Spanische Atriden Am Hubertustag des Jahres Dreizehnhundertdreiundachtzig Gab der König uns ein Gastmahl Zu Segovia im Schlosse. Hofgastmähler sind dieselben Überall, es gähnt dieselbe Souveräne Langeweile An der Tafel aller Fürsten. Prunkgeschirr von Gold und Silber, Leckerbissen aller Zonen, Und derselbe Bleigeschmack, Mahnend an Lokustes Küche. Auch derselbe seidne Pöbel, Buntgeputzt und vornehm nickend, Wie ein Beet von Tulipanen; Nur die Saucen sind verschieden. Und das ist ein Wispern, Sumsen, Das wie Mohn den Sinn einschläfert, Bis Trompetenstöße wecken Aus der kauenden Betäubnis. Neben mir, zum Glücke, saß Don Diego Albuquerque, Dem die Rede unterhaltsam Von den klugen Lippen floß. Ganz vorzüglich gut erzählte Er die blut'gen Hofgeschichten Aus den Tagen des Don Pedro, Den man »König Grausam« nannte. Als ich frug, warum Don Pedro Seinen Bruder Don Fredrego Insgeheim enthaupten ließ, Sprach mein Tischgenosse seufzend: »Señor! glaubt nicht, was sie klimpern Auf den schlottrigen Gitarren, Bänkelsänger, Maultiertreiber, In Posaden, Kneipen, Schenken. Glaubet nimmer, was sie faseln Von der Liebe Don Fredregos Und Don Pedros schöner Gattin, Doña Blanka von Bourbon. Nicht der Eifersucht des Gatten, Nur der Mißgunst eines Neidharts Fiel als Opfer Don Fredrego, Calatravas Ordensmeister. Das Verbrechen, das Don Pedro Nicht verzieh, das war sein Ruhm, Jener Ruhm, den Doña Fama Mit Entzücken ausposaunte. Auch verzieh ihm nicht Don Pedro Seiner Seele Hochgefühle Und die Wohlgestalt des Leibes, Die ein Abbild solcher Seele. Blühend blieb mir im Gedächtnis Diese schlanke Heldenblume; Nie vergeß ich dieses schöne Träumerische Jünglingsantlitz. Das war eben jene Sorte, Die geliebt wird von den Feen, Und ein märchenhaft Geheimnis Sprach aus allen diesen Zügen. Blaue Augen, deren Schmelz Blendend wie ein Edelstein – Aber auch der stieren Härte Eines Edelsteins teilhaftig. Seine Haare waren schwarz, Bläulichschwarz, von seltnem Glanze, Und in üppig schönen Locken Auf die Schulter niederfallend. In der schönen Stadt Coimbra, Die er abgewann den Mohren, Sah ich ihn zum letzten Male Lebend – unglücksel'ger Prinz! Eben kam er vom Alkanzor, Durch die engen Straßen reitend; Manche junge Mohrin lauschte Hinterm Gitter ihres Fensters. Seines Hauptes Helmbusch wehte Frei galant, jedoch des Mantels Strenges Calatrava-Kreuz Scheuchte jeden Buhlgedanken. Ihm zur Seite, freudewedelnd, Sprang sein Liebling, Allan hieß er, Eine Bestie solzer Rasse, Deren Heimat die Sierra. Trotz der ungeheuern Größe War er wie ein Reh gelenkig, Nobel war des Kopfes Bildung, Ob sie gleich dem Fuchse ähnlich. Schneeweiß und so weich wie Seide Flockten lang herab die Haare; Mit Rubinen inkrustieret War das breite goldne Halshand. Dieses Halshand, sagt man, barg Einen Talisman der Treue; Niemals wich er von der Seite Seines Herrn, der treue Hund. O der schauerlichen Treue! Mir erbebet das Gemüte, Denk ich dran, wie sie sich hier Offenbart vor unsern Augen. O des schreckenvollen Tages! Hier in diesem Saale war es, Und wie heute saß ich hier An der königlichen Tafel. An dem obern Tafelende, Dort, wo heute Don Henrico Fröhlich bechert mit der Blume Kastilian'scher Ritterschaft – Jenes Tags saß dort Don Pedro Finster stumm, und neben ihm, Strahlend stolz wie eine Göttin, Saß Maria de Padilla. Hier am untern End' der Tafel, Wo wir heut die Dame sehen, Deren große Linnenkrause Wie ein weißer Teller aussieht – Während ihr vergilbt Gesichtchen Mit dem säuerlichen Lächeln Der Zitrone gleichet, welche Auf besagtem Teller ruht: Hier am untern End' der Tafel War ein leerer Platz geblieben; Eines Gasts von hohem Range Schien der goldne Stuhl zu harren. Don Fredrego war der Gast, Dem der goldne Stuhl bestimmt war – Doch er kam nicht – ach, wir wissen Jetzt den Grund der Zögerung. Ach, zur selben Stunde wurde Sie vollbracht, die dunkle Untat, Und der arglos junge Held Wurde von Don Pedros Schergen Hinterlistig überfallen Und gebunden fortgeschleppt In ein ödes Schloßgewölbe, Nur von Fackelschein beleuchtet. Dorten standen Henkersknechte, Dorten stand der rote Meister, Der, gestützt auf seinem Richtbeil, Mit schwermüt'ger Miene sprach: ›Jetzt, Großmeister von San Jago, Müßt Ihr Euch zum Tod bereiten, Eine Viertelstunde sei Euch bewilligt zum Gebete.‹ Don Fredrego kniete nieder, Betete mit frommer Ruhe, Sprach sodann: ›Ich hab vollendet‹, Und empfing den Todesstreich. In demselben Augenblicke, Als der Kopf zu Boden rollte, Sprang drauf zu der treue Allan, Welcher unbemerkt gefolgt war. Er erfaßte, mit den Zähnen, Bei dem Lockenhaar das Haupt, Und mit dieser teuern Beute Schoß er zauberschnell von dannen. Jammer und Geschrei erscholl Überall auf seinem Wege, Durch die Gänge und Gemächer, Treppen auf und Treppen ab. Seit dem Gastmahl des Belsazar Gab es keine Tischgesellschaft, Welche so verstöret aussah Wie die unsre in dem Saale, Als das Ungetüm hereinsprang Mit dem Haupte Don Fredregos, Das er mit den Zähnen schleppte An den träufend blut'gen Haaren. Auf den leer gebliebnen Stuhl, Welcher seinem Herrn bestimmt war; Sprang der Hund und, wie ein Kläger, Hielt er uns das Haupt entgegen. Ach, es war das wohlbekannte Heldenantlitz, aber blässer, Aber ernster, durch den Tod, Und umringelt gar entsetzlich Von der Fülle schwarzer Locken, Die sich bäumten wie der wilde Schlangenkopfputz der Meduse, Auch wie dieser schreckversteinernd. Ja, wir waren wie versteinert, Sahn uns an mit starrer Miene, Und gelähmt war jede Zunge Von der Angst und Etikette. Nur Maria de Padilla Brach das allgemeine Schweigen; Händeringend, laut aufschluchzend, Jammerte sie ahndungsvoll: ›Heißen wird es jetzt, ich hätte Angestiftet solche Mordtat, Und der Groll trifft meine Kinder, Meine schuldlos armen Kinder!‹« Don Diego unterbrach hier Seine Rede, denn wir sahen, Daß die Tafel aufgehoben Und der Hof den Saal verlassen. Höfisch fein von Sitten, gab Mir der Ritter das Geleite, Und wir wandelten selbander Durch das alte Gotenschloß. In dem Kreuzgang, welcher leitet Nach des Königs Hundeställen, Die durch Knurren und Gekläffe Schon von fernher sich verkünd'gen, Dorten sah ich, in der Wand Eingemauert und nach außen Fest mit Eisenwerk vergattert, Eine Zelle wie ein Käfig. Menschliche Gestalten zwo Saßen drin, zwei junge Knaben; Angefesselt bei den Beinen, Hockten sie auf fauler Streu. Kaum zwölfjährig schien der eine, Wenig älter war der andre; Die Gesichter schön und edel, Aber fahl und welk von Siechtum. Waren ganz zerlumpt, fast nackend, Und die magern Leibchen trugen Wunde Spuren der Mißhandlung; Beide schüttelte das Fieber. Aus der Tiefe ihres Elends Schauten sie zu mir empor, Wie mit weißen Geisteraugen, Daß ich schier darob erschrocken. »Wer sind diese Jammerbilder?« Rief ich aus, indem ich hastig Don Diegos Hand ergriff, Die gezittert, wie ich fühlte. Don Diego schien verlegen, Sah sich um, ob niemand lausche, Seufzte tief und sprach am Ende, Heitern Weltmannston erkünstelnd: »Dieses sind zwei Königskinder, Früh verwaiset, König Pedro Hieß der Vater, und die Mutter War Maria de Padilla. Nach der großen Schlacht bei Narvas, Wo Henrico Transtamare Seinen Bruder, König Pedro, Von der großen Last der Krone Und zugleich von jener größern Last, die Leben heißt, befreite: Da traf auch die Bruderskinder Don Henricos Siegergroßmut. Hat sich ihrer angenommen, Wie es einem Oheim ziemet, Und im eignen Schlosse gab er Ihnen freie Kost und Wohnung. Enge freilich ist das Stübchen, Das er ihnen angewiesen, Doch im Sommer ist es kühlig, Und nicht gar zu kalt im Winter. Ihre Speis' ist Roggenbrot, Das so schmackhaft ist, als hätt es Göttin Ceres selbst gebacken Für ihr liebes Proserpinchen. Manchmal schickt er ihnen auch Eine Kumpe mit Garbanzos, Und die Jungen merken dann, Daß es Sonntag ist in Spanien. Doch nicht immer ist es Sonntag, Und nicht immer gibt's Garbanzos, Und der Oberkoppelmeister Regaliert sie mit der Peitsche. Denn der Oberkoppelmeister, Der die Ställe mit der Meute Sowie auch den Neffenkäfig Unter seiner Aufsicht hat, Ist der unglücksel'ge Gatte Jener sauren Zitronella Mit der weißen Tellerkrause, Die wir heut bei Tisch bewundert, Und sie keift so frech, daß oft Ihr Gemahl zur Peitsche greift – Und hierher eilt und die Hunde Und die armen Knaben züchtigt. Doch der König hat mißbilligt Solch Verfahren und befahl, Daß man künftig seine Neffen Nicht behandle wie die Hunde. Keiner fremden Mietlingsfaust Wird er ferner anvertrauen Ihre Zucht, die er hinfüro Eigenhändig leiten will.« Don Diego stockte plötzlich, Denn der Seneschall des Schlosses Kam zu uns und frug uns Höflich: ob wir wohlgespeist? – –