4. Meine Frau ist nicht zufrieden Mit dem vorigen Kapitel, Ganz besonders in bezug Auf das Kästchen des Darius. Fast mit Bitterkeit bemerkt sie: Daß ein Ehemann, der wahrhaft Religiöse sei, das Kästchen Gleich zu Gelde machen würde, Um damit für seine arme Legitime Ehegattin Einen Kaschemir zu kaufen, Dessen sie so sehr bedürfe. Der Jehuda ben Halevy, Meinte sie, der sei hinlänglich Ehrenvoll bewahrt in einem Schönen Futteral von Pappe Mit chinesisch eleganten Arabesken, wie die hübschen Bonbonnieren von Marquis Im Passage-Panorama. »Sonderbar!« – setzt sie hinzu – »Daß ich niemals nennen hörte Diesen großen Dichternamen, Den Jehuda ben Halevy.« Liebstes Kind, gab ich zur Antwort, Solche holde Ignoranz, Sie bekundet die Lakunen Der französischen Erziehung, Der Pariser Pensionate, Wo die Mädchen, diese künft'gen Mütter eines freien Volkes, Ihren Unterricht genießen – Alte Mumien, ausgestopfte Pharaonen von Ägypten, Merowinger Schattenkön'ge, Ungepuderte Perücken, Auch die Zopfmonarchen Chinas, Porzellanpagodenkaiser – Alle lernen sie auswendig, Kluge Mädchen, aber Himmel – Fragt man sie nach großen Namen Aus dem großen Goldzeitalter Der arabisch-althispanisch Jüdischen Poetenschule, Fragt man nach dem Dreigestirn, Nach Jehuda ben Halevy, Nach dem Salomon Gabirol Und dem Moses Iben Esra – Fragt man nach dergleichen Namen, Dann mit großen Augen schaun Uns die Kleinen an – alsdann Stehn am Berge die Ochsinnen. Raten möcht ich dir, Geliebte, Nachzuholen das Versäumte Und Hebräisch zu erlernen – Laß Theater und Konzerte, Widme ein'ge Jahre solchem Studium, du kannst alsdann Im Originale lesen Iben Esra und Gabirol Und versteht sich den Halevy, Das Triumvirat der Dichtkunst, Das dem Saitenspiel Davidis Einst entlockt die schönsten Laute. Alcharisi – der, ich wette, Dir nicht minder unbekannt ist, Ob er gleich, französ'scher Witzbold, Den Hariri überwitzelt Im Gebiete der Makame, Und ein Voltairianer war Schon sechshundert Jahr' vor Voltair' – Jener Alcharisi sagte: »Durch Gedanken glänzt Gabirol Und gefällt zumeist dem Denker, Iben Esra glänzt durch Kunst Und behagt weit mehr dem Künstler – Aber beider Eigenschaften Hat Jehuda ben Halevy, Und er ist ein großer Dichter Und ein Liebling aller Menschen.« Iben Esra war ein Freund Und, ich glaube, auch ein Vetter Des Jehuda ben Halevy, Der in seinem Wanderbuche Schmerzlich klagt, wie er vergebens In Granada aufgesucht hat Seinen Freund, und nur den Bruder Dorten fand, den Medikus, Rabbi Meyer, auch ein Dichter Und der Vater jener Schönen, Die mit hoffnungsloser Flamme Iben Esras Herz entzunden – Um das Mühmchen zu vergessen, Griff er nach dem Wanderstabe, Wie so mancher der Kollegen; Lebte unstet, heimatlos. Pilgernd nach Jerusalem, Überfielen ihn Tartaren, Die an einen Gaul gebunden Ihn nach ihren Steppen schleppten. Mußte Dienste dort verrichten, Die nicht würdig eines Rabbi Und noch wen'ger eines Dichters, Mußte nämlich Kühe melken. Einstens, als er unterm Bauche Einer Kuh gekauert saß, Ihre Euter hastig fingernd, Daß die Milch floß in den Zuber – Eine Position, unwürdig Eines Rabbis, eines Dichters – Da befiel ihn tiefe Wehmut, Und er fing zu singen an, Und er sang so schön und lieblich, Daß der Khan, der Fürst der Horde, Der vorbeiging, ward gerühret Und die Freiheit gab dem Sklaven. Auch Geschenke gab er ihm, Einen Fuchspelz, eine lange Sarazenenmandoline Und das Zehrgeld für die Heimkehr. Dichterschicksal! böser Unstern, Der die Söhne des Apollo Tödlich nergelt, und sogar Ihren Vater nicht verschont hat, Als er, hinter Daphnen laufend, Statt des weißen Nymphenleibes Nur den Lorbeerbaum erfaßte, Er, der göttliche Schlemihl! Ja, der hohe Delphier ist Ein Schlemihl, und gar der Lorbeer, Der so stolz die Stirne krönet, Ist ein Zeichen des Schlemihltums. Was das Wort Schlemihl bedeutet, Wissen wir. Hat doch Chamisso Ihm das Bürgerrecht in Deutschland Längst verschafft, dem Worte nämlich. Aber unbekannt geblieben, Wie des heil'gen Niles Quellen, Ist sein Ursprung; hab darüber Nachgegrübelt manche Nacht. Zu Berlin vor vielen Jahren Wandt ich mich deshalb an unsern Freund Chamisso, suchte Auskunft Beim Dekane der Schlemihle. Doch er konnt mich nicht befried'gen Und verwies mich drob an Hitzig, Der ihm den Familiennamen Seines schattenlosen Peters Einst verraten. Alsbald nahm ich Eine Droschke, und ich rollte Zu dem Kriminalrat Hitzig, Welcher eh'mals Itzig hieß – Als er noch ein Itzig war, Träumte ihm, er säh geschrieben An dem Himmel seinen Namen Und davor den Buchstab' H. »Was bedeutet dieses H?« Frug er sich – »etwa Herr Itzig Oder Heil'ger Itzig? Heil'ger Ist ein schöner Titel – aber In Berlin nicht passend« – Endlich Grübelnsmüd', nannt er sich Hitzig, Und nur die Getreuen wußten: In dem Hitzig steckt ein Heil'ger. »Heil'ger Hitzig!« sprach ich also, Als ich zu ihm kam, »Sie sollen Mir die Etymologie Von dem Wort Schlemihl erklären.« Viel Umschweife nahm der Heil'ge, Konnte sich nicht recht erinnern, Eine Ausflucht nach der andern, Immer christlich – bis mir endlich, Endlich alle Knöpfe rissen An der Hose der Geduld, Und ich anfing so zu fluchen, So gottlästerlich zu fluchen, Daß der fromme Pietist, Leichenblaß und beineschlotternd, Unverzüglich mir willfahrte Und mir folgendes erzählte: »In der Bibel ist zu lesen, Als zur Zeit der Wüstenwandrung Israel sich oft erlustigt Mit den Töchtern Kanaans, Da geschah es, daß der Pinhas Sahe, wie der edle Simri Buhlschaft trieb mit einem Weibsbild Aus dem Stamm der Kananiter, Und alsbald ergriff er zornig Seinen Speer und hat den Simri Auf der Stelle totgestochen – Also heißt es in der Bibel. Aber mündlich überliefert Hat im Volke sich die Sage, Daß es nicht der Simri war, Den des Pinhas Speer getroffen, Sondern daß der Blinderzürnte, Statt des Sünders, unversehens Einen ganz Unschuld'gen traf, Den Schlemihl ben Zuri Schadday.« – Dieser nun, Schlemihl I., Ist der Ahnherr des Geschlechtes Derer von Schlemihl. Wir stammen Von Schlemihl ben Zuri Schadday. Freilich keine Heldentaten Meldet man von ihm, wir kennen Nur den Namen und wir wissen, Daß er ein Schlemihl gewesen. Doch geschätzet wird ein Stammbaum Nicht ob seinen guten Früchten, Sondern nur ob seinem Alter – Drei Jahrtausend' zählt der unsre! Jahre kommen und vergehen – Drei Jahrtausende verflossen, Seit gestorben unser Ahnherr, Herr Schlemihl ben Zuri Schadday. Längst ist auch der Pinhas tot – Doch sein Speer hat sich erhalten, Und wir hören ihn beständig Über unsre Häupter schwirren. Und die besten Herzen trifft er – Wie Jehuda ben Halevy, Traf er Moses Iben Esra, Und er traf auch den Gabirol – Den Gabirol, diesen treuen Gottgeweihten Minnesänger, Diese fromme Nachtigall, Deren Rose Gott gewesen – Diese Nachtigall, die zärtlich Ihre Liebeslieder sang In der Dunkelheit der gotisch Mittelalterlichen Nacht! Unerschrocken, unbekümmert Ob den Fratzen und Gespenstern, Ob dem Wust von Tod und Wahnsinn, Die gespukt in jener Nacht – Sie, die Nachtigall, sie dachte Nur an ihren göttlich Liebsten Dem sie ihre Liebe schluchzte, Den ihr Lobgesang verherrlicht! – Dreißig Lenze sah Gabirol Hier auf Erden, aber Fama Ausposaunte seines Namens Herrlichkeit durch alle Lande. Zu Corduba, wo er wohnte, War ein Mohr sein nächster Nachbar, Welcher gleichfalls Verse machte Und des Dichters Ruhm beneidet'. Hörte er den Dichter singen, Schwoll dem Mohren gleich die Galle, Und der Lieder Süße wurde Bittrer Wermut für den Neidhart. Er verlockte den Verhaßten Nächtlich in sein Haus, erschlug ihn Dorten und vergrub den Leichnam Hinterm Hause in dem Garten. Aber siehe! aus dem Boden, Wo die Leiche eingescharrt war, Wuchs hervor ein Feigenbaum Von der wunderbarsten Schönheit. Seine Frucht war seltsam länglich Und von seltsam würz'ger Süße; Wer davon genoß, versank In ein träumerisch Entzücken. In dem Volke ging darüber Viel Gerede und Gemunkel, Das am End' zu den erlauchten Ohren des Kalifen kam. Dieser prüfte eigenzüngig Jenes Feigenphänomen, Und ernannte eine strenge Untersuchungskommission. Man verfuhr summarisch. Sechzig Bambushiebe auf die Sohlen Gab man gleich dem Herrn des Baumes, Welcher eingestand die Untat. Darauf riß man auch den Baum Mit den Wurzeln aus dem Boden, Und zum Vorschein kam die Leiche Des erschlagenen Gabirol. Diese ward mit Pomp bestattet Und betrauert von den Brüdern; An demselben Tage henkte Man den Mohren zu Corduba. Fragment