Vor dem Vesperbilde Seh' ich Dir im Schooß die bleiche Blutgefärbte Gottesleiche Mit den Wunden ohne Zahl, Wag' ich nicht, den Blick zu heben, Muß in tiefster Brust erbeben, Fühle Scham und Reuequal. Denn ich bin's, die Ihn geschlagen, Bin der Grund von Deinen Klagen, Von der namenlosen Qual, Die Dein reines Auge röthet; Denn ich habe Ihn getödtet – Weh! mit Sünden ohne Zahl. Schmerzensmutter! Reine! Milde! Ja, ich will vor Deinem Bilde Laut bekennen den Verrath. Wollt' ich meine Schuld verschweigen, Müßten selbst die Steine zeugen Wider meine Missethat. Wisse: dreiunddreißig Jahre Liebte mich der Wunderbare, Er, Dein Sohn und Gottes Sohn, Hat um mich gedient, gelitten, Wider meinen Feind gestritten Und – mein Undank war Sein Lohn. O, wie hat er treu geliebet! Hat sich in den Tod betrübet, Weil ich Liebe Ihm versagt! Ist in bitt'rer Schmach gestorben, Hat mit Blut um mich geworben, Ach! um mich , die ärmste Magd. – Doch fortan nun Dir zu Füßen Will ich mit Dir weinen, büßen, Daß ich Dir erschlug den Sohn. Woll'st, o Milde! für mich flehen, Daß gesühnt ich möge stehen Selig einst vor Seinem Thron. Wiedenbrück, 1854.