Amor's Schicksale Nach dem Spanischen. 1. Liebe fordert Gegenliebe; Ohne Kampf und Siege wachsen Amorn seine Schwingen nicht. Von der Anmuth selbst geboren Und von Grazien erzogen, Blieb er, ohne Streit und Kämpfe, Flügellos und klein und schwach. »Schaff ihm,« sprach die weise Themis, »Mutter, schaff ihm einen Bruder, Der ihn fordre, der ihn reize; Denn sein Vater war der süße Trieb, und ihm im Busen schläget Mächtig seines Vaters Herz.« Dies geschah: dem Kinde sproßten, Kämpfend mit der Gegenliebe, Schnell die Flügel; Adlerschwingen Trugen kühn ihn zum Olymp. 2. Aber kampf- und sieggewohnet, Säet Amor im Olympus Bald auch Streit und Zwietracht aus. Denn unglücklich war sein Bruder Drunten scheu zurückgeblieben. »Im Olympus,« sprach er, »kennet Man die Gegenliebe nicht.« Da ergriff der Gott Saturnus Schnell den Knaben an den Flügeln, Kürzet' ihm die kühnen Schwingen, Schleudert' ihn zur Erd' hinab. Seitdem flattert er hienieden, Wie die Schwalbe, wie die Taube; An den Hof der großen Götter Tragen ihn die Schwingen nicht. 3. Dafür sammelt er auf Erden Sich ein Corps erwählter Freunde. Musen, Grazien umgeben Ihren Liebling. Schäferinnen, Kinder, Jünglinge und Mädchen Sind an jedem Fest der Ceres Oder an Jakchus Kelter, Sind an jedem Frühlingsfeste Allenthalben mit ihm gern. Und die Nachtigallen singen Lieblicher; die Lauben blühen Mit Jelängerundjelieber; Rosen knospen, und die treue Taube fliegt in seinen Schooß. 4. Aber eingedenk auch seines Schicksals bei den hohen Göttern, Siehet Amor je auf Erden Einen, spielet er ihm Trug. Diesen wandelt er zum Kuckuk, Jenen gar zum goldnen Regen, Den die Schürze spottend auffängt, Den zum Stier. Die Gottgeliebte Wird zur Jo, wird zur Echo, Zur betrüglich leichten Welle Oder gar zum Aschenhäufchen Und zum traurig-dürren Baum. 5. Nur den Menschen ist die Liebe Hold und freundlich. Wo im Herzen Eros wohnet, blickt dem Bruder Vom gesenkten Augenlide Anteros gefällig zu.