Georg Philipp Harsdörffer Christliche Welt- und Zeitbetrachtungen Zwölf Monatslieder Winterlied/ Zu dem ersten Monat deß Jenners Nach der Stimme: Frisch auf mein Seel/ verzage nicht/ Gott wil sich dein erbarmen. Psalm 74. v. 17. Sommer und Winter machest du/Herr! 1 Wir leben in der neuen Zeit/ die alls mit Schnee bedecket: es trägt das Feld ein graues Kleid/ das Krafft und Safft erstecket. Frost/ Kält und Eiß macht alles weiß/ der Regen wird zu Schrollen. Es ligt zu Feld die harte Kält; der Reiff wird gleich der Wollen. 2 Was bringt/ ja vielmehr nimmt uns nicht der Janus weg für Gaben? Mit dem gezweyten Angesicht kan er nichts sonders haben. Doch wird gesucht der Dörner Frucht: Die Hiefen 1 / gleich Korallen/ bringt nun heran der arme Mann/ dem Reichen zu Gefallen. 3 Obgleich der guldne Sonnen-Strahl entfernet abgewichen/ ist doch der kalten Nächte Zahl mehlich herbey geschlichen: Der Wassermann hebt wieder an/ die Täge zu ersetzen/ indem sich hat das Sonnen-Rad gewendt/ uns zu ergetzen. 4 Was bildet diese Winterszeit? Anfechtung/ Angst und Leiden. Doch ist der Hoffnungs-Trost nicht weit/ der niemals pflegt zu scheiden. Es wird der Lentz auch dieser Grentz der Schwalben Bottschaft senden. Die Heroldin sagt: Wart dorthin/ es wird sich alles enden. 5 Inzwischen traget nur Gedult: thut Buß in Staub und Aschen. Wir wollen uns/ durch Gottes Huld/ schneeweiß und reinlich waschen. Die rohte Sünd acht sich geschwind wie zärtlich reine Wollen. Das Hertz wird neu/ durch wahre Reu/ die wir ergreiffen sollen. 6 Wir dancken dir Gott allezeit/ der du stets ob uns wachest; der du die frühe Sommer-Freud und auch den Winter machest. Du ruffst dem Schnee/ und ruffst dem Klee; alls muß nach Ordnung gehen: So hört nicht auf der Wechsel-Lauff/ weil diese Welt wird stehen! Fußnoten 1 Allhier bey uns ist bräuchlich/ daß arme Leute/ am Neuen Jahrtage/ für den Thüren herüm gehen/ und ruffen/ und zugleich überreichen: Drey Hiefen zum Neuen Jahr. (Hiefe = Hagebutte)