An den Genius von Deutschland 1770. Sei vor mir, Vaterlands, Du, Deutschlands Genius! Zwar nie betrat Dein stolzer Fuß Altar! Dein Götterangesicht, Von Gold und Edelsteine Licht Hat's nie geglänzt, wie Roma! – schwebtest Lebendig Deinen Söhnen vor, Hermannen vor, und bebtest Lustschauer in ihr Ohr, Triumphton, heil'gen Schau'r, für Gott und Vaterland Zu sterben noch mit tapfrer Hand, Und boten, Opfer am Altar, Dir frohe, volle Schale dar, Ihr Herzensblut, auf heil'ger Stätte, In Schlachtgefild, und boten ihn, Geweiht mit Blutgebete, Den kühnern Söhnen hin, Den Schild. Und sahn mit Blick voll Ruh den Heldenlauf Des Thatenlebens, sahn hinauf; Denn hinter ihnen blieb der Schild Voll Blut und Ruhms und Namens Bild, Blieb an der Söhne Brust, zu blitzen, Ein edler Stern! und ihre Hand Zu weihn und fort zu schützen Die Mutter Vaterland Als Mauer, die die Väter waren. Und hinauf Vollbrachten sie den Heldenlauf In neues, hohes Vaterland, Das Teut und Mann und Hermann fand! Denn als des Todesadlers Schwingen Anrauschten, und ihr Heldenblick Zerfloß in Jubelklingen Der Schild': – er kam zurück Im Väterhimmelreich. Stolz seiner Bürde, trug Der Adler sie empor, den Flug Des Siegepfeils! Und schauen nun, Was Thaten ihre Söhne thun! Sehn, helle Wolken! auf uns nieder, Wo Teut und Mann und Hermann thront, Und hören unsre Lieder, Lustschauernd in den Mond. O Liebe Du! Du Lieb' und Stolz fürs Vaterland, Erfandst, was kein Betrug erfand, Unsterblichkeit! – Zu Luft verwehn Die Helden? und in Moder gehn Die Thatenthäter? Nein! ihr Schatten Schwebt mondhin weg dort! Schauen nun, Was sie vollbracht einst hatten, Jetzt Heldensöhne thun! Nicht führt ihr Wolkenarm, er führt das tapfre Schwert Nicht mehr! Allein da blitzt's! Da fährt Ein Heldenschau'r hinab aufs Heer Der Streiter! sinkt – wie kalt und schwer! – Ein Balsamthau, sie neu zu regen. In Haineswipfeln rauscht's; es schallt Mit Herz- und Liedesschlägen Und Schildschlags Allgewalt Der Väter Hain! O, Knecht nur hat Dich nicht erkannt, Du Adelgöttin Vaterland! Die, was nur Menschheit Würde schmückt, Die Allem höchste Blum' entpflückt Zur Kron'! Und kann, kann Welt sie geben, Selbstfrohe Würde süßer Müh Und Ruhm und Wonneleben, So, Göttin, gabst Du sie! Du, mehr als Weiberlieb' und Mann- und Vaterherz Und Brudertreu und Freundeschmerz, Bist Kind- und Weib- und Mutterschall Und Freundesstimme! bist ein All Der süßen Tön' und Tugendnamen, Bist großer Mutter, Menschlichkeit, Der erstgeborne Samen, Bist Erdeseligkeit, Die höchst', o Selige! O, ferne Deinem Schooß, War Wüstenei mein Jugendloos! Wär' aber Gott und Vaterland Dem Waisen ewig unerkannt Geblieben, solltest sie ihm dichten, O Phantasie, vor Sonn' und Baum: »Sei Du mein Gott!« und dichten Ihm neuen Wunderraum Zu Thatensiegesbahn! denn freilich ist es Land Kaum mehr, der Sund, der Inselnsand, Mein Deutschland! ist von langer Zeit Entstammt, entmannet! weit und breit Verflossen! Jordan, Po und Tiber, Sie schäumten voll von Heldenblut Der Deutschen! wogen über Von Papst- und Türkenwuth Und deutschen Seelen! Endlich würgeten sie sich, O Mutter Deutschland! sich und Dich, Am Busen Dir die Kinder! Brüllt Ein Chaos so, wie's Deutschland füllt, Das Zwistgewitter! Unzubeugen, Du Wolkenschlacht, o wirst Du, wenn? Im Segen niedersteigen, In Fruchtbarkeit zergehn? Der freien Deutschen Blick, so kühn und blau und hell, Wie lang' soll er dem Tanz-Marcell Der Blick des Sklaven-Sklaven sein? Die konnten einst die Welt befrein, Die lassen, Knaben, sich entmannen Von Knabenwüthrichen, die noch, Die kläglichen Tyrannen, Selbst tragen Vormundjoch! Der freien Deutschen Geist, wie lange soll er sein Ein Miethlingsgeist? soll wiederkäun, Was Andrer Fuß zertrat? Der Ruf, Der einst in Leibnitz Weltall schuf, Wie schnöde muß er kluftversausen In Schulen, und statt Sonnenwelt Sich Seifenweltall brausen, Das mit dem Hauche fällt! Der freien Deutschen Lied, wie lange soll es sein Ein Pangeschrei? wie handgemein Aus hundert Flöten! Widerhall Aus hundert Klüften! tauber Schall Vom Schilfe Jordan's und der Tiber Und Thems' und Sein'! und nie, o Rhein Und Kön'gin Elbe! – lieber Sollt Ihr die Götter sein Der Lieder, die nicht Höfen lispeln! Sollen nicht Um Höfe lispeln! denn das Licht Der Barden ging am Himmel auf Wie Sonne, ging den großen Lauf Mit Held und Geist, und ließ im Dunkeln Der Blinzer mehr als, demanttheu'r, Nachtwurmes Antlitz funkeln Und kaltes Mäusefeu'r Statt Sonne. Doch, Gesang, wie vor Olympens Thor, Wirfst Du den Nacken stolz empor, Und knirschest hart Gebiß, o Lied, Was Deine Flammenzung' umzieht, Die Siege schnaubt! O geh und fröhne Vor Pflug und Lasten Koth und Sand, Wie hundert edle Söhne Der Mutter Vaterland!