Purpur deckte Und mit goldnen Nägeln schlösse; Doch Ximene Gormaz sprach: »Cid mit seinem schönen Antlitz, Mit den hellen, offnen Augen, Soll er in den Trauerkasten, In den fest verschloßnen Sarg? Nein! Es sollen meine Töchter, Meine Schwiegersöhn ihn sehen, Wie er noch im Tode lebt.« Angenommen ward die Meinung. Eine Stunde weit von Osma Sammlete sich die Versammlung, Und der Ehrenzug begann. Aragoniens König Sancho Kam mit seinen braven Rittern; Ihre rückgekehrten Schilde Hingen an den Sattelbogen, Schwarze Mäntel trugen alle, Aufgeschlitzte Trauerkappen, Nach kastilischem Gebrauch. In der tiefsten Trauer waren Doña Sol und ihre Damen, Schwarz umhüllt mit Etamin.. Fast erhob sich schon ein Weinen; Aber schnell verbot Ximene Alle Klagen, alle Tränen, Weil der Cid es untersagt. Ihres Vaters Hand zu küssen, Nahten still verehrend beide, König und die Königin. Auch der König von Navarra Trat hinzu mit Doña Elvira, Küssend ihres Vaters Hand. Viele stille Tränen flossen, Bis sie zu San Pedro kamen, Wohin sich der Cid gewünscht. Selbst der König von Kastilien, Als er von dem Zuge hörte, Sandt er Boten, ihn zu grüßen, Ehrenvoll ihn zu begleiten, Eilte selbst hin nach Cardeña; Und als er den Toten sah, Wundert' er sich seiner Schönheit, Ordnete, daß statt im Grabe Er auf einem prächtgen Stuhle Säße neben dem Altar. Aufgerichtet, reich vergoldet, Ward ihm schnell ein Tabernakel. Länger als zehn Jahre saß er Da in seiner vollen Rüstung, Als ob er noch leibt' und lebte, Die Tizona in der Hand. 70. [Sancho, König in Navarra] 70. Sancho, König in Navarra, Zugenamt der Heldenmütge – Er, des großen Cids Urenkel, Den ganz Spanien noch verehrt –. Mit Alfonso von Kastilien Führet' er siegreiche Kriege, Drang hinein bis über Burgos, Überall gewinnend Beute, Bis mit solcher reich beladen Er hinwegzog, voll des Wahnes, Niemand könn ihm widerstehn. So kam er auf seinem Rückzug In das Kloster de Cardeña, Wo begraben lag der Cid, Hochverehrt; denn niemand glich ihm Seit der Zeit an Mut und Stärke, Wie an Güt und Redlichkeit. Vorgesetzter dieses Klosters War ein Abt, ein Mann von Jahren, Der als Ritter einst in Waffen Ehre sich und Ruhm erworben, An Gestalt ein Mann von Ansehn, Voll Gemüts; es drückt' ihn schmerzlich, Daß der König von Navarra Mit dem Schimpfe von Kastilien So viel Beute mit sich nahm. Als der König zum Altare Trat, bewundernd seine Fahne, Deren gleich er in ganz Spanien Keine nirgend je gesehn, Riß der Abt sie vom Altare Und erhob die Fahne – Cids. »Wisse«, sprach er, »großer König, Wiß, in diesem heilgen Kloster, Das mir anvertrauet ist, Liegt ein Held, mit dessen Fahne, Unter ihr darf ich mich messen, Großer König, selbst mit dir; Denn hier ist die Leichenstätte Cids, genannt Campeador. Eine Gunst von dir zu bitten, Herr, ergriff ich seine Fahne Kühn und trage meine Bitte Dir in tiefster Demut vor. Laß den Raub zurück, o König, Den du unserm Land entziehest! Dir gereichts zu höherm Ruhme, Wenn du ihn der Heldenfahne Weihest und dem Grabe Cids.« Einen Augenblick betroffen Und nachdenkend stand der König Über dieses Abtes Mut; Dann sprach er: »Aus mehrern Gründen Tu ich, Vater, was Ihr bittet, Und laß meine Beute hier. Erstens, weil ich, aus dem Blute Des Campeadors entsprossen, Der Urenkel bin vom Cid. Seine Tochter Doña Elvira, Die Gemahlin Don Garzias Rühm ich, ist Großmutter mir. Zweitens laß ich, aus Verehrung Gegen diese Heldenfahne Und des hier Begrabnen Ruhm, Eurer Obhut anvertrauet Gern die Kriegesbeute hier, Die ich dann auch, recht gesaget, Wäre jetzt der Cid am Leben, Wohl nicht mit mir nehmen dürfte; Nie wär ich so weit gekommen, Hätte nie sie mir erworben, Nie ließ er vor seinen Augen Sie hinziehn aus seinem Lande, Lebte noch der tapfre Cid. Also laß ich sie dem Toten, Euch zu frommem Brauch zurück.« Er befahl, und alle Beute Blieb dem Kloster von Cardeña; Sie ward eine fromme Stiftung. Ein Wohltäter für die Armen, Ein Beschützer der Verlaßnen Ward der Cid auch in der Gruft.